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Woanders is’ auch scheiße

Wenn ich Menschen aus dem Ausland erklären soll, wo ich herkomme, höre ich mich immer noch viel zu oft mit “near Cologne” antworten. Bei den meisten Amerikanern kann man ja froh sein, wenn sie davon mal gehört haben. Briten hingegen kennen, so sie denn minimal fußballinteressiert sind, natürlich Dortmund und Schalke, manchmal sogar Bochum. Die “Ruhr Area” allerdings ist eher was für Leute, die im Erdkundeunterricht gut aufgepasst haben, aber so würden eh nur die Wenigsten über ihre Heimat sprechen.

Bergbaumuseum Bochum

Das Verhältnis der “Ruhris” zum Ruhrgebiet ist ein zutiefst ambivalentes: Eine unheilvolle Mischung aus Lokalpatriotismus und Selbstverachtung, aus Stolz und Skepsis, Traditionsbewusstsein und Wurzellosigkeit führt dazu, dass sich im fünftgrößten Ballungsraum Europas niemand zuhause fühlt. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht erst ganz langsam, Jahrzehnte nach der Blütezeit der Ruhrindustrie und auch recht widerwillig.

Konrad Lischka und Frank Patalong stammen auch aus dem Ruhrgebiet. Lischka ist 32 und in Essen aufgewachsen, Ptalaong 48 und aus Duisburg-Walsum. Heute arbeiten beide bei “Spiegel Online” in Hamburg, aber sie haben ein Buch geschrieben über die “wunderbare Welt des Ruhrpotts”: “Dat Schönste am Wein is dat Pilsken danach”.

Der Altersunterschied der beiden und ihre unterschiedliche Herkunft (Lischka kam mit seinen Eltern aus Polen ins Ruhrgebiet, Patalong ist Kind einer Arbeiterfamilie) machen den besonderen Reiz des Buches aus, denn ihre Hintergründe sind gerade unterschiedlich genug, um fast das ganze Ruhrgebiet an sich zu charakterisieren. Lischka ist (wie ich auch) ohne nennenswerte Schwerindustrie vor Augen aufgewachsen, bei Patalong konnte man die Wäsche traditionell nicht draußen trocknen lassen, weil sie dann schwarz geworden wäre. Sie beschreiben eine Region, die binnen kürzester Zeit von Menschen aus halb Europa besiedelt wurde, die jetzt alle in ihren eilig hochgezogenen Siedlungen hocken und feststellen, dass die Goldgräberzeit lange vorbei ist. Für die meisten endet die Welt immer noch an der Stadtteilgrenze, wofür Lischka das wunderschöne Wort “Lokalstpatriotismus” ersonnen hat. Entschuldigung, ich komm aus Eppinghoven, was soll ich da mit jemandem aus Hiesfeld? ((Beides sind Stadtteile von Dinslaken, was schon in Köln keiner mehr kennt.))

Das Buch ist geprägt von der so typischen Hassliebe der Ruhrgebietseinwohner zu ihrer … nun ja: Heimat, zusammengefasst im Ausspruch “Woanders is’ auch scheiße”. Menschen, die sich gottweißwas darauf einbilden, aus einer bestimmten Stadt zu stammen oder dort wenigstens “angekommen” zu sein, findet man vielleicht in Düsseldorf, München oder Hamburg, aber nicht im Ruhrgebiet. Wir sind nur froh, wenn man uns nicht mit Dingen wie einem “Kulturhauptstadtjahr” behelligt, und packen alle Möchtegern-Hipster mit Röhrenjeans, asymetrischem Haarschnitt und Jutebeutel in den nächsten ICE nach Berlin. Hier bitte keine Szene, hier bitte überhaupt nichts, Danke! ((Verzeihung, ich bin da etwas vom Thema abgekommen. Aber ich wohne in einem sogenannten “Szeneviertel” und werde da schnell emotional.))

Emschermündung bei Dinslaken

Ich fürchte, dass das Buch für Menschen, die keinerlei Verbindung zum Ruhrgebiet haben, deshalb in etwa so interessant ist wie eines über das Paarungsverhalten peruanischer Waldameisen. Es muss von einer völlig fremden Welt erzählen, in der Kinder auf qualmende Abraumhalden klettern, die Leute eine Art Blutpudding essen, der Panhas heißt, und in der eine Sprache gesprochen wird, die im Rest der Republik einfach als “falsches Deutsch” durchgeht.

