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Lucky & Fred: Episode 9

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Am Anschlag auf Charlie Hebdo und die Pressefreiheit führt auch bei uns kein Weg dran vorbei: Wir diskutieren, was Satire darf, und fragen uns, wie man Salafist wird, während Lucky überraschend sein Mitgefühl für Karnevalisten entdeckt.
Über einen Umweg nach Wien gelangen wir nach Griechenland und zur Geldmaschine Olympische Spiele.
Fred hält einen Nachruf auf Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und Lucky freut sich auf die Oberbürgermeisterwahl in Bochum.

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Gesellschaft

Niemand will den Hund begraben

Mein Onkel Thomas, der seit 27 Jahren in San Francisco, CA lebt und dort als Fotograf arbeitet, hat vergangenes Wochenende seine Ausstellung “Blickwinkel” eröffnet, die ich Ihnen auch dann ans Herz legen würde, wenn ich nicht mit dem Künstler verwandt wäre. Zu sehen ist diese Werkschau im Museum Voswinckelshof in Dinslaken, wo wir beide aufgewachsen sind. ((In Dinslaken, nicht im Museum.)) Bei der Eröffnung, bei der das Museum fast aus allen Nähten platzte, sprach die stellvertretende Bürgermeisterin ein Grußwort, in dem sie Thomas Heinser in eine Reihe mit berühmten Ex-Dinslakenern wie Ulrich Deppendorf (Leiter des ARD-Hauptstadtstudios), Udo Di Fabio (Richter am Bundesverfassungsgericht) und Andreas Deja (Chefzeichner bei Disney) stellte. Dinslaken, so erklärte sie, sei “natürlich” zu klein für die wirklich großen Geister, die die Stadt deswegen für die Metropolen dieser Welt verlassen, aber stets gerne in ihre alte Heimat zurückkehren würden. ((Was das im Umkehrschluss für Michael Wendler und die anderen Einwohner der Stadt bedeutet, hat in diesem Moment keiner gefragt.))

In der Migrationstheorie unterscheidet man zwischen Pull- und Pushfaktoren, wenn es die Menschen aus einer Region in eine andere zieht bzw. treibt. Pullfaktoren für sogenannte Kreative sind etwa Kunsthochschulen und Jobs in Agenturen, die sie in die großen Kulturmetropolen ziehen. Ein Pushfaktor von Dinslaken wäre zum Beispiel Dinslaken.

Im Herbst 2011 eröffnete in einem Ladenlokal in der Dinslakener Innenstadt, das zuvor unter anderem eine Espressobar und ein Schuhgeschäft beherbergt hatte, die Gaststätte Victor Hugo. Ein paar junge Männer, die Dinslaken merkwürdigerweise nicht verlassen hatten, hatten ihre Ersparnisse zusammengeschmissen und eröffneten ohne Unterstützung von Brauereien, Vereinen oder Stadtverwaltung einen Laden, der mehr sein sollte als nur Kneipe: Mit Lesungen, Akustikkonzerten, Pub Quizzes und Poetry Slams sollte ein bisschen studentische Kultur Einzug halten in eine Stadt, deren einzige Verbindung zu Universitäten sonst der Bahnhof ist.

Zur Eröffnung warben die Macher des Victor Hugo mit einem Zitat ihres Namenspatrons: “Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.” Die konkrete Idee war vielleicht nicht revolutionär, aber gut, die Zeit war sicherlich gekommen, aber der Ort war definitiv der falsche — zumindest der konkrete.

Offizieller Schriftzug der Stadt Dinslaken (Entwurf).

Von Anfang an gab es Ärger mit den Nachbarn bzw. wenn ich das richtig verstanden habe: mit exakt einem, der sich von den jungen Menschen, die plötzlich auch nach dem Hochklappen der Bürgersteige um 18.30 Uhr in die Dinslakener Innenstadt kamen, um das Victor Hugo zu besuchen. Es ging, wohlgemerkt, nicht um betrunkene Horden, die um 3 Uhr morgens unter dem Abschmettern unflätiger Lieder durch die engen Gassen in der Nähe des Marktplatzes zogen, sondern um weitgehend vernünftige junge Erwachsene, die in gemütlichem Ambiente gemeinsam ein paar Getränke nehmen, sich unterhalten, ein paar Brettspiele spielen oder ein wenig Kultur konsumieren wollten. Gut, einige von ihnen wollten auch vor der Tür rauchen, denn das “Hugo” war von Anfang an eines der ganz wenigen Nichtraucherlokale Dinslakens. Aber das verlief, soweit ich gehört und bei eigenen Besuchen auch selbst festgestellt habe, in völlig geordneten Bahnen. Oder: In Bahnen, die normale denkende Menschen als “völlig geordnet” bezeichnen würden.

Im Theodor-Heuss-Gymnasium, das nicht weit vom Victor Hugo steht und wo viele bedeutende Dinslakener (aber auch ich) ihr Abitur gemacht haben, gibt es eine Tafel mit einem Ausspruch des ersten Bundespräsidenten: “Die äußere Freiheit der Vielen lebt aus der inneren Freiheit des Einzelnen.” Mit ein bisschen Biegen und Brechen kriegt man den Satz auch ex negativo gebildet — oder man schreibt ihn gleich in Schillers “Wilhelm Tell” ab: “Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.”

