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Musik Leben

25 Jahre „There Is Nothing Left To Lose“

Die­ser Ein­trag ist Teil 10 von bis­her 10 in der Serie 1999

Im Jahr 1999 erschie­nen jede Men­ge Alben, die für unse­re Autor*innen prä­gend waren. Zu ihrem 25. Jubi­lä­um wol­len wir sie der Rei­he nach vor­stel­len.

Foo Fighters - There Is Nothing Left To Lose (abfotografiert von Lukas Heinser)

Natür­lich hat­te ich Dave Grohl als den „Schlag­zeu­ger von Nir­va­na“ ken­nen­ge­lernt. Natür­lich kann­te ich die sen­sa­tio­nell lus­ti­gen Vide­os zu „Big Me“ und „Learn To Fly“ sei­ner neu­en Band Foo Figh­ters, auf die mich mein bes­ter Freund auf­merk­sam gemacht hat­te. Natür­lich waren – neben The Wall­flowers, Jami­ro­quai, Rage Against The Machi­ne, Micha­el Penn, Green Day und Ben Folds Five – auch Foo Figh­ters 1998 auf dem Sound­track zu Roland Emme­richs „God­zil­la“ gewe­sen und zwei Jah­re spä­ter – neben Ben Folds Five, Hoo­tie & The Blow­fi­sh, Smash Mouth, Third Eye Blind und The Off­spring – auf dem Sound­track zum heu­te fast ver­ges­se­nen Jim-Carrey-Film „Me, Mys­elf & Ire­ne“, der mich mit Wil­co, Pete Yorn, Ellis Paul und Mar­ve­lous 3, vor allem aber mit den Songs von Stee­ly Dan bekannt mach­te. Das Video zu „Brea­kout“, das im Som­mer­ur­laub 2000 stän­dig auf MTV Euro­pe lief, war ja sogar auf den Film abge­stimmt.

Ich weiß wirk­lich nicht, war­um es bis in den April 2002 gedau­ert hat, bis ich wuss­te, dass ich Foo-Figh­ters-Fan bin. Ich weiß aber noch sehr genau, wie ich zu die­ser Zeit das Video zu „Next Year“ im Musik­fern­se­hen gese­hen habe (und das auch nicht zum ers­ten Mal) und plötz­lich so ange­fixt war, dass ich den Song sofort als ille­ga­le MP3 her­un­ter­la­den und tage­lang auf Repeat hören muss­te. Ich habe sogar die Geburts­tags­kaf­fee­ta­fel mei­ner Schwes­ter ver­las­sen, um zu R&K zu fah­ren und end­lich das dazu­ge­hö­ri­ge Album zu kau­fen.

Zwei Tage spä­ter war unser letz­ter Schul­tag, in der Woche dar­auf die schrift­li­chen Abitur­prü­fun­gen und danach kam eine Zeit der gro­ßen Lee­re. Was sich anfangs noch wie Som­mer­fe­ri­en und ver­dien­te Frei­zeit nach so vie­len Jah­ren Schu­le (and don’t get me star­ted about Theo­dor-Heuss-Gym­na­si­um Dins­la­ken again!) anfühl­te und einer durch­gän­gi­gen Par­ty glich, füll­te sich ganz schlei­chend mit der zunächst geleug­ne­ten Gewiss­heit, dass sich bald alles ändern wür­de: Die Mäd­chen wür­den zum Stu­di­um in ande­re Städ­te zie­hen, die Jungs ihren Zivil­dienst begin­nen und danach ver­mut­lich auch die Stadt ver­las­sen. Kin­der­zim­mer wür­den ver­stau­ben und umge­räumt wer­den, Groß­el­tern und Eltern ster­ben, Leben jetzt erst rich­tig begin­nen. So jung kom­men wir nicht mehr zusam­men.

„The­re Is Not­hing Left To Lose“ (der Titel schon!) war der per­fek­te Sound­track zu die­ser Zeit. Dave Grohl wuss­te, wie sich Abschie­de und Umbrü­che im Leben anfüh­len, er konn­te Melan­cho­lie in Wut ver­wan­deln und umge­kehrt. Es schien, als habe sich das Album extra zwei­ein­halb Jah­re in mei­nem Blick­feld ver­steckt, um jetzt ganz und gar für mich da zu sein. Es war das drit­te Album unter dem bescheu­er­ten Pro­jekt­na­men Foo Figh­ters, aber eigent­lich das ers­te die­ser Band als Band: Auf dem Debüt hat­te Dave Grohl noch alle Instru­men­te selbst gespielt, die von ihm für das zwei­te Album zusam­men­ge­stell­te Band war schnell wie­der zer­bro­chen (es hat­te womög­lich nicht gehol­fen, dass Grohl nahe­zu alle Spu­ren von Schlag­zeu­ger Wil­liam Golds­mith neu ein­ge­spielt hat­te) und jetzt hat­te er den Kel­ler sei­nes Hau­ses in Alex­an­dria, Vir­gi­nia zum Stu­dio aus­ge­baut und mit sei­nem ver­blie­be­nen Bas­sis­ten Nate Men­del und Tay­lor Haw­kins, dem Schlag­zeu­ger aus der Band von Ala­nis Moris­set­te, noch ein­mal ganz neu ange­fan­gen.

Wenn Du Schlag­zeug ler­nen willst, hör Dir an, was Tay­lor Haw­kins bei „Gene­ra­tor“, „Auro­ra“ oder „Next Year“ macht; wie sei­ne Hän­de wir­beln und gleich­zei­tig über­all zu sein schei­nen; wie er Songs vor­an peitscht, ihnen, den ande­ren Instru­men­ten und vor allem Dave Groh­ls Stim­me aber auch immer genug Raum zum Atmen lässt; wie er, nach­dem er zwölf Tak­te ein­fach nur gera­de einen tigh­ten Beat geklopft hat, plötz­lich für einen Sekun­den­bruch­teil eine drum roll ein­flicht, die klingt wie ein auf der Stel­le tän­zeln­der Boxer — und wie der nächs­te Schlag dann tat­säch­lich wie ein upper cut kommt, der Dich Ster­ne sehen lässt.

In Inter­views und in sei­nem phan­tas­ti­schen Memoir „The Sto­rytel­ler“ erzählt Dave Grohl immer wie­der, dass „The­re Is Not­hing Left To Lose“ sein per­sön­li­ches Lieb­lings­al­bum der Band ist; das, auf das er am stol­zes­ten ist. Es ist eines der weni­gen Alben, die ich mir zum Hun­derts­ten Mal anhö­ren kann und die ers­ten Tak­te sind immer noch so auf­re­gend wie beim aller­ers­ten Hören: Der Ope­ner „Sta­cked Actors“, der mit tro­cken knar­zen­den Gitar­ren und einem trei­ben­den Schlag­zeug beginnt, in den Stro­phen aber eher wie ein ele­gan­ter Stee­ly-Dan-Song vor sich hin wippt. Das schwel­gen­de „Auro­ra“, nach Ansicht der Band einer der bes­ten Songs, den sie je auf­ge­nom­men haben. Das trau­rig schun­keln­de „Ain’t It The Life“, der sich lang­sam auf­rich­ten­de Abschluss­song „M.I.A.“ und natür­lich „Learn To Fly“, „Break Out“ und immer wie­der „Next Year“.

