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„Eines Tages“, die bun­te Res­te­ram­pe für wie­der­auf­be­rei­te­te Bou­le­vard­ge­schich­ten bei „Spie­gel Online“, nimmt den Tod von Schau­spie­ler John Belu­shi heu­te vor 30 Jah­ren zum Anlass, das The­ma „Tote Stars im Hotel“ in aller unap­pe­tit­li­cher Tie­fe aus­zu­leuch­ten.

Neben einem dahin geschlu­der­ten Arti­kel zu Belushis Dro­gen­lauf­bahn und deren Ende („Der Tod im Hotel­zim­mer, sonst wahl­wei­se rebel­li­scher Höhe­punkt eines exzes­si­ven Lebens oder aber tra­gi­scher Schluss­ak­kord eines ein­sa­men Kar­rie­re-Endes“) gibt es eine 24-teil­i­ge Bil­der­ga­le­rie zu all den berühm­ten Hotel­to­ten: Von Janis Jop­lin und Jimi Hen­drix über Gus­taf Gründ­gens und Oscar Wil­de bis hin zur gera­de erst ver­stor­be­nen Whit­ney Hous­ton (dass Ste­phen Gate­ly von Boy­zo­ne nicht in einem Hotel­zim­mer, son­dern in sei­nem eige­nen Apart­ment auf Mal­lor­ca gestor­ben ist, soll uns an die­ser Stel­le nicht wei­ter stö­ren – das hat es die Klick­stre­cken-Macher von „Eines Tages“ ja auch nicht).

Das alles lie­ße sich ja noch gera­de eben mit dem, der Pop­kul­tur inne­woh­nen­den Hang zum Mor­bi­den recht­fer­ti­gen. Rich­tig schlimm wird es erst dort, wo die­ser Zynis­mus auf den für „Spie­gel Online“ typi­schen Hang zum Kalau­er trifft:

Tote Stars im Hotel: Einchecken, ausrasten, ableben. Exzesse bis zum Exitus: Als John Belushi vor 30 Jahren im Hotel "Chateau Marmont" starb, war Amerika schockiert. Denn bald kam heraus, dass der Komiker sich selbst nur auf Koks und Heroin lustig fand. einestages über Stars, die in Hotelzimmern starben - und ihre einsamen letzten Nächte.

In der URL des Arti­kels taucht übri­gens auch noch die For­mu­lie­rung „Kal­ter Aus­zug“ auf.

[via Ste­fan]

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No matter what the end is

Richard Wag­ner ist Redak­teur bei der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“ und hat am ver­gan­ge­nen Sonn­tag in sei­ner Kolum­ne „Das war’s“ fol­gen­den … Nach­ruf ver­fasst:

Rät­sel­haft blieb, war­um der unap­pe­tit­li­che Tod des höchs­tens mit­tel­mä­ßi­gen soge­nann­ten Sän­gers Ste­phen Gate­ly der längst abge­half­ter­ten soge­nann­ten Boy­group „Boy­zo­ne“ auf der in noch ande­rer Hin­sicht unap­pe­tit­li­chen Insel Mal­lor­ca den Weg in die respek­ta­ble Öffent­lich­keit fand.

[via Ste­fan Nig­ge­mei­er]

Wenn man mal von den gan­zen Unver­schämt­hei­ten Zynis­men Adjek­ti­ven absieht, ((Eben­falls abse­hen soll­te man natür­lich von dem Umstand, dass da ein Band­na­me in Anfüh­rungs­zei­chen gesetzt ist, was mich ein­fach immer wahn­sin­nig macht. Aber das mag ein per­sön­li­ches Pro­blem sein.)) steht da eine gar nicht mal so unin­ter­es­san­te Fra­ge: War­um ver­schaff­te sein Tod Ste­phen Gate­ly eine Auf­merk­sam­keit, die er – wenn über­haupt – zuletzt vor zehn Jah­ren bekom­men hat­te, als er in der „Sun“ sein (mil­de erzwun­ge­nes) Coming Out hat­te?

Ganz banal gesagt fängt es natür­lich mit der Öffent­lich­keit – das Wort „respek­ta­bel“ muss Wag­ner beim wahl­lo­sen Adjek­tiv-Ein­set­zen rein­ge­rutscht sein – an, die grö­ßer ist als je zuvor. Was frü­her Gesprächs­the­ma auf dem Pau­sen­hof oder in der Tee­kü­che war, fin­det jetzt für jeden wahr­nehm­bar im Inter­net statt. Es gibt Twit­ter, Blogs, Pinn­wän­de bei Face­book, MySpace und last.fm und Bou­le­vard­zei­tun­gen, die qua­si rund um die Uhr erschei­nen. Alles bekommt heu­te mehr Auf­merk­sam­keit als vor zehn Jah­ren – viel­leicht mit Aus­nah­me eini­ger wich­ti­ger Din­ge, aber dar­über sol­len Kul­tur­pes­si­mis­ten wie Richard Wag­ner nach­grü­beln.

