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Lucky & Fred: Episode 9

Am Anschlag auf Char­lie Heb­do und die Pres­se­frei­heit führt auch bei uns kein Weg dran vor­bei: Wir dis­ku­tie­ren, was Sati­re darf, und fra­gen uns, wie man Sala­fist wird, wäh­rend Lucky über­ra­schend sein Mit­ge­fühl für Kar­ne­va­lis­ten ent­deckt.
Über einen Umweg nach Wien gelan­gen wir nach Grie­chen­land und zur Geld­ma­schi­ne Olym­pi­sche Spie­le.
Fred hält einen Nach­ruf auf Alt­bun­des­prä­si­dent Richard von Weiz­sä­cker und Lucky freut sich auf die Ober­bür­ger­meis­ter­wahl in Bochum.

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Niemand will den Hund begraben

Mein Onkel Tho­mas, der seit 27 Jah­ren in San Fran­cis­co, CA lebt und dort als Foto­graf arbei­tet, hat ver­gan­ge­nes Wochen­en­de sei­ne Aus­stel­lung „Blick­win­kel“ eröff­net, die ich Ihnen auch dann ans Herz legen wür­de, wenn ich nicht mit dem Künst­ler ver­wandt wäre. Zu sehen ist die­se Werk­schau im Muse­um Vos­win­ckels­hof in Dins­la­ken, wo wir bei­de auf­ge­wach­sen sind.1 Bei der Eröff­nung, bei der das Muse­um fast aus allen Näh­ten platz­te, sprach die stell­ver­tre­ten­de Bür­ger­meis­te­rin ein Gruß­wort, in dem sie Tho­mas Hein­ser in eine Rei­he mit berühm­ten Ex-Dins­la­ken­ern wie Ulrich Dep­pen­dorf (Lei­ter des ARD-Haupt­stadt­stu­di­os), Udo Di Fabio (Rich­ter am Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt) und Andre­as Deja (Chef­zeich­ner bei Dis­ney) stell­te. Dins­la­ken, so erklär­te sie, sei „natür­lich“ zu klein für die wirk­lich gro­ßen Geis­ter, die die Stadt des­we­gen für die Metro­po­len die­ser Welt ver­las­sen, aber stets ger­ne in ihre alte Hei­mat zurück­keh­ren wür­den.2

In der Migra­ti­ons­theo­rie unter­schei­det man zwi­schen Pull- und Push­fak­to­ren, wenn es die Men­schen aus einer Regi­on in eine ande­re zieht bzw. treibt. Pull­fak­to­ren für soge­nann­te Krea­ti­ve sind etwa Kunst­hoch­schu­len und Jobs in Agen­tu­ren, die sie in die gro­ßen Kul­tur­me­tro­po­len zie­hen. Ein Push­fak­tor von Dins­la­ken wäre zum Bei­spiel Dins­la­ken.

Im Herbst 2011 eröff­ne­te in einem Laden­lo­kal in der Dins­la­ke­ner Innen­stadt, das zuvor unter ande­rem eine Espres­so­bar und ein Schuh­ge­schäft beher­bergt hat­te, die Gast­stät­te Vic­tor Hugo. Ein paar jun­ge Män­ner, die Dins­la­ken merk­wür­di­ger­wei­se nicht ver­las­sen hat­ten, hat­ten ihre Erspar­nis­se zusam­men­ge­schmis­sen und eröff­ne­ten ohne Unter­stüt­zung von Braue­rei­en, Ver­ei­nen oder Stadt­ver­wal­tung einen Laden, der mehr sein soll­te als nur Knei­pe: Mit Lesun­gen, Akus­tik­kon­zer­ten, Pub Quiz­zes und Poet­ry Slams soll­te ein biss­chen stu­den­ti­sche Kul­tur Ein­zug hal­ten in eine Stadt, deren ein­zi­ge Ver­bin­dung zu Uni­ver­si­tä­ten sonst der Bahn­hof ist.

Zur Eröff­nung war­ben die Macher des Vic­tor Hugo mit einem Zitat ihres Namens­pa­trons: „Nichts auf der Welt ist so mäch­tig wie eine Idee, deren Zeit gekom­men ist.“ Die kon­kre­te Idee war viel­leicht nicht revo­lu­tio­när, aber gut, die Zeit war sicher­lich gekom­men, aber der Ort war defi­ni­tiv der fal­sche – zumin­dest der kon­kre­te.

Offizieller Schriftzug der Stadt Dinslaken (Entwurf).

Von Anfang an gab es Ärger mit den Nach­barn bzw. wenn ich das rich­tig ver­stan­den habe: mit exakt einem, der sich von den jun­gen Men­schen, die plötz­lich auch nach dem Hoch­klap­pen der Bür­ger­stei­ge um 18.30 Uhr in die Dins­la­ke­ner Innen­stadt kamen, um das Vic­tor Hugo zu besu­chen. Es ging, wohl­ge­merkt, nicht um betrun­ke­ne Hor­den, die um 3 Uhr mor­gens unter dem Abschmet­tern unflä­ti­ger Lie­der durch die engen Gas­sen in der Nähe des Markt­plat­zes zogen, son­dern um weit­ge­hend ver­nünf­ti­ge jun­ge Erwach­se­ne, die in gemüt­li­chem Ambi­en­te gemein­sam ein paar Geträn­ke neh­men, sich unter­hal­ten, ein paar Brett­spie­le spie­len oder ein wenig Kul­tur kon­su­mie­ren woll­ten. Gut, eini­ge von ihnen woll­ten auch vor der Tür rau­chen, denn das „Hugo“ war von Anfang an eines der ganz weni­gen Nicht­rau­cher­lo­ka­le Dins­la­kens. Aber das ver­lief, soweit ich gehört und bei eige­nen Besu­chen auch selbst fest­ge­stellt habe, in völ­lig geord­ne­ten Bah­nen. Oder: In Bah­nen, die nor­ma­le den­ken­de Men­schen als „völ­lig geord­net“ bezeich­nen wür­den.

