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Leben Unterwegs

Der Weg ist das Ziel

Arnhem Central

Ich war ja in Ams­ter­dam. Das Hin­kom­men war aller­dings ein biss­chen kniff­lig, das Weg­kom­men noch mehr.

Und das kam so:

Am Mitt­woch, 23. Juli Uhr bestieg ich um 09:35 Uhr in Ober­hau­sen den ICE Inter­na­tio­nal 226 nach Ams­ter­dam – dort soll­te er aller­dings nie ankom­men, da kurz vor Utrecht allen Fahr­gäs­ten per Durch­sa­ge mit­ge­teilt wur­de, der Zug wer­de heu­te nur bis Utrecht fah­ren. Etli­che Leu­te muss­ten mit ihrer Arbeit auf­hö­ren, die sie sich für die 110-minü­ti­ge Fahrt vor­ge­nom­men hat­ten (ich nur mit dem Gucken von DVDs), die Fami­lie am Neben­tisch, die sich auf einem Tages­aus­flug nach Ams­ter­dam befand, begann ihr Besuchs­pro­gramm im Geis­te zusam­men­zu­strei­chen. In Utrecht wur­de unser Zug sofort nach Ein­fahrt zu einem ICE nach Frank­furt (Main) umde­kla­riert, der aller­dings auch schon eini­ges an Ver­spä­tung hat­te. Außer­dem hät­te er eigent­lich aus Ams­ter­dam abfah­ren sol­len und eben nicht aus Utrecht. Wir aber stie­gen in einen nie­der­län­di­schen Inter­ci­ty (was unge­fähr unse­ren Regio­nal­ex­pres­sen ent­spricht) und kamen mit etwa 25 Minu­ten Ver­spä­tung in Ams­ter­dam an.

Am Frei­tag, 25. Juli soll­te der ICE Inter­na­tio­nal Rich­tung Frank­furt um 18:34 Uhr in Ams­ter­dam Cen­tr­a­al los­fah­ren. Eine drei­spra­chi­ge Durch­sa­ge infor­mier­te mich und die ande­ren Fahr­gäs­te dar­über, dass der Zug heu­te erst ab Arn­hem fah­ren wer­de – wir mögen bit­te mit dem Inter­ci­ty um 18:22 Uhr bis dort fah­ren. Man mach­te sich Sor­gen, ob wir den ICE denn in Arn­hem über­haupt errei­chen wür­den – erst spät kamen Durch­sa­gen, dass der ICE dort auf uns war­ten wür­de.

Er hät­te nicht war­ten brau­chen, denn wir erreich­ten Arn­hem so, dass ein Wech­sel in den dort für 19:37 Uhr ein­ge­plan­ten ICE pro­blem­los mög­lich gewe­sen wären – allein der ICE war nicht da. Er wen­de gera­de, erklär­te das eben­falls war­ten­de DB-Bord­per­so­nal. Schließ­lich konn­ten wir ihn alle sehen, aber er kam nicht, weil vor­her noch meh­re­re Regio­nal- und Güter­zü­ge den Bahn­steig pas­sie­ren muss­ten. Müt­ter bra­chen vor ihren Fami­li­en in Trä­nen aus, Stu­den­ten mit Inter­rail­ti­ckets (für die es sich offen­bar aus­zahlt, mit den Leh­ren des Zen-Bud­dhis­mus ver­traut zu sein) über­schlu­gen grob, ob sie Salz­burg noch vor der Wie­der­kehr Chris­ti errei­chen wür­den.

Als der Zug schließ­lich ein­fuhr gab es tumult­ar­ti­ge Sze­nen, wie man sie sonst nur aus Zom­bie­fil­men der 1970er Jah­re kennt. Mit vier­zig Minu­ten Ver­spä­tung fuhr der ICE schließ­lich aus Arn­heim los – und kam nach weni­gen Minu­ten wie­der zum Ste­hen. Von den ers­ten vier­zig Minu­ten nach der Abfahrt ver­brach­ten wir ins­ge­samt 24 Minu­ten auf offe­ner Stre­cke ste­hend, weil die lang­sa­men Güter­zü­ge, die wir im Bahn­hof Arn­hem noch hat­ten an uns vor­bei­fah­ren sehen, nun direkt vor unse­rem ICE waren. Ich begann zu ahnen, dass die wirk­lich anspruchs­vol­len Auf­ga­ben der Diplo­ma­tie eher mit grenz­über­grei­fen­dem Schie­nen­ver­kehr zu tun hat­ten und weni­ger mit Atom­bom­ben und Gefan­ge­nen­aus­tau­schen.

In den Durch­sa­gen wur­de den Rei­sen­den vage in Aus­sicht gestellt, dass ihre Anschluss­zü­ge auf sie war­ten könn­ten – was eine völ­li­ge Spren­gung des Fahr­plans in halb Mit­tel­eu­ro­pa zur Fol­ge gehabt hät­te. Auf Deutsch und Hol­län­disch (scha­de für die vie­len Ame­ri­ka­ner) wur­de schließ­lich ange­kün­digt, dass es für jeden Fahr­gast ein kos­ten­lo­ses alko­hol­frei­es Getränk gebe. Bis Ober­hau­sen schaff­te es unser Zug noch auf beein­dru­cken­de 73 Minu­ten Ver­spä­tung – bei 110 Minu­ten geplan­ter Rei­se­zeit, wohl­ge­merkt.

