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Musik Fernsehen

That’s how I remember it

Kurt Cobain war tot, damit wollen wir beginnen. Grieselige TV-Bilder einer Garage in Seattle haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, wann.

Ich habe ein sehr merkwürdiges Gedächtnis. Ein „gutes“, würden viele sagen, weil ich mich an so vieles erinnern kann: Daten, Namen, Begebenheiten, Dialoge — alles semantisch miteinander verknüpft und immer auch verbunden mit Bildern. Letzte Woche fielen mir die Namen von Freunden meiner Eltern wieder ein, die ich vor 35 Jahren zwei-, dreimal getroffen hatte. Ich fände es aber hilfreicher und mithin „gut“, mir die Namen von Menschen merken zu können, die ich aktuell brauche.

Die TV-Bilder, also: Ich bin mir absolut sicher, dass ich sie auf dem Grundig Monolith im sogenannten „Bauernzimmer“ meines Großelternhauses sah. Meine Großeltern hatten – die Sentenz von Harald Schmidt bestätigend, dass Geld und Geschmack nur selten Hand in Hand einhergehen – sich in den 1970er Jahren durchaus hochwertige, massivste Bauernmöbel andrehen lassen: einen Esstisch, an dem die Ritter der Tafelrunde alle Platz gefunden hätten, nebst passender Stühle; ein Buffet, in das rund die Hälfte der Teller des Hausstandes passten (und das waren viele); darüber ein Hängeregal, das zur Präsentation von Ziertellern gedacht war (was Bauern halt so tun) und sogar ein Beistelltischchen, auf dem immer die „Kirche + Leben“ und die „Hörzu“ der nächsten Woche lagen (die „Hörzu“ der aktuellen Woche lag meist im richtigen Wohnzimmer, da wo auch die Sofas und Sessel um einen tonnenschweren Couchtisch standen). In diesem „Bauernzimmer“, wo meist zu Abend gegessen wurde, stand der treffend so betitelte Monolith, damit mein Großvater während des Abendessens die „Heute“-Nachrichten und/oder die „Tagesschau“ sehen und so nebenbei die essenden, bitte schweigenden Enkelkinder mit Bildern des hingerichteten Nicolae Ceaușescu, aus den Jugoslawienkriegen und anderen Krisenregionen verstören konnte.

Dort hatte ich, seit wir nebenan wohnten (I’m glad you asked: meine Eltern waren mit uns am 30. Januar 1993 umgezogen — das „Zeitzeichen“ auf WDR 2, das ich an jenem Morgen im besagten Bauernzimmer im Radio gehört hatte, hatte das Thema „60 Jahre Machtergreifung“ gehabt), viele Stunden vor dem Fernseher verbracht. Meine Großeltern hatten nämlich ,anders als meine Eltern, damals schon Satellitenfernsehen gehabt — wobei sich meine Fernseh-Diät, von MTV Europe mal ab, eigentlich auf die Programme beschränkte, die ich auch bei meinen Eltern hätte gucken können: „Hit-Clip“, das WDR-Surrogat für MTV, und „Elf 99“, ein Jugendmagazin, das im September 1989 ursprünglich im Fernsehen der DDR gestartet war, sich dort als durchaus regierungskritisch erwiesen und nach dem Ende des DFF eine kleine Odyssee durch die westdeutschen Sender hinter sich hatte. „Elf 99“ lief seit Mitte November 1993 auf Vox, dem kleinen, sympathischen Privatsender, der mit seinem erratischen, oft anspruchsvollen Programm (allem voran das Medienmagazin „Canale Grande“ mit dem damals noch Dieter genannten Max Moor) wie geschaffen war für einen zehnjährigen Jungen, der sich medial gerne zwei, drei Gewichtsklassen über der eigenen bewegte.