Die Beschwerden gegen das Victor Hugo häuften sich (in Dinslaken entspricht das rund 30 Anrufen bei der Polizei in anderthalb Jahren) und das Ordnungsamt musste tätig werden und ein Bußgeldverfahren gegen die Betreiber einleiten. Die versprachen, in Zukunft für mehr Ruhe zu sorgen, aber es kam schnell, wie es kommen musste: via Facebook erklärten sie gestern das Aus zum 30. April.

Michael Blatt hat das viel zu schnelle Ende des Victor Hugo auf coolibri.de sehr passend eingeordnet:

Für Dinslaken ist das Aus der Bar ein Desaster. Nicht, weil Tag für Tag hunderte von Gäste in die mit viel Liebe zum Detail gestaltete und als Hobby betriebene Kneipe strömten. Das war auch gar nicht der Anspruch. Aber das Hugo war ein Argument, die Stadt nach der Schule nicht fluchtartig zu verlassen und erst mit der Geburt des ersten Kindes wieder zurückzukehren. Von diesen Argumenten hat Dinslaken seit Jahrzehnten nicht sehr viele. Zwischen Konzerten im ND-Jugendzentrum und Vorträgen der Marke “Der vorgeschichtliche Einbaum aus dem Lippedeich bei Gartrop-Bühl” (am 5. März im Dachstudio der VHS) klafft eine altersbedingte Lücke.

Und die Stadt verliert damit binnen kurzer Zeit die zweite Anlaufstelle für Jugendliche: Erst Ende 2012 hatte der legendäre Jägerhof seine Pforten geschlossen. Der mehr als renovierungsbedürftige Musicclub, in dem sich schon unsere Elterngeneration zum sogenannten Schwoof getroffen hatte, lag zwar nicht in der Innenstadt, aber direkt am Autobahnzubringer, weswegen vor seinen Türen immer wieder Besucher in schwere Verkehrsunfälle verwickelt wurden. Im vergangenen März kam schließlich ein 19-Jähriger ums Leben. Die Betreiber öffneten den Laden am nächsten Abend wie gehabt und sahen sich anschließend mit Pietätlosigkeitsvorwürfen, sinkenden Besucherzahlen und ausbleibenden Einnahmen konfrontiert.

Auch wenn ich vom Jägerhof gerne als “Dorfdisco” und von den verbliebenen jungen Dinslakenern als “Dorfjugend” spreche, darf man nicht vergessen, dass Dinslaken mit seinen knapp 70.000 Einwohnern ((Und den 1273 verliehenen Stadtrechten.)) anderswo als Mittelzentrum durchginge. Soest, zum Beispiel, hat mehr als 20.000 Einwohner weniger, liegt aber vergleichsweise einsam in der Börde rum und hat deshalb ein relativ normales Einzelhandels- und Kulturangebot. ((Außerdem hat es natürlich schmucke Fachwerkhäuschen.)) Dinslaken liegt am Rande des Ruhrgebiets: Duisburg und Oberhausen sind gleich vor der Tür, Mülheim, Essen, Bochum und Düsseldorf maximal eine Dreiviertelstunde mit dem Auto entfernt. Das einzige Kaufhaus der Stadt hat vor Jahren geschlossen und wurde kürzlich abgerissen. Wenn alles gut geht, ((Was in Dinslaken in etwa so wahrscheinlich ist wie in Bochum oder Berlin.)) wird dort irgendwann ein Einkaufszentrum stehen und Dinslaken wird endlich seinen eigenen H&M haben. Streng genommen bräuchte es den nicht mal, weil selbst die Teenager die Stadt mit dem Regionalexpress zum Shoppen verlassen, sobald sie genug Taschengeld beisammen haben.

Was bleibt, sind tatsächlich die alten Menschen, die schlecht zu Fuß sind und schon immer in der Stadt gelebt haben. Aber auch denen geht es schlecht, weil der einzige Supermarkt, den es in der Innenstadt noch gibt, immer kurz vor der Schließung steht. Wenn der Wortvogel fragt, ob man Städte eigentlich “entgründen” könne, ist das für Dinslaken vielleicht noch keine akute Problematik, aber es sieht aus, als hätte man in der Stadt vorsichtshalber schon mal damit angefangen.

Andererseits ist es kein neues Phänomen, dass die Dinslakener nichts mit ihrer Stadt anzufangen wissen: Bereits im Jahr 1959 beschrieb der “Spiegel” die Versuche, zu Ehren des designierten Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der bis dahin Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Dinslaken-Rees gewesen war, ein rauschendes Fest auszurichten. Es endete damals so:

Nach solcherlei Bekundungen wurde Heinrich Lübke in einem Pferdewagen von zwei Rappen durch die Straßen in Richtung Dinslaken gezogen. Nur wenige nahmen Notiz von dem Mann, der ihnen in quer über die Straße gespannten Transparenten als der “neue Bundespräsident” angekündigt worden war.

