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Der neue Hitler

Vor ein paar Wochen hat­te ich geschrie­ben, Kin­der­por­no­gra­phie habe Ter­ro­ris­mus als … äh: Tot­schlag­ar­gu­ment bei der Ein­schrän­kung von Rech­ten abge­löst.

Kin­der­por­no­gra­phie ist aber nicht nur der neue Osa­ma, sie ist auch der neue Hit­ler.

Den Ein­druck könn­te man zumin­dest bekom­men, wenn man sich anhört, welch beein­dru­cken­de Ver­gleichs­ket­te Bay­erns Innen­mi­nis­ter Joa­chim Herr­mann ges­tern aus dem Hut zau­ber­te:

Kil­ler­spie­le wider­spre­chen dem Wer­te­kon­sens unse­rer auf einem fried­li­chen Mit­ein­an­der beru­hen­den Gesell­schaft und gehö­ren geäch­tet. In ihren schäd­li­chen Aus­wir­kun­gen ste­hen sie auf einer Stu­fe mit Dro­gen und Kin­der­por­no­gra­fie, deren Ver­bot zurecht nie­mand infra­ge stellt.

[Zitiert nach golem.de]

Mir fällt lei­der beim bes­ten Wil­len nichts ein, womit ich die­sen Unfug ver­glei­chen könn­te.

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Hitler würde „Half-Life“ spielen

Ich habe län­ger über­legt, ob ich das Fol­gen­de auf­schrei­ben soll. Schließ­lich ist „Don Alphon­so“ der „Edel-Troll“ der deutsch­spra­chi­gen Blogo­sphä­re. Ein Mann, des­sen Tex­te ich in der Regel aus Sor­ge um mei­ne Gesund­heit igno­rie­re.

Ande­rer­seits ist dies hier das Fach­blog für Nazi-Ver­glei­che, also muss ich wohl ran:

Die­ser „Don Alphon­so“ hat, nach­dem ihm die vie­len, vie­len, teils (mut­maß­lich) unflä­ti­gen Kom­men­ta­re auf einen sei­ner Tex­te zu bunt wur­den, Fol­gen­des geschrie­ben:

Ich habe das freund­li­cher gesagt, als ich es mei­ne, denn in mei­nen Augen sind die­se expli­zit Sucht­kran­ken argu­men­ta­tiv auf dem glei­chen Niveau wie die Alt­na­zis bei uns in den Käf­fern.

Mit den „expli­zit Sucht­kran­ken“ meint er übri­gens Men­schen, die Com­pu­ter spie­len. Ob Alt­na­zis jetzt auch sucht­krank sei­en müs­sen oder nur Com­pu­ter­spie­ler gleich­zei­tig krank und wie Nazis sind, lässt sich sei­nem Text nicht ent­neh­men. Wohl aber, dass der Ver­gleich kein ein­ma­li­ger Aus­rut­scher war, denn ein paar Zei­len spä­ter wütet er:

Nun sind die­se Art Gamer eine ganz beson­de­re Grup­pe Mensch, die, ähn­lich wie die Gefolg­schaft von Neo­co­na­zi­sei­ten und extre­mis­ti­sche Isla­mis­ten, kei­ne Haf­tung in der Rea­li­tät mehr haben.

Fas­zi­nie­rend, wie man eine ohne­hin schon emo­tio­na­le Debat­te (in der ich Com­pu­ter­spie­le weder für „schul­dig“ noch für kom­plett „unschul­dig“ hal­te) mit ein biss­chen Arro­ganz, Dumm­heit und Schaum vor dem Mund noch ein wenig unsach­li­cher gestal­ten kann.

Dabei ist die ursprüng­li­che Kern­fra­ge, war­um Men­schen, die anspruchs­vol­le Lite­ra­tur lesen, so sel­ten Amok lau­fen, gar nicht mal unspan­nend. Ich hät­te sogar einen Erklä­rungs­ver­such: Aus den sel­ben Grün­den, war­um so weni­ge Klas­sik- und Schla­ger-Hörer Amok lau­fen – sie sind schlicht­weg älter.