Der Song ist so unty­pisch für die Foo Figh­ters, dass er auf dem ers­ten „Best Of“ nicht ent­hal­ten ist, obwohl er als Sin­gle ver­öf­fent­licht wur­de. Musik­jour­na­lis­ten haben ihn mal als den einen Brit­pop-Song im Gesamt­werk der Band beschrie­ben und tat­säch­lich hat er eine gewis­se Ähn­lich­keit mit „Wha­te­ver“ von Oasis. Noch heu­te hüpft mein Herz jedes Mal, wenn der Song auf dem Album bei 3:48 Minu­ten eigent­lich schon zu Ende ist, aber mit dem zweit­größ­ten Drum-Break nach „In The Air Tonight“ zur Ehren­run­de ansetzt.

Als in den Mor­gen­stun­den des 26. März 2022 die Nach­richt kam, dass Tay­lor Haw­kins im Alter von nur 50 Jah­ren gestor­ben war, fühl­te es sich an, als wäre jemand aus mei­nem Umfeld gestor­ben – nicht unbe­dingt ein Freund, aber jemand, den ich vom Sehen kann­te, den ich von Anfang an moch­te und mit dem ich immer mal ein Bier hät­te trin­ken wol­len. Natür­lich ging ich als ers­tes ins Wohn­zim­mer und dreh­te die Anla­ge laut auf. Und natür­lich war das Album, das ich hör­te, „The­re Is Not­hing Left To Lose“.

Foo Figh­ters – The­re Is Not­hing Left To Lose
(Ros­well Records/​RCA, 2. Novem­ber 1999)
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Leben Gesellschaft

Fakin’ It

In der aktu­el­len Debat­te um aka­de­mi­sche und wis­sen­schaft­li­che Ehre ist mir eine Geschich­te wie­der in den Sinn gekom­men, die sich vor eini­ger Zeit an mei­nem ehe­ma­li­gen Gym­na­si­um ereig­net haben soll und an deren Wahr­heits­ge­halt ich kei­nen Grund zu Zwei­feln habe:

In einem Eng­lisch-LK war eine Schü­le­rin am Tag der Klau­sur krank gewe­sen und muss­te die­se nach­schrei­ben. Wie all­ge­mein üblich wur­de sie dafür allei­ne in einen unge­nutz­ten Raum (ich glau­be, es war der Erd­kun­de-Kar­ten­raum) gesetzt, wo ihr die Auf­ga­ben­stel­lun­gen vor­ge­legt wur­den. Ent­ge­gen der übli­chen Vor­ge­hens­wei­se und ver­mut­lich auch ent­ge­gen zahl­rei­cher Vor­schrif­ten gab ihr der Leh­rer exakt die glei­chen Arbeits­an­wei­sun­gen, die er schon dem Rest der Klas­se kurz zuvor bei der „ech­ten“ Klau­sur aus­ge­hän­digt hat­te.

Inter­es­san­ter­wei­se hat­te die Schü­le­rin in ihrem Ruck­sack die bereits kor­ri­gier­te und zurück­ge­ge­be­ne Klau­sur eines Mit­schü­lers, die sie nun über die nächs­ten Stun­den aus­führ­lich abschrieb – ent­ge­gen aller schu­li­schen Regeln und jed­we­der Moral, ver­steht sich.

Theodor-Heuss-Gymnasium

Dem Leh­rer scheint das Kom­plett-Pla­gi­at nicht auf­ge­fal­len zu sein, jeden­falls wer­te­te er die Klau­sur nicht als Täu­schungs­ver­such, son­dern kor­ri­gier­te sie ganz nor­mal. Oder: fast, denn er hat­te die Ori­gi­nal-Arbeit des Schü­lers deut­lich bes­ser (die genau­en Details sind nie­man­dem mehr erin­ner­lich, aber die Rede war von min­des­tens sechs Punk­ten, was zwei Noten ent­sprä­che) bewer­tet als die der Schü­le­rin.

Die Schü­le­rin, die sich die gan­ze Zeit von dem Leh­rer unge­recht behan­delt gefühlt hat­te, konn­te natür­lich nicht zum Rek­tor gehen, um sich über ihre Note zu beschwe­ren. Aber eine bemer­kens­wer­te Geschich­te war es doch.

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Rundfunk Gesellschaft

Vom Fernsehen und der Wirklichkeit

Ges­tern Abend habe ich die drit­te Staf­fel mei­ner neu­en Lieb­lings­se­rie „Skins“ auf DVD zu Ende geguckt (die übri­gens wie­der sehr gut ist). Anschlie­ßend hing ich der nicht gera­de neu­en Fra­ge nach, was eigent­lich eine Fern­seh­se­rie – und sei sie noch so rea­lis­tisch – von der Wirk­lich­keit unter­schei­det.

Ein Schlüs­sel liegt in den Staf­feln, in denen Seri­en aus­ge­strahlt wer­den, und vor allem an deren Fina­len: Lose Enden wer­den zusam­men­ge­fügt, lan­ge auf­ge­stau­te Kon­flik­te end­lich gelöst und am Ende schip­pern die Haupt­fi­gu­ren in den Son­nen­un­ter­gang.1 Pünkt­lich zum Beginn der neu­en Staf­fel gibt es dann neue Kon­flik­te.

Die Wirk­lich­keit kennt natür­lich so etwas ähn­li­ches: Jedes Jahr endet mit einem Weih­nachts­fest, auf das ab dem begin­nen­den Herbst alles hin­steu­ert, und das immer wie­der dafür her­hal­ten muss, einem ansons­ten hin- und her­schlin­gern­den Jahr einen wür­di­gen Abschluss zu geben.2 Schul­jah­re enden auch mit gro­ßen Ereig­nis­sen und gehen danach in eine Aus­zeit, die wir Feri­en nen­nen.3 An die letz­ten Jah­re an mei­nem Gym­na­si­um kann ich mich wegen der kla­ren zeit­li­chen Struk­tur bes­tens erin­nern, wäh­rend ich bei man­chen Ereig­nis­sen in mei­ner Stu­di­en­zeit nicht mal weiß, in wel­chem Jahr sie eigent­lich statt­ge­fun­den haben.