Auf der Freilichtbühne des Burgtheaters begann das eigentliche Fest, das Lübke ersehnt hatte. Irritiert ließ er die Huldigung des Dinslakener Industriellen Meyer über sich ergehen, der ihn mit “Herr Bundespräsident” begrüßte und ihm als Mitglied des Adenauer-Kabinetts dankte, daß dank seiner Interventionen kein Truppenübungsplatz im Dinslakener Kreis eingerichtet worden sei.

Vielleicht würde heute wenigstens Michael Wendler singen.

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Leben Politik

Städte, die das möchten

Damit war nicht zu rechnen gewesen, als wir Dirk Elbers zwischen Weißwein (er) und Sekt (ich) ansprachen. Doch der Düsseldorfer Oberbürgermeister antwortete auf meine Frage, ob seine Stadt Eurovision Song Contest, Marathon und eine riesige Industriemesse gleichzeitig locker wegstecken könne, mit einem Satz, der als Glaubensbekenntnis aller Stadtoberen in latent größenwahnsinnigen Kommunen (also quasi überall) gelten kann: “Das ist eine Stadt, die das möchte!”

Nun ist Düsseldorf, eine Stadt, die es sich nicht mal nehmen lässt, einen verdammten Skilanglauf-Weltcup in ihrer Innenstadt auszurichten, ein Extrembeispiel jener Städte, die so gerne eine Metropole wären, aber eben doch nur rein verwaltungsrechtlich eine Großstadt sind — aber beileibe kein Einzelfall.

Zwischen April und Oktober gibt es quasi kein einziges Wochenende, an dem nicht mindestens ein, zwei Buslinien in der Bochumer Innenstadt umgelegt werden müssen, weil die eine oder andere Hauptstraße (oder gleich mehrere davon) gesperrt ist. Da ist natürlich Bochum Total (“Europas größtes innerstädtisches Musikfestival”), aber auch der “Sparkassen-Giro” (ein Radrennen), der “Bochumer Musiksommer” (auch eine Art Musikfestival, aber mehr mit Weinbuden und angegrauten Lehrer-Ehepaaren als Zielgruppe), “Bochum kulinarisch” (keine Musik, noch mehr Weinbuden und Lehrer) und am vergangenen Wochenende erstmalig der “Rewirpower-Halbmarathon” (ein Halbmarathon). Hinzu kommen Veranstaltungen wie “Die Nordsee kommt – Das Weltnaturerbe Wattenmeer zu Gast in Bochum”, das “Kuhhirtenfest”, das Unifest, mehrere Flohmärkte, ein Fischmarkt, sowie diverse “Events” in und um die innerstädtischen Einkaufszentren. Wer keinen Schrebergarten hat, kann eigentlich jedes Wochenende irgendwo hingehen, bevor dann im November endlich der Weihnachtsmarkt eröffnet. Und das alles gibt es in jeder Nachbarstadt hier im Ruhrgebiet selbstverständlich noch einmal.

Verantwortlich sind natürlich viele unterschiedliche Veranstalter. Oft ist das Stadtmarketing dabei, aber nicht immer. Es gibt viele unterschiedliche Zielgruppen und für sich genommen mag jede Veranstaltung ihre Berechtigung und ihren Charme haben. In der Summe gleicht es einer Fünfjährigen, die sich Muttis Schmuck umgehangen hat (und zwar den ganzen) und deren Gesicht unter einer zentimeterdicken Schminkschicht verschwunden ist. ((Außerdem kann die kleine nicht richtig gehen, weil sie in übergroßen Pumps steckt.))

Was uns zum vorläufigen Tiefpunkt bringt, der erreicht war, als “City Point” und “Drehscheibe” (die zuvor erwähnten innerstädtischen Einkaufszentren) kürzlich die “Living Doll 2011” zu küren suchten. Da standen vor den einzelnen Geschäften Menschen, die Produkte aus den jeweiligen Läden trugen und sich nicht bewegen durften. Dazwischen standen andere Menschen, ((Oder waren es die gleichen? Ich hatte mich abwenden müssen.)) die Karaoke sangen. “Nur ein Wort” von Wir Sind Helden, zum Beispiel. Alles, aber auch wirklich alles muss schief gegangen sein, damit so etwas passiert.

Nun ist es natürlich nicht so, dass echte Metropolen völlig auf solcherlei Veranstaltungen verzichten würden. In New York ist an jedem Wochenende vermutlich mehr los, als in ganz NRW in einem halben Jahr. Aber die Stadt ist natürlich bedeutend größer, so dass nicht ständig die gleichen Straßen gesperrt werden müssen, und außerdem gibt es dort Touristen.

