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Der diskrete Charme der Bourgeoisie

Noch auf dem Paris-Trip (mitsamt entsprechender Tastatur – diese paar Sätze zu tippen wird wieder Stunden dauern), geht mir doch schon wieder das kulturelle Leben in Deutschland durch den Kopf. Zum Beispiel die Veröffentlichung der ersten deutschen Ausgabe von “Vanity Fair”, mit der ich mich die erste Hälfte meiner Herfahrt über im Zug beschäftigte. Einen Euro kostet das dicke Heft nur. Bis man beim Inhaltsverzeichnis angelangt ist, weiß man jedoch schon, dass dieser Preis völlig gerechtfertigt ist. Bis zum ersten Wort der Redaktion kämpft man sich durch vierzehn Seiten Werbung, bis zum Inhalt sind es noch einmal vier. Jede Woche soll das Teil erscheinen – wer hat eigentlich jede Woche Zeit, so einen Schinken zu lesen? Und vor allem: Wann soll man dann noch bei all den Designer-Shops auf der Champs Elysée vorbeischauen um die beworbenen Luxusgüter auch zu erwerben? Oder gehen die Bourgeoisie etwa zum zeitsparenden Online-Shopping über?

Im Editorial zeigt sich “Vanity Fair” dann auch direkt stolz darauf, sich im Jahr 2002 trotz aller Kritik “patriotisch” zur Regierung Bush bekannt zu haben. Wie recht sie doch hatten und wie unrecht der Rest der Welt! Die Regierung Bush leistet ja nach wie vor hervorragende Arbeit und ich finde, wir sollten uns alle einmal wieder patriotisch zu ihr bekennen. Einfach incredible, dieses Gespür für Trends! Und dieser schonungslose Enthüllungsjournalismus erst! Auf Seite 42 bleibt kurz mein Herz stehen, als ich erfahren muss, dass 70% aller Jugendlichen gefälschte Software besitzen. Gefälschte Software! Heißt das etwa, dass das Windows XP auf meinem PC aller Wahrscheinlichkeit nach nicht echt ist? Haben eifrige Chinesen ohne jeden Respekt für Urheberrecht etwa ein Fake-Windows nachprogrammiert und in Umlauf gebracht? In der Tat ein Skandal, vor dem das Familienministerium warnen sollte – es geht schließlich um unsere Jugend.

Ansonsten blieb mir nur noch ein prätentiöses Robert-De-Niro-Interview in Erinnerung, offensichtlich aus der US-Ausgabe übernommen. An den dortigen Stil, Artikel zu verfassen, wird man sich wohl gewöhnen müssen, so als Abonnent oder so. Ich überlege noch, einer zu werden, immerhin gefielen mir während der Zugfahrt die Sudokus in drei Schwierigkeitsgraden sowie das angenehm knifflige Rätsel doch ziemlich gut.