Dafür, dass „Elf 99“ nur wenige Monate auf Vox lief, habe ich wirklich viele Erinnerungen daran — womöglich habe ich fast alle Ausgaben dort gesehen. Ich erinnere mich, dass ein dicker, langhaariger, damals mutmaßlich noch junger Dieter Gorny zu Gast war, um das Konzept seines bald startenden Musiksenders Viva vorzustellen (den wir allerdings noch nicht mal bei unseren Großeltern sehen konnten, weil er anfangs per Kabel ausgestrahlt wurde); an Sendungen, in denen man per Anruf so lange für oder gegen den aktuell laufenden Act abstimmen konnte, bis die Negativstimmenstimmen in der Mehrheit waren (am Längsten liefen – in einer Jugendsendung im Jahr 1993 – Phil Collins und Genesis); an die Ausgabe mit den größten Hits des Jahres 1993, die zwar ausgiebig mit „Go West“ von den Pet Shop Boys betrailert worden war, das dann aber in der schlussendlichen Sendung gar nicht vorkam (auf Platz 1 landeten, wenn ich mich recht erinnere, die damals schon von mir für schrecklich befundenen Ace Of Base).

Anfang des Jahres 1994 war „Elf 99“ vom spätnachmittäglichen Sendeplatz auf einen längeren am Samstagvormittag gewechselt. Hier erinnere ich mich vage an ein Take-That-Special, aber nicht viel mehr. Es ging auch nur einige Wochen gut, dann wurde „Elf 99“ in „Saturday“ umbenannt. Und ab hier wird es kompliziert.

In der Wikipedia steht:

Schließlich wurde der Sendeplatz auf den Samstagnachmittag gelegt und im März 1994 eine Umbenennung in Saturday beschlossen. Tatsächlich lief nur eine Ausgabe unter dem neuen Namen am 26. März 1994. Denn im März 1994 hatten sämtliche Anteilseigner des Senders VOX ihre Beteiligungen gekündigt und eine Finanzierung des Programmbetriebs über den 31. März hinaus in Frage gestellt. Somit fiel neben mehreren Sendungen auch Elf 99/Saturday der VOX-Krise zum Opfer. Ein Neustart auf einem anderen Sender erfolgte nicht mehr.

Ich bin mir absolut sicher (im Sinne von: „ich könnte schwören“), dass ich die grieseligen TV-Bilder in den VOX-Nachrichten sah, die vor „Saturday“ liefen, und dort vom Tode Kurt Cobains hörte. Ich meine mich zu erinnern, dass ich einigermaßen geschockt war, denn Nirvana waren mir natürlich ein Begriff gewesen: Das Video zu „Smells Like Teen Spirit“ hatte ich – auch Jahre nach Veröffentlichung – häufig bei „Hit-Clip“ gesehen, wo die Grunge-Band aus Seattle einigermaßen gleichberechtigt zwischen East 17, 2 Unlimited und Billy Joel vorgekommen war, und auch an das Anton-Corbijn-Video zu „Heart-Shaped Box“ meine ich mich aus jener Zeit erinnern zu können. Mir war wohl auch als 10-Jährigem schon klar gewesen, dass es sich um „andere“, irgendwie sperrigere Musik gehandelt hatte als bei den meisten anderen Videos, die bei „Hit-Clip“ liefen, aber von dem Nihilismus, der Verzweiflung und dem ganzen „Generation X“-Vibe, von dem die deutschen Medien dann nach Cobains Suizid berichteten, hatte ich keine Vorstellung, als ich die Nachricht zum ersten Mal hörte — bei Vox. Und ich könnte schwören, dass zu Beginn der dann folgenden „Saturday“-Ausgabe, deretwegen ich Fernseher und Sender ja eingeschaltet hatte, zwei Moderatoren vor ein Studiopublikum traten, von denen der eine seine Nirvana-Konzertkarte (ich glaube, sie war gelb) vor laufender Kamera zerriss, was der andere mit der Frage kommentierte, ob er eigentlich bescheuert sei, diese Karte hätte doch einmal sehr wertvoll werden können. Aber all das würde ja keinerlei Sinn ergeben, wenn die Wikipedia Recht hätte und die Sendung am 26. März eingestellt worden wäre — Kurt Cobains Leiche wurde bekanntlich am 8. April 1994 entdeckt.

Der hier klaffende Widerspruch beschäftigt mich seit einiger Zeit, aber zum 30. Jahrestag wollte ich ihn endlich in Angriff nehmen. Mein erster Kontakt galt der Vox-Pressestelle, wobei ich eigentlich schon in meiner Anfrage die Segel strich, als ich schrieb, ich wisse, dass bei Vox damals chaotische Zustände geherrscht hätten und vermutlich auch einiges aus dieser Zeit nicht sehr gut dokumentiert sei, was mir die nette Pressesprecherin in weniger als 24 Stunden bestätigte.

