Berlin im November 1989: Kurz bevor die Mauer fällt, prügelt sich eine britische Agentin durch Ost- und Westteil der Stadt. Tom Thelen und Lukas Heinser diskutieren über Plansequenzen, Feminismus und Wodka.
Schlagwort: til schweiger
Sie haben es vermutlich schon mitbekommen: Alice Weidel, Spitzenkandidatin einer Partei, die sich “Alternative für Deutschland” nennt, hat gestern eine Polit-Talkshow im ZDF verlassen:
Dieser Abgang ist historisch. Nicht, weil er irgendeinen berechtigten Anlass gehabt hätte; auch nicht, weil er heute wieder für ganz viele Schlagzeilen und Fragen wie “Spielen wir das Spiel der AfD mit, wenn wir darüber diskutieren?” gesorgt hat. Sondern, weil Weidels Empörung so unglaublich unglaubwürdig war.
Sie wirkte wie eine Oberstufenschülerin, die keinen Bock hat, Teil der Abizeitungs-AG zu sein, aber aus Gründen ihrer sozialen Stellung innerhalb der Stufe das nicht einfach zugeben kann, und deswegen verzweifelt versucht, irgendeinen Grund zu finden, Papiere in die Luft zu werfen und kopfschüttelnd den Oberstufenraum zu verlassen, um dann anschließend melodramatisch augenrollend in der Raucherecke an ihrer Zigarette zu ziehen.
Kommen wir deshalb nun zu unserer neuen Rubrik “Menschen, die bessere Schauspieler sind als Alice Weidel”. Die Liste umfasst rund 7,1 Milliarden Menschen, deswegen hier nur die fünf Erstplatzierten:
5. Til Schweiger
4. Donald Trump
3. Pepe
2. Cristiano Ronaldo
1. Berti Vogts
Lucky & Fred: Episode 10
Da sind wir wieder! Weil ja zum Glück im letzten halben Jahr nicht viel passiert ist, sprechen wir über deutsche Schauspieler auf Facebook und die Strategielosigkeit der europäischen Sozialdemokratie. Lucky will seinen Friedensnobelpreis zurückgeben und Fred gibt Nachhilfe in Sachen Flugzeugtechnologie. Also ein Abend für die ganze Familie.
Wette sich, wer kann
Die Nachricht, dass die Unterhaltungssendung “Wetten, dass..?” nach 33 Jahren ihren Geist aufgeben würde, war der Redaktion von “Spiegel Online” am Abend des 5. April sogar eine Breaking News wert. Autopsie und Trauerfeier waren da bereits in vollem Gange.
Das ZDF wurde für seine Pressemitteilungsformulierung der “geänderten Sehgewohnheiten” mit Häme überzogen — überwiegend von Menschen, die gerne amerikanische TV-Serien auf Computern und Tablets schauen und sich Sonntagsabends online verabreden, um gemeinschaftlich eine einzelne deutsche TV-Serie scheiße zu finden. Markus Lanz und die Redaktion wurden zu den Alleinschuldigen erklärt, was auch Quatsch war: Zwar hatten der joviale Baumarkteröffnungscharmeur und seine Truppe im Hintergrund, die es auch schon mal für eine gute Idee gehalten hatte, sich völlig ohne Grund eine ausschweifende Rassismusdebatte an den Hals zu holen, tatsächlich keinen guten Job gemacht, aber das Problem lag auch woanders. In einer Zeit, wo wirklich jeder durch Castingshow und YouTube zum “Star” werden kann, braucht der Normalbürger keine abseitigen Begabungen mehr, um für einen Abend im Rampenlicht zu stehen. Man kann es jetzt zu mittelfristiger TV-Prominenz bringen, ohne Wärmflaschen aufzupusten oder die Postleitzahlen aller deutschen Städte benennen zu können. ((Oder ohne irgendetwas zu können.)) Frank Elstner meldete sich auf Twitter zu Wort und vielerorts las man wieder von Elstner, kleinen Kindern in der Badewanne und im Bademantel. ((Was jetzt vielleicht ein bisschen unglücklich formuliert ist.))
