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Zigaretten statt Eier

Also, wenn ich das aktu­el­le Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zum Nicht­rau­cher­schutz rich­tig ver­stan­den habe, lau­tet es sinn­ge­mäß: Wer so einen Wischi-Waschi-Nicht­rau­cher­schutz mit Rau­cher­räu­men zulässt, muss auch zulas­sen, dass in Eck­knei­pen geraucht wird, die klei­ner als 75 m2 sind und kein eige­nes Essen ver­kau­fen. Aber: Jeder soll wis­sen, dass auch ein abso­lu­tes Rauch­ver­bot mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar wäre – wenn die Gesetz­ge­ber nur die Eier dazu hät­ten, es auch ein­zu­füh­ren.

Also eigent­lich das Übli­che: Win-Win für alle Betei­lig­ten bei gleich­zei­ti­ger Schel­te unaus­ge­go­re­ner Geset­ze.

Höre ich Wider­spruch von Juris­ten?

Nach­trag, 16:40 Uhr: Nad­ja Erb hat für die „Frank­fur­ter Rund­schau“ eine klu­ge und beson­ne­ne Ein­schät­zung des Urteils geschrie­ben.

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Der Unratskübel auf dem anti-anglistischen Schutzwall

Das Schö­ne an getrof­fe­nen Hun­den ist ja, dass sie durch ihr Bel­len häu­fig schla­fen­de Hun­de wecken. Äh …

Die Wochen­zei­tung „Neue Soli­da­ri­tät“, Zen­tral­or­gan des „Schil­ler-Insti­tuts“ und der „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ (mit der wir uns schon das ein oder ande­re Mal beschäf­tigt haben), ließ sich in ihrer Aus­ga­be vom 30. Janu­ar in einem „Zwi­schen­ruf“ über den WDR und zwei sei­ner Mit­ar­bei­te­rin­nen aus:

Dort [in Köln, Anm. d. Blog­gers] befin­det sich näm­lich der WDR (West­deut­scher Rund­funk), der sich am 24. Janu­ar in sei­nem Radio­pro­gramm WDR5 bemü­ßigt fühl­te, zwan­zig Minu­ten lang einen Unrats­kü­bel über die BüSo, das Schil­ler-Insti­tut und vor allem natür­lich Lyn­don LaRou­che aus­zu­schüt­ten.

Ein Unrats­kü­bel, den man zwan­zig Minu­ten über zwei Orga­ni­sa­tio­nen und einen alten Mann aus­schüt­ten kann, muss natür­lich gewal­tig groß sein. Und was war drin?

Der betref­fen­de Bei­trag, der am 24. Janu­ar in der WDR-5-Sen­dung „Neu­gier genügt“ lief und den man hier nach­hö­ren kann, beschäf­tig­te sich mit dem bis heu­te unge­lös­ten Todes­fall Jere­mi­ah Dug­gan. Der 22-jäh­ri­ge Eng­län­der war in der Nacht zum 27. März 2003 in Wies­ba­den ums Leben gekom­men, nach­dem er kurz zuvor zwei tele­fo­ni­sche Hil­fe­ru­fe an sei­ne Mut­ter in Lon­don abge­setzt hat­te.

Jere­mi­ah hat­te in der Nähe von Wies­ba­den eine Tagung des „Schil­ler-Insti­tuts“ besucht und soll sich dann mit­ten in der Nacht auf einer Schnell­stra­ße vor ein Auto gewor­fen haben. Die deut­schen Behör­den haben den Fall trotz eini­ger Unge­reimt­hei­ten schnell als Selbst­mord abge­hakt und lie­ßen sich weder durch einen Auf­ruf des renom­mier­ten Simon-Wie­sen­thal-Zen­trums (Jere­mi­ah war Jude) noch durch einen Appell von 96 bri­ti­schen Abge­ord­ne­ten zu einer Wie­der­auf­nah­me bewe­gen. Genaue­res zum Fall Jere­mi­ah Dug­gan ent­neh­men Sie bit­te der „taz“, der „Ber­li­ner Zei­tung“, „Tele­po­lis“ oder dem „Dai­ly Tele­graph“, die­sem Bei­trag des Hes­si­schen Rund­funks (von dem ich lei­der nicht weiß, wann und in wel­cher Sen­dung er gelau­fen ist) und der Web­site „Jus­ti­ce For Jere­mi­ah“.

Und damit zurück zum WDR-Bas­hing der „Neu­en Soli­da­ri­tät“:

Allen Erklä­run­gen und Ent­schei­dun­gen der deut­schen Staats­an­walt­schaft, des Frank­fur­ter Ober­lan­des­ge­richts und den mitt­ler­wei­le frei­ge­ge­be­nen Akten der Lon­do­ner Metro­po­li­tan Poli­ce zuwi­der brach­te die Sen­dung, in rei­ße­ri­scher Manier und gegen bes­se­res Wis­sen, die BüSo und das Schil­ler-Insti­tut wie­der in Zusam­men­hang mit die­sem Selbst­mord.

Wer den Bei­trag gehört hat, wird wenig fin­den, was als „rei­ße­risch“ durch­ge­hen könn­te. Auch scheint mir das Haupt­in­ter­es­se der WDR-Autorin auf dem Ver­hal­ten der deut­schen Behör­den zu lie­gen:

Der zustän­di­ge Beam­te der Wies­ba­de­ner Poli­zei erklärt den Dug­gans,
man behand­le den Fall als Selbst­mord. Ein Fremd­ver­schul­den sei aus­zu­schlie­ßen. Eine Ver­si­on, die Hart­mut Fer­se, Pres­se­spre­cher der Wies­ba­de­ner Staats­an­walt­schaft auch mir gegen­über tele­fo­nisch bestä­tigt. Eine von der am Unfall­ort anwe­sen­den Not­ärz­tin emp­foh­le­ne Obduk­ti­on unter­blieb, wie aus den Unter­la­gen her­vor­geht.

Der deut­sche Poli­zei­be­am­te wuss­te offen­bar, dass Jere­mi­ah im Alter von sie­ben Jah­ren nach der Tren­nung sei­ner Eltern bei einer Fami­li­en­be­ra­tung in der Lon­do­ner
Tavi­stock-Kli­nik war, und schloss dar­aus, dass er auch mit 22 noch „Psych­ia­trie-
Pati­ent“ sei.

Im Bei­trag heißt es wei­ter:

O‑Ton Eri­ca Dug­gan: „And then the poli­ce offi­cer said: Lyn­don LaRou­che… And then we asked more ques­ti­ons and he said: No com­ment.“
Autorin: Lyn­don LaRou­che?
Spre­cher: Lyn­don LaRou­che, ame­ri­ka­ni­scher Polit-Akti­vist, der poli­ti­sche und kul­tu­rel­le Orga­ni­sa­tio­nen in den USA und in Euro­pa, auch in Deutsch­land, auf­ge­baut
hat? Lyn­don LaRou­che, heu­te 85 Jah­re alt, in der Ver­gan­gen­heit mehr­mals selbst­er­nann­ter Kan­di­dat für das Amt des Prä­si­den­ten der Ver­ei­nig­ten Staa­ten? Lyn­don LaRou­che, der von ame­ri­ka­ni­schen und deut­schen Jour­na­lis­ten und Sek­ten­ex­per­ten als „Extre­mist“ und „gefähr­li­cher Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker“ bezeich­net wird?
Autorin: Die Eltern Dug­gan for­schen nach und kom­men zu dem Schluß, dass ihr Sohn in die Fän­ge einer Orga­ni­sa­ti­on gera­ten sein muss­te, die etwa der „Spie­gel“ als eine der umstrit­tens­ten „Welt­ver­schwö­rungs­sek­ten“ bezeich­net: in die von Lyn­don LaRou­che. Klar wird ihnen, dass der Schlüs­sel zu all den Ereig­nis­sen dem Anschein nach bei den Orga­ni­sa­to­ren des von Jer­ry besuch­ten Semi­nars lie­gen muss­te.

Angeb­lich habe sogar ein Poli­zei­be­am­ter gesagt:

Wir wol­len kei­ne Ermitt­lun­gen gegen die LaRou­che-Orga­ni­sa­ti­on ein­lei­ten …

Inter­es­san­ter­wei­se wirft „BüSo“ der Autorin des WDR-Bei­trags eine Men­ge, nicht aber Ein­sei­tig­keit vor. Das wäre ja auch etwas lächer­lich, sagt sie doch selbst:

Alle Ver­su­che mei­ner­seits, Stel­lung­nah­men von LaRou­che-Orga­ni­sa­tio­nen zu bekom­men, ver­lau­fen im San­de. Ange­ge­be­ne Tele­fon­num­mern exis­tie­ren nicht oder nicht mehr. Bei einem kur­zen tele­fo­ni­schen Kon­takt mit der Pres­se­agen­tur der Orga­ni­sa­ti­on in Wies­ba­den, wird mir erklärt, mit dem Fall Dug­gan habe man „nichts zu tun.“

Wer sich den­noch für den Stand­punkt von „BüSo“, „Schil­ler-Insti­tut“ und/​oder LaRou­che inter­es­siert, bekommt auf deren Web­site ein paar Infor­ma­tio­nen und einen Auf­satz von Lyn­don LaRou­che aus dem Novem­ber 2006, in dem die­ser inter­es­san­te Schlüs­se zieht:

Lon­do­ner Quel­len, die eng mit US-Vize­prä­si­dent Dick Che­ney und des­sen Ehe­frau Lyn­ne Che­ney ver­bun­den sind, haben erneut eine Pres­se­kam­pa­gne in Gang gesetzt, um eine wie­der­holt dis­kre­di­tier­te Lügen­ge­schich­te hin­sicht­lich der Ursa­chen und Umstän­de des Selbst­mords eines emo­tio­nal gestör­ten jun­gen Bri­ten, Jere­my Dug­gan, wie­der auf­zu­wär­men, der sich, wie der offi­zi­el­le foren­si­sche Bericht zwei­fels­frei ergab, an einer Schnell­stra­ße bei Wies­ba­den mehr­fach gegen vor­bei­fah­ren­de Fahr­zeu­ge gewor­fen hat.

Der Grund für die ursprüng­li­che und nun wie­der­hol­te Ver­brei­tung die­ses Pres­se­schwin­dels war und ist der per­sön­li­che Haß Che­neys und sei­ner Ehe­frau gegen eine Per­son – mich – , die sie wei­ter­hin als beun­ru­hi­gen­den poli­ti­schen Geg­ner betrach­ten, der mit einer füh­ren­den, hoch­ran­gi­gen Frak­ti­on in der Demo­kra­ti­schen Par­tei der USA ver­bun­den ist.

Die Vor­stel­lung, der US-Vize­prä­si­dent habe weni­ge Tage nach der ver­lo­re­nen mid­term elec­tion nichts bes­se­res zu tun, als einem als Witz­fi­gur gel­ten­den Greis schlech­te Schlag­zei­len anzu­hän­gen, ist irgend­wie rüh­rend. In Wahr­heit dürf­te die Geschich­te im Herbst 2006 noch ein­mal durch die Pres­se gegan­gen sein, weil Eri­ca Dug­gan zu die­ser Zeit vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt Beschwer­de ein­ge­reicht, um eine Wie­der­auf­nah­me der Unter­su­chun­gen zu erzwin­gen. Die Ent­schei­dung dazu steht bis heu­te aus.

Doch zurück zur „Neu­en Soli­da­ri­tät“:

War­um, so möch­te man erfah­ren, da es doch kei­ner­lei neue Erkennt­nis­se gibt? Die Ant­wort ist sim­pel, aber fun­da­men­tal, und sie liegt in der Geschich­te des WDR. Die­ser erhielt bekann­ter­ma­ßen sei­ne Lizenz durch die bri­ti­sche Besat­zungs­macht, wor­an er sich immer, wenn es dar­auf ankommt, treu­lich erin­nert hat.

Mit dem WDR hat sich die LaRou­che-Bewe­gung noch nie gut ver­stan­den, wie man z.B. in „Deck­na­me Schil­ler“, einem Buch von Hel­mut Lor­scheid und Leo A. Mül­ler aus dem Jahr 1986 nach­le­sen kann. Damals warf man dem Sen­der zwar noch „Goeb­bels-Metho­den“ vor, aber die Zei­ten ändern sich und so kann sich der West­deut­sche Rund­funk natür­lich auch in einen heim­li­chen Feind­funk ver­wan­delt haben. Dazu muss man wis­sen, dass Lyn­don LaRou­che und sei­ne Anhän­ger bei jeder sich bie­ten­den (also viel mehr: bei jeder) Gele­gen­heit eine bri­ti­sche Ver­schwö­rung ver­mu­ten: Der Bom­ben­an­schlag in Okla­ho­ma City 1995, die ver­such­te Amts­ent­he­bung von Bill Clin­ton, selbst Kom­men­ta­re in kana­di­schen Bou­le­vard­zei­tun­gen sol­len auf das Kon­to „der Bri­ten“ gehen – kein Wun­der, dass LaRou­che „die ame­ri­ka­ni­sche Repu­blik vor der Zer­stö­rung durch ihren Erz­feind, das bri­ti­sche Empire“ bewah­ren will.

Statt also Pro­pa­gan­da für die bösen, bösen Bri­ten zu betrei­ben, so der wei­te­re Tenor in der „Neu­en Soli­da­ri­tät“, hät­te der WDR mal lie­ber über die wirk­lich wich­ti­gen The­men spre­chen sol­len. Natür­lich mit jeman­dem, der sich damit aus­kennt:

Man fra­ge sich doch ein­mal ganz unvor­ein­ge­nom­men: Wäre es im gegen­wär­ti­gen finan­zi­el­len Zusam­men­bruchs­pro­zeß, der spä­tes­tens seit Mon­tag, dem 21. Janu­ar, jedem deut­lich gewor­den ist, nicht „nor­ma­ler“ gewe­sen, wenn der WDR Hel­ga Zepp-LaRou­che ange­ru­fen und sie zu ihren Lösungs­vor­schlä­gen für die Kri­se („Neu­es Bret­ton Woods“, Schutz­wall für das Gemein­wohl) und zu den Initia­ti­ven ihres Man­nes in Ame­ri­ka befragt und dar­über eine Sen­dung gemacht hät­te? Das sind die The­men, die gegen­wär­tig die Men­schen bren­nend inter­es­sie­ren, vor allem, weil die poli­ti­sche Füh­rung offen­bar bis­her kom­plett ver­sagt! Als öffent­lich-recht­li­cher Rund­funk wäre das die Auf­ga­be des WDR, statt die Gel­der der Bür­ger dazu zu ver­geu­den, die ein­zi­ge gegen­wär­tig in Deutsch­land sicht­ba­re Per­sön­lich­keit, die kom­pe­ten­te Initia­ti­ven zum Schutz des Gemein­wohls prä­sen­tiert, anzu­grei­fen. Es sei denn, man fühlt sich ande­rem ver­pflich­tet… und da liegt wohl „der Hase im Pfef­fer“, wie man so schön sagt.

Ein­mal in Rage geschrie­ben macht die stell­ver­tre­ten­de Bun­des­vor­sit­zen­de der „BüSo“, die die­sen „Zwi­schen­ruf“ ver­fasst hat, noch einen etwas wir­ren Schlen­ker zu dem Ver­lag, in dem die Autorin die­ser „Sen­dung“ (da steht wirk­lich Sen­dung in Anfüh­rungs­stri­chen) ihre Bücher ver­öf­fent­licht, und greift dann zum Schlimms­ten: Namens­wit­zen.

Die ver­ant­wort­li­che Redak­teu­rin heißt übri­gens Frau Dreck­mann – kein Kar­ne­vals­scherz.

Eben­falls kein Scherz: Die aus­gie­big zitier­te „Neue Soli­da­ri­tät“ wird bei „Goog­le News“ als Nach­rich­ten­quel­le geführt. Zwei Anfra­gen mei­ner­seits (eine im Janu­ar, eine letz­te Woche), ob man bei Goog­le eigent­lich wis­se, um was für eine Publi­ka­ti­on es sich bei der „Neu­en Soli­da­ri­tät“ han­de­le, sind bis heu­te unbe­ant­wor­tet geblie­ben.

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Du bist Verfassungsbeschwerde

Mehr als 13.000 Bür­ger betei­li­gen sich schon an der Ver­fas­sungs­be­schwer­de gegen das Gesetz zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung. Einer davon bin ich.

Noch bis zum 24. Dezem­ber kann man der Ber­li­ner Kanz­lei Sta­ros­tik sei­ne Voll­macht ertei­len und damit an der „größ­ten Ver­fas­sungs­be­schwer­de aller Zei­ten“ teil­neh­men. Das tut nicht weh und kos­tet nicht mehr als die 55 Cent für die Brief­mar­ke (und Papier, Umschlag und etwas Dru­cker­tin­te).

Wenn vorratsdatenspeicherung.de nicht gera­de down ist (wegen Über­las­tung, wie ich hof­fen will), fin­det man dort das nöti­ge For­mu­lar zum Aus­fül­len und Aus­dru­cken, bei alltagskakophonie.de gibt es eine detail­lier­te Anlei­tung.

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Wähl! Mich! Ab!

Dar­auf muss man erst mal kom­men: 26 Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te der SPD haben dem umstrit­te­nen Gesetz zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung am ver­gan­ge­nen Frei­tag im Bun­des­tag zuge­stimmt und ver­öf­fent­lich­ten hin­ter­her eine Recht­fer­ti­gung (Anla­ge 4), in der sie sinn­ge­mäß schrei­ben, sie fän­den den Gesetz­ent­wurf schon irgend­wie doof, aber nicht so doof wie ande­re schlim­me Din­ge, und über­haupt wer­de das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt das Gesetz ja schon kas­sie­ren, wenn die­ses denn ver­fas­sungs­wid­rig sei.

Oder anders: Die Leu­te, die in Ihrem und mei­nem Namen Geset­ze erlas­sen sol­len (Legis­la­ti­ve), ver­las­sen sich lie­ber auf die Urteils­fä­hig­keit der Leu­te beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (Judi­ka­ti­ve), wenn es dar­um geht, was die Leu­te bei Poli­zei und Geheim­dienst (Exe­ku­ti­ve) so über Sie und mich wis­sen sol­len.

Oder noch anders: 26 SPD-Abge­ord­ne­te haben ein sehr merk­wür­di­ges Ver­ständ­nis unse­res Grund­ge­set­zes und der dar­in ver­an­ker­ten Gewal­ten­tei­lung und geben das auch noch öffent­lich zu!

Das Ver­hal­ten die­ser 26 Män­ner und Frau­en1 ist so absurd, däm­lich, erschüt­ternd und wirr, dass ich lan­ge grü­beln muss­te, bis mir ein eini­ger­ma­ßen schie­fes Bild ein­fiel, um die­sen Irr­sinn in den All­tag zu trans­por­tie­ren. Stel­len Sie sich also vor, der Hand­wer­ker, den Sie mit der Anbrin­gung eines Trep­pen­ge­län­ders beauf­tragt hät­ten, sag­te Ihnen hin­ter­her: „Ja, das kam mir schon ein biss­chen wacke­lig vor, aber ich dach­te, die Bau­auf­sicht guckt sich das eh noch mal an.“ Und Sie lie­gen mit gebro­che­nem Rück­grat auf dem neu­en Kachel­fuß­bo­den und den­ken sich Din­ge, die ich hier nicht hin­schrei­ben möch­te. Nur dass Sie in die­sem Bild ohne Rück­grat sind – in der Rea­li­tät sind es natür­lich die Sozi-Psy­cho­pa­then.

Da ist mir ja Wolf­gang Schäub­le lie­ber, dem ich sogar abneh­me, dass er auf­rich­tig davon über­zeugt ist, alle Frei­hei­ten abschaf­fen zu müs­sen.

Und weil ich gera­de mer­ke, dass ich mich in eine unglaub­li­che Rage schrei­be, die noch dazu füh­ren könn­te, dass der prunk­vol­le Zinn­hum­pen, der auf mei­ner Fens­ter­bank steht, auf direk­tem Wege mein Zim­mer ver­lässt, und ich mir sicher bin, dass die SPD auch für die­sen Scha­den nicht auf­kom­men wür­de, ver­wei­se ich lie­ber auf ein paar inter­es­san­te Blog-Ein­trä­ge zu dem The­ma:

Frak­ti­ons­zwang hin oder her – jeder Abge­ord­ne­te hat in ers­ter Linie die Pflicht, sein Man­dat aus­zu­üben, das er durch die Stim­men der Wäh­ler in sei­nem Wahl­kreis erhal­ten hat. Ganz bestimmt darf er nicht offen­sicht­lich ver­fas­sungs­wid­ri­ge Geset­ze zum Wohl der eige­nen Kar­rie­re durch­win­ken und sich dabei dar­auf ver­las­sen, dass ein Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt den ange­rich­te­ten Scha­den schon wie­der gera­de­bü­geln wird.

(Nur mei­ne zwei Cent)

Woll­ten sich die armen Abge­ord­ne­ten erspa­ren, wegen ihrer Bauch­schmer­zen Stress mit den Frak­ti­ons- und Par­tei­chefs zu bekom­men? War das Risi­ko zu hoch, wegen einer Abwei­chung vom Frak­ti­ons­zwang den bis­he­ri­gen Lis­ten­platz zu ver­lie­ren?

(Dobschat.de)

Der Gesetz­ent­wurf trägt (…) nach unse­rer Auf­fas­sung nicht den Makel der offen­sicht­li­chen Ver­fas­sungs­wid­rig­keit auf der Stirn (…)

Ent­schul­di­gung, nen­nen Sie mich Klug­schei­ßer, Wort­klau­ber oder Schlim­me­res, aber ich kann nicht ernst­haft mit Men­schen dis­ku­tie­ren, die glau­ben, dass Gesetz­ent­wür­fe Stir­ne haben. Und die, anstatt das eige­ne Gewis­sen zu prü­fen oder sich schlau zu machen, nur eine ober­fläch­li­che Gesichts­kon­trol­le auf offen­sicht­li­che Kains­ma­le durch­füh­ren, bevor sie für Geset­ze stim­men, die ihrer Mei­nung nach gut und ger­ne ver­fas­sungs­wid­rig sein könn­ten.

(Ste­fan Nig­ge­mei­er)

Dem­nach hof­fen sie auf das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, dass die ver­fas­sungs­wid­ri­gen Punk­te hof­fent­lich wie­der aus dem Gesetz raus­holt. Same Pro­ce­du­re wie so oft.

(netzpolitik.org)

Ich hät­te es für denk­bar gehal­ten, dass der eine oder ande­re Abge­ord­ne­te ver­fas­sungs­wid­ri­ge Geset­ze abnickt, weil er däm­lich ist. Und es nicht rafft, was er beschließt. Eben­so konn­te ich mir vor­stel­len, dass Abge­ord­ne­te faul sind und gar nicht lesen, wor­über sie abstim­men. […]

Aller­dings war es für mich bis­lang unvor­stell­bar, dass Abge­ord­ne­te ein Gesetz ver­ab­schie­den, das sie für ver­fas­sungs­wid­rig hal­ten. Aber das ist jetzt gesche­hen.

(Law Blog)

SIE HABEN KEINE EIER, UM DAS DEUTSCHE VOLK ZU REPRÄSENTIEREN!

(Indis­kre­ti­on Ehren­sa­che)

Apro­pos Gewal­ten­tei­lung: Was sagt die vier­te Gewalt denn dazu? Oh.

1 Chris­toph Sträs­ser, Niels Annen, Axel Berg, Lothar Bin­ding, Mar­co Bülow, Sieg­mund Ehr­mann, Gabrie­le Fre­chen, Mar­tin Gers­ter, Rena­te Gra­distanac, Ange­li­ka Graf, Gabrie­le Grone­berg, Gabrie­le Hil­ler-Ohm, Chris­tel Hum­me, Josip Jura­to­vic, Anet­te Kram­me, Ernst Kranz, Jür­gen Kuch­ar­c­zyk, Kat­ja Mast, Mat­thi­as Miersch, Rolf Müt­zenich, Andrea Nah­les, Ernst Die­ter Ross­mann, Bernd Schee­len, Ewald Schu­rer, Wolf­gang Spa­ni­er und Dit­mar Staf­felt.

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Rollenspiel

Stel­len Sie sich bit­te für einen Moment mal vor, Sie wären Ange­la Mer­kel. Das mit dem Gesicht und der Fri­sur über­las­sen wir schön den Kol­le­gen vom Pri­vat­fern­se­hen, dort macht man ja auch noch Namens­wit­ze.

Sie wären viel­mehr die ers­te Kanz­le­rin in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik und beliebt wie nur sonst was. Sie hät­ten in die­sem Jahr als weib­li­ches Gegen­stück zu Al Gore den Kli­ma­wan­del gestoppt und sogar die „New York Times“ hät­te gera­de groß über Sie und Ihren Rück­halt im Vol­ke berich­tet. Natür­lich wären Sie auch so beliebt, weil Sie in fast zwei Jah­ren Regie­rung nichts getan hät­ten und die gan­zen unbe­que­men Refor­men, die jetzt zu wir­ken begön­nen, alle noch auf das Kon­to der Vor­gän­ger­re­gie­rung gin­gen, aber das könn­te Ihnen ja im Prin­zip egal sein. Die ein­zi­gen Sor­gen, mit denen Sie sich bis jetzt hät­ten rum­schla­gen müs­sen, wären eine miss­glück­te Gesund­heits­re­form, leich­te Wider­stän­de gegen das „Eltern­geld“ Ihrer Fami­li­en­mi­nis­te­rin und das gan­ze Thea­ter um die Sicher­heit beim G8-Gip­fel gewe­sen.

Und dann hät­te irgend­je­mand ein paar Türen in ein paar Minis­te­ri­en nicht ord­nungs­ge­mäß ver­schlos­sen und zwei Minis­ter wür­den plötz­lich mit dem Bol­ler­wa­gen durch die deut­sche Medi­en­land­schaft zie­hen um dem letz­ten Bun­des­bür­ger klar zu machen, dass Sie Ihr Kabi­nett über­haupt nicht unter Kon­trol­le hät­ten.

Dass Wolf­gang Schäub­le seit Mona­ten immer tie­fe­re Ein­schnit­te in die Grund­rech­te der Bür­ger, Ihrer Wäh­ler, for­dert, wäre den meis­ten Betrof­fe­nen noch total egal gewe­sen. Doch plötz­lich wür­de der Mann alle noch mal über­ra­schen und mun­ter her­umer­zäh­len, er hiel­te es ja nur noch für eine Fra­ge der Zeit, bis mal ein Ter­ro­rist daher­kom­me und eine Atom­bom­be zün­de.1

Fast zeit­gleich wür­de sich Ihr Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter hin­stel­len und einen Vor­schlag der Vor­gän­ger­re­gie­rung, den das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt hät­te, wie­der her­vor­ho­len und öffent­lich ankün­di­gen, im Zwei­fels­fal­le auf Ver­fas­sung und Gericht zu schei­ßen und auf ent­führ­te Flug­zeu­ge zu schie­ßen. In den „Tages­the­men“ wür­de er auf die Fra­ge, ob sein Vor­stoß über­haupt mit Ihnen abge­spro­chen sei, ant­wor­ten, er und der Bun­des­in­nen­mi­nis­ter sei­en die bes­ten Bud­dies über­haupt und die Fra­ge ansons­ten unbe­ant­wor­tet las­sen. Poli­ti­ker diver­ser ande­rer Par­tei­en und die Bun­des­luft­waf­fe wür­den sich gegen sei­nen Vor­schlag weh­ren und in Deutsch­land herrsch­te eine Auf­ruhr, als habe gera­de jemand Hit­lers Fami­li­en­po­li­tik gelobt oder Kunst als „ent­ar­tet“ bezeich­net.

Was wür­den Sie, der Sie ja Ange­la Mer­kel wären, jetzt tun?

1 Dass Schäub­le meint, wir soll­ten uns „die ver­blei­ben­de Zeit“ nicht auch noch „ver­der­ben, weil wir uns vor­her schon in eine Welt­un­ter­gangs­stim­mung ver­set­zen“, anstatt end­lich mal das zu tun, was er die gan­ze Zeit vor­gibt zu wol­len, näm­lich die Sicher­heit der Bür­ger zu schüt­zen, ist eigent­lich einen eige­nen Wut­an­fall wert.

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Stopf den Tisch oder ich butter dir die Bremen

Auch wenn uns poli­tisch wenig bis gar nichts ver­band, war Hel­mut Kohl immer „mein“ Kanz­ler. Er war schon Kanz­ler, als ich auf die Welt kam, und als er es plötz­lich (nach 16 Jah­ren!) nicht mehr war, war ich ver­wirrt. Sag­te der Nach­rich­ten­spre­cher „Bun­des­kanz­ler“, ver­voll­stän­dig­te ich im Geis­te „Hel­mut Kohl“. In mei­ner Erin­ne­rung wird Kohl immer zu glei­chen Tei­len die „Hur­ra Deutschland“-Gummipuppe und der Fels in der Bran­dung sein. Er war der gro­ße „Aus­sit­zer“, die sprich­wört­li­che deut­sche Eiche, die es nicht im min­des­ten inter­es­sier­te, wel­che Sau sich gera­de wie­der an ihr rieb. Kohl hat sie alle über­stan­den: Schmidt, Strauß, Möl­le­mann. Es gab Bücher vol­ler Kohl-Wit­ze und ich wür­de ihm zutrau­en, dass er, wenn ihm mal jemand ein sol­ches Buch geschenkt hät­te, die­ses demons­tra­tiv auf dem Fens­ter­brett der Gäs­te­toi­let­te sei­nes Oggers­hei­mer Bun­ga­lows plat­ziert hät­te, um zu zei­gen, wie wenig ihn das alles anfocht. Wenn er doch mal die Con­ten­an­ce ver­lor, wie als er sich in Hal­le auf einen Mann stürz­te, der ihn mit Eiern bewor­fen hat­te, dann zeig­te er in einer sol­chen Sze­ne Mensch­lich­keit, phy­si­sche Prä­senz und den Wil­len, sich not­falls selbst zu ver­tei­di­gen. Die Hal­len­ser Eier­wurf-Geschich­te ist eine Epi­so­de in der an Epi­so­den nicht armen Außen­wir­kung Kohls. Sei­ne inne­re Ruhe geht so weit, dass ihn auch die Bon­ner Staats­an­walt­schaft nicht davon über­zeu­gen kann, sein Ehren­wort zu bre­chen.

Kohls Nach­fol­ger als Bun­des­kanz­ler war Ger­hard Schrö­der, der unter ande­rem dadurch in die Geschich­te und das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis ein­ging, dass er gericht­lich gegen die Behaup­tung vor­ging, sein gleich­mä­ßig dunk­les Haupt­haar sei gefärbt. Etwa fünf Jah­re spä­ter setz­te Schrö­ders Gat­tin gericht­lich durch, dass der „Stern“ nicht behaup­ten darf, sie habe die Idee gehabt, eine Neu­wahl des Bun­des­tags mit­tels Ver­trau­ens­fra­ge zu erwir­ken. Hel­mut Kohl wur­de zu die­ser Zeit, allen Ehren­wor­ten zum Trotz, als Kan­di­dat für den Frie­dens­no­bel­preis gehan­delt.

Eben­falls einen Pro­zess gewann im Jahr 2005 Schrö­ders dama­li­ger Ver­kehrs­mi­nis­ter Man­fred Stol­pe. Er darf seit­dem nicht mehr als „ehe­ma­li­ger Sta­si-Mit­ar­bei­ter“ oder „IM“ bezeich­net wer­den, auch wenn Stol­pe selbst sagt, er habe als Sekre­tärs des Bun­des der Evan­ge­li­schen Kir­che der DDR „zu vie­len staat­li­chen Stel­len Kon­takt gehal­ten, dar­un­ter auch zur Staats­si­cher­heit“, und der Birth­ler-Behör­de Akten vor­lie­gen, die den Ver­dacht erhär­ten, Stol­pe sei als Infor­mel­ler Mit­ar­bei­ter „gewor­ben“ wor­den. Die soge­nann­te „Stol­pe-Ent­schei­dung“ des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts besagt im Kern, dass es bei einer mehr­deu­ti­gen Äuße­rung aus­rei­che, wenn nur eine mög­li­che Inter­pre­ta­ti­on die­ser Äuße­rung die Per­sön­lich­keits­rech­te des Klä­gers ver­let­ze.

Natür­lich möch­te nie­mand Unwahr­hei­ten oder Belei­di­gun­gen über sich selbst lesen und selbst­ver­ständ­lich gibt es einen Unter­schied zwi­schen der Aus­sa­ge „Lukas hat­te Kon­tak­te zu Apfel­die­ben (weil er in der Grund­schu­le neben einem saß)“ (Saß ich nicht, bzw. ich wüss­te nichts davon. Es ist ein Bei­spiel, lie­be frü­he­ren Mit­schü­ler!) und „Lukas war/​ist ein Apfel­dieb“. Nur haben die Ver­fas­sungs­rich­ter mit die­sem Grund­satz­ur­teil die Büch­se der Pan­do­ra geöff­net, denn mehr­deu­tig und inter­pre­tier­bar ist eine gan­ze Men­ge: Eine ver­ul­ken­de Berufs­be­zeich­nung für Fern­seh­an­sa­ge­rin­nen, die auch als abwer­ten­de Bezeich­nung für das weib­li­che Geschlecht ver­stan­den wer­den könn­te? Die „Stol­pe-Ent­schei­dung“ ist mit Euch (und sorgt dafür, dass sowohl die ver­ul­ken­de Berufs­be­zeich­nung, als auch die Fern­seh­an­sa­ge­rin erst­mals einem grö­ße­ren Publi­kum bekannt wer­den). Eine Beschrei­bung für Men­schen, die im Fern­se­hen anru­fen, dann aber nichts oder völ­lig unpas­sen­des Zeug sagen, die auch als Unter­stel­lung den Ange­ru­fe­nen gegen­über ver­stan­den wer­den könn­te? Die „Stol­pe-Ent­schei­dung“ hilft.

Ich bin kein Jurist und juris­tisch mögen die­se Urtei­le auch völ­lig logisch begründ­bar sein. Lin­gu­is­tisch sind sie es nicht. Wer sagt, dass eine Wort­neu­schöp­fung irgend­et­was bedeu­ten könn­te, und ein Wort syn­onym für ein ande­res ste­hen könn­te (das aber wohl in kaum einem Fall sinn­voll), stellt die Grund­kon­ven­ti­on in Fra­ge, auf der jede Spra­che auf­baut. Es besteht zum Bei­spiel die Kon­ven­ti­on, dass das Ding mit der Plat­te aus Holz und den vier Bei­nen unten­drun­ter „Tisch“ genannt wird. Nur so weiß der klei­ne Peter, was die Leh­re­rin meint, wenn sie sagt „Peter, kle­be doch bit­te Dein Kau­gum­mi nicht unter Dei­nen Tisch“. Und das gilt – Sie haben es bereits erra­ten – nicht nur für das Wort bzw. das Kon­zept „Tisch“, son­dern für jedes Wort des Sat­zes und der gesam­ten Spra­che. Für die Wis­sen­schaft, die sich mit der Bedeu­tung von Wor­ten befasst, gibt es, welch Iro­nie, zwei ver­schie­de­ne Begrif­fe: Wort- oder lexi­ka­li­sche Seman­tik. Wer tie­fer in die­se Mate­rie ein­stei­gen will, kommt bei­spiels­wei­se um Fer­di­nand de Sauss­u­re kaum her­um.

Die Annah­me, ein Wort kön­ne auch für etwas völ­lig ande­res ste­hen (und wir reden hier natür­lich nicht über Hom­ony­me, sog. „Tee­kes­sel­chen“ wie „Ball“ [run­des Sportobjekt/​Tanzveranstaltung] oder „Bank“ [Geldinstitut/​Sitzmöbel]), hat etwas post­struk­tu­ra­lis­ti­sches. Denkt man den Gedan­ken zu Ende, könn­te alles buch­stäb­lich alles bedeu­ten. Nicht weni­ge Leu­te, die regel­mä­ßig Brie­fe schrei­ben oder erhal­ten (z.B. Leser­brief­schrei­ber), wis­sen, dass die Gruß­for­mel „Hoch­ach­tungs­voll“ auch etwas ganz ande­res bedeu­ten kann. Etwas, bei des­sen öffent­li­cher Aus­spra­che man immer beto­nen muss, Goe­thes „Götz von Ber­li­chin­gen“ zu zitie­ren. Kann ich also jedes alte Ömma­cken, das noch gelernt hat, was sich gehört und wie man Brie­fe schreibt, ver­kla­gen, weil sie mich mit ihrem „Hoch­ach­tungs­voll“ belei­digt haben könn­te?

Ja, wie­so denn eigent­lich nicht? Ich kann doch auch sagen, das Ding mit der Plat­te aus Holz und den vier Bei­nen drun­ter nen­ne ich jetzt „Brot“, und das Zeugs aus Kör­nern, wo man sich mor­gen sei­ne Nuss­nou­gat­creme draufstreicht, nen­ne ich „Wal­de­mar“. Wenn ich das kon­se­quent durch­zie­he, ver­steht mich bald nie­mand mehr, aber ich habe eine neue inter­es­san­te Frei­zeit­be­schäf­ti­gung, näm­lich Wor­te durch ande­re zu erset­zen. Und da eini­ge Per­so­nen die inter­es­san­te Frei­zeit­be­schäf­ti­gung, ande­re Leu­te juris­tisch zu belan­gen, aus den USA impor­tiert haben, ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass es in Zei­tungs­ar­ti­keln, Blog­ein­trä­gen und auch in der All­tags­spra­che bald von „Du weißt schon wer„s und „He who must not be named„s wim­meln könn­te. („Wobei das natür­lich gar nichts bräch­te, weil man ja anneh­men könn­te, wer mit die­sen Chif­fren gemeint sein soll­te“, sag­te das Uni­ver­sum und lös­te sich in einem Logik­wölk­chen auf.)

Spra­che ist etwas, mit dem jeder jeden Tag zu tun hat. Wirk­lich jeder und über­all (die Aus­nah­men müss­ten so kon­stru­iert sein, dass man ihnen schon wie­der Bos­haf­tig­keit unter­stel­len könn­te), des­we­gen denkt offen­bar auch jeder, er ken­ne sich damit aus. Nur von Fuß­ball haben noch mehr Deut­sche Ahnung (näm­lich alle außer dem jeweils aktu­el­len Bun­des­trai­ner) als von Spra­che. Wer­den Lin­gu­is­ten um Gut­ach­ten gebe­ten, wer­den die­se meist schlicht igno­riert. Man stel­le sich nur mal vor, ein Rich­ter sage dem Dekra-Sach­ver­stän­di­gen, der gera­de erklärt hat, ein Auto kön­ne nicht inner­halb von 1,8 Sekun­den von 250 km/​h zum Still­stand gebracht wer­den (und das in einem Ver­kehrs­be­ru­hig­ten Bereich), es sei ja ganz schön, was er da gera­de von sei­ner put­zi­gen Wis­sen­schaft aus sei­nem schmu­cken Elfen­bein­turm berich­tet habe, aber er fah­re ja sel­ber Auto und kön­ne daher durch­aus befin­den, dass das sehr wohl gehe. Mit Geis­tes­wis­sen­schaft­lern, die­sem Pack, das nur Bücher liest und kei­ne neu­en Auto­mo­to­ren oder Atom­bom­ben ent­wi­ckelt, und auch kei­ne Kon­zep­te zur Ein­spa­rung von 30.000 Arbeits­kräf­ten bei gleich­zei­ti­ger Stei­ge­rung der Pro­duk­ti­vi­tät erar­bei­ten kann, mit denen kann man offen­bar alles machen.

Was? Ich schwei­fe ab, ich ertrin­ke in Wel­ten­schmerz und wer­de über Gebühr sar­kas­tisch? Nein, das müs­sen Sie irgend­wie falsch inter­pre­tiert haben.