Also schrieb ich allen Menschen, die ich kenne und die mal irgendwas mit Musikfernsehen zu tun hatten. Nilz Bokelberg, der damals beim Viva-Start dabei war, brachte mich auf die (zugegebenermaßen nicht soooo abseitige) Idee, nach zeitgenössischen Quellen zu suchen — und lieferte gleich einen online verfügbaren Artikel der „Berliner Zeitung“ vom 16. März 1994 mit, in dem stand:

Nach viereinhalb Jahren kommt das Aus für das ELF-99-Magazin. Wie die ELF-99-Medienproduktion und Vermarktung GmbH gestern mitteilte, wird das Jugendmagazin am 26. März zum letzten Mal bei VOX zu sehen sein. Am 2. April soll als Nachfolger die Sendung ‘saturday’ auf VOX starten.

Ha! Das ist natürlich etwas ganz anderes, als die Wikipedia behauptet! Und die „Frankfurter Rundschau“ schrieb noch am 28. April 1994:

Seit Ostern produziert die Berliner Firma Elf 99 für Vox das Jugendmagazin “saturday”. Nur bis Ende April ist die Planung sicher. Danach sieht es für “saturday” nach Sonntag aus. Bertram Schwarz, Geschäftsführer von Elf 99, hält den Wechsel eines eingeführten “Produkts” von einem Sender zum anderen für zu schwierig.

[Ostersonntag war 1994 am 3. April]

Okay. Also liegt die Wikipedia falsch. Aber das bestätigt ja immer noch nicht meine Erinnerungen.

Ich habe versucht, Kontakt zum damaligen Redaktionsleiter von „Saturday“ aufzunehmen. Ich habe Menschen (bzw. deren Management) kontaktiert, die laut eigener Aussage „Saturday“ moderiert haben — erfolglos.

Je länger ich über diesen Samstagvormittag nachdenke, desto eindringlicher erscheinen mir meine Erinnerungen: Ich bin mir sicher, dass ich noch ganz nah vor dem Fernseher stand, den ich gerade erst eingeschaltet hatte, und mich noch nicht hingesetzt hatte. Ich sehe das Licht durch die Terrassentür fallen und spüre die Fernbedienungen des Fernsehers in meiner Hand. Klar: Die habe ich ja auch hunderte Male in der Hand gehalten — aber auch am 9. April 1994? Man hört ja immer wieder von falschen Erinnerungen, von Zeugenaussagen, die nicht stimmen können. Aber wo kommen wir hin, wenn wir unseren eigenen Erinnerungen nicht mehr trauen können? Und ist eine Erinnerung, die wir nicht mit Quellen belegen können, überhaupt real?

Eines der legendärsten Zeitdokumente ist dieser Ausschnitt aus den „Tagesthemen“ vom 9. April 1994 (die – wenig hilfreich – in der YouTube-Beschreibung als „Tagesschau“ vom 8. April bezeichnet werden):

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Als man noch auf Facebook war und dort lustige Links teilte, tat dieses Video mindestens einmal im Jahr das, was man damals „viral gehen“ nannte, weil es auf so beeindruckende Art die geballte Ahnungslosigkeit und Bräsigkeit deutscher Medien zusammenzufassen scheint — und das nicht 1968, sondern 1994: Da ist die konsequent falsche Aussprache von Cobains Nachnamen (die ARD-Aussprachedatenbank empfiehlt inzwischen – ich weiß aber nicht, seit wann – /koʊʹbeɪn/), die falsche „Übersetzung“ der „Lithium“-Textzeilen und dann die Zusammenfassung „Kurt Cobains Lieder sind Ausdruck einer jugendlichen Subkultur; einer Jugend ohne Hoffnung, ohne Job, drogenabhängig und kriminell“, die nicht nur grammatikalisch auf dünnem Eis unterwegs ist. Sowohl der damalige Washington-Korrespondent der ARD, Jochen Schweizer (Jahrgang 1938), als auch Moderatorin Sabine Christiansen (Jahrgang 1957) bemühen sich, so etwas wie Emphase und Faszination auszudrücken, aber der ganze Beitrag strahlt gleichzeitig so viel Alarmismus und Verachtung für „Jugendkulturen“ (falls es irgendjemand vergessen haben sollte: Cobain war 27, als er starb) aus, dass es denkbar erscheint, dass Tausende deutsche Eltern danach Tipper-Gore-mäßig in die Jugendzimmer ihrer Kinder rannten und sicherheitshalber die Nirvana-CDs in den Müll warfen.