Im Theo­dor-Heuss-Gym­na­si­um, das nicht weit vom Vic­tor Hugo steht und wo vie­le bedeu­ten­de Dins­la­ke­ner (aber auch ich) ihr Abitur gemacht haben, gibt es eine Tafel mit einem Aus­spruch des ers­ten Bun­des­prä­si­den­ten: „Die äuße­re Frei­heit der Vie­len lebt aus der inne­ren Frei­heit des Ein­zel­nen.“ Mit ein biss­chen Bie­gen und Bre­chen kriegt man den Satz auch ex nega­tivo gebil­det – oder man schreibt ihn gleich in Schil­lers „Wil­helm Tell“ ab: „Es kann der Frömms­te nicht in Frie­den blei­ben, wenn es dem bösen Nach­bar nicht gefällt.“

Die Beschwer­den gegen das Vic­tor Hugo häuf­ten sich (in Dins­la­ken ent­spricht das rund 30 Anru­fen bei der Poli­zei in andert­halb Jah­ren) und das Ord­nungs­amt muss­te tätig wer­den und ein Buß­geld­ver­fah­ren gegen die Betrei­ber ein­lei­ten. Die ver­spra­chen, in Zukunft für mehr Ruhe zu sor­gen, aber es kam schnell, wie es kom­men muss­te: via Face­book erklär­ten sie ges­tern das Aus zum 30. April.

Micha­el Blatt hat das viel zu schnel­le Ende des Vic­tor Hugo auf coolibri.de sehr pas­send ein­ge­ord­net:

Für Dins­la­ken ist das Aus der Bar ein Desas­ter. Nicht, weil Tag für Tag hun­der­te von Gäs­te in die mit viel Lie­be zum Detail gestal­te­te und als Hob­by betrie­be­ne Knei­pe ström­ten. Das war auch gar nicht der Anspruch. Aber das Hugo war ein Argu­ment, die Stadt nach der Schu­le nicht flucht­ar­tig zu ver­las­sen und erst mit der Geburt des ers­ten Kin­des wie­der zurück­zu­keh­ren. Von die­sen Argu­men­ten hat Dins­la­ken seit Jahr­zehn­ten nicht sehr vie­le. Zwi­schen Kon­zer­ten im ND-Jugend­zen­trum und Vor­trä­gen der Mar­ke „Der vor­ge­schicht­li­che Ein­baum aus dem Lip­pe­deich bei Gar­trop-Bühl“ (am 5. März im Dach­stu­dio der VHS) klafft eine alters­be­ding­te Lücke.

Und die Stadt ver­liert damit bin­nen kur­zer Zeit die zwei­te Anlauf­stel­le für Jugend­li­che: Erst Ende 2012 hat­te der legen­dä­re Jäger­hof sei­ne Pfor­ten geschlos­sen. Der mehr als reno­vie­rungs­be­dürf­ti­ge Music­club, in dem sich schon unse­re Eltern­ge­nera­ti­on zum soge­nann­ten Schwoof getrof­fen hat­te, lag zwar nicht in der Innen­stadt, aber direkt am Auto­bahn­zu­brin­ger, wes­we­gen vor sei­nen Türen immer wie­der Besu­cher in schwe­re Ver­kehrs­un­fäl­le ver­wi­ckelt wur­den. Im ver­gan­ge­nen März kam schließ­lich ein 19-Jäh­ri­ger ums Leben. Die Betrei­ber öff­ne­ten den Laden am nächs­ten Abend wie gehabt und sahen sich anschlie­ßend mit Pie­tät­lo­sig­keits­vor­wür­fen, sin­ken­den Besu­cher­zah­len und aus­blei­ben­den Ein­nah­men kon­fron­tiert.

Auch wenn ich vom Jäger­hof ger­ne als „Dorf­dis­co“ und von den ver­blie­be­nen jun­gen Dins­la­ken­ern als „Dorf­ju­gend“ spre­che, darf man nicht ver­ges­sen, dass Dins­la­ken mit sei­nen knapp 70.000 Ein­woh­nern3 anders­wo als Mit­tel­zen­trum durch­gin­ge. Soest, zum Bei­spiel, hat mehr als 20.000 Ein­woh­ner weni­ger, liegt aber ver­gleichs­wei­se ein­sam in der Bör­de rum und hat des­halb ein rela­tiv nor­ma­les Ein­zel­han­dels- und Kul­tur­ange­bot.4 Dins­la­ken liegt am Ran­de des Ruhr­ge­biets: Duis­burg und Ober­hau­sen sind gleich vor der Tür, Mül­heim, Essen, Bochum und Düs­sel­dorf maxi­mal eine Drei­vier­tel­stun­de mit dem Auto ent­fernt. Das ein­zi­ge Kauf­haus der Stadt hat vor Jah­ren geschlos­sen und wur­de kürz­lich abge­ris­sen. Wenn alles gut geht,5 wird dort irgend­wann ein Ein­kaufs­zen­trum ste­hen und Dins­la­ken wird end­lich sei­nen eige­nen H&M haben. Streng genom­men bräuch­te es den nicht mal, weil selbst die Teen­ager die Stadt mit dem Regio­nal­ex­press zum Shop­pen ver­las­sen, sobald sie genug Taschen­geld bei­sam­men haben.

Was bleibt, sind tat­säch­lich die alten Men­schen, die schlecht zu Fuß sind und schon immer in der Stadt gelebt haben. Aber auch denen geht es schlecht, weil der ein­zi­ge Super­markt, den es in der Innen­stadt noch gibt, immer kurz vor der Schlie­ßung steht. Wenn der Wort­vo­gel fragt, ob man Städ­te eigent­lich „ent­grün­den“ kön­ne, ist das für Dins­la­ken viel­leicht noch kei­ne aku­te Pro­ble­ma­tik, aber es sieht aus, als hät­te man in der Stadt vor­sichts­hal­ber schon mal damit ange­fan­gen.

Ande­rer­seits ist es kein neu­es Phä­no­men, dass die Dins­la­ke­ner nichts mit ihrer Stadt anzu­fan­gen wis­sen: Bereits im Jahr 1959 beschrieb der „Spie­gel“ die Ver­su­che, zu Ehren des desi­gnier­ten Bun­des­prä­si­den­ten Hein­rich Lüb­ke, der bis dahin Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter des Wahl­krei­ses Dins­la­ken-Rees gewe­sen war, ein rau­schen­des Fest aus­zu­rich­ten. Es ende­te damals so:

Nach sol­cher­lei Bekun­dun­gen wur­de Hein­rich Lüb­ke in einem Pfer­de­wa­gen von zwei Rap­pen durch die Stra­ßen in Rich­tung Dins­la­ken gezo­gen. Nur weni­ge nah­men Notiz von dem Mann, der ihnen in quer über die Stra­ße gespann­ten Trans­pa­ren­ten als der „neue Bun­des­prä­si­dent“ ange­kün­digt wor­den war.