Immer wieder kam das Bild auf, das Florian Illies 2000 beschrieben hatte: Wie er als Kind Samstagsabends, frisch gebadet und im Bademantel auf der Couch sitzen und “Wetten, dass..?” mit Frank Elstner gucken durfte. Illies beschrieb dies in seinem Bestseller “Generation Golf”, dessen Titel schon Teil des Problems ist, zu dem wir gleich noch kommen, und je mehr deckungsgleiche Wortmeldungen in den Sozialen Netzwerken aufschlugen, desto bohrender wurde die Frage: Hatten wir – das Personalpronomen ist hier besonders wichtig – wirklich so ähnliche Kindheitserlebnisse oder brach sich hier gerade die Erinnerungsverfälschung Raum, die sonst gerne auch schon mal gerne dafür sorgt, dass Menschen sich detailreich daran erinnern, wo sie bei der Mondlandung, der Ermordung John F. Kennedys, dem Mauerfall, dem Unfalltod von Diana Spencer und am 11. September 2001 waren — nur, dass das oft gar nicht stimmt.
Ich für meinen Teil bin zum Beispiel zu jung, um jemals bewusst “Wetten, dass..?” mit Frank Elstner gesehen zu haben. Ich erinnere mich an eine Ausgabe, in der jemand mithilfe handlicher Schrottballen sagen konnte, um was für ein Auto es sich zuvor gehandelt hatte. Es mag mein erster bewusster Kontakt mit der Sendung gewesen sein, der Moderator war wohl schon Thomas Gottschalk und wenn es da draußen jemanden gibt, der auf Anhieb sagen kann, ob das stimmt, wann die Sendung lief und aus welcher Mehrzweckhalle die Sendung damals kam, dann ist es jetzt zu spät, um aus dieser Inselbegabung noch Kapital zu schlagen.
Frank Elstner, das war für mich der Moderator von “Nase vorn”, dem vielleicht überambitioniertesten Unterhaltungsshowversuch, bis es ProSiebenSat1 mit der “Millionärswahl” versuchte, und der teilweise live von der Trabrennbahn in Dinslaken übertragen wurde, in deren buchstäblicher Wurfweite unsere damalige Wohnung lag. Mit großem Eifer glotzte ich damals jede Samstagabendshow weg, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen Ende der 1980er, Anfang der 1990er auf die Gebührenzahler losließ, ((“Verstehen Sie Spaß?” mit Paola und Kurt Felix! Der “Flitterabend”! Die “Goldmillion”!)) zur Not zwang ich meine Großeltern (und nicht andersherum), mit mir den “Musikantenstadl” zu schauen — es war eben Samstagabend, ich war da und wollte unterhalten werden! Am Liebsten aber die “Rudi Carrell Show” ((Ich bin unsicher, wann genau ich begriff, dass die Kandidaten – “gerade noch im Reisebüro, jetzt auf unserer Showbühne!” – sich gar nicht so schnell umziehen konnten, sondern dort mit vorab aufgezeichneten Beiträgen gearbeitet wurde, fürchte aber, es ist noch gar nicht sooo lange her.)) und später “Geld oder Liebe” mit Jürgen von der Lippe, das ich im Nachhinein gerne zur besten Samstagabendshow aller Zeiten verkläre. Wenn es mir gelänge, heute etwas ähnlich harmlos-anarchisch-unterhaltsames zu konzipieren, wäre ich ein gemachter Mann.
“Wetten, dass..?”, jedenfalls, ist im Begriff, sehr bald Geschichte zu sein, und all jene, die damals tatsächlich oder gefühlt im Bademantel zugeschaut hatten, gaben sich dem hin, was seit “Generation Golf” Allgemeingut ist: der fraternisierenden, leicht anironisierten Nostalgie derer, die für echte Nostalgie nicht nur zu jung sind, sondern auch zu wenig erlebt hatten. Und weil die Vertreter dieser … nun ja: Generation heute an den entscheidenden Stellen bundesdeutscher Onlinedienste und Medienseiten sitzen, kann man diese Erinnerungen überall lesen, wo sie von Menschen mit den gleichen tatsächlichen oder gefühlten Erinnerungen kommentiert werden, auf dass sich auch die Nachgeborenen damit infizieren und sich später felsenfest daran erinnern, wie sie damals selbst auf der Couch …
“Kids today gettin’ old too fast / They can’t wait to grow up so they can kiss some ass / They get nostalgic about the last ten years / Before the last ten years have passed”, hat Ben Folds mal gesungen. Das ist inzwischen neun Jahre her und die Entwicklung der Sozialen Netzwerke hat seitdem nicht gerade zu einer Entspannung der Situation beigetragen. “Throwback Thursday” nennen sie es, wenn Menschen am Donnerstag besonders peinliche ((Zu irgendeiner Zeit hätte man gesagt: “affige”.)) Fotos von sich selbst in einem jüngeren Zustand auf Facebook oder Twitter posten, was besonders reizvoll ist, wenn die Menschen Anfang Zwanzig und die Fotos selbst noch nicht mal im Grundschulalter sind. Jan Böhmermann ((Je nach Bezugsgeneration der Harald Schmidt oder Stefan Raab seiner eigenen Generation.)) sorgte im Frühjahr mit einem “So waren die 90er”-Video für Furore im deutschsprachigen Internet, 90er-Parties erfreuen sich schon seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit und ich saß auch schon stocknüchtern inmitten unterschiedlich alkoholisierter Menschen auf Parties, starrte auf einen Laptopbildschirm und nahm einen YouTube-Reigen von Mr. President, Take That, Echt und Tic Tac Toe mit einer stets wechselnden Mischung aus Faszination, Abscheu, Nostalgie, Fassungslosigkeit und Begeisterung zur Kenntnis. Es waren Menschen mit ansonsten vermutlich tadellosem Musikgeschmack, aber niemand kam auf die Idee, wenigstens mal zur Abwechslung Interpreten wie Nirvana, Oasis oder Pearl Jam in die Runde zu werfen. Das war auch nicht mehr mit dem leidigen Thema Überironisierung zu erklären.
