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Film

Der Staat gegen Fritz Bauer

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Ich habe mir gestern Abend “Der Staat gegen Fritz Bauer” angeschaut über den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der letztlich dafür verantwortlich war, dass die Israelis Adolf Eichmann vor Gericht stellen konnten, und der die Auschwitz-Prozesse herbeigeführt hat.

Ein guter bis sehr guter Film mit teils grandiosen Darstellern (bei Burghart Klaußner dachte ich zwischendurch immer wieder, er würde eigentlich Hans-Jochen Vogel spielen, Sebastian Blomberg ist einfach unfassbar wandlungsfähig und gut — ich erinnere da nur daran, wie er im “Baader Meinhof Komplex” Rudi Dutschke war), einem sehr soliden Drehbuch (einige Dialoge waren sehr holzschnittartig, andere durchaus fein gedrechselt) und einer erstaunlichen Liebe zum Detail in der Ausstattung. Einzig die Drehorte, die ich ständig wiedererkannt habe (die Schanzenstraße in Köln-Mülheim, für verschiedene Orte in Süddeutschland; das Feierabendhaus in Hürth, wo wir Popstars 2015​ gedreht haben, als Pariser Flughafen — auch schön im Trailer zu sehen), haben mich immer wieder etwas rausgeholt.

Ganz so John-le-Carré-mäßig wie der Trailer tut, ist der Film auch nicht: zwar gibt es einige durchaus spannende Stellen, in denen mir zum ersten Mal richtig bewusst wurde, wie Nazi-verseucht dieser Behördenapparat im Nachkriegsdeutschland war, aber es ist dann doch eher Drama als Thriller. Ein großer Nebenstrang ist die Situation, in der Homosexuelle in Deutschland durch §175 kriminalisiert wurden — und was der Film da zeigt, ist aus heutiger Sicht fast ebenso empörend wie die Altnazis in der Haupthandlung.

Mir ist mal wieder aufgefallen, dass ich über das Nachkriegsdeutschland quasi gar nichts weiß — mein Wissen endet mit Hitlers Selbstmord und setzt dann mit den Kaufhausbrandstiftungen von Baader und Ensslin langsam wieder ein. Der Alltag, in dem meine Großeltern so alt waren wie ich heute, erscheint mir ungefähr so weit weg wie Goethezeit. Es hilft aber auch, sich die Situation in diesem Land von damals vor Augen zu führen, um zu sehen, wie weit wir dann doch schon gekommen sind. Es ist, was das Verschwinden des Faschismus und die Gleichberechtigung von Frauen und Homosexuellen angeht, noch ein weiter Weg, aber, hey: Immerhin gehen wir ihn inzwischen.

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Politik Gesellschaft

Dialektik der Nicht-Aufklärung

Waschen Sie sich den rechten Arm, pieksen Sie kleine Reichskriegsfähnchen in den Käse und hängen Sie die Hakenkreuzgirlande auf: Wir haben einen neuen Nazi-Vergleich!

Die katholischen Traditionalisten der Priesterbruderschaft St. Pius X. hat sich im Vorfeld des Stuttgarter Christopher Street Days zu einer bemerkenswerten Aussage hinreißen lassen, wie “Spiegel Online” berichtet:

“Wie stolz sind wir, wenn wir in einem Geschichtsbuch lesen, dass es im Dritten Reich mutige Katholiken gab, die sagten: ‘Wir machen diesen Wahnsinn nicht mit!’. Ebenso muss es heute wieder mutige Katholiken geben!” heißt es in dem Text. Die Bruderschaft stellt den CSD als “eine Menge von sich wild und obszön gebärdenden Menschen” dar, die durch die Straßen Stuttgarts ziehen und suggerieren wollten, “Homosexualität ist das Normalste der Welt”.

Dieser Vergleich ist in zweierlei Hinsicht beeindruckend: Erstens war der Widerstand der Katholiken im Dritten Reich, vorsichtig gesagt, nicht sonderlich erfolgreich. Es dürfte also feststehen, dass nur noch eine Allianz aus den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion Deutschland von der Homosexualität befreien könnte. Und zweitens war der Nationalsozialismus laut Piusbruderschaft ja gar nicht so schlimm.