Auf der Frei­licht­büh­ne des Burg­thea­ters begann das eigent­li­che Fest, das Lüb­ke ersehnt hat­te. Irri­tiert ließ er die Hul­di­gung des Dins­la­ke­ner Indus­tri­el­len Mey­er über sich erge­hen, der ihn mit „Herr Bun­des­prä­si­dent“ begrüß­te und ihm als Mit­glied des Ade­nau­er-Kabi­netts dank­te, daß dank sei­ner Inter­ven­tio­nen kein Trup­pen­übungs­platz im Dins­la­ke­ner Kreis ein­ge­rich­tet wor­den sei.

Viel­leicht wür­de heu­te wenigs­tens Micha­el Wend­ler sin­gen.

  1. In Dins­la­ken, nicht im Muse­um. []
  2. Was das im Umkehr­schluss für Micha­el Wend­ler und die ande­ren Ein­woh­ner der Stadt bedeu­tet, hat in die­sem Moment kei­ner gefragt. []
  3. Und den 1273 ver­lie­he­nen Stadt­rech­ten. []
  4. Außer­dem hat es natür­lich schmu­cke Fach­werk­häus­chen. []
  5. Was in Dins­la­ken in etwa so wahr­schein­lich ist wie in Bochum oder Ber­lin. []
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Städte, die das möchten

Damit war nicht zu rech­nen gewe­sen, als wir Dirk Elbers zwi­schen Weiß­wein (er) und Sekt (ich) anspra­chen. Doch der Düs­sel­dor­fer Ober­bür­ger­meis­ter ant­wor­te­te auf mei­ne Fra­ge, ob sei­ne Stadt Euro­vi­si­on Song Con­test, Mara­thon und eine rie­si­ge Indus­trie­mes­se gleich­zei­tig locker weg­ste­cken kön­ne, mit einem Satz, der als Glau­bens­be­kennt­nis aller Stadt­obe­ren in latent grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Kom­mu­nen (also qua­si über­all) gel­ten kann: „Das ist eine Stadt, die das möch­te!“

Nun ist Düs­sel­dorf, eine Stadt, die es sich nicht mal neh­men lässt, einen ver­damm­ten Ski­lang­lauf-Welt­cup in ihrer Innen­stadt aus­zu­rich­ten, ein Extrem­bei­spiel jener Städ­te, die so ger­ne eine Metro­po­le wären, aber eben doch nur rein ver­wal­tungs­recht­lich eine Groß­stadt sind – aber bei­lei­be kein Ein­zel­fall.

Zwi­schen April und Okto­ber gibt es qua­si kein ein­zi­ges Wochen­en­de, an dem nicht min­des­tens ein, zwei Bus­li­ni­en in der Bochu­mer Innen­stadt umge­legt wer­den müs­sen, weil die eine oder ande­re Haupt­stra­ße (oder gleich meh­re­re davon) gesperrt ist. Da ist natür­lich Bochum Total („Euro­pas größ­tes inner­städ­ti­sches Musik­fes­ti­val“), aber auch der „Spar­kas­sen-Giro“ (ein Rad­ren­nen), der „Bochu­mer Musik­som­mer“ (auch eine Art Musik­fes­ti­val, aber mehr mit Wein­bu­den und ange­grau­ten Leh­rer-Ehe­paa­ren als Ziel­grup­pe), „Bochum kuli­na­risch“ (kei­ne Musik, noch mehr Wein­bu­den und Leh­rer) und am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de erst­ma­lig der „Rewir­power-Halb­ma­ra­thon“ (ein Halb­ma­ra­thon). Hin­zu kom­men Ver­an­stal­tun­gen wie „Die Nord­see kommt – Das Welt­na­tur­er­be Wat­ten­meer zu Gast in Bochum“, das „Kuh­hir­ten­fest“, das Uni­fest, meh­re­re Floh­märk­te, ein Fisch­markt, sowie diver­se „Events“ in und um die inner­städ­ti­schen Ein­kaufs­zen­tren. Wer kei­nen Schre­ber­gar­ten hat, kann eigent­lich jedes Wochen­en­de irgend­wo hin­ge­hen, bevor dann im Novem­ber end­lich der Weih­nachts­markt eröff­net. Und das alles gibt es in jeder Nach­bar­stadt hier im Ruhr­ge­biet selbst­ver­ständ­lich noch ein­mal.

Ver­ant­wort­lich sind natür­lich vie­le unter­schied­li­che Ver­an­stal­ter. Oft ist das Stadt­mar­ke­ting dabei, aber nicht immer. Es gibt vie­le unter­schied­li­che Ziel­grup­pen und für sich genom­men mag jede Ver­an­stal­tung ihre Berech­ti­gung und ihren Charme haben. In der Sum­me gleicht es einer Fünf­jäh­ri­gen, die sich Mut­tis Schmuck umge­han­gen hat (und zwar den gan­zen) und deren Gesicht unter einer zen­ti­me­ter­di­cken Schmink­schicht ver­schwun­den ist.1

Was uns zum vor­läu­fi­gen Tief­punkt bringt, der erreicht war, als „City Point“ und „Dreh­schei­be“ (die zuvor erwähn­ten inner­städ­ti­schen Ein­kaufs­zen­tren) kürz­lich die „Living Doll 2011“ zu küren such­ten. Da stan­den vor den ein­zel­nen Geschäf­ten Men­schen, die Pro­duk­te aus den jewei­li­gen Läden tru­gen und sich nicht bewe­gen durf­ten. Dazwi­schen stan­den ande­re Men­schen,2 die Karao­ke san­gen. „Nur ein Wort“ von Wir Sind Hel­den, zum Bei­spiel. Alles, aber auch wirk­lich alles muss schief gegan­gen sein, damit so etwas pas­siert.

Nun ist es natür­lich nicht so, dass ech­te Metro­po­len völ­lig auf sol­cher­lei Ver­an­stal­tun­gen ver­zich­ten wür­den. In New York ist an jedem Wochen­en­de ver­mut­lich mehr los, als in ganz NRW in einem hal­ben Jahr. Aber die Stadt ist natür­lich bedeu­tend grö­ßer, so dass nicht stän­dig die glei­chen Stra­ßen gesperrt wer­den müs­sen, und außer­dem gibt es dort Tou­ris­ten.