Mein Vater verabscheut heute mit großer Hingabe vieles, was sich auf den angeblich repräsentativen Hit-Samplern seiner Jugend findet, ((Mungo Jerry! The Lovin’ Spoonful!)) trotz fehlenden Alters waltet bei mir eine erschütternde Milde: Ich könnte jederzeit ausführlich und fundiert begründen, warum Sunrise Avenue große Grütze sind, würde mich aber im Zweifelsfall vermutlich dazu hinreißen lassen, “What Is Love?” von Haddaway wortreich gegen jedwede Kritik zu verteidigen.
Die Musik, die heute dort angesagt ist, wo Indiebereich und Mainstream kleinen Grenzverkehr pflegen, klingt oft, als sei sie schon mindestens 40 Jahre alt. Vor zehn, fünfzehn Jahren wurden haufenweise Fernsehserien der 70er und 80er fürs Kino adaptiert, heute sind plötzlich Fernsehserien erfolgreich, die auf 20 Jahre alten Kinofilmen basieren. Und das ist erst der Anfang.
Der Herm fragte letzte Woche auf Twitter:
bin ich zeitreisender oder sind im letzten monat ein pink floyd album, ac/dc album, star wars trailer und jurassic park trailer erschienen?
— Herm (@hermsfarm) 4. Dezember 2014
Kurz darauf ging dann ein neuer “Terminator”-Trailer online.
Über das Phänomen der “Retromanie” sind inzwischen Artikel und ganze Bücher geschrieben worden. Und, klar: Wenn Kulturepochen nicht mehr 50 oder 100 Jahre dauern, sondern nur ein paar Monate ((Oder gar 140 Zeichen.)), können sie auch schneller wiederkommen. Die Renaissance rekurrierte noch auf ein Zeitalter, das seit etwa 800 Jahren vorbei war.
Und so ist in einer Zeit, in der angeblich alles individueller wird ((Mode- und Einrichtungsblogs sprechen da eine etwas andere Sprache.)), die Erinnerung an “Dolomiti”, “Yps” und “Raider” (“heißt jetzt ‘Twix'”) das, was die Menschen heimelig zusammenbringt. Die Jeanette-Biedermeier-Epoche.
Um “Wetten dass..?” wird jetzt bis zuletzt ein Gewese gemacht, das die Show selbst seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gerechtfertigt hat. Aber so ist das in Deutschland: Wir haben ja kulturell nicht so viel und wenn wir doch mal jemanden haben, werden diejenigen so sehr gefeiert, bis sie niemand mehr ernsthaft ertragen kann. Stichwort: Til Schweiger, Jan Josef Liefers, Helene Fischer, Unheilig. Alle vier sind am Samstag bei der letzten Sendung dabei.
In der nicht enden wollenden Debatte über den Betrug Karl-Theodor zu Guttenbergs beim Verfassen seiner Doktorarbeit hat sich ein weiterer Experte zu Wort gemeldet: der Schauspieler und Regisseur Til Schweiger.
“Ich habe, als ich noch studiert habe, auch abgeschrieben”, sagte Schweiger im Radio-Hamburg-Interview. Deswegen jetzt Guttenbergs Rücktritt zu fordern, halte er für übertrieben, “weil ich finde, dass er eigentlich bis jetzt einen super Job gemacht hat als Verteidigungsminister”.