Hier berufen sich also Leute stolz auf den erfolglosen Widerstand gegen ein – ihrer Meinung nach – nur mittelmäßiges Verbrechen. Normale menschliche Gehirne wären wegen Überhitzung längst auf Not-Aus gegangen.

Auch “Bild” berichtet über die “Kampfansage” der Piusbrüder — natürlich nicht, ohne vorher noch ein bisschen Papst-Klitterung zu betreiben:

Nachdem Anfang des Jahres Pius-Bischof Williamsons den Holocaust leugnete und daraus ein Streit zwischen Pius-Bruderschaft und Vatikan entbrannte, folgt nun der nächste Hammer.

(Für die Jüngeren: Führende Piusbrüder hatten den Holocaust schon öfter geleugnet. Die öffentliche Diskussion entzündete sich daran, dass Papst Benedikt XVI. die Exkommunikation von vier Bischöfen der Bruderschaft aufgehoben hatte.)

Jetzt schießt kreuz.net, das inoffizielle Zentralorgan der Piusbruderschaft, zurück und beginnt seine Hasstirade völlig unverblümt:

Spätestens jetzt wird die Einrichtung von Gaskammern unvermeidlich – dieses Mal nicht für die von den Deutschen getöteten religiösen Juden, welche die Homo-Perversion genauso verabscheuten wie es heute die Altgläubigen tun.

Immer wieder überraschend, wie viele Haken so ein Kreuz schlagen kann.

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Gesellschaft

Weihnachtsgrüße aus Rom

Überraschende Weihnachtsgrüße erreichen uns von der Römisch-Katholischen Kirche. ((Ich möchte hier nicht das Verhältnis zwischen mir und der katholischen Kirche thematisieren. Ich mag das pompöse ihrer Gottesdienste, ich mag den Petersplatz und ich weiß nur zu gut, welche riesigen Meinungsverschiedenheiten es zwischen Rom und den einzelnen Gemeinden vor Ort gibt. Meine Versuche, andere Religionen und Meinungen zu respektieren, scheitern eben regelmäßig am Papst.))

Benedikt XVI. hält an seinem Plan fest, zu jedem hohen Feiertage eine Bevölkerungsgruppe zu vergrätzen. Nach Juden und Muslimen hat er sich jetzt die Homosexuellen vorgenommen:

Der Papst sagte, die Menschheit müsse auf “die Sprache der Schöpfung” hören, um die von Gott vorgesehen Rollen von Mann und Frau zu verstehen. Er bezeichnete Verhältnisse jenseits von traditionellen heterosexuellen Beziehungen als “Zerstörung von Gottes Werk”.

Einen Höchstwert auf der Eva-Herman-Skala für verschrobene Gedankengänge sicherte sich der Papst dann mit diesem Satz:

“Die Regenwälder haben ein Recht auf unseren Schutz”, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters das Oberhaupt der katholischen Kirche weiter, ” Aber der Mensch als Kreatur hat nicht weniger verdient.“

Faszinierenderweise verhält es sich mit dem Papst da so ein bisschen wie mit Bushido: Ihn alleine kann man mit der nötigen Distanz noch ertragen, aber schlimm wird es, wenn seine Anhänger hinzukommen.

Stefan Niggemeier hat neulich in einem anderen Zusammenhang auf kreuz.net aufmerksam gemacht, ein “Nachrichtenportal”, das jeden aufgeklärten Menschen erst einmal staunen macht. Christlicher Extremismus ist auch im 21. Jahrhundert durchaus vorhanden — auch und gerade im Internet. Als kleine, einigermaßen wahllose Kostprobe sei nur dieser Artikel empfohlen, in dem es gleich um Schwulenhass, Journalistenbashing und einen Nazi-Vergleich geht.

Aber ich möchte mir meine dann doch halbwegs festliche Stimmung nicht von Hardcore-Exegeten der christlichen Heilslehre verderben lassen und schwenke deshalb lieber um zu schöner Musik. Die großartige Band Nizlopi hat ein Lied namens “Part Of Me” geschrieben.