Die wenigs­ten Jugend­li­chen haben ein Inter­es­se dar­an, sich mit jahr­hun­der­te­al­ter Lite­ra­tur, Kunst und Musik zu beschäf­ti­gen. Zum einen, weil ihnen das alles in der Schu­le madig gemacht wur­de, zum ande­ren, weil die­se Din­ge wenig mit ihrer Lebens­si­tua­ti­on zu tun haben. Wenn man älter und ruhi­ger wird, beschäf­tigt man sich viel­leicht irgend­wann auch mit der soge­nann­ten Hoch­kul­tur. Aber dann ist man (in der Regel) über die gefähr­li­che Pha­se im Leben hin­aus. Der Zusam­men­hang besteht also weni­ger zwi­schen Medi­en­kon­sum und Ver­hal­ten, son­dern zwi­schen Alter (wel­ches den Medi­en­kon­sum bedingt) und Ver­hal­ten. Über­spitzt gesagt: Wenn wir etwas ver­bie­ten müss­ten, dann die Puber­tät.

Davon ab könn­te man auch noch das Fass mit den „Lei­den des jun­gen Wert­hers“ und den angeb­li­chen Nach­ah­mungs­tä­tern auf­ma­chen, aber ein Goe­the-Spe­zia­list hat mir glaub­haft ver­si­chert, dass es kei­nen ein­zi­gen beleg­ten Fall eines Wert­her-Selbst­mords gibt.

[via Nerd­core]

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Auf der Palme des elektronischen Frankensteinmonsters

Im Dezem­ber schrieb ich über eine merk­wür­di­ge Bro­schü­re, die von der „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ („BüSo“) an der Ruhr-Uni Bochum ver­teilt wor­den war.

Wie ich erst jetzt fest­stell­te, hat „BüSo“, die umstrit­te­ne Polit­sek­te unter Füh­rung des „demo­kra­ti­schen US-Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat“ (Quel­le) Lyn­don LaRou­che, „der Ende Juli bekannt gab, daß das Finanz­sys­tem zusam­men­ge­bro­chen sei“ (Quel­le), schon vor drei Wochen auf mei­nen Arti­kel reagiert:

„Steckt der Teufel in deinem Laptop“ treibt die Spielwahnsinnigen auf die Palme

„Spiel­wahn­sin­nig“, uiuiui. Gut, dass nie­mand weiß, dass ich zum letz­ten Mal vor drei Jah­ren ein Spiel auf mei­nem Com­pu­ter instal­liert habe: „Sim City 4“.

Aber ich erfah­re noch so viel mehr Neu­es über mich:

Mit Arti­keln auf zwei Inter­net­blogs der Uni­ver­si­tä­ten­sze­ne, reagier­te die „Laßt mein Myspace in Ruhe“-Lobby auf eine kraft­vol­le Inter­ven­ti­on der LaRou­che-Jugend­be­we­gung (LYM), bei der Anfang der Woche 1500 Pam­phle­te der neu­en Mas­sen­bro­schü­re „Steckt der Teu­fel in dei­nem Lap­top?“ an der Uni­ver­si­tät Bochum ver­teilt wur­den.

Fra­gen Sie mich nicht, ob es auch Blogs außer­halb des Inter­nets gibt, in die­ser Wirk­lich­keit ken­ne ich mich ja nicht so aus. Aber dass ich Mit­glied der „„Laßt mein Myspace in Ruhe“-Lobby“ bin, war mir neu – aber wenigs­tens ist es nicht die Atom­ener­gie­lob­by. Auch schön ist natür­lich die unfrei­wil­li­ge Komik bei der Ver­wen­dung des Begriffs „Pam­phlet“, bei dem es sich um einen fal­se fri­end des eng­li­schen „pam­phlet“ han­delt:

(bildungsspr. abwertend)

Bei­de Arti­kel zei­gen einen tief­grei­fen­den Aus­ras­ter gegen­über dem Fron­tal­an­griff der BüSo auf die nicht exis­ten­te Welt der Spie­le. Der Arti­kel in Hoel­len­dumm spie­gelt mehr den Schock über ein beson­de­res Ein­satz­lied der LYM mit dem Text „Myspace macht impo­tent“ wie­der. Der ande­re Arti­kel bei Cof­fee and TV ist gegen­über LaRou­che etwas gehä­ßi­ger.

„Hoel­len­dumm“ kann­te ich bis gera­de gar nicht und ein kur­zes Über­flie­gen des Blogs legt die Ver­mu­tung nahe, dass ich kein regel­mä­ßi­ger Leser wer­de. Der „Schock über ein beson­de­res Ein­satz­lied der LYM“ liest sich jeden­falls so:

Was da sang, das waren kei­ne seni­len Fest-Fana­ti­ker und auch kei­ne her­un­ter­ge­kom­me­nen Ost­eu­ro­pä­er, das war eine Grup­pe jun­ger Men­schen in bes­tem Stu­den­ten­al­ter, wie sie gera­de zu Hun­der­ten die U‑Bahn-Trep­pe rauf­ström­ten. Was die­se zum Teil far­bi­gen – aber das macht nichts – Jugend­li­chen vom Rest unter­schied, war nicht nur die Tat­sa­che, dass sie san­gen, son­dern auch, dass sie ihren Alters­ge­nos­sen Zei­tun­gen in die kal­ten Hän­de zu drü­cken ver­such­ten.

Ich ent­kam ihren Ambi­tio­nen mich zu ihrem Wer­be­op­fer zu machen, hör­te im seit­lich dran Vor­bei­ge­hen eini­ge Wor­te ihres Gesan­ges her­aus und das, mei­ne Damen und Her­ren, waren kei­ne Weih­nachts­lie­der. Die Melo­die hat­te weih­nacht­li­che Anklän­ge aber oh nein, sie san­gen – hal­ten Sie sich fest – „MySpace, MySpace macht impo­tent!“

Das hät­te ich nun wirk­lich auch ger­ne gehört. Ich aber schrieb über ande­res:

Bei­der Arti­kel füh­len sich genö­tigt, Tei­le des Pam­phlets über „die Zom­bies aus dem vir­tu­el­len Raum“zu zitie­ren, und Cof­fee and TV schreibt sogar über die von der BüSo gefor­der­te „Welt­land­brü­cke“ mit Magnet­stre­cken auf der gan­zen Welt „für die Welt nach dem Finanz­krach“.

Lei­der nicht zitiert hat dage­gen „BüSo“ selbst die von mir auf­ge­lis­te­ten sach­li­chen Feh­ler des „Pam­phlets“ (wir erin­nern uns bei­spiels­wei­se an Bill Gates, des­sen Fir­ma Micro­soft laut Flug­schrift unter ande­rem für “Coun­terstrike” und “Doom” ver­ant­wort­lich ist).

Die bei­den eher lau­ni­gen Ein­trä­ge in zwei doch recht unbe­deu­ten­den Blogs (Cof­fee And TV kommt in den Monat­charts von Wikio auf Platz 76, Höl­len­dumm taucht dort mit sei­ner Tech­no­ra­ti-Aut­ho­ri­ty von 8 gar nicht auf), schei­nen die Leu­te bei „BüSo“ so hart getrof­fen zu haben, dass sie dar­über nicht nur auf ihrer deut­schen Nach­rich­ten­sei­te berich­ten, son­dern auch auf der eng­lisch­spra­chi­gen Sei­te von Lyn­don LaRou­che und in der vom LaRou­che-nahen „Schil­ler-Insti­tut“ her­aus­ge­ge­be­nen Wochen­zei­tung „Neue Soli­da­ri­tät“. Dort fin­det sich in direk­ter Nach­bar­schaft auch ein neu­er­li­cher Auf­ruf von Lyn­don LaRou­che gegen alles Digi­ta­le:

Die krank­haf­ten Mas­sen­ef­fek­te des „Hexen­ge­bräus“ aus der Kom­bi­na­ti­on sol­cher Com­pu­ter­pro­gram­me wie MySpace und Face­book mit Com­pu­ter-Kil­ler­spie­len (und ver­wand­ten Prak­ti­ken) erfor­dert als Reak­ti­on drin­gend ent­spre­chen­de Neue­run­gen im Recht, bei den Straf­ver­fol­gungs­me­tho­den und im Ver­ständ­nis des Zusam­men­le­bens unse­rer Gesell­schaft im all­ge­mei­nen.

Nun kann man es einem 85-Jäh­ri­gen nach­se­hen, wenn er den Unter­schied zwi­schen einem Com­pu­ter­pro­gramm und einer Web­sei­te nicht kennt – er soll­te dann nur nicht anfan­gen, dar­über zu schrei­ben.

Jedem auf­merk­sa­men und kom­pe­ten­ten Psy­cho­lo­gen oder Sozio­lo­gen, der die vor­han­de­nen Indi­zi­en betrach­tet, soll­te klar sein, daß man die Rol­le der elek­tro­ni­schen Medi­en bei der Ent­ste­hung die­ses töd­li­chen Phä­no­mens nicht mit Fäl­len ver­glei­chen kann, in denen Elek­tro­nik bei der Kom­mu­ni­ka­ti­on von Mensch zu Mensch ein­ge­setzt wird.

Natür­lich wäre es inter­es­sant zu erfah­ren, wer denn bei MySpace oder Face­book mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­re, wenn nicht Men­schen. Die Ant­wort lau­tet aber nicht etwa „Röh­ren“, nein, sie ist viel scho­ckie­ren­der:

Es ist das Medi­um der Kom­mu­ni­ka­ti­on selbst, nicht eine dem Medi­um ange­schlos­se­ne Per­son, das die Befeh­le des „gro­ßen Bru­ders“ über­bringt, der als Leit­rech­ner des ver­wen­de­ten Medi­ums ope­riert.