Man muss sich fol­gen­des noch mal vor Augen hal­ten:

  • Der ICE nach Ams­ter­dam fuhr am Mitt­woch Mit­tag nur bis Utrecht.
  • Der ICE aus Ams­ter­dam fuhr am Mitt­woch Mit­tag erst ab Utrecht.
  • Der ICE aus Ams­ter­dam fuhr am Frei­tag Abend erst ab Arn­hem.
  • Der ICE nach Ams­ter­dam fuhr am Frei­tag Abend offen­bar nur bis Arn­hem.

Bei die­ser Sum­me von Ein­zel­fäl­len inner­halb eines sehr über­schau­ba­ren Zeit­rah­mens klopft natür­lich schon die Fra­ge an, ob es eigent­lich eher die Aus­nah­me oder die Regel ist, dass die ICEs auf die­ser Stre­cke bis zu ihrem geplan­ten Ziel bzw. von ihrem geplan­ten Start fah­ren.

Bei der Deut­schen Bahn AG war man bis­her nicht Wil­lens und/​oder in der Lage, mir die­se Fra­ge zu beant­wor­ten hat man aus­führ­lich auf mei­ne Fra­ge geant­wor­tet. Nach­zu­le­sen hier.

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Politik Gesellschaft

Das ist Bahnsinn

Die Gewerk­schaft der Lok­füh­rer (GdL) möch­te von Mitt­woch bis Sams­tag im Güter‑, Nah- und Fern­ver­kehr strei­ken.

Aller­dings droh­te GDL-Chef Schell im Gespräch mit der „Pas­sau­er Neu­en Pres­se“: „Wir kön­nen einen Streik län­ger durch­hal­ten, als es die Bun­des­re­pu­blik ver­kraf­tet“, sag­te er, „und vor allem deut­lich län­ger, als der Bahn­vor­stand dies glaubt“.

Zitat: Welt.de

Äh, okay. Alles klar.

Leu­te, wenn Eure Streik­kas­sen so der­ma­ßen gefüllt sind, dass Ihr schon ver­bal Fuf­fies im Club schmeißt, wie wäre es dann, wenn Ihr ein­fach alle Gewerk­schafts­funk­tio­nä­re wür­det, Euch qua­si selbst durch­füt­tert und die Füh­rer­stän­de für Leu­te räumt, die Spaß am Zug­fah­ren hät­ten?

Viel­leicht könn­te man auch ein­fach in irgend­ei­nem Stadt­thea­ter einen schmu­cken Bal­kon räu­men, Schell und Meh­dorn dort in die Ses­sel tackern und den gan­zen Tag im Kin­der­pro­gramm grum­meln las­sen, wäh­rend Gewerk­schaft und Unter­neh­men von weni­ger dick­köp­fi­gen Men­schen geführt wer­den.

Mit einer Inter­ven­ti­on des Bahn-Eigen­tü­mers (das sind Sie und ich, ver­tre­ten durch die Bun­des­re­gie­rung) ist bis auf wei­te­res übri­gens auch nicht zu rech­nen, denn in Ber­lin hat man gera­de ande­re Sor­gen.

(Höl­le, Höl­le, Höl­le!)

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Leben Gesellschaft

Ein Rauch von Nichts

Seit Jah­ren ver­su­che ich, mit dem Rau­chen anzu­fan­gen, aber ich schaf­fe es ein­fach nicht. Es könn­te dar­an lie­gen, dass ich weder Ziga­ret­ten noch Feu­er­zeu­ge besit­ze und die Momen­te, in denen ich irgend­wo ste­he und mir den­ke, ich müss­te jetzt drin­gend „eine qual­men“, somit unge­nutzt ver­strei­chen.

Eigent­lich will ich über­haupt nicht rau­chen. Das wäre auch absurd: Mei­ne Eltern rau­chen nicht, von mei­nen Freun­den in der Schu­le hat nie­mand geraucht und wenn die Bou­le­vard­jour­na­lis­ten auf der Suche nach jeman­dem wären, der auch in den tiefs­ten Momen­ten der Puber­tät nie auch nur ein­mal an einer Ziga­ret­te gezo­gen hat, dann wären sie bei mir an der rich­ti­gen Adres­se. Aber Bou­le­vard­jour­na­lis­ten sind wohl eher auf der Suche nach Kin­dern, die mit zwölf Jah­ren ihre ers­te Alko­hol­ver­gif­tung hat­ten und mit 14 die Kat­ze der Nach­bars­toch­ter getö­tet haben. Nach­dem sie die Nach­bars­toch­ter geschwän­gert haben.

