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Digital Gesellschaft

I love you, you pay my rant

Liebe PR-Futzis,

wir müssen reden. Habt Ihr eigentlich ‘nen Knall? Seit einigen Monaten erreichen mich Pakete, auf denen kein Absender steht ((Der Satz “Hoffentlich ist keine Bombe drin” von meinem Paketboten ist nur mittelwitzig.)) und in denen sich irgendwelcher Prött befindet. Eure Erwartung ist offenbar, dass ich darüber schreibe, was für einen crazy-verrückten Kram ich da ins Haus bekommen habe, und dass ich dann irgendwann nach Eurer Auflösung auch noch nachtrage, von welcher Firma der Mist kam. Sowas nennt man dann wohl “virales Marketing”, obwohl ich eigentlich immer dachte, Virals seien nicht planbar.

Es ist ja jedem Blogger ((Ich nehme an, Ihr schreibt einfach immer die ersten hundert Blogger an, die Ihr finden könnt.)) selbst überlassen, ob er über sowas schreiben will. Eine kurze Beschäftigung mit diesem Blog dürfte aber zeigen, dass wir hier eher nicht so auf PR stehen. Einzige Ausnahme: Ihr seid die Kilians — aber das wüsste ich.

Natürlich muss man als Blog-Betreiber damit rechnen, unverlangt E-Mails zu bekommen und in Newsletter eingetragen zu werden. Das ist auch nicht richtig höflich, aber okay, wenn es thematisch passt. ((Die Typen, die neulich einen Linktausch zum Thema “Kaffee” anleiern wollten, haben sich dieses Blog sicherlich die vollen anderthalb Sekunden angesehen, die man braucht, um das Impressum zu finden.)) In jedem Fall sind Spam-Mails bedeutend leichter zu entsorgen als Pakete, die wie ein “So trenne ich meinen Müll richtig”-Lernspiel für Grundschüler anmuten.

Im Moment kann ich mich übrigens nicht mal richtig über echte Geschenke von lieben Menschen freuen, da mein 20-m2-Zimmer schon bis zum Rand mit Kram gefüllt ist und mir beim Gedanken an den irgendwann dann doch mal anstehenden Umzug schon regelmäßig der Schweiß ausbricht. “Verbrauchswaren” braucht Ihr mir aber auch nicht zu schicken, denn wer will schon anonym versandte Lebensmittel?

Noch ein bisschen blöder wird so eine Aktion, wenn das Paket ausgerechnet am Samstagmorgen um Zehn nach Neun (lies: Mitten in der Nacht) zugestellt wird. Aber das wäre natürlich noch steigerbar: Wenn ich mit dem Bus nach Altenbochum fahren müsste, um in der Postagentur festzustellen, dass mir jemand ein Päckchen Sondermüll zugeschickt hat, würde ich vermutlich schlichtweg grün anlaufen und erst mal ein paar Autos durch die Gegend werfen.

Nehmt Euch ein Beispiel an den Musik-Promotern, Plattenfirmen und Nachwuchsbands dieses Landes, die in der Regel immer nett nachfragen, bevor sie einem was ins Haus schicken. Das ist schon aus ökonomischem Selbstschutz die tausendmal brillantere Idee und häufig ergeben sich daraus auch nette Kontakte. Als ich vor ein paar Monaten unaufgefordert ein Paket von einem namhaften deutschen Verlag bekam, mit dessen Presseabteilung ich zuvor schon mal zu tun gehabt hatte, war ich erst verwirrt. Aber die Auswahl der Bücher legte nahe, dass sich da jemand sehr genau mit diesem Blog beschäftigt haben muss, und ich war nicht mehr verwirrt, sondern gerührt. Entsprechend schlecht ist mein Gewissen, dass die Bücher noch immer ungelesen sind.

Jede Website bemüht sich heutzutage um personalisierte Werbung, die möglichst präzise auf die Interessen des einzelnen Besuchers zugeschnitten ist, aber Ihr ballert mit Schrotflinten auf Pfennigstücke. Genauso gut könnten Eure Kunden Geldscheine in die Luft werfen und was oben bleibt, ist gut investiert.

Überhaupt, liebe Firmen: Findet Ihr das eigentlich gut, diese Belästigung im Namen des Marketings? Einfach Leute anzurufen ist verboten, aber ihnen Krempel ins Haus zu schicken ist okay? Wisst Ihr, was Eure vermutlich überbezahlten PR-Strategen da machen? Habt Ihr das so in Auftrag gegeben? Und wenn Ihr diesen Text hier in Eurer Pressemappe findet (weil any PR ja bekanntlich good PR ist), habt Ihr dann nicht das Gefühl, dass da irgendwas irgendwo gewaltig schief gelaufen sein könnte?