Und den­noch: Wir kön­nen uns die Wirk­lich­keit durch Zeit­zy­klen zu struk­tu­rie­ren ver­su­chen, aber sie fin­det doch unab­hän­gig von der­ar­ti­gen Dra­ma­tur­gien statt. Die Welt dreht sich wei­ter, egal ob jemand stirbt und jemand anders nicht über die­sen Ver­lust hin­weg kommt, egal ob jemand um sich schießt oder ein Haus ein­stürzt,4 egal ob man sich trennt oder zusam­men­kommt.5

Es ist die­ses Immer-wei­ter-Gehen, das das Leben von sei­nen media­len Abbil­dun­gen unter­schei­det. Dai­ly Soaps sind – for­mal betrach­tet – daher sehr viel rea­lis­ti­scher als abge­schlos­se­ne Fil­me, weil immer wie­der neue Men­schen hin­zu­kom­men, die vom Schick­sal dahin­ge­rafft wer­den kön­nen.6

Über­haupt, der Rea­lis­mus: Da belä­chelt man die Fami­lie Bei­mer, weil sich die Eltern schei­den las­sen, der eine Sohn zwi­schen­durch Nazi wird und dann eine komi­sche Frau hei­ra­tet, wäh­rend der ande­re auf dem Weg zur neu­en Hoch­zeit sei­ner Mut­ter ums Leben kommt (und das alles innert 20 Jah­ren und mehr) – aber es bedarf nur eines Tele­fo­nats mit der eige­nen Mut­ter, um Geschich­ten aus sei­ner Hei­mat­stadt zu hören, die so absurd und unrea­lis­tisch erschei­nen, dass man einen Autoren geschla­gen hät­te, wenn er damit ange­kom­men wäre.

Wirk­lich­keits­nä­he ist ja sowie­so kein Wert an sich, sonst bräuch­te man ja gar nichts ande­res mehr als ein paar doo­fe Rea­li­ty­shows und die Schil­de­run­gen der Nach­ba­rin aus dem ers­ten Stock. „Skins“ ist ja bei­spiels­wei­se so gut, weil das, was Mil­lio­nen Jugend­li­che jeden Tag erle­ben, sor­tiert, künst­le­risch über­höht und dann von und mit kom­pe­ten­ten Leu­ten gut umge­setzt wur­de. Die Geschich­te eines alten Man­nes, der unbe­dingt einen Fisch fan­gen will, wird ja auch erst span­nend, wenn man sie ordent­lich erzäh­len kann.

  1. Ich sag nur: drit­te Staf­fel „Dawson’s Creek“! []
  2. Und bestehe der nur aus Geschen­ken und Ver­wand­ten­be­su­chen. []
  3. Des­halb haben Jugend­se­ri­en eine dank­ba­re­re und fast immer bes­se­re Dra­ma­tur­gie als Seri­en mit Erwach­se­nen als Haupt­per­so­nen. „Emer­gen­cy Room“ hat sogar mal das Kunst­stück voll­bracht, zum Beginn einer neu­en Staf­fel direkt an den Cliff­han­ger der vor­her­ge­hen­den Fol­ge anzu­schlie­ßen, wäh­rend in der Rah­men­hand­lung meh­re­re Mona­te ver­gan­gen sind. []
  4. Wenn ich mich recht ent­sin­ne wie­der­um „Emer­gen­cy Room“, nicht Deutsch­land im März 2009. []
  5. Eine Bezie­hung ist übri­gens das, was anfängt, wenn im Kino der Abspann läuft oder man das Buch zuschlägt, nach­dem sich die bei­den Lie­ben­den end­lich gefun­den haben. []
  6. Der Regis­seur Niko von Gla­sow hat mir mal erzählt, Dai­ly Soaps sei­en „gute Geschich­ten, nur schei­ße gemacht.“ []
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Leben Gesellschaft

Homegrown Terror

Vor­hin hat­te ich noch zwei Absät­ze über mei­ne Schu­le und die Fol­ge von Amok­läu­fen geschrie­ben.

Was ich nicht ahnen konn­te: Zu die­sem Zeit­punkt war das Theo­dor-Heuss-Gym­na­si­um in Dins­la­ken in hel­ler Auf­re­gung. Im Inter­net (aha!) hat­te jemand mit einem Amok­lauf gedroht – „Wahr­schein­lich ein Nach­ah­mungs­tä­ter“, wie die „Rhei­ni­sche Post“ berich­tet.

Wäh­rend sich bei derwesten.de Kom­men­ta­re besorg­ter Eltern sam­meln, habe ich mei­nen Bru­der Jus­tus, der in die­sem Jahr am THG sein Abitur macht, gebe­ten, mir sei­ne Ein­drü­cke vom Vor­mit­tag zu schil­dern:

Als ich heut mor­gen zur Schu­le lief, war ich spät dran. Von weit weg habe ich zwei Poli­zei­au­tos gese­hen. Erst dach­te ich, die Poli­zei wür­de wie­der armen Schü­lern Geld für das Fah­ren auf der fal­schen Stra­ßen­sei­te abneh­men, aber als ich dann noch 2 Mann­schafts­wa­gen sah dach­te ich mir, es muss was grö­ße­res sein.

Die ers­ten bei­den Stun­den ver­lie­fen nor­mal, nach der 1. gro­ßen Pau­se blie­ben jedoch alle Schü­ler auf dem Schul­hof, da fiel erst auf, dass sich kein Leh­rer auf dem Schul­hof befand. Die­se haben in der Zwi­schen­zeit, im Leh­rer­zim­mer ein­ge­schlos­sen, einen Crash­kurs in Sachen Amok­ver­hal­ten bekom­men. In der Situa­ti­on hat man sich gefragt: „Wenn alle Leh­rer und Poli­zis­ten im Leh­rer­zim­mer sind, wer passt dann hier auf, falls wirk­lich einer Amok lau­fen soll­te?“

Eine hal­be Stun­de spä­ter ging der Unter­richt wei­ter und unser Leh­rer hat uns mit­ge­teilt, dass in einem Chat im Inter­net ein Schü­ler des THGs eine Amok­war­nung geschrie­ben hat. Als Vor­sichts­maß­nah­me sol­len die Türen abge­schlos­sen wer­den und bei einem bestimm­ten Code­wort durch die Laut­spre­cher soll­ten Tische umge­wor­fen wer­den und die Schü­ler sich flach auf den Boden legen.

In der Frei­stun­de danach wur­de bekannt, dass der User­na­me irgend­was mit Mar­cus wäre und jeder Mar­cus der Schu­le ver­hört wur­de. Bei man­chen soll die Poli­zei sogar zuhau­se gewe­sen sein. Als ich mit einem Freund den Schul­hof ver­las­sen woll­te, wur­de uns mit­ge­teilt, dass wir beim Wie­der­be­tre­ten des Schul­hofs unse­ren Aus­weis vor­zei­gen müs­sen. All­ge­mei­ner Unter­richts­schluss war um 13.15 Uhr, damit die Poli­zis­ten Fei­er­abend machen kön­nen. Nächs­ten Mon­tag und Diens­tag soll die Schu­le eben­falls über­wacht wer­den.

