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Politik Gesellschaft

Zigaretten statt Eier

Also, wenn ich das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nichtraucherschutz richtig verstanden habe, lautet es sinngemäß: Wer so einen Wischi-Waschi-Nichtraucherschutz mit Raucherräumen zulässt, muss auch zulassen, dass in Eckkneipen geraucht wird, die kleiner als 75 m2 sind und kein eigenes Essen verkaufen. Aber: Jeder soll wissen, dass auch ein absolutes Rauchverbot mit dem Grundgesetz vereinbar wäre – wenn die Gesetzgeber nur die Eier dazu hätten, es auch einzuführen.

Also eigentlich das Übliche: Win-Win für alle Beteiligten bei gleichzeitiger Schelte unausgegorener Gesetze.

Höre ich Widerspruch von Juristen?

Nachtrag, 16:40 Uhr: Nadja Erb hat für die “Frankfurter Rundschau” eine kluge und besonnene Einschätzung des Urteils geschrieben.

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Leben Gesellschaft

Paradigm City (Eine Odyssee)

Nicht gänzlich überraschend endete vor zwei Wochen auch die letzte aller Übergangsfristen im langsamsten aller Bundesländer – und so trat auch im von kolumbianischen Tabakkartellen kontrollierten Nordrhein-Westfalen das in Kraft, was man leichtfertig “Rauchverbot” nennt. In Bochum, immerhin der Kneipenhauptstadt des Ruhrgebiets, hört man von einzelnen Gaststätten, die sich auch dran halten.

Am vergangenen Wochenende weilte ich zu Verwandtenbesuchen in Dinslaken. Die Stadt krankte schon zu meiner Zeit daran, dass man dort eigentlich nichts anderes tun kann als sich zu betrinken, es aber keine geeigneten Lokalitäten für derartige Pläne gibt. Am Samstagabend hatte ich aber einige liebe Menschen um mich gesammelt und gemeinsam fühlten wir uns unbesiegbar für unser Vorhaben: Jetzt, wo nirgends mehr geraucht werden darf, wollten wir endlich mal eine Kneipentour durch all die Schuppen machen, in die wir uns bisher nicht hineingetraut hatten.

Um den halbherzigen Versuch eines Spannungsaufbaus direkt an dieser Stelle abzuwürgen: wir sind gescheitert. Kläglich. Mit wehenden Segeln, Pauken und Trompeten. Es begann nämlich schon mal damit, dass die Sommerferien keine gute Zeit für Kneipentouren sind. Gut die Hälfte der Gaststätten auf unserer imaginären Liste begrüßte uns mit geschlossenen Rollläden und dem Hinweis auf ausgedehnte Betriebsferien. Immerhin: die Vorstellung, dass sämtliche Altherrenkneipenwirte der Stadt einen gemeinsamen Kegelurlaub verbrachten, die hatte was.

Die nächsten Läden, die wir passierten, waren inzwischen in Raucherclubs umgewandelt worden. Damit schieden sie für unser Vorhaben der rauchfreien Kneipentour natürlich aus und auch sonst werde ich jetzt weder den einen noch den anderen Schuppen jemals von innen zu sehen bekommen – was angesichts dessen, was man schon von außen sehen kann, allerdings aufs Heftigste begrüßt werden muss. Auch auf die Gefahr hin, den Ruf sämtlicher Dinslakener Innenarchitekten für immer zu zerstören: Kneipen, die wie die Gastronomiezeile eines Sonnenstudios aussehen, gehen gar nicht!

Nach zwanzig Minuten Rumgegurke auf nicht ganz verkehrssicheren Fahrrädern durch eine glücklicherweise verkehrsfreie Innenstadt (in der es nach dem Hochklappen der Bürgersteige übrigens nach Pferdemist riecht) blieben noch genau zwei Lokale übrig: die über die Grenzen der Stadt bekannte “Szenekneipe” “Ulcus” und das Lehrer-in-Lederwesten-trinken-Rotwein-Lokal “Zur Adler-Apotheke”.

