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Leben Gesellschaft

Ein Rauch von Nichts

Seit Jahren versuche ich, mit dem Rauchen anzufangen, aber ich schaffe es einfach nicht. Es könnte daran liegen, dass ich weder Zigaretten noch Feuerzeuge besitze und die Momente, in denen ich irgendwo stehe und mir denke, ich müsste jetzt dringend “eine qualmen”, somit ungenutzt verstreichen.

Eigentlich will ich überhaupt nicht rauchen. Das wäre auch absurd: Meine Eltern rauchen nicht, von meinen Freunden in der Schule hat niemand geraucht und wenn die Boulevardjournalisten auf der Suche nach jemandem wären, der auch in den tiefsten Momenten der Pubertät nie auch nur einmal an einer Zigarette gezogen hat, dann wären sie bei mir an der richtigen Adresse. Aber Boulevardjournalisten sind wohl eher auf der Suche nach Kindern, die mit zwölf Jahren ihre erste Alkoholvergiftung hatten und mit 14 die Katze der Nachbarstochter getötet haben. Nachdem sie die Nachbarstochter geschwängert haben.

Jedenfalls kannte ich bis zu meinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr quasi keine Raucher und hatte auch nie das Bedürfnis, selbst einer zu werden. Als unser Englischlehrer in der zehnten Klasse mehrere Stunden damit füllte, uns auf Deutsch vorzurechnen, wie viel Geld wir sparen könnten, wenn wir es nicht für Zigaretten ausgäben, sondern zur Bank brächten, interessierte mich das nicht: Mein Taschengeld ging für CDs und Musikmagazine raus, da war an Rauchwaren und Sparkonten nicht zu denken.1

Eigentlich gibt es keine Argumente für das Rauchen: Es ist die einzige Droge, die keinen Rausch verursacht, den Körper aber trotzdem schädigt; es ist jetzt noch teurer als schon zu meinen Schulzeiten und es stinkt ekelhaft. Warum habe ich also Tage, an denen ich denke, ich müsste jetzt dringend rauchen? Vielleicht, weil es immer noch als Rock’n’Roll-Geste gilt? Oder weil ich das Gefühl habe, irgendwas mit meinen Händen und Lippen tun zu müssen, und ich nicht schon wieder zum Lippenpflegestift greifen kann, weil die Umstehenden dann (nicht ganz zu Unrecht) glauben, ich sei von dem Ding körperlich abhängig?

Ich wette, ich wäre einer dieser Menschen, bei denen Rauchen auch noch gänzlich uncool aussieht. Die ersten zehn, zwölf Stangen würde ich eh in einem alten Bunker im Wald rauchen müssen, damit mich keiner beim Husten und Schleim auswürgen beobachten kann. Ich müsste meine Klamotten jeden Abend auf den Balkon hängen, müsste aber im Gegenzug nicht mehr vor dem Waschen überlegen, ob ich in den nächsten Tagen noch weggehen will, weil sowieso alle meine Kleidungsstücke ganz grauenhaft röchen. Das ist auch der Grund, weshalb ich Raucher für verantwortungsloser halte als beispielsweise Heroinjunkies: Der Junkie setzt sich in einer dunklen Ecke seinen Schuss und riecht vielleicht ungewaschen, mit einer Handvoll Rauchern im Raum riechen danach alle ungewaschen. Ein Biertrinker, der einer anderen Person versehentlich ein halbes Glas Bier übers Hemd schüttet, müsste sich danach wer-weiß-was anhören und die Reinigung bezahlen. Ein Raucher alleine ist nicht weiter schlimm, in der Gruppe verdrecken sie aber allen Leuten in ihrer Umgebung die Kleidung, erhöhen deren Chancen, an Krebs zu erkranken, und zahlen niemandem die Reinigung. “Selbstmordattentäter”, nennt Volker Pispers diese Leute, die sich selbst töten und dabei noch so viele Unschuldige wie möglich mitnehmen.

Obwohl ich das Rauchen aus den oben genannten Gründen hasse und auch gerne lebenslanges Bahnverbot für die Menschen fordere, die auf den Toiletten ansonsten rauchfreier Züge ihrer Sucht frönen, finde ich Nichtraucher oft genug noch unerträglicher: Wer schon laut und affektiert hustet, wenn sich jemand knapp innerhalb seiner Sichtweite eine Zigarette ansteckt, hat vermutlich andere Probleme als den nahenden Tod durch Passivrauchen. Auch in diesen Momenten ärgere ich mich, dass ich nicht rauche.