Jeden­falls kann­te ich bis zu mei­nem zwei­und­zwan­zigs­ten Lebens­jahr qua­si kei­ne Rau­cher und hat­te auch nie das Bedürf­nis, selbst einer zu wer­den. Als unser Eng­lisch­leh­rer in der zehn­ten Klas­se meh­re­re Stun­den damit füll­te, uns auf Deutsch vor­zu­rech­nen, wie viel Geld wir spa­ren könn­ten, wenn wir es nicht für Ziga­ret­ten aus­gä­ben, son­dern zur Bank bräch­ten, inter­es­sier­te mich das nicht: Mein Taschen­geld ging für CDs und Musik­ma­ga­zi­ne raus, da war an Rauch­wa­ren und Spar­kon­ten nicht zu den­ken.1

Eigent­lich gibt es kei­ne Argu­men­te für das Rau­chen: Es ist die ein­zi­ge Dro­ge, die kei­nen Rausch ver­ur­sacht, den Kör­per aber trotz­dem schä­digt; es ist jetzt noch teu­rer als schon zu mei­nen Schul­zei­ten und es stinkt ekel­haft. War­um habe ich also Tage, an denen ich den­ke, ich müss­te jetzt drin­gend rau­chen? Viel­leicht, weil es immer noch als Rock’n’Roll-Ges­te gilt? Oder weil ich das Gefühl habe, irgend­was mit mei­nen Hän­den und Lip­pen tun zu müs­sen, und ich nicht schon wie­der zum Lip­pen­pfle­ge­stift grei­fen kann, weil die Umste­hen­den dann (nicht ganz zu Unrecht) glau­ben, ich sei von dem Ding kör­per­lich abhän­gig?

Ich wet­te, ich wäre einer die­ser Men­schen, bei denen Rau­chen auch noch gänz­lich uncool aus­sieht. Die ers­ten zehn, zwölf Stan­gen wür­de ich eh in einem alten Bun­ker im Wald rau­chen müs­sen, damit mich kei­ner beim Hus­ten und Schleim aus­wür­gen beob­ach­ten kann. Ich müss­te mei­ne Kla­mot­ten jeden Abend auf den Bal­kon hän­gen, müss­te aber im Gegen­zug nicht mehr vor dem Waschen über­le­gen, ob ich in den nächs­ten Tagen noch weg­ge­hen will, weil sowie­so alle mei­ne Klei­dungs­stü­cke ganz grau­en­haft röchen. Das ist auch der Grund, wes­halb ich Rau­cher für ver­ant­wor­tungs­lo­ser hal­te als bei­spiels­wei­se Hero­in­jun­kies: Der Jun­kie setzt sich in einer dunk­len Ecke sei­nen Schuss und riecht viel­leicht unge­wa­schen, mit einer Hand­voll Rau­chern im Raum rie­chen danach alle unge­wa­schen. Ein Bier­trin­ker, der einer ande­ren Per­son ver­se­hent­lich ein hal­bes Glas Bier übers Hemd schüt­tet, müss­te sich danach wer-weiß-was anhö­ren und die Rei­ni­gung bezah­len. Ein Rau­cher allei­ne ist nicht wei­ter schlimm, in der Grup­pe ver­dre­cken sie aber allen Leu­ten in ihrer Umge­bung die Klei­dung, erhö­hen deren Chan­cen, an Krebs zu erkran­ken, und zah­len nie­man­dem die Rei­ni­gung. „Selbst­mord­at­ten­tä­ter“, nennt Vol­ker Pis­pers die­se Leu­te, die sich selbst töten und dabei noch so vie­le Unschul­di­ge wie mög­lich mit­neh­men.

Obwohl ich das Rau­chen aus den oben genann­ten Grün­den has­se und auch ger­ne lebens­lan­ges Bahn­ver­bot für die Men­schen for­de­re, die auf den Toi­let­ten ansons­ten rauch­frei­er Züge ihrer Sucht frö­nen, fin­de ich Nicht­rau­cher oft genug noch uner­träg­li­cher: Wer schon laut und affek­tiert hus­tet, wenn sich jemand knapp inner­halb sei­ner Sicht­wei­te eine Ziga­ret­te ansteckt, hat ver­mut­lich ande­re Pro­ble­me als den nahen­den Tod durch Pas­siv­rau­chen. Auch in die­sen Momen­ten ärge­re ich mich, dass ich nicht rau­che.

Ich freue mich auf das Rauch­ver­bot, das ab 1. Janu­ar auch in NRW gel­ten soll. Es wird merk­wür­dig sein, in mei­ner Dins­la­ke­ner Stamm­knei­pe, die außer von mei­nem Freun­des­kreis haupt­säch­lich von älte­ren Her­ren und Stamm­tisch­brü­dern bevöl­kert wird, vom hin­ters­ten Tisch aus noch die The­ke sehen zu kön­nen. Ich hof­fe, dass die Gäs­te mit ihrer Sucht umzu­ge­hen ler­nen und dem Wirt kein finan­zi­el­ler Nach­teil ent­steht. Ein Freund aus Baden-Würt­tem­berg berich­te­te mir kürz­lich, dass es in den dor­ti­gen Clubs und Dis­co­the­ken immer grau­en­haft nach Schweiß und Bier stin­ke, seit dort nicht mehr geraucht wer­den darf. Das wäre in der Tat ein unschö­ner Neben­ef­fekt. Zu Beginn die­ses Jahr­zehnts war ein nach Melo­ne duf­ten­des Par­füm sehr in Mode, das mich auch heu­te immer noch ver­zückt, wenn ich es an jun­gen Damen rie­che. Ich wür­de mir vom Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um wün­schen, dass die­ses Par­füm kos­ten­los an die Bevöl­ke­rung aus­ge­ge­ben wird, bis uns eine ande­re Lösung ein­ge­fal­len ist.