Andererseits hat der Veranstaltungswahn zumindest in Bochum den (politisch sicher so gewollten) Vorteil, dass man sich an den Wochenenden eher für das oft unansehnliche Ganze schämt, anstatt ständig für die eigene Stadtspitze. Immerhin hatte es unsere Oberbürgermeisterin für nötig gehalten, sich nach einer durchaus hitzigen öffentlichen Debatte darüber, ob Josef Ackermann im Bochumer Schauspielhaus reden soll (of all places), bei Herrn Dr. Ackermann persönlich “für die unwürdige Diskussion” zu entschuldigen. ((Nicht etwa für die Art der Diskussion, die natürlich als “weitgehend unsachliche Kritik, aber auch die überzogene Berichterstattung in Teilen der Lokalpresse” gegeißelt wurde, sondern gleich für die ganze verdammte Diskussion an sich! Wer schreibt dieser Frau ihre Briefe und Presseerklärungen?!))

Jetzt aber ab heute und bis Sonntag “Bochumer Musiksommer” und die nächste ganz große Peinlichkeit: Am Sonntag wird das Programm auf allen Bühnen von 14.46 Uhr bis 15.03 Uhr unterbrochen. Warum so krumm? Nun, in dieser Zeit läuten in der ganzen Stadt die Glocken zum Gedenken an die Opfer der Anschläge vom 11. September. ((Warum man dafür den Zeitraum zwischen dem Einschlag des ersten und des zweiten Flugzeugs ins World Trade Center gewählt hat, die Abstürze ins Pentagon und in Shanksville und den Einsturz der Türme aber außen vorlässt, weiß vermutlich vor allem der Wind.)) 17 Minuten Betroffenheit bei Bratwurst und Aperol Spritz, dann geht’s weiter mit Musik.

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Kultur

Es gilt das erbrochene Wort

Ich verehre Jochen Malmsheimer seit mehr als einer Dekade. Ich schriebe nicht, wenn er und sein damaliger Tresenlesen-Kollege Frank Goosen mir nicht gezeigt hätten, was man alles Schönes mit der deutschen Sprache anfangen kann (der Rest meines Schreibens stützt sich auf die Gesamtwerke von Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht und natürlich Max Goldt). Deshalb freut es mich besonders, dass Herrn Malmsheimer das gelungen ist, was in unserer beider Heimatstadt Bochum maximal alle zwei Wochen passiert: Er hat einen “Eklat” ausgelöst.

Ort und Grund war die Eröffnung des Zeltfestivals Ruhr, das auch in diesem Jahr wieder hochkarätige Künstler, aber auch Acts wie Ich + Ich, die Simple Minds oder die H-BlockX an den Gestaden des malerischen Kemnader Sees versammelt. Malmsheimer war geladen, ein Grußwort zu sprechen, und er nutzte die Gelegenheit, dass die gesamte Stadtspitze wehrlos vor ihm saß, zu einer “Suada” (“Westdeutsche Allgemeine Zeitung”), um “vom Leder zu ziehen” (ebd.), zu einer “Litanei” (“Ruhr Nachrichten”) und um zu “schocken” (ebd.).

Da ich nicht zu den rund 500 geladenen Würdenträgern aus Politik, Wirtschaft und Kultur gehörte (it’s a long way to the top, even in Bochum), muss ich mich auf die Auszüge aus der elfseitigen Rede verlassen, die die “Ruhr Nachrichten” ins Internet gestellt haben. Diese gefallen mir jedoch außerordentlich.

Zum Beispiel das, was Malmsheimer über das geplante, jedoch nicht vor der Wiederkehr Christi fertiggestellte Bochumer Konzerthaus zu sagen hat:

…dies ist die Stadt, die vollmundig, um nicht zu sagen: großmäulig, die Notwendigkeit zur Installation eines vollkommen unnützen Konzerthauses verkündet, ohne einen Bedarf dafür zu haben und die Kosten des laufenden Betriebes decken zu können, und das alles in einem Kulturraum, der inzwischen über mehr nicht ausgelastete Konzerthäuser verfügt, als er Orchester unterhält, und die das alles dann doch nicht hinkriegt, weil der Regierungspräsident zum Glück solchen und ähnlichen Unfug einer Gemeinde untersagt hat, die ihre Rechnungen in einer Größenordnung im Keller verschlampt, die unsereinen für Jahre in den Knast brächte und die finanziell noch nicht mal in der Lage ist, die Frostschäden des letzten Winters im Straßennetz zu beseitigen…

Den gekürzten Rest gibt’s auf ruhrnachrichten.de.

Malmsheimers Worte jedenfalls verfehlten nicht ihr Ziel. Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz ließ eine erneute Einladung, sich zu blamieren, nicht ungenutzt verfallen, wie die “WAZ” berichtet:

Die Oberbürgermeisterin beschwerte sich bei den Veranstaltern, diese distanzierten sich sogleich von ihrem Gast; in seinem “polarisierenden Vortrag” habe Malmsheimer “für sich selbst gesprochen”.

Das hatte Malmsheimer selbst freilich direkt klargestellt — aber dafür hätte man ihm natürlich zuhören müssen:

Dabei möchte ich gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass ich, anders als jene, die vor mir adressierten, ausschließlich für mich selber spreche, eine Fähigkeit, die ich mir unter Mühen antrainierte und die mich eigentlich seitdem hinreichend ausfüllt.

