Das hier ist seit Monaten auf Plakaten der Bogestra zu sehen:
Das hier ist seit Monaten auf Plakaten der Bogestra zu sehen:
Heute brauche ich die Wohnung nicht zu verlassen, denn im Bochumer ÖPNV sieht es aus, als wären Weihnachten, das Fußball-WM-Finale Deutschland – Holland, ein Schneesturm, ein Stromausfall und eine Sonnenfinsternis auf einen Tag gefallen: Nichts geht mehr.
Glücklicherweise muss ich heute weder zur Uni noch mit irgendwelchen tollen Frauen in noch tollere Kinofilme, denn sonst wäre ich SEHR, SEHR ANGEKOTZT. Meine Solidarität und mein Mitgefühl werden nämlich nicht in einer Währung erkauft, die „mir auf die Nerven gehen“ heißt. ((Größte Sympathien kann erwarten, wer mich in Frieden lässt. Die Weltpolitik sollte meinem Beispiel folgen.))
Streiken tun Ver.di und Komba, was nicht etwa lustige Figuren aus lehrreichen Serien beim KiKa sind, sondern Gewerkschaften. Gewerkschaften, das weiß ich seit meinem achten Lebensjahr, sind böse: Sie werden geführt von Menschen, die so lustige Namen wie Monika Wulf-Mathies oder Frank Bsirske tragen, und wenn sie mal schlecht gelaunt sind, wird der Müll wochenlang nicht abgeholt und es laufen Ratten über den Schulhof. Am 1. Mai, wenn normale Menschen ausschlafen, laufen sie mit selbstgemalten Transparenten durch die Straßen und wollen Geld.
Warum die Gewerkschaften das diesmal wollen, war mir bis gestern nicht so ganz klar. Jens musste es mir bei der pl0gbar erklären und war so freundlich, diese Erklärung gleich auch noch mal bei sich zu bloggen. Von Seiten der Gewerkschaften hatte ich bisher nur einen Zettel in der U‑Bahn gesehen, auf dem stand, dass man als alleinstehender Straßenbahnfahrer zum Berufseinstieg einen Hungerlohn von 1.200 Euro netto bekomme, was für mich jetzt irgendwie nicht allzu dramatisch klang. Auch der Website von Ver.di oder dieser Kampagnenseite konnte ich allenfalls entnehmen, dass die Gewerkschafter mehr Geld wollen. Das will aber jeder, weswegen ich ein paar kleine Erklärungen ganz töfte gefunden hätte.
Deshalb fordere ich: PR-Berater in die Gewerkschaften!
Was ein Müllmann, ein Busfahrer, eine Bibliothekarin macht, weiß ich selbst – ich möchte wissen, warum sie mehr Geld wollen – und da finde ich „Weil sie in den letzten Jahren immer weniger Geld gekriegt haben“, schon eine ziemlich nachvollziehbare Begründung. Ich wette nur, wenn man heute Morgen einhundert entnervte Pendler befragt hätte: „Nennen Sie einen Grund, warum Sie heute nicht zur Arbeit gefahren werden!“, wäre „Reallohnverluste in den vergangenen Jahren“ nicht die Top-Antwort gewesen.
Locker verteilte Warnstreiks sind nur ärgerlich: Wenn Montags die Kindergärtnerinnen streiken, Dienstags die Busfahrer und Mittwochs die Müllabfuhr, hat die Bevölkerung jeden Tag einen Grund sich zu ärgern und total unsolidarisch drauf zu sein. Wie wäre es denn mal mit einem ordentlichen, alles lähmenden Generalstreik? Man müsste sich keine Gedanken mehr machen, wer die Kinder versorgt und wie man zur Arbeit kommt, man könnte mit den Kleinen gemütlich zuhause sitzen, Kakao trinken und ihnen die Ratten in den Müllbergen im Vorgarten zeigen. Frankreich und Italien sind berühmt für ihre Generalstreiks und die Deutschen sind doch sonst immer so vernarrt in Merlot, Latte Matschiato und Brusketta, warum nicht mal einen schicken Generalstreik importieren? Danach wüssten alle, wo überall Menschen arbeiten, die mehr Geld verdient hätten, ((Ist es nicht völlig bizarr, dass man in der deutschen Sprache weniger Geld verdienen kann als man verdient hätte?)) und es wäre ein bisschen wie Urlaub mitten im Jahr. Die Straßen wären nicht verstopft (auch Gewerkschaften sollten sich dem Umweltschutz nicht verschließen) und alle würden einander mögen und toll finden.