Ande­rer­seits hat der Ver­an­stal­tungs­wahn zumin­dest in Bochum den (poli­tisch sicher so gewoll­ten) Vor­teil, dass man sich an den Wochen­en­den eher für das oft unan­sehn­li­che Gan­ze schämt, anstatt stän­dig für die eige­ne Stadt­spit­ze. Immer­hin hat­te es unse­re Ober­bür­ger­meis­te­rin für nötig gehal­ten, sich nach einer durch­aus hit­zi­gen öffent­li­chen Debat­te dar­über, ob Josef Acker­mann im Bochu­mer Schau­spiel­haus reden soll (of all places), bei Herrn Dr. Acker­mann per­sön­lich „für die unwür­di­ge Dis­kus­si­on“ zu ent­schul­di­gen.3

Jetzt aber ab heu­te und bis Sonn­tag „Bochu­mer Musik­som­mer“ und die nächs­te ganz gro­ße Pein­lich­keit: Am Sonn­tag wird das Pro­gramm auf allen Büh­nen von 14.46 Uhr bis 15.03 Uhr unter­bro­chen. War­um so krumm? Nun, in die­ser Zeit läu­ten in der gan­zen Stadt die Glo­cken zum Geden­ken an die Opfer der Anschlä­ge vom 11. Sep­tem­ber.4 17 Minu­ten Betrof­fen­heit bei Brat­wurst und Ape­rol Spritz, dann geht’s wei­ter mit Musik.

  1. Außer­dem kann die klei­ne nicht rich­tig gehen, weil sie in über­gro­ßen Pumps steckt. []
  2. Oder waren es die glei­chen? Ich hat­te mich abwen­den müs­sen. []
  3. Nicht etwa für die Art der Dis­kus­si­on, die natür­lich als „weit­ge­hend unsach­li­che Kri­tik, aber auch die über­zo­ge­ne Bericht­erstat­tung in Tei­len der Lokal­pres­se“ gegei­ßelt wur­de, son­dern gleich für die gan­ze ver­damm­te Dis­kus­si­on an sich! Wer schreibt die­ser Frau ihre Brie­fe und Pres­se­er­klä­run­gen?! []
  4. War­um man dafür den Zeit­raum zwi­schen dem Ein­schlag des ers­ten und des zwei­ten Flug­zeugs ins World Trade Cen­ter gewählt hat, die Abstür­ze ins Pen­ta­gon und in Shanks­ville und den Ein­sturz der Tür­me aber außen vor­lässt, weiß ver­mut­lich vor allem der Wind. []
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Es gilt das erbrochene Wort

Ich ver­eh­re Jochen Malms­hei­mer seit mehr als einer Deka­de. Ich schrie­be nicht, wenn er und sein dama­li­ger Tre­sen­le­sen-Kol­le­ge Frank Goo­sen mir nicht gezeigt hät­ten, was man alles Schö­nes mit der deut­schen Spra­che anfan­gen kann (der Rest mei­nes Schrei­bens stützt sich auf die Gesamt­wer­ke von Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re, Chris­ti­an Kracht und natür­lich Max Goldt). Des­halb freut es mich beson­ders, dass Herrn Malms­hei­mer das gelun­gen ist, was in unse­rer bei­der Hei­mat­stadt Bochum maxi­mal alle zwei Wochen pas­siert: Er hat einen „Eklat“ aus­ge­löst.

Ort und Grund war die Eröff­nung des Zelt­fes­ti­vals Ruhr, das auch in die­sem Jahr wie­der hoch­ka­rä­ti­ge Künst­ler, aber auch Acts wie Ich + Ich, die Simp­le Minds oder die H‑BlockX an den Gesta­den des male­ri­schen Kem­n­ader Sees ver­sam­melt. Malms­hei­mer war gela­den, ein Gruß­wort zu spre­chen, und er nutz­te die Gele­gen­heit, dass die gesam­te Stadt­spit­ze wehr­los vor ihm saß, zu einer „Sua­da“ („West­deut­sche All­ge­mei­ne Zei­tung“), um „vom Leder zu zie­hen“ (ebd.), zu einer „Lita­nei“ („Ruhr Nach­rich­ten“) und um zu „scho­cken“ (ebd.).

Da ich nicht zu den rund 500 gela­de­nen Wür­den­trä­gern aus Poli­tik, Wirt­schaft und Kul­tur gehör­te (it’s a long way to the top, even in Bochum), muss ich mich auf die Aus­zü­ge aus der elf­sei­ti­gen Rede ver­las­sen, die die „Ruhr Nach­rich­ten“ ins Inter­net gestellt haben. Die­se gefal­len mir jedoch außer­or­dent­lich.

Zum Bei­spiel das, was Malms­hei­mer über das geplan­te, jedoch nicht vor der Wie­der­kehr Chris­ti fer­tig­ge­stell­te Bochu­mer Kon­zert­haus zu sagen hat:

…dies ist die Stadt, die voll­mun­dig, um nicht zu sagen: groß­mäu­lig, die Not­wen­dig­keit zur Instal­la­ti­on eines voll­kom­men unnüt­zen Kon­zert­hau­ses ver­kün­det, ohne einen Bedarf dafür zu haben und die Kos­ten des lau­fen­den Betrie­bes decken zu kön­nen, und das alles in einem Kul­tur­raum, der inzwi­schen über mehr nicht aus­ge­las­te­te Kon­zert­häu­ser ver­fügt, als er Orches­ter unter­hält, und die das alles dann doch nicht hin­kriegt, weil der Regie­rungs­prä­si­dent zum Glück sol­chen und ähn­li­chen Unfug einer Gemein­de unter­sagt hat, die ihre Rech­nun­gen in einer Grö­ßen­ord­nung im Kel­ler ver­schlampt, die unser­ei­nen für Jah­re in den Knast bräch­te und die finan­zi­ell noch nicht mal in der Lage ist, die Frost­schä­den des letz­ten Win­ters im Stra­ßen­netz zu besei­ti­gen…

Den gekürz­ten Rest gibt’s auf ruhrnachrichten.de.

Malms­hei­mers Wor­te jeden­falls ver­fehl­ten nicht ihr Ziel. Ober­bür­ger­meis­te­rin Otti­lie Scholz ließ eine erneu­te Ein­la­dung, sich zu bla­mie­ren, nicht unge­nutzt ver­fal­len, wie die „WAZ“ berich­tet:

Die Ober­bür­ger­meis­te­rin beschwer­te sich bei den Ver­an­stal­tern, die­se distan­zier­ten sich sogleich von ihrem Gast; in sei­nem „pola­ri­sie­ren­den Vor­trag“ habe Malms­hei­mer „für sich selbst gespro­chen“.