Der “Ulcus” ist die vermutlich einzige Szenekneipe der Welt, in der junge Menschen beim Weggehen auf ihre eigenen Eltern treffen können, dafür wird Service dort in bester Berliner Szenekneipen-Tradition klein geschrieben (und das nicht nur, weil es sich dabei ursprünglich um ein englisches Wort handelte). In bester Verkennung des Gesetzestextes hatte man dort einen kleinen Nebenraum zur Nichtraucherzone erklärt, was witzigerweise dazu führt, dass man, wenn man in die Nichtraucherzone, auf Toilette oder zur Theke (Sie erinnern sich: Service) will, durch den vollgequalmten Hauptraum muss. Immerhin liegt der Nichtraucherbereich ein bisschen niedriger, so dass der Qualm einigermaßen draußen bleibt – eine Tür oder wenigstens einen Vorhang gibt es nämlich auch nicht. Das Argument, die meisten Gäste wollten ja rauchen, sollte jetzt besser niemand bringen, denn der Nichtraucherraum war voll, während wir im Raucherraum immerhin noch eine halbe Bank hätten besetzen können. Wollten wir aber nicht.

Also die “Apotheke” – wie der Name schon sagt eine alte Apotheke mit einer Inneneinrichtung aus der Kaiserzeit und viel Liebe zum Detail. Dass auch hier im Hauptraum (Theke, Eingang, Durchgang zu den Toiletten) geraucht werden darf und wir auf Anhieb gar keinen Nichtraucherraum erspähen konnten, war uns zu diesem Zeitpunkt egal. Wir hatten Durst und müde Knochen. Wir verbrachten einen netten Abend und die Bedienung war freundlich.

Das mit dem Rauchverbot aber, das scheint in Dinslaken noch in weiter Ferne zu liegen. Vielleicht hätte das Ordnungsamt nicht vorab in der Presse verkünden sollen, dass man eh nicht kontrollieren werde …

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Digital

Klickbefehl (7)

In Sachen Nokia läuft gerade ein Fass über. Und die Verantwortlichen in der Politik – allen voran der Ministerpräsident Rüttgers – täten gut daran, jetzt kein Öl mehr ins Feuer zu gießen.

Nach der Ankündigung von Nokia, das Werk in Bochum dicht zu machen, überbieten sich die Politiker in Populismus. Djure von “blog.50hz.de” tritt einen Schritt zurück und nennt das Verhalten von Nokia “konsequent”.

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Während hierzulande Nikotinfreunde unter dem Kneipen-Rauchverbot ächzen, greifen kalifornische Behörden richtig hart durch. Die Kleinstadt Calabasas sollen in Zukunft qualmfrei sein – auch in den eigenen vier Wänden.

“Spiegel Online” berichtet über das geplante Rauchverbot in Mietwohnungen in Calabasas, CA (“LA Daily News” zum selben Thema).

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Heute bange ich um das Leben jedes Opas, der in der Tram die Augen rollt, wenn eine Clique 15-Jähriger die Belastbarkeit der Scheiben mit Schlagringen testet. Das Entrüstungspotential älterer Menschen wird ja immer mehr zum Sicherheitsrisiko im öffentlichen Raum. Ich greife dann sofort ein und verwickle den sich in Rage denkenden Mittsiebziger in ein Gespräch über Stauffenberg, die Wehrmacht oder die Segnungen von Essen auf Rädern.

Daniel Haas hat bei “Spiegel Online” eine wunderbare … ja, was eigentlich: Polemik, Satire? Er hat jedenfalls einen wunderbaren Text über die aktuell heraufbeschworenen Gefahren in U-Bahnen verfasst.

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„Riechen Sie die U-Bahn?“, frage ich. Wir steigen ein, fahren durch die Problemviertel Berlins. Drei Betrunkene steigen zu, sie haben Bierflaschen in den Händen. Ich habe keinen Augenkontakt mit den Biertrinkern. Frau Zypries auch nicht. Wir sprechen über die Architektur der Großstädte, die auch Gewalt auslöst, über Hochhäuser.

Gonzo-Journalismus bei “Bild.de”: Franz Josef Wagner und Brigitte Zypries fahren U-Bahn. Mit Video!

Passend dazu: “In zehn einfachen Schritten: Schreiben wie Franz Josef Wagner” bei medienlese.com

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When history was written, the final page will say …

Auch deutsche Politiker sagen mitunter merkwürdige Dinge. Aber niemand ist so merkwürdig wie George W. Bush – und niemand nimmt das besser auseinander als die eine “Daily Show”.

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„Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ wirkt eigentlich vergleichsweise ungefährlich gegenüber „Big Brother“ oder vielen Talkshows und Doku-Soaps, weil die Teilnehmer keine naiven Laien sind, sondern Profis, die wissen könnten, worauf sie sich einlassen, und Berater an ihrer Seite haben. Doch mit Blick auf Teile des Personals und ihr Verhalten im Dschungel muss man daran zweifeln, ob die Teilnahme für alle rein subjektiv wirklich so freiwillig ist.

