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A Different Beat

Ich gebe zu, ich hatte nicht mitbekommen, dass sich Boyzone zu einer Reunion zusammengefunden hatten. East 17: klar, Take That: sowieso, aber Boyzone, die immerhin auf Platz 3 meiner imaginären Liste der okayen Boybands der Neunziger standen: nee, verpasst.

Dabei hat die Band im Oktober mit “Back Again … No Matter What” ihre immerhin sechste Greatest-Hits-Compilation auf den Markt gebracht (zum Vergleich: in den Neunzigern kamen drei reguläre Alben raus). Am 8. Dezember erscheint die Single “Better”, die reichlich öde ist und deshalb beste Chancen hat, Christmas No. 1 in Großbritannien zu werden.

All das wäre nicht der Rede wert, wenn … ja, wenn das Video nicht eine kleine Sensation darstellte: während seine vier Bandkollegen eine Frau zum Ansingen und -schmachten haben, kuschelt Stephen Gately mit einem Mann.

"Better"-Video: Stephen Gately und ein anderer MannGenau genommen ist das nur konsequent, denn Gately war 1999 auch das erste aktive Boyband-Mitglied, das seine Homosexualität öffentlich machte. Aber während t.A.T.u. und Katy Perry mit Lesben-Chic kokettieren und “Bild” ernsthaft (also, so weit man bei “Bild” von Ernst sprechen kann) “Warum ist lesbische Liebe plötzlich so schick?” fragt, waren kuschelnde Jungs und Männer im Mainstream der Popkultur bisher nicht mal eine Ausnahme, sondern schlicht nicht existent.

Es stimmt also durchaus, wenn Caroline Sullivan im “Guardian” schreibt, das Boyzone-Video sei “rather groundbreaking”. Allerdings schränkt sie auch ein, man solle nicht zu viele Nachahmer erwarten:

With less to lose than an ascendant new band, it was easy for Boyzone to do the right thing by Gately. The few other established groups with openly gay members tend to tread lightly around the subject.

Das eigentlich Erstaunliche an dem Video – neben der Frage, warum es zuerst schwule Bürgermeister und Parteivorsitzende gab und dann erst kuschelnde Männer in Musikvideos – ist die fast schon nebensächliche Selbstverständlichkeit, mit der zwischen den vier Mann/Frau-Paarungen diese zwei Männer stehen: kein Schockeffekt, kein “Seht her, zwei Schwule!” wie damals in der “Lindenstraße”. Es ist dieses Plädoyer für Normalität, die dieses durchschnittliche Video für ein langweiliges Lied zu etwas Außergewöhnlichem macht. Im Jahr 2008.

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Reisverdächtig

“RP Online” hat das coming out ((Verzeihen Sie mir hier diese Sick-igkeit, aber es heißt “coming out”. Geoutet wird man von anderen und nicht von sich selbst!)) der Fernsehmoderatorin Dunja Hayali zum Anlass genommen, eine neuneinhalbzeilige Meldung zum Thema und eine 12-teilige Bildergalerie mit den üblichen Schwuppen und Lesben rauszuhauen (man kennt das ja).

Einer der Leser kommentierte das wie folgt:

Reissack-Umfall-Zähler. Dieser wäre weitaus interessanter als solche Meldungen. Kann als Ticker auf Ihrer Startseite installiert werden. Gerne auch unterteilt nach Reisorten.....

Ich bin sicher, in der Redaktion wird bereits fieberhaft an einer Umsetzung gearbeitet.

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It’s Raining Stupid Men

I’ll tell you one thing: Men are bastards.
After about ten minutes I wanted to cut off my own penis with a kitchen knife.

(Nick Hornby – About A Boy)

Okay, mal ehrlich, Mädels: Wie viele von Euch haben damals geheult, als rauskam, dass Stephen Gately von Boyzone schwul ist? Und Eloy de Jong von Caught In The Act auch? Und die beiden zusammen waren?