Alles in allem waren 2 Motor­rad­po­li­zis­ten im Stadt­park, 2 Mann­schafts­wa­gen, 4 Strei­fen­wa­gen und auch noch ein Zivil­fahr­zeug rund ums Schul­ge­län­de posi­tio­niert.

Wir hat­ten nicht wirk­lich Angst. Eher kamen Scher­ze von allen Sei­ten zu den Mar­kusen unse­rer Schu­le. Kei­ner ist wirk­lich davon aus­ge­gan­gen das was pas­sie­ren wür­de, bis auf ein paar jun­ge Leh­re­rin­nen.

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Digital

Klickbefehl (17)

Der Amok­lauf von Erfurt fand am 26. April 2002 statt, unse­rem aller­letz­ten Schul­tag.1 Ich habe daher nie erfah­ren, wie Schu­len auf sol­che Vor­fäl­le reagie­ren. Wäh­rend einer unse­rer Abi-Klau­su­ren wur­de zwar 200 Meter wei­ter eine Welt­kriegs­bom­be ent­schärft, aber ansons­ten waren wir nur Nor­ma­li­tät gewöhnt.

Ich bin mir sicher, dass mei­ne Schul­zeit anders aus­ge­se­hen hät­te, wenn das alles nicht nach uns pas­siert wäre. Wir waren die Nerds, wir haben „Half Life“ gespielt, Metal oder Punk­rock gehört (auch Pop, aber wen hät­te das inter­es­siert) und gera­de ich hat­te den Ruf, ein biss­chen wahn­sin­nig zu sein.2 Wir waren also komisch – wie alle Teen­ager. Und wir wären poten­ti­ell ver­däch­tig gewe­sen.

Die Muschel­schub­s­er­in hat einen sehr lesens­wer­ten Text dar­über geschrie­ben, wie das so war, als Teen­ager in einer Klein­stadt auf­zu­wach­sen.

Schon damals – in Zei­ten ohne Inter­net, Han­dys und Bal­ler­spie­len – hat nie­mand gemerkt, was wir wirk­lich tun, was uns wirk­lich bedrückt, wie aus­ge­schlos­sen wir uns gefühlt haben, wie sehr uns die Gesell­schaft ins Gesicht gespuckt hat, dass sie mit uns nicht viel anfan­gen kann. Wir alle hat­ten damals einen star­ken Trieb, der sich manch­mal in Aggres­si­vi­tät geäu­ßert hat. Und obwohl wir uns aus­ge­schlos­sen fühl­ten und es gewis­ser­ma­ßen auch waren, wur­den die meis­ten von uns in letz­ter Kon­se­quenz immer auf­ge­fan­gen, unter­stützt, behü­tet. Genau des­halb waren wir trotz allem durch­schnitt­li­che Jugend­li­che, nicht auf­fäl­li­ger als ande­re. Und genau des­halb sind wir heu­te ver­mut­lich alle ganz nor­ma­le Men­schen.

Eini­ges davon ken­ne ich aus eige­ner Erfah­rung, ande­res kann ich zumin­dest gut nach­voll­zie­hen. Und ich glau­be, das kann jeder, der mal jung und nicht Mit­glied der Jun­gen Uni­on war.

Auch John­ny Haeus­ler hat sich bei Spree­blick Gedan­ken dar­über gemacht, wie das eigent­lich so ist, als Jugend­li­cher in Deutsch­land. Wer sich für einen inter­es­siert und wie die Medi­en reagie­ren, wenn dann mal wie­der was pas­siert ist:

Wie laut muss man als Jugend­li­cher eigent­lich sein, um gehört zu wer­den?
Noch lau­ter als eine Beret­ta?

Und weil’s grad zum The­ma Kin­der passt, will ich Ihnen auch noch einen Ein­trag aus dem F.A.Z.-Fernsehblog ans Herz legen.

Dar­in geht es unter ande­rem um eine Mut­ter, die das Fol­gen­de in eine Fern­seh­ka­me­ra sag­te:

Ich ver­steh die Welt nicht mehr. Mei­ne Toch­ter war in der zehn­ten Klas­se, die hat das alles live mit­er­lebt. Die sitzt jetzt zuhau­se, zit­tert und weint. Sie sind aus dem Fens­ter gesprun­gen, sie und ihre Freun­din.

Der Fra­ge, war­um sie es in die­sem Moment für klü­ger hielt, die Welt­öf­fent­lich­keit dar­über zu infor­mie­ren, statt bei ihrer Toch­ter zu sein, möch­te ich mich ger­ne anschlie­ßen.

Auf eine Fra­ge mehr oder weni­ger kommt’s ja auch nicht mehr an.

  1. Am ande­ren Dins­la­ke­ner Gym­na­si­um waren die Abitu­ri­en­ten an die­sem Mor­gen – wenn ich das rich­tig im Kopf habe – mit Was­ser­pis­to­len durch die Klas­sen­räu­me gezo­gen, um ihren letz­ten Schul­tag zu fei­ern. []
  2. Der Ruf war nicht ganz unbe­grün­det. []
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Print Gesellschaft

Das bizarre Massaker der Fehlorientierungen

Mei­ne ers­te „Bra­vo“ las ich im Deutsch­un­ter­richt der ach­ten Klas­se. Nicht heim­lich unter dem Tisch, son­dern auf Geheiß unse­res dama­li­gen Deutsch­leh­rers. Der hielt Deutsch­lands lang­le­bigs­te Jugend­zeit­schrift für ein Super-Bei­spiel, um uns den The­men­kom­plex „Zei­tung“ näher zu brin­gen.1

Ich war damals drei­zehn Jah­re alt und den Inhal­ten der Zeit­schrift noch nicht wirk­lich gewach­sen. Die Unsi­cher­heit, wie man sich ange­sichts von Tex­ten über den vor­zei­ti­gen Samen­er­guss, Pet­ting und die neu­es­te Sin­gle von Worlds Apart ver­hal­ten soll­te, über­gin­gen mei­ne bes­ten Freun­de und ich, indem wir jede ein­zel­ne Sei­te mit viel Auf­wand künst­le­risch ver­schö­ner­ten. Beson­ders die Foto Love Sto­ry hat­te es uns ange­tan.2

Nach der Klas­sen­ar­beit zu die­ser Unter­richts­ein­heit3 war „Bra­vo“ für mich abge­hakt. Aus Spaß an der Freu­de kauf­ten wir uns aller­dings genau ein Jahr spä­ter eine wei­te­re Aus­ga­be, um auch die­se zu ver­schö­nern. Die Fest­stel­lung, dass sich die The­men im Abstand von exakt 52 Wochen wie­der­ho­len4, war mei­ne ers­te Begeg­nung mit dem Medi­en­jour­na­lis­mus.