Das hat­te Malms­hei­mer selbst frei­lich direkt klar­ge­stellt – aber dafür hät­te man ihm natür­lich zuhö­ren müs­sen:

Dabei möch­te ich gleich zu Beginn dar­auf hin­wei­sen, dass ich, anders als jene, die vor mir adres­sier­ten, aus­schließ­lich für mich sel­ber spre­che, eine Fähig­keit, die ich mir unter Mühen antrai­nier­te und die mich eigent­lich seit­dem hin­rei­chend aus­füllt.

[via Jens]

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Die Welt in drei Wörtern erklären

Am 30. August sind Kom­mu­nal­wah­len in NRW. Offen­bar seit die­sem Wochen­en­de dür­fen des­halb die Innen­städ­te mit unin­spi­rier­ten, ver­stö­ren­den, plum­pen, pein­li­chen oder ein­fach nur ega­len Pla­ka­ten zuge­stellt wer­den.

Ein Trend zeich­net sich jetzt schon ab: Vie­le Kan­di­da­ten ver­su­chen in einem Drei­klang auf sich auf­merk­sam zu machen. Dass man da schnell durch­ein­an­der gerät, liegt in der Natur der Sache.

Die fol­gen­de Lis­te von Bür­ger­meis­ter­kan­di­da­ten aus ganz Deutsch­land ist sicher unvoll­stän­dig:

Mut­maß­lich noch ein biss­chen kom­pe­ten­ter, sozia­ler und … äh: daer sind dann wohl die­se bei­den Her­ren:

  • Unab­hän­gig. Kom­pe­tent. Bür­ger­nah. Ver­läss­lich. (Oli­ver Wild, Ehrings­hau­sen, par­tei­los)
  • Sau­ber­keit. Sicher­heit. Recht. Ord­nung. (Hein­rich Müh­mert, Dins­la­ken, Offen­si­ve Dins­la­ken)
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Der Klammeraffenbumerang

Über die Inter­net­kom­pe­tenz von Poli­ti­kern ist gera­de in den letz­ten Tagen viel gespot­tet wor­den und tat­säch­lich habe ich manch­mal den Ein­druck, dass mei­ne 76-jäh­ri­ge Groß­mutter bes­ser mit dem Com­pu­ter umzu­ge­hen weiß als so man­cher Bun­des­mi­nis­ter. (Ver­mut­lich auch bes­ser als eini­ge 25-Jäh­ri­ge, aber dar­um soll es nicht gehen.)

Manch­mal aller­dings ist es um die Inter­net­kom­pe­tenz von Poli­ti­kern (oder ihren Mit­ar­bei­tern) dann viel­leicht doch nicht so schlecht bestellt, wie man­cher Beob­ach­ter das ger­ne hät­te. Das sieht dann zum Bei­spiel so aus wie in der Kolum­ne „Unse­re Woche“ in der Jörg Wer­ner, der Dins­la­ke­ner Lokal­chef der „Rhei­ni­schen Post“, am ver­gan­ge­nen Sams­tag schrieb:

Und zum Schluss noch dies: Dinslakens SPD-Bürgermeisterkandidat Dr. Michael Heidinger hat das Wahlvolk in dieser Woche mit seinem Internet-Auftritt beglückt. Nun wollen wir gar nicht darüber rechten, wie altbacken das von ihm vorgestellte Wahllogo ist. Das ist schließlich Geschmackssache. Eines allerdings gibt uns zu denken. Wer dem Kandidaten eine Mail mailen möchte, sollte dies, so stand es jedenfalls noch gestern nachmittag im Impressum der Seite, unter buergermeister-fuer-dinslaken(ät)arcor.de tun. Mensch, lieber Dr. Heidinger, groß herausposaunen, dass man jetzt einen tollen Internet-Auftritt hat und dann das @-Zeichen nicht finden ... Ist das professionell? Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ich schrieb mei­nem frü­he­ren Chef am Sonn­tag­abend, dass Hei­din­ger die­se obsku­re Schreib­wei­se ver­mut­lich gewählt habe, damit die E‑Mail-Adres­se nicht so leicht von Spam­bots gefun­den wer­de, die das Inter­net durch­fors­ten. (Das dürf­te zwar heut­zu­ta­ge kaum noch wir­kungs­voll sein, aber die Web­site sieht ja auch nicht gera­de aus, als stam­me sie aus dem Jahr 2009.)

Jörg Wer­ner reagier­te prompt und vor­bild­lich, indem er am Diens­tag auf der ers­ten Sei­te des Lokal­teils schrieb:

Professionelles (ät): Auf ein Wort in eigener Sache: Redaktionsleiter, wer hätte das gedacht, sind nicht unfehlbar. Sie sind, ich habe kein Problem, das zuzugeben, nicht allwissend. Aber sie lernen täglich dazu. Warum ich das erzähle? Na ganz einfach, ich hab was dazu gelernt. Da hab ich doch am Samstag die Frage gestellt, ob der Internetauftritt des SPD-Bürgermeisterkandidaten Dr. Michael Heidinger tatsächlich professionell ist, weil das gewohnte @-Zeichen dort durch ein (ät) ersetzt worden ist. Die Antwort auf diese Frage ist: Ja. Denn dieses (ät) gilt, wie ich mich inzwischen habe belehren lassen, als Mittel, sich vor automatischen Programmen auf der Suche nach Adressen für Spam-Mails zu schützen. Nun gut, das kannte ich bislang nur in der Version (at), ob's tatsächlich effektiv hilft, ist auch nicht unumstritten und über die Frage, ob der Trick nicht eher dazu dient, die Erreichbarkeit des Kandidaten für Otto-Normalcomputerbenutzer zu behindern, ließe sich auch philosophieren Aber hier ist nicht der Platz zum Haare spalten. Also, Asche auf mein Haupt, Herr Dr. Heidinger. Die nächste kritische Anmerkung, ich versprech's, trifft aber wieder mitten ins Schwarze. Jörg Werner.

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Here In Pleasantville

In Dinslaken weiß man zu Feiern.

Aus ver­schie­de­nen beruf­li­chen und pri­va­ten Grün­den war ich gezwun­gen, die letz­te Woche in Dins­la­ken zu ver­brin­gen. Es war nicht so schlimm, dass man den Spruch mit dem ärgs­ten Feind hät­te aus­pa­cken müss­te,1 aber es war schon … außer­ge­wöhn­lich.