Aber wer von hier “wech kommt”, der wird an vielen Stellen “ja, genau!” rufen — oder sich wundern, dass er die Gegend, in der er aufgewachsen ist, so ganz anders wahrgenommen hat, denn auch das ist typisch Ruhrgebiet. Frank Patalong erklärt an einer Stelle, welcher Ort im Ruhrgebiet bei ihm immer ein Gefühl von Nachhausekommen auslöst, und obwohl ich da noch nie drüber nachgedacht habe, bin ich in diesem Moment voll bei ihm: Auf der Berliner Brücke, der “Nord-Süd-Achse”, auf der die A 59 die Ruhr, den Rhein-Herne-Kanal und den Duisburger Hafen überspannt. Wenn wir früher aus dem Holland-Urlaub kamen, war dies der Ort, an dem wir wussten, dass wir bald wieder zuhause sind, und auch heute ist das auf dem Weg von Bochum nach Dinslaken der Punkt, wo ich meine Erwachsenenwelt des Ruhrgebiets verlasse und in die Kindheitswelt des Niederrheins zurückkehre.

Lischka und Patalong verklären nichts, sie sind mitunter für meinen Geschmack ein bisschen zu kritisch mit ihrer alten Heimat, aber dabei sprechen sie Punkte an, die mir als immer noch hier Lebendem in der Form wohl nie aufgefallen wären. Zum Beispiel das ständige Schimpfen auf “die da oben”, das bei den hiesigen Lokalpolitikern leider zu mindestens 80% berechtigt ist, das aber auch zu einer gewissen Kultur- und Intellektuellenfeindlichkeit geführt hat. Die Zeiten, in denen man sich als Arbeiterkind in seiner alten Umgebung rechtfertigen musste, weil man zur Uni ging, dürften vorbei sein, aber ein Blick in die Kommentare unter einem beliebigen Artikel beim Lokalrumpelportal “Der Westen” zeigt, dass Museen, Bibliotheken oder Theater zumindest für einige Einwohner des Ruhrgebiets immer noch “überflüssiger Schnickschnack” sind.

Graffito an der S-Bahn-Station Bochum-Ehrenfeld

Und während ich darüber nachdenke, dass die Arbeiter in Liverpool, Detroit oder New Jersey irgendwie sehr viel mehr für ihren Stolz berühmt sind und dann teilweise auch noch Bruce Springsteen haben, fällt mir auf, dass ich zumindest selbst natürlich wahnsinnig stolz bin auf diese Gegend. Ja, das, was an unseren Städten mal schön war, ist seit Weltkrieg und Wiederaufbau überwiegend weg, aber wir haben wahnsinnig viel Grün in den Städten ((Im Buch verweist Lischka auf das sogenannte “Pantoffelgrün”, ein Wort, das außer ihm und dem Pressesprecher der Stadt Dinslaken glaube ich nie jemand verwendet hat.)), ein schönes Umland und das beste Bier. Genau genommen isses hier gar nicht scheiße, sondern eigentlich nur woanders.

Und selbst wenn wir Ruhris innerlich ziemlich zerrissene Charaktere sind, die in ihren hässlichen Kleinstädten unterschiedlicher Größe stehen und gucken, wie aus den Ruinen unserer goldenen Vergangenheit irgendetwas neues entsteht: Es tut gut zu sehen, dass wir dabei nicht alleine sind. Willkommen im Pott!

Konrad Lischka & Frank Patalong – Dat Schönste am Wein is dat Pilsken danach
Bastei Lübbe, 271 Seiten
16,99 Euro.

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Die Achse des Blöden

Im heiß umkämpften Rennen um den dämlichsten Text zur Loveparade-Katastrophe ist “Welt Online” möglicherweise uneinholbar in Führung gegangen:

Tragische Orte: Duisburg verewigt sich auf der Landkarte des Grauens. Winnenden, Hoyerswerda, Eschede – der Schrecken klingt meist nach Provinz. Nun ist auch Duisburg auf der Landkarte des Grauens gelandet.