Hin­ter allem steckt wie immer Adolf Hit­ler Geor­ge Orwell Bill Gates:

Ein Bill Gates hat die Ver­ant­wor­tung für die Per­son, die das Sys­tem pro­gram­miert, und es ist Bill Gates’ Absicht oder die Absicht einer wo auch immer loka­li­sier­ba­ren höhe­ren, Gates kon­trol­lie­ren­den Auto­ri­tät, die zum „Gott ähn­li­chen“ Adolf Hit­ler wird und hin­ter einer den Nürn­ber­ger Mas­sen­ver­an­stal­tun­gen der 1930er Jah­re ver­gleich­ba­ren Inter­net­ver­si­on steht.

Und wenn Sie glau­ben, noch kon­fu­ser könn­te ein Text über die Gefah­ren von Com­pu­tern nicht wer­den, dann irren Sie (Sie irren sowie­so, sagt Lyn­don LaRou­che, aber in die­sem Fall beson­ders):

Das Begrei­fen die­ser Art eines elek­tro­ni­schen „Fran­ken­stein­mons­ters“, zu dem das sozia­le Sys­tem der Com­pu­ter-Kil­ler­spie­le gewor­den ist, soll­te uns noch ein­mal an die Stu­di­en der Sozio­lo­gen den­ken las­sen, die nach Durk­heim und sei­nen Schwei­zer und ander­wei­ti­gen Nach­fol­gern kamen und gegen Ende des 19. Jahr­hun­derts und im 20. Jahr­hun­dert die Prin­zi­pi­en der Spie­le von Kin­dern zum The­ma ihrer Arbeit mach­ten. So erkann­ten eini­ge unter uns heu­te mit ähn­li­cher Wir­kung ein patho­lo­gi­sches Poten­ti­al der auf Wett­kampf basie­ren­den Mann­schafts­sport­ar­ten, aber auch die Bedeu­tung des Kon­zepts der Auf­trags­ori­en­tie­rung des älte­ren Molt­ke für qua­li­fi­zier­te nach­ran­gi­ge Offi­zie­re und Unter­of­fi­zie­re oder die Rol­le die­ses Prin­zips bei der sieg­rei­chen dop­pel­ten Flan­ken­ope­ra­ti­on Fried­rich des Gro­ßen in der Schlacht von Leu­then (im Unter­schied zu dem, was Chur­chills alber­ner Mont­go­me­ry der Ers­ten Armee der nord­eu­ro­päi­schen Flan­ke Ende 1944 antat, oder was Chur­chill selbst sich gegen­über den gegen Ata­türk kämp­fen­den Aus­tra­li­ern im Ers­ten Welt­krieg zu Schul­den kom­men ließ).

Noch Fra­gen?

Zu die­sem äußerst wich­ti­gen The­ma muß noch mehr gesagt wer­den. Dies hier war nur ein Anfang.

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Das virtuelle Massengrab der Nischendekadenz

Bei Wind und Wet­ter ste­hen auf der Dr.-Gerhard-Petschelt-Brücke, die die Bochu­mer Stadt­bahn-Hal­te­stel­le „Ruhr-Uni­ver­si­tät“ mit dem eigent­li­chen Gelän­de der Ruhr-Uni­ver­si­tät ver­bin­det (und die daher zum öffent­li­chen Raum gehört) Men­schen mit einem klapp­ri­gen Cam­ping­tisch, auf dem Flug­schrif­ten aus­lie­gen. Mit wack­li­gen Holz­auf­stel­lern, auf denen wir­re For­de­run­gen geschrie­ben ste­hen, ver­sper­ren sie den Stu­den­ten den Weg zu ihrer Alma Mater. Dies sind die Mit­glie­der der „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“, kurz „BüSo“.

Die meis­ten Stu­den­ten has­ten vor­bei, nur weni­ge las­sen sich von Bot­schaf­ten wie „Die Kern­schmel­ze des Welt­fi­nanz­sys­tems ist in vol­lem Gang!“ oder „Kil­ler­spie­le töten die See­le!“ dazu hin­rei­ßen, Infor­ma­ti­ons­ge­sprä­che zu suchen. Ges­tern fand ich aber eine aus­ge­le­se­ne „BüSo“-Kampfschrift in einem Semi­nar­raum und mei­ne jour­na­lis­ti­sche Neu­gier zwang mich dazu, das Werk mit spit­zen Fin­gern (sehr bil­li­ge Dru­cker­schwär­ze, saut rum wie sonst was) in Augen­schein zu neh­men. Ein Pro­to­koll.