Eine ande­re prag­ma­ti­sche Ant­wort wäre: Weil die Frau­en, die heu­te die „People“-Ressorts und Online-Redak­tio­nen rund um den Erd­ball beset­zen, mit Boy­zo­ne auf­ge­wach­sen sind. Die Ant­wort ist aber so schlicht, dass man sie Wag­ner tat­säch­lich anbie­ten wür­de, wenn man ihn irgend­wo zwi­schen Tür und Angel trä­fe.

Aber man kann ja mal ver­su­chen, ein biss­chen tie­fer zu gehen: Erst ein­mal erzeugt ja der Tod eines Pro­mi­nen­ten ((„eines soge­nann­ten Pro­mi­nen­ten“ für Richard Wag­ner.)) immer media­le Auf­merk­sam­keit – je vor­zei­ti­ger, des­to grö­ßer. Es gilt, was Nada Surf 1999 in „River Phoe­nix“ ((Benannt nach dem Schau­spie­ler, der 1993 im Alter von 23 Jah­ren an einer Über­do­sis Hero­in und Koka­in ver­starb.)) san­gen:

We did­n’t know Jackie O
She was one of the peo­p­le that we did not know
Nor did we care about her hair
Her pill­box hat and her savoir fai­re
But still we thought we knew

Man nimmt halt irgend­wie am Leben von Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens teil – heu­te noch sehr viel mehr als vor zehn Jah­ren: Ste­phen Gate­ly hat­te einen Twit­ter-Account, der ja als das Sym­bol der Annä­he­rung zwi­schen Stars und ihren Fans gilt.

Als Anna Nico­le Smith, eine Frau, die aus sehr viel schlich­te­ren Grün­den berühmt war als Ste­phen Gate­ly, im Febru­ar 2007 starb, erklär­ten eini­ge Men­schen aus mei­nem Umfeld etwas irri­tiert, dass sie die­ser Todes­fall doch irgend­wie betrof­fen mache – und ich war ganz froh, dass es nicht nur mir so ging. Fünf Mona­te zuvor hat­te Smith ihre Toch­ter zur Welt gebracht, ihr Sohn Dani­el war beim Besuch am Kinds­bett gestor­ben. Das wünscht man kei­nem, auch kei­ner gro­tes­ken Medi­en­fi­gur, deren Leben von Anfang an unstern­ver­folgt schien.

Ein wei­te­rer wich­ti­ger Grund, war­um sich die Öffent­lich­keit und die Medi­en so sehr auf Gate­lys Tod stürz­ten, sind die „unap­pe­tit­li­chen“ Umstän­de – oder das, was die Klatsch­jour­na­lis­ten ger­ne dar­in sehen woll­ten: Erst hieß es, er sei an sei­nem eige­nen Erbro­che­nen ((Völ­lig bizarr wäre natür­lich, mal von jeman­dem zu lesen, der an frem­dem Erbro­che­nen erstickt ist. Man könn­te aber wohl auch gut drauf ver­zich­ten.)) erstickt, was ja Rock­startod #1 wäre (vgl. Jimi Hen­drix, Bon Scott). Die Rede war von einer wil­den Par­ty­nacht mit sei­nem ein­ge­tra­ge­nen Lebens­part­ner und einem drit­ten Mann.

Denn, machen wir uns nichts vor: Die Tat­sa­che, dass Gate­ly schwul war, gibt der Geschich­te natür­lich noch mal eine gewis­se Wür­ze. Einer­seits ver­leiht es der Auf­stiegs­ge­schich­te vom Arbei­ter­sohn zum Pop­star ein gewis­ses tra­gi­sches Moment, dass sich Gate­ly jah­re­lang ver­stel­len muss­te, ande­rer­seits gibt es den völ­lig Enthirn­ten Gele­gen­heit zu Über­schrif­ten wie „Homo-Sän­ger erstickt am eige­nen Erbro­che­nen“. Und dann die­ser 25-jäh­ri­ge bul­ga­ri­sche „Par­ty­boy“, ((Wobei man über das Wort „Par­ty­boy“ ja schon fast froh und dank­bar sein muss – irgend­et­was sagt mir, dass da vor kur­zem noch „Stri­cher“ gestan­den hät­te.)) der beim Paar in der Woh­nung war – da ist natür­lich der Phan­ta­sie zahl­rei­cher Redak­teu­re und Leser freie Bahn gelas­sen.