Nun möchte ich nicht verheimlichen, dass meine Meinung über Schweiger seit langem sehr viel schlechter ist als meine Meinung über Guttenberg nach den Ereignissen der letzten Tage. Bei allen Meinungsverschiedenheiten und Zweifeln an seinen Methoden wusste der Minister zumindest bisher wenigstens mit souveränen Auftritten zu überzeugen, bei denen ich dachte: “Ich mag diesen Kerl nicht, aber er macht das schon verdammt gut!” Wann immer ich Til Schweiger sehe (und vor allem höre), verfluche ich den Tag, an dem Paul Nipkow das Fernsehgerät erfunden hat.
Jedenfalls ist es nicht das erste Mal, dass die Namen “Schweiger” und “zu Guttenberg” gemeinsam in der Presse stehen: Von diversen Preis-Verleihungen und “Ein Herz für Kinder”-Galas ab, ist vor allem das Pass-Spiel, das Schweiger seit einiger Zeit via “Bild” mit Stephanie zu Guttenberg betreibt, bemerkenswert.
Als die Ministergattin sich im vergangenen Herbst als Gast-Moderatorin der umstrittenen RTL-2-Sendung “Tatort Internet” versuchte und dafür viel Kritik erhielt, meldete sich Schweiger in “Bild” zu Wort:
Til Schweiger, selbst Vater von vier Kindern, sagte BILD: “Ich verfolge seit 2 Wochen den medialen Aufschrei über das Format ‘Tatort Internet’ und den Hohn und Spott, der über Frau zu Guttenberg ausgeschüttet wird, das macht mich erst sprachlos und dann vor allen Dingen wütend! In was für einer Gesellschaft leben wir denn?”
Der Schauspieler fragt: “Wo bleibt der Beifall? Wo ist der empörte Aufschrei über diese widerlichen, armseligen Schweine? Hab ich noch nichts von gelesen, ich lese nur von ‘an den Pranger stellen’, ‘Hexenjagd’ usw… Warum macht man sich mehr Gedanken um die Privatsphäre von einem Mann, der Kindern pornografische Fotos von sich schickt und sich dann mit ihnen verabredet? So naiv kann doch niemand sein, oder doch? All denen, die in den letzten zwei Wochen ihre hämischen Kommentare verfasst haben, rufe ich zu: Redet mit euren Kindern, klärt auf und warnt sie, denn es könnte euer Kind als nächstes betroffen sein!”
Das war schon eine ganz gute Generalprobe für Schweigers Stammtisch-Auftritt bei Markus Lanz, wo er sich über das “deutsche Gutmenschentum” und “intellektuelle Menschen” empörte und Sexualstraftätern ihre Menschenrechte absprechen wollte, was ihm das erwartbare Lob von “Bild” einbrachte:
Aber nicht nur von “Bild” selbst:
Auch Stephanie zu Guttenberg (34), Präsidentin der deutschen Sektion von “Innocence in Danger”, hat den TV-Auftritt von Til Schweiger (47) verfolgt. Guttenberg zu BILD: “Es ist toll, dass Til Schweiger unbequeme Wahrheiten ausspricht und seine Popularität dafür einsetzt, Menschen wachzurütteln! Ich weiß, dass ihm viele Menschen zu diesem Mut gratulieren.”
Doch die Ministergattin und der Kreativwirtschaftler kommunizieren nicht nur indirekt:
Schweiger: “(…) Sogar Stephanie zu Guttenberg hat mir eine SMS geschickt.”
BILD: Was hat die Ministergattin geschrieben?
Schweiger: “Sie hat sich bei mir bedankt!”
Falls Karl-Theodor zu Guttenberg doch noch seinen Hut nehmen muss, wäre Schweiger womöglich der Wunsch-Nachfolger der “Bild”-Redaktion. Wobei die Soldaten das vermutlich nicht so gut fänden …
Verwertungskreislauf einer Werbemeldung
Wenn Til Schweiger, Schauspieler, Regisseur und Werbegesicht der Firma Braun, ein Interview führt, das sich nahezu ausschließlich um Körperbehaarung dreht, ist es naheliegend, dass die Zeitschrift “Gala” dieses Gespräch gleich mit einem Braun-Rasierer bebildert.
Auf den ersten Blick nicht ganz so naheliegend ist, dass auch “Spiegel Online”, abendblatt.de oder “Focus Online” aufschreiben müssen, dass sich der Coverboy der deutschen Erstausgabe von “Vanity Fair” die Brusthaare “mit einem Rasierer” entferne.
Nach ein paar Wochen ist die Geschichte jetzt allerdings wieder – hinter “Wurst-Meisterwerken” und “Getränke-Vielfalt” – in ihrem natürlichen Lebensraum angekommen: