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Bist Du noch wach? — 2. Kannst Du gut mit Lob umgehen?

In der zwei­ten Fol­ge spre­chen Sue und Lukas unter ande­rem über Bücher, die ihr Leben nach­hal­tig ver­än­dert haben — was nahe­lie­gen­der­wei­se zu einer Dis­kus­si­on über pro­ble­ma­ti­sche Songs von Ade­le und Bruce Springsteen führt.

Es geht um Netz-Bekannt­schaf­ten, die Fra­ge, war­um Lukas nicht exis­tiert, und um Leben und Tod. Dafür spre­chen wir nicht über Din­ge, bei denen man ein­fach wort­los gehen darf, wenn sie jemand anders sagt.

Wenn Ihr uns schrei­ben wollt (zum Bei­spiel, weil Ihr eige­ne Fra­gen habt). könnt Ihr das jetzt unter bistdunochwach@coffeeandtv.de tun!

Show­no­tes:

Lukas’ Bücher:

  • Dou­glas Adams: „Per Anhal­ter durch die Gala­xis“
  • Hell­muth Kara­sek: „Bil­ly Wil­der — Eine Nah­auf­nah­me“
  • Johann Wolf­gang Goe­the: „Die Lei­den des jun­gen Wert­hers“
  • John Green: „The Fault in our Stars“ („Das Schick­sal ist ein mie­ser Ver­rä­ter“)
  • Wolf­gang Herrn­dorf: „Tschick“
  • Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re: „Remix“

Sues Bücher:

  • Nick Horn­by: „High Fide­li­ty“
  • Gary Kel­ler: „The One Thing“
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In memoriam Hellmuth Karasek

Mei­ne ers­te Begeg­nung mit Pro­fes­sor Kara­sek liegt fast exakt zwan­zig Jah­re zurück: Mein Vater hat­te mich zu einer Ver­an­stal­tung mit­ge­nom­men, wo Kara­sek sein Buch „Mein Kino“ vor­stell­te und mit immer noch glü­hen­den Augen Namen wie Alfred Hitch­cock, Bil­ly Wil­der oder Mar­le­ne Diet­rich refe­rier­te, von denen ich über­wie­gend noch nie gehört hat­te. Ich hat­te damals noch nichts ande­res als Zei­chen­trick­fil­me und Fami­li­en­ko­mö­di­en aus Hol­ly­wood gese­hen.

Drei Jah­re spä­ter las ich sei­ne Bil­ly-Wil­der-Bio­gra­phie, die mich zu einem glü­hen­den Ver­eh­rer der bei­den mach­te: Wil­der wegen sei­ner Fil­me und sei­nes Humors, Kara­sek wegen sei­ner Fähig­keit, so zu schrei­ben, dass man beim Lesen immer sei­ne etwas quiet­schi­ge Stim­me zu hören glaub­te. Die Lesung von „Das Maga­zin“, zu der mich mei­ne Eltern mit­nah­men, habe ich nur besucht, um mir das Wil­der-Buch signie­ren und mit ihm kurz über „Eins, Zwei, Drei“ fach­sim­peln zu kön­nen. (Was man mit 15 auf dem Dorf halt so macht.) Es war dann jetzt lei­der auch unse­re letz­te Begeg­nung.

Für Lukas, viel Spaß! Herzlich, Hellmuth Karasek

Kara­seks Buch „Karam­bo­la­gen“, in dem er sei­ne Begeg­nun­gen mit berühm­ten Zeit­ge­nos­sen beschreibt (natür­lich auch mit Wil­der), wird eines Tages Vor­bild für mei­ne Text­samm­lung zum sel­ben The­ma sein. Hell­muth Kara­sek bekommt dann sein eige­nes Kapi­tel.

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Dieser Text soll wütend machen

Ich habe ange­fan­gen, einen Text zu ver­fas­sen. Unglaub­lich, was dann pas­sier­te.

Man weiß ja eigent­lich, dass eine Sache pop­kul­tu­rell durch ist, wenn die Par­odien dar­auf anfan­gen, einem mas­siv auf den Sack zu gehen. ((Das ist in der Regel der Moment, in dem Radio­sen­der anfan­gen, die betref­fen­de Sache in ihr „Comedy“-Repertoire auf­zu­neh­men.)) Die Num­mer mit dem „Hef­tig­style“ ist also eigent­lich durch.

Der „Hef­tig­style“ ist benannt nach dem „sti­lis­ti­schen“ Vor­bild heftig.co, einer Inter­net­sei­te, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bun­te Mel­dun­gen von ande­ren, inter­na­tio­na­len Trash-Por­ta­len zusam­men­zu­klau­ben, die­se grob ins Deut­sche zu über­set­zen und mit plum­pen Anrei­ßer­tex­ten in Sozia­len Netz­wer­ken zu streu­en. Unge­fähr alles, was man über die­se Web­site wis­sen muss, die vom guten Anstand über die Prin­zi­pi­en des Kapi­ta­lis­mus bis hin zum gerings­ten sprach­li­chen Emp­fin­den ein­fach alles belei­digt, hat der Herm schon vor drei Mona­ten auf­ge­schrie­ben. In mei­nen eige­nen Social-Net­work-Feeds tau­chen Mel­dun­gen von „Hef­tig“ auf­fal­lend sel­ten auf, was ich sehr gut fin­de, aber die Seu­che greift um sich – immer mehr (meist eben­falls unse­riö­se) Inter­net­por­ta­le beteasern ihre Arti­kel in „Heftig“-Manier. Einen gro­ben Über­blick über die­se Höl­le lie­fert der inzwi­schen schon wie­der etwas ver­waist erschei­nen­de tumb­lr „hef­tig­style“.

For­mu­lie­run­gen wie „Die­ser Elf­me­ter­schüt­ze möch­te beson­ders ange­ben. Doch was dann folgt, ist ein­fach zum Lachen.“ machen mich so unfass­bar aggres­siv wie sonst nur trop­fen­de Was­ser­häh­ne über Edel­stahl­spü­len. Ich brauch­te ein paar Wochen mit mir und mei­nen Gefüh­len um zu begrei­fen, war­um das so ist. Dann wur­de mir klar: Es ist die völ­li­ge Bevor­mun­dung des Lesers. Er soll schon vor der Lek­tü­re des gan­zen (meist lächer­lich kur­zen) Arti­kels wis­sen, wie er zu reagie­ren hat – im kon­kre­ten Fall Lachen. Mal davon ab, dass die wenigs­ten als beson­ders lus­tig ange­prie­se­nen Geschich­ten die ent­stan­de­ne Erwar­tungs­hal­tung erfül­len kön­nen, ist das für mich auf eine Art aus­ge­präg­te Men­schen­ver­ach­tung. Es ist irgend­wie noch schlim­mer als Fast-Food-Ver­pa­ckung, auf die groß „Lecker!“ gedruckt ist, es ist die maxi­ma­le Unter­for­de­rung des Rezi­pi­en­ten.

Das Law-and-Order-For­mat „Ach­tung Kon­trol­le“ auf Kabel Eins arbei­tet mit den glei­chen rhe­to­ri­schen Mit­teln, wenn die lai­en­schau­spie­lern­den Poli­zis­ten oder Steu­er­fahn­der eben­so leb- wie lieb­los Satz­kon­struk­tio­nen able­sen, die unge­fähr so gehen: „Ich habe den Mann dann noch mal auf­ge­sucht und was ich dann sah, hat mich wirk­lich über­rascht.“ Dar­auf folgt die nach­ge­stell­te Sze­ne, in der der Ord­nungs­hü­ter den Mann noch ein­mal auf­sucht und dann etwas sieht, was ihn wirk­lich über­rascht. Nor­mal ent­wi­ckel­te Fünf­jäh­ri­ge wür­den die­sen Ablauf kor­rekt ver­ste­hen und ein­ord­nen, aber für die angeb­lich erwach­se­nen Zuschau­er, die die Macher die­ser Sen­dung offen­bar für lern­be­hin­der­te Matsch­kar­tof­feln auf dem hei­mi­schen Sofa hal­ten, wird das schön erklärt – und nach der Wer­be­pau­se noch mal vom Off-Spre­cher wie­der­holt.

Klar, wir Aka­de­mi­ker könn­ten uns jetzt schön zurück­leh­nen und sagen: „Das ist halt Trash-TV fürs Trash-Volk. Bil­dungs­fer­ne Schich­ten, Hartz IV, Dosen­bier – die sind halt doof.“ Also genau das, was sich die Pro­du­zen­ten sol­cher TV-Sen­dun­gen in all ihrer Über­heb­lich­keit – und der dar­aus fol­gen­den Men­schen­ver­ach­tung – auch den­ken. Aber ich wei­ge­re mich, das zu glau­ben. Bil­ly Wil­der hat mal gesagt, ((Sinn­ge­mäß, ich fin­de das Zitat lei­der auf die Schnel­le nicht mehr wie­der, es ist aber irgend­wo im Wil­der-Buch von Hell­muth Kara­sek zu fin­den.)) man dür­fe den Zuschau­er nicht unter­schät­zen bzw. unter­for­dern, er sei schlau genug, eins und eins selb­stän­dig zusam­men­zu­zäh­len.

Bei „Tages­schaum“ hat­ten wir spa­ßes­hal­ber mal das Mis­si­on State­ment „Wir wol­len den Zuschau­er auf meh­re­ren Ebe­nen über­for­dern“ for­mu­liert – und die­ses Ver­spre­chen sicher­lich auch oft genug ein­ge­löst. ((Und, klar: Unse­re Quo­ten konn­ten nicht mit denen von „Ach­tung Kon­trol­le“ mit­hal­ten.)) Ich habe erst mit der Zeit begrif­fen, dass es beim Fern­se­hen wirk­lich außer­ge­wöhn­lich ist, gewis­se Fak­ten als bekannt vor­aus­zu­set­zen und den Zuschau­er vor allem mal eige­ne Schlüs­se zie­hen zu las­sen. Man kann ja heu­te kaum noch eine Nach­rich­ten­sen­dung schau­en, in denen Auf­nah­men von hun­gern­den Kin­dern, ver­trie­be­nen Men­schen oder den Aus­wir­kun­gen von Natur­ka­ta­stro­phen nicht als „schlim­me Bil­der“ anmo­de­riert wer­den – ganz so, als wäre das Publi­kum nicht selbst in der Lage, das Gezeig­te als schlimm ein­zu­ord­nen.

Womög­lich bin ich da allei­ne, aber ich füh­le mich von sol­chen Erklä­run­gen immer bevor­mun­det – genau­so übri­gens wie von den meis­ten Auf­lö­sun­gen in Kri­mis. Da haben die Autoren im ers­ten und zwei­ten Akt schön ihre Fähr­ten gelegt und Hin­wei­se gege­ben, ((Inzwi­schen muss man ja schon froh sein, wenn das noch halb­wegs natür­lich geschieht und nicht irgend­wel­che Ein­blen­dun­gen auf­pop­pen, auf denen „Ach­tung! Die­se Infor­ma­ti­on wird gleich noch wich­tig!“ steht.)) und dann wird im drit­ten Akt noch mal eine Rück­blen­de abge­feu­ert, damit auch der größ­te Depp (aus Sicht der Macher: der Zuschau­er an sich) begreift, was ambach ist.

Ich möch­te hier noch mal in Betracht zie­hen, dass ich der ein­zi­ge Mensch auf der Welt bin, dem es so geht, aber ich den­ke bei Fil­men oder Roma­nen lie­ber „Das habe ich jetzt nicht ver­stan­den, da hät­te ich bes­ser auf­pas­sen müs­sen, mein Feh­ler!“ als „Ja-haaa! Ich hab’s ver­stan­den!“. Ich weiß noch, wie wütend ich beim Sehen von Quen­tin Taran­ti­nos „Ing­lou­rious Bas­ter­ds“ an einer Stel­le wur­de: In einer Gast­stät­te hat­te sich ein Bri­te als Deut­scher aus­ge­ge­ben, tadel­lo­ses Deutsch gespro­chen und war doch auf­ge­flo­gen. Er hat­te beim Bestel­len von drei Glä­sern Scotch den Zeige‑, Mit­tel- und Ring­fin­ger hoch­ge­hal­ten – ein ech­ter Deut­scher wür­de die Zahl Drei aber mit Dau­men, Zei­ge- und Mit­tel­fin­ger anzei­gen. Man sieht in der Sze­ne, wie August Diehl Micha­el Fass­ben­ders Fin­ger anstarrt und sein Gehirn rat­tert. Selbst wenn man nicht mit den kul­tu­rel­len Unter­schie­den des fin­ger-coun­tings ver­traut ist, gehen an die­ser Stel­le qua­si alle Sire­nen an und der Satz „Hier stimmt etwas nicht, Ihr seid auf­ge­flo­gen!“ läuft in Lauf­schrift über Diehls Stirn. ((Damit wir uns nicht falsch ver­ste­hen: August Diehl macht in die­sem Film einen phan­tas­ti­schen Job. Ich fand ihn fast noch bes­ser als Chris­toph Waltz.)) Und trotz­dem hielt Taran­ti­no (womög­lich: hiel­ten die Pro­du­zen­ten) es für not­wen­dig, die Sache mit den Fin­gern spä­ter noch ein­mal im Dia­log auf­zu­lö­sen. Damit auch der Letz­te begreift, war­um die Tar­nung auf­ge­flo­gen ist.

Man hört ja immer wie­der davon, dass vie­le Men­schen, allen vor­an natür­lich Schul­kin­der, nicht mehr in der Lage sei­en, ein­fa­che Tex­te sinn­ent­neh­mend zu lesen. Klar: Wenn ich dar­an gewöhnt bin bzw. wer­de, dass eine über­ra­schen­de Wen­dung als sol­che gekenn­zeich­net wird oder dass trau­ri­ge Musik anschwillt, wenn etwas trau­ri­ges pas­siert, dann wird es schwie­rig, wenn sich plötz­lich der Asphalt vor mir auf­tut und der Tage­bruch nicht „Über­ra­schung!“ schreit und die Musik aus­bleibt, wenn der Hams­ter stirbt. Da bedarf es schon ein biss­chen Vor­wis­sen und Trans­fer­leis­tung, um das von sel­ber auf die Ket­te zu krie­gen.

Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker wür­den jetzt erklä­ren, dass es Wunsch und Auf­trag von Regie­rung und/​oder Wer­be­kun­den sei, das Volk dumm zu hal­ten, aber ich fürch­te, die Erklä­rung ist wie so oft viel ein­fa­cher, also schlim­mer: Irgend­wel­che Con­trol­ler haben in irgend­wel­chen Umfra­gen her­aus­ge­fun­den, wie man mit noch weni­ger eige­nem Auf­wand noch mehr Leu­te errei­chen kann, die sich schon so sehr dar­an gewöhnt haben, für Toast­brot gehal­ten zu wer­den, dass es sie gar nicht mehr auf­regt.

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Der Untergang des Abendbrotlandes

Schon immer kam alles Schlech­te aus den USA: Die Mei­nungs­frei­heit, das Frau­en­wahl­recht, der Rock’n’Roll und das Fast Food. Der neu­es­te (na ja: „neu­es­te“) Angriff auf die deut­sche Kul­tur ist ein Fest, das von denen, die es bege­hen wol­len, heu­te began­gen wird: Hal­lo­ween.

Eines vor­ab: Ich has­se es, mich zu ver­klei­den. Ich habe das als Kind mit gro­ßer Begeis­te­rung getan und mei­nen Vor­rat dabei offen­bar auf­ge­braucht. Wer sicher­ge­hen will, dass ich nicht zu sei­ner Geburts­tags­fei­er kom­me, rich­tet ein­fach eine Bad-Tas­te- oder Mot­to­par­ty aus. Es kos­tet mich schon Über­win­dung, einen Anzug zu tra­gen oder Hosen, die kei­ne Jeans sind. Als ich vor sechs Jah­ren den Herbst in Nord­ka­li­for­ni­en ver­brach­te, fand ich mich aller­dings plötz­lich in einem eilig aus grü­nen Filz­bah­nen zusam­men­geta­cker­ten Ampel­männ­chen-Kos­tüm wie­der – und hat­te gro­ßen Spaß. Nie­mand kann­te mich, alle waren sehr auf­wen­dig kos­tü­miert und es herrsch­te die­se fei­er­li­che ame­ri­ka­ni­sche Ernst­haf­tig­keit vor.

Wenn ich mir aller­dings einen ame­ri­ka­ni­schen Fei­er­tag für den Import aus­su­chen dürf­te, wäre es – neben einem Natio­nal­fei­er­tag im Som­mer – Thanks­gi­ving: Die Fest­lich­keit und Gesel­lig­keit von Weih­nach­ten ohne die­sen gan­zen Geschen­kestress – die Ame­ri­ka­ner ver­ste­hen es zu fei­ern. Hal­lo­ween ist ja doch eher was für Men­schen, die sich vom Kalen­der vor­schrei­ben las­sen, wann sie mal aus­ge­las­sen fei­ern gehen kön­nen, und denen Kar­ne­val zu spie­ßig ist. ((Mein in Rhein­land­nä­he auf­ge­wach­se­nes Herz hät­te bei­na­he geschrie­ben: die für Kar­ne­val zu fei­ge sind.))

Aber gut, muss jeder selbst wis­sen, wie er sei­ne Frei­zeit ver­bringt. Fähn­chen­schwen­kend durch das Pres­se­zen­trum bei Euro­vi­si­on Song Con­test zu ren­nen, fällt bei den meis­ten Leu­ten sicher auch eher unter „Spe­cial Inte­rest“. Wir sind ein frei­es Land. Wenn ich mir aber so anschaue, wie heu­te in mei­ner Face­book-Time­line west­li­che Kul­tur auf west­li­che Kul­tur trifft, fin­de ich, dass die Kon­tak­te mit der isla­mi­schen Welt im Gro­ßen und Gan­zen doch bei­na­he har­mo­nisch zu nen­nen sind.

Auf der einen Sei­te ste­hen die Leu­te, die Hal­lo­ween mit qua­si reli­giö­sem Eifer bege­hen. Auf der ande­ren jene, die sagen, heu­te sei doch Refor­ma­ti­ons­tag und mor­gen Aller­hei­li­gen. ((Klei­ner Aus­fall­schritt zu Aller­hei­li­gen: Es kann mei­nes Erach­tens nicht sein, dass in einem Land, in dem die Tren­nung von Staat und Kir­che im Grund­ge­setz garan­tiert wird, soge­nann­te Tanz­ver­bo­te an kirch­li­chen Fei­er­ta­gen aus­ge­spro­chen wer­den. Und auch nicht, dass ein Land an zwei auf­ein­an­der­fol­gen­den Tagen volks­wirt­schaft­lich gelähmt wird, weil am einen Tag in fünf Bun­des­län­dern, am nächs­ten in fünf ande­ren kirch­li­cher Fei­er­tag ist. Die Katho­li­ken haben schon Fron­leich­nam (wenn auch nicht über­all), also wären hier mal die Pro­tes­tan­ten dran!)) Ja, stimmt. Heu­te ist auch Welt­spar­tag (außer in Deutsch­land, das für einen Welt-Irgend­was-Tag natür­lich wie­der eine Aus­nah­me brauch­te – übri­gens wegen des Refor­ma­ti­ons­tags) und mor­gen – für die, denen die Katho­li­sche Kir­che nicht ideo­lo­gisch genug ist – Welt­ve­gan­tag. Die ver­rück­tes­ten Geis­ter könn­ten sich nicht aus­den­ken, wel­che Gedenk‑, Fei­er- und Akti­ons­ta­ge es im Lau­fe des Jah­res so gibt, aber sie wer­den offen­bar alle began­gen – man­che nur von denen, die sie aus­ge­ru­fen haben, man­che von wei­ten Tei­len der Mensch­heit, wobei durch­aus Schnitt­men­gen von Per­so­nen mög­lich sind, die am 15. Okto­ber sowohl den „Tag des wei­ßen Sto­ckes“ als auch den „Inter­na­tio­na­len Tag der Frau in länd­li­chen Gebie­ten“ bege­hen. Solan­ge nie­mand einen Refor­ma­ti­ons­tags­got­tes­dienst stürmt, um „Süßes oder Sau­res“ zu rufen, klappt das auch ganz gut.

Der durch­schnitt­li­che Deut­sche, die Volks­see­le, der Michel, Otto Nor­mal­ver­brau­cher oder – wie ich ihn heu­te aus rei­ner Bos­haf­tig­keit nen­nen möch­te – Jür­gen Six­pack hat eine pani­sche Angst davor, dass ihm sei­ne kul­tu­rel­le Iden­ti­tät ver­lo­ren geht. Die Angst vor der „Über­frem­dung“ ist nicht auf den Islam oder Flücht­lin­ge aus Nord­afri­ka beschränkt, sie gilt auch – und ganz beson­ders – im Bezug auf die USA: Jung­ge­sel­len­ab­schie­de (bei denen ich mir tat­säch­lich staat­li­che Inter­ven­ti­on wünsch­te) statt Pol­ter­aben­de, „Han­dy“ statt „Mobil­te­le­fon“, der Weih­nachts­mann statt des Christ­kinds – Ame­ri­ka­ni­sie­rung lau­ert über­all. Oder genau­er: eine loka­le Inter­pre­ta­ti­on davon.

Mit der kul­tu­rel­len Iden­ti­tät ist das so: Man braucht etwas, wor­an man sich hal­ten kann, wes­we­gen der Fuß­ball – eine Sport­art, die ich lie­be, die ame­ri­ka­ni­sche Sport­fans aber als stil­los und banal betrach­ten – hier so schön iden­ti­täts­stif­tend Raum grei­fen kann. Ansons­ten sieht’s näm­lich so aus: Unse­re Städ­te sehen fast alle gleich trü­be und grau aus, so wie Städ­te eben aus­se­hen, wenn sie sehr schnell und bil­lig wie­der auf­ge­baut wer­den müs­sen, weil sie in Schutt und Asche lagen, nach­dem es Deutsch­land mit der kul­tu­rel­len Iden­ti­tät wirk­lich auf die Spit­ze getrie­ben hat­te. Unse­re Ein­kaufs­stra­ßen sehen gleich aus, weil sie mit den immer­glei­chen Filia­len deut­scher Groß­bä­cker, Dro­ge­rie- und Super­markt­ket­ten, bri­ti­scher Kör­per­pfle­ge­mit­tel­her­stel­ler, ame­ri­ka­ni­scher Fast­food­ver­füt­te­rer und schwe­di­scher Beklei­dungs­händ­ler voll­ge­stopft sind.

Woh­nun­gen welt­weit sind von der Schwe­den­ma­fia uni­for­miert wor­den und müss­ten theo­re­tisch alle gleich aus­se­hen, was sie dann aber über­ra­schen­der­wei­se doch nicht tun, weil da eben immer noch Per­sön­li­ches, Indi­vi­du­el­les mit rein­kommt. Die kul­tu­rel­le Iden­ti­tät des Ein­zel­nen, der gleich­zei­tig Stif­ter und Rezi­pi­ent der kul­tu­rel­len Iden­ti­tät einer Grup­pe ist.

Wer die Eröff­nungs- und Abschluss­fei­er der Olym­pi­schen Spie­le in Lon­don gese­hen hat, erleb­te dort einen bun­ten Rei­gen bri­ti­scher Geschich­te und – vor allem – Pop­kul­tur. Schier unend­lich der Fun­dus an aus Eng­land stam­men­den Welt­hits, Ever­greens und Meis­ter­wer­ken. Bei uns, so wur­de dann schnell geunkt, stün­den da Pur, Nena und Xavier Naidoo. ((Na ja, oder halt Kraft­werk, die Erfin­der der moder­nen Pop­mu­sik, aber nun gut.)) Das deut­sche Fern­seh­pro­gramm besteht ja auch über­wie­gend aus Kri­mi­se­ri­en und Quiz­shows (bei­des kei­ne genu­in deut­schen Pro­duk­te)

Die kul­tu­rel­le Iden­ti­tät Deutsch­lands nach dem zwei­ten Welt­krieg hat gleich zwei ampu­tier­te Bei­ne: Das mit dem Traum vom gro­ßen deut­schen Volk war gründ­lich schief gegan­gen, fand sei­ne Fort­set­zung aber in einer Art Light-Ver­si­on in Hei­mat­fil­men und Volks­tü­meln­dem Schla­ger, und die Leu­te, die Ber­lin in den 1920er Jah­ren zum kul­tu­rel­len Hot­spot gemacht hat­ten, waren alle ver­trie­ben oder gleich getö­tet wor­den. Bil­ly Wil­der präg­te im Kino flei­ßig das Ame­ri­ka­bild der Nach­kriegs­zeit, in Deutsch­land fei­er­te „Grün ist die Hei­de“ unglaub­li­che Erfol­ge. Die Jugend­be­we­gun­gen schwapp­ten in der Fol­ge­zeit fast alle aus den USA oder Groß­bri­tan­ni­en nach Deutsch­land und mit ihnen der seit­her andau­ern­de Unter­gang des Abend­lan­des – oder prä­zi­ser viel­leicht: des Abend­brot­lan­des.

Zuvor waren die einst heid­ni­schen Gebie­te des heu­ti­gen Deutsch­lands chris­tia­ni­siert wor­den. Die Gotik war aus Frank­reich gekom­men, die Renais­sance und der Barock aus Ita­li­en. Ohne die­se äuße­ren Ein­flüs­se hät­ten die Bom­ben der Alli­ier­ten allen­falls spät­mit­tel­al­ter­li­che Fach­werk­häu­ser, ver­mut­lich eher irgend­wel­che Stein­zeit­höh­len tref­fen kön­nen. Eine Zeit­lang galt es im Bür­ger­tum als aus­ge­spro­chen chic, Mas­ken­bäl­le vene­zia­ni­scher Prä­gung abzu­hal­ten. Geh­we­ge nann­te man „Trot­toir“, ((Kein Mensch, der noch alle Tas­sen im Schrank hat, wür­de in einem deut­schen Satz das Wort „side­walk“ benut­zen.)) Abor­te „Toi­let­te“.

Über­spitzt gesagt ist der Inbe­griff von Kul­tur in Deutsch­land immer noch Bay­reuth, dabei sind die Wag­ner-Fest­spie­le auch nur eine Art geho­be­ner Kar­ne­val: Men­schen, die allen­falls den Schluss­satz von Beet­ho­vens Neun­ter von Mozarts „Klei­ner Nacht­mu­sik“ aus­ein­an­der­hal­ten kön­nen, ver­klei­den sich einen Abend als kul­tur­in­ter­es­sier­te Bil­dungs­bür­ger.

85 Pro­zent mei­ner eige­nen kul­tu­rel­len Iden­ti­tät sind von angel­säch­si­scher Pop­kul­tur geprägt, der Rest von von angel­säch­si­scher Pop­kul­tur Gepräg­ten. Ja, ich mag kei­ne fran­zö­si­schen Fil­me und ein gut sor­tier­ter und gut gefüll­ter HMV löst in mir mehr Glücks­ge­füh­le aus als die Six­ti­ni­sche Kapel­le. Ich wür­de einen Urlaub im ver­reg­ne­ten Schott­land (und das dor­ti­ge Pub Food) jeder­zeit einem Aus­flug ans Mit­tel­meer vor­zie­hen.

Aber ich stei­ge nicht empört auf die Bar­ri­ka­den (fran­zö­si­sche Spe­zia­li­tät), wenn Men­schen Ita­lie­nisch­kur­se in der Volks­hoch­schu­le besu­chen, bei Aldi den etwas teu­re­ren Rot­wein kau­fen und ihren Urlaub in der Tos­ca­na ver­brin­gen wol­len.

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Nimm mein Mixtape, Babe

Die Neun­zi­ger sind ein trau­ri­ges Jahr­zehnt, denn sie muss­ten ohne die ganz gro­ßen, prä­gen­den Teen­ager-Fil­me aus­kom­men. Allen­falls „Ame­ri­can Pie“ (von 1999) hat­te einen ver­gleich­ba­ren Ein­fluss auf die Pop­kul­tur wie „Say Any­thing“, „Fer­ris Bueller’s Day Off“, „Fast Times At Rid­ge­mont High“ oder „Six­teen Cand­les“. Vor allem hat­ten die Neun­zi­ger kei­nen John Cusack.

Oh, glück­li­che Nuller, denn die haben Micha­el Cera, der in „Super­bad“ schon von erstaun­li­cher Lloyd-Dobler-Haf­tig­keit war, der in „Juno“ die Rol­le des lie­bens­wer­ten, höf­li­chen Jun­gen ohne Eigen­schaf­ten erneut spiel­te und jetzt mit gera­de mal 20 schon sein „High Fidelity“-Pendant dre­hen durf­te: „Nick and Norah’s Infi­ni­te Play­list“.

Nick ist ein Schü­ler, der nicht über die Tren­nung von sei­ner Freun­din Tris hin­weg­kommt, ihre Mail­box voll­quas­selt und ihr unab­läs­sig Mix-CDs brennt. ((Ein bizar­rer Ana­chro­nis­mus – sowohl Mix­tapes als auch MP3-Lis­ten wür­de man ver­ste­hen, aber CDs?!)) Die CDs, die Tris weg­wirft, sam­melt Norah (Kat Den­nings) ein und ver­liebt sich über die Musik in den ihr unbe­kann­ten Absen­der. Dann tref­fen sich die Bei­den erst­mals in der Rea­li­tät, mögen sich nicht, stol­pern durch eine chao­ti­sche Nacht und Rich­tung Hap­py End.

Ich weiß nicht, wann ich das letz­te Mal das Gefühl hat­te, dass bei einem Film von der Atmo­sphä­re über die Dar­stel­ler bis zur Musik alles stimmt, aber das Dreh­buch lei­der völ­li­ger Quark ist. Viel­leicht bei Came­ron Cro­wes „Eliza­beth­town“ und ein biss­chen bei „Gar­den Sta­te“. ((Des­sen Dreh­buch aller­dings nicht völ­li­ger Quark, son­dern nur ein biss­chen unstruk­tu­riert war.)) Man kann im Sin­ne der Dreh­buch­au­to­ren eigent­lich nur hof­fen, dass da ein Zwei­stün­der ganz bru­tal auf 89 Minu­ten zusam­men­ge­kürzt wur­de, denn vie­les passt nicht so recht zusam­men und gera­de das Ver­hal­ten der bei­den Haupt­per­so­nen wirkt oft völ­lig unmo­ti­viert.

„Nick and Norah’s Infi­ni­te Play­list“ ((Oder „Nick und Norah – Sound­track einer Nacht“, wie der eher so mit­tel­gu­te deut­sche Titel lau­tet.)) ist trotz­dem ein wun­der­ba­rer Film – und das liegt an allem, was nicht Dreh­buch ist. ((Das Dreh­buch hat übri­gens auch ein paar hüb­sche Ein­fäl­le an den Rän­dern, aber die zen­tra­le Hand­lung ist halt völ­lig ver­un­glückt.)) Für einen Musik­lieb­ha­ber ((Oder auch Musik­nerd.)) sind der Film und sein Sound­track ((Im Abspann wer­den 37 Songs auf­ge­führt, nur ein paar weni­ger als bei „High Fide­li­ty“ und „Almost Famous“.)) wie ein Besuch bei Freun­den: Vie­le kennt man schon und die ande­ren sind auch nett. Bishop Allen tre­ten live auf und Deven­dra Ban­hart latscht als Super­markt-Kun­de durchs Bild, dazu kom­men Songs von unter ande­rem Vam­pi­re Weekend, The Dead 60s, We Are Sci­en­tists, Shout Out Louds, Band Of Hor­ses und Rogue Wave.

Die Schau­spie­ler spie­len ihre Cha­rak­te­re auf eine für einen Tee­nie-Film über­ra­schend zurück­hal­ten­de und damit sehr ange­neh­me Art. New York zeigt sich abseits der 5th-Ave­nue-Kli­schees von sei­ner sym­pa­thischs­ten Sei­te. Und hat­te ich erwähnt, wie groß­ar­tig die gan­ze Atmo­sphä­re ist?

Und so kommt es, dass ich ein paar Stun­den nach dem Kino­be­such ((Und beim Hören des Sound­tracks, den iTu­nes freund­li­cher­wei­se auch nach Laden­schluss noch vor­rä­tig hat­te.) mit woh­li­ger Erin­ne­rung an einen Film zurück­den­ke, wäh­rend des­sen Sich­tung ich fast die Lein­wand ange­schrien hät­te, um die Autoren zu ver­flu­chen.

Bil­ly Wil­der hat ein­mal gesagt, für einen guten Film brau­che man drei Din­ge: 1. Ein gutes Dreh­buch, 2. Ein gutes Dreh­buch und 3. Ein gutes Dreh­buch. Ich wür­de dem Meis­ter nie wider­spre­chen, aber viel­leicht ist „Nick and Norah’s Infi­ni­te Play­list“ ja ein­fach die Aus­nah­me, die die Regel bestä­tigt.

Trai­ler
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Unterwegs

Mein Berlin

Weil ich ja eh schon mal mit der Video­ka­me­ra in Ber­lin war und in den ver­gan­ge­nen Jah­ren tou­ris­tisch schon wirk­lich alles abge­klap­pert hat­te, was da war, habe ich mir dies­mal gedacht: Sei doch ein biss­chen altru­is­tisch und gib dei­nen Lesern, die viel­leicht noch nie in Ber­lin waren, viel­leicht nächs­te Woche hin­wol­len, auch etwas mit.

Her­aus­ge­kom­men ist ein klei­ner Film, der völ­lig unprä­ten­ti­ös „Mein Ber­lin“ heißt und den man sich bei You­Tube anse­hen kann. Oder gleich hier:

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Desperate Housewife

Kaum ist Eva Her­man beim NDR raus­ge­flo­gen, macht sich die media­le Häme über­all breit. Obwohl ver­ba­le Ent­glei­sun­gen der Aus­lö­ser der gan­zen Geschich­te waren, scheu­en sich diver­se Kom­men­tar­wichs­ma­schi­nen nicht, den anru­fen­den Pres­se­ver­tre­tern noch wei­te­ren Schmonz in ihre Blö­cke zu dik­tie­ren, wo ein ein­fa­ches „Ich habe den Raus­wurf von Frau Her­man mit Erleichterung/​Wohlwollen/​stiller Freu­de zur Kennt­nis genom­men und möch­te die wei­te­re Ana­ly­se gern den betei­lig­ten Par­tei­en und Arbeits­recht­lern über­las­sen“, auch getan hät­te.

Gemei­ner sind nur noch die Bild­re­dak­tio­nen der Online-Medi­en:

Eva Herman (links) und Britney Spears (rechts) bei “Spiegel Online”
Screen­shot: „Spie­gel Online“

Ich hat­te schon bei­na­he einen Herz­still­stand erlit­ten, als ich fest­stell­te, dass die halb­nack­te blon­de Frau bei „Spie­gel Online“ nicht Eva Her­man war, son­dern Brit­ney Spears. Aller­dings dürf­te inzwi­schen für bei­de Damen das gro­ße Bil­ly-Wil­der-Zitat gel­ten, wonach eine Kar­rie­re am Bes­ten in einem Wort zusam­men­ge­fasst wer­den kön­ne: „Vor­bei!“

Es geht aber noch besser/​böser, denn es gibt ja noch „Bild.de“. Oder glau­ben Sie wirk­lich, die­se äußerst unglück­li­che Kom­bi­na­ti­on von Foto und Bild­un­ter­schrift, die puber­tä­res Geki­cher anzieht wie sonst nur Jah­res­ta­ge TV-Doku­men­ta­tio­nen, sei ein Pro­dukt des Zufalls?

Eva Herman bereut ihren Fehltritt bei “Bild.de”
Screen­shot: „Bild.de“

Nach­trag 20:09 Uhr: Okay, ich bin offen­bar der Ein­zi­ge, der das „Bild“-Foto irgend­wie lus­tig oder zwei­deu­tig fand. Viel­leicht soll­te ich doch mal dar­über nach­den­ken, erwach­sen zu wer­den.

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Digital

Sachen gibt’s …

Goog­le Alerts sind was tol­les: Man gibt ein­mal einen Such­be­griff ein und bekommt dann jedes Mal, wenn der Begriff im Netz auf­taucht, eine E‑Mail. So habe ich Dank mei­nes Goog­le Alerts auf Bil­ly Wil­der heu­te das hier erfah­ren:

Über Bil­ly Wil­der spricht Hans­jörg Just in der Rei­he „Krank­heit und Tod berühm­ter Per­sön­lich­kei­ten“ am Mon­tag, 2. Juli, 17.15 Uhr, im Hör­saal der Inne­ren Medi­zin, Bau 205 an der Kli­nik.

Klingt sogar span­nend.

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Leben Musik

The höher they come, the blöder they fall

Es mag Zufall sein, dass es fast auf den Tag genau acht Jah­re her ist, dass ich zum ers­ten Mal von Brit­ney Spears hör­te. Sie trat mit ihrer ers­ten Sin­gle „Baby One More Time“ bei „Top Of The Pops“ auf und als mein bes­ter Freund und ich das sahen und hör­ten, gaben wir dem Mädel drei Sin­gles, dann sei alles wie­der vor­bei. Ich gebe zu: wir hat­ten uns ver­schätzt. Es waren dann doch vier Alben, die zu bewer­ten hier gar nicht The­ma sein soll. (Nur ein Hin­weis sei erlaubt: dass „Baby One More Time“ ein tol­ler Song war, wur­de spä­tes­tens ein Jahr spä­ter klar, als Tra­vis ihn cover­ten.)