Es ist das derbste PR-Klischee, aber solche Aktionen fallen einem doch nicht im nüchternen Zustand ein, oder? Die Krise ist erst eine, wenn sie auch bei den Hamburger und Düsseldorfer Koksdealern angekommen ist. Und mal ehrlich: Wer auf die Idee kommt, in einem Werbespot ausgerechnet den Titelsong von “Wir Kinder vom Bahnhof Zoo” zur Vermittlung eines positiven Lebensgefühls einzusetzen (wie gestern gesehen), der muss sich doch wohl ein eher legeres Verhältnis zu Betäubungsmitteln nachsagen lassen.

Genug der kalten Wut. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass ich von weiteren Care-Paketen aus der Werbehölle verschont werden möchte. Ich wäre glücklich, wenn Ihr Euch daran hieltet.

Mit freundlichen Grüßen und Dank im Voraus,

Lukas Heinser

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Digital Politik

Schaum vorm Mund

Bis vor einigen Tagen hatte ich noch nie von Sebastian Edathy gehört, im Moment erlebt der SPD-Politiker seine fünfzehn Minuten Ruhm in der Blogosphäre, was immerhin für fünf Mal Zähneputzen reicht.

Mitunter geht dabei unter, dass Edathy eigentlich Kritik an der geplanten Videoüberwachung von Privathaushalten geäußert hatte – andererseits hat er selbst natürlich in seinem mittlerweile legendären Radio-Eins-Interview die Gelegenheit versäumt, irgendeinen Standpunkt zu vertreten.

Jetzt wird Edatyh in seinem Gästebuch und bei abgeordnetenwatch.de mit hämischen Fragen und Kommentaren überhäuft, auf die er in seiner ganz eigenen Art reagiert: er zitiert dpa-Meldungen, in denen er zitiert wird.

Ein Kommentator im Gästebuch schreibt zum Telefoninterview interruptus:

Schade, dass Sie sich diesem sehr wichtigen Thema auf diese Weise entziehen. Es hätte mich schon sehr interessiert, wie Sie sich als SPD-Abgeordneter und Vorsitzender des Innenausschusses dazu positionieren.

Und Edathy antwortet kanzelt ihn ab:

Wenn Sie sich ein wenig kundig gemacht hätten, wüssten Sie, dass ich
mich zu diesem Thema in den letzten Tagen mehrfach kritisch geäußert habe.

Bei abgeordnetenwatch.de hat er fast exakt das gleiche geantwortet.

Aber auch eine andere Geschichte ist noch nicht ausgestanden: Edathy hatte sich bei der Chefredaktion von “Zeit Online” darüber beschwert, dass eine freie Journalistin, die ihn für “Zeit Online” interviewt hatte, seine Zitate einfach für einen Text bei Telepolis (oder wie Edathy es ausdrückt: “auf der Seite heise.de – einem privatem Forum”) verbraten hatte. Über das Vorgehen der Journalistin lässt sich sicher lange diskutieren (s.a. die Stellungnahme von “Zeit Online” und die Reaktion im “Zeit Meckerblog”), Edathy aber nutzte die Situation, um sich zielsicher und an völlig falscher Stelle zum Vollhorst zu machen, wobei er die Folgen seines Auftritts in Journalismus und Blogosphäre offensichtlich unterschätzte.

Der Blogger Jochen Hoff schrieb Edathy eine reichlich unverschämte E-Mail zu dem Fall, in der er neben einer Menge übertriebener Kritik auch folgenden Absatz einbaute:

Ach ja. Genießen Sie bitte jetzt die Aufmerksamkeit. Nach einem Systemwechsel werden wir zwar eine saubere Zelle für sie finden, allerdings wird es Ihnen nach ihrem Gerichtsverfahren, dort an Aufmerksamkeit doch eher fehlen.

Staatsmänner von wahrer Größe hätten auf so einen pubertären Dünnsinn gar nicht reagiert. Doch was tat Sebastian Edathy, dem es neben Größe, Humor, Souveränität und Freundlichkeit gegenüber Wählern und Journalisten auch an Gespür dafür zu mangeln scheint, wann man redet und wann man besser schweigt?