Nachdem ich diesen Ausschnitt für diesen Text hier zum wiederholten Male gesehen hatte, beschlich mich das Gefühl, jene „Tagesthemen“-Ausgabe damals, am 9. April 1994, womöglich selbst gesehen zu haben — mit meiner Mutter in ihrem Nähzimmer, in dem sie damals abends oft saß, im Anschluss an „Geld oder Liebe“ mit Jürgen von der Lippe. Es scheint zumindest plausibel.

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Digital Musik

Und alle so: “Yeaahh”

Die nun folgende Geschichte ist an keiner Stelle logisch oder relevant:

Vor etwa zwei Wochen bekritzelte jemand in Hamburg ein Wahlplakat von Angela Merkel. Unter “Die Kanzlerin kommt.” schrieb er (oder sie): “Und alle so: ‘Yeaahh'”.

Jemand photographierte das Ergebnis und lud es bei flickr hoch, waraufhin es René von Nerdcore entdeckte und selbst darüber bloggte.

Auch bei Spreeblick wurde darüber gebloggt und die Geschichte entwickelte sich zu einem sogenannten Mem.

Johnny Haeusler bat um die Zusendung von “Yeaahh”-Sounds und bastelte daraus einen Song, der schon einige Male geremixt wurde. Letzten Freitag gab es einen Flashmob in Hamburg und gestern berichteten sogar die Tagesthemen darüber.

Das alles arbeitete irgendwo unterbewusst in meinem Hirn. Als ich heute Morgen erwachte, hatte ich einen Song im Ohr, von dem ich wusste, dass ich ihn nur wieder loswürde, wenn ich ihn aufnähme. Und das hab ich dann getan, inklusive einiger von Johnnys “Yeaahh”-Samples.

Es singt für Sie das Coffee-And-TV-Orchester:

Hier rechts klicken und “Ziel speichern unter” wählen.

Falls jemand so verrückt ist, und daraus auch noch einen Remix bauen will, stelle ich die einzelnen Spuren gerne später noch online.

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Digital Rundfunk

Fahnenfluch (Metaware)

Da haben die Grafiker bei den “Tagesthemen” also schon wieder eine falsche Flagge eingeblendet – diesmal die amerikanische.

Und weil vielleicht nicht jeder Deutsche exakt weiß, wie die “Stars And Stripes” aussehen, erklärt “RP Online” nochmal, was genau nochmal der Fehler war:

Kurz vor dem Ende der Sendung zeigte die ARD nicht je drei rote und weiße Streifen, sondern drei rote und vier weiße.

Na ja, fast

Nachtrag, 21:54 Uhr: Wie gesagt: “RP Online” liest hier mit und stellt jetzt (etwas umständlich) klar:

Kurz vor dem Ende der Sendung zeigte die ARD nicht je drei rote und weiße Streifen am linken Rand unterhalb des Sternenfeldes, sondern einen weißen zu viel.

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Rundfunk

Brüh im Lichte revisited

Deutschlandfahne (Symbolbild)

Deutsche Mediennutzer sind genügsam, sie nehmen fast alles hin. Manchmal schreiben sie einen empörten Leserbrief, wenn sie eine Karikatur nicht verstehen, aber ansonsten sind sie still.

Nur zwei Sachen nehmen die Deutschen ihren Medien übel: Wenn Frauen den Namen eines Fußballvereins nicht richtig aussprechen, und wenn sich “Tagesthemen”-Grafiker bei der Nationalflagge vertun.

Dann war da eben mal für eine halbe Minute eine rot-schwarz-gelbe Fahne zu sehen. Das ist peinlich und angesichts der Vollbeflaggung von Wohnhäusern, Automobilen und Fahrrädern dieser Tage auch einigermaßen überraschend. Die Kollegen von DWDL.de haben’s gesehen und aufgeschrieben, weil man das als Medienmagazin natürlich so macht. Hätte ich ja auch getan.