Stefan Niggemeier macht sich in der “FAZ” Gedanken darüber, was die Kandidaten zu ihrer Teilnahme bei “Ich bin ein Star, holt mich hier raus” getrieben haben könnte.

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The episode is the latest in which bloggers and others have used the Internet to force Chinese authorities to investigate beatings and other abuses by government officials.

Die Online-Ausgabe der “New York Times” berichtet darüber, wie Blogger in China die genauere Untersuchung eines mysteriösen Todesfalls anstoßen konnten.

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Gesellschaft

Schutzbehauptungen

Rauch (Symbolbild)

In der morgigen “FAZ” findet sich eine Reportage von Judith Lembke, die sich drei Monate nach der Einführung des Rauchverbots in Hessen in Frankfurter Kneipen umgesehen hat.

Auch wenn ich – wie bereits beschrieben – Nichtraucher bin und sehr entschieden etwas dagegen habe, wenn fremde Leute meine Klamotten und meine Gesundheit ruinieren wollen, muss ich doch feststellen, dass das Nichtraucherschutzgesetz offenbar wieder sämtliche Qualitäten der großen Koalition vereint: Am Leben vorbei, übers Ziel hinausschießend, allenfalls zur Hälfte durchdacht und (wie so oft) nicht so ganz mit der Verfassung vereinbar:

Die Lokale, die nur aus einem Schankraum bestehen und keine Möglichkeit haben, besondere Raucherzonen auszuweisen, sind besonders stark vom Gästeschwund betroffen. Da dort ein generelles Rauchverbot herrscht, weichen die rauchenden Gäste auf Kneipen aus, wo sie sich auch weiterhin die Zigarette zum Feierabendbier genehmigen können. Und der Raucher, der seinem Stammlokal die Treue hält, trinkt weniger, weil er zum Rauchen nicht in die Kälte, sondern lieber wieder nach Hause geht.

Es sieht also so aus, dass die Wirte kleiner Eckkneipen, die in einigen Fällen sogar Besitzer der Immobilie sein mögen, ihren Kunden in ihren eigenen vier Wänden das Rauchen verbieten müssen, wenn sie keinen abtrennbaren Nebenraum haben. Und das wollen sich die meisten rauchenden Kunden natürlich nicht antun.

Sicher: Ich würde keine Raucherkneipe aufsuchen, aber das müsste ich ja auch nicht, solange es für mich Nichtraucherkneipen gäbe. Die allerdings hätte es auf freiwilliger Basis schon lange geben können und ich kenne bis heute keine einzige. Und damit befinden wir uns mitten drin in einem Dilemma, das so undurchschaubar scheint, dass ich die Erstellung einer Pro- und Contra-Liste für ein probates Mittel erachte:

Pro Rauchverbot in Kneipen

  • Rauchen ist ungesund. Wenn nur ein Mensch mit dem Rauchen aufhört, weil er sich den Gang vor die Tür nicht mehr antun will, ist das ein Gewinn. Auch für die Krankenkassen, deren Finanzierung immerhin auch durch Nichtraucher erfolgt.
  • Die Mitarbeiter müssen geschützt werden. In Deutschland gibt es Vorschriften zur Größe von Schreibtischen und der Beleuchtung in Büros, da erscheint es dringend angezeigt, Angestellte endlich vor den Gefahren des Passivrauchens zu schützen.
  • Wo geraucht wird, muss häufiger renoviert werden. In Extremfällen kann auch der Wert der Immobilie sinken. Rauchen ist also eigentlich unverantwortlich, wenn es nicht in den (im juristischen Sinne) eigenen vier Wänden passiert. Rauchverbote wären demnach auch in Mietwohnungen und Raucherzimmern in gemieteten Gaststätten erforderlich.
  • Es hat bisher kaum Nichtraucherkneipen auf freiwilliger Basis gegeben – und das, obwohl der Markt mit Sicherheit da wäre. Wenn sich der Markt nicht mehr selbst regulieren kann, sollte der Staat über eine Intervention nachdenken.