Da war zum Einen jene Geschich­te, die über fast die gan­ze Zeit die Lokal­pres­se füll­te: Hein­rich Müh­mert, Auto­händ­ler, Ring­rich­ter und seit Jahr­zehn­ten Rats­mit­glied für ver­schie­dens­te Par­tei­en und Split­ter­grup­pen, hat­te in sei­ner Haus­halts­re­de vor dem Stadt­rat einen Kar­ne­vals­prin­zen aus dem Stadt­teil Epping­ho­ven als „schwu­len Wicht“ bezeich­net.2

Rats­her­ren ver­lie­ßen auf­ge­bracht den Saal, Müh­mert erhielt einen Ord­nungs­ruf, ent­schul­dig­te sich hin­ter­her der­art halb­her­zig, dass sich sein eige­ner Kar­ne­vals­ver­ein3 von ihm distan­zier­te. Müh­mert ist übri­gens einer von sechs Bür­ger­meis­ter­kan­di­da­ten in Dins­la­ken, was unter Berück­sich­ti­gung des aktu­el­len Wahl­rechts und der Wahl­be­tei­li­gung vom letz­ten Mal bedeu­ten könn­te, dass er mit gut 4.800 gül­ti­gen Stim­men die Stadt regie­ren dürf­te.

Doch auch fern­ab der … äh: „Poli­tik“ ließ mich die Stadt, in der ich 20 Jah­re mei­nes Lebens ver­bracht hat­te,4 nach­denk­lich zurück: Da waren die schon erwähn­ten Tür­ste­her der „Kul­tur­kan­ti­ne“, die zwar 26-jäh­ri­ge Frau­en nicht erkann­ten, aber – so berich­te­te man mir zumin­dest glaub­haft hin­ter­her – Min­der­jäh­ri­ge in die Dis­co lie­ßen.5 Da war die Kas­sie­re­rin des Innen­stadt-Super­markts, die mich beim Kauf eines Kas­tens Bier um Vor­la­ge mei­nes Aus­wei­ses bat – wohl weil ich auch mit 25 noch nicht wie 16 aus­se­he.

Man muss ihr zugu­te hal­ten, dass an jenem Vor­mit­tag die Abitu­ri­en­ten ihre Zulas­sung fei­er­ten6 und es natür­lich immer bes­ser ist, ein­mal zu viel nach­zu­fra­gen als ein­mal zuwe­nig. Die Fra­ge, die sich aus bei­den Erleb­nis­sen ergibt, lau­tet natür­lich den­noch ganz klar: Wie zum Hen­ker sehen Teen­ager in Dins­la­ken eigent­lich aus, dass man sie nicht von Men­schen Mit­te Zwan­zig unter­schei­den kann?!

  1. Ich wüss­te so spon­tan auch nicht, wer das sein soll­te. []
  2. Fra­gen Sie mich um Him­mels wil­len nicht, wie man es rhe­to­risch schafft, in einer Debat­te über den Haus­halt einen homo­se­xu­el­len Kar­ne­vals­prin­zen zu ver­un­glimp­fen. Es braucht ver­mut­lich jahr­zehn­te­lan­ge Erfah­rung, Ex-Mit­glied­schaf­ten bei FDP und Schill-Par­tei und jede Men­ge auf­ge­stau­te Homo­pho­bie, um das auf die Rei­he zu krie­gen. []
  3. Gemeint ist wirk­lich ein Kar­ne­vals­ver­ein, nicht Müh­merts „Offen­si­ve Dins­la­ken“, die spä­ter in Tei­len aller­dings auch noch auf Abstand ging – da sehen Sie mal, was Lokal­po­li­tik wirk­lich bedeu­tet! []
  4. Was man nun wirk­lich nie­man­dem wün­schen kann. []
  5. Beson­ders lus­tig ist übri­gens, dass offen­bar auch Band­mit­glie­der der Kili­ans, die an jenem Abend gleich­sam Gast­ge­ber waren, Pro­ble­me am Ein­lass hat­ten. []
  6. An die ich mei­nen Kas­ten schließ­lich auch ver­teil­te. []
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Ich bin nur zugezogen, holt mich hier raus!

Die pein­li­che Absa­ge der Love­pa­ra­de, die die­ses Jahr eigent­lich in Bochum statt­fin­den soll­te, bestimmt in den letz­ten Tagen die Lokal­pres­se:

Nein, von einem Image­scha­den kön­ne kei­ne Rede sein, gab Stadt­rat Paul Aschen­bren­ner (SPD) zu Pro­to­koll. „Weil wir eine ver­ant­wor­tungs­be­wuss­te Ent­schei­dung getrof­fen haben.“

(„Ruhr­nach­rich­ten“)

Gut, dass Bochum kein Image hat, was zu Scha­den kom­men könn­te. Und wen inter­es­sie­ren schon jun­ge Men­schen, die Krach hören und Rausch­gift kon­su­mie­ren?

Die SPD jeden­falls nicht:

So hat­te etwa der SPD-Orts­ver­ein Bochum-Ham­me, der schon Wolf­gang Cle­ment poli­tisch weit­ge­hend über die Klin­ge sprin­gen ließ, einen Antrag für den Rat vor­be­rei­tet, wegen dro­hen­der Ver­mül­lung der Anlie­ger­stra­ßen vom Raver-Tanz­ver­gnü­gen ganz abzu­las­sen.

In dem Antrag vom 31. Juli 2008 heißt es wört­lich: „Der SPD-Orts­ver­ein Bochum-Ham­me sieht in der Aus­rich­tung der Love­pa­ra­de 2009 in Bochum kei­nen kul­tu­rel­len bzw. nach­hal­ti­gen Bei­trag zur Ver­bes­se­rung des Images des Ruhr­ge­bie­tes bzw. für das Kul­tur­haupt­stadt­jahr 2010. Die im Rah­men der Orga­ni­sa­ti­on ent­ste­hen­den Kos­ten und Nach­fol­ge­schä­den ste­hen in kei­nem Ver­hält­nis zum Nut­zen die­ser Ver­an­stal­tung und sind öffent­lich nicht ver­tret­bar.” Bochum sol­le des­halb die Ver­an­stal­tung zurück­ge­ben.