Heute ist die Geschichte aber das Thema am ersten fußballfreien Tag seit Wochen: Ganz groß auf der “Bild”-Zeitung, wo man sich mit gelb, rot und schwarz super auskennt, und in nahezu jedem verdammten OnlineMedium.

Natürlich darf auch, wer selber gerne Fehler macht, sich über die Fehler anderer lustig machen – sonst gäbe es ja von heute auf morgen keinen Medienjournalismus mehr. Und natürlich ist die Art und Weise, wie “ARD aktuell” auf den “Vorfall” reagiert hat (nachzulesen bei Peer), sehr viel peinlicher als eine fehlerhafte Grafik.

Aber …

Gibt’s grad nichts wichtigeres?

Zum Beispiel die erste Lesung des BKA-Gesetzes am vergangenen Freitag …

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Print Gesellschaft

It’s Raining Stupid Men

I’ll tell you one thing: Men are bastards.
After about ten minutes I wanted to cut off my own penis with a kitchen knife.

(Nick Hornby – About A Boy)

Okay, mal ehrlich, Mädels: Wie viele von Euch haben damals geheult, als rauskam, dass Stephen Gately von Boyzone schwul ist? Und Eloy de Jong von Caught In The Act auch? Und die beiden zusammen waren?

Man muss schon etwas abseitige Vergleiche bemühen, um sich zu vergegenwärtigen, was da gerade mit den deutschen Medien los ist: Anne Will hat sich geoutet hatte ihr Coming-Out, sie hat eine Lebensgefährtin, sie ist – huhuhu – lesbisch.

Nun sollte man meinen, dass das Thema Homosexualität im Jahr 2007 eigentlich so alltäglich ist, dass nicht gleich sämtliche Journalisten des Landes hyperventilierend auf ihre Tastaturen springen. Dem ist offenbar nicht so. Wenn Anne Will als erklärte Sympathieträgerin dazu beitragen kann, dass das Thema alltäglicher wird, ist das natürlich zu begrüßen, so wie überhaupt grundsätzlich zu begrüßen ist, wenn Menschen glücklich sind.

Ich weiß nicht, was Anne Will und Miriam Meckel dazu brachte, ausgerechnet jetzt der “Bild am Sonntag” zu bestätigen, was eh jeder, der es wissen wollte, schon länger wusste. Ich möchte es eigentlich auch gar nicht wissen, denn ich könnte mir vorstellen, dass die “mutige Liebes-Beichte” nicht so hundertprozentig eine freie Entscheidung der beiden war.

Die “Bild am Sonntag” jedenfalls schrieb noch:

Anne Will und Miriam Meckel – ein Power-Paar. Zwei erfolgreiche, kluge und schöne Frauen, die viel Wert darauf legen, ihr Privatleben zu schützen, auch wenn sie beide in der Öffentlichkeit bekannt sind. Sie wollen kein Getuschel und keine Aufregung um ihre lesbische Liebe.

Dabei waren die “Los Lesbos Wochos” längst eröffnet. Wie genau es “Bild” mit dem schützenswerten Privatleben nimmt, haben wir im BILDblog gestern schon nachgezeichnet, und auch heute verbreitet die Zeitung jede Menge Getuschel und Aufregung. Was aber brachte auch die vermeintlich seriösen Medien dazu, in einem Ausmaß über die “Liebessensation” zu berichten, das – zumindest gefühlt – alles in den Schatten stellt, was man dort normalerweise so an Klatsch findet?

Nun, ich glaube, die Erklärung ist ebenso naheliegend wie beunruhigend: In den meisten Redaktionen sitzen Männer und die fühlen sich in ihrer Männlichkeit gekränkt, wenn eine gut aussehende Frau keinerlei sexuelles Interesse an ihnen hat. Niemand könnte das besser in Worte fassen als Franz Josef Wagner:

Liebe Anne Will,

als Mann kommentiere ich Ihr Outing nicht spontan mit … „Das ist gut so!“

Als Ihr treuer Bildschirm-Flirter bin ich natürlich nicht begeistert, dass Sie bezaubernde Frau eine Fata Morgana sind, eine Sinnestäuschung.

Hunderte, Tausende Male stelle ich mir ein Rendezvous mit Ihnen vor. Und plötzlich – bums bzw. BamS, Sie sind lesbisch.