Er antwortete:

Ihre Aussage “Genießen Sie bitte jetzt die Aufmerksamkeit. Nach einem Systemwechsel werden wir zwar eine saubere Zelle für Sie finden, allerdings wird es Ihnen nach Ihrem Gerichtsverfahren dort an Aufmerksamkeit doch eher fehlen.” reicht zwar bereits für eine Strafanzeige aus, die ich auch stellen werde, vielleicht könnten Sie Ihre Ausführungen aber noch ein wenig konkretisieren bzw. illustrieren, damit ich der Staatsanwaltschaft ggf. ergänzende Informationen übermitteln kann.

Dass sich ein Blogger derart zum Affen macht, ist die eine Sache; dass ein Politiker derart darauf anspringt, ist in meinen Augen aber noch viel schlimmer.

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Musik Digital

Silberscheiben am Horizont

In meinem Zimmer stapelt sich der Sondermüll. Dafür musste ich weder ein Atomkraftwerk überfallen noch Altöl abzapfen, ich wurde über Jahre hinweg bemustert, was im Klartext heißt: Plattenfirmen schicken einem eine ganze Menge CDs, von denen ein relativ kleiner Teil sehr, sehr gut ist, der Großteil aber egal bis schlimm.

Viele dieser CDs sind mit dem Hinweis versehen, sie befänden sich weiterhin im Eigentum der aushändigenden Plattenfirma oder Promoagentur und dürften unter keinen Umständen (die Formulierungen variieren da etwas, legen aber drakonische bis schmerzhafte Strafen nahe) verkauft, verschenkt oder sonstwie veräußert werden. Einige Firmen arbeiten inzwischen mit digitalen Wasserzeichen, die angeblich eine präzise Rückverfolgung zulassen, wenn mal wieder ein böser, böser Journalist die CD ins Internet gestellt hat – und dann gnade ihm Gott. (Insider gehen davon aus, dass unveröffentlichte CDs fast immer von unterbezahlten Mitarbeitern in Presswerken und an Packstraßen gerippt werden und fast nie von Journalisten oder DJs.)

Universal Music führt deshalb zur Zeit einen Rechtsstreit gegen den eBay-Händler Troy Augusto, dessen Ausgang bizarre Folgen haben könnte, mindestens in den USA: Wenn nämlich eine Firma durch ein paar schlichte Sätze einfach festlegen kann, was der Konsument mit ihrem Produkt machen darf und was nicht – wobei der Konsument im Extremfall ein zahlender Kunde sein könnte, der das Produkt für viel Geld erworben hat.

Der Fall zeigt wieder einmal die Hilf- und Ahnungslosigkeit der Musikindustrie auf: Dabei geht es gar nicht so sehr um den konkreten Fall, in dem man die Weitergabe von Werbegeschenken (und nichts anderes sind Promo-CDs ja in den meisten Fällen) unterbinden will. Der Fall zeigt vielmehr, wie unbedarft die großen Unterhaltungskonzerne immer noch mit dem Internet umgehen, denn jetzt stehen sie schon wieder als klagewütige, ansonsten aber ideenlose Firmen da.

[Ähnlich geschickt stellte sich zuletzt übrigens SonyBMG an.]

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Politik Gesellschaft

Alle Räder stehen still

Gewerkschafter in San Francisco, CA

Heute brauche ich die Wohnung nicht zu verlassen, denn im Bochumer ÖPNV sieht es aus, als wären Weihnachten, das Fußball-WM-Finale Deutschland – Holland, ein Schneesturm, ein Stromausfall und eine Sonnenfinsternis auf einen Tag gefallen: Nichts geht mehr.

Glücklicherweise muss ich heute weder zur Uni noch mit irgendwelchen tollen Frauen in noch tollere Kinofilme, denn sonst wäre ich SEHR, SEHR ANGEKOTZT. Meine Solidarität und mein Mitgefühl werden nämlich nicht in einer Währung erkauft, die “mir auf die Nerven gehen” heißt. ((Größte Sympathien kann erwarten, wer mich in Frieden lässt. Die Weltpolitik sollte meinem Beispiel folgen.))

Streiken tun Ver.di und Komba, was nicht etwa lustige Figuren aus lehrreichen Serien beim KiKa sind, sondern Gewerkschaften. Gewerkschaften, das weiß ich seit meinem achten Lebensjahr, sind böse: Sie werden geführt von Menschen, die so lustige Namen wie Monika Wulf-Mathies oder Frank Bsirske tragen, und wenn sie mal schlecht gelaunt sind, wird der Müll wochenlang nicht abgeholt und es laufen Ratten über den Schulhof. Am 1. Mai, wenn normale Menschen ausschlafen, laufen sie mit selbstgemalten Transparenten durch die Straßen und wollen Geld.