(„WAZ“)

Aber die sehr end­li­che Kom­pe­tenz der SPD mani­fes­tiert sich bis ins kleins­te Detail:

Im Som­mer 2008 ver­ab­schie­de­te der Orts­ver­ein den Antrag an den Rat, die Love­pa­ra­de in Bochum abzu­bla­sen, wegen Gefahr der Ver­mül­lung und ande­rer Schä­den. Zwar wur­de der Antrag nie abge­schickt, doch in den SPD-Gre­mi­en wie Rats­frak­ti­on und Unter­be­zirks­par­tei­tag sicker­te die Ableh­nung gleich­wohl durch.

(Noch mal die „WAZ“)

Ent­spre­chend gut lässt sich die­ser Eier­tanz kom­men­tie­ren:

Wie eine Nach­ge­burt kom­men nun Ein­schät­zun­gen zu Tage, die dar­auf hin­wei­sen, dass die Macher der Bochu­mer Poli­tik mit der Love­pa­ra­de wenig am Hut hat­ten. Statt­des­sen ging die Sor­ge um, das The­ma spal­te und kön­ne im Super­wahl­jahr 2009 Wäh­ler­stim­men kos­ten.

Das aller­dings ist nicht von der Hand zu wei­sen. Zu auf­fäl­lig, wie ein­drucks­voll und wort­mäch­tig sich Bochu­mer Poli­ti­ker über Kon­zert­haus­bau, Cross-Bor­der-Deal und Gott und die Welt ver­brei­tet haben, das The­ma Love­pa­ra­de aber fast gänz­lich mie­den. […]

Und dann die Kos­ten: 130 000 Euro allein durch den Ein­satz der Feu­er­wehr und Ret­tungs­diens­te. Ganz zu schwei­gen von hun­der-ten Extrabus­sen. Und der befürch­te­ten Ver­mül­lung. Das wirkt doch sehr wie ein run­des bestell­tes Gut­ach­ten. Von Leu­ten, die nicht wirk­lich wol­len.

(Kom­men­tar in der „WAZ“)

Ins­ge­heim dürf­ten spä­tes­tens seit dem Erfolg der Love­pa­ra­de in Essen klar gewe­sen sein: Bochum ist dem nicht gewach­sen. Da das nie­mand sagen will, fehl­te nur ein Grund für die Absa­ge.

Zum Glück gibt es die Gleis­bau­ar­bei­ten der Bahn.

(Kom­men­tar in den „Ruhr Nach­rich­ten“)

Der publi­zis­ti­sche Todes­stoß kam aller­dings aus der alten Hei­mat der Love­pa­ra­de. Ein Pro­vinz­por­trät in zwei­ein­halb Sät­zen:

Her­bert Grö­ne­mey­er hat Bochum groß gemacht, aber nicht groß genug. Die Love­pa­ra­de – Älte­re wer­den sich erin­nern – kann dort in die­sem Jahr man­gels Kapa­zi­tät nicht statt­fin­den: Bahn­hof zu klein, Miet­toi­let­ten aus­ge­bucht, zu wenig Papier­kör­be, so etwa.

(„Der Tages­spie­gel“)

Der SPD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de im Bochu­mer Stadt­rat wird von der „WAZ“ übri­gens wie folgt zitiert:

Es wur­de der Ein­druck erweckt, als wären nur Dep­pen am Werk.

Wie jetzt? „Ein­druck“? „als“?

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Barack Obamas schlimme Folgen für die Weltpolitik

„Was kön­nen wir vom Wahl­kampf von Barack Oba­ma ler­nen?“ hat­te ein Dele­gier­ter auf dem Grü­nen­par­tei­tag den zu die­sem Zeit­punkt noch desi­gnier­ten Par­tei­vor­sit­zen­den Cem Özd­emir gefragt. Özd­emir ant­wor­te­te irgend­was Klu­ges, Abwar­ten­des, von wegen das sol­le man jetzt nicht alles nach­ma­chen und man müs­se auch mal sehen und so …

„Ist eine Inter­net-Kam­pa­gne wie die von Barack Oba­ma auch in Deutsch­land mög­lich?“ hat­te Mar­kus Becke­dahl schon kurz nach Oba­mas Wahl­sieg gefragt und sowohl eine kur­ze („Ja und Nein“), als auch eine lan­ge Ant­wort dar­auf gege­ben.

Aber wie das immer so ist: auf beson­ne­ne Poli­ti­ker hören genau­so vie­le Per­so­nen, wie läng­li­che Blog-Ein­trä­ge lesen – also kaum einer. Und so kommt es, dass die zwei­te bis drei­ßigs­te Rei­he (so vie­le Sitz­rei­hen hat das Bochu­mer Ruhr­sta­di­on, viel­leicht bie­tet jemand mehr) der Poli­ti­ker jetzt vor den Fett­näp­fen Schlan­ge steht, um auf eine neue Lis­te zu kom­men.

Sie heißt:
„Yes, may­be we could try to, but come to think of it: we defi­ni­te­ly can’t“

Los ging es mit die­sem Meis­ter­werk:

Yes we can -  Klausurtagug der SPD Havixbeck

[via Jens]

Eine wei­te­re gewag­te Kom­bi­na­ti­on aus Slo­gan und miss­glück­ter deut­scher Spra­che fand ich dann bei Face­book:

Wir machen's: Mit Heiko Maas, muss einer neuer Mann an die Spitze der saarländischen Landesregierung. Unterstützt Heiko Maas für Gute Arbeit, Faire Chancen und Neue Energie im Saarland.

Und den fina­len Aus­lö­ser, die Num­mer von einer Twit­ter-Serie zu einer Blog-Serie zu machen (hof­fent­lich nicht), fand ich dann im Dins­la­ke­ner Lokal­teil der „Rhei­ni­schen Post“:

Dinslaken: 
Köse dreht Wansing-Wahlspot. Dinslaken (RP) Reportage am Montag "Wansing on Ice" hieß es am Sonntagmittag in der Dinslakener Eishalle. Dort drehte CDU-Bürgermeisterkandidat Heinz Wansing gemeinsam mit Regisseur Adnan Köse seinen Wahlwerbespot.

Der auf­stre­ben­de Lokal­po­li­ti­ker Heinz Wan­sing hat sich vom Dins­la­ke­ner Regis­seur Adnan Köse („Lauf um Dein Leben – Vom Jun­kie zum Iron­man“) über­re­den las­sen, einen Wahl­wer­be­spot zu dre­hen, der ab Janu­ar als zehn­mi­nü­ti­ge Ver­si­on auf sei­ner Home­page und spä­ter als Zwei­mi­nü­ter in der Dins­la­ke­ner Licht­burg lau­fen soll.