Autorin Brenda Strohmaier offenbart dabei eine beeindruckende Phantasie:

Duisburg ist auf der Landkarte des Grauens gelandet. Orte wie Ramstein(offizielle Homepage), Winnenden(hier), Mügeln(hier) haben sich dort unfreiwillig verewigt, ebenso Bad Kleinen(hier) und Gladbeck(hier), Tschernobyl und Bhopal. Würde man die perfekte Karte davon zeichnen, so müsste man auch eine makaber anmutende Legende entwerfen. Bestimmte Symbole stünden für Unfall, Missbrauch, Rechtsradikalismus. Und verschiedene Farben für verschiedene Opferzahlen. In Klammern hinter den Orten würde wohl jeweils die Jahreszahl der Katastrophe stehen.

Die perfekte Karte des Grauens sollte natürlich auch noch die zentrale Gedenkstätte und den Tag der alljährlichen Gedenkveranstaltungen verzeichnen.

Und natürlich sollte die Karte einen ziemlich großen Maßstab haben, weil die Orte ja alle so klein sind:

Wie eine Anti-Imagekampagne katapultiert das Unglück die Orte in eine Welt des ungewollten Ruhms, in der ganz eigene, zynische Regeln gelten. Eine davon: Je kleiner und unbekannter der Ort, desto wahrscheinlicher landet er wegen eines Verbrechens auf der Landkarte. Der Schrecken klingt meist nach Provinz.

Schrecken klingt also nach Provinz, aber nicht nur: Er kann auch nach Großstädten klingen. Aber Großstädte können auch ein Schutz sein.

Oder wie es Frau Strohmaier selbst formuliert:

Größe schützt nicht immer: Sogar Metropolen landen auf der Weltkarte des finsteren Ruhmes – wenn das Ausmaß der Katastrophe entsprechend dimensioniert ist. Seit dem 11. September 2001 klingt selbst New York nach Tragödie. Und seit dem 24. Juli eben auch Duisburg, die mit fast 500.000 Einwohnern fünftgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens. Doch die Größe birgt auch die Chance, dass der Name auf der Schreckenskarte wieder verblasst.

Vielleicht ist es also letztlich entscheidend, ob eine Stadt egal welcher Größe einen Misthaufen hat, und was die Hähne auf dem so tun oder auch nicht.

Das Prinzip hinter diesem Text ist natürlich nicht neu: Im vergangenen Jahr hatte die Website der “Münchener Abendzeitung” kurz nach dem Amoklauf von … na klar: Winnenden in einer Klickstrecke bereits die “Orte des Grauens” gekürt und schwafelig verkündet:

Es gibt Orte, die für immer den Stempel des Grauens verpasst bekommen haben. Wenn man ihren Namen hört, denkt man unwillkürlich an die schrecklichen Taten und menschlichen Tragödien, die sich dort abgespielt haben.

Das alles hat mit Journalismus natürlich nichts mehr am Hut, es ist eine self fulfilling prophecy, ähnlich wie der Off-Kommentar in der WDR-Sondersendung am Samstagabend, in dem die Sprecherin bedeutungsschwer verkündete, das seien jetzt Bilder, die die Menschen nie mehr vergessen werden — Bilder, die allein innerhalb der einstündigen Sendung da gerade zum vierten Mal über den Bildschirm flimmerten.

Bei Frau Strohmaiers Landkarten-Text kann man es sogar ganz praktisch überprüfen:

Nehmen wir Brieskow-Finkenheerd, 2500 Bewohner, südlich von Frankfurt/Oder gelegen.

Na, klingelt’s?

Oder muss jemand nicht an die neun toten Babys denken, die im Sommer 2005 gefunden wurden?

Ganz ehrlich? Bis eben nicht, Frau Strohmaier, bis eben nicht! Aber die Einwohner von Brieskow-Finkenheerd danken es Ihnen sicher, dass sie diese kleine Erinnerungslücke bei mir geschlossen haben.

Es ist erstaunlich, wie viel man auf logischer und sprachlicher Ebene falsch machen kann, aber Brenda Strohmaier lässt auch nichts unversucht, ihre eigene These Wirklichkeit werden zu lassen: Dass im Artikel selbst eine Stadtsoziologin zu Wort kommt, die relativ zuversichtlich ist, was Duisburgs zukünftige Konnotationen angeht? Geschenkt. Dass seit Samstag in erster Linie von Unglücken, Katastrophen und Tragödien “bei der Loveparade” die Rede ist? Egal. Hauptsache: Duisburg. Oder “Duisberg”, wie es gleich im ersten Satz heißt.