Ich freue mich auf das Rauchverbot, das ab 1. Januar auch in NRW gelten soll. Es wird merkwürdig sein, in meiner Dinslakener Stammkneipe, die außer von meinem Freundeskreis hauptsächlich von älteren Herren und Stammtischbrüdern bevölkert wird, vom hintersten Tisch aus noch die Theke sehen zu können. Ich hoffe, dass die Gäste mit ihrer Sucht umzugehen lernen und dem Wirt kein finanzieller Nachteil entsteht. Ein Freund aus Baden-Württemberg berichtete mir kürzlich, dass es in den dortigen Clubs und Discotheken immer grauenhaft nach Schweiß und Bier stinke, seit dort nicht mehr geraucht werden darf. Das wäre in der Tat ein unschöner Nebeneffekt. Zu Beginn dieses Jahrzehnts war ein nach Melone duftendes Parfüm sehr in Mode, das mich auch heute immer noch verzückt, wenn ich es an jungen Damen rieche. Ich würde mir vom Bundesgesundheitsministerium wünschen, dass dieses Parfüm kostenlos an die Bevölkerung ausgegeben wird, bis uns eine andere Lösung eingefallen ist.

1 An Sparkonten ist auch heute noch nicht zu denken, wie mein Anlageberater neulich erst wieder feststellte.

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Politik

Flache Gebührenpartei

Okay, ich seh’s ein: ich werd alt!

Mit der Frage konfrontiert, was “Flatrate-Parties” seien, hätte ich noch zu Beginn der Woche die vage Vermutung geäußert, es handele sich um Netzwerktreffen (mhd. für LAN-Parties), bei denen die Teilnehmer nicht mehr in einem Raum sitzen, sondern über das Internet verbunden sind. Warum die so heißen sollten, weiß ich auch nicht, aber so hätte meine Antwort wohl gelautet.

Ich hätte natürlich unrecht gehabt und mich mal wieder als so 2002 geoutet. Wie wir heute alle wissen, sind “Flatrate-Parties” das, was vor vielen Äonen noch “All You Can Drink” geheißen hätte, also: einmal zahlen, den ganzen Abend trinken. Und um mich mit viel Schwung ins endgültige gesellschaftliche Aus zu reiten: ich wusste weder, dass diese Parties existieren, noch könnte ich mir einen Ort vorstellen, an dem sie stattfinden könnten. Aber es muss sie geben, denn sie sind der Grund, dass einige wildgewordene Politiker mal wieder die Verschärfung von Gesetzen fordern, deren simple Einhaltung schon mehr als ein Anfang wäre. Immerhin: diesmal soll nicht mündigen Bürgern vorgeschrieben werden, welche Freizeitaktivitäten sie mit ihrem Computer verbringen dürfen, diesmal geht es nur darum, Sechzehn- und Siebzehnjährige vom Alkoholkonsum fernzuhalten.

Doch bevor ich jetzt zur ganz großen Argumentation aushole und auf die vielen Einundzwanzigjährigen verweise, die sich in den USA beim ersten legalen Kontakt mit Alkohol ins Koma saufen, komme ich lieber wieder zum Eingangsthema zurück und frage ganz höflich nach: Gibt es solche “Flatrate-Parties” eigentlich wirklich?

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Politik

Wir sterben lieber eines natürlichen Todes

Vermutlich sind die meisten, die hier mitlesen, zu jung, um damals in den Achtziger dieses Plastikschild mitbekommen zu haben. Man sah darauf einen nordamerikanischen Ureinwohner (vor 20 Jahren noch als “Indianer”, ein paar Jahr zuvor nur als “Winnetou” bekannt), der an einem Lagerfeuer herumwedelte. Damals hielt man das als passendes Motiv für den Spruch “Danke fürs Nichtrauchen. Wir sterben lieber eines natürlichen Todes.” Der eine oder andere Nikotinist dachte sich damals, dass derlei ja geradezu nach einer Verarsche schreie. Denn anstatt wie diese langweiligen Nichtraucher mal eben einen natürlichen Tod hinzulegen, inhaltiert man doch gleich noch mal so genüßlich.