Contra generelles Rauchverbot

  • Jeder erwachsene Mensch sollte selbst entscheiden können, was er mit seinem Körper macht: Marathon laufen, Pulsadern aufschneiden, Bart wachsen lassen, rauchen, trinken, Drogen nehmen. Ich hielte eine unaufgeregte Grundsatzdiskussion über die völlige Legalisierung aller berauschenden Stoffe für begrüßenswert, bin mir aber sicher, sie zeitlebens und hierzulande nicht mehr zu erleben.
  • In den meisten Eckkneipen bedienen ein Besitzer und ein, zwei Angestellte, die nicht selten zur Familie des Besitzers gehören. Einer persönlichen Erhebung nach würde ich sagen, dass sämtliche (dauerhaften) Bedienungen in solchen Kneipen selbst rauchen.
  • Es grenzt das Recht auf Berufsfreiheit ein, wenn Gastwirte per Gesetz zu Nichtrauchergastwirten gemacht werden. Möglicherweise verstößt es sogar wirklich gegen das Grundgesetz. Wer entscheiden darf, wie seine Kneipe aussieht, welches Bier dort ausgeschenkt wird ((Für mich auch ein wichtiges Ausschlusskriterium. Besonders in Bochum.)) und welche Musik dort läuft, sollte auch entscheiden dürfen, was darin im Rahmen der gesetzlichen Grenzen – wobei ich das Nichtraucherschutzgesetz natürlich ausgeklammert wissen will – erlaubt ist und was nicht. Hätte ich eine Kneipe, gäbe es dort keine “Gold”-Biere und keine Musik von Bryan Adams oder Revolverheld.
  • Wenn die Nichtraucher nicht Willens oder in der Lage waren, sämtliche Gaststätten, in denen geraucht wurde, zu boykottieren (und dem Wirt das auch mitzuteilen), müssen sie sich die Frage gefallen lassen, wie wichtig ihnen ihr Anliegen war. Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden und man kann es nie allen recht machen, wie meine Großmutter schon immer sagte.
  • Im Gegensatz zu Zügen, Behörden, Konzerthallen und Kinos kann man sich seine bevorzugte Gaststätte selbst aussuchen. Nichts und niemand zwingt einen ((“zwingen” ist in diesem Fall eher metaphorisch gemeint. Schon das Konzert einer bestimmten Band wäre demnach ein zwingender Grund, eine bestimmte Konzerthalle aufzusuchen, die dann auch bitte rauchfrei sein sollte.)), genau in eine Raucherkneipe zu gehen. 18 Jahre nach der Wiedervereinigung und in Zeiten einer immer weiter auseinander klaffenden sozialen Schere wäre eine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Nachtleben nur konsequent.
  • Rauchende, laut schnatternde Menschen vor einer Kneipe sind schlimmer als rauchende, laut schnatternde Menschen in der gleichen Kneipe – vor allem für die Anwohner. Wer über dem Eingang einer Gaststätte wohnt, wird Dank des Nichtraucherschutzgesetzes sein Fenster in diesem Sommer nachts geschlossen halten müssen.
  • Zahlreiche Wirte wollen ihre Kneipen jetzt zu Vereinsheimen umwidmen und gründen eigens dafür Raucherclubs. Das Letzte, was Deutschland braucht, sind aber noch mehr Vereinsmeier und organisierte Wichtigtuer. Das wird Ihnen jeder Finanzbeamte, der die verdammten Jahresrechnungsberichte kontrollieren muss, bestätigen.

Die höhere Anzahl an Contra-Argumenten legt mir die Vermutung nahe, ich sei eher gegen ein generelles Rauchverbot. Ganz sicher bin ich mir da aber auch nicht. Dafür weiß ich, dass ich jederzeit einen eigenen Debattierclub nur mit mir gründen könnte. Mein Clubhaus wäre selbstverständlich rauchfrei.

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Gesellschaft

Ohne Telefon geht’s schon

Gestern stand ich in einer vollbesetzten U-Bahn (ich wäre ja auch schön blöd, wenn ich in einer leeren U-Bahn stünde) und war dort gezwungen, in einem Maße am Privatleben eines mir völlig unbekannten Menschen teilzunehmen, dass es mir unangenehm war. Er sei kürzlich umgezogen, erfuhr ich, aber die ganzen Klamotten stünden noch im Wohnzimmer, das auch noch nicht tapeziert sei, aber das komme noch alles. Er wisse noch nicht, was er an Silvester mache, Meike und Kai hätten vorgeschlagen, ein Ferienhaus irgendwo an der Ostsee zu mieten und da “mit alle Mann” hinzufahren, aber er sei sich noch nicht sicher, ob die beiden das wirklich organisieren würden und ob er wirklich mitwolle. Jetzt müsse er aber eh erst mal die Zutaten für ein ordentliches Pilzrisotto kaufen, denn gleich bekäme er noch Besuch.