Dabei spricht wenig dafür, dass Gate­ly ein exzes­si­ves Leben geführt hat. Per­so­nen aus sei­nem Umfeld wer­den damit zitiert, dass er nur sel­ten Alko­hol trank und auch sonst nicht stän­dig auf Par­ty aus war. Aber sol­che Aus­sa­gen tau­gen längst nicht für so knal­li­ge Schlag­zei­len – und wenn man schon kaum etwas über sein Pri­vat­le­ben weiß und die Serio­si­tät der Quel­len eh nicht ein­schät­zen kann, dann bezieht man sich natür­lich lie­ber auf die Erzäh­lun­gen, die skan­da­lö­ser wir­ken und beim geneig­ten Leser zur Schluss­fol­ge­rung „Selbst schuld, der Herr Pop­star!“ füh­ren.

Aber all das reicht natür­lich nicht zum Pop­startod des Jah­res, nicht im Jahr 2009. Hät­te man am 20. Juni mit „Beat It“ allen­falls ein paar beson­ders Tanz­wü­ti­ge zum Bei­ne­schüt­teln bewe­gen kön­nen, waren die Tanz­flä­chen eine Woche spä­ter voll, als die ers­ten Tak­te erklan­gen. Die Anteil­nah­me – auch die eige­ne – am Tode Micha­el Jack­sons dürf­te die meis­ten Men­schen über­rascht haben. Wie ernst es wirk­lich war, merk­te ich, als mei­ne Groß­el­tern, deren größ­te Annä­he­rung an die Pop­kul­tur sonst im „Tatort“-Gucken am Sonn­tag­abend besteht, ((Eine Zeit lang dach­te mein Groß­va­ter, er wis­se, was eine Rap­pe­rin sei – es war die Pha­se, in der Boris Becker mit Sabri­na Set­lur liiert war.)) mich frag­ten, was ich denn zum Tod von Micha­el Jack­son sagen wür­de. Ja, was sagt man da?

Jack­son hat­te halt irgend­wie irgend­wann ein­mal das Leben von fast jedem Men­schen auf die­sem Pla­ne­ten berührt – und wenn sich das bei man­chen nur in der Ansicht nie­der­schlug, Jack­son sei wahn­sin­nig und (s.o.) an allem selbst schuld. Aber obwohl Jack­son eigent­lich spä­tes­tens seit sei­nem Pro­zess wegen Kin­des­miss­brauchs im Jahr 2005 als Witz­fi­gur galt, war das bei den Meis­ten – natür­lich nicht bei den Medi­en – schnell ver­ges­sen und es stand nur noch die Musik und die Tra­gik sei­nes Lebens im Vor­der­grund.

Und tra­gisch im eigent­li­chen Sin­ne sind in sol­chen Fäl­len ja meist das Leben des Ver­stor­be­nen (Jack­son), der Zeit­punkt (noch mal Jack­son, so kurz vor dem geplan­ten Come­back) oder die wei­te­ren Umstän­de (ver­folgt von Papa­raz­zi wie Prin­zes­sin Dia­na) des Todes – die Todes­fäl­le selbst sind fast alle­samt banal. Mehr Che­mie im Kör­per, als der ver­ar­bei­ten kann, führt zu schlich­tem Funk­ti­ons­ver­sa­gen. Wenn ein betrun­ke­ner Fah­rer viel zu schnell durch einen Tun­nel rast, kann das zur Kol­li­si­on mit einem Tun­nel­pfei­ler füh­ren, eine Geschwin­dig­keits­über­tre­tung unter Alko­hol­ein­fluss auf dem Heim­weg schnell zum Abflug, wie bei Jörg Hai­der.

Nur akzep­tie­ren will die Öffent­lich­keit natür­lich nie, dass ein Star letzt­lich mensch­lich und damit sterb­lich ist. Des­we­gen müs­sen Erklä­rungs­ver­su­che unter­nom­men wer­den, und sei­en sie noch so abwe­gig und absurd. Dann war es halt die Mafia, ein Geheim­dienst oder irgend­wel­che Ver­schwö­rer. Wenigs­tens ein Selbst­mord, damit es nicht ein­fach ein all­täg­li­cher Unfall war! Nur in sel­te­nen Glücks­fäl­len wird ein erfolg­rei­cher, jun­ger Poli­ti­ker, der eine hüb­sche Frau und süße Kin­der hat, aber Hol­ly­wood­stars und Sekre­tä­rin­nen vögelt, unter völ­lig uner­klär­li­chen Umstän­den in aller Öffent­lich­keit erschos­sen – wobei man nun wirk­lich nicht behaup­ten kann, dass die­ser Fall frei von Ver­schwö­rungs­theo­rien sei.