[via Jens]

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Politik

Die Welt in drei Wörtern erklären

Am 30. August sind Kommunalwahlen in NRW. Offenbar seit diesem Wochenende dürfen deshalb die Innenstädte mit uninspirierten, verstörenden, plumpen, peinlichen oder einfach nur egalen Plakaten zugestellt werden.

Ein Trend zeichnet sich jetzt schon ab: Viele Kandidaten versuchen in einem Dreiklang auf sich aufmerksam zu machen. Dass man da schnell durcheinander gerät, liegt in der Natur der Sache.

Die folgende Liste von Bürgermeisterkandidaten aus ganz Deutschland ist sicher unvollständig:

Mutmaßlich noch ein bisschen kompetenter, sozialer und … äh: daer sind dann wohl diese beiden Herren:

  • Unabhängig. Kompetent. Bürgernah. Verlässlich. (Oliver Wild, Ehringshausen, parteilos)
  • Sauberkeit. Sicherheit. Recht. Ordnung. (Heinrich Mühmert, Dinslaken, Offensive Dinslaken)
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Print Digital

Der Klammeraffenbumerang

Über die Internetkompetenz von Politikern ist gerade in den letzten Tagen viel gespottet worden und tatsächlich habe ich manchmal den Eindruck, dass meine 76-jährige Großmutter besser mit dem Computer umzugehen weiß als so mancher Bundesminister. (Vermutlich auch besser als einige 25-Jährige, aber darum soll es nicht gehen.)

Manchmal allerdings ist es um die Internetkompetenz von Politikern (oder ihren Mitarbeitern) dann vielleicht doch nicht so schlecht bestellt, wie mancher Beobachter das gerne hätte. Das sieht dann zum Beispiel so aus wie in der Kolumne “Unsere Woche” in der Jörg Werner, der Dinslakener Lokalchef der “Rheinischen Post”, am vergangenen Samstag schrieb:

Und zum Schluss noch dies: Dinslakens SPD-Bürgermeisterkandidat Dr. Michael Heidinger hat das Wahlvolk in dieser Woche mit seinem Internet-Auftritt beglückt. Nun wollen wir gar nicht darüber rechten, wie altbacken das von ihm vorgestellte Wahllogo ist. Das ist schließlich Geschmackssache. Eines allerdings gibt uns zu denken. Wer dem Kandidaten eine Mail mailen möchte, sollte dies, so stand es jedenfalls noch gestern nachmittag im Impressum der Seite, unter buergermeister-fuer-dinslaken(ät)arcor.de tun. Mensch, lieber Dr. Heidinger, groß herausposaunen, dass man jetzt einen tollen Internet-Auftritt hat und dann das @-Zeichen nicht finden ... Ist das professionell? Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ich schrieb meinem früheren Chef am Sonntagabend, dass Heidinger diese obskure Schreibweise vermutlich gewählt habe, damit die E-Mail-Adresse nicht so leicht von Spambots gefunden werde, die das Internet durchforsten. (Das dürfte zwar heutzutage kaum noch wirkungsvoll sein, aber die Website sieht ja auch nicht gerade aus, als stamme sie aus dem Jahr 2009.)

Jörg Werner reagierte prompt und vorbildlich, indem er am Dienstag auf der ersten Seite des Lokalteils schrieb:

Professionelles (ät): Auf ein Wort in eigener Sache: Redaktionsleiter, wer hätte das gedacht, sind nicht unfehlbar. Sie sind, ich habe kein Problem, das zuzugeben, nicht allwissend. Aber sie lernen täglich dazu. Warum ich das erzähle? Na ganz einfach, ich hab was dazu gelernt. Da hab ich doch am Samstag die Frage gestellt, ob der Internetauftritt des SPD-Bürgermeisterkandidaten Dr. Michael Heidinger tatsächlich professionell ist, weil das gewohnte @-Zeichen dort durch ein (ät) ersetzt worden ist. Die Antwort auf diese Frage ist: Ja. Denn dieses (ät) gilt, wie ich mich inzwischen habe belehren lassen, als Mittel, sich vor automatischen Programmen auf der Suche nach Adressen für Spam-Mails zu schützen. Nun gut, das kannte ich bislang nur in der Version (at), ob's tatsächlich effektiv hilft, ist auch nicht unumstritten und über die Frage, ob der Trick nicht eher dazu dient, die Erreichbarkeit des Kandidaten für Otto-Normalcomputerbenutzer zu behindern, ließe sich auch philosophieren Aber hier ist nicht der Platz zum Haare spalten. Also, Asche auf mein Haupt, Herr Dr. Heidinger. Die nächste kritische Anmerkung, ich versprech's, trifft aber wieder mitten ins Schwarze. Jörg Werner.

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Leben Politik

Here In Pleasantville

In Dinslaken weiß man zu Feiern.

Aus verschiedenen beruflichen und privaten Gründen war ich gezwungen, die letzte Woche in Dinslaken zu verbringen. Es war nicht so schlimm, dass man den Spruch mit dem ärgsten Feind hätte auspacken müsste, ((Ich wüsste so spontan auch nicht, wer das sein sollte.)) aber es war schon … außergewöhnlich.