Der junge Mann erzählte diese Sachen nicht mir, er erzählte sie seinem Mobiltelefon – und damit dem gesamten Zug. Wer derart öffentlich lebt, macht sich natürlich keine Gedanken, wenn der Staat seine Telekommunikationsaktivitäten protokollieren lassen und seinen Computer durchsuchen will, dachte ich. Und dann: Telefonieren ist das neue Rauchen.

Diese steile These liegt weniger darin begründet, dass wohl beides ziemliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann, sondern ist historisch belegbar: Zigaretten waren einst ein Statussymbol, eine Requisite von Luxus und Dekadenz. Irgendwann rauchte dann jeder Müllmann und obwohl Rauchen noch lange gesellschaftlich geachtet war, war der Anschein des luxuriösen schnell verschwunden. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die ersten Ärzte und Rechtsanwälte, die C-Netz-Autotelefone in ihren S-Klassen spazieren fuhren. Mir sind Menschen bekannt, die sich auf dem Parkplatz ihres Golfclubs zu ihren Freunden, die solche Autotelefone besaßen, ins Auto setzten und ihren eigenen Anrufbeantworter anriefen und besprachen, nur damit sie mal mit so einem “verrückten neuen Gerät” telefoniert hatten. (Ähnliches ist vielleicht heute wieder bei diesen unsäglichen iPhones zu beobachten.) Irgendwann aber hatte fast jeder so ein “Handy”, gerade von sozial schwächeren Personen heißt es häufiger, dass sie im Besitz gleich mehrerer Mobiltelefone seien. Im vergangenen Jahr war erstmals der Punkt erreicht, wo jeder Mensch in meinem Bekanntenkreis inklusive meiner Großeltern über ein Mobiltelefon verfügte. Inzwischen habe ich tatsächlich wieder Menschen ohne ein solches Gerät kennengelernt und die ersten Freunde haben (noch Telefonlose) Kinder bekommen, so dass die Quote wieder leicht unter hundert Prozent gesunken ist.

Analog zu den Nichtraucherabteilen in Zügen und -zonen in Restaurants gibt es bereits “Ruhewagen” in den ICEs der Deutschen Bahn, in denen das Telefonieren unerwünscht ist, und man hat bereits von “handyfreien” Gaststätten gehört. An vielen Schulen wurden Zigaretten und Mobiltelefone gar gleichzeitig verboten.

Ich erkenne darin eine eindeutige Tendenz, die über kurz oder lang dazu führen wird, dass dem mobilen Telefonieren überall und zu jeder Zeit eines Tages eine ähnliche Opposition gegenüberstehen wird, wie es sie heute bereits bei den militanten Nichtrauchern gibt. Noch wird lediglich getuschelt, wenn in einem Kunstmuseum ein peinlicher polyphoner Klingelton die Stille durchbricht und sich eine Mittfünfzigerin hektisch mit den Worten “Ja, wir sind schon oben. Kommt Ihr nach?” meldet. Aber noch werden auch Raucher noch nicht überall gesellschaftlich ausgegrenzt. Ich bin zuversichtlich, noch den Tag zu erleben, an dem die Staats- und Regierungschefs dieser Welt den “Vertrag zur Ächtung von Mobiltelefonen im öffentlichen Raum” unterzeichnen.

Ich bin übrigens seit dreieinhalb Jahren im Besitz eines Siemens ME45, das früher einem Freund gehörte, und habe die Prepaid-Nummer eines Verwandten übernommen. Mal davon ab, dass die Akku-Leistung langsam nachlässt, bin ich mit dieser Lösung recht zufrieden.

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Leben Gesellschaft

Ein Rauch von Nichts

Seit Jahren versuche ich, mit dem Rauchen anzufangen, aber ich schaffe es einfach nicht. Es könnte daran liegen, dass ich weder Zigaretten noch Feuerzeuge besitze und die Momente, in denen ich irgendwo stehe und mir denke, ich müsste jetzt dringend “eine qualmen”, somit ungenutzt verstreichen.

Eigentlich will ich überhaupt nicht rauchen. Das wäre auch absurd: Meine Eltern rauchen nicht, von meinen Freunden in der Schule hat niemand geraucht und wenn die Boulevardjournalisten auf der Suche nach jemandem wären, der auch in den tiefsten Momenten der Pubertät nie auch nur einmal an einer Zigarette gezogen hat, dann wären sie bei mir an der richtigen Adresse. Aber Boulevardjournalisten sind wohl eher auf der Suche nach Kindern, die mit zwölf Jahren ihre erste Alkoholvergiftung hatten und mit 14 die Katze der Nachbarstochter getötet haben. Nachdem sie die Nachbarstochter geschwängert haben.