War­um erzäh­le ich Ihnen den gan­zen Scheiß aus mei­ner noch nicht mal pick­li­gen Puber­tät? Ich bin im Inter­net5 auf eine völ­lig bizar­re Sei­te gesto­ßen, die es in Sachen Wahn locker mit der „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ auf­neh­men kann: „Kin­der in Gefahr“ – eine Akti­on der Deut­sche Ver­ei­ni­gung für eine Christ­li­che Kul­tur (DVCK) e.V.

Neben einer Pro­test­ak­ti­on gegen die „stei­gen­de Anzahl von Ero­tik-Sen­dun­gen“ im ZDF, etli­chen homo­pho­ben Aus­fäl­len und diver­sen wei­te­ren For­de­run­gen, die man allen­falls von den bekannt-durch­ge­knall­ten Eltern­or­ga­ni­sa­tio­nen in den USA erwar­tet hät­te, gibt es dort auch eine Unter­schrif­ten­ak­ti­on zum Ver­bot der „Bra­vo“.

Die­ses „Mas­sa­ker an der Kind­heit“ äußert sich nach Ansicht der Deut­schen Ver­ei­ni­gung für eine Christ­li­che Kul­tur bei­spiels­wei­se in die­sen Aus­prä­gun­gen:

  • Jede Woche wer­den ein Jun­ge und ein Mäd­chen split­ter­nackt abge­bil­det, die dabei über ihre Sexu­al­aben­teu­er berich­ten. So gut, wie in jeder Aus­ga­be wer­den Jugend­li­che beim Geschlechts­ver­kehr gezeigt.
  • In jeder Aus­ga­be gibt es Berich­te über The­men wie „Kama­su­tra“, „Ero­ti­sche Aus­st­rah-lung“, „Oral­sex“ usw. usf., natür­lich mit den dazu­ge­hö­ri­gen Ero­tik- und Nackt­fo­tos, ab-gese­hen von sexu­el­len Per­ver­sio­nen, wie bei­spiels­wei­se Fes­seln und Sado­ma­so-chis­mus.
  • Bizar­res wird als „cool“ und „toll“ dar­ge­stellt, wie bei­spiels­wei­se die „Rock-Par­ty“ der Punk-Grup­pe „Tokio Hotel“, die zu einer Zer­stö­rungs­or­gie wurde.Die Lis­te sol­cher Bei­spie­le könn­te man belie­big erwei­tern.

In einem wei­te­ren Arti­kel erklärt der (für Goog­le qua­si kom­plett unbe­kann­te) Prof. Dr. Die­ter Dahl, war­um die Inter­net­sei­te der „Bra­vo“ zu „see­li­scher Zer­stö­rung, Halt­lo­sig­keit, Fehl­ori­en­tie­run­gen und Sucht“ führt:

Dort wo ein Sex­part­ner nicht zur Hand ist, wird von BRAVO der Solo­sex, d.h. die Selbst­be­frie­di­gung, bebil­dert ein­ge­übt und zwar nach Jun­gen und Mäd­chen getrennt. Natür­lich für jeden ein­seh­bar.

Wenn man sich vor­stellt, wie schwer dem guten Pro­fes­sor das Tip­pen des Wor­tes „Selbst­be­frie­di­gung“ gefal­len sein muss, lässt sich erah­nen, was in ihm vor­ging, als er fol­gen­de Pas­sa­ge schrieb:

Ich fra­ge mich: Kann man sich an ver­ant­wort­li­cher Stel­le nicht vor­stel­len, daß ein Jun­ge sich an die­sen Dar­stel­lun­gen auf­geilt, davon nicht los­kommt, zum Dau­er­kon­su­ment und schließ­lich sex­süch­tig wird? Es ent­ste­hen dann see­li­sche Zer­stö­rung, Halt­lo­sig­keit, Fehl­ori­en­tie­run­gen, nicht zuletzt ande­re Süch­te, vor allem Dro­gen­sucht.

Fra­gen Sie mal die Mut­ter von Pete Doh­erty!

PS: Und wie man dem Hein­rich-Bau­er-Ver­lag eine eige­ne neun Jah­re alte Pres­se­mit­tei­lung im Mund her­um­dreht, kön­nen Sie in einem wei­te­ren Arti­kel lesen.

  1. Gerüch­ten zufol­ge ließ der glei­che Leh­rer in sechs­ten Klas­sen Auf­sät­ze mit dem The­ma „Mein ers­tes Mal“ schrei­ben. Es ist den Anstren­gun­gen unse­res her­zens­gu­ten Klas­sen­leh­rers zu ver­dan­ken, dass wir nur zwei Jah­re mit die­sem Päd­ago­gen zu tun hat­ten, der wenig spä­ter die Schu­le wech­sel­te. Es beun­ru­higt mich ein biss­chen, dass er auch heu­te mit Ende Fünf­zig noch Schü­ler (und vor allem Schü­le­rin­nen) unter­rich­tet. []
  2. Ich hof­fe, ich den­ke dar­an, den gröbs­ten Irr­sinn beim nächs­ten Eltern­be­such mal zu scan­nen. []
  3. Auf­ga­ben­stel­lung: Wahl­wei­se „Schrei­be einen Brief ans Dr.-Sommer-Team aus der Per­spek­ti­ve des Mäd­chens, das in der Foto Love Sto­ry ver­ge­wal­tigt wur­de“ oder „Schrei­be eine Bio­gra­phie über Mel B.“ []
  4. „Skan­dal­vi­deo von The Pro­di­gy“, Vor­zei­ti­ger Samen­er­guss, Mini­pos­ter von Jon Bon Jovi. []
  5. Über eine Goog­le Ad bei bild.de. []
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Was fällt Ihnen alles zum Begriff „Schule“ ein?

Dal­li, Dal­li:

Waffenschein gefällig? Wir führen Dich zu Deinem W-Schein. Besuche uns und schaue das Video! (Google Ad)

[Screen­shot: schulferien.org]

Mit Dank an Oli­ver M. für die Ein­sen­dung.

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Leben Politik

I’m With Stupid

Abizeitungs-Verkauf anno 2002

Ich habe ein NRW-Abi. Das allei­ne ist oft genug Grund für Hohn und Spott, den man sich von Men­schen anhö­ren muss, die in ihrer Schu­le alles, außer Hoch­deutsch gelernt haben.

Das Abitur nord­rhein-west­fä­li­scher Gym­na­si­en hat­te einen Ruf, der nur mar­gi­nal bes­ser ist als der von ukrai­ni­schen Stein­pil­zen in den 1980er Jah­ren oder der von Fran­jo Pooth heu­te. Das lag vor allem an einer desas­trö­sen Schul­po­li­tik, die die SPD über Jahr­zehn­te betrie­ben hat­te – wobei das irgend­wie schon zu akti­visch klingt: die Schul­po­li­tik war eher irgend­wie gesche­hen. Die zur Zeit mei­nes Abitur zustän­di­ge Schul­mi­nis­te­rin Gabrie­le Beh­ler war so unbe­liebt, dass unser Phy­sik­leh­rer bei Ver­su­chen zur Flug­bahn von Dart­pfei­len vor­schlug, die Ziel­schei­be mit einem Foto der Minis­te­rin zu bekle­ben.