1 An Spar­kon­ten ist auch heu­te noch nicht zu den­ken, wie mein Anla­ge­be­ra­ter neu­lich erst wie­der fest­stell­te.

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Unterwegs Gesellschaft

Niemand ist ein Berliner

Ich bin zurück in Bochum. Fast wäre das schief gegan­gen, da der ICE aus Ber­lin Rich­tung Ruhr­ge­biet aus zwei Zügen besteht, die in Hamm getrennt wer­den, und ich natür­lich zunächst im fal­schen Zug­teil saß. Ich war aber nicht der Ein­zi­ge, den der Gleis­wech­sel und die ver­än­der­te Abfahrt­zeit am Ber­li­ner Haupt­bahn­hof irri­tiert hat­te: In Span­dau rann­ten gleich drei Leu­te aus dem hin­te­ren Teil nach vor­ne und zwei aus dem vor­de­ren nach hin­ten. Obwohl ich Ber­lin als Stadt eigent­lich nicht so mag, war es doch ein sehr schö­ner Auf­ent­halt. Ich habe lau­ter net­te Leu­te getrof­fen und Kreuz­berg ist nach vier dort ver­brach­ten Aben­den tief in mei­nem Her­zen.

Irri­tiert hat mich der Umstand, dass es in Ber­lin Schu­len und Spiel­plät­ze gibt, habe ich doch bis heu­te aus­schließ­lich Men­schen ken­nen­ge­lernt, die frü­hes­tens zum Stu­di­um nach Ber­lin gekom­men sind. Die Vor­stel­lung, es könn­te Per­so­nen geben, die in Ber­lin gebo­ren wur­den, erscheint mir des­halb hoch­gra­dig abwe­gig. Ande­rer­seits fie­le mir spon­tan auch nie­mand aus mei­nem Umfeld ein, der gebür­ti­ger Bochu­mer wäre.

Was auch mal wie­der über­deut­lich wur­de: Egal, wohin man kommt, man trifft immer jeman­den, der eine per­sön­li­che Dins­la­ken-Geschich­te hat. Chris­toph Schult­heis war als Kind sogar schon mal da und erin­ner­te mich gleich an ein schon lan­ge ver­dräng­tes Dins­la­ken-Detail: Im zen­tra­len Kreis­ver­kehr zwi­schen Stadt­hal­le und Super­markt stand lan­ge Jah­re ein gro­ßer gel­ber Weg­wei­ser, wie man ihn von Land- und Bun­des­stra­ßen kennt, der die Rich­tung und Ent­fer­nung nach Ber­lin angab. In Dins­la­ken, das damals noch nicht mal einen eige­nen Auto­bahn­an­schluss hat­te. Es soll­te wohl ein Sym­bol sein, auf dass man die sei­ner­zeit noch vor­herr­schen­de deut­sche Tei­lung im All­tag nicht ver­ges­se. Das Schild gewor­de­ne Weih­nachts­pa­ket an die Ver­wand­ten „drü­ben“.

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Unterwegs

Wer den Personenschaden hat …

Ges­tern muss­te ich bekannt­lich nach Ber­lin. Ges­tern war aber bekannt­lich auch Lok­füh­rer­streik. Im Nach­hin­ein muss ich sagen: Glück­li­cher­wei­se.

Mei­ne Rei­se wäre das unter­halt­sa­me­re Live­blog gewor­den, denn kaum erreich­te ich den Bochu­mer Haupt­bahn­hof, hör­te ich die Ansa­ge: „Wegen eines Per­so­nen­scha­dens im Raum Duis­burg fährt der ICE nach Ber­lin heu­te nicht über Bochum!“

Kie­fer run­ter, Puls auf 180, Schrei­krämp­fe.

Dann frag­te ich bei einer leicht über­for­der­ten, trotz­dem um Freund­lich­keit bemüh­ten, Bahn-Mit­ar­bei­te­rin nach, wie ich denn jetzt mit mei­nem Zug­ge­bun­de­nen Spar-Ticket nach Ber­lin kom­men sol­le. Sie krit­zel­te irgend­was auf mein Ticket und riet mir, die gleich ein­fah­ren­de S‑Bahn nach Dort­mund zu neh­men und dort auf den ICE zu hof­fen: „Ent­we­der, Sie erwi­schen den über die Wup­per umge­lei­te­ten, den Sie gebucht hat­ten, noch oder Sie fah­ren mit dem von vor einer Stun­de, der ist näm­lich immer noch irgend­wo unter­wegs.“ Das klang ver­trau­ens­er­we­ckend.