Damals waren die Krankenkassenkassen ja auch noch so etwas ähnliches wie voll. Und das sozialverträgliche Frühableben derer mit den geteerten Lungen nahmen die Rentenkassen noch ohne nennenswertes Husten zur Kenntnis. Diese Zeiten sind vorbei. Und auch die Zeiten, in der sich bundesdeutsche Regierungen nicht entblöden, der Tabaklobby das Wort zu reden und jegliches Tabakwerbe- oder gar Rauchverbot, das man sich in Brüssel ausgedacht hat, geflissentlich zu untergraben. Oder mindestens mit blödsinnigen Klagen auszubremsen.

Längst zeigen die Iren, die Malteser, die Italiener, die Spanier, die Luxemburger, die Belgier und die Franzosen, wie genüßlich man abends wieder in die Kneipe oder den Club gehen kann. Keine Angst mehr vor mutwillig produziertem Feinstaub, keine spontanen Bronchialasthmaattacken mehr beim Betreten einer Tanzlokal-Eckkneipe. Und sogar rosige Aussichten für die Gastwirte wegen steigenden Besucherzahlen. In Deutschland ist das ja immer noch anders. Und wer mit weniger als 1,80m Körpergröße auf eine Stippvisite z.B. ins Kölner Blue Shell geht, sollte die Sauerstoffflasche nicht vergessen, die es zum Überleben brauchen würde.

Doch jetzt zeigt der spontane Aktionismus der Regierung Wirkung. Es ist ja auch erst knapp vier Jahre her, dass die EU wegen jährlich 650.000 Toten und über 100 Milliarden Euro Kosten europaweit eine Richtlinie zum Verbot von Tabakwerbung erlassen hat. Da kam die deutsche Umsetzung im Dezember 2006 wie eine richtig spontane Übersprungshandlung. Und die zeitgleich stattfindende Posse um den nationalen Gesetzentwurf zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz bekam ja eh kaum jemand mit. Ohne sich über eine Regierung schlapp zu lachen, die es nicht blickt, dass sie für den Geltungsbereich gar nicht mehr zuständig ist.

Jetzt kommt es also: das bundesweite Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, Krankenhäusern, Altenheimen, Gaststätten, Kneipen, Discotheken etc. Zum Glück hat sich das Volk aber immer noch genügend Vollpfosten an die jeweilige Macht gewählt, dass die schon wieder Aufweichungen des unvermutet sinnvollen Rauchverbots verlangen. Was einem dann durchaus den Wunsch nahelegt, die Herren Wulff, Rüttgers und Stoiber in der freiwilligen Raucherkneipe ihrer Wahl endzulagern. Die könnten sich dann bitte rasch an das Plastikschild vom Artikeleinstieg erinnern.

Wobei die Diskussion um Rauchverbote ja derzeit längst von der Klimapanik über den Haufen gerannt wurde. Wenn wir eh nur noch zwölf Jahre haben, um den Klimakollaps abzuwenden, haben die Raucher sogar noch einen Grund mehr, rasch auf Nikotinpflaster umzusteigen. Denn wenn die Küsten demnächst eh überflutet werden, reicht das bis dahin eingesparte Feuerzeugbenzin ja vielleicht noch fürs Signalfeuer im Rettungsboot.

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Musik Leben

The höher they come, the blöder they fall

Es mag Zufall sein, dass es fast auf den Tag genau acht Jahre her ist, dass ich zum ersten Mal von Britney Spears hörte. Sie trat mit ihrer ersten Single “Baby One More Time” bei “Top Of The Pops” auf und als mein bester Freund und ich das sahen und hörten, gaben wir dem Mädel drei Singles, dann sei alles wieder vorbei. Ich gebe zu: wir hatten uns verschätzt. Es waren dann doch vier Alben, die zu bewerten hier gar nicht Thema sein soll. (Nur ein Hinweis sei erlaubt: dass “Baby One More Time” ein toller Song war, wurde spätestens ein Jahr später klar, als Travis ihn coverten.)