In dem Text heißt es unter anderem:

And George Bush, Tony Blair, Eminem and Dr Dre
Putin, Sarcozy and Arnold Schwarzenegger by the way
Amy Winehouse, Margaret Thatcher and the Pope would have to say
If they were all quite honest
That part of them is gay

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[Direktlink]

[via queer.de]

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Gesellschaft Musik

A Different Beat

Ich gebe zu, ich hatte nicht mitbekommen, dass sich Boyzone zu einer Reunion zusammengefunden hatten. East 17: klar, Take That: sowieso, aber Boyzone, die immerhin auf Platz 3 meiner imaginären Liste der okayen Boybands der Neunziger standen: nee, verpasst.

Dabei hat die Band im Oktober mit “Back Again … No Matter What” ihre immerhin sechste Greatest-Hits-Compilation auf den Markt gebracht (zum Vergleich: in den Neunzigern kamen drei reguläre Alben raus). Am 8. Dezember erscheint die Single “Better”, die reichlich öde ist und deshalb beste Chancen hat, Christmas No. 1 in Großbritannien zu werden.

All das wäre nicht der Rede wert, wenn … ja, wenn das Video nicht eine kleine Sensation darstellte: während seine vier Bandkollegen eine Frau zum Ansingen und -schmachten haben, kuschelt Stephen Gately mit einem Mann.

"Better"-Video: Stephen Gately und ein anderer MannGenau genommen ist das nur konsequent, denn Gately war 1999 auch das erste aktive Boyband-Mitglied, das seine Homosexualität öffentlich machte. Aber während t.A.T.u. und Katy Perry mit Lesben-Chic kokettieren und “Bild” ernsthaft (also, so weit man bei “Bild” von Ernst sprechen kann) “Warum ist lesbische Liebe plötzlich so schick?” fragt, waren kuschelnde Jungs und Männer im Mainstream der Popkultur bisher nicht mal eine Ausnahme, sondern schlicht nicht existent.

Es stimmt also durchaus, wenn Caroline Sullivan im “Guardian” schreibt, das Boyzone-Video sei “rather groundbreaking”. Allerdings schränkt sie auch ein, man solle nicht zu viele Nachahmer erwarten:

With less to lose than an ascendant new band, it was easy for Boyzone to do the right thing by Gately. The few other established groups with openly gay members tend to tread lightly around the subject.

Das eigentlich Erstaunliche an dem Video – neben der Frage, warum es zuerst schwule Bürgermeister und Parteivorsitzende gab und dann erst kuschelnde Männer in Musikvideos – ist die fast schon nebensächliche Selbstverständlichkeit, mit der zwischen den vier Mann/Frau-Paarungen diese zwei Männer stehen: kein Schockeffekt, kein “Seht her, zwei Schwule!” wie damals in der “Lindenstraße”. Es ist dieses Plädoyer für Normalität, die dieses durchschnittliche Video für ein langweiliges Lied zu etwas Außergewöhnlichem macht. Im Jahr 2008.

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Digital

Reisverdächtig

“RP Online” hat das coming out ((Verzeihen Sie mir hier diese Sick-igkeit, aber es heißt “coming out”. Geoutet wird man von anderen und nicht von sich selbst!)) der Fernsehmoderatorin Dunja Hayali zum Anlass genommen, eine neuneinhalbzeilige Meldung zum Thema und eine 12-teilige Bildergalerie mit den üblichen Schwuppen und Lesben rauszuhauen (man kennt das ja).

Einer der Leser kommentierte das wie folgt:

Reissack-Umfall-Zähler. Dieser wäre weitaus interessanter als solche Meldungen. Kann als Ticker auf Ihrer Startseite installiert werden. Gerne auch unterteilt nach Reisorten.....

Ich bin sicher, in der Redaktion wird bereits fieberhaft an einer Umsetzung gearbeitet.

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Sport Gesellschaft

Christoph Daums Bedenken

Am Mittwoch, 28. Mai 2008, wird das Deutsche Sportfernsehen (DSF) eine Dokumentation ausstrahlen, die sich mit dem immer noch größten Tabu im Fußball beschäftigt: der Homosexualität.