Der Unter­schied zwi­schen bekann­ten und unbe­kann­ten Sterb­li­chen besteht ledig­lich in der Reak­ti­on auf den Tod: Aus allen vor­ge­nann­ten Grün­den erzeugt der Tod eines Pro­mi­nen­ten eine media­le Auf­merk­sam­keit, die den Ver­stor­be­nen über­dau­ern kann. Spä­tes­tens, wenn der nächs­te Pro­mi­nen­te unter Umstän­den stirbt, die nicht „Krebs“ oder „Alter“ hei­ßen, wird Ste­phen Gate­lys Name wie­der in irgend­ei­ner Lis­te (wahr­schein­li­cher, natür­lich: in einer Bil­der­ga­le­rie) auf­tau­chen und den Musi­ker damit über­le­ben. Ob man als Fuß­no­te unsterb­lich wer­den will, ist aller­dings frag­lich.

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A Different Beat

Ich gebe zu, ich hat­te nicht mit­be­kom­men, dass sich Boy­zo­ne zu einer Reuni­on zusam­men­ge­fun­den hat­ten. East 17: klar, Take That: sowie­so, aber Boy­zo­ne, die immer­hin auf Platz 3 mei­ner ima­gi­nä­ren Lis­te der okay­en Boy­bands der Neun­zi­ger stan­den: nee, ver­passt.

Dabei hat die Band im Okto­ber mit „Back Again … No Mat­ter What“ ihre immer­hin sechs­te Grea­test-Hits-Com­pi­la­ti­on auf den Markt gebracht (zum Ver­gleich: in den Neun­zi­gern kamen drei regu­lä­re Alben raus). Am 8. Dezem­ber erscheint die Sin­gle „Bet­ter“, die reich­lich öde ist und des­halb bes­te Chan­cen hat, Christ­mas No. 1 in Groß­bri­tan­ni­en zu wer­den.

All das wäre nicht der Rede wert, wenn … ja, wenn das Video nicht eine klei­ne Sen­sa­ti­on dar­stell­te: wäh­rend sei­ne vier Band­kol­le­gen eine Frau zum Ansin­gen und ‑schmach­ten haben, kuschelt Ste­phen Gate­ly mit einem Mann.

"Better"-Video: Stephen Gately und ein anderer MannGenau genom­men ist das nur kon­se­quent, denn Gate­ly war 1999 auch das ers­te akti­ve Boy­band-Mit­glied, das sei­ne Homo­se­xua­li­tät öffent­lich mach­te. Aber wäh­rend t.A.T.u. und Katy Per­ry mit Les­ben-Chic koket­tie­ren und „Bild“ ernst­haft (also, so weit man bei „Bild“ von Ernst spre­chen kann) „War­um ist les­bi­sche Lie­be plötz­lich so schick?“ fragt, waren kuscheln­de Jungs und Män­ner im Main­stream der Pop­kul­tur bis­her nicht mal eine Aus­nah­me, son­dern schlicht nicht exis­tent.

Es stimmt also durch­aus, wenn Caro­li­ne Sul­li­van im „Guar­di­an“ schreibt, das Boy­zo­ne-Video sei „rather ground­brea­king“. Aller­dings schränkt sie auch ein, man sol­le nicht zu vie­le Nach­ah­mer erwar­ten:

With less to lose than an ascen­dant new band, it was easy for Boy­zo­ne to do the right thing by Gate­ly. The few other estab­lished groups with open­ly gay mem­bers tend to tread light­ly around the sub­ject.

Das eigent­lich Erstaun­li­che an dem Video – neben der Fra­ge, war­um es zuerst schwu­le Bür­ger­meis­ter und Par­tei­vor­sit­zen­de gab und dann erst kuscheln­de Män­ner in Musik­vi­de­os – ist die fast schon neben­säch­li­che Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der zwi­schen den vier Man­n/­Frau-Paa­run­gen die­se zwei Män­ner ste­hen: kein Schock­ef­fekt, kein „Seht her, zwei Schwu­le!“ wie damals in der „Lin­den­stra­ße“. Es ist die­ses Plä­doy­er für Nor­ma­li­tät, die die­ses durch­schnitt­li­che Video für ein lang­wei­li­ges Lied zu etwas Außer­ge­wöhn­li­chem macht. Im Jahr 2008.