Warum die Gewerkschaften das diesmal wollen, war mir bis gestern nicht so ganz klar. Jens musste es mir bei der pl0gbar erklären und war so freundlich, diese Erklärung gleich auch noch mal bei sich zu bloggen. Von Seiten der Gewerkschaften hatte ich bisher nur einen Zettel in der U-Bahn gesehen, auf dem stand, dass man als alleinstehender Straßenbahnfahrer zum Berufseinstieg einen Hungerlohn von 1.200 Euro netto bekomme, was für mich jetzt irgendwie nicht allzu dramatisch klang. Auch der Website von Ver.di oder dieser Kampagnenseite konnte ich allenfalls entnehmen, dass die Gewerkschafter mehr Geld wollen. Das will aber jeder, weswegen ich ein paar kleine Erklärungen ganz töfte gefunden hätte.

Deshalb fordere ich: PR-Berater in die Gewerkschaften!

Was ein Müllmann, ein Busfahrer, eine Bibliothekarin macht, weiß ich selbst – ich möchte wissen, warum sie mehr Geld wollen – und da finde ich “Weil sie in den letzten Jahren immer weniger Geld gekriegt haben”, schon eine ziemlich nachvollziehbare Begründung. Ich wette nur, wenn man heute Morgen einhundert entnervte Pendler befragt hätte: “Nennen Sie einen Grund, warum Sie heute nicht zur Arbeit gefahren werden!”, wäre “Reallohnverluste in den vergangenen Jahren” nicht die Top-Antwort gewesen.

Locker verteilte Warnstreiks sind nur ärgerlich: Wenn Montags die Kindergärtnerinnen streiken, Dienstags die Busfahrer und Mittwochs die Müllabfuhr, hat die Bevölkerung jeden Tag einen Grund sich zu ärgern und total unsolidarisch drauf zu sein. Wie wäre es denn mal mit einem ordentlichen, alles lähmenden Generalstreik? Man müsste sich keine Gedanken mehr machen, wer die Kinder versorgt und wie man zur Arbeit kommt, man könnte mit den Kleinen gemütlich zuhause sitzen, Kakao trinken und ihnen die Ratten in den Müllbergen im Vorgarten zeigen. Frankreich und Italien sind berühmt für ihre Generalstreiks und die Deutschen sind doch sonst immer so vernarrt in Merlot, Latte Matschiato und Brusketta, warum nicht mal einen schicken Generalstreik importieren? Danach wüssten alle, wo überall Menschen arbeiten, die mehr Geld verdient hätten, ((Ist es nicht völlig bizarr, dass man in der deutschen Sprache weniger Geld verdienen kann als man verdient hätte?)) und es wäre ein bisschen wie Urlaub mitten im Jahr. Die Straßen wären nicht verstopft (auch Gewerkschaften sollten sich dem Umweltschutz nicht verschließen) und alle würden einander mögen und toll finden.

Stattdessen: In Mülltüten gekleidete Schnauzbartträger, die hinter einem brennenden Fass stehen und in Trillerpfeifen blasen. So zwanzigstes Jahrhundert, so SPD, so nicht 2.0.

Natürlich kann es sein, dass dies ein überkommenes Klischee ist oder in Gewerkschaftskreisen als Folklore im Sinne von Karneval, Fußball oder Volksmusik gilt, aber es ist immer noch das bestimmende Bild in den Medien. Was letztlich auch daran liegen könnte, dass Medienkonzerne letztlich auch in Gewerkschaften organisierte Angestellte haben, und deshalb wenig Wert darauf legen, dass Streikende sympathisch rüberkommen.

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Gesellschaft

Lesen Sie nicht diesen Artikel bei Coffee And TV!

Die schweizer Bank Julius Bär ist gerichtlich gegen die Internet-Plattform Wikileaks vorgegangen, weil auf dieser Kundendaten aufgetaucht waren, die Geldwäsche und Steuerhinterziehung auf den Cayman Islands belegen sollen. Inzwischen ist Wikileaks wieder online.

Da mein Interesse am Finanzgeschehen eher gering ist, kannte ich die Bank Julius Bär vorher gar nicht – genauso wenig wie Wikileaks. Ebenso war mir der Begriff für derart unfreiwillige PR bisher unbekannt, aber Dank NPR weiß ich nun, dass man in solchen Fällen vom “Streisand effect” spricht. Dieser ist benannt nach der Schauspielerin Barbra Streisand, die einen Fotografen verklagt hatte, dem beim Fotografieren der kalifornischen Küste auch das Haus der Schauspielerin vor die Linse geraten war. Bis zu ihrer Klage war das niemandem aufgefallen, danach war das Foto auf Internetseiten und in Zeitungen zu sehen.