Wenn es stimmt, was die Deutsche Akademie für Fußballkultur vorab vermeldet, wird Christoph Daum, Trainer der Fahrstuhlmannschaft 1. FC Köln, in diesem Film folgende Worte sagen:

Da wird es sehr deutlich, wie sehr wir dort aufgefordert sind, gegen jegliche Bestrebungen, die da gleichgeschlechtlich ausgeprägt ist, vorzugehen. Gerade den uns anvertrauten Jugendlichen müssen wir mit einem so großen Verantwortungsbewusstsein entgegen treten, dass gerade die, die sich um diese Kinder kümmern, dass wir denen einen besonderen Schutz zukommen lassen. Und ich hätte da wirklich meine Bedenken, wenn dort von Theo Zwanziger irgendwelche Liberalisierungsgedanken einfließen sollten. Ich würde den Schutz der Kinder über jegliche Liberalisierung stellen.

Das klingt erst einmal ziemlich konfus, was sicher auch der freien Rede geschuldet ist. Aber es bedarf keiner besonders böswilligen Interpretation, um zu erahnen, dass da wohl mal jemand Homosexualität und Pädophilie durcheinander gebracht hat. Oder bringen wollte.

Nun halte ich normalerweise nicht viel davon, Menschen mögliche Verfehlungen aus ihrer eigenen Vergangenheit immer wieder vorzuhalten, aber an dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sich da ein Mann um Jugendliche und “Verantwortungsbewusstsein” sorgt, der vor acht Jahren nicht Fußballbundestrainer wurde, weil ihm schwerer Kokainkonsum nachgewiesen werden konnte. (Meinetwegen kann jeder mit seiner Gesundheit machen, was er will, aber hier geht es ja um die moralische Komponente der Geschichte.) Dass Daum ausgerechnet Trainer in der “schwulsten Stadt Deutschlands” ist, ist da das Tüpfelchen auf dem i.

Ich bin gespannt, wie die Dokumentation letztlich aussehen wird, und ob Daums homophober Ausfall von der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen wird. Der Profifußball wird immer wieder mit der katholischen Kirche in einem Atemzug genannt, wenn es um die letzten Bastionen offener Schwulenfeindlichkeit gilt. Das Fußballmagazin “Rund” hat diesem Thema schon mehrere große Artikel gewidmet, die man hier und hier bei “Spiegel Online” nachlesen kann.

DFB-Chef Theo Zwanziger will jetzt “ein Klima schaffen” in dem auch offen homosexuelle Fußballer entspannt im Stadion auflaufen können. Das ist ihm hoch anzurechnen, aber es wird ein schwerer Weg in einem Umfeld, in dem Fans gegnerische Spieler oder den Schiedsrichter immer noch als “schwul” bezeichnen und das durchaus als Beleidigung meinen. Wie bei seinem Engagement gegen Rassismus wird der DFB einen langen Atem brauchen und auch seine eigenen Entscheidungen anpassen. So wurde der Dortmunder Torwart Roman Weidenfeller im vergangenen Jahr für drei Spiele gesperrt und musste 10.000 Euro Strafe zahlen, weil er seinen Gegenspieler Gerald Asamoah beleidigt hatte: angeblich wurde Weidenfeller für die Worte “Du schwule Sau” verurteilt – wenn er den dunkelhäutigen Asamoah (wie zunächst behauptet wurde) als “schwarzes Schwein” beschimpft hätte, wäre die Strafe noch erheblich schwerer ausgefallen.

Zum aktuellen Fall Daum hat sich Moritz von hellojed. im offiziellen Webforum des 1. FC Köln umgesehen und präsentiert die schlimmsten Kommentare.

[via queer.de]

Nachtrag, 18:40 Uhr: Wie Moritz in einem weiteren Eintrag schreibt, hat sich Daum inzwischen gegenüber dem Kölner “Express” erklärt – und dabei eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er den Unterschied zwischen Homosexualität und Pädophilie wirklich nicht kennt:

Grundsätzlich bin ich ein toleranter und liberaler Mensch. Ich habe keinerlei Berührungsängste zu homosexuellen Menschen. Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es Einige, die gleichgeschlechtliche Beziehungen leben.
Kinderschutz geht mir aber über alles. Kinder müssen vor Gewalt und sexuellen Übergriffen, ganz gleich ob homo- oder heterosexuellen Menschen, geschützt werden. Deswegen arbeite ich auch aktiv bei der Organisation Power-Child.