Disclosure: Ich bin in Duisburg geboren und schon mal von “Welt Online” abgemahnt worden.

Mit Dank an David S.

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Siehste!

Hinterher hat man es ja sowieso immer gewusst. Im Nachhinein ist jedem klar, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, die Loveparade 2009 in Bochum abzusagen. Aber was haben wir damals auf den Stadtoberen rumgehackt …

Gut, die Art und Weise der Absage war peinlich gewesen: Nach Monaten plötzlich festzustellen, dass die Stadt dann doch irgendwie zu klein ist, deutete entweder auf erstaunlich schwache Ortskenntnisse hin — oder auf einen besorgniserregenden “Das muss doch irgendwie zu schaffen sein”-Aktionismus, der die Augen vor der Realität verschließt. Letztlich haben sie es in Bochum noch gemerkt, die Schuld an der Absage der Deutschen Bahn in die Schuhe geschoben und Häme und Spott einfach ausgesessen. Dass der damalige Polizeipräsident, der sich lautstark gegen die Durchführung der Loveparade ausgesprochen hatte, neun Monate später in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde, hatte ja ganz andere Gründe.

Erstaunlich aber: Von der Sicherheit war in all den Artikeln, Kommentaren und Pressemitteilungen kaum die Rede. Das kam nur am Rande zur Sprache:

Ganz andere Risiken bewegen Martin Jansen. Dem Leitenden Polizeidirektor wäre die Rolle zugefallen, den wohl größten Polizeieinsatz aller Zeiten in Bochum zu koordinieren. “Wir hätten die Loveparade nur unter Zurückstellung erheblicher Sicherheitsbedenken vertreten.” Knackpunkt ist nach seiner Einschätzung der Bochumer Hauptbahnhof.

Aber um die Sicherheit der zu erwartenden Menschenmassen ging es auch im Vorfeld der Duisburger Loveparade öffentlich nie, immer nur um die Kosten:

Fritz Pleitgen, Vorsitzender und Geschäftsführer der Ruhr.2010, beobachtet mit großer Sorge, wie sehr die Auswirkungen der Finanzkrise den Städten der Metropole Ruhr zu schaffen machen. Besonders prägnant sei das aktuelle Beispiel Loveparade in Duisburg. “Hier müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um dieses Fest der Szenekultur mit seiner internationalen Strahlkraft auf die Beine zu stellen.”

Dabei hätte das Argument “Menschenleben” bestimmt auch Dampfplauderer wie Prof. Dieter Gorny beeindrucken können, der im Januar mal wieder das tat, was er am Besten kann, und groß tönte:

“Man muss sich an einen Tisch setzten und den Willen bekunden, die Loveparade durchzuführen, statt klein beizugeben.” Die Politik müsse sich dahingehend erklären, dass sie sagt: “Wir wollen die Veranstaltung und alle Kraft einsetzen, sie zu retten!”

Gorny, der sonst keinen öffentlichen Auftritt auslässt, hat sich seit Samstagnachmittag zurückgezogen. Er sei “schwer erschüttert”, erklärte die Ruhr.2010 auf Anfrage, und fügte hinzu:

Wir haben beschlossen, dass für die Kulturhauptstadt ausschließlich Fritz Pleitgen als Vorsitzender der Geschäftsführung spricht und bitten, dies zu respektieren.

Aber es gibt ja immer noch die Journalisten, die sich spätestens seit der denkwürdigen Pressekonferenz am Sonntagmittag als Ermittler, Ankläger und Richter sehen. Und als Sachverständige:

“We were the only newspaper that said: ‘No. Stop it. The city is not prepared. We will not be able to cope with all these people,”

lässt sich Götz Middeldorf von der “Neuen Ruhr Zeitung” in der “New York Times” zitieren.

Bei “Der Westen” forderte Middeldorf bereits am Sonntag lautstark den Rücktritt von Oberbürgermeister Sauerland und kommentierte:

Auf die Frage der NRZ, ob man nicht gesehen habe, dass Duisburg nicht geignet ist für die Loveparade ging der OB nicht ein, sprach von “Unterstellung” und wies mögliches Mitverschulden der Stadt zurück.