Nach­dem man in NRW all­ge­mein zu der Ein­sicht gelangt war, dass die rot-grü­ne Lan­des­re­gie­rung ein kaum repa­rier­ba­res und vor allem nicht zu über­bie­ten­des Desas­ter ange­rich­tet hat­te, ent­schied man sich im Mai 2005 dazu, einer neu­en, schwarz-gel­ben Lan­des­re­gie­rung die Gele­gen­heit zu geben, das Desas­ter eben doch noch zu über­bie­ten. War Ger­hard Schrö­der 1998 mit der Ansa­ge ins Kanz­ler­amt ein­ge­zo­gen, er wer­de nicht alles anders machen, aber vie­les bes­ser, hieß es bei CDU und FDP plötz­lich: alles anders, aber nichts bes­ser.

Da Bun­des­län­der mit Zen­tral­ab­itur bei Tests bedeu­tend bes­ser abge­schnit­ten hat­ten, brauch­te NRW plötz­lich auch eines – und zwar sofort und ohne wei­ter groß dar­über nach­zu­den­ken. Das ers­te Zen­tral­ab­itur im Jahr 2007 litt unter feh­ler­haf­ten Auf­ga­ben­stel­lun­gen und ande­ren „Kin­der­krank­hei­ten“, wie es ger­ne bei schlecht ange­lau­fe­nen Neu­hei­ten heißt. Aber 2008, da soll­te alles bes­ser wer­den (und ver­mut­lich man­ches anders).

Es ist, Sie ent­neh­men es mei­ner umständ­li­chen Anmo­de­ra­ti­on, alles noch viel, viel schlim­mer gekom­men. „Spie­gel Online“ hat die gröbs­ten Schnit­zer in den Fra­ge­stel­lun­gen zusam­men­ge­stellt und berich­tet von einer Schu­le, wo von 84 Abitu­ri­en­ten 74 in die Nach­prü­fung müs­sen. Da ist man wirk­lich froh, wenn man sein Doo­fen-Abi schon hat.

Eine Schü­le­rin aus einem Eng­lisch-LK wird mit den fol­gen­den Wor­ten zitiert:

„Mei­ne Leh­re­rin mein­te, das lie­ge nur dar­an, dass sie die Ant­wor­ten vom Minis­te­ri­um als Vor­la­ge neh­men muss“, sagt Desi­ree, „sonst hät­te ich 13 Punk­te von ihr bekom­men – weil ich einen rich­ti­gen, aber ande­ren Gedan­ken­gang hat­te als das Minis­te­ri­um.“

Und wäh­rend die Lan­des­schü­ler­ver­tre­tung wenigs­tens eine Ent­schul­di­gung von Schul­mi­nis­te­rin Bar­ba­ra Som­mer for­dert, kün­digt die wei­te­re Refor­men an, mit denen sie die Eigen­ver­ant­wor­tung der Schu­len stär­ken will. Dass ich Eigen­ver­ant­wor­tung und Zen­tral­ab­itur für irgend­wie wider­sprüch­li­che Kon­zep­te hal­te, liegt ver­mut­lich an mei­nem NRW-Abitur.

Kom­men wir zum Schluss noch zu mei­ner Lieb­lings­pas­sa­ge aus dem SpOn-Arti­kel, vor deren Lek­tü­re ich Sie aller­dings bit­ten muss, kurz zu über­prü­fen, ob die Tisch­plat­te, in die Sie gleich bei­ßen wer­den, auch ihre eige­ne ist:

Bei einer Päd­ago­gik-Auf­ga­be zu Sig­mund Freud hat­ten die Autoren aus „Gefüh­len, die uns bewusst sind“, ein „unbe­wusst“ gemacht und so den Sinn ins Gegen­teil ver­kehrt. Bar­ba­ra Som­mer: „Rück­mel­dun­gen haben erge­ben, dass vie­le Schü­ler auch schon vor der Kor­rek­tur­mit­tei­lung das ‚un‘ über­le­sen haben und den Satz rich­tig ver­stan­den hat­ten.“

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Musik

Burn & Fade

Nach­dem es in den letz­ten Jah­ren erstaun­lich ruhig zuging, hat sich end­lich mal wie­der eine mei­ner Lieb­lings­bands getrennt. Die­ses Mal: Vega4.

Das konn­te ja auch nicht gut gehen: Schon im Jahr 2001 behäng­te die Musik­pres­se das Quar­tett mit Vor­schuss­lor­bee­ren, die Ver­öf­fent­li­chung der ers­ten EP „Bet­ter Life“ wur­de eini­ger­ma­ßen groß ange­gan­gen. Inter­es­siert hat die Musik zwi­schen U2, Embrace und den frü­hen Radio­head dann aber die wenigs­ten. Mich schon: „Satel­li­tes“ fiel in die extrem prä­gen­de Zeit zwi­schen Abitur und Zivil­dienst, „Radio Song“ war eines die­ser Lie­der, bei denen man schon beim ers­ten Hören weiß, dass sie einen lan­ge beglei­ten wer­den. Dann war lan­ge Stil­le.

2006 kamen Vega4 dann plötz­lich wie­der. Auf ihrer MySpace-Sei­te, wo sie jetzt ihre Auf­lö­sung ver­kün­det haben, stand damals der neue Song „You And Me“. Jack­ni­fe Lee, einer der bes­ten Pro­du­zen­ten die­ser Tage, hat­te der Band den grad­li­ni­gen Rock bei­gebracht und als das Album „You And Others“ end­lich in Eng­land erschien, muss­te ich es natür­lich sofort als Import haben. Es war ein gutes Album, das sich eigent­lich ähn­lich gut hät­te ver­kau­fen müs­sen wie das sehr ähn­li­che „Eyes Open“ von Snow Pat­rol. Aber irgend­wie klapp­te es nicht, trotz des Ein­sat­zes von „Life Is Beau­tiful“ bei „Grey’s Ana­to­my“. Die Band kam auf Tour und spiel­te vor 120 Leu­ten mit einer Inbrunst, als wür­den sie gera­de ein Sta­di­on rocken.