Jedenfalls kannte ich bis zu meinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr quasi keine Raucher und hatte auch nie das Bedürfnis, selbst einer zu werden. Als unser Englischlehrer in der zehnten Klasse mehrere Stunden damit füllte, uns auf Deutsch vorzurechnen, wie viel Geld wir sparen könnten, wenn wir es nicht für Zigaretten ausgäben, sondern zur Bank brächten, interessierte mich das nicht: Mein Taschengeld ging für CDs und Musikmagazine raus, da war an Rauchwaren und Sparkonten nicht zu denken.1

Eigentlich gibt es keine Argumente für das Rauchen: Es ist die einzige Droge, die keinen Rausch verursacht, den Körper aber trotzdem schädigt; es ist jetzt noch teurer als schon zu meinen Schulzeiten und es stinkt ekelhaft. Warum habe ich also Tage, an denen ich denke, ich müsste jetzt dringend rauchen? Vielleicht, weil es immer noch als Rock’n’Roll-Geste gilt? Oder weil ich das Gefühl habe, irgendwas mit meinen Händen und Lippen tun zu müssen, und ich nicht schon wieder zum Lippenpflegestift greifen kann, weil die Umstehenden dann (nicht ganz zu Unrecht) glauben, ich sei von dem Ding körperlich abhängig?

Ich wette, ich wäre einer dieser Menschen, bei denen Rauchen auch noch gänzlich uncool aussieht. Die ersten zehn, zwölf Stangen würde ich eh in einem alten Bunker im Wald rauchen müssen, damit mich keiner beim Husten und Schleim auswürgen beobachten kann. Ich müsste meine Klamotten jeden Abend auf den Balkon hängen, müsste aber im Gegenzug nicht mehr vor dem Waschen überlegen, ob ich in den nächsten Tagen noch weggehen will, weil sowieso alle meine Kleidungsstücke ganz grauenhaft röchen. Das ist auch der Grund, weshalb ich Raucher für verantwortungsloser halte als beispielsweise Heroinjunkies: Der Junkie setzt sich in einer dunklen Ecke seinen Schuss und riecht vielleicht ungewaschen, mit einer Handvoll Rauchern im Raum riechen danach alle ungewaschen. Ein Biertrinker, der einer anderen Person versehentlich ein halbes Glas Bier übers Hemd schüttet, müsste sich danach wer-weiß-was anhören und die Reinigung bezahlen. Ein Raucher alleine ist nicht weiter schlimm, in der Gruppe verdrecken sie aber allen Leuten in ihrer Umgebung die Kleidung, erhöhen deren Chancen, an Krebs zu erkranken, und zahlen niemandem die Reinigung. “Selbstmordattentäter”, nennt Volker Pispers diese Leute, die sich selbst töten und dabei noch so viele Unschuldige wie möglich mitnehmen.

Obwohl ich das Rauchen aus den oben genannten Gründen hasse und auch gerne lebenslanges Bahnverbot für die Menschen fordere, die auf den Toiletten ansonsten rauchfreier Züge ihrer Sucht frönen, finde ich Nichtraucher oft genug noch unerträglicher: Wer schon laut und affektiert hustet, wenn sich jemand knapp innerhalb seiner Sichtweite eine Zigarette ansteckt, hat vermutlich andere Probleme als den nahenden Tod durch Passivrauchen. Auch in diesen Momenten ärgere ich mich, dass ich nicht rauche.

Ich freue mich auf das Rauchverbot, das ab 1. Januar auch in NRW gelten soll. Es wird merkwürdig sein, in meiner Dinslakener Stammkneipe, die außer von meinem Freundeskreis hauptsächlich von älteren Herren und Stammtischbrüdern bevölkert wird, vom hintersten Tisch aus noch die Theke sehen zu können. Ich hoffe, dass die Gäste mit ihrer Sucht umzugehen lernen und dem Wirt kein finanzieller Nachteil entsteht. Ein Freund aus Baden-Württemberg berichtete mir kürzlich, dass es in den dortigen Clubs und Discotheken immer grauenhaft nach Schweiß und Bier stinke, seit dort nicht mehr geraucht werden darf. Das wäre in der Tat ein unschöner Nebeneffekt. Zu Beginn dieses Jahrzehnts war ein nach Melone duftendes Parfüm sehr in Mode, das mich auch heute immer noch verzückt, wenn ich es an jungen Damen rieche. Ich würde mir vom Bundesgesundheitsministerium wünschen, dass dieses Parfüm kostenlos an die Bevölkerung ausgegeben wird, bis uns eine andere Lösung eingefallen ist.