Da war zum Einen jene Geschichte, die über fast die ganze Zeit die Lokalpresse füllte: Heinrich Mühmert, Autohändler, Ringrichter und seit Jahrzehnten Ratsmitglied für verschiedenste Parteien und Splittergruppen, hatte in seiner Haushaltsrede vor dem Stadtrat einen Karnevalsprinzen aus dem Stadtteil Eppinghoven als “schwulen Wicht” bezeichnet. ((Fragen Sie mich um Himmels willen nicht, wie man es rhetorisch schafft, in einer Debatte über den Haushalt einen homosexuellen Karnevalsprinzen zu verunglimpfen. Es braucht vermutlich jahrzehntelange Erfahrung, Ex-Mitgliedschaften bei FDP und Schill-Partei und jede Menge aufgestaute Homophobie, um das auf die Reihe zu kriegen.))

Ratsherren verließen aufgebracht den Saal, Mühmert erhielt einen Ordnungsruf, entschuldigte sich hinterher derart halbherzig, dass sich sein eigener Karnevalsverein ((Gemeint ist wirklich ein Karnevalsverein, nicht Mühmerts “Offensive Dinslaken”, die später in Teilen allerdings auch noch auf Abstand ging — da sehen Sie mal, was Lokalpolitik wirklich bedeutet!)) von ihm distanzierte. Mühmert ist übrigens einer von sechs Bürgermeisterkandidaten in Dinslaken, was unter Berücksichtigung des aktuellen Wahlrechts und der Wahlbeteiligung vom letzten Mal bedeuten könnte, dass er mit gut 4.800 gültigen Stimmen die Stadt regieren dürfte.

Doch auch fernab der … äh: “Politik” ließ mich die Stadt, in der ich 20 Jahre meines Lebens verbracht hatte, ((Was man nun wirklich niemandem wünschen kann.)) nachdenklich zurück: Da waren die schon erwähnten Türsteher der “Kulturkantine”, die zwar 26-jährige Frauen nicht erkannten, aber – so berichtete man mir zumindest glaubhaft hinterher – Minderjährige in die Disco ließen. ((Besonders lustig ist übrigens, dass offenbar auch Bandmitglieder der Kilians, die an jenem Abend gleichsam Gastgeber waren, Probleme am Einlass hatten.)) Da war die Kassiererin des Innenstadt-Supermarkts, die mich beim Kauf eines Kastens Bier um Vorlage meines Ausweises bat — wohl weil ich auch mit 25 noch nicht wie 16 aussehe.

Man muss ihr zugute halten, dass an jenem Vormittag die Abiturienten ihre Zulassung feierten ((An die ich meinen Kasten schließlich auch verteilte.)) und es natürlich immer besser ist, einmal zu viel nachzufragen als einmal zuwenig. Die Frage, die sich aus beiden Erlebnissen ergibt, lautet natürlich dennoch ganz klar: Wie zum Henker sehen Teenager in Dinslaken eigentlich aus, dass man sie nicht von Menschen Mitte Zwanzig unterscheiden kann?!

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Ich bin nur zugezogen, holt mich hier raus!

Die peinliche Absage der Loveparade, die dieses Jahr eigentlich in Bochum stattfinden sollte, bestimmt in den letzten Tagen die Lokalpresse:

Nein, von einem Imageschaden könne keine Rede sein, gab Stadtrat Paul Aschenbrenner (SPD) zu Protokoll. „Weil wir eine verantwortungsbewusste Entscheidung getroffen haben.“

(“Ruhrnachrichten”)

Gut, dass Bochum kein Image hat, was zu Schaden kommen könnte. Und wen interessieren schon junge Menschen, die Krach hören und Rauschgift konsumieren?

Die SPD jedenfalls nicht:

So hatte etwa der SPD-Ortsverein Bochum-Hamme, der schon Wolfgang Clement politisch weitgehend über die Klinge springen ließ, einen Antrag für den Rat vorbereitet, wegen drohender Vermüllung der Anliegerstraßen vom Raver-Tanzvergnügen ganz abzulassen.

In dem Antrag vom 31. Juli 2008 heißt es wörtlich: „Der SPD-Ortsverein Bochum-Hamme sieht in der Ausrichtung der Loveparade 2009 in Bochum keinen kulturellen bzw. nachhaltigen Beitrag zur Verbesserung des Images des Ruhrgebietes bzw. für das Kulturhauptstadtjahr 2010. Die im Rahmen der Organisation entstehenden Kosten und Nachfolgeschäden stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen dieser Veranstaltung und sind öffentlich nicht vertretbar.” Bochum solle deshalb die Veranstaltung zurückgeben.

(“WAZ”)

Aber die sehr endliche Kompetenz der SPD manifestiert sich bis ins kleinste Detail:

Im Sommer 2008 verabschiedete der Ortsverein den Antrag an den Rat, die Loveparade in Bochum abzublasen, wegen Gefahr der Vermüllung und anderer Schäden. Zwar wurde der Antrag nie abgeschickt, doch in den SPD-Gremien wie Ratsfraktion und Unterbezirksparteitag sickerte die Ablehnung gleichwohl durch.