Ich habe mich lange durch alte Artikel gewühlt, aber nichts dergleichen gefunden. Da das auch an der unfassbar unübersichtlichen Archivsuche bei “Der Westen” liegen kann, habe ich Herrn Middeldorf gefragt, nach welchen Artikeln ich Ausschau halten sollte. Eine Antwort habe ich bisher nicht erhalten.

Wie kritisch die Duisburger Presse war, kann man zum Beispiel an Passagen wie dieser ablesen:

Die Organisatoren gaben sich am Dienstag allerdings sehr optimistisch, dass es kein Chaos geben werde. “Die eine Million Besucher wird ja nicht auf einmal, sondern über den Tag verteilt kommen”, so Rabe. Es sei zwar nicht auszuschließen, dass der Zugang während der zehnstündigen Veranstaltung kurzzeitig gesperrt werden müsse, aber derzeit gehe man nicht davon aus. Und wenn der Fall doch eintrete, “dann haben wir ganz unterschiedliche Maßnahmen, mit denen wir das problemlos steuern können”, verspricht der Sicherheitsdezernent – bei den Details wollte er sich nicht in die Karten schauen lassen.

(Kritisch ist da der letzte Halbsatz, nehme ich an.)

Artikel wie der Kommentar “Die Loveparade als Glücksfall” vom 23. Juli oder die großspurigen Übertreibungen von Ordnungsdezernent Rabe und Veranstalter Lopavent die Kapazität des Festivalgeländes betreffend sind plötzlich offline — “Technikprobleme”, wie mir der Pressesprecher der WAZ-Gruppe bereits am Dienstag erklärte.

Den (vorläufigen) Gipfel des Irrsinns erklomm aber Rolf Hartmann, stellvertretender Redaktionsleiter der “WAZ” Bochum. Anders als seine Kollegen, die sich hinterher als aktive Mahner und Warner sahen, schaffte es Hartmann in seinem Kommentar am Dienstag, völlig hinter dem Thema zu verschwinden:

Meine Güte, war man Anfang 2009 über OB & Co hergefallen, als die Stadt Bochum die Loveparade 2009 in Bochum absagte.

“Man.”

Nachtrag, 1. August: Stefan Niggemeier hat in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” über das gleiche Thema geschrieben.

Ihm hat Götz Middeldorf auch geantwortet:

Auf Nachfrage räumt Middeldorf ein, dass Sicherheitsbedenken nicht das Thema waren. “Wir waren immer gegen die Loveparade, aber aus anderen Gründen.” Dann muss die “International Herald Tribune” ihn mit seinem Lob für die eigene, einzigartige Weitsichtigkeit wohl falsch verstanden haben? “Das vermute ich mal”, antwortet Middeldorf. “Das ist nicht ganz richtig.” Er klingt nicht zerknirscht.

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Rasende Reporter

Alle paar Monate muss ich über meinen Schatten springen und die “Rheinische Post” loben. Ich tue es gern angesichts der Jugendbeilage (falls Sie da noch mal schnell ein Wort für hätten, das weniger nach Achtziger Jahren und Hanni-und-Nanni-Starschnitt klingt …) “Herzrasen”, die der Zeitung heute beiliegt.

Darin unter anderem: Kreative Bastelideen von thereifixedit.com werden mit einem Experten von der Handwerkskammer besprochen, eine Reportage über die “demokratischste Cola der Welt” und ein Rollentausch für eine Samstagnacht, bei dem sich der verehrte Kollege Sebastian Dalkowski in der Düsseldorfer Altstadt vergnügen soll, während seine Kollegin Gesa Evers zuhause vor dem Fernseher hockt.

Der Text ist online leider nicht verfügbar (Och, bitte, bitte …), daher müssen Sie mit diesen Kostproben vorlieb nehmen:

Als ich das Oberbayern betrete, denke ich: Wer volljährig ist, kommt hier nur nicht rein, wenn er mit einem Maschinengewehr kommt. Gefühlte 75 Prozent der Gäste gehören zu einem der Junggesellenabschiede, sie trinken bunten Alkohol aus Eimern oder Toilettenschüsseln. […]

Ich sehe viele Menschen, die fortgehen, mit Gesichtern, die nichts mehr ausdrücken. Wer jetzt noch niemanden gefunden hat, findet niemanden mehr. Falls doch, wird es richtig bitter.