Wie auch immer die eigent­li­chen Beweg­grün­de aus­ge­se­hen haben mögen (die Band hält sich in ihrem … nun ja: pathe­ti­schen State­ment mit Andeu­tun­gen zurück), irgend­wie schie­nen Vega4 immer zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort zu sein. Und mal ehr­lich – im Nach­hin­ein spra­chen die Song­ti­tel doch schon immer Bän­de: So Long Fore­ver, Drif­ting Away Vio­lent­ly, Love Breaks Down, The Love You Had, Burn & Fade, Not­hing Ever Comes Wit­hout A Pri­ce, Tearing Me Apart, Let Go, If This Is It, Boo­me­rang, Time Of Our Lives …

Was bleibt, sind wie­der mal die Songs und Erin­ne­run­gen. Und neu­er­dings auch die You­Tube-Vide­os von den Kon­zer­ten, auf denen man war:

[„Radio Song“, Direkt­link]

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Digital

Für das Leben

Gera­de bei „Spie­gel Online“ gele­sen: Wäh­rend man­che Leh­rer mit erschüt­tern­der Kon­se­quenz und eben­sol­cher Erfolg­lo­sig­keit gegen das Leh­rer-Bewer­tungs­por­tal spickmich.de kla­gen, mel­den sich ande­re ein­fach als Schü­ler dort an und polie­ren die Bewer­tung ihrer Kol­le­gen. Ich bin mir nicht ganz sicher, wel­ches Ver­hal­ten ich kin­di­scher fin­den soll.

Wäh­rend eini­ge mei­ne Uni-Dozen­ten am Ende jedes Semes­ters anony­me Umfra­gen zur Qua­li­tät ihrer Lehr­ver­an­stal­tun­gen durch­füh­ren (inzwi­schen sogar online), bezeich­ne­te Peter Sil­ber­na­gel vom Phi­lo­lo­gen­ver­band die anony­men Bewer­tun­gen bei spickmich.de im letz­ten Som­mer als „eine Form von Feig­heit“. Bei allem Respekt vor dem Leh­rer­be­ruf und grund­sätz­li­cher Ableh­nung von Ver­all­ge­mei­ne­run­gen: Mir fie­len allei­ne aus mei­ner Schul­lauf­bahn zehn Leh­rer ein, die auf eine un-anony­me, also offe­ne Kri­tik an ihrem Unter­richt mit deut­lich ver­än­der­ter Beno­tung des ent­spre­chen­den Schü­lers reagiert hät­ten oder haben.

Die pau­scha­li­sier­te Kri­tik am Berufs­stand Leh­rer hat, so berech­tigt sie in vie­len Ein­zel­fäl­len auch sein mag, vie­le Leh­rer in eine Posi­ti­on gedrängt, in der sie jede Äuße­rung von Kri­tik als unge­recht­fer­tigt und sich selbst als feh­ler­frei anse­hen. Dies sind häu­fig genug die Kol­le­gen, die schon ein biss­chen zu lan­ge im Dienst sind, deren Pen­sio­nie­rung aber auch noch in wei­te­rer Fer­ne liegt. Die „alten Hasen“, die fast alle zeit­gleich mit mei­nem Abitur in Pen­si­on gin­gen, waren hin­ge­gen deut­lich offe­ner für Rück­mel­dun­gen (was viel­leicht dar­an lie­gen kann, dass vie­le von ihnen in den spä­ten 1960er Jah­ren an den Uni­ver­si­tä­ten waren) oder lie­fer­ten gleich kaum Anlass zu Kri­tik. Jun­ge Leh­rer gab es zu unse­rer Schul­zeit kei­ne, aber sie sol­len recht enga­giert sein, habe ich gehört.

Ich wür­de kein Leh­rer sein wol­len. Die Fra­ge habe ich gleich bei mei­ner Ein­schrei­bung ver­neint und seit­dem noch maxi­mal zehn Sekun­den dar­über nach­ge­dacht. Ers­tens bin ich unter­ir­disch schlecht im Erklä­ren, zwei­tens hät­te ich wenig Bock auf ner­ven­de Schü­ler und drit­tens erscheint mir die stän­di­ge Wie­der­ho­lung ähn­li­cher Inhal­te unter immer neu­en Vor­zei­chen dann auch nicht so span­nend. Ent­spre­chend hoch ist mein grund­sätz­li­cher Respekt vor dem Beruf des Leh­rers. Ich habe eini­ge sehr gute Leh­rer erlebt, denen ich viel zu ver­dan­ken habe, aber auch eini­ge sehr, sehr schlech­te. Wenn man sich die Lis­te mei­ner Deutsch- und Eng­lisch­leh­rer so ansieht, geht es wohl als mit­tel­schwe­res Wun­der durch, dass ich mich ernst­haft für ein Ger­ma­nis­tik- und Anglis­tik­stu­di­um ent­schie­den habe. Nahe­lie­gend wären Geschich­te und Erd­kun­de (das es aber in der Form lei­der nicht als Stu­di­en­fach gibt) gewe­sen.

Wir hät­ten uns damals gefreut, wenn wir unse­re Leh­rer auf einer Platt­form wie spickmich.de hät­ten bewer­ten kön­nen und wenn die­se sich die Bewer­tun­gen auch ange­se­hen und zu Her­zen genom­men hät­ten. Ich den­ke, dass Schü­ler durch­aus in der Lage sind, die Qua­li­tät des Unter­richts und das Ver­hal­ten eines Leh­rers gut zu beur­tei­len. Wenn ich mir die Leh­rer­be­wer­tun­gen für mein altes Gym­na­si­um bei spickmich.de so anse­he (bzw. den Teil der Leh­rer, die ich noch ken­ne), so zeigt sich mir ein rea­lis­ti­sches Bild. Und was spricht dage­gen, die Arbeit von Men­schen, die jeden Tag ande­re beur­tei­len sol­len, deren letz­te eige­ne Beur­tei­lung aber in den letz­ten Tagen ihres Stu­di­ums statt­fand, mit schlich­ten Zah­len­wer­ten zu beur­tei­len? Das ist kei­ne „Feig­heit“, son­dern Kon­se­quenz.

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Digital Rundfunk

Wer hat’s erfunden?

Mit der kalen­da­ri­schen Regel­mä­ßig­keit von Weih­nach­ten und Ostern kommt ein jour­na­lis­ti­sches Sub­gen­re daher, das ähn­lich strik­ten Regeln folgt wie die Ech­ter­na­cher Spring­pro­zes­si­on: die Com­pu­ter­spiel-Repor­ta­ge.

Was bis­her die wenigs­ten wuss­ten: Die­ses Gen­re wur­de von mei­nen drei bes­ten Freun­den und mir erfun­den, an einem Sams­tag­vor­mit­tag im Jahr 2000, als wir für den Deutsch-Unter­richt „etwas über Jugend­kul­tur“ machen soll­ten.

Wir kön­nen es sogar bewei­sen:

(Direkt­link zu You­Tube)

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Leben Gesellschaft

Ein Rauch von Nichts

Seit Jah­ren ver­su­che ich, mit dem Rau­chen anzu­fan­gen, aber ich schaf­fe es ein­fach nicht. Es könn­te dar­an lie­gen, dass ich weder Ziga­ret­ten noch Feu­er­zeu­ge besit­ze und die Momen­te, in denen ich irgend­wo ste­he und mir den­ke, ich müss­te jetzt drin­gend „eine qual­men“, somit unge­nutzt ver­strei­chen.