Wer beim Wort “schwul” gleich an eklige Männer denkt, die kleinen Jungs an die Sporthose wollen, sollte zumindest kurz überlegen, ob er dieses verquere Weltbild auch noch der Öffentlichkeit mitteilen muss.

Und während der “Express” noch recht neutral “Wirbel um Daum-Aussage” titelt, gehen bild.de (“Daum beleidigt Schwule”) und stern.de (“Daum macht gegen Schwule mobil”) gleich in die Vollen. Das muss ja auch nicht sein …

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Gesellschaft

Lesen Sie nicht diesen Artikel bei Coffee And TV!

Die schweizer Bank Julius Bär ist gerichtlich gegen die Internet-Plattform Wikileaks vorgegangen, weil auf dieser Kundendaten aufgetaucht waren, die Geldwäsche und Steuerhinterziehung auf den Cayman Islands belegen sollen. Inzwischen ist Wikileaks wieder online.

Da mein Interesse am Finanzgeschehen eher gering ist, kannte ich die Bank Julius Bär vorher gar nicht – genauso wenig wie Wikileaks. Ebenso war mir der Begriff für derart unfreiwillige PR bisher unbekannt, aber Dank NPR weiß ich nun, dass man in solchen Fällen vom “Streisand effect” spricht. Dieser ist benannt nach der Schauspielerin Barbra Streisand, die einen Fotografen verklagt hatte, dem beim Fotografieren der kalifornischen Küste auch das Haus der Schauspielerin vor die Linse geraten war. Bis zu ihrer Klage war das niemandem aufgefallen, danach war das Foto auf Internetseiten und in Zeitungen zu sehen.

Auch in Deutschland kennt man Fälle, in denen die (versuchte) Verhinderung von Berichterstattung sehr viel mehr Aufmerksamkeit erzeugt hat als die ursprüngliche Berichterstattung selbst. Allerdings unter etwas anderen Vorzeichen:

Da wäre der Nachrichtensprecher, der 1998 gerichtlich gegen die Behauptung vorging, er sei homosexuell, und mit diesem Schritt eine größere mediale Aufmerksamkeit erregte, als es die Nischen-Medien, die die Behauptung aufgestellt hatten, je gekonnt hätten.

Oder der damalige Bundeskanzler, der vor Gericht zog, weil eine Nachrichtenagentur in einem Nebensatz die Behauptung einer Image-Beraterin zitiert hatte, der Politiker färbe sein dunkles Haupthaar.

Nun verhält es sich in diesen Fällen etwas anders als bei Julius Bär und Barbra Streisand: Gerichtlich bestätigt müssen wir davon ausgehen, dass der Nachrichtensprecher wirklich nicht homosexuell ist, der Kanzler wirklich nicht gefärbt hat.

Allein: Das Unterbewusstsein kennt ja angeblich keine Verneinung und speichert deshalb den Begriff “schwul” unter dem Foto des Nachrichtensprechers ab und addiert beim (inzwischen Alt-)Kanzler “Haare färben”. Mal davon ab, dass man als Spitzenpolitiker mit einem kleinlichen Prozess in der Regel mehr bleibenden Eindruck hinterlässt, als eine unbekannte Image-Beraterin mit einem dahingesagten Halbsatz über die Haare des Kanzlers.

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Print Gesellschaft

It’s Raining Stupid Men

I’ll tell you one thing: Men are bastards.
After about ten minutes I wanted to cut off my own penis with a kitchen knife.

(Nick Hornby – About A Boy)

Okay, mal ehrlich, Mädels: Wie viele von Euch haben damals geheult, als rauskam, dass Stephen Gately von Boyzone schwul ist? Und Eloy de Jong von Caught In The Act auch? Und die beiden zusammen waren?