Die Flug­schrift, die an eine klei­ne Zei­tung erin­nert („2 € emp­foh­le­ner Bei­trag“), ist zwei­ge­teilt: Aus der einen Rich­tung beschäf­tigt sie sich mit der Fra­ge „Steckt der Teu­fel in Dei­nem Lap­top?“ (dazu kom­men wir gleich noch aus­führ­lich), dreht man sie um, lacht einen die über­ra­schen­de For­de­rung „Bau­en wir die Welt­land­brü­cke!“ an.

“BüSo”: “Bauen wir die Weltlandbrücke!”Die „Welt­land­brü­cke“, das soll ein „genau auf­ein­an­der abge­stimm­tes Sys­tem von Schnell­bah­nen, Trans­ra­pidstre­cken, Auto­bah­nen sowie Was­ser­we­gen“ wer­den, ergänzt durch die „Que­rung der Bering­stra­ße mit einem 100 km lan­gen Tun­nel“. Gebraucht wer­de die­ses völ­lig neu­ar­ti­ge Ver­kehrs­netz für die Zeit nach dem „gegen­wär­tig kol­la­bie­ren­den Sys­tem der Glo­ba­li­sie­rung“ und um eine „neue Frie­dens­ord­nung“ mög­lich zu machen. Sol­che Uto­pien von laten­tem Grö­ßen­wahn üben immer eine gewis­se Fas­zi­na­ti­on auf mich aus, so wie die das „Glo­ba­le Wie­der­auf­bau­pro­gramm für dau­er­haf­ten Welt­frie­den“ oder die Plä­ne für die „Welt­haupt­stadt Ger­ma­nia“ (deren zugrun­de lie­gen­der Grö­ßen­wahn aller­dings nicht mehr latent war).

Die „Welt­land­brü­cke“ basiert auf einem Vor­schlag von Lyn­don LaRou­che, einem ame­ri­ka­ni­schen Poli­ti­ker, der vor allem durch den sie­ben­ma­li­gen Ver­such, Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat der Demo­kra­ten zu wer­den, anti­se­mi­ti­sche Äuße­run­gen und eine Ver­ur­tei­lung wegen Ver­schwö­rung und Post­be­trug von sich reden mach­te.1 Geschrie­ben wur­de der Arti­kel von Hel­ga Zepp-LaRou­che, der Gat­tin Lyn­don LaRou­ch­es und Grün­de­rin des „Schil­ler-Insti­tuts“, der Par­tei­en „Euro­päi­schen Arbei­ter­par­tei“ und „Patrio­ten für Deutsch­land“, sowie von „BüSo“. In der gan­zen Schrift fin­det sich kein Arti­kel, der nicht aus der Feder eines der Bei­den stammt, sie zitiert oder auf ihre Theo­rien Bezug nimmt.

Besorg­nis­er­re­gen­der als die For­de­rung, eine „Eura­si­sche Land­brü­cke“ zu bau­en, ist der ande­re Teil der Flug­schrift, der mit mar­ki­gen Wor­ten ein­ge­lei­tet wird:

His­to­risch betrach­tet könn­te man die­ser Flug­schrift viel­leicht eben­so viel Wert bei­mes­sen wie den Flug­blät­tern der Wei­ßen Rose, die mit Hel­den­mut den Feind im eige­nen Land bekämpf­ten und bis zuletzt das wah­re Deutsch­land Fried­rich Schil­lers ver­tei­dig­ten. Wie im fol­gen­den klar wer­den wird, kommt Faschis­mus heu­te nicht im brau­nen Gewand daher, son­dern mit­tels sub­ti­ler Gleichschaltung/„Vernetzung“ einer gan­zen Gene­ra­ti­on, bei der sowohl Joseph Goeb­bels als auch Aldous Hux­ley vor Neid erblaßt wären. Die­se Flug­schrift soll vor allem den jun­gen Leser befä­hi­gen, dies als Krank­heit zu erken­nen, um sich recht­zei­tig davon zu befrei­en.

„Oh mein Gott, wor­um geht’s?“, wer­den Sie sich ent­setzt fra­gen. Oder: „Was kann ich dage­gen tun?“ Nichts, denn Sie und ich, wir sind schon mit­ten­drin im Elend, im Kampf „Noo­sphä­re con­tra Blogo­sphä­re“. Was die „Noo­sphä­re“ ist, ent­neh­men Sie bit­te der Wiki­pe­dia.