Stattdessen: In Mülltüten gekleidete Schnauzbartträger, die hinter einem brennenden Fass stehen und in Trillerpfeifen blasen. So zwanzigstes Jahrhundert, so SPD, so nicht 2.0.
Natürlich kann es sein, dass dies ein überkommenes Klischee ist oder in Gewerkschaftskreisen als Folklore im Sinne von Karneval, Fußball oder Volksmusik gilt, aber es ist immer noch das bestimmende Bild in den Medien. Was letztlich auch daran liegen könnte, dass Medienkonzerne letztlich auch in Gewerkschaften organisierte Angestellte haben, und deshalb wenig Wert darauf legen, dass Streikende sympathisch rüberkommen.
Die gute Nachricht des Tages: Deutschland ist dem Untergang geweiht. Schon in wenigen Jahren wird es in diesem Land keine intellektuelle Elite mehr geben. Wie ich darauf komme? Nun, wenn nicht einmal die Studenten einer Beinahe-Elite-Uni über einfachste geistige Fähigkeiten verfügen, kann das mit dem Bildungsbürgertum ja nichts mehr werden.
Heute morgen habe ich über 30 Minuten an der Stadtbahn-Haltestelle verbracht. Alle Züge, die einfuhren und mich zur Universität (zwei Stopps entfernt) hätten bringen sollen, waren voll. Nein, Verzeihung: „voll“. Denn das pendelnde Pack, das am Hauptbahnhof in die Stadtbahn einsteigt, postiert sich immer so vor den Türen, dass ein Einstieg im weiteren Streckenverlauf unmöglich ist. Dabei wäre in den Zügen durchaus noch Platz, wenn die Menschen beim Einsteigen nur mal den gesamten Raum ausnutzen würden. Die Angst, dann an der Uni nicht aussteigen zu können, ist vollkommen unbegründet: um Viertel vor zehn fahren nur Studenten Bahn.
Natürlich trägt der örtliche Nahverkehrsanbieter eine Mitschuld an der Misere, denn seine Züge mit Vierersitzgruppen mögen außerhalb der Stoßzeiten gemütlich sein, zur rush hour allerdings wären Wagen mit Bänken an den Außenwänden, wie man sie teilweise in Berlin findet, hilfreicher. Die Menschen hätten von vorneherein keine Abstandszonen um sich herum und würden sich viel bereitwilliger aneinanderdrängeln.
Als ich es schließlich in den fünften einfahrenden Zug schaffte, kreisten meine Gedanken bereits um qualmende Zugtrümmer und „American Psycho“. Dann wurde ich mit hässlichen Menschen, die billige Jacken trugen und viel zu laut schlechte Musik hörten, in eine Stadtbahn gesperrt. Zwei Ischen, die mehr Stuck im Gesicht hatten als man für die Deckensanierung einer Jugendstilvilla bräuchte, standen alleine im Mittelgang. Eine jede von ihnen hätte genug Raum gehabt, auf dem Fußboden ein viktorianisches Picknick zu veranstalten. In den Freiraum drängeln konnte ich mich freilich nicht, dafür war der Pfropfen dummer Menschen, der den Eingangsbereich verstopfte, zu dicht. Ich beschloss, mich näher mit den Lehren des Zen zu beschäftigen und merkte, wie mein Geist meinen Körper verließ.
Als die Bahn an der Uni-Haltestelle einfuhr, stieg er als erstes aus und stapfte mit dumpfem Schritt die Treppen hinauf. Sein Unterkiefer schob sich mahlend nach vorne und aus seinen Nasenlöchern stiegen kleine Rauchwölkchen. Seine Arme hatte er angespannt, seine Schultern wirkten doppelt so breit wie sonst. Der eiskalte Wind trieb ihm Tränen in die zusammengekniffenen Augen, aber er stapfte unaufhörlich weiter. Jeder, der sich ihm in den Weg gestellt hätte, wäre ohne weiteres Zutun zu Staub zerfallen. Mit jedem Schritt lösten seine Füße kleine Druckwellen auf dem Pflaster aus, die Erschütterungen waren noch in zwei Kilometern Tiefe zu spüren. Da fing es an zu Regnen.
Als er das Hörsaalzentrum betrat, kippte er seinen Kopf zurück und ließ seinen Nacken knacken. Er atmete tief durch. Die Vorlesung lief bereits seit zehn Minuten, der Hörsaal war halb leer. Die Studenten hatten alle Plätze am Rand der Sitzreihen besetzt.