Eigent­lich will ich über­haupt nicht rau­chen. Das wäre auch absurd: Mei­ne Eltern rau­chen nicht, von mei­nen Freun­den in der Schu­le hat nie­mand geraucht und wenn die Bou­le­vard­jour­na­lis­ten auf der Suche nach jeman­dem wären, der auch in den tiefs­ten Momen­ten der Puber­tät nie auch nur ein­mal an einer Ziga­ret­te gezo­gen hat, dann wären sie bei mir an der rich­ti­gen Adres­se. Aber Bou­le­vard­jour­na­lis­ten sind wohl eher auf der Suche nach Kin­dern, die mit zwölf Jah­ren ihre ers­te Alko­hol­ver­gif­tung hat­ten und mit 14 die Kat­ze der Nach­bars­toch­ter getö­tet haben. Nach­dem sie die Nach­bars­toch­ter geschwän­gert haben.

Jeden­falls kann­te ich bis zu mei­nem zwei­und­zwan­zigs­ten Lebens­jahr qua­si kei­ne Rau­cher und hat­te auch nie das Bedürf­nis, selbst einer zu wer­den. Als unser Eng­lisch­leh­rer in der zehn­ten Klas­se meh­re­re Stun­den damit füll­te, uns auf Deutsch vor­zu­rech­nen, wie viel Geld wir spa­ren könn­ten, wenn wir es nicht für Ziga­ret­ten aus­gä­ben, son­dern zur Bank bräch­ten, inter­es­sier­te mich das nicht: Mein Taschen­geld ging für CDs und Musik­ma­ga­zi­ne raus, da war an Rauch­wa­ren und Spar­kon­ten nicht zu den­ken.1

Eigent­lich gibt es kei­ne Argu­men­te für das Rau­chen: Es ist die ein­zi­ge Dro­ge, die kei­nen Rausch ver­ur­sacht, den Kör­per aber trotz­dem schä­digt; es ist jetzt noch teu­rer als schon zu mei­nen Schul­zei­ten und es stinkt ekel­haft. War­um habe ich also Tage, an denen ich den­ke, ich müss­te jetzt drin­gend rau­chen? Viel­leicht, weil es immer noch als Rock’n’Roll-Ges­te gilt? Oder weil ich das Gefühl habe, irgend­was mit mei­nen Hän­den und Lip­pen tun zu müs­sen, und ich nicht schon wie­der zum Lip­pen­pfle­ge­stift grei­fen kann, weil die Umste­hen­den dann (nicht ganz zu Unrecht) glau­ben, ich sei von dem Ding kör­per­lich abhän­gig?

Ich wet­te, ich wäre einer die­ser Men­schen, bei denen Rau­chen auch noch gänz­lich uncool aus­sieht. Die ers­ten zehn, zwölf Stan­gen wür­de ich eh in einem alten Bun­ker im Wald rau­chen müs­sen, damit mich kei­ner beim Hus­ten und Schleim aus­wür­gen beob­ach­ten kann. Ich müss­te mei­ne Kla­mot­ten jeden Abend auf den Bal­kon hän­gen, müss­te aber im Gegen­zug nicht mehr vor dem Waschen über­le­gen, ob ich in den nächs­ten Tagen noch weg­ge­hen will, weil sowie­so alle mei­ne Klei­dungs­stü­cke ganz grau­en­haft röchen. Das ist auch der Grund, wes­halb ich Rau­cher für ver­ant­wor­tungs­lo­ser hal­te als bei­spiels­wei­se Hero­in­jun­kies: Der Jun­kie setzt sich in einer dunk­len Ecke sei­nen Schuss und riecht viel­leicht unge­wa­schen, mit einer Hand­voll Rau­chern im Raum rie­chen danach alle unge­wa­schen. Ein Bier­trin­ker, der einer ande­ren Per­son ver­se­hent­lich ein hal­bes Glas Bier übers Hemd schüt­tet, müss­te sich danach wer-weiß-was anhö­ren und die Rei­ni­gung bezah­len. Ein Rau­cher allei­ne ist nicht wei­ter schlimm, in der Grup­pe ver­dre­cken sie aber allen Leu­ten in ihrer Umge­bung die Klei­dung, erhö­hen deren Chan­cen, an Krebs zu erkran­ken, und zah­len nie­man­dem die Rei­ni­gung. „Selbst­mord­at­ten­tä­ter“, nennt Vol­ker Pis­pers die­se Leu­te, die sich selbst töten und dabei noch so vie­le Unschul­di­ge wie mög­lich mit­neh­men.

Obwohl ich das Rau­chen aus den oben genann­ten Grün­den has­se und auch ger­ne lebens­lan­ges Bahn­ver­bot für die Men­schen for­de­re, die auf den Toi­let­ten ansons­ten rauch­frei­er Züge ihrer Sucht frö­nen, fin­de ich Nicht­rau­cher oft genug noch uner­träg­li­cher: Wer schon laut und affek­tiert hus­tet, wenn sich jemand knapp inner­halb sei­ner Sicht­wei­te eine Ziga­ret­te ansteckt, hat ver­mut­lich ande­re Pro­ble­me als den nahen­den Tod durch Pas­siv­rau­chen. Auch in die­sen Momen­ten ärge­re ich mich, dass ich nicht rau­che.

Ich freue mich auf das Rauch­ver­bot, das ab 1. Janu­ar auch in NRW gel­ten soll. Es wird merk­wür­dig sein, in mei­ner Dins­la­ke­ner Stamm­knei­pe, die außer von mei­nem Freun­des­kreis haupt­säch­lich von älte­ren Her­ren und Stamm­tisch­brü­dern bevöl­kert wird, vom hin­ters­ten Tisch aus noch die The­ke sehen zu kön­nen. Ich hof­fe, dass die Gäs­te mit ihrer Sucht umzu­ge­hen ler­nen und dem Wirt kein finan­zi­el­ler Nach­teil ent­steht. Ein Freund aus Baden-Würt­tem­berg berich­te­te mir kürz­lich, dass es in den dor­ti­gen Clubs und Dis­co­the­ken immer grau­en­haft nach Schweiß und Bier stin­ke, seit dort nicht mehr geraucht wer­den darf. Das wäre in der Tat ein unschö­ner Neben­ef­fekt. Zu Beginn die­ses Jahr­zehnts war ein nach Melo­ne duf­ten­des Par­füm sehr in Mode, das mich auch heu­te immer noch ver­zückt, wenn ich es an jun­gen Damen rie­che. Ich wür­de mir vom Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um wün­schen, dass die­ses Par­füm kos­ten­los an die Bevöl­ke­rung aus­ge­ge­ben wird, bis uns eine ande­re Lösung ein­ge­fal­len ist.

1 An Spar­kon­ten ist auch heu­te noch nicht zu den­ken, wie mein Anla­ge­be­ra­ter neu­lich erst wie­der fest­stell­te.