Falls Sie sich irgendwie in der Nähe von Duisburg befinden, können Sie heute Abend ab 20 Uhr zur “Herzrasen-Party” ins Café Steinbruch gehen, wo zunächst Herr Dalkowski ein paar seiner Texte vorlesen wird, dann musiziert der Singer/Songwriter Daniel Benjamin und anschließend ist Party.

Und um diesen Lobpreisungs- und Werbeeintrag (für den ich – bisher – noch nicht mal ein Bier bekommen habe) jetzt abzurunden, erkläre ich diese Bildunterschrift aus der Party-Ankündigung zu meinem Liebling des Monats:

Lampe in Anlehnung an Daniel Benjamin.

Und jetzt ist aber bis Weihnachten auch erst mal wieder gut …

Nachtrag, 19. Oktober: Das gesamte “Herzrasen”-Magazin kann man nun kostenlos als PDF herunterladen.

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Digital Leben

Von hinten durch die Brust ins Auge

In diesen ganzen modernen Krimi- und Arztserien gibt es ja immer aufwendige Animationen, um zu zeigen, was bei einem Mord oder im Körper eines Patienten geschehen ist.

So etwas hätte ich mir bei dieser Meldung aus Duisburg auch gewünscht:

Das Projektil traf den Mann zunächst in den Kopf und durchschlug anschließend die Hand des 49-jährigen Beamten, ehe es die 32-jährige Polizistin in den Oberkörper traf.

Das deckt sich mit der Pressemitteilung der Polizei.

Bei der DPA hat die Vorstellungskraft offenbar auch nicht mehr ausgereicht, weswegen die Vorgänge dort etwas vager geschildert werden:

Der Schuss löste sich nach Polizeiangaben, als der Mann vor den Beamten flüchtete und zu Boden stürzte. Das Projektil habe ihn am Kopf getroffen. Anschließend seien zwei Polizisten schwer verletzt worden.

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Der schwarze Gürtel im Nervensägen

Als ich noch ein kleiner Junge war und mit meiner Familie in der Innenstadt von Dinslaken wohnte, fuhr die Straßenbahnlinie 903 direkt hinter unserem Haus entlang. Mit meinem besten Freund habe ich oft an den Gleisen gespielt (was man natürlich, liebe Kinder an den Bildschirmen zuhause, nie tun sollte) und ein, zwei Mal bin ich auch (natürlich in Begleitung Erwachsener) mit der Straßenbahn nach Duisburg und von da aus weiter in den Zoo gefahren.

Warum erzähle ich Ihnen das? Ralf Birkhan hat für die “NRZ” eine Reportage über die Linie 903, mit der man durch halb Duisburg juckeln kann, geschrieben. Es ist eine sehr atmosphärische Schilderung geworden, die sprachlichen Bilder sind manchmal etwas zu bemüht, aber manche Sätze sind auch ganz großartig in ihrer Schlichtheit:

An der Haltestelle „Fischerstraße” in Hochfeld ist der Mittag gekommen, sonst niemand.

Und weil hier ja viel zu oft über schlechten Journalismus gemeckert und guter viel zu selten gelobt wird, möchte ich Ihnen die Reportage mit dem leider fürchterlich verunglückten Titel “Straßenbahn-Linie 903: mittags beim „Kuaför” – abends das Arbeiter-Bier” hiermit ans Herz legen — auch, wenn Sie noch nie in Duisburg waren.

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Leben Unterwegs

Räuber und Gedärm

Es gibt gute Gründe, keine Bank zu überfallen. Der naheliegendste: darauf stehen hohe Strafen. Wenn man nicht sofort erwischt wird, wird man in “Aktenzeichen XY … ungelöst” von einem schlechten Laienschauspieler porträtiert, der der Meinung ist, wildes Herumgefuchtel und ein alberner Akzent täten seiner Rolle gut. Sollte man die Haft endlich hinter sich gebracht haben, ist längst noch nicht alles vorbei: es drohen Einladungen zu Beckmann und/oder Kerner, die man auch noch annehmen muss, weil man das Geld braucht. Möglicherweise wird es auch unmöglich, jemals nochmal ein Konto zu eröffnen.

Bei mir kommt ein ganz praktischer Grund dazu.

