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Abiwitzig

Ges­tern las ich bei „Indis­kre­ti­on Ehren­sa­che“ die­sen schö­nen Satz:

Wie die Oster­ei­er­su­che durf­ten die Fans […] hin­ter jedes Sen­de­fens­ter lugen, irgend­wann kam halt mal wie­der ein Stück­chen.

„Nun ja“, dach­te ich als ers­tes, „da sind Herrn Knü­wer halt die Meta­phern ver­rutscht. Weiß doch jedes Kind, dass das mit den Fens­tern Advents­ka­len­der sind und die nichts mit Oster­ei­ern zu tun haben.“ Dann dach­te ich: „Und was mach ich jetzt mit dem Satz?“

Ver­un­glück­te, unge­wollt zwei­deu­ti­ge oder auch von vor­ne bis hin­ten sinn­lo­se Sät­ze wer­den von den eta­blier­ten Medi­en allen­falls stief­müt­ter­lich behan­delt. Wenn Edmund Stoi­ber nicht gera­de die Vor­zü­ge des Trans­ra­pids zu erklä­ren ver­sucht, ist „TV Total“ so ziem­lich die ein­zi­ge Platt­form, die sich am Schei­tern von Spra­che in der Öffent­lich­keit wei­det. Dabei hat bei­na­he jeder, der in die­sem Land über einen Schul­ab­schluss ver­fügt, sich schon als Kata­lo­gi­sie­rer von miss­glück­ten Aus­sprü­chen betä­tigt.

Kei­ne Abizei­tung kommt ohne eine Zita­ten­samm­lung aus, in der Leh­rern und Mit­schü­lern mit scho­nungs­lo­ser Bru­ta­li­tät Aus­sprü­che um die Ohren gehau­en wer­den, an die sich die Betref­fen­den oft genug gar nicht mehr erin­nern kön­nen. Wenig (nicht ein­mal die Abitur­klau­su­ren) bleibt im halb­öf­fent­li­chen Raum der Schu­le so lan­ge bestehen wie die aus Gedan­ken­lo­sig­keit for­mu­lier­ten und sofort mit­ste­no­gra­phier­ten Sät­ze, die zumeist wäh­rend der Ober­stu­fen­zeit fal­len. Ich weiß, wovon ich spre­che, denn ich war in unse­rer Jahr­gangs­stu­fe zustän­dig für das Sam­meln, Sor­tie­ren und schließ­lich auch Abdru­cken die­ser Zita­te.

Im Wesent­li­chen gibt es vier Klas­sen von Abizei­tungs­zi­ta­ten. Die belieb­tes­ten sind natür­lich die zwei­deu­ti­gen, „ver­sau­ten“:

SoWi-Leh­rer: „Der Sven ist in den letz­ten Stun­den gar nicht schlecht gekom­men.“

Dann gibt es die, die an der fach­li­chen Kom­pe­tenz der Leh­rer zwei­feln las­sen:

Erd­kun­de­leh­re­rin: „Wart Ihr schon mal auf Mal­lor­ca oder einer ande­ren grie­chi­schen Insel?“

Es gibt Aus­sprü­che, bei denen man das Kna­cken in den Hirn­win­dun­gen der Spre­cher hören zu kön­nen glaubt:

Geschichts­leh­rer: „In Wirk­lich­keit haben wir es nicht mit Fik­tio­nen zu tun, son­dern mit Rea­li­tät!“

Und dann gibt es natür­lich noch die Schü­ler, die glau­ben, durch beson­ders vor­lau­te und alber­ne Ant­wor­ten in Erin­ne­rung zu blei­ben – oder es wenigs­tens in die Abizei­tung zu schaf­fen:

Deutsch­leh­re­rin: „Gebt mal ein Bei­spiel für ’schein­bar‘!“
Schü­ler: „Er woll­te mit Münz­geld bezah­len, aber die Bedie­nung sag­te: ‚Dies ist eine Schein­bar‘!“

Eini­ge Leh­rer haben ein Stan­dard­re­per­toire an Sprü­chen, mit denen sie es in bei­na­he jede Abizei­tung schaf­fen, weil die mit­schrei­ben­den Schü­ler nicht über aus­rei­chend Recher­che­wil­len oder Lebens­er­fah­rung ver­fü­gen. So ein Ver­hal­ten ist ver­gleich­bar mit dem hal­bi­ro­ni­schen Rum­ge­ei­er, das Bands wie die Toten Hosen pro­du­zie­ren, wenn sie bei einer „Award Show“ aus­ge­zeich­net wer­den, und äußert sich in Sät­zen wie:

Phy­sik­leh­rer: „Letz­te Stun­de stan­den wir vorm Abgrund, heu­te sind wir einen Schritt wei­ter!“

Selt­sa­mer­wei­se kommt außer­halb des Bio­tops Ober­stu­fe kaum jemand auf die Idee, die Aus­sprü­che sei­ner Mit­men­schen auf­zu­schrei­ben und zu ver­öf­fent­li­chen. Vor­ge­setz­te, Fami­li­en­mit­glie­der, ja sogar Uni­ver­si­täts­do­zen­ten kön­nen sich trotz Video­han­dys in Sicher­heit wie­gen: Nie­mand wird mehr lei­se kichern und mit der Über­schreib­sei­te eines Tin­ten­kil­lers hek­ti­sche Noti­zen auf einem Col­lege­block vor­neh­men, wenn mal wie­der ein denk­wür­di­ger Aus­spruch im Raum hängt wie ein gro­tes­ker Papa­gei auf der Schul­ter einer rosa­ge­wan­de­ten, über­schmink­ten alten Dame.

Aber es gibt ja noch genug ande­re Bei­spie­le für Din­ge, die man nach sei­nem Abitur klu­ger­wei­se nie wie­der macht: Sich mit dem Brut­to­in­lands­pro­dukt Litau­ens aus­ein­an­der­set­zen; sich mit eigent­lich unbe­kann­ten, davor und danach ver­hass­ten Alters­ge­nos­sen ver­brü­dern; auf dem Schul­hof mit Bier rum­sprit­zen und sich alber­ne Wort­spie­le ein­fal­len las­sen. Vor allem letz­te­res wäre eigent­lich mal ein Fall für irgend­ei­ne noch zu grün­den­de Auf­sichts­be­hör­de: Jede „Abi“-Verballhornung soll­te pro Jahr maxi­mal drei­ßig Mal und mit einem Sicher­heits­ab­stand von 120 Kilo­me­tern zwi­schen den betei­lig­ten Schu­len ver­wen­det wer­den dür­fen. Und nach ein paar Jah­ren wer­den Slo­gans wie „Kohl­rA­BI – Wir machen uns vom Acker“, „Can­nA­BIs – Der Stoff ist durch!“ oder „Abiged­don“ dann voll­stän­dig ver­bo­ten.