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Here In Pleasantville

In Dinslaken weiß man zu Feiern.

Aus verschiedenen beruflichen und privaten Gründen war ich gezwungen, die letzte Woche in Dinslaken zu verbringen. Es war nicht so schlimm, dass man den Spruch mit dem ärgsten Feind hätte auspacken müsste, ((Ich wüsste so spontan auch nicht, wer das sein sollte.)) aber es war schon … außergewöhnlich.

Da war zum Einen jene Geschichte, die über fast die ganze Zeit die Lokalpresse füllte: Heinrich Mühmert, Autohändler, Ringrichter und seit Jahrzehnten Ratsmitglied für verschiedenste Parteien und Splittergruppen, hatte in seiner Haushaltsrede vor dem Stadtrat einen Karnevalsprinzen aus dem Stadtteil Eppinghoven als “schwulen Wicht” bezeichnet. ((Fragen Sie mich um Himmels willen nicht, wie man es rhetorisch schafft, in einer Debatte über den Haushalt einen homosexuellen Karnevalsprinzen zu verunglimpfen. Es braucht vermutlich jahrzehntelange Erfahrung, Ex-Mitgliedschaften bei FDP und Schill-Partei und jede Menge aufgestaute Homophobie, um das auf die Reihe zu kriegen.))

Ratsherren verließen aufgebracht den Saal, Mühmert erhielt einen Ordnungsruf, entschuldigte sich hinterher derart halbherzig, dass sich sein eigener Karnevalsverein ((Gemeint ist wirklich ein Karnevalsverein, nicht Mühmerts “Offensive Dinslaken”, die später in Teilen allerdings auch noch auf Abstand ging — da sehen Sie mal, was Lokalpolitik wirklich bedeutet!)) von ihm distanzierte. Mühmert ist übrigens einer von sechs Bürgermeisterkandidaten in Dinslaken, was unter Berücksichtigung des aktuellen Wahlrechts und der Wahlbeteiligung vom letzten Mal bedeuten könnte, dass er mit gut 4.800 gültigen Stimmen die Stadt regieren dürfte.

Doch auch fernab der … äh: “Politik” ließ mich die Stadt, in der ich 20 Jahre meines Lebens verbracht hatte, ((Was man nun wirklich niemandem wünschen kann.)) nachdenklich zurück: Da waren die schon erwähnten Türsteher der “Kulturkantine”, die zwar 26-jährige Frauen nicht erkannten, aber – so berichtete man mir zumindest glaubhaft hinterher – Minderjährige in die Disco ließen. ((Besonders lustig ist übrigens, dass offenbar auch Bandmitglieder der Kilians, die an jenem Abend gleichsam Gastgeber waren, Probleme am Einlass hatten.)) Da war die Kassiererin des Innenstadt-Supermarkts, die mich beim Kauf eines Kastens Bier um Vorlage meines Ausweises bat — wohl weil ich auch mit 25 noch nicht wie 16 aussehe.

Man muss ihr zugute halten, dass an jenem Vormittag die Abiturienten ihre Zulassung feierten ((An die ich meinen Kasten schließlich auch verteilte.)) und es natürlich immer besser ist, einmal zu viel nachzufragen als einmal zuwenig. Die Frage, die sich aus beiden Erlebnissen ergibt, lautet natürlich dennoch ganz klar: Wie zum Henker sehen Teenager in Dinslaken eigentlich aus, dass man sie nicht von Menschen Mitte Zwanzig unterscheiden kann?!

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Uschis Spy Kids

Lange nichts mehr von der Bundesregierung gehört, was? Um daran zu erinnern, dass es immer noch eine gibt, hat Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen der überraschten Weltöffentlichkeit einen neuen Vorschlag unterbreitet: Kinder und Jugendliche sollten als “verdeckte Ermittler” in Geschäften ausprobieren, ob man ihnen Alkohol, Zigaretten oder “Gewaltvideos” verkaufen würde.

Das Ziel der Aktion ist klar und durchaus begrüßenswert: Es geht um die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes. Auch wenn ich persönlich nichts gegen Alkohol und Spielfilme habe (“Killerspiele” stehen sicher auch auf der Liste), so gibt es für all das doch bestimmte Altersgrenzen. Und auch wenn diese oft beliebig erscheinen (“Mama, warum darf ich heute noch kein Bier trinken, morgen aber schon?” – “Weil der Alkohol ab dem 16. Jahrestag Deiner Geburt weniger schädlich ist, mein Kind!”), ist ihre Einhaltung schon eine okaye Sache. Meinetwegen sollen mich die Kassiererinnen auch mit 24 noch nach meinem Ausweis fragen, wenn ich Bier kaufen will – nur wenn die bärtigen 15-Jährigen nach mir ohne Probleme ihre Spirituosen kaufen können, werde ich etwas ungehalten.

Von der Leyens Vorschlag aber ist aus mehreren Gründen schwierig: Erstens würden die Kinder die Händler direkt zu einer Straftat anstiften, da sie ohne echte Kaufabsicht an die Kasse gehen. Klar, die Händler dürfen nicht an an zu junge Personen verkaufen, wenn sie es doch tun sind sie im Prinzip “selbst schuld”. Aber ich sehe zumindest einen moralischen Unterschied zwischen einem Gesetzesverstoß und einem provozierten Gesetzesverstoß. Das ist ja, als ob einen Zivilpolizisten nachts auf einer entlegenen Straße verfolgen, bedrängen und einen anschließend wegen Geschwindigkeitsüberschreitung anhalten.

Viel schwerer wiegt aber, dass der Vorschlag bestens ins Gesamtbild der Bundesregierung passt, im Land ein Klima der Angst zu schüren. Überall wird man von Videokameras überwacht, der Bundesinnenminister will wissen, wann man wie lange mit wem telefoniert hat, und bald soll man nicht mal mehr Kindern trauen können? Die Vollendung des Überwachungsstaates stünde kurz bevor.

Und was, wenn Kinder erstmal erfolgreich Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz aufdecken? Was, wenn dann der nächste Politiker vorschlägt, man könnte Kinder doch auch als “Lockvögel” im Kampf gegen Kinderpornographie einsetzen? Das diente doch auch der “guten Sache” …

Noch was:

Wer einem Minderjährigen in Zukunft Schnaps, Zigaretten oder ein Gewaltvideo verkauft, muss danach mit Geldbußen bis zu 50.000 Euro rechnen.

(Quelle: sueddeutsche.de)

Nun ist es generell möglich, dass die Formulierung “in Zukunft” irgendwie von den Agenturen in die Meldung reingedichtet worden ist und nicht aus dem Familienministerium selbst stammt. Wir wollen es hoffen, denn im Jugendschutzgesetz (Abschnitt 6: Ahndung von Verstößen, § 28 Bußgeldvorschriften) steht schon seit längerem:

(5) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden.

Nachtrag 21:59 Uhr: Jens weist in den Kommentaren darauf hin, dass der Vorschlag schon wieder vom Tisch ist. Jetzt “regieren” die schon schneller als ich bloggen kann …