Auf der Durchreise im Duisburger Hauptbahnhof dachte ich mir, ich geh noch mal eben Geld abheben. Direkt am Hinterausgang liegt nämlich eine Volksbank. Da ging ich mit Rucksack und Reisetasche hinein, holte etwas Geld aus der Wand und wollte beschwingten Schrittes, weil Coldplay im Ohr, meinen Weg fortsetzen. Mit meiner Reisetasche in der Hand trat ich auf die Straße und verhedderte mich im herunterhängenden Trageriemen. Ich stolperte, verhinderte einen Sturz, sah dabei aber sicher nicht sonderlich elegant aus. Dann ging ich noch einen Schritt, hatte aber nicht bemerkt, dass sich mein Fuß immer noch in dem verdammten Riemen befand, und stolperte erneut. Dicke Kinder starten mich mitleidig an und für einen Moment befürchtete ich, mein altes Bundesjugendspieltrauma würde wieder hervorbrechen.

Zum Glück gibt es im Duisburger Hauptbahnhof einen der besten Bäcker der Republik. Rhabarbertörtchen sind eine ganz hervorragende Nervennahrung.

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Sprachkritik ist Haarspalterei

Saloon Daykstyl: Kuaför und Frisuer

Mit Dank an Christoph L. und Justus H. für den Hinweis.

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So’n Bart

Der Gewinner des diesjährigen Wolfgang-Thierse-Lookalike-Wettbewerbs ist …

Wolfgang Thierse
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Unterwegs

Wer den Personenschaden hat …

Gestern musste ich bekanntlich nach Berlin. Gestern war aber bekanntlich auch Lokführerstreik. Im Nachhinein muss ich sagen: Glücklicherweise.

Meine Reise wäre das unterhaltsamere Liveblog geworden, denn kaum erreichte ich den Bochumer Hauptbahnhof, hörte ich die Ansage: “Wegen eines Personenschadens im Raum Duisburg fährt der ICE nach Berlin heute nicht über Bochum!”

Kiefer runter, Puls auf 180, Schreikrämpfe.

Dann fragte ich bei einer leicht überforderten, trotzdem um Freundlichkeit bemühten, Bahn-Mitarbeiterin nach, wie ich denn jetzt mit meinem Zuggebundenen Spar-Ticket nach Berlin kommen solle. Sie kritzelte irgendwas auf mein Ticket und riet mir, die gleich einfahrende S-Bahn nach Dortmund zu nehmen und dort auf den ICE zu hoffen: “Entweder, Sie erwischen den über die Wupper umgeleiteten, den Sie gebucht hatten, noch oder Sie fahren mit dem von vor einer Stunde, der ist nämlich immer noch irgendwo unterwegs.” Das klang vertrauenserweckend.

Ich fuhr mit der großspurig als “vielleicht letzten Reisemöglichkeit nach Dortmund für ein paar Stunden” angekündigten S-Bahn nach Dortmund. Die Minuten zwischen Bochum-Langendreer-West, Dortmund-Oespel und Dortmund Hauptbahnhof zogen sich und ich wurde ruhiger und ruhiger. Offenbar hatte ich meinen persönlichen Tiefpunkt schon überwunden und befand mich schon in meiner Zen-Phase – das ging viel zu schnell.

In Dortmund war der von mir reservierte Zug natürlich schon weg, aber der davor war immer noch angekündigt. Es gab kostenlos Mineralwasser und Kaffee für die wenigen gestrandeten Fahrgäste – denn Dank des Lokführerstreiks waren so wenige Leute mit dem Zug unterwegs, dass der Personenunfall in Duisburg gar keine so schlimmen Auswirkungen auf den Regionalverkehr hatte. Das Chaos, das an einem normalen Tag mit doppelt so vielen Zügen und dreimal so vielen Reisenden entstanden wäre, hätte wohl biblische Ausmaße gehabt.

Der ICE nach Berlin fuhr mit stolzen zwei Stunden Verspätung ein (ich hing nur eine Stunde zurück), ich fand einen Sitzplatz, und als der Zug kurz vor Hannover wegen “spielender Kinder im Gleisbett” abermals halten musste, gab es beinahe Szenenapplaus der Reisenden.

Ich kam schließlich wohlbehalten in Berlin an und habe gestern schon jede Menge Multimediacontent vorbereitet, dessen Veröffentlichung sich aufgrund technischer Schwierigkeiten jedoch bis zu meiner Rückkehr nach Bochum verzögern wird. Aber ich kann versprechen behaupte einfach mal, dass es toll wird.