Die Fra­ge, wann eigent­lich Brit­neys letz­te Sin­gle erschie­nen sei (und wie die klang), könn­te ich nicht ohne vor­he­ri­ge Recher­che beant­wor­ten. Aber das ist inzwi­schen auch völ­lig egal, es inter­es­siert ja auch nur noch die wenigs­ten, dass Pete Doh­erty noch Musik macht (die letz­te Babysham­bles-EP, das weiß ich wenigs­tens, hieß „The Blin­ding“ und erschien Ende 2006). Brit­ney Spears, die ja sowie­so immer schon ein belieb­tes The­ma des sog. Boulevard-„Journalismus“ war, ist end­gül­tig zum Traum eines jeden Gos­sen­be­ob­ach­ters gewor­den, weil sie alles, aber auch wirk­lich alles ver­eint, wofür man sonst Paris Hil­ton, Rob­bie Wil­liams und Pete Doh­erty bräuch­te – oder die jetzt nicht mehr ver­füg­ba­re Anna Nico­le Smith.

Jetzt (das ist der Bild­zei­tungs-Begriff für „vor eini­ger Zeit“, in die­sem Fall: „let­ze Woche“) hat sie sich eine Glat­ze schnei­den las­sen, was die „Panorama“-Redakteure hun­der­ter Online-Maga­zi­ne in Ver­zü­ckung ver­set­ze. Zwar gab es allen­falls zwei grie­se­li­ge Fotos von Spears‘ Plat­te, aber fast nie­mand ließ sich die Gele­gen­heit ent­ge­hen, noch mal eine Foto-Gale­rie mit den schöns­ten glatz­köp­fi­gen Frau­en (Sinead O’Con­nor, Skin, Nata­lie Port­man, Demi Moo­re) zusam­men­zu­stel­len. Ent­setzt wur­de das Phra­sen­schwein gemol­ken und die ewig glei­che Fra­ge, wie es nur so weit habe kom­men kön­nen, in den Raum oder zumin­dest auf die Titel­sei­ten gestellt. Frau Spears, die vor dem Fri­seur­be­such eine Ent­zie­hungs­kur abge­bro­chen hat­te, begab sich in der Zwi­schen­zeit in eine Ent­zugs­kli­nik, check­te nach 24 stun­den wie­der aus und hat nach neu­es­ten Mel­dun­gen grad zum drit­ten Mal inner­halb einer Woche eine Reha-Kli­nik auf­ge­sucht. (Ich muss mich kor­ri­gie­ren: nach neu­es­ten Mel­dun­gen soll Frau Spears mit einem Regen­schirm auf ein Auto los­ge­gan­gen sein, das ent­we­der ihrem Noch-Gat­ten oder einem Papa­raz­zo gehör­te. Das mit der Kli­nik könn­te natür­lich trotz­dem stim­men. Oder schon wie­der über­holt sein.)

Der ziem­lich bril­lan­te ame­ri­ka­ni­sche Pop­jour­na­list Chuck Klos­ter­man sagt in einem (im Novem­ber 2006 geführ­ten) Inter­view in der aktu­el­len Galo­re:

Es ist schwie­rig, jeman­den wie Brit­ney sati­risch zu beglei­ten. Wenn jemand vor zwei Jah­ren eine Par­odie auf Spears ver­fasst hät­te, was hät­te er getan? Wahr­schein­lich hät­te man sie mit einem wei­ßen Mit­tel­stands-Mann ver­hei­ra­tet, der von sich denkt, er sei ein Rap­per. Und der dann in ihrem Kel­ler wohnt und hin­ter­her um das Sor­ge­recht für die Kin­der klagt, um an ihr Geld zu kom­men. Das wäre glatt als Sati­re durch­ge­gan­gen. Aber es ist wirk­lich pas­siert. Man hät­te auch eine Sze­ne schrei­ben kön­nen, wie Brit­ney bar­fuß aus einer öffent­li­chen Toi­let­te kommt. Auch das ist wirk­lich pas­siert.

Bei You­Tube kann man sich ein Video anse­hen, wie Brit­ney Spears von Papa­raz­zi bedrängt wird und schließ­lich aus­ras­tet. Die Berufs­zy­ni­ker der Scum Press wer­den wie­der was faseln von „Wer die Medi­en für sei­nen Auf­stieg nutzt, muss auch damit rech­nen, in der Zei­tung zu ste­hen, wenn es mal nicht so gut läuft.“ (das Zitat ist zusam­men­er­fun­den, soll­te aber als authen­tisch durch­ge­hen) und auch der klei­ne Mann auf der Stra­ße wird wie­der geist­rei­che Leser­brie­fe abson­dern mit Sen­ten­zen wie „Ich kann das Gejam­mer der ‚Rei­chen und Schö­nen‘ nicht mehr hören. Er hat sich für das Leben, das er führt, ent­schie­den, und ent­schei­det sich jeden Tag aufs Neue dafür.“ (aus den Kom­men­ta­ren zu einem sueddeutsche.de-Arti­kels über Rob­bie Wil­liams‘ aktu­el­len Tablet­ten­ent­zug, der sich sowie­so schon wie ein Nach­ruf liest). Und war­um gucken wir uns das alle an? Weil „die da oben“ viel schö­ner und län­ger fal­len kön­nen. Das Schluss­wort die­ses quir­li­gen Gedan­ken­hop­pings gebührt des­halb Bil­ly Wil­der:

Der Unter­schied zwi­schen einer Komö­die und einer Tra­gö­die ist: Ein Mann läuft eine Stra­ße hin­un­ter und fällt hin. Wenn er wie­der auf­steht, ist das eine Komö­die, die Leu­te lachen; bleibt er lie­gen, ist es eine Tra­gö­die.