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Politik Gesellschaft

Oh Gott, Herr Doktor

Da hätte ja auch keiner mit rechnen können, dass das Thema “Promotionsverfahren an deutschen Hochschulen” noch mal außerhalb der Hochschulrektorenkonferenz gesellschaftlich und medial ventiliert wird. Aber die Fälle, in denen deutsche Politiker ihre Doktorgrade wegen ausgiebigen Plagiats nachträglich wieder aberkannt bekommen, treten in den letzten Monaten derart vermehrt auf, dass man durchaus von einer Häufung oder einem Trend sprechen könnte.

Zuletzt hat es Silvana Koch-Mehrin erwischt, die Vorzeigefrau der FDP. Die Politikerin reagierte darauf mit dem durchaus humorvollen Einfall, ihren geplanten Wechsel als Vollmitglied in den Ausschuss für Industrie, Forschung (!) und Energie des Europäischen Parlaments knallhart durchzuziehen. Sie ersetzt dort ihren Parteikollegen Jorgo Chatzimarkakis, dessen Doktorarbeit derzeit ebenfalls – ich wünschte mir wirklich, ich würde mir das nur ausdenken – von der zuständigen Universität wegen Plagiatsverdachts überprüft wird. (Wenn Sie Ihrem Unmut über Frau Koch-Mehrins neue Aufgabe Ausdruck verleihen wollen, empfehle ich Ihnen die Zeichnung dieser kleinen Online-Petition.)*

Längst ist offensichtlich, was im Frühjahr eher verhalten geäußert wurde: Etwas ist faul im Staate Deutschland. ((Verballhornung des Ausspruchs “Etwas ist faul im Staate Dänemark” (“Something is rotten in the state of Denmark”) aus William Shakespeares Drama “Hamlet” (Marcellus, Akt 1, Szene 4).)) Die deutsche Bildungsministerin Annette Schavan reagierte auf die Situation, indem sie von den Universitäten “Selbstkritik” forderte, was nun auch nicht unbedingt zu den zweihundert naheliegendsten Gedanken gezählt hätte. Dabei ist es ja gerade der desaströsen Hochschulpolitik der vergangenen tausend Jahre ((Anspielung auf den Slogan “Unter den Talaren: Muff von tausend Jahren” der Studentenproteste in den späten 1960er Jahren.)) zu verdanken, dass an den Unis die Absolventen und Doktoren gleichsam am Fließband produziert werden: Jeder zusätzliche von ihnen sorgt für mehr Punkte in den unsäglichen “Hochschul-Rankings” und für mehr Drittmittel.

Kathrin Spoerr hat das hausgemachte Dilemma in ihrem Leitartikel in “Welt kompakt” gut zusammengefasst:

Das Problem ist aber nicht, dass zu viele promovieren, sondern, dass die deutschen Universitäten von der Politik im Unklaren gelassen werden über ihren künftigen Sinn. Formelhaft wird an “Forschung und Lehre” festgehalten, tatsächlich aber kommen immer weniger Professoren neben ihren vielen Pflichten rund ums Lehren dazu, forschen zu können. Sie halten Vorlesungen und Prüfungen, verschwenden in überflüssigen Gremien Arbeits- und Lebenszeit, und ein immer größer werdender Teil ihrer Energie muss in Stellungnahmen zu Studentenklagen investiert werden, die mit ihren Noten unzufrieden waren. Zeit und vor allem Ruhe für Forschung bleibt wenig.

Dabei, so Spoerr, beweise die Bereitschaft von Professoren, “auch Menschen zu promovieren, die nicht Wissenschaftler werden wollen”, “deutlich mehr Gespür für die Gesellschaft und ihre Anforderungen als die scheinheiligen Mahnungen von Schavan”. Womit wir beim eigentlichen Kern des Pudels ((Wohlfeiler Verweis auf den Ausruf “Das also war des Pudels Kern!” in Johann Wolfgang Goethes Tragödie “Faust” (Faust, Studierzimmerszene, Zeile 1323).)) Problems wären: Der Doktortitel ist eigentlich ein akademischer Grad und kein Ornat für Visitenkarten und Messingschilder.