Doch wor­um geht es wirk­lich? MySpace, Face­book und Kil­ler­spie­le, die allen Erns­tes durch­ge­hend in die­ser Drei­fal­tig­keit genannt wer­den, sind Schuld dar­an, dass die Jugend völ­lig ver­kommt und zu bru­ta­len Amok­läu­fern wird:

Ob iPod, Lap­top, wLAN, Kil­ler­spie­le, Second Life usw.; wer sich die­se Art von Zeit­ver­treib a la MySpace, Stu­diVZ oder Schü­lerVZ mal genau­er anschaut, wird schnell fest­stel­len, daß er hier auf ein vir­tu­el­les Mas­sen­grab gesto­ßen ist, in dem wirk­lich jede Form von Deka­denz ihre Nische gefun­den hat, bis hin zur Nekro- und Pädo­phi­lie.

Hin­ter all dem ste­cken das „Inter­na­tio­nal Net­work of Social Net­work Ana­ly­sis“ (INSNA), das das Inter­net erfun­den hat, um die Mensch­heit zu unter­jo­chen, und Bill Gates, des­sen Fir­ma Micro­soft laut Flug­schrift unter ande­rem für „Coun­terstrike“ und „Doom“ ver­ant­wort­lich ist, zwei „Kil­ler­spie­le“, die in der Welt, die wir für die Rea­li­tät hal­ten, natür­lich von Sier­ra Entertainment/​EA Games bzw. id soft stam­men und mit Micro­soft so rein gar nichts am Hut haben.

Wir haben aber natür­lich alle kei­ne Ahnung, weil wir uns auf Goog­le und die Wiki­pe­dia ver­las­sen. In einem ganz­sei­ti­gen Arti­kel wird der Ver­such unter­nom­men, die Geschich­te der Wiki­pe­dia zu erklä­ren, die ihrem Grün­der Jim Wales unter­stellt sei. Der eben­so zen­tra­le wie ent­lar­ven­de Satz des Arti­kels lau­tet:

Stöhnt man stets „Ver­schwö­rungs­theo­rie!“ und schließt aus, was nicht dem gän­gi­gen Kon­sens ent­spricht, so ver­bie­tet man effek­tiv, nach Grün­den und Ursa­chen zu for­schen, und zwingt ande­re, sich der Mani­pu­la­ti­on und Über­re­dung des ein­fa­chen Kon­sens zu unter­wer­fen.

“BüSo”: “Steckt der Teufel in Deinem Laptop?”Der Satz bezieht sich auf die 9/11-Ver­schwö­rungs­theo­rien, die durchs Inter­net geis­tern, von LaRou­che ger­ne mal befeu­ert wer­den und theo­re­tisch mit­hil­fe der Wiki­pe­dia belegt wer­den kön­nen – wenn man ihr denn als Quel­le traut. Er sagt aber im Umkehr­schluss auch alles über die Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker die­ser Welt aus: Hat man näm­lich ein­mal den Gedan­ken ver­in­ner­licht, dass eine gleich­ge­schal­te­te Welt­öf­fent­lich­keit einem Infor­ma­tio­nen vor­ent­hält, dann muss man ja die Infor­ma­tio­nen, die einem die Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker unter­brei­ten, schon allein des­halb für bare Mün­ze neh­men, weil man sie ja nir­gend­wo sonst fin­det. Und schon befin­det man sich mit­ten in der alt­be­kann­ten Logik­schlei­fe der Para­no­iden, die man auch gar nicht mehr stop­pen kann, weil man ja sys­tem­im­ma­nent kei­nen Gegen­be­weis antre­ten kann. Des­halb sieht es für mich als Opfer der Ver­schwö­rung natür­lich auch so aus, als ste­cke hin­ter dem Wiki­pe­dia-Bas­hing vor allem gekränk­te Eitel­keit, wie die­ser Abschnitt sug­ge­riert:

Ori­gi­nal­schrif­ten, die von LaRou­che oder sei­ner Bewe­gung ver­faßt wur­den, dür­fen aus jedem Wiki­pe­dia-Arti­kel, außer den Arti­keln „Lyn­don­La­Rou­che“ und ande­ren eng ver­wand­ten, gelöscht wer­den. Wei­ter­hin wer­den die Unter­stüt­zer LaRou­ch­es ange­wie­sen, kei­ne direk­ten Refe­ren­zen zu ihm in Arti­kel ein­zu­fü­gen, es sei denn dort, wo sie sehr rele­vant sind. Es soll nichts geschrie­ben wer­den, was als „Wer­bung“ für LaRou­che wahr­ge­nom­men wer­den könn­ten.