Auch in Deutschland kennt man Fälle, in denen die (versuchte) Verhinderung von Berichterstattung sehr viel mehr Aufmerksamkeit erzeugt hat als die ursprüngliche Berichterstattung selbst. Allerdings unter etwas anderen Vorzeichen:

Da wäre der Nachrichtensprecher, der 1998 gerichtlich gegen die Behauptung vorging, er sei homosexuell, und mit diesem Schritt eine größere mediale Aufmerksamkeit erregte, als es die Nischen-Medien, die die Behauptung aufgestellt hatten, je gekonnt hätten.

Oder der damalige Bundeskanzler, der vor Gericht zog, weil eine Nachrichtenagentur in einem Nebensatz die Behauptung einer Image-Beraterin zitiert hatte, der Politiker färbe sein dunkles Haupthaar.

Nun verhält es sich in diesen Fällen etwas anders als bei Julius Bär und Barbra Streisand: Gerichtlich bestätigt müssen wir davon ausgehen, dass der Nachrichtensprecher wirklich nicht homosexuell ist, der Kanzler wirklich nicht gefärbt hat.

Allein: Das Unterbewusstsein kennt ja angeblich keine Verneinung und speichert deshalb den Begriff “schwul” unter dem Foto des Nachrichtensprechers ab und addiert beim (inzwischen Alt-)Kanzler “Haare färben”. Mal davon ab, dass man als Spitzenpolitiker mit einem kleinlichen Prozess in der Regel mehr bleibenden Eindruck hinterlässt, als eine unbekannte Image-Beraterin mit einem dahingesagten Halbsatz über die Haare des Kanzlers.

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Politik Gesellschaft

Hier könnte Ihre Metropole stehen

Nördliches Ruhrgebiet von der Zeche Zollverein aus

Ich mag das Ruhrgebiet, wirklich. Ich lebe gerne hier und finde vieles in einem konventionellen, gar nicht ironischen Sinne “schön”. Neben ein paar kleineren Macken, die man in jeder Gegend finden könnte, hat das Ruhrgebiet aber ein paar eklatante Probleme, die existenzbedrohend sein können.

Damit meine ich noch nicht mal “DerWesten”, das lange und groß angekündigte, in der Umsetzung aber desaströse Online-Portal der WAZ. Zwar bin ich der Meinung, dass sich die WAZ-Gruppe vielleicht erst mal auf ihre Kernkompetenzen besinnen (bzw. solche aufbauen) sollte, bevor man sich an Konzertagenturen beteiligen will, und auch über die geplante Kooperation mit dem WDR werde ich mich zu gegebener Zeit sicherlich noch aufregen, “DerWesten” selbst habe ich aber völlig abgeschrieben und will mich am Einprügeln auf derart weiche Ziele auch nicht mehr beteiligen.

Reden wir lieber vom Ruhrgebiet selbst: Bei ruhrbarone.de gibt es einen sehr lesenswerten Artikel über das Image-Problem des Ruhrgebiets, das unter anderem auch daraus resultiert, dass die größte Metropolregion Deutschlands (und fünftgrößte Europas – allerdings mit Köln und Düsseldorf) nach wie vor als unübersichtliches Wirrwarr von 56 Städten und Kreisen wahrgenommen wird und sich tragischerweise auch noch selbst so wahrnimmt.

Im Ruhrgebiet leben 5,2 Millionen Menschen – aufgeteilt in drei Regierungsbezirke, von denen der eine nach einer Kleinstadt im Sauerland benannt ist, zwei Landschaftsverbände, vier Kreise, elf kreisfreie Städte, mindestens drei WDR-Landesstudios und ungezählte Nahverkehrsunternehmen. Der Regionalverband Ruhr (RVR) soll das ganze halbwegs zusammenhalten – wenn nicht gerade die nicht ganz unbedeutende Stadt Dortmund aussteigen und lieber Hauptstadt der westfälischen Provinz als Teil einer Metropole sein oder der Kreis Wesel lieber niederrheinische Provinz als grüne Lunge der Region sein will. Die SPD, die es in gefühlten hundert Jahren in der NRW-Landesregierung nicht geschafft hat, das Ruhrgebiet zusammenzubringen, will den RVR gar gleich ganz auflösen.