(Noch mal die “WAZ”)

Entsprechend gut lässt sich dieser Eiertanz kommentieren:

Wie eine Nachgeburt kommen nun Einschätzungen zu Tage, die darauf hinweisen, dass die Macher der Bochumer Politik mit der Loveparade wenig am Hut hatten. Stattdessen ging die Sorge um, das Thema spalte und könne im Superwahljahr 2009 Wählerstimmen kosten.

Das allerdings ist nicht von der Hand zu weisen. Zu auffällig, wie eindrucksvoll und wortmächtig sich Bochumer Politiker über Konzerthausbau, Cross-Border-Deal und Gott und die Welt verbreitet haben, das Thema Loveparade aber fast gänzlich mieden. […]

Und dann die Kosten: 130 000 Euro allein durch den Einsatz der Feuerwehr und Rettungsdienste. Ganz zu schweigen von hunder-ten Extrabussen. Und der befürchteten Vermüllung. Das wirkt doch sehr wie ein rundes bestelltes Gutachten. Von Leuten, die nicht wirklich wollen.

(Kommentar in der “WAZ”)

Insgeheim dürften spätestens seit dem Erfolg der Loveparade in Essen klar gewesen sein: Bochum ist dem nicht gewachsen. Da das niemand sagen will, fehlte nur ein Grund für die Absage.

Zum Glück gibt es die Gleisbauarbeiten der Bahn.

(Kommentar in den “Ruhr Nachrichten”)

Der publizistische Todesstoß kam allerdings aus der alten Heimat der Loveparade. Ein Provinzporträt in zweieinhalb Sätzen:

Herbert Grönemeyer hat Bochum groß gemacht, aber nicht groß genug. Die Loveparade – Ältere werden sich erinnern – kann dort in diesem Jahr mangels Kapazität nicht stattfinden: Bahnhof zu klein, Miettoiletten ausgebucht, zu wenig Papierkörbe, so etwa.

(“Der Tagesspiegel”)

Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bochumer Stadtrat wird von der “WAZ” übrigens wie folgt zitiert:

Es wurde der Eindruck erweckt, als wären nur Deppen am Werk.

Wie jetzt? “Eindruck”? “als”?

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Politik Digital

Barack Obamas schlimme Folgen für die Weltpolitik

“Was können wir vom Wahlkampf von Barack Obama lernen?” hatte ein Delegierter auf dem Grünenparteitag den zu diesem Zeitpunkt noch designierten Parteivorsitzenden Cem Özdemir gefragt. Özdemir antwortete irgendwas Kluges, Abwartendes, von wegen das solle man jetzt nicht alles nachmachen und man müsse auch mal sehen und so …

“Ist eine Internet-Kampagne wie die von Barack Obama auch in Deutschland möglich?” hatte Markus Beckedahl schon kurz nach Obamas Wahlsieg gefragt und sowohl eine kurze (“Ja und Nein”), als auch eine lange Antwort darauf gegeben.

Aber wie das immer so ist: auf besonnene Politiker hören genauso viele Personen, wie längliche Blog-Einträge lesen — also kaum einer. Und so kommt es, dass die zweite bis dreißigste Reihe (so viele Sitzreihen hat das Bochumer Ruhrstadion, vielleicht bietet jemand mehr) der Politiker jetzt vor den Fettnäpfen Schlange steht, um auf eine neue Liste zu kommen.

Sie heißt:
“Yes, maybe we could try to, but come to think of it: we definitely can’t”

Los ging es mit diesem Meisterwerk:

Yes we can -  Klausurtagug der SPD Havixbeck

[via Jens]

Eine weitere gewagte Kombination aus Slogan und missglückter deutscher Sprache fand ich dann bei Facebook:

Wir machen's: Mit Heiko Maas, muss einer neuer Mann an die Spitze der saarländischen Landesregierung. Unterstützt Heiko Maas für Gute Arbeit, Faire Chancen und Neue Energie im Saarland.

Und den finalen Auslöser, die Nummer von einer TwitterSerie zu einer Blog-Serie zu machen (hoffentlich nicht), fand ich dann im Dinslakener Lokalteil der “Rheinischen Post”:

Dinslaken: 
Köse dreht Wansing-Wahlspot. Dinslaken (RP) Reportage am Montag "Wansing on Ice" hieß es am Sonntagmittag in der Dinslakener Eishalle. Dort drehte CDU-Bürgermeisterkandidat Heinz Wansing gemeinsam mit Regisseur Adnan Köse seinen Wahlwerbespot.

Der aufstrebende Lokalpolitiker Heinz Wansing hat sich vom Dinslakener Regisseur Adnan Köse (“Lauf um Dein Leben – Vom Junkie zum Ironman”) überreden lassen, einen Wahlwerbespot zu drehen, der ab Januar als zehnminütige Version auf seiner Homepage und später als Zweiminüter in der Dinslakener Lichtburg laufen soll.