Es wur­de, so erfah­ren wir wei­ter, ein Arti­kel rück­gän­gig gemacht, in dem Lyn­don LaRou­che als „die drit­te gro­ße Schu­le der Kri­tik an der Frank­fur­ter Schu­le zitiert wur­de“.

In einem vor den übli­chen Kli­schees nur so strot­zen­den Drei­sei­ter über Amok­läu­fer soll nach­ge­wie­sen wer­den, dass „die Fak­ten“ „auf der Hand“ lie­gen, was im Klar­text heißt: Sie alle haben „Kil­ler­spie­le“ gespielt und Nine Inch Nails („die Lieb­lings­band bereits frü­he­rer Schul­at­ten­tä­ter“) gehört. Inwie­fern die Lieb­lings­bü­cher eines fin­ni­schen Amok­läu­fers („1984 von Geor­ge Orwell, Schö­ne neue Welt von Aldous Hux­ley und Nietz­sches Gesamt­werk“) da hin­ein­pas­sen sol­len, erschließt sich mir als ahnungs­lo­sem Außen­ste­hen­den zwar nicht, aber Hux­ley haben wir ja wei­ter oben schon in einem Atem­zug mit Goeb­bels getrof­fen.

Ein wei­te­rer Arti­kel han­delt von den „42 Mil­lio­nen MySpace-Nut­zern bzw. ‑Opfern!“, der „alten ang­lo-hol­län­di­schen Poli­tik, die die Kul­tur len­ken und den Geist der­je­ni­gen kon­trol­lie­ren will, die in Zukunft die Füh­rung der Mensch­heit dar­stel­len“ und war­tet mit so geist­rei­chen Fak­ten wie die­sen auf:

Wie die Inter­net­sei­te MyDe­ath­Space im Nov. 2006 berich­te­te, gab es 600 Mord­op­fer und 35 Mör­der, die bei MySpace regis­triert waren.

Das hört sich natür­lich spek­ta­ku­lär an. In Deutsch­land mit sei­nen 82 Mil­lio­nen (also fast dop­pelt so vie­len) Ein­woh­nern gab es im Jahr 2006 983 Mord­op­fer (1,19 Mor­de pro 100.000 Ein­woh­ner). Zieht man zum Ver­gleich aber die Kri­mi­na­li­täts­ra­te in den USA her­an, die 7,8 Mord­op­fer pro 100.000 Ein­woh­ner zählt, wäre selbst eine Zahl von 600 Mord­op­fern bei 42 Mil­lio­nen „MySpace-Opfern“ noch die rela­tiv harm­lo­se Mord­quo­te von 1,43 Opfern pro 100.000. Und Ber­lin wäre froh, wenn sich dort nur 35 Mör­der rum­trie­ben!

Das Geeie­re um „Kil­ler­spie­le und Inter­net­ge­walt“ wirkt, als hät­ten die Redak­teu­re von „Fron­tal 21“ und „Süd­deut­scher Zei­tung“ einen Eier­li­kör­rei­chen Nach­mit­tag bei mei­nen Groß­el­tern auf der Couch ver­bracht, und das sons­ti­ge Welt­bild hin­ter „BüSo“ ist so bunt und kru­de zusam­men­ge­zim­mert, dass selbst L. Ron Hub­bard und Eva Her­man noch etwas ler­nen könn­ten. Das nord­rhein-west­fä­li­sche Innen­mi­nis­te­ri­um nennt das gan­ze „all­ge­mei­ne poli­ti­sche Theo­rien, uto­pi­sche Vor­stel­lun­gen und z. T. ver­wir­ren­de For­de­run­gen und The­sen“, die „im Übri­gen jedoch kei­ne Kern­for­de­run­gen der frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung in Fra­ge stel­le“.

  1. LaRou­che bezeich­net sei­ne Ver­ur­tei­lung als eine Ver­schwö­rung von – hal­ten Sie sich bit­te fest! – Hen­ry Kis­sin­ger, dem FBI, dem „Wall Street Jour­nal“, NBC, „Reader’s Digest“ und der Anti-Defa­ma­ti­on League. []
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Lan­ge nichts mehr von der Bun­des­re­gie­rung gehört, was? Um dar­an zu erin­nern, dass es immer noch eine gibt, hat Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Ursu­la von der Ley­en der über­rasch­ten Welt­öf­fent­lich­keit einen neu­en Vor­schlag unter­brei­tet: Kin­der und Jugend­li­che soll­ten als „ver­deck­te Ermitt­ler“ in Geschäf­ten aus­pro­bie­ren, ob man ihnen Alko­hol, Ziga­ret­ten oder „Gewalt­vi­de­os“ ver­kau­fen wür­de.