Toll war übrigens auch der Grund meiner Reise, die BILDblog-Lesung mit Charlotte Roche. Dazu später noch viel mehr, für den Moment verweise ich auf diese A(u)ktion.

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Leben Unterwegs

Been there, done that

Fünf Arten, wie man nicht zum Termin bei seinem Anwalt erscheinen sollte:

  • Verspätet (Deutsche Bahn)
  • Klamm (“Leichte Schauer”)
  • Außer Atem (Spontane Mittelstreckenläufe)
  • Verschwitzt (Spontane Mittelstreckenläufe)
  • Unfrisiert (All of the above)

Wenigstens hatte ich unterwegs noch Gelegenheit, vom Zug aus die heute bekannteste Pizzeria Deutschlands zu sehen.

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Die schönsten Bahnstrecken Europas

Heute ist der Tag des Hirns. Und das kam so:

14:19 h: Ich verlasse Bochum bei strahlendem Sonnenschein mit einem Regionalexpress. Ich bin bester Dinge und lese in der neuen Vanity Fair (ich erkenne jetzt schon verdächtiges RunningGag-Potential für diese Zeitschrift in diesem Blog).
14:43 h: Ich komme in Duisburg an, kaufe mir am Bahnsteig eine Flasche Mezzomix und warte auf den nächsten Zug.
14:58 h: Die Regionalbahn nach Wesel fährt ein. Nach dem Einsteigen deponiere ich meine Reisetasche in einer der Ablagen, setze mich und löse die Sudokus in … einer Zeitschrift.
15:19 h: Der Zug fährt in Dinslaken ein. Ich steige aus, die Sonne scheint, mein MP3-Player spielt “Everyone Is Here” von den Finn Brothers und ich gehe bestens gelaunt zu Fuß zu meinem Elternhaus.
15:45 h: Ich erreiche mein Elternhaus, begrüße meine Geschwister, gehe wieder in mein Zimmer und frage mich, wo eigentlich meine Reisetasche ist.
15:46 h: Ich rufe bei der Deutschen Bahn AG an, lasse mich mit der zentralen Verluststelle verbinden, schildere mein Anliegen und die Tasche und bekomme eine Vorgangsnummer. Bilder von gesperrten Bahnstrecken und meiner armen, gesprengten Reisetasche zucken mir durch den Kopf.
16:39 h: Ich bin wieder am Dinslakener Bahnhof, die Züge fahren noch. Also steige ich in die Regionalbahn nach Mönchengladbach ein, die nach Fahrplan die gleiche (also der selbe Zug) sein könnte, in dem ich achtzig Minuten zuvor meine Tasche vergessen hatte. Ich gehe den ganzen Zug ab, finde aber keine Tasche. Weil die Suche so ihre Zeit braucht, ist der Zug schon wieder losgefahren und ich kann erst in Oberhausen-Holten aussteigen.
16:48 h: Ich nehme die nächste Regionalbahn (diesmal ein offenkundig anderer Wagentyp) nach Dinslaken zurück.
17:01 h: Ich frage am Schalter der Deutschen Bahn in Dinslaken nach, was ich denn tun könne. Der stets außergewöhnlich freundliche Schalterbeamte, der wirklich mal öffentliche Erwähnung und Lobpreisung verdient hätte, gibt mir die Nummer der Leitstelle in Duisburg.
17:05 h: Ich rufe in Duisburg an. Dort ist eine Reisetasche, auf die meine Beschreibung passt, soeben als gefunden gemeldet worden und wird in diesem Moment – “Bleibense ma grad dran!” – dem Duisburger Bahnhofspersonal ausgehändigt.
17:39 h: Ich nehme die nächste Regionalbahn nach Duisburg.
18:01 h: Ich gehe zum Servicepoint im Duisburger Hauptbahnhof, melde mich, sehe meine Tasche und muss nur noch aufsagen, was sich darin befand, dann gehört sie wieder mir.
18:20 h: Mit dem Gurt meiner Reisetasche um die Füße gewickelt fahre ich mit dem nächsten Zug wieder nach Dinslaken zurück.
18:40 h: Ich steige zum dritten Mal am heutigen Tag am Dinslakener Bahnhof aus einem Zug und mache mich abermals auf den Weg zu meinem Elternhaus.
19:10 h: Ich stelle fest, dass die sechs DVDs aus der Tasche verschwunden sind.