Ich fuhr mit der groß­spu­rig als „viel­leicht letz­ten Rei­se­mög­lich­keit nach Dort­mund für ein paar Stun­den“ ange­kün­dig­ten S‑Bahn nach Dort­mund. Die Minu­ten zwi­schen Bochum-Lan­gen­d­re­er-West, Dort­mund-Oespel und Dort­mund Haupt­bahn­hof zogen sich und ich wur­de ruhi­ger und ruhi­ger. Offen­bar hat­te ich mei­nen per­sön­li­chen Tief­punkt schon über­wun­den und befand mich schon in mei­ner Zen-Pha­se – das ging viel zu schnell.

In Dort­mund war der von mir reser­vier­te Zug natür­lich schon weg, aber der davor war immer noch ange­kün­digt. Es gab kos­ten­los Mine­ral­was­ser und Kaf­fee für die weni­gen gestran­de­ten Fahr­gäs­te – denn Dank des Lok­füh­rer­streiks waren so weni­ge Leu­te mit dem Zug unter­wegs, dass der Per­so­nen­un­fall in Duis­burg gar kei­ne so schlim­men Aus­wir­kun­gen auf den Regio­nal­ver­kehr hat­te. Das Cha­os, das an einem nor­ma­len Tag mit dop­pelt so vie­len Zügen und drei­mal so vie­len Rei­sen­den ent­stan­den wäre, hät­te wohl bibli­sche Aus­ma­ße gehabt.

Der ICE nach Ber­lin fuhr mit stol­zen zwei Stun­den Ver­spä­tung ein (ich hing nur eine Stun­de zurück), ich fand einen Sitz­platz, und als der Zug kurz vor Han­no­ver wegen „spie­len­der Kin­der im Gleis­bett“ aber­mals hal­ten muss­te, gab es bei­na­he Sze­nen­ap­plaus der Rei­sen­den.

Ich kam schließ­lich wohl­be­hal­ten in Ber­lin an und habe ges­tern schon jede Men­ge Mul­ti­me­dia­con­tent vor­be­rei­tet, des­sen Ver­öf­fent­li­chung sich auf­grund tech­ni­scher Schwie­rig­kei­ten jedoch bis zu mei­ner Rück­kehr nach Bochum ver­zö­gern wird. Aber ich kann ver­spre­chen behaup­te ein­fach mal, dass es toll wird.

Toll war übri­gens auch der Grund mei­ner Rei­se, die BILD­blog-Lesung mit Char­lot­te Roche. Dazu spä­ter noch viel mehr, für den Moment ver­wei­se ich auf die­se A(u)ktion.

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Lukas und die Lokomotivführer: Liveblog

Extre­me Situa­tio­nen erfor­dern extre­me Mit­tel: Ich muss heu­te Abend in Dins­la­ken auf einer Hoch­zeit tan­zen sein. Im Moment bin ich aber noch in Bochum. Zwi­schen mir und mei­nem Ziel steht also der Lok­füh­rer­streik der Gewerk­schaft von dem Mann mit der Bata-Illic-Mas­ke.

Und weil ich nun mal Bahn­fah­ren muss, dach­te ich mir, ich mache mir den Spaß und blog­ge drü­ber – live und … äh: live halt. Da ich kein blog­fä­hi­ges Mobil­te­le­fon habe, wird mei­ne rei­zen­de Assis­ten­tin Kath­rin mei­ne (ver­mut­lich irgend­wann ver­zwei­fel­ten) Anru­fe, SMSen und Rauch­zei­chen hier für mich nie­der­schrei­ben.

Und jetzt geht’s los …

16:29: Bochum Haupt­bahn­hof: Es ist nicht son­der­lich voll und die Anzei­gen­ta­fel sieht auch nor­mal aus. Die wer­den doch nicht etwa ohne mich strei­ken?

16:35: Sit­ze im fah­ren­den Regio­nal­ex­press nach Düs­sel­dorf. Ent­we­der kam der zu früh oder 59 Minu­ten zu spät.

16:46: Ste­hen seit eini­gen Minu­ten in Wat­ten­scheid, weil uns „schon wie­der“ ein ICE über­holt. Auf dem Gegen­gleis: Der Regio­nal­ex­press nach Min­den. Ent­we­der pünkt­lich oder eine vol­le Stun­de zu spät.

16:55: Essen Haupt­bahn­hof: So sieht kein Frei­tag­nach­mit­tag-Fei­er­abend­ver­kehr aus, es sind kaum Leu­te unter­wegs. Und wir fah­ren wei­ter.

17:11: Duis­burg Haupt­bahn­hof: Hier fällt mehr aus, die weni­gen Rei­sen­den wir­ken lethar­gisch. Mein Regio­nal­ex­press nach Dins­la­ken ist mit 5 Minu­ten Ver­spä­tung ange­schla­gen. Seit wann gibts hier eigent­lich Star­bucks?

17:25: Mein neu­er Freund bei Star­bucks mein­te eben, heu­te mor­gen sei der Laden voll mit Gestran­de­ten gewe­sen. Hof­fent­lich haben die da nicht auch schon ihren neu­en Kol­le­gen ein­ge­ar­bei­tet… Mein Regio­nal­ex­press ist da und und auch nur 5 Minu­ten zu spät.

17:40: Schon in Ober­hau­sen-Hol­ten. Letz­te Chan­ce, mich auf­zu­hal­ten, lie­be GDL!