Das Ziel der Akti­on ist klar und durch­aus begrü­ßens­wert: Es geht um die Ein­hal­tung des Jugend­schutz­ge­set­zes. Auch wenn ich per­sön­lich nichts gegen Alko­hol und Spiel­fil­me habe („Kil­ler­spie­le“ ste­hen sicher auch auf der Lis­te), so gibt es für all das doch bestimm­te Alters­gren­zen. Und auch wenn die­se oft belie­big erschei­nen („Mama, war­um darf ich heu­te noch kein Bier trin­ken, mor­gen aber schon?“ – „Weil der Alko­hol ab dem 16. Jah­res­tag Dei­ner Geburt weni­ger schäd­lich ist, mein Kind!“), ist ihre Ein­hal­tung schon eine okaye Sache. Mei­net­we­gen sol­len mich die Kas­sie­re­rin­nen auch mit 24 noch nach mei­nem Aus­weis fra­gen, wenn ich Bier kau­fen will – nur wenn die bär­ti­gen 15-Jäh­ri­gen nach mir ohne Pro­ble­me ihre Spi­ri­tuo­sen kau­fen kön­nen, wer­de ich etwas unge­hal­ten.

Von der Ley­ens Vor­schlag aber ist aus meh­re­ren Grün­den schwie­rig: Ers­tens wür­den die Kin­der die Händ­ler direkt zu einer Straf­tat anstif­ten, da sie ohne ech­te Kauf­ab­sicht an die Kas­se gehen. Klar, die Händ­ler dür­fen nicht an an zu jun­ge Per­so­nen ver­kau­fen, wenn sie es doch tun sind sie im Prin­zip „selbst schuld“. Aber ich sehe zumin­dest einen mora­li­schen Unter­schied zwi­schen einem Geset­zes­ver­stoß und einem pro­vo­zier­ten Geset­zes­ver­stoß. Das ist ja, als ob einen Zivil­po­li­zis­ten nachts auf einer ent­le­ge­nen Stra­ße ver­fol­gen, bedrän­gen und einen anschlie­ßend wegen Geschwin­dig­keits­über­schrei­tung anhal­ten.

Viel schwe­rer wiegt aber, dass der Vor­schlag bes­tens ins Gesamt­bild der Bun­des­re­gie­rung passt, im Land ein Kli­ma der Angst zu schü­ren. Über­all wird man von Video­ka­me­ras über­wacht, der Bun­des­in­nen­mi­nis­ter will wis­sen, wann man wie lan­ge mit wem tele­fo­niert hat, und bald soll man nicht mal mehr Kin­dern trau­en kön­nen? Die Voll­endung des Über­wa­chungs­staa­tes stün­de kurz bevor.

Und was, wenn Kin­der erst­mal erfolg­reich Ver­stö­ße gegen das Jugend­schutz­ge­setz auf­de­cken? Was, wenn dann der nächs­te Poli­ti­ker vor­schlägt, man könn­te Kin­der doch auch als „Lock­vö­gel“ im Kampf gegen Kin­der­por­no­gra­phie ein­set­zen? Das dien­te doch auch der „guten Sache“ …

Noch was:

Wer einem Min­der­jäh­ri­gen in Zukunft Schnaps, Ziga­ret­ten oder ein Gewalt­vi­deo ver­kauft, muss danach mit Geld­bu­ßen bis zu 50.000 Euro rech­nen.

(Quel­le: sueddeutsche.de)

Nun ist es gene­rell mög­lich, dass die For­mu­lie­rung „in Zukunft“ irgend­wie von den Agen­tu­ren in die Mel­dung rein­ge­dich­tet wor­den ist und nicht aus dem Fami­li­en­mi­nis­te­ri­um selbst stammt. Wir wol­len es hof­fen, denn im Jugend­schutz­ge­setz (Abschnitt 6: Ahn­dung von Ver­stö­ßen, § 28 Buß­geld­vor­schrif­ten) steht schon seit län­ge­rem:

(5) Die Ord­nungs­wid­rig­keit kann mit einer Geld­bu­ße bis zu fünf­zig­tau­send Euro geahn­det wer­den.

Nach­trag 21:59 Uhr: Jens weist in den Kom­men­ta­ren dar­auf hin, dass der Vor­schlag schon wie­der vom Tisch ist. Jetzt „regie­ren“ die schon schnel­ler als ich blog­gen kann …