1 An Sparkonten ist auch heute noch nicht zu denken, wie mein Anlageberater neulich erst wieder feststellte.

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Leben Unterwegs

Late Night Shopping Revisited

Wenn es irgendwo auf der Welt eine Teststrecke für Stadtmarketingmaßnahmen geben sollte, so liegt sie mit Sicherheit im Ruhrgebiet. Fast jedes Wochenende, so scheint es, wird eine neue Sau durch die Region getrieben, und das Ruhrgebiet dürfte mittlerweile mehr Events als Einwohner haben.

Bochums neueste Errungenschaft ist der “Bochumer Musiksommer”, der am vergangenen Wochenende zum ersten Mal stattfand. Auf zahlreichen Bühnen in der Innenstadt gab es kostenlose Musik vom Polizeichor bis zu Heinz-Rudolf Kunze, von der Elektrolounge an der U-Bahn-Station bis zum Kinderliedersingen. Am Donnerstag spielten Tele ein anderthalbstündiges Gratiskonzert und anders als beim Bochum Total hatte man das Gefühl, dass das Publikum nüchtern und wegen der Band da war. Es ging exakt eine Bierflasche zu Bruch.

Samstag Abend war dann “Moonlight Shopping”, was im Wesentlichen bedeutet, dass sich Gewerkschafter darüber beschwert haben dürften, dass die Geschäfte einmal bis 23 Uhr geöffnet waren. Natürlich auch längst nicht alle Geschäfte – überraschenderweise waren unter denen, die nicht mitmachten, aber viele große Ketten.

Halb zehn Abends ist normalerweise nicht die Zeit, zu der man zum Einkaufen in die Stadt fährt, aber vorgestern war es dann endlich mal so weit. Wir stiegen am Hauptbahnhof aus der U-Bahn und fanden unsere Idee, eine solche Veranstaltung zu besuchen, wunderbar ironisch. Dann stießen wir auf einen Strom von Menschen, die tatsächlich ihren Einkaufsbummel auf den späten Samstagabend verlegt hatten, und ich beschloss, mir den Schriftzug “Irony Is Over” an einem prominenten Platz über meinen Schreibtisch zu hängen.

Aus der Ferne hörte man Underworlds “Born Slippy”, das bald darauf in eine Technoversion des einzigen mir bekannten Liedes mündete, das in Pizzerien, Aussegnungshallen und Boxkampfarenen zum Einsatz kam: “Time To Say Goodbye”. Es dauerte einige Minuten, bis das Lied sein ungewohntes Four-To-The-Floor-Gewand verlassen und sich im Instrument eines einsamen Geigers wieder gesammelt hatte.

Wir gingen weiter in Richtung der Technobeats und – Holla! – die wichtigste Kreuzung der Fußgängerzone war voll mit Menschen, die den Klängen eines DJs lauschten. Nur eine Woche, nachdem die Love Parade im Ruhrgebiet aufgeschlagen war, standen hier junge Menschen, ältere Menschen, Teenager und Anzugträger zwischen Würstchenstand und Bierwagen und es war ganz egal, dass sich einige von ihnen gerade zum ersten Mal in ihrem Leben zu elektronischer Musik bewegten.

Wir gingen in den City Point, die Bochumer Inkarnation jener Einkaufszentren, unter deren Glas-und-Stahl-Dächern die wichtigsten Bekleidungsfachgeschäfte für die jüngere Zielgruppe untergebracht sind. Beim Betreten überlagerten sich kurz der Techno von draußen und “Life Is Life” aus dem zweiten Stock. Jedes Mal, wenn wir ein Geschäft verließen und das nächste betraten, hörten wir kurz die Partymusik von oben, die sich sehr schnell zu “YMCA” steigerte und irgendwann “Movie Star” erreichte. Wir guckten eine Menge Klamotten, ich stellte zu meinem Entsetzen fest, dass die Trends der Saison offenbar V-Ausschnitt und Testbildfarbene T-Shirts heißen und dass es in ganz Bochum, vermutlich gar auf der ganzen Welt, kein mir passendes schwarzes Cordsakko gibt. Ich würde also einen Schneider aufsuchen müssen, um endlich zufrieden zu sein.

Unser Bummel endete, auch um das Gefühl von Großstadt und Event noch ein wenig auszukosten, natürlich bei Starbucks, wobei ich sagen muss, dass eine Hot Chocolate um elf Uhr abends nicht so superfluffig im Magen liegt. Oder ich Getränke zum Gehen einfach nicht vertrage.