Man muss schon etwas abseitige Vergleiche bemühen, um sich zu vergegenwärtigen, was da gerade mit den deutschen Medien los ist: Anne Will hat sich geoutet hatte ihr Coming-Out, sie hat eine Lebensgefährtin, sie ist – huhuhu – lesbisch.

Nun sollte man meinen, dass das Thema Homosexualität im Jahr 2007 eigentlich so alltäglich ist, dass nicht gleich sämtliche Journalisten des Landes hyperventilierend auf ihre Tastaturen springen. Dem ist offenbar nicht so. Wenn Anne Will als erklärte Sympathieträgerin dazu beitragen kann, dass das Thema alltäglicher wird, ist das natürlich zu begrüßen, so wie überhaupt grundsätzlich zu begrüßen ist, wenn Menschen glücklich sind.

Ich weiß nicht, was Anne Will und Miriam Meckel dazu brachte, ausgerechnet jetzt der “Bild am Sonntag” zu bestätigen, was eh jeder, der es wissen wollte, schon länger wusste. Ich möchte es eigentlich auch gar nicht wissen, denn ich könnte mir vorstellen, dass die “mutige Liebes-Beichte” nicht so hundertprozentig eine freie Entscheidung der beiden war.

Die “Bild am Sonntag” jedenfalls schrieb noch:

Anne Will und Miriam Meckel – ein Power-Paar. Zwei erfolgreiche, kluge und schöne Frauen, die viel Wert darauf legen, ihr Privatleben zu schützen, auch wenn sie beide in der Öffentlichkeit bekannt sind. Sie wollen kein Getuschel und keine Aufregung um ihre lesbische Liebe.

Dabei waren die “Los Lesbos Wochos” längst eröffnet. Wie genau es “Bild” mit dem schützenswerten Privatleben nimmt, haben wir im BILDblog gestern schon nachgezeichnet, und auch heute verbreitet die Zeitung jede Menge Getuschel und Aufregung. Was aber brachte auch die vermeintlich seriösen Medien dazu, in einem Ausmaß über die “Liebessensation” zu berichten, das – zumindest gefühlt – alles in den Schatten stellt, was man dort normalerweise so an Klatsch findet?

Nun, ich glaube, die Erklärung ist ebenso naheliegend wie beunruhigend: In den meisten Redaktionen sitzen Männer und die fühlen sich in ihrer Männlichkeit gekränkt, wenn eine gut aussehende Frau keinerlei sexuelles Interesse an ihnen hat. Niemand könnte das besser in Worte fassen als Franz Josef Wagner:

Liebe Anne Will,

als Mann kommentiere ich Ihr Outing nicht spontan mit … „Das ist gut so!“

Als Ihr treuer Bildschirm-Flirter bin ich natürlich nicht begeistert, dass Sie bezaubernde Frau eine Fata Morgana sind, eine Sinnestäuschung.

Hunderte, Tausende Male stelle ich mir ein Rendezvous mit Ihnen vor. Und plötzlich – bums bzw. BamS, Sie sind lesbisch.

Und dann ist da noch diese Straßenumfrage, die bild.de gemacht hat. Da gibt es dann wirklich Männer, die entweder keine Ahnung haben, dass sie sich gerade gehörig zum Affen machen, oder es auch noch ernst meinen, wenn sie Sätze sagen wie:

„Schade eigentlich, ich hätte sie gerne auch genommen.“

Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Männer sich tatsächlich die “Tagesthemen” angesehen haben, weil sie darüber nachdachten, wie die Frau, die da gerade irgendwelche Hungersnöte und Terroranschläge anmoderierte, wohl so “im Bett” sei. Andererseits ist das Medieninteresse wohl wirklich kaum noch anders zu erklären als mit gekränkter Eitelkeit.

Das aber wirft noch eine Frage auf: Kann eine Frau, die dummerweise gut aussieht und nicht lesbisch ist, einem offenbar derart schwanzgesteuerten Mob überhaupt entkommen?

Und ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass es irgendwie kindisch wäre, jedes Mal für fünf Minuten enttäuscht zu sein, wenn Natalie Portman mal wieder einen neuen Freund anschleppt …