17:46: Dins­la­ken Bahn­hof. Da brauch ich ja län­ger für den Fuß­weg zu mei­nen Eltern als von Bochum hier­hin. Was für eine Live­blog-Bla­ma­ge!

18:16: Honey, I’m home! Ich, der ich bei jeder zwei­ten Bahn­fahrt einen cho­le­ri­schen Anfall krie­ge, des­sen Züge grund­sätz­lich Ver­spä­tung haben, bin sel­ten ruhi­ger und ent­spann­ter Zug gefah­ren. Wenn ein Streik der Lok­füh­rer so aus­sieht, kön­nen die mei­net­we­gen jetzt jeden Tag strei­ken …

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Unterwegs Gesellschaft

Nicht mehr jung und noch nicht alt

Das Miss­trau­en, das ich gegen jeg­li­che Form von Gene­ra­tio­nen­be­zeich­nung hege, wird nur noch von dem Miss­trau­en über­bo­ten, das ich Leu­ten ent­ge­gen­brin­ge, die von der „Jugend von heu­te“ reden. Per­so­nen, die mir lau­nig erzäh­len wol­len, alle Men­schen mei­ner Alters­stu­fe sei­en bei­spiels­wei­se gemein­schaft­lich unhöf­lich, kann man natür­lich nur schwer mit Argu­men­ten kom­men. Man kann aber (trotz hef­ti­gen Wider­wil­lens) freund­lich zu ihnen sein, was sie im Ide­al­fall ihren ver­all­ge­mei­nern­den Kul­tur­pes­si­mis­mus über­den­ken lässt.

Ich nei­ge dazu, nicht anwe­sen­de Kin­der und Jugend­li­che gegen­über älte­ren Men­schen zu ver­tei­di­gen – weil sie es gera­de selbst nicht kön­nen und weil ich Jugend­li­chen durch­aus noch eine gewis­se Unrei­fe zuge­ste­he, die sich in unser bei­der Inter­es­se am Tage ihres acht­zehn­ten Geburts­tags in Wohl­ge­fal­len auf­lö­sen möge. Und auch wenn ich es natür­lich in kei­ner Wei­se gut­hei­ßen möch­te, dass sich Min­der­jäh­ri­ge in der Öffent­lich­keit bis zur Bewusst­lo­sig­keit betrin­ken und die Fla­schen, aus denen sie ihren bil­li­gen Rausch geso­gen haben, danach auf Rad­we­gen und Wie­sen zer­trüm­mern, bin ich doch zumin­dest mil­de über­rascht über Kom­mu­nen, die Pres­se­mel­dun­gen wie die­se ver­öf­fent­li­chen:

Radfahren ja, Alkohol nein

Nicht nur, dass das Wort „Alko­hohl“ so ziem­lich zum pein­lichs­ten gehö­ren dürf­te, was einer Pres­se­stel­le pas­sie­ren kann: Der gan­ze Beschluss wird natür­lich auch nur dafür sor­gen, dass die Jugend­li­chen ihrem Hob­by nun nicht mehr im Stadt­park, son­dern an ande­ren Orten frö­nen. Und im ange­trun­ke­nen Zustand von der Innen­stadt-Knei­pe nach hau­se zu kom­men, ohne die zen­tra­le Park­an­la­ge zu betre­ten, dürf­te vie­le auch vor logis­ti­sche Schwie­rig­kei­ten stel­len. Ich möch­te dar­über­hin­aus zu einem Ideen­wett­be­werb „Die schöns­ten Unar­ten, die Rück­sicht auf Mit­bür­ger ver­mis­sen las­sen“ auf­ru­fen.

Aber bei allem (mög­li­cher­wei­se reich­lich nai­vem) Ver­trau­en in die Jugend und bei aller Ableh­nung gegen­über den apo­ka­lyp­ti­schen Phan­ta­sien von Men­schen, die Jugend­kul­tur nur vom Weg­drü­cken im Fern­se­hen ken­nen: Die letz­ten Tage haben mich nach­denk­lich zurück­ge­las­sen.