An der U-Bahn-Haltestelle rauchten drei dicke Mädchen Zigaretten. Ich wollte sie nicht fragem, ob sie das denn überhaupt noch dürfen.

“Late Night Shopping Revisited” ist die Fortsetzung von “Late Night Shopping” mit anderen Mitteln.

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Politik

Wir sterben lieber eines natürlichen Todes

Vermutlich sind die meisten, die hier mitlesen, zu jung, um damals in den Achtziger dieses Plastikschild mitbekommen zu haben. Man sah darauf einen nordamerikanischen Ureinwohner (vor 20 Jahren noch als “Indianer”, ein paar Jahr zuvor nur als “Winnetou” bekannt), der an einem Lagerfeuer herumwedelte. Damals hielt man das als passendes Motiv für den Spruch “Danke fürs Nichtrauchen. Wir sterben lieber eines natürlichen Todes.” Der eine oder andere Nikotinist dachte sich damals, dass derlei ja geradezu nach einer Verarsche schreie. Denn anstatt wie diese langweiligen Nichtraucher mal eben einen natürlichen Tod hinzulegen, inhaltiert man doch gleich noch mal so genüßlich.

Damals waren die Krankenkassenkassen ja auch noch so etwas ähnliches wie voll. Und das sozialverträgliche Frühableben derer mit den geteerten Lungen nahmen die Rentenkassen noch ohne nennenswertes Husten zur Kenntnis. Diese Zeiten sind vorbei. Und auch die Zeiten, in der sich bundesdeutsche Regierungen nicht entblöden, der Tabaklobby das Wort zu reden und jegliches Tabakwerbe- oder gar Rauchverbot, das man sich in Brüssel ausgedacht hat, geflissentlich zu untergraben. Oder mindestens mit blödsinnigen Klagen auszubremsen.

Längst zeigen die Iren, die Malteser, die Italiener, die Spanier, die Luxemburger, die Belgier und die Franzosen, wie genüßlich man abends wieder in die Kneipe oder den Club gehen kann. Keine Angst mehr vor mutwillig produziertem Feinstaub, keine spontanen Bronchialasthmaattacken mehr beim Betreten einer Tanzlokal-Eckkneipe. Und sogar rosige Aussichten für die Gastwirte wegen steigenden Besucherzahlen. In Deutschland ist das ja immer noch anders. Und wer mit weniger als 1,80m Körpergröße auf eine Stippvisite z.B. ins Kölner Blue Shell geht, sollte die Sauerstoffflasche nicht vergessen, die es zum Überleben brauchen würde.

Doch jetzt zeigt der spontane Aktionismus der Regierung Wirkung. Es ist ja auch erst knapp vier Jahre her, dass die EU wegen jährlich 650.000 Toten und über 100 Milliarden Euro Kosten europaweit eine Richtlinie zum Verbot von Tabakwerbung erlassen hat. Da kam die deutsche Umsetzung im Dezember 2006 wie eine richtig spontane Übersprungshandlung. Und die zeitgleich stattfindende Posse um den nationalen Gesetzentwurf zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz bekam ja eh kaum jemand mit. Ohne sich über eine Regierung schlapp zu lachen, die es nicht blickt, dass sie für den Geltungsbereich gar nicht mehr zuständig ist.

Jetzt kommt es also: das bundesweite Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, Krankenhäusern, Altenheimen, Gaststätten, Kneipen, Discotheken etc. Zum Glück hat sich das Volk aber immer noch genügend Vollpfosten an die jeweilige Macht gewählt, dass die schon wieder Aufweichungen des unvermutet sinnvollen Rauchverbots verlangen. Was einem dann durchaus den Wunsch nahelegt, die Herren Wulff, Rüttgers und Stoiber in der freiwilligen Raucherkneipe ihrer Wahl endzulagern. Die könnten sich dann bitte rasch an das Plastikschild vom Artikeleinstieg erinnern.

Wobei die Diskussion um Rauchverbote ja derzeit längst von der Klimapanik über den Haufen gerannt wurde. Wenn wir eh nur noch zwölf Jahre haben, um den Klimakollaps abzuwenden, haben die Raucher sogar noch einen Grund mehr, rasch auf Nikotinpflaster umzusteigen. Denn wenn die Küsten demnächst eh überflutet werden, reicht das bis dahin eingesparte Feuerzeugbenzin ja vielleicht noch fürs Signalfeuer im Rettungsboot.