Man muss schon etwas abseitige Vergleiche bemühen, um sich zu vergegenwärtigen, was da gerade mit den deutschen Medien los ist: Anne Will hat sich geoutet hatte ihr Coming-Out, sie hat eine Lebensgefährtin, sie ist – huhuhu – lesbisch.

Nun sollte man meinen, dass das Thema Homosexualität im Jahr 2007 eigentlich so alltäglich ist, dass nicht gleich sämtliche Journalisten des Landes hyperventilierend auf ihre Tastaturen springen. Dem ist offenbar nicht so. Wenn Anne Will als erklärte Sympathieträgerin dazu beitragen kann, dass das Thema alltäglicher wird, ist das natürlich zu begrüßen, so wie überhaupt grundsätzlich zu begrüßen ist, wenn Menschen glücklich sind.

Ich weiß nicht, was Anne Will und Miriam Meckel dazu brachte, ausgerechnet jetzt der “Bild am Sonntag” zu bestätigen, was eh jeder, der es wissen wollte, schon länger wusste. Ich möchte es eigentlich auch gar nicht wissen, denn ich könnte mir vorstellen, dass die “mutige Liebes-Beichte” nicht so hundertprozentig eine freie Entscheidung der beiden war.

Die “Bild am Sonntag” jedenfalls schrieb noch:

Anne Will und Miriam Meckel – ein Power-Paar. Zwei erfolgreiche, kluge und schöne Frauen, die viel Wert darauf legen, ihr Privatleben zu schützen, auch wenn sie beide in der Öffentlichkeit bekannt sind. Sie wollen kein Getuschel und keine Aufregung um ihre lesbische Liebe.

Dabei waren die “Los Lesbos Wochos” längst eröffnet. Wie genau es “Bild” mit dem schützenswerten Privatleben nimmt, haben wir im BILDblog gestern schon nachgezeichnet, und auch heute verbreitet die Zeitung jede Menge Getuschel und Aufregung. Was aber brachte auch die vermeintlich seriösen Medien dazu, in einem Ausmaß über die “Liebessensation” zu berichten, das – zumindest gefühlt – alles in den Schatten stellt, was man dort normalerweise so an Klatsch findet?

Nun, ich glaube, die Erklärung ist ebenso naheliegend wie beunruhigend: In den meisten Redaktionen sitzen Männer und die fühlen sich in ihrer Männlichkeit gekränkt, wenn eine gut aussehende Frau keinerlei sexuelles Interesse an ihnen hat. Niemand könnte das besser in Worte fassen als Franz Josef Wagner:

Liebe Anne Will,

als Mann kommentiere ich Ihr Outing nicht spontan mit … „Das ist gut so!“

Als Ihr treuer Bildschirm-Flirter bin ich natürlich nicht begeistert, dass Sie bezaubernde Frau eine Fata Morgana sind, eine Sinnestäuschung.

Hunderte, Tausende Male stelle ich mir ein Rendezvous mit Ihnen vor. Und plötzlich – bums bzw. BamS, Sie sind lesbisch.

Und dann ist da noch diese Straßenumfrage, die bild.de gemacht hat. Da gibt es dann wirklich Männer, die entweder keine Ahnung haben, dass sie sich gerade gehörig zum Affen machen, oder es auch noch ernst meinen, wenn sie Sätze sagen wie:

„Schade eigentlich, ich hätte sie gerne auch genommen.“

Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Männer sich tatsächlich die “Tagesthemen” angesehen haben, weil sie darüber nachdachten, wie die Frau, die da gerade irgendwelche Hungersnöte und Terroranschläge anmoderierte, wohl so “im Bett” sei. Andererseits ist das Medieninteresse wohl wirklich kaum noch anders zu erklären als mit gekränkter Eitelkeit.

Das aber wirft noch eine Frage auf: Kann eine Frau, die dummerweise gut aussieht und nicht lesbisch ist, einem offenbar derart schwanzgesteuerten Mob überhaupt entkommen?

Und ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass es irgendwie kindisch wäre, jedes Mal für fünf Minuten enttäuscht zu sein, wenn Natalie Portman mal wieder einen neuen Freund anschleppt …

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Digital Gesellschaft

Nicht immer gut

Wer guckt sich eigentlich diese albernen Bildergalerien auf den Startseiten diverser Webmail-Dienste an? Ich, zum Beispiel, wenn ich mich gerade mal wieder verklickt habe.