  • Am Frei­tag fuhr ich in einem Regio­nal­ex­press, in dem auch zwei jun­ge Damen von viel­leicht fünf­zehn Len­zen abwech­selnd gemein­sam für MySpace-Pro­fil­fo­tos posier­ten – der einen fiel zwi­schen­durch ihre (beklei­de­te) Ober­wei­te aus dem Hemd – und bil­li­gen Tof­fee-Likör und Schnäp­se in sich hin­ein­schüt­te­ten. Kurz vor dem Duis­bur­ger Haupt­bahn­hof war das eine Gör nach eige­nen Anga­ben so weit, dass sie „gleich kot­zen“ müs­se und ich war froh, als die bei­den aus­stie­gen.
  • Heu­te saß ich in der Bochu­mer U‑Bahn und in der Sitz­grup­pe neben mir saß ein Mäd­chen, das gera­de mit einem Feu­er­zeug dabei war, die Innen­ver­klei­dung des Zugs abzu­fläm­men. Ich glotz­te, sah mich hil­fe­su­chend nach Erwach­se­nen um und begriff dann, dass ich end­lich alt genug war, die Rol­le des son­der­li­chen alten Man­nes zu ein­zu­neh­men: „Was soll das wer­den, wenn’s fer­tig ist?“, frag­te ich denk­bar unau­to­ri­tär. Das Kind setz­te kurz ab und schmor­te dann wei­ter mun­ter vor sich hin. „Kannst Du das bit­te las­sen?“, setz­te ich nach und guck­te unsi­cher, ob die Leu­te schon über mich tuschel­ten. „Mit wem reden Sie?“, mur­mel­te das ver­zo­ge­ne Blag, ohne mich auch nur anzu­se­hen. „Mit Dir“, blaff­te ich zurück, ehe wir bei­de aus­stie­gen. Immer­hin: Genug Auto­ri­tät für ein „Sie“ gestand mir der Satans­bra­ten zu.
  • Als ich dann von der Uni nach Hau­se ging, stan­den an den Müll­con­tai­nern des Nach­bar­hau­ses zwei etwa zwölf­jäh­ri­ge Jun­gen und ein bedeu­tend jün­ge­rer. Die älte­ren hiel­ten Ziga­ret­ten in ihren Hän­den und paff­ten die­se so denk­bar uncool, wie es nur Schü­ler kön­nen, die end­lich mal was ver­bo­te­nes aus­pro­bie­ren wol­len. Ich guck­te kurz, ob sie dem klei­nen Jun­gen („Ja, Kevin, Du darfst raus, aber nimm bit­te den Patrick mit!“) auch eine Ziga­ret­te gege­ben hat­ten. Sie hat­ten nicht und ich schritt fort.

Und jetzt fragt der auf­merk­sa­me Leser: „Wie­so haben Sie denn das unschul­di­ge Mäd­chen, das nur eine Ver­schö­ne­rung der häss­li­chen U‑Bahn vor­neh­men woll­te, so denk­bar schroff behan­delt, nicht aber die bei­den Grup­pen zukünf­ti­ger Rausch­gift­ab­hän­gi­ger?“

„Tja“, wer­de ich ant­wor­ten, „Sach­be­schä­di­gung gehört für mich nicht zu den Din­gen, die man als Jugend­li­cher mal aus­pro­biert haben soll­te, um sei­nen Kör­per bes­ser ken­nen zu ler­nen. Und was mit den Lebern und Lun­gen der ande­ren ist, kann uns in dem Moment doch reich­lich egal sein.“

„Na, das ist aber eine ziem­lich ego­is­ti­sche Ein­stel­lung.“

Stimmt.

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Unterwegs

Es fährt ein Zug nach Irgendwo

Dass es ger­ne mal lus­tig wird, wenn ich mich von A nach B bewe­ge, ist ja schon seit eini­ger Zeit bekannt. So ist es auch eigent­lich nicht wei­ter erstaun­lich, was ich über mei­nen heu­ti­gen Aus­flug mit der Deut­schen Bahn zu berich­ten habe: Nach dem wochen­end­li­chen Auf­ent­halt bei mei­nen Eltern mach­te ich mich auf den Weg nach Bochum, der in die­sem Fall über den Duis­bur­ger Haupt­bahn­hof führt. Der nächs­te Zug Rich­tung Bochum war der NRW-Express nach Hamm, der aus­nahms­wei­se mal die ent­schei­den­den Minu­ten zu spät war, die es mir ermög­li­chen, ihn noch zu erwi­schen.

Auf Gleis 13, von dem die­ser Regio­nal­ex­press abfah­ren soll­te, erschall­te die Durch­sa­ge: „Bit­te beach­ten Sie: wegen einer Betriebs­stö­rung (Bahn­deutsch für: etwas, was wir selbst nicht näher benen­nen kön­nen, und das vor­aus­sicht­lich zwi­schen fünf Minu­ten und sechs Mona­ten anhal­ten wird) auf der Stre­cke fährt die­ser Zug heu­te nicht über Mülheim/​Ruhr, Essen und Bochum. Der nächs­te Halt ist Gel­sen­kir­chen.“
„Nun gut“, dach­te ich, „solang die S‑Bahn fährt, soll mir das ja egal sein. Ist ja sowie­so komisch, dass die Fern­zü­ge an die­sem Wochen­en­de alle wegen Bau­ar­bei­ten umge­lei­tet wer­den, aber die Regio­nal­zü­ge die glei­che Stre­cke benut­zen kön­nen sol­len.“
Ich ging also zum Gleis 9 von (bei der Bahn sagt man: aus) dem die S‑Bahn nach Dort­mund in weni­gen Minu­ten abfah­ren wür­de und war natür­lich nicht allein. Als der NRW-Express schließ­lich ein­fuhr, stürz­ten auch Dut­zen­de Men­schen her­aus und kamen zum S‑Bahn-Gleis, um nach Mülheim/​Ruhr, Essen oder Bochum zu gelan­gen.