Direkt zu Beginn meines Studiums gaben sich meine Dozenten größte Mühe, den Ball flach zu halten: Professoren wollten unter keinen Umständen mit “Herr Professor” angesprochen oder angeschrieben werden und Doktoren stellten klar, dass ihr Titel nun einmal Teil ihrer Arbeit und eine Sprosse auf der akademischen (wohlgemerkt!) Karriereleiter sei. Ein Dozent sagte, er verwende seinen Doktortitel eigentlich nur, wenn ihm Ärzte oder Sprechstundenhilfen blöd kämen — mit einem Doktor (weiß ja keiner, welcher Profession) würden die dann gleich ganz anders sprechen.

Das war eine völlig neue Weltsicht für mich. Ich war es eher gewohnt, dass mein Großvater (an dem in Sachen Titelhuberei mindestens ein Österreicher verloren gegangen ist) selbst enge Freunde in deren Abwesenheit als “Professor” bezeichnet und Geburtstagseinladungen an die Familie seines Schwiegersohns an “Familie Dr. med.” adressiert. ((Wobei dieses Verhalten nicht auf schnöde Doktoren- und Professorentitel beschränkt ist: es gibt ja auch noch Diplom-Ingenieure, Stadtbauräte und Markscheider. Nur ich warte bisher vergeblich auf Post an Lukas Heinser, B.A. — was aber irgendwie auch ganz beruhigend ist.)) In meiner Heimatstadt liefen Menschen rum, die sich ihren frisch erworbenen Doktortitel nachträglich mit der eigenen Schreibmaschine auf ihren Leihausweis der Stadtbibliothek setzten.

An diesem Punkt setzt der Gastbeitrag an, den Fritz Strack, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Würzburg, für “Spiegel Online” geschrieben hat. Strack (für meinen Opa: “Professor Strack”) beginnt bei der in Deutschland üblichen, bei Licht betrachtet eher exotischen Tradition, den Doktortitel im Personalausweis zu vermerken.

Durch die wiederholte Verknüpfung von Namen und Grad wird die Anrede “Herr oder Frau Doktor” als Höflichkeitsgebot obligatorisch, die dann demjenigen allmählich das Gefühl gibt, der Doktor sei doch Teil des eigenen Namens. Die Verwendung für den persönlichen Gebrauch auf Türschildern, Briefköpfen und beim Einträgen ins Telefonbuch werden zur Selbstverständlichkeit.

Damit werde der Doktorgrad zu “einer Art Adelstitel”, mit dessen Hilfe das gesellschaftliche Prestige “aus eigener Kraft erworben und für den persönlichen und beruflichen Vorteil genutzt werden” könne.

Warum wohl wollten sonst so viele Leute promovieren? Es sind eben nicht nur Nachwuchswissenschaftler, die eine berufliche Tätigkeit in Forschung und Lehre anstreben. Viele sind einfach scharf auf das zusätzliche Geld und die Karrierechancen, die die Titelfunktion des faktischen Namenszusatzes mit sich bringen. Vor allem für den Aufstieg in Führungspositionen in Wirtschaft oder Politik ist ein sichtbarer Doktorgrad von unschätzbarem Vorteil.

Das unterscheidet diese Menschen von meinen bescheidenen Literaturwissenschaftlern an der Uni: Für sie ist der Doktorgrad ein Mittel zum Zweck, der ihnen Instant-Ansehen bringen soll. Dabei sollte die Doktorarbeit eigentlich Berufung und Hauptaufgabe im akademischen Alltag sein und nichts, was man über Jahre neben seiner “Berufs- und Abgeordnetentätigkeit als junger Familienvater in mühevollster Kleinarbeit” (Ex-Doktor Karl-Theodor zu Guttenberg) zum eigenen Schmucke vorantreibt. Überspitzt gesagt ist die Doktorarbeit etwas, was einen am Hungertuch nagen lässt und einem außer Erkenntnisgewinn und Respekt in der Wissenschaftsgemeinde nichts einbringen sollte — zumindest keinen beschleunigten Aufstieg in Politik und Wirtschaft.

Strack leitet aus seinem Essay zwei Kernforderungen ab: Eine Änderung des deutschen Personalausweisgesetzes und eine Reformation der Promotionsregeln für Mediziner. Ich finde, das klingt nach einem guten Anfang.