Fragt man Menschen aus Brandenburg nach ihrer Herkunft, werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit “Berlin” antworten. Wer im Umkreis von etwa hundert Meilen um Städte wie New York, Chicago oder Los Angeles lebt, wird sich als Einwohner dieser (zugegebenermaßen extrem namhaften) Metropolen fühlen. Im Ruhrgebiet leben Menschen, die darauf bestehen, aus einem seit 33 Jahren unselbständigen Stadtteil Bochums zu kommen, und ein lautes Wehklagen anstimmen, wenn sich das irgendwann auch mal in der Bahnhofsbeschilderung niederschlagen soll. Kein Wunder, dass im Ausland noch nie jemand vom Ruhrgebiet gehört hat und man immer “I live near Cologne” sagen muss. Köln hat außer seinem wunderbaren Dom keinen Grund, in der Welt bekannt zu sein – im Ruhrgebiet gibt es wenigstens Bier und fünf Mal so viele Leute.

Schafft es das Ruhrgebiet in die Nachrichten, sind gerade wieder ein paar Tausend Arbeitsplätze in Gefahr oder weggefallen und irgendein Oberbürgermeister, den nicht mal die Einwohner der Nachbarstadt kennen, spricht von einem “schweren Schlag” für seine Stadt und die dortige Wirtschaft. Wahrlich beeindruckend ist die Solidarität unter den Menschen hier: Da wird man als Besucher des Bochumer Schauspielhauses gebeten, Protestpostkarten an die Nokia-Führung in Finnland auszufüllen, und die allermeisten machen das einfach. Zu Demonstrationen am Nokia-Werk kommen tausende Leute mit unterschiedlichsten Berufen und sozialen Hintergründen, aber es klappt nicht, diese “Wir schaffen das!”-Stimmung über die Medien zu transportieren – dort heißt es dann, eine ganze Stadt stehe am Abgrund. Überhaupt: Wie wirkt denn das, wenn von “Nokianern” oder “Opelanern” die Rede ist, ganz so, als ginge es um außerirdische Lebensformen oder schlimme Krankheiten? Entlassene Simens-Mitarbeiter heißen doch auch “Siemens-Mitarbeiter”.

Zwar werden regelmäßig neue Forschungszentren, Industrieparks und ähnliches eröffnet (und manchmal auch wieder geschlossen), aber das wird selbst in der regionalen Presse immer unter einem Rubrum wie “IT statt Kohle” aufgeführt, ganz so, als liefen hier immer noch alle mit schwarz verschmierten Gesichtern durch staubige Straßen und würden gerade ihre erste elektrische Schreibmaschine anschließen. Fast scheint es, als wolle man den gerade stattfindenden Strukturwandel verschweigen, weil es immer noch besser ist, der “Kohlenpott” zu sein als so ein eigenschaftsloser Wachstumsraum wie Halle/Leipzig.

Dafür wird das Ruhrgebiet ja europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2010, mag man jetzt denken. Die Hoffnungen, dass von dieser Veranstaltung irgendein positiver Impuls ausgehen könnte, habe ich allerdings so gut wie begraben. Zwar ist es in Deutschland guter Brauch, alles im Vorhinein scheiße zu finden und es hinterher zu bejubeln (Weltausstellungen, Fußballweltmeisterschaften, Die Linke), aber in diesem Fall deutet vieles darauf hin, dass die “Ruhr.2010” in der Tat ein Desaster ungeahnten Ausmaßes werden könnte. Djure hat bei blog.50hz.de viel über den sog. Logostreit, den Slogan und die Finanzierung geschrieben und sich trotz optimistischer Ausgangshaltung inzwischen zur Forderung “Absagen, einfach absagen …” hochgearbeitet.

Wie gesagt: Ich mag das Ruhrgebiet. Aber ich habe das Gefühl, die Leute, die in dieser Region etwas zu sagen haben, hassen die Idee dahinter. Und die Leute, die hier leben, merken gar nicht, dass sie im Ruhrgebiet leben.

Universitätsstraße in Bochum
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Digital Gesellschaft

Auf nach Nordkorea!

Kennen Sie die Firma Callactive? Callactive ist eine Endemol-Tochter, die Anrufspielshows produziert, die nachts im Fernsehen laufen.