Und so stieß ich bei gmx.de auf eine Galerie, die wie folgt vorgestellt wurde:

GMX glaubt, dass manche Prominentenoutings der Karriere geschadet haben.
(Screenshot: gmx.de)

Mal davon ab, dass auch hier mal wieder munter die Begriffe “Outing” und “Coming-Out” durcheinander geworfen werden, ist die Liste der Prominenten (Hape Kerkeling, Elton John, Pink, Peter Plate, Michael Stipe, George Michael, Lilo Wanders, Thomas Hermanns, Klaus Wowereit, Melissa Etheridge, Hella von Sinnen, Jürgen Domian, Dirk Bach, Vera Int-Veen und Ellen de Generes) ungefähr so spannend wie eine Flasche Prosecco, die seit dem letztjährigen Christopher Street Day offen rumsteht – man fragt sich eigentlich nur, wer Georg Uecker und Maren Kroymann vergessen hat.

Natürlich könnte man sich jetzt fragen, bei welcher der genannten Personen sich das Coming-Out/Outing denn als “nicht gut” für die Karriere erwiesen habe. “Na, für Ellen de Generes zum Beispiel”, ruft da gmx.de:

Als sie sich in einer Episode als lebisch outet, wird der Sender von Geldgebern unter Druck gesetzt und setzt die Sendung ab.

Nein, ich weiß auch nicht, was “lebisch” ist und ob sowas die Karriere zerstören kann. Aber wenn wir der Wikipedia trauen können, schob man es bei ABC wohl auch eher auf die schwächelnden Quoten und den Druck religiöser Organisationen nach de Generes’ Coming-Out, als man “Ellen” 1998 auslaufen ließ.

Apropos Wikipedia: die scheint bei der Recherche für den Artikel die Bildbegleittexte eine wichtige Rolle gespielt zu haben. So heißt es bei Ernie Reinhardt (Lilo Wanders):

… im Zweifelsfall war’s die Wikipedia
(Screenshot: gmx.de, Hervorherbung: Coffee & TV)

Viel Arbeit war also offenbar nicht vonnöten, um die Liste zu erstellen und ein paar Fakten zusammenzutragen. Und trotzdem kann man auch an so einer Aufgabe noch scheitern:

Die meisten Menschen verbinden Elton John nur mit jener schwer verdaulichen Ballade “Candle in the wind”, die 1997 zu Ehren der verstorbenen Lady Di in jedem Radio-Sender der Welt runtergeleiert wurde. Trotz des Prädikats “meistverkaufte Single aller Zeiten” muss sich der mittlerweile geadelte Sir Elton John für diesen Schmachtfetzen auch heute noch Kritik gefallen lassen.

wird dem Leben ‘n’ Werk von Elton John jetzt vielleicht nicht so ganz gerecht, ist aber harmlos verglichen mit dem, was bei Hape Kerkeling steht:

Der 1964 geborene Comedy-Star outete sich Anfang der 90er-Jahre als homosexuell

Ist das jetzt nur unglücklich formuliert oder bewusstes Verschleiern der Tatsache, dass Kerkeling (wie auch Alfred Biolek) 1991 von Regisseur Rosa von Praunheim in der RTL-Sendung “Explosiv – Der heiße Stuhl” geoutet wurde? Eine Praxis, die unter anderem der Bund lesbischer und schwuler JournalistInnen verurteilt.

Aber was soll so ein Paradiesvogel-Sammelalbum unter dem Titel “Prominente auf dem CSD? Diese Stars könnten Sie dort treffen” überhaupt? Und wer guckt sich diese albernen Bildergalerien auf den Startseiten diverser Webmail-Dienste eigentlich an?

Gerüchten zufolge “könnte” man auf “dem CSD” (gemeint ist vermutlich der Christopher Street Day in Berlin am vergangenen Wochenende, Köln kommt aber z.B. auch noch) auch heterosexuelle Prominente treffen. Und homo- oder bisexuelle Nicht-Prominente. Und heterosexuelle Nicht-Prominente. Und und und …