In den Medien ist der Anteil der Doktoren übrigens eher überschaubar, weswegen man sich mit einem anderen Prestige-Generator zu behelfen versucht: Hier ist fast jeder Träger irgendeines Medienpreises.

*) Nachtrag, 26. Juni: Frau Koch-Mehrin verzichtet auf ihren Sitz im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie.

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Digital Leben

Coffee And FH

Ich habe während meines Studiums mehrfach darüber nachgedacht, einfach alles abzubrechen. Einer dieser Momente war, als eine Dozentin nach einer Klausur, die weite Teile der Studentenschaft – mich eingeschlossen – schwer verbockt hatten, Zettel mit den “lustigsten Antworten” verteilte. Zwar standen keine Namen dabei, aber ich empfand diesen Vorgang durchaus als Bloßstellung — zumal die Vorlesung sterbenslangweilig und von “lustig” bis zu diesem Punkt nie die Rede gewesen war.

Der Fachbereich Medien der Hochschule Mittweida hat offenbar den selben Humor wie meine damalige Dozentin und stellt “einige Gründe für die zuweilen ausgebrochene Heiterkeit unter den sonst doch so gestrengen Wissenschaftlern” gleich ins Internet.

Darunter:

Frage: Die Begriffe “Pearl” und “Java” klingen wie exotische Mixgetränke oder Modedrogen, bezeichnen aber etwas anderes, nämlich was?
Antwort: “Nein, das sind Kaffeesorten”. (Richtig: Programmiersprachen)

Hahahahaha, was für ein Idiot!

Es sei denn natürlich, er meinte Java-Kaffee und die “Partnership for Enhancing Agriculture in Rwanda through Linkages” (PEARL), die sich in Ruanda vor allem um den fairen Anbau von Maniok und … äh Kaffee bemüht.

(Und warum die Programmiersprache Java jetzt ausgerechnet eine Kaffeetasse als Logo hat, das kann ich Ihnen natürlich auch nicht sagen.)

[via Katti]

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Leben

The End Is The Beginning Is The End

Als ich noch über eine akademische Karriere nachdachte, hielt ich es als begeisterter Varietätenlinguist für eine gute Idee, meine Doktorarbeit über Brotenden zu schreiben (die Alternatividee hieß “Ficken, Bumsen, Blasen — Eine Etymologie der Sex-Sprache”). Denn, so hatte ich gelernt: Diese Dinger heißen überall anders.

Eine ansehnliche Liste mit Bezeichnungen (sowie mit Namen für das Kerngehäuse eines Apfels) hatte ich schon begonnen — und es steht Ihnen natürlich frei, diese in den Kommentaren zu ergänzen. Ich erfuhr, dass es sogar Dörfer gibt, in denen der Anfang und das Ende eines Brotes unterschiedliche Bezeichnungen haben. Da ist man dann schnell im Grenzgebiet von Linguistik und Philosophie.

Schwierig würde es da natürlich bei so einem Kandidaten der kubistischen Phase:

Quadratisch, praktisch, Brot
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Literatur Leben

Die Omelette-Maschine: Heiner Müller zum Achtzigsten

Den traurigsten Moment meiner akademischen Laufbahn erlebte ich eines Freitagsmorgens in einem Popliteratur-Seminar. Eine Gruppe von Kommilitonen hielt ein Referat über Benjamin von Stuckrad-Barre und an einer Stelle (in “Blackbox”) gibt es neben einer ganzen Reihe anderer Zitate auch eines von Heiner Müller: “Alles ist Material.”

Und was sagte dieser Germanistik-Student im durchaus nicht mehr ersten Semester?

“Heiner Müller, also der Mann vom ‘RTL Nachtjournal’ …”

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Leben

Die brutale Banalität der Tragik

Heute saß ich in der U-Bahn neben einem Maschinenbaustudenten, der seinem Kumpel berichtete, er werde wohl sein Studium schmeißen, falls er die anstehenden Klausuren nicht bestehe. Aber er sei hoch motiviert, wolle in der verbliebenen Zeit ganz viel lernen und dann werde er das schon hinkriegen.

Die Selbstbeschwörungen des jungen Mannes hatten etwas sehr Rührendes, aber irgendwie sah ich seine Chancen in einem Mathematik-lastigen Studienfach deutlich getrübt, als er vorrechnete, bis zu den Klausuren Ende März seien es ja “noch fast viereinhalb Monate”.