Die „RP“ zitiert den Regis­seur wie folgt:

Man muss die neu­en Medi­en nut­zen. Mir gefällt sei­ne Hal­tung und ich will mit dem Film errei­chen, dass neben dem Poli­ti­ker und Ver­wal­tungs­fach­mann auch der pri­va­te, der Mensch Heinz Wan­sing fokus­siert wird.

Und wenn Sie jetzt fra­gen: „Ja, was sol­len die armen deut­schen Poli­ti­ker denn jetzt machen, ohne dass Ihr Inter­net-Jung­spun­de Euch immer über deren Unbe­hol­fen­heit lus­tig macht?“, dann ant­wor­te ich mit mei­ner glo­cken­klars­ten Engels­stim­me, die sonst für Fami­li­en­be­su­che und mei­nen Bank­be­ra­ter reser­viert ist: „Poli­tik!“

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Niederrheinische Mengenleere

Wir müs­sen mal für einen kur­zen Moment so tun, als inter­es­sie­re uns die Lokal­po­li­tik in mei­ner frü­he­ren Hei­mat­stadt Dins­la­ken.

Nein, das ist Quatsch. Lokal­po­li­tik inter­es­siert schon in Dins­la­ken nie­man­den mehr, da ist sie hier eigent­lich völ­lig off topic. Ich wäre auch schlicht nicht in der Lage, die Vor­ge­schich­te zu rekon­stru­ie­ren, die zu dem Rats­bür­ger­ent­scheid führ­te, der die Stadt im Moment beschäf­tigt. Nie­mand in Dins­la­ken weiß noch so genau, wor­um es ging, was die Situa­ti­on so beson­ders mach­te, der sich die Wahl­be­rech­tig­ten am ver­gan­ge­nen Sonn­tag (bei strö­men­dem Regen und geöff­ne­ten Geschäf­ten in der Innen­stadt) aus­ge­setzt sahen. Aber wir haben es hier mit einem beein­dru­cken­den Bei­spiel von poli­ti­schem Selbst­ver­ständ­nis zu tun, das ich für all­ge­mein­gül­tig hal­te und Ihnen des­halb nicht vor­ent­hal­ten will.

Nun also doch ganz kurz zur Vor­ge­schich­te: Es geht grob dar­um, ob auf einem Park­platz am Ran­de der Innen­stadt1 ein Ein­kaufs­zen­trum gebaut wer­den soll. Es ist hier völ­lig uner­heb­lich, wer das bau­en soll, wie das finan­ziert wird und was das alles mit dem MSV Duis­burg zu tun hat.2 Alles, was Sie jetzt noch wis­sen müs­sen, ist: Die Stim­mung in der Stadt war sehr dage­gen, die Stim­mung in der gro­ßen Koali­ti­on im Rat war sehr dafür.

Ein Bür­ger­be­geh­ren, bei dem sich 6.000 Dins­la­ke­ner gegen die Bebau­ung aus­ge­spro­chen hat­ten, ver­hall­te aus for­ma­len Grün­den unge­hört, aber der Rat beschloss einen frei­wil­li­gen Bür­ger­ent­scheid, bei dem raus­kom­men soll­te, dass „die Dins­la­ke­ner eine Bebau­ung des Plat­zes nicht grund­sätz­lich ableh­nen“. Das ist unge­fähr so sinn­voll wie wenn Eltern zu ihren Kin­dern sagen wür­den: „Okay, wir sehen: Ihr mögt kei­nen Fisch. Ihr habt hier zwar nix zu sagen, aber wir sind mal so groß­zü­gig und räu­men Euch jetzt die Mög­lich­keit ein, uns zu zei­gen, dass Ihr Fisch nicht grund­sätz­lich ablehnt!„3

Nun mach­ten aber nur 17,9% der Kin­der von der Mög­lich­keit Gebrauch, sich zum Fisch zu äußern. Zwei Drit­tel davon waren gegen den Fisch bzw. die Bebau­ung, 6.399 Leu­te. Die Stadt­ver­wal­tung hat­te aber fest­ge­legt, dass min­des­tens 11.000 dage­gen sein müss­ten.

Ande­rer­seits waren ja von 55.644 Wahl­be­rech­tig­ten auch nur 3.546 für die Bebau­ung, was eher unso­li­de 6,37% sind. Der Rest zählt (und wir wis­sen, wie das mit schwei­gen­den Mas­sen ist) wohl als „nicht grund­sätz­lich dage­gen“.

Nun wür­de man als nor­ma­ler Mensch sagen: „For­ma­li­tä­ten hin und her: Nach allem, was uns an Zah­len vor­liegt, sind zwei Drit­tel der Leu­te dage­gen und gera­de mal sechs Pro­zent unse­rer Bür­ger ist das Bau­vor­ha­ben so wich­tig, dass sie dafür am Sonn­tag bei Regen ins Wahl­lo­kal trot­ten. Viel­leicht soll­ten wir also doch mal gucken, ob wir das nicht irgend­wie anders machen.“

Und jetzt wer­fen wir bit­te jeg­li­che Logik über Bord, hal­ten uns unbe­dingt noch mal die Zahl von 3.546 Befür­wor­tern vor Augen und zitie­ren die Bür­ger­meis­te­rin Sabi­ne Weiss:

„Es ist wich­tig, dass man sol­che Gren­zen [die 11.000 erfor­der­li­chen Stim­men] setzt, sonst lie­ße sich mit 6000 Stim­men ja die gro­ße Mehr­heit einer Stadt domi­nie­ren. Ich glau­be nicht, dass man sagen kann, dass die, die nicht abge­stimmt haben, gegen die Bebau­ung sind oder dass ihnen die Fra­ge egal ist.“

Bit­te bei­ßen Sie in Ihren eige­nen Schreib­tisch, mei­ner ist schon durch.

  1. „Rand“ heißt hier: fuß­läu­fig durch­aus zu errei­chen, aber durch Gebäu­de und Stra­ßen doch irgend­wie ziem­lich abge­trennt. []
  2. In Dins­la­ken ist es natür­lich gar nicht uner­heb­lich, da ist es lang­wie­rig und trau­rig. Aber wie gesagt: zu kom­plex, als dass noch irgend­je­mand durch­bli­cken wür­de. []
  3. Sie ver­ste­hen, war­um eine Kar­rie­re im poli­ti­schen Kaba­rett für mich nicht in Betracht kommt. []