Die “RP” zitiert den Regisseur wie folgt:

Man muss die neuen Medien nutzen. Mir gefällt seine Haltung und ich will mit dem Film erreichen, dass neben dem Politiker und Verwaltungsfachmann auch der private, der Mensch Heinz Wansing fokussiert wird.

Und wenn Sie jetzt fragen: “Ja, was sollen die armen deutschen Politiker denn jetzt machen, ohne dass Ihr Internet-Jungspunde Euch immer über deren Unbeholfenheit lustig macht?”, dann antworte ich mit meiner glockenklarsten Engelsstimme, die sonst für Familienbesuche und meinen Bankberater reserviert ist: “Politik!”

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Politik

Niederrheinische Mengenleere

Wir müssen mal für einen kurzen Moment so tun, als interessiere uns die Lokalpolitik in meiner früheren Heimatstadt Dinslaken.

Nein, das ist Quatsch. Lokalpolitik interessiert schon in Dinslaken niemanden mehr, da ist sie hier eigentlich völlig off topic. Ich wäre auch schlicht nicht in der Lage, die Vorgeschichte zu rekonstruieren, die zu dem Ratsbürgerentscheid führte, der die Stadt im Moment beschäftigt. Niemand in Dinslaken weiß noch so genau, worum es ging, was die Situation so besonders machte, der sich die Wahlberechtigten am vergangenen Sonntag (bei strömendem Regen und geöffneten Geschäften in der Innenstadt) ausgesetzt sahen. Aber wir haben es hier mit einem beeindruckenden Beispiel von politischem Selbstverständnis zu tun, das ich für allgemeingültig halte und Ihnen deshalb nicht vorenthalten will.

Nun also doch ganz kurz zur Vorgeschichte: Es geht grob darum, ob auf einem Parkplatz am Rande der Innenstadt ((“Rand” heißt hier: fußläufig durchaus zu erreichen, aber durch Gebäude und Straßen doch irgendwie ziemlich abgetrennt.)) ein Einkaufszentrum gebaut werden soll. Es ist hier völlig unerheblich, wer das bauen soll, wie das finanziert wird und was das alles mit dem MSV Duisburg zu tun hat. ((In Dinslaken ist es natürlich gar nicht unerheblich, da ist es langwierig und traurig. Aber wie gesagt: zu komplex, als dass noch irgendjemand durchblicken würde.)) Alles, was Sie jetzt noch wissen müssen, ist: Die Stimmung in der Stadt war sehr dagegen, die Stimmung in der großen Koalition im Rat war sehr dafür.

Ein Bürgerbegehren, bei dem sich 6.000 Dinslakener gegen die Bebauung ausgesprochen hatten, verhallte aus formalen Gründen ungehört, aber der Rat beschloss einen freiwilligen Bürgerentscheid, bei dem rauskommen sollte, dass “die Dinslakener eine Bebauung des Platzes nicht grundsätzlich ablehnen”. Das ist ungefähr so sinnvoll wie wenn Eltern zu ihren Kindern sagen würden: “Okay, wir sehen: Ihr mögt keinen Fisch. Ihr habt hier zwar nix zu sagen, aber wir sind mal so großzügig und räumen Euch jetzt die Möglichkeit ein, uns zu zeigen, dass Ihr Fisch nicht grundsätzlich ablehnt!” ((Sie verstehen, warum eine Karriere im politischen Kabarett für mich nicht in Betracht kommt.))

Nun machten aber nur 17,9% der Kinder von der Möglichkeit Gebrauch, sich zum Fisch zu äußern. Zwei Drittel davon waren gegen den Fisch bzw. die Bebauung, 6.399 Leute. Die Stadtverwaltung hatte aber festgelegt, dass mindestens 11.000 dagegen sein müssten.

Andererseits waren ja von 55.644 Wahlberechtigten auch nur 3.546 für die Bebauung, was eher unsolide 6,37% sind. Der Rest zählt (und wir wissen, wie das mit schweigenden Massen ist) wohl als “nicht grundsätzlich dagegen”.

Nun würde man als normaler Mensch sagen: “Formalitäten hin und her: Nach allem, was uns an Zahlen vorliegt, sind zwei Drittel der Leute dagegen und gerade mal sechs Prozent unserer Bürger ist das Bauvorhaben so wichtig, dass sie dafür am Sonntag bei Regen ins Wahllokal trotten. Vielleicht sollten wir also doch mal gucken, ob wir das nicht irgendwie anders machen.”

Und jetzt werfen wir bitte jegliche Logik über Bord, halten uns unbedingt noch mal die Zahl von 3.546 Befürwortern vor Augen und zitieren die Bürgermeisterin Sabine Weiss:

„Es ist wichtig, dass man solche Grenzen [die 11.000 erforderlichen Stimmen] setzt, sonst ließe sich mit 6000 Stimmen ja die große Mehrheit einer Stadt dominieren. Ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass die, die nicht abgestimmt haben, gegen die Bebauung sind oder dass ihnen die Frage egal ist.“

Bitte beißen Sie in Ihren eigenen Schreibtisch, meiner ist schon durch.