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Politik Gesellschaft

(Not) My Generation

“Welt Debatte” ist ein Angebot, das ich bisher eher vom Hörensagen kannte. Ich kann mich auf welt.de nicht lange aufhalten, weil ich es für eines der schlimmsten dieser klickhurenden Monster halte, die sich notdürftig das Mäntelchen “Onlinejournalismus” übergeworfen haben, und mich die dortigen Leserkommentare immer wieder tief in meinem Glauben an die Wichtigkeit der Meinungsfreiheit erschüttern.

Wenn also irgendjemand bei “Welt Debatte” irgendwas schreibt, kriege ich das höchstens über Umwege mit. So auch im Fall von Gideon Böss, der dort bloggt. Herr Böss ist der gleiche Jahrgang wie ich, womit die Gemeinsamkeiten im Großen und Ganzen auch schon genannt wären. Dass es Konservative in meinem Alter gibt, überrascht mich immer ein bisschen, aber das ist ja nicht weiter schlimm, verschiedene Meinungen sollen wir alle haben und wir sollen sie alle frei äußern können, ohne uns dafür gegenseitig an die Gurgel zu springen, nur so wird’s was mit der Diskussionskultur.

Herr Böss macht es einem indes schwer mit dem Nicht-Gurgelspringen, hat er doch offenbar die Henryk-M.-Broder-Schule für Polemik und Rechercheschwäche besucht, was seinen Positionen ein bisschen die Schlagkraft nimmt.

Vergangene Woche hat er über einen Besuch des früheren iranischen Präsidenten Mohammad Chatami gebloggt und diesen Mann, der als der erste Reformer in einem wichtigen politischen Amt im Iran gilt, eine “Galionsfigur des iranisch-islamistischen Terrors” genannt.

Überhaupt seien deutsche Universitäten viel zu links:

Irgendwie ist die organisierte Studentenschaft immer entweder religiös, antikapitalistisch oder globalisierungskritisch und werterelativistisch ist sie sowieso.

Nun wäre es natürlich eine spannende Frage, warum sich Herr Böss, der anscheinend studiert hat, dann nicht für seine Interessen in der Studentenschaft organisiert hat. Es wäre auch spannend, sich durch die Kommentare zu kämpfen, aber das haben mir meine Ärzte und Schreiner verboten: Herz, Zähne und Tischplatten sind nicht unendlich belastbar.

Gestern hat er dann nachgelegt und mal so richtig derbe mit seiner (ungenannten) Uni abgerechnet:

Mein Vorschlag wäre, zuerst einmal alles aus der Uni zu verbannen, was mit Wissenschaft nichts zu tun hat. Der ganze Gender-Quatsch zum Beispiel. Ich musste dreimal im Verlauf des Studiums solche Kurse besuchen. Da lernte ich, dass es eine gesellschaftliche Konstruktion ist, dass es nur zwei Geschlechter gibt. In Wahrheit gibt es mehr, wobei die genaue Zahl nicht klar ist.

Herr Böss vertritt also noch nicht mal ein konservatives Weltbild, er vertritt ein schwarz-weißes Weltbild: wichtig vs. unwichtig, Mann vs. Frau, gut vs. böse, rechts vs. links. Da ist man mit dem Weltsortieren schneller fertig und hat mehr vom Tag.

Und dann brodert es nur so aus ihm hinaus:

Noch eine Nummer härter wird es bei den Hardcore-Feministinnen, für die Kinder, die von ihrem Vater vergewaltigt wurden, genauso traumatisiert sind wie Holocaust-Überlebende (der Versuch, die Leidensgeschichte der Juden als Blaupause für die Unterdrückung der Frauen zu missbrauchen, gehört mit zum geschmacklosesten des Feminismus Made by Alice Schwarzer). Wir lernen also, dass ein Kind zwei Elternteile hat: eine liebende Mutter und Auschwitz.

Vergewaltigte Kinder taugen für Herrn Böss also gerade noch zur schalen (und inkohärenten) Pointe. Ich sehe eine große Zukunft für ihn im deutschen Geifergewerbe.