Die Frage, wann eigentlich Britneys letzte Single erschienen sei (und wie die klang), könnte ich nicht ohne vorherige Recherche beantworten. Aber das ist inzwischen auch völlig egal, es interessiert ja auch nur noch die wenigsten, dass Pete Doherty noch Musik macht (die letzte Babyshambles-EP, das weiß ich wenigstens, hieß “The Blinding” und erschien Ende 2006). Britney Spears, die ja sowieso immer schon ein beliebtes Thema des sog. Boulevard-“Journalismus” war, ist endgültig zum Traum eines jeden Gossenbeobachters geworden, weil sie alles, aber auch wirklich alles vereint, wofür man sonst Paris Hilton, Robbie Williams und Pete Doherty bräuchte – oder die jetzt nicht mehr verfügbare Anna Nicole Smith.

Jetzt (das ist der Bildzeitungs-Begriff für “vor einiger Zeit”, in diesem Fall: “letze Woche”) hat sie sich eine Glatze schneiden lassen, was die “Panorama”-Redakteure hunderter Online-Magazine in Verzückung versetze. Zwar gab es allenfalls zwei grieselige Fotos von Spears’ Platte, aber fast niemand ließ sich die Gelegenheit entgehen, noch mal eine Foto-Galerie mit den schönsten glatzköpfigen Frauen (Sinead O’Connor, Skin, Natalie Portman, Demi Moore) zusammenzustellen. Entsetzt wurde das Phrasenschwein gemolken und die ewig gleiche Frage, wie es nur so weit habe kommen können, in den Raum oder zumindest auf die Titelseiten gestellt. Frau Spears, die vor dem Friseurbesuch eine Entziehungskur abgebrochen hatte, begab sich in der Zwischenzeit in eine Entzugsklinik, checkte nach 24 stunden wieder aus und hat nach neuesten Meldungen grad zum dritten Mal innerhalb einer Woche eine Reha-Klinik aufgesucht. (Ich muss mich korrigieren: nach neuesten Meldungen soll Frau Spears mit einem Regenschirm auf ein Auto losgegangen sein, das entweder ihrem Noch-Gatten oder einem Paparazzo gehörte. Das mit der Klinik könnte natürlich trotzdem stimmen. Oder schon wieder überholt sein.)

Der ziemlich brillante amerikanische Popjournalist Chuck Klosterman sagt in einem (im November 2006 geführten) Interview in der aktuellen Galore:

Es ist schwierig, jemanden wie Britney satirisch zu begleiten. Wenn jemand vor zwei Jahren eine Parodie auf Spears verfasst hätte, was hätte er getan? Wahrscheinlich hätte man sie mit einem weißen Mittelstands-Mann verheiratet, der von sich denkt, er sei ein Rapper. Und der dann in ihrem Keller wohnt und hinterher um das Sorgerecht für die Kinder klagt, um an ihr Geld zu kommen. Das wäre glatt als Satire durchgegangen. Aber es ist wirklich passiert. Man hätte auch eine Szene schreiben können, wie Britney barfuß aus einer öffentlichen Toilette kommt. Auch das ist wirklich passiert.

Bei YouTube kann man sich ein Video ansehen, wie Britney Spears von Paparazzi bedrängt wird und schließlich ausrastet. Die Berufszyniker der Scum Press werden wieder was faseln von “Wer die Medien für seinen Aufstieg nutzt, muss auch damit rechnen, in der Zeitung zu stehen, wenn es mal nicht so gut läuft.” (das Zitat ist zusammenerfunden, sollte aber als authentisch durchgehen) und auch der kleine Mann auf der Straße wird wieder geistreiche Leserbriefe absondern mit Sentenzen wie “Ich kann das Gejammer der ‘Reichen und Schönen’ nicht mehr hören. Er hat sich für das Leben, das er führt, entschieden, und entscheidet sich jeden Tag aufs Neue dafür.” (aus den Kommentaren zu einem sueddeutsche.de-Artikels über Robbie Williams’ aktuellen Tablettenentzug, der sich sowieso schon wie ein Nachruf liest). Und warum gucken wir uns das alle an? Weil “die da oben” viel schöner und länger fallen können. Das Schlusswort dieses quirligen Gedankenhoppings gebührt deshalb Billy Wilder:

Der Unterschied zwischen einer Komödie und einer Tragödie ist: Ein Mann läuft eine Straße hinunter und fällt hin. Wenn er wieder aufsteht, ist das eine Komödie, die Leute lachen; bleibt er liegen, ist es eine Tragödie.