Ich hätte (wie viele andere vermutlich auch) nie im Leben von Callactive gehört bzw. mir diesen Firmennamen nie gemerkt, wenn Callactive nicht den Betreiber des kritischen Webforums call-in-tv.de vor Gericht zitiert und es damit auch in ein Mainstream-Medium wie “Spiegel Online” geschafft hätte. Oder wenn Callactive nicht Stefan Niggemeier, einen der meistgelesenen deutschen Blogger, abgemahnt hätte (für Kommentare, die Leser abgegeben hatten), was dann sogar dem österreichischen “Standard” eine kurze Meldung wert war.

Als ahnungsloser, naiver Zuschauer (des Geschehens, nicht der Sendungen) sitze ich vor solchen Meldungen und frage mich, ob man es im Umfeld von Callactive wirklich für klüger hält, im Kontext der Prozesse von renommierten Medien als “der umstrittene Gewinnspieleveranstalter Callactive” bezeichnet zu werden, als die Kritik der Webkommentatoren (auch wenn diese mitunter etwas überspitzt formuliert sein mag) einfach zu ignorieren. Immerhin dürften call-in-tv.de und das Blog von Stefan Niggemeier (durchschnittlich 5.000 Besucher täglich) deutlich weniger Leser haben als die Anrufsendungen Zuschauer und die Schnittmenge beider Zielgruppen dürfte verschwindend gering sein.

Jedenfalls: Callactive hat Stefan Niggemeier ein weiteres Mal abgemahnt – wieder geht es um einen Leserkommentar:

Es geht um einen Kommentar, den ein Nutzer am vergangenen Sonntag um 3.37 Uhr früh unter diesem Eintrag abgegeben hat. Ich habe diesen Kommentar unmittelbar, nachdem ich ihn gesehen habe, gelöscht: Das war am Sonntag um 11.06 Uhr.

Zunächst einmal fällt auf, dass man Stefans Blog bei Callactive offenbar mit Argusaugen beobachtet – wem sonst wäre ein mitten in der Nacht geschriebener und am Sonntagvormittag gelöschter Kommentar zu einem Blogeintrag, der zuvor während Stefans Urlaub und meines Blogsittings zehn Tage lang für Kommentare gesperrt gewesen war, aufgefallen?

Dann fällt auf, dass da offenbar endlich Klarheit geschaffen werden soll auf dem Gebiet der immer noch recht schwammigen Forenhaftung. Eine Klarheit, die Stefan so sieht:

Hätte Callactive mit diesem Vorgehen Erfolg, wäre das meiner Meinung nach das Ende der offenen Diskussion in Foren und Blogs, in den Leserkommentaren von Online-Medien und im Internet überhaupt. Selbst Beiträge, die unmittelbar nach ihrem Erscheinen vom Seitenbetreiber gelöscht werden, könnten dann kostenpflichtige Abmahnungen nach sich ziehen; sämtliche Kommentare müssten vor ihrer Veröffentlichung überprüft werden.

Man möchte hinzufügen: Und selbst, wenn der Betreiber eines Forums oder Blogs alle Kommentare vor der Veröffentlichung überprüfen und nur die ihm unbedenklich erscheinenden freischalten würde, könnte er hinterher immer noch belangt werden, falls sich irgendeine abwegige Interpretation des Geschriebenen finden und vor Gericht durchdrücken ließe.

Mit dieser Angst müssten aber nicht nur Blogger leben, auch die Kommentar- und Diskussionsfunktionen namhafter Online-Medien wie “Spiegel Online”, “sueddeutsche.de” oder “FAZ.net” könnten allenfalls noch mit einem enormen Personalaufwand aufrechterhalten werden. Bewertungsportale wie Ciao, Qype, ja: selbst Amazon müssten ständig in Sorge sein über das, was ihre User und Kunden da an (gewünscht subjektiven) Einträgen verfassen.

Mit anderen Worten: Es ginge schnell nicht mehr “nur” um Meinungs- oder Pressefreiheit, es ginge auch ganz knallhart um wirtschaftliche Aspekte, denn kein Unternehmen begibt sich bereitwillig auf juristische Minenfelder. Es geht, liebe Politiker, auf lange Sicht um Steuergelder, das Bruttoinlandsprodukt und – *tataaaa* – Arbeitsplätze. Deutschland könnte irgendwann wie Nordkorea sein, nur ohne Kim Yong-Il. Das will sicher niemand, auch nicht die Politiker, die jeden Tag aufs Neue zu beweisen versuchen, dass sie von den sog. neuen Medien nicht den Hauch einer Ahnung haben.

Um vom Abstrakten wieder zum Konkreten zu kommen: Callactive dürfte es mit der jüngsten Aktion gelungen sein, das Blogosphären-Thema dieser Tage zu werden: Bei Spreeblick, einem der anderen vielgelesenen Blogs in Deutschland, ist man Thema, aber auch hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier. Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die “klassischen” Medien das Thema für sich entdecken.