Und weil ich mich keine Minute länger mit Herrn Böss’ missglücktem Versuch einer Debatte befassen will, verweise ich stattdessen auf diese kluge Replik von Martin Spindler, der all das in Worte fasst und untermauert, was ich selber nur rausgegeifert gekriegt hätte.

[via rivva]

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Digital

Für das Leben

Gerade bei “Spiegel Online” gelesen: Während manche Lehrer mit erschütternder Konsequenz und ebensolcher Erfolglosigkeit gegen das Lehrer-Bewertungsportal spickmich.de klagen, melden sich andere einfach als Schüler dort an und polieren die Bewertung ihrer Kollegen. Ich bin mir nicht ganz sicher, welches Verhalten ich kindischer finden soll.

Während einige meine Uni-Dozenten am Ende jedes Semesters anonyme Umfragen zur Qualität ihrer Lehrveranstaltungen durchführen (inzwischen sogar online), bezeichnete Peter Silbernagel vom Philologenverband die anonymen Bewertungen bei spickmich.de im letzten Sommer als “eine Form von Feigheit”. Bei allem Respekt vor dem Lehrerberuf und grundsätzlicher Ablehnung von Verallgemeinerungen: Mir fielen alleine aus meiner Schullaufbahn zehn Lehrer ein, die auf eine un-anonyme, also offene Kritik an ihrem Unterricht mit deutlich veränderter Benotung des entsprechenden Schülers reagiert hätten oder haben.

Die pauschalisierte Kritik am Berufsstand Lehrer hat, so berechtigt sie in vielen Einzelfällen auch sein mag, viele Lehrer in eine Position gedrängt, in der sie jede Äußerung von Kritik als ungerechtfertigt und sich selbst als fehlerfrei ansehen. Dies sind häufig genug die Kollegen, die schon ein bisschen zu lange im Dienst sind, deren Pensionierung aber auch noch in weiterer Ferne liegt. Die “alten Hasen”, die fast alle zeitgleich mit meinem Abitur in Pension gingen, waren hingegen deutlich offener für Rückmeldungen (was vielleicht daran liegen kann, dass viele von ihnen in den späten 1960er Jahren an den Universitäten waren) oder lieferten gleich kaum Anlass zu Kritik. Junge Lehrer gab es zu unserer Schulzeit keine, aber sie sollen recht engagiert sein, habe ich gehört.

Ich würde kein Lehrer sein wollen. Die Frage habe ich gleich bei meiner Einschreibung verneint und seitdem noch maximal zehn Sekunden darüber nachgedacht. Erstens bin ich unterirdisch schlecht im Erklären, zweitens hätte ich wenig Bock auf nervende Schüler und drittens erscheint mir die ständige Wiederholung ähnlicher Inhalte unter immer neuen Vorzeichen dann auch nicht so spannend. Entsprechend hoch ist mein grundsätzlicher Respekt vor dem Beruf des Lehrers. Ich habe einige sehr gute Lehrer erlebt, denen ich viel zu verdanken habe, aber auch einige sehr, sehr schlechte. Wenn man sich die Liste meiner Deutsch- und Englischlehrer so ansieht, geht es wohl als mittelschweres Wunder durch, dass ich mich ernsthaft für ein Germanistik- und Anglistikstudium entschieden habe. Naheliegend wären Geschichte und Erdkunde (das es aber in der Form leider nicht als Studienfach gibt) gewesen.

Wir hätten uns damals gefreut, wenn wir unsere Lehrer auf einer Plattform wie spickmich.de hätten bewerten können und wenn diese sich die Bewertungen auch angesehen und zu Herzen genommen hätten. Ich denke, dass Schüler durchaus in der Lage sind, die Qualität des Unterrichts und das Verhalten eines Lehrers gut zu beurteilen. Wenn ich mir die Lehrerbewertungen für mein altes Gymnasium bei spickmich.de so ansehe (bzw. den Teil der Lehrer, die ich noch kenne), so zeigt sich mir ein realistisches Bild. Und was spricht dagegen, die Arbeit von Menschen, die jeden Tag andere beurteilen sollen, deren letzte eigene Beurteilung aber in den letzten Tagen ihres Studiums stattfand, mit schlichten Zahlenwerten zu beurteilen? Das ist keine “Feigheit”, sondern Konsequenz.

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Digital

Generation Blog

Ich werde