Bis hier­hin war die Geschich­te für die ein­zel­nen Betrof­fe­nen natür­lich etwas unbe­quem, aber im Gro­ßen und Gan­zen wohl hin­nehm­bar. Wer weiß, woher die Betriebs­stö­rung kam (sicher nicht vom völ­lig ver­al­te­ten Schie­nen­netz). Aber die Bahn wäre nicht die Bahn, wenn sie sich nicht in die­sem Moment ent­schlos­sen hät­te, ihre zah­len­den Kun­den (vul­go: Fahr­gäs­te) gegen sich auf­zu­brin­gen. Denn als sich die Mas­sen auf Gleis 9 sam­mel­ten, erschall­te auf Gleis 13 die Ansa­ge „Bit­te beach­ten Sie: die­ser Zug ver­kehrt jetzt doch plan­mä­ßig über Mülheim/​Ruhr, Essen und Bochum!“
Es setz­te eine erneu­te Völ­ker­wan­de­rung ein, auf Gleis 13 spiel­ten sich tumult­ar­ti­ge Sze­nen ab und der Bahn­an­ge­stell­te, der am Bahn­steig Wache schob, muss­te meh­re­ren ver­zwei­fel­ten Per­so­nen teils mehr­fach bestä­ti­gen, dass der Zug jetzt doch plan­mä­ßig über Mülheim/​Ruhr, Essen und Bochum ver­keh­re. Ich hader­te noch, stieg dann aber doch ein, fand schnell einen frei­en Platz und wid­me­te mich mei­ner Lek­tü­re, der Zug fuhr als­bald los.

Nach eini­gen Minu­ten der Fahrt knack­te der Laut­spre­cher und der Lok­füh­rer ver­mel­de­te: „Ver­ehr­te Fahr­gäs­te, in weni­gen Minu­ten errei­chen wir außer­plan­mä­ßig Gel­sen­kir­chen Haupt­bahn­hof.“
Gespens­ti­sche Sze­nen spiel­ten sich im Zug ab: Men­schen sahen ein­an­der an, erst fra­gend, dann ver­zwei­felnd. Ohne­hin leid­ge­prüf­te Borus­sia-Mön­chen­glad­bach-Fans schrien ver­är­gert auf und ich lach­te, als habe der Wahn­sinn soeben Besitz von mir ergrif­fen. Aber ich wuss­te ja: die Bahn wäre nicht die Bahn, wenn sie nicht kon­se­quent ihr Ziel ver­fol­gen wür­de, ihre zah­len­den Kun­den (vul­go: Fahr­gäs­te) voll­endes gegen sich auf­zu­brin­gen.

So hiel­ten wir am Gel­sen­kir­che­ner Haupt­bahn­hof, den ich noch gar nicht kann­te und des­halb in den fol­gen­den Minu­ten inter­es­siert durch­streif­te. Ganz frisch zur Fuß­ball-WM reno­viert hat­te er etwas sehr Ber­li­ne­ri­sches, nur dass die meis­ten Geschäf­te und Fress­bu­den um neun Uhr Abends schon geschlos­sen waren. Die Stein­plat­ten, die sei­nen Boden bedeck­ten, sahen dre­ckig aus, obwohl sie es nicht waren. Das erin­ner­te mich an den Küchen­fuß­bo­den bei mei­nen Eltern, den man auch so viel Schrub­ben kann, wie man will. Da es auf den Bahn­stei­gen zog wie Hecht­sup­pe, ver­trieb ich mir die Zeit damit, abwärts fah­ren­de Roll­trep­pen hin­auf­zu­ge­hen, das hält fit. Und noch ein Fakt für die Samm­ler kurio­ser Fak­ten am Ran­de: der Gel­sen­kir­che­ner Haupt­bahn­hof hat sechs Glei­se – 4, 5, 6, 7, 8 und 25.

Schließ­lich fuhr die Nokia-Bahn, die so heißt, weil sie in Bochum-Nokia am Werk eines aus­län­di­schen Mobil­te­le­fon­pro­du­zen­ten hält, ein. Mir wur­de warm ums Herz, denn sie wird vom pri­va­ten Bahn­un­ter­neh­men Arbel­lo betrie­ben und ich wür­de heu­te nicht mehr mit der Deut­schen Bahn fah­ren müs­sen. Ent­spre­chend pünkt­lich kam ich auch in Bochum an, gera­de mal zwan­zig Minu­ten spä­ter als ich es mit der S‑Bahn von Gleis 9 gewe­sen wäre.

Und wer jetzt sagt: „Ganz lus­ti­ge Geschich­te, aber der Schluss ist ja schon ein biss­chen lahm, nech?“, dem ant­wor­te ich: „Das war doch noch gar nicht der Schluss!“
Denn als die Bochu­mer U‑Bahn, die mich nach Hau­se brin­gen soll­te, aus dem Tun­nel fuhr, erzit­ter­te das Land von einem Don­ner und ein Schnee­sturm schlug gegen die Schei­ben. Und so ging ich die let­zen 600 Meter im Schnee­re­gen­ge­stö­ber nach Hau­se und freu­te mich wie ein Kind, als sich mei­ne Jeans mit nas­sem, kal­ten Matsch voll­so­gen. Denn ich wuss­te ja: zuhau­se war­tet mei­ne war­me Dusche und alles wür­de gut wer­den.