In einigen Blogs sind inzwischen sogar Kommentatoren aufgetaucht, die sich “Callactive” nennen und den angeblichen Satz, um den sich diesmal alles dreht, zitieren (er wurde inzwischen von den Blog-Betreibern unkenntlich gemacht). Sollte dieser Kommentar echt sein (was Callactive gegenüber dem Blogger Valentin Tomaschek zu bestätigt haben scheint), wäre das höchst interessant: Erstens wäre es recht offensichtlich, dass Callactive das Internet sehr genau auf mögliche Erwähnungen des Firmennamens überwacht (was natürlich ihr gutes Recht ist), und zweitens hätte Callactive den Satz, den zuvor niemand kannte und dessen weitere Verbreitung man mit der Abmahnung an Stefan verhindern wollte, damit lautstark in die Welt getragen. Außerdem verweist der Kommentar auf den einzigen halbwegs Niggemeier-kritischen Blogeintrag zum Thema bei F!XMBR, was wiederum Chris von F!XMBR dazu brachte, sich von der lobenden Erwähnung seines Blogs in den vermeintlichen Callactive-Kommentaren zu distanzieren.

Es könnte interessant sein, sich heute Abend doch mal Callactive-Sendungen (auf Viva, Nick und Comedy Central) anzusehen …

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Rundfunk Digital

“Hoffentlich sieht das keiner!”

Liebes ZDF,

da macht Ihr schon mal eine neue Talkshow mit zwei Moderatoren, die ich nicht nur ertrage, sondern wirklich gut finde, und dann erfahre ich erst am Morgen nach der Ausstrahlung bei Spiegel Online davon, dass es diese Sendung überhaupt gegeben hat.

Wenn Ihr “Roche & Scobel” jetzt wegen schlechter Quote einstellt, komme ich persönlich in Mainz vorbei und erklär Euch das mit der Werbung noch mal. So lange könntet Ihr mal überlegen, ob Ihr eine Talkshow, die live im Internet übertragen und erst danach im Fernsehen gezeigt wurde, nicht vielleicht auch anschließend in Eurer “ZDF-Mediathek” zur Verfügung stellen solltet …

Ich beglückwünsche Euch zu diesem offensichtlich interessanten Sendekonzept und bitte um Benachrichtigung vor der zweiten Ausgabe.

Viele Grüße,
Lukas

Nachtrag 18. Juni, 13:05 Uhr: Wie uns das ZDF höchstselbst in den Kommentaren mitgeteilt hat, kann man die Sendung nun online schauen. Und zwar hier.

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Musik Digital

The Sellf Fullfilling Prophecies

Darf man sich eigentlich selbst zitieren? Wenn es darum geht, selbst aufgestellte und in der Wirklichkeit belegte Thesen zu untermauern, wohl schon, oder?

Jedenfalls ist es vier Tage her, dass ich die fantastische Newcomerband Kilians abfeierte. Neben diversem Lob für die Band hatte ich in meinem Text auch einige Sätze der Kritik an die Adresse von Musikjournalisten und -konsumenten versteckt. Diese waren nicht extra gekennzeichnet, lauteten aber:

Wer den Kilians vorwirft, sie machten “Sound, Auftreten und Songwriting” der Strokes nach, der macht sich verdächtig, außer den Strokes nicht allzu viele andere Bands zu kennen.

und

Was man den sympathischen und kreativen jungen Männern jetzt nur noch wünschen kann ist […], dass die Leute lernen, den Bandnamen richtig zu schreiben: ohne “The” und mit einem L.

Nun gehe ich natürlich nicht davon aus, dass man bei den Opinion Leadern von Eins Live und Visions unser kleines Blog liest und sich dann auch noch an dem orientiert, was ich glaube, der Menschheit so mitzuteilen zu haben. Aber es hätte ja sicher auch andere Gründe (beispielsweise ästhetische oder grammatische) gegeben, einen Satz wie diesen zu verhindern:

Dank prominenten Befürwortern wie Thees Uhlmann und permanentem touren – unter anderem mit Kettcar und The Cooper Temple Clause – spricht es sich langsam rum, dass sich die Antwort des Niederrheins auf die Strokes The Kilians nennt.

Jetzt ist natürlich die Frage, welche PR-Grundregel man in diesem Fall zückt: “Jede Presse ist gute Presse” oder doch lieber “Call me m***erf***er but spell my name correctly”?