Und dann ist da noch diese Straßenumfrage, die bild.de gemacht hat. Da gibt es dann wirklich Männer, die entweder keine Ahnung haben, dass sie sich gerade gehörig zum Affen machen, oder es auch noch ernst meinen, wenn sie Sätze sagen wie:

„Schade eigentlich, ich hätte sie gerne auch genommen.“

Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Männer sich tatsächlich die “Tagesthemen” angesehen haben, weil sie darüber nachdachten, wie die Frau, die da gerade irgendwelche Hungersnöte und Terroranschläge anmoderierte, wohl so “im Bett” sei. Andererseits ist das Medieninteresse wohl wirklich kaum noch anders zu erklären als mit gekränkter Eitelkeit.

Das aber wirft noch eine Frage auf: Kann eine Frau, die dummerweise gut aussieht und nicht lesbisch ist, einem offenbar derart schwanzgesteuerten Mob überhaupt entkommen?

Und ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass es irgendwie kindisch wäre, jedes Mal für fünf Minuten enttäuscht zu sein, wenn Natalie Portman mal wieder einen neuen Freund anschleppt …

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Politik Gesellschaft

Rollenspiel

Stellen Sie sich bitte für einen Moment mal vor, Sie wären Angela Merkel. Das mit dem Gesicht und der Frisur überlassen wir schön den Kollegen vom Privatfernsehen, dort macht man ja auch noch Namenswitze.

Sie wären vielmehr die erste Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik und beliebt wie nur sonst was. Sie hätten in diesem Jahr als weibliches Gegenstück zu Al Gore den Klimawandel gestoppt und sogar die “New York Times” hätte gerade groß über Sie und Ihren Rückhalt im Volke berichtet. Natürlich wären Sie auch so beliebt, weil Sie in fast zwei Jahren Regierung nichts getan hätten und die ganzen unbequemen Reformen, die jetzt zu wirken begönnen, alle noch auf das Konto der Vorgängerregierung gingen, aber das könnte Ihnen ja im Prinzip egal sein. Die einzigen Sorgen, mit denen Sie sich bis jetzt hätten rumschlagen müssen, wären eine missglückte Gesundheitsreform, leichte Widerstände gegen das “Elterngeld” Ihrer Familienministerin und das ganze Theater um die Sicherheit beim G8-Gipfel gewesen.

Und dann hätte irgendjemand ein paar Türen in ein paar Ministerien nicht ordnungsgemäß verschlossen und zwei Minister würden plötzlich mit dem Bollerwagen durch die deutsche Medienlandschaft ziehen um dem letzten Bundesbürger klar zu machen, dass Sie Ihr Kabinett überhaupt nicht unter Kontrolle hätten.

Dass Wolfgang Schäuble seit Monaten immer tiefere Einschnitte in die Grundrechte der Bürger, Ihrer Wähler, fordert, wäre den meisten Betroffenen noch total egal gewesen. Doch plötzlich würde der Mann alle noch mal überraschen und munter herumerzählen, er hielte es ja nur noch für eine Frage der Zeit, bis mal ein Terrorist daherkomme und eine Atombombe zünde.1

Fast zeitgleich würde sich Ihr Verteidigungsminister hinstellen und einen Vorschlag der Vorgängerregierung, den das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hätte, wieder hervorholen und öffentlich ankündigen, im Zweifelsfalle auf Verfassung und Gericht zu scheißen und auf entführte Flugzeuge zu schießen. In den “Tagesthemen” würde er auf die Frage, ob sein Vorstoß überhaupt mit Ihnen abgesprochen sei, antworten, er und der Bundesinnenminister seien die besten Buddies überhaupt und die Frage ansonsten unbeantwortet lassen. Politiker diverser anderer Parteien und die Bundesluftwaffe würden sich gegen seinen Vorschlag wehren und in Deutschland herrschte eine Aufruhr, als habe gerade jemand Hitlers Familienpolitik gelobt oder Kunst als “entartet” bezeichnet.

Was würden Sie, der Sie ja Angela Merkel wären, jetzt tun?

1 Dass Schäuble meint, wir sollten uns “die verbleibende Zeit” nicht auch noch “verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen”, anstatt endlich mal das zu tun, was er die ganze Zeit vorgibt zu wollen, nämlich die Sicherheit der Bürger zu schützen, ist eigentlich einen eigenen Wutanfall wert.