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Reinigendes Getwitter

Ich finde Twitter im Großen und Ganzen ja ganz okay und denke, es kommt wie bei jedem Werkzeug darauf an, wie man es einsetzt. Eine große Gefahr besteht natürlich darin, dass dieses Werkzeug so leicht zu bedienen ist und man deshalb oft schneller tweetet als denkt.

Was? Das habe ich schon geschrieben? Ja, sicher. Aber wenn die Aufmerksamkeitsspanne nur noch 140 Zeichen beträgt, kann man sich ja mal wiederholen.

Am Samstag haben Bundestagsabgeordnete aus der Bundesversammlung getwittert, dass Horst Köhler die Bundespräsidentenwahl im ersten Wahlgang gewonnen hat. Ich finde das einigermaßen respektlos dem Bundestagspräsidenten gegenüber, dessen Aufgabe nun mal die Verkündung des Wahlergebnisses ist.

Mag sein, dass die Abgeordneten das Ergebnis von Journalisten erfahren hatten, mag sein, dass – bis auf Angela Merkel – jeder im Reichstag Bescheid wusste — aber auch twitternde Abgeordnete sollten ein bisschen an die Außenwirkung denken. Und wenn es Aufgabe des Bundestagspräsidenten ist, das Ergebnis zu verkünden, dann sollte es zumindest kein anderes Mitglieder dieses Verfassungsorgans sein, das ihm diese Aufgabe abnimmt.

Am Dienstag haben nun offenbar einzelne Abgeordnete aus einer nicht-öffentlichen Sitzung der SPD-Fraktion getwittert, woraufhin Fraktionschef Peter Struck eine Art Wutanfall bekommen haben muss (bei dem ich gerne dabeigewesen wäre) und die SPD jetzt Konsequenzen ziehen will.

Ich finde es schon erstaunlich, dass man Volksvertretern offenbar erst einmal erklären muss, was mit “nicht-öffentlich” gemeint sein könnte — oder bringen die sonst Schwiegermütter, Hundefriseure und Hauptstadtjournalisten mit, weil die sowas auch mal von nahem sehen wollten? Wann kommen die ersten Tweets aus den geheimen Sicherheitsausschüssen? (“Hinweise auf gepl. Anschläge im Raum Berlin. Schmutzige Bombe, BKA ist dran”)

Thomas Knüwer geht davon aus, dass das Ergebnis der Bundestagswahl vorab via Twitter verraten werden wird. Damit wäre Deutschland dann wohl noch hipper als die USA, wo das Ergebnis der letztjährige Präsidentschaftswahl meines Wissens noch von den Fernsehsendern bekannt gegeben wurde.

Was mich aber besonders stört ist die Selbstverständlichkeit, mit der manche Menschen einen Freischein für Twitter fordern: Muss man denn alles, was man weiß, in die Welt hinausposaunen, nur weil man es kann?

Was ist mit den Spielregeln, auf denen unsere Gesellschaft beruht? Dass wir nicht aus dem Kino gehen und den Wartenden erzählen, wie der Film ausgeht? Dass wir Wahlergebnisse für uns behalten, bis die Wahllokale geschlossen haben? Dass wir uns nicht nackt ausziehen, mit Exkrementen einreiben und schreiend durch die Innenstadt rennen?

Nennen Sie mich konservativ, aber ich fand die Zeit ganz gut, bevor dieses postmoderne “anything goes” über uns hineingebrochen ist. Als man in kleiner Runde noch schlechte Witze machen konnte, ohne Angst haben zu müssen, dass sie gleich im Internet verbreitet werden.

[Auftritt Mike Skinner: “How the hell am I supposed to be able to do a line in front of complete strangers / When I know they’ve all got cameras?”]

Nun könnte man natürlich einwenden: Man konnte anderen Menschen noch nie vertrauen, heutzutage ist es nur technisch viel einfacher (und anonymer), den Kram zu verbreiten. Handykameras und Twitter zeigen nur auf, dass wir ein Rudel bösartiger Wölfe sind, die darauf warten, übereinander herzufallen. Aber so pessimistisch wäre ich ungern.

Die Frage, die man sich beim Schreiben von Twitternachrichten stellen sollte, ist nicht “Würdest Du das Deinem besten Freund erzählen?”, sondern “Würdest Du das Deiner Mutter, Deinem Partner, Deinem Chef und allen Menschen im Ruhrstadion schriftlich geben?”

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Digital Politik Gesellschaft

Wir sind noch nicht so weit

Es gibt wohl mal wieder Grund für Kritik an der Bundesregierung und jede Menge Aufschreie aus der Blogosphäre. Einige Stimmen meinen gar, die Bundesregierung wolle den Faschismus einführen.

Ich halte das für Unsinn. Diese Bundesregierung könnte den Faschismus nicht einführen, wenn sie es wollte. Sie kann nur versehentlich den Boden dafür bereiten.

Denn wenn man sich die Pressekonferenz angesehen hat, auf der Nicht-Wilhelm von Guttenberg, Ursula von der Leyen und Brigitte Zypries heute über die Internetsperren gegen Kinderpornographie gesprochen haben, kann man nur zu einem Schluss kommen: Diese Menschen wissen wirklich nicht, wovon sie reden. Es gilt das gleiche wie in den Debatten über Bundestrojaner und “Killerspiele”: Ja, die Beteiligten sind ahnungslos — aber böswillig? Wohl kaum.

Don Dahlmann und Thomas Knüwer haben schöne Texte geschrieben über die “Systemkämpfe” bzw. die “digitale Spaltung”, die der Gesellschaft drohen. Ich habe das vor einem Jahr auch schon mal an ganz privaten Beispielen durchexerziert.

Und bei aller vermutlich sehr berechtigten Kritik an den ganzen Vorhaben dieser Berliner Dilettanten frage ich mich immer wieder, ob wir “Internetaktivisten”, deren Zahl ich mal sehr großzügig auf 500.000 Menschen schätzen möchte, nicht so eine Art digitale Autoschrauber sind: Nerds mit einem schönen Hobby, das aber gesellschaftlich nur bedingt relevant ist.

Die Millionengroßen Nutzerzahlen von YouTube, MySpace, Facebook und StudiVZ sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Internet für die allermeisten Nutzer in Deutschland so etwas ähnliches ist wie ein Auto (isch abe gar keins) für mich: Es ist praktisch, aber wie es funktioniert und was damit noch möglich wäre, ist irgendwie egal. Für diese Menschen ist Google “das Internet”, und sie nutzen es, um mit Freunden zu kommunizieren, für die Uni zu recherchieren und billige Flugreisen zu buchen. Eine Zensur von regierungskritischen Internetseiten, wie sie immer wieder an die Wand gemalt wird, hätte für diese Gelegenheits-User vermutlich die gleiche Bedeutung wie ein Tempolimit für mich: Es wäre ihnen egal.

Selbst wenn wir eine Million wären: Wir stünden immer noch mehr als 80 Millionen Menschen gegenüber. Zwar ist Masse in den seltensten Fällen ein Beleg für die Richtigkeit von Ideen, aber über deren wahre Bedeutung entscheidet immer noch der Verlauf der Geschichte. Und so wird die Zukunft zeigen, ob das Internet mit all seinen Chancen und Gefahren, mit all dem Tollen und Abscheulichen (das ich ja immer schon nur für eine digitale Abbildung der Lebenswirklichkeit gehalten habe), wirklich in eine Reihe mit den großen Errungenschaften der Menschheit (Feuer, Rad, geschnitten Brot) gehört, oder ob es “nur” ein sehr, sehr gutes Werk- und Spielzeug war.

Mich beschleichen immer wieder Zweifel, ob das World Wide Web wirklich das große Demokratie-Instrument ist, als das es gefeiert wird. Ich glaube schon, dass da ein enormes Potential vorhanden ist, aber noch weiß kaum jemand davon. Die Deutschen schimpfen einerseits seit Erfindung ihres Landes auf “die da oben”, sind aber andererseits in besorgniserregend hoher Zahl mit der “Arbeit” von Angela Merkel zufrieden. Diesen Menschen die Chance auf Mitbestimmung zu geben käme vermutlich ähnlich gut an, wie wenn man ihren Fliesentisch zerschlüge und ihnen “Du bist frei von den Fesseln des Kleinbürgertums!” entgegen riefe.

PS: Persönlich enttäuscht bin ich von Ursula von der Leyen, die ich bisher immer für eine kompetente und erfrischend progressive Familienministerin gehalten habe. Ich weiß nicht, ob sie einfach schlechte Berater hat, oder ob ihr die Berliner Luft nicht bekommt. Aber letzteres wäre durchaus verständlich.

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Print Digital

Der “Spiegel” muss in Zweifelhaft

Natürlich sieht das immer ein bisschen komisch aus, wenn man den eigenen Arbeitgeber lobt, aber dieses Titelbild hätte ich auch dann gut gefunden, wenn ich nicht studentische Hilfskraft beim “Freitag” wäre:

Merkels neues Gesicht

Früher hätte man solche Titelgrafiken auf dem “Spiegel” gefunden — und da wäre die Umsetzung zugegebenermaßen auch noch ein bisschen besser gewesen.

Aber der “Spiegel” ist schon lange das, was offenbar jede Medienlegende hierzulande (“Tagesschau”, das “Mittagsmagazin” auf WDR 2, Thomas Gottschalk, Harald Schmidt) werden muss: ein Schatten seiner selbst. Und deshalb sieht sein Cover heute so aus:

Fremde Freunde - Vom zweifelhaften Wert digitaler Beziehungen

Ob und inwiefern social networks unser Leben und unseren Umgang miteinander beeinflussen, ist ja ein Thema, an dem ich mich das ein oder andere Mal abzuarbeiten versucht habe.

Mein grundsätzliches Interesse war aber bei der Überschrift (ein Wunder, dass sie nicht “Falsche Freunde” lautete) recht schnell verraucht. Ich musste den Artikel aber gar nicht erst lesen und mich darüber aufregen, denn beides hat Thomas Knüwer dankenswerterweise schon übernommen.

PS: Markus Beckedahl von netzpolitik.org hatte schon gestern auf den Artikel verwiesen und ihn für nicht ganz so scheiße befunden. Er verweist zusätzlich auf ein Interview mit dem Leiter des “Spiegel”-Hauptstadtbüros, in dem dieser sich mit der Aussage zitieren lässt, er sei “so gut wie gar nicht im Netz unterwegs” und könne deshalb keine gute Website empfehlen.

PPS: Ich habe gestern mit einer Über-Siebzigjährigen Verwandten telefoniert, die meines Wissens noch nie vor einem Computer gesessen hat, und die trotzdem eine sehr viel differenziertere und positivere Meinung zu Blogs (sie benutzte wirklich das Wort “Blog”) und Internet hatte, als ich sie beim “Spiegel” je erlebt habe.

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Politik

Unvernünftig

Nachdem in der letzten Zeit eine beunruhigende Zahl an Datenschutzvergehen aufgeflogen war, hatte Wolfgang Schäuble gestern zu einem Datenschutzgipfel geladen.

Thomas Knüwer nennt die beschlossene Gesetzesverschärfung, die die Datenweitergabe nur mit ausdrücklicher Einwilligung der Betroffenen vorsieht, eine “weltfremde PR-Aktion der Politik” und fordert ein komplettes Verbot des Handels mit Personendaten.

Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Inneren und selbst begeisterter Datensammler, sieht das ein bisschen anders:

Wir sollten auch nicht das amtliche Telefonbuch, wo man gucken kann, wie man einen anrufen kann, schon als eine der ganz großen Gefahren ansehen. Sondern was wir brauchen ist, angesichts neuer technologischer Entwicklungen, angesichts einem ganz anderen, ähm, Möglichkeiten, Potentialen der Datensammlung, -speicherung und -verarbeitung eine vernünftige Begrenzung des Missbrauchs.

[Nachzuhören bei WDR 2]

Natürlich ist ein Telefonbuch (für das ich der Nennung meiner Daten übrigens gleich bei Anschlussanmeldung widersprochen habe) keine “ganz große Gefahr”. Das hat aber erstens (soweit ich weiß) auch niemand behauptet und zweitens klingt diese Umschreibung etwas merkwürdig aus dem Munde eines Mannes, der in allem und jedem eine Gefahr sieht.

Und ob eine Begrenzung des Missbrauchs auch etwas anderes als “vernünftig” sein kann, wüsste ich dann wirklich gerne mal.

Mit Dank an Oliver Ding für den Hinweis.

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Politik

Wähl! Mich! Ab!

Darauf muss man erst mal kommen: 26 Bundestagsabgeordnete der SPD haben dem umstrittenen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung am vergangenen Freitag im Bundestag zugestimmt und veröffentlichten hinterher eine Rechtfertigung (Anlage 4), in der sie sinngemäß schreiben, sie fänden den Gesetzentwurf schon irgendwie doof, aber nicht so doof wie andere schlimme Dinge, und überhaupt werde das Bundesverfassungsgericht das Gesetz ja schon kassieren, wenn dieses denn verfassungswidrig sei.

Oder anders: Die Leute, die in Ihrem und meinem Namen Gesetze erlassen sollen (Legislative), verlassen sich lieber auf die Urteilsfähigkeit der Leute beim Bundesverfassungsgericht (Judikative), wenn es darum geht, was die Leute bei Polizei und Geheimdienst (Exekutive) so über Sie und mich wissen sollen.

Oder noch anders: 26 SPD-Abgeordnete haben ein sehr merkwürdiges Verständnis unseres Grundgesetzes und der darin verankerten Gewaltenteilung und geben das auch noch öffentlich zu!

Das Verhalten dieser 26 Männer und Frauen1 ist so absurd, dämlich, erschütternd und wirr, dass ich lange grübeln musste, bis mir ein einigermaßen schiefes Bild einfiel, um diesen Irrsinn in den Alltag zu transportieren. Stellen Sie sich also vor, der Handwerker, den Sie mit der Anbringung eines Treppengeländers beauftragt hätten, sagte Ihnen hinterher: “Ja, das kam mir schon ein bisschen wackelig vor, aber ich dachte, die Bauaufsicht guckt sich das eh noch mal an.” Und Sie liegen mit gebrochenem Rückgrat auf dem neuen Kachelfußboden und denken sich Dinge, die ich hier nicht hinschreiben möchte. Nur dass Sie in diesem Bild ohne Rückgrat sind – in der Realität sind es natürlich die Sozi-Psychopathen.

Da ist mir ja Wolfgang Schäuble lieber, dem ich sogar abnehme, dass er aufrichtig davon überzeugt ist, alle Freiheiten abschaffen zu müssen.

Und weil ich gerade merke, dass ich mich in eine unglaubliche Rage schreibe, die noch dazu führen könnte, dass der prunkvolle Zinnhumpen, der auf meiner Fensterbank steht, auf direktem Wege mein Zimmer verlässt, und ich mir sicher bin, dass die SPD auch für diesen Schaden nicht aufkommen würde, verweise ich lieber auf ein paar interessante Blog-Einträge zu dem Thema:

Fraktionszwang hin oder her – jeder Abgeordnete hat in erster Linie die Pflicht, sein Mandat auszuüben, das er durch die Stimmen der Wähler in seinem Wahlkreis erhalten hat. Ganz bestimmt darf er nicht offensichtlich verfassungswidrige Gesetze zum Wohl der eigenen Karriere durchwinken und sich dabei darauf verlassen, dass ein Bundesverfassungsgericht den angerichteten Schaden schon wieder geradebügeln wird.

(Nur meine zwei Cent)

Wollten sich die armen Abgeordneten ersparen, wegen ihrer Bauchschmerzen Stress mit den Fraktions- und Parteichefs zu bekommen? War das Risiko zu hoch, wegen einer Abweichung vom Fraktionszwang den bisherigen Listenplatz zu verlieren?

(Dobschat.de)

Der Gesetzentwurf trägt (…) nach unserer Auffassung nicht den Makel der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit auf der Stirn (…)

Entschuldigung, nennen Sie mich Klugscheißer, Wortklauber oder Schlimmeres, aber ich kann nicht ernsthaft mit Menschen diskutieren, die glauben, dass Gesetzentwürfe Stirne haben. Und die, anstatt das eigene Gewissen zu prüfen oder sich schlau zu machen, nur eine oberflächliche Gesichtskontrolle auf offensichtliche Kainsmale durchführen, bevor sie für Gesetze stimmen, die ihrer Meinung nach gut und gerne verfassungswidrig sein könnten.

(Stefan Niggemeier)

Demnach hoffen sie auf das Bundesverfassungsgericht, dass die verfassungswidrigen Punkte hoffentlich wieder aus dem Gesetz rausholt. Same Procedure wie so oft.

(netzpolitik.org)

Ich hätte es für denkbar gehalten, dass der eine oder andere Abgeordnete verfassungswidrige Gesetze abnickt, weil er dämlich ist. Und es nicht rafft, was er beschließt. Ebenso konnte ich mir vorstellen, dass Abgeordnete faul sind und gar nicht lesen, worüber sie abstimmen. […]

Allerdings war es für mich bislang unvorstellbar, dass Abgeordnete ein Gesetz verabschieden, das sie für verfassungswidrig halten. Aber das ist jetzt geschehen.

(Law Blog)

SIE HABEN KEINE EIER, UM DAS DEUTSCHE VOLK ZU REPRÄSENTIEREN!

(Indiskretion Ehrensache)

Apropos Gewaltenteilung: Was sagt die vierte Gewalt denn dazu? Oh.

1 Christoph Strässer, Niels Annen, Axel Berg, Lothar Binding, Marco Bülow, Siegmund Ehrmann, Gabriele Frechen, Martin Gerster, Renate Gradistanac, Angelika Graf, Gabriele Groneberg, Gabriele Hiller-Ohm, Christel Humme, Josip Juratovic, Anette Kramme, Ernst Kranz, Jürgen Kucharczyk, Katja Mast, Matthias Miersch, Rolf Mützenich, Andrea Nahles, Ernst Dieter Rossmann, Bernd Scheelen, Ewald Schurer, Wolfgang Spanier und Ditmar Staffelt.

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Politik

Größter Nazi-Vergleich aller Zeiten

Es ist alles hergerichtet: Es ist der 9. November, im Bundestag sprechen sie über Autobahnen, nachher wird die Regierungskoalition das Grundgesetz verraten und was macht Wolfgang Schäuble?

Was macht Wolfgang Schäuble?

Innenminister Schäuble provozierte mal wieder, diesmal mit einem Hitler-Vergleich. “Wir hatten den ‘größten Feldherrn aller Zeiten’, den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten”, assoziierte er am Mittwochabend vor Journalisten und Richtern in Karlsruhe.

[taz, via Indiskretion Ehrensache]

Was soll man da noch sagen?

Vielleicht “Schäuble, zurücktreten!” rufen. Oder direkt auswandern.

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Gesellschaft

“Grüß dich ins Knie!”

Thomas Knüwer schrieb heute Morgen über Starbucks, die Hassliebe jedes aufrechten Koffein-Junkies, und den dortigen Service. Es dauerte exakt vier Kommentare, bis sich die Erste über “diese dröhnende Supi-ich-hab-dich-lieb-Kunde-Fröhlichkeit” beklagte, und obwohl ich nach wie vor nicht viel von Bezeichnungen wie “typisch deutsch” halte, wusste ich augenblicklich, dass ich mal wieder auf ein klassisch deutsches Dilemma gestoßen war: Freundlichkeit macht den Deutschen misstrauisch. Eduard Zimmermann und Alice Schwarzer haben ihre jeweiligen Lebenswerke darauf verwendet, dass man in Deutschland immer damit rechnet, gleich überfallen oder vergewaltigt zu werden, sobald mal jemand freundlich zu einem ist.

Spricht man mit Menschen über die Dienstleistungsmentalität in Deutschland (führt also eine eher hypothetische Diskussion), wird man häufig von der “aufgesetzten Freundlichkeit der Amerikaner” hören. Wie so oft bei antiamerikanischen Vorurteilen verstehen die Kritiker amerikanischen Umgangsformen nicht und/oder waren selbst noch nie in den USA. Und, zugegeben: Als ich im letzten Jahr drei Monate in San Francisco lebte, war ich anfangs auch genervt von “Hi, how are you?” und “Have a nice day”, bis mir dämmerte, dass diese Freundlichkeiten tatsächlich meiner Laune zuträglich waren. Der Vorwurf “Das interessiert doch keinen, wie es einem geht”, mag ja stimmen, nur interessiert das in Deutschland auch niemanden. Auch auf die Gefahr hin, Sie schwer zu enttäuschen: Solange es sich nicht um Ihre besten Freunde, ausgewählte Familienmitglieder oder Ihren Therapeuthen handelt, interessiert es keine Sau, wie es Ihnen geht. Also machen Sie sich nicht die Mühe, an Ihr aktuelles Befinden zu denken, an das ganze Elend, das sie gerade durchmachen – verdrängen Sie’s und sagen Sie “Bestens, Danke! Und selbst?”

“Wer die Musik bezahlt, bestimmt was gespielt wird”, lautet ein Sprichwort und angedenk dessen, was man sich in manchen Supermärkten, Bekleidungsfachgeschäften und Elektromärkten als zahlender Kunde bieten lassen muss, könnte man fast annehmen, die Läden seien in Wahrheit gutgetarnte Light-Varianten eines Domina-Studios. “Wer ficken will, muss freundlich sein”, lautet ein anderes Sprichwort und der aufmerksame Beobachter wird feststellen, dass an mögliche Bettpartner somit deutlich höhere Anforderungen gestellt werden als an Verkäuferinnen. Trotzdem haben mehr Leute Sex als einen Arbeitsplatz im Dienstleistungssektor.1

Besonders konservative Zeitgenossen werden – “Freundlichkeit hin oder her!” – auch die Meinung vertreten, diese “Bodenständigkeit” liege nun mal im Wesen des Deutschen, lächeln hingegen nicht. Nun weiß ich nicht, wie viel Prozent des Fremdenverkehrs in Deutschland auf Leute entfallen, die extra hierher kommen, um einen brummeligen Berliner Taxifahrer oder einen pampigen Köbes in einem Kölner Brauhaus zu begucken. Aber würde man solche Leute überhaupt kennenlernen wollen?

Haben Sie noch einen schönen Tag!

1 Inwieweit der innere Zwang einiger Deutscher, immer und überall rauchen zu wollen, damit zusammenhängt, möge ein jeder bitte selbst ergründen.

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Rundfunk Politik Sport

Rad und Tat

Man kann sicher viel darüber diskutieren, ob es eine gute Idee war, dass Sat.1 die Berichterstattung der Tour de France übernommen hat, kaum dass ARD und ZDF ausgestiegen waren. Das geschieht ja auch hie und da und dort. Letztendlich gibt es da sicherlich kein “richtig” oder “falsch”, aber es muss ja nicht jede Diskussion zu einem Ergebnis kommen.

Was mich aber gerade mal wieder auf die Palme treibt, sind die Berliner Hinterbänkler, die – kaum, dass sich das Sommerloch bedrohlich über der Medienlandschaft öffnet – eiligst durch die Gegend rennen und in die erstbesten Mikrofone hineinsalbadern:

Die Grünen sprachen von einem «fatalen Signal», wenn die Quote zähle, der Inhalt aber nicht. «An die Zuschauer wird dabei nicht gedacht, an einen sauberen Radsport schon gar nicht – Hauptsache Spektakel», heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der medienpolitischen Sprecherin, Grietje Bettin, und des sportpolitischen Sprechers, Winfried Hermann.

Zunächst einmal freut es mich natürlich, wenn sich die mir bisher unbekannten Grünen-Sprecher als meine Anwälte (ich als Teilmenge von die Zuschauer) aufspielen. Allein: Ich will gucken – und eine knappe Millionen anderer Leute offenbar auch.

Sicher: Wir könnten auch der Übertragung bei Eurosport folgen, dafür braucht es keine langweilige Sat.1-Übertragung. Aber allein die Verwendung des Begriffs “Spektakel” zeigt, dass sich offenbar keiner der Beiden die Mühe gemacht hat, sich das Elend bei Sat.1 anzuschauen – dagegen ist ja jeder Wetterbericht nach den “Tagesthemen” ein größeres Spektakel. Und die Quote “stimmte” gestern bei Sat.1 schon mal überhaupt nicht.

Mir erschließt sich auch nicht so ganz, ob und wie der Radsport dadurch sauberer werden sollte, wenn die Tour nicht im Fernsehen auf einem Sender, der einen einstelligen Sendeplatz auf der Fernbedienung belegt, übertragen würde. Es ist ein bisschen wie mit Schrödingers Katze: entweder wird gedopt oder nicht – ob man dabei zusehen kann oder nicht, hat darauf keinen Einfluss.

Politiker müssen nicht zu allem eine Meinung haben und vor allem sollten sie darauf vertrauen, dass die Bürger, von denen sie mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragt wurden, mündig genug sind, einen Fernseher einzuschalten oder nicht. So doll wie früher waren die Zuschauerzahlen der Tour schon bei ARD und ZDF nicht – also gibt es offenbar genug frühere Zuschauer, die entweder die Schnauze voll haben von gedopten Sportlern oder – auch das wäre nicht undenkbar – denen die ungedopten Fahrer zu langsam fahren.

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Digital

Kneipenbekanntmachung

Ich bin nicht unbedingt immer sonderlich schnell, was das Aufspüren neuer Trends angeht. Noch ist es nicht so schlimm, dass ich bei “Polylux” anfangen müsste, aber die Nachfolge von Matthias Horx werde ich so bald nicht antreten. Würd’ ich mal so vorhersagen …

Deshalb ist das, worüber ich neulich bei Thomas Knüwer gestolpert bin, vielleicht schon gar nicht mehr wirklich das hippste, neueste Space-Age-Ding im Web 9 3/4. Aber ich finde es ganz und gar großartig und möchte es gerne mit möglichst vielen Menschen teilen:

Kloß und Spinne
(Screenshot: youtube.com)

Es geht um “Kloß und Spinne”, eine Animationsserie von Volker Strübing, die man am Besten als eine Mischung aus “Dittsche” und “South Park” beschreiben kann, garniert mit ganz viel von dem, was ich als Ruhrpottler für Berliner Lokalkolorit halten würde. Das sind unglaublich witzige und anrührende Cartoons, die ich am Liebsten in einer Endlosschleife gucken würde.

Bisher gibt es vier Episoden (“Computer kaputt!”, “Klimakatastrophe”, “Gehacktes!” und “Die Hölle war och schonma besser!”), die alle knapp fünf Minuten lang sind und mit so viel Kreativität und Liebe zum Detail gestaltet wurden, dass man sich fragt, wozu man eigentlich noch Fernsehen braucht. Ein Blog hat Volker Strübing übrigens auch.

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Abiwitzig

Gestern las ich bei “Indiskretion Ehrensache” diesen schönen Satz:

Wie die Ostereiersuche durften die Fans […] hinter jedes Sendefenster lugen, irgendwann kam halt mal wieder ein Stückchen.

“Nun ja”, dachte ich als erstes, “da sind Herrn Knüwer halt die Metaphern verrutscht. Weiß doch jedes Kind, dass das mit den Fenstern Adventskalender sind und die nichts mit Ostereiern zu tun haben.” Dann dachte ich: “Und was mach ich jetzt mit dem Satz?”

Verunglückte, ungewollt zweideutige oder auch von vorne bis hinten sinnlose Sätze werden von den etablierten Medien allenfalls stiefmütterlich behandelt. Wenn Edmund Stoiber nicht gerade die Vorzüge des Transrapids zu erklären versucht, ist “TV Total” so ziemlich die einzige Plattform, die sich am Scheitern von Sprache in der Öffentlichkeit weidet. Dabei hat beinahe jeder, der in diesem Land über einen Schulabschluss verfügt, sich schon als Katalogisierer von missglückten Aussprüchen betätigt.

Keine Abizeitung kommt ohne eine Zitatensammlung aus, in der Lehrern und Mitschülern mit schonungsloser Brutalität Aussprüche um die Ohren gehauen werden, an die sich die Betreffenden oft genug gar nicht mehr erinnern können. Wenig (nicht einmal die Abiturklausuren) bleibt im halböffentlichen Raum der Schule so lange bestehen wie die aus Gedankenlosigkeit formulierten und sofort mitstenographierten Sätze, die zumeist während der Oberstufenzeit fallen. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich war in unserer Jahrgangsstufe zuständig für das Sammeln, Sortieren und schließlich auch Abdrucken dieser Zitate.

Im Wesentlichen gibt es vier Klassen von Abizeitungszitaten. Die beliebtesten sind natürlich die zweideutigen, “versauten”:

SoWi-Lehrer: “Der Sven ist in den letzten Stunden gar nicht schlecht gekommen.”

Dann gibt es die, die an der fachlichen Kompetenz der Lehrer zweifeln lassen:

Erdkundelehrerin: “Wart Ihr schon mal auf Mallorca oder einer anderen griechischen Insel?”

Es gibt Aussprüche, bei denen man das Knacken in den Hirnwindungen der Sprecher hören zu können glaubt:

Geschichtslehrer: “In Wirklichkeit haben wir es nicht mit Fiktionen zu tun, sondern mit Realität!”

Und dann gibt es natürlich noch die Schüler, die glauben, durch besonders vorlaute und alberne Antworten in Erinnerung zu bleiben – oder es wenigstens in die Abizeitung zu schaffen:

Deutschlehrerin: “Gebt mal ein Beispiel für ‘scheinbar’!”
Schüler: “Er wollte mit Münzgeld bezahlen, aber die Bedienung sagte: ‘Dies ist eine Scheinbar’!”

Einige Lehrer haben ein Standardrepertoire an Sprüchen, mit denen sie es in beinahe jede Abizeitung schaffen, weil die mitschreibenden Schüler nicht über ausreichend Recherchewillen oder Lebenserfahrung verfügen. So ein Verhalten ist vergleichbar mit dem halbironischen Rumgeeier, das Bands wie die Toten Hosen produzieren, wenn sie bei einer “Award Show” ausgezeichnet werden, und äußert sich in Sätzen wie:

Physiklehrer: “Letzte Stunde standen wir vorm Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter!”

Seltsamerweise kommt außerhalb des Biotops Oberstufe kaum jemand auf die Idee, die Aussprüche seiner Mitmenschen aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Vorgesetzte, Familienmitglieder, ja sogar Universitätsdozenten können sich trotz Videohandys in Sicherheit wiegen: Niemand wird mehr leise kichern und mit der Überschreibseite eines Tintenkillers hektische Notizen auf einem Collegeblock vornehmen, wenn mal wieder ein denkwürdiger Ausspruch im Raum hängt wie ein grotesker Papagei auf der Schulter einer rosagewandeten, überschminkten alten Dame.

Aber es gibt ja noch genug andere Beispiele für Dinge, die man nach seinem Abitur klugerweise nie wieder macht: Sich mit dem Bruttoinlandsprodukt Litauens auseinandersetzen; sich mit eigentlich unbekannten, davor und danach verhassten Altersgenossen verbrüdern; auf dem Schulhof mit Bier rumspritzen und sich alberne Wortspiele einfallen lassen. Vor allem letzteres wäre eigentlich mal ein Fall für irgendeine noch zu gründende Aufsichtsbehörde: Jede “Abi”-Verballhornung sollte pro Jahr maximal dreißig Mal und mit einem Sicherheitsabstand von 120 Kilometern zwischen den beteiligten Schulen verwendet werden dürfen. Und nach ein paar Jahren werden Slogans wie “KohlrABI – Wir machen uns vom Acker”, “CannABIs – Der Stoff ist durch!” oder “Abigeddon” dann vollständig verboten.

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Digital

Welcome To The Nepp Parade

Hier die irreführendsten Überschriften der letzten 24 Stunden bei “Spiegel Online”:

Nicole Richie: Schwanger - doch Vater Lionel weiß von nichts

Nun wissen natürlich die meisten, dass Lionel Richie der (Adoptiv-)Vater von Nicole Richie ist und nicht der des zu erwartenden Babys. Aber unglücklich formuliert ist es schon.
USA: Welker Rasen bringt Rentnerin in den Knast

Knast bezeichnet umgangssprachlich: ein Gefängnis […]”, weiß Wikipedia. Für “Spiegel Online” bezeichnet es offenbar auch Arrestzellen auf Polizeiwachen. Und dass “in den Knast bringen” allgemein als “zu einer Gefängnisstrafe verurteilen” aufgefasst wird (und nicht als “where she sat for more than 30 minutes”), soll uns beinahe egal sein: Man ist ja schon froh, dass die Überschrift nicht “Trockenes Gras bringt Rentnerin in den Knast” lautet.

Harry Potter: Rowling schürt Hoffnung auf achten Band

Wer eine Fortsetzung selbst als “unwahrscheinlich” bezeichnet, kann natürlich trotzdem in seiner Überschrift von geschürten Hoffnungen sprechen – es wirkt nur etwas wirr. Aber was bei der Meldung so alles falsch gelaufen ist, liest man am besten bei “Indiskretion Ehrensache” und Stefan Niggemeier nach.

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Pferd 2.0

Bei Indiskretion Ehrensache und beim Handelsblatt selbst kann man seit einigen Wochen das schöne Essay “Web 0.0” lesen, in dem Thomas Knüwer anhand einiger Beispiele aufzählt, warum Wirtschaft und Politik auf der einen und Internet auf der anderen Seite immer noch nicht unter einen Hut zu kriegen sind.

Die Kernaussage lautet:

Nun ist klar: Die digitale Spaltung ist da – doch sie verläuft quer durch die Gesellschaften der industrialisierten Nationen.

Und ob man sich in Sachen Computerdurchsuchung nun keine oder gleich riesige Sorgen machen sollte, kann jeder nach diesem Zitat für sich selbst entscheiden:

Oder Jörg Zierke. Dem Chef des Bundeskriminalamtes wurde bei einem Fachgespräch der Grünen zum Thema Bürgerrechte vom Dresdner Datenschutzprofessor Andreas Pfitzmann vorgeworfen: “Mit dieser Unbefangenheit über Informatik reden kann nur jemand, der nicht mit Informatik arbeitet.” Zierkes entwaffnend naive Antwort: “Ich sage auch nur, was mein Mitarbeiter aufschreibt.”

Warum erzähle ich das? Zum einen ist der/die/das Essay recht lesenswert, zum anderen meldete die Netzeitung heute:

Deutsche Medienmanager zweifeln an Web 2.0

Das passt schön zu Knüwers Beobachtungen:

Und Gründer erhalten nur Geld, wenn sie ein Geschäftsmodell aus den USA kopieren. Originäre Ideen werden von Kapitalgebern abgelehnt mit ebendieser Begründung: es gebe kein US-Vorbild.

Im Netzeitungs-Artikel steht aber auch der Absatz:

In einem Punkt waren sich indes deutsche und ausländische Manager in der Befragung einig: Blogs und nutzergenerierte Inhalte werden etablierte und hochwertige Portale und Nachrichten im Internet nicht verdrängen.

Ich glaube auch nicht, dass Blogs “Portale und Nachrichten im Internet” (was immer das genau sein soll) verdrängen werden – wenn, dann machen die das schon selbst, z.B. durch fortschreitende Boulevardisierung und nachlassende Qualität.

Trotzdem würde ich so einen Satz nie sagen. Meine Angst wäre viel zu groß, eines Tages im “Lexikon der größten Fehleinschätzungen” oder wie sowas heißen mag, abgedruckt zu werden. Gleich hinter den totzitierten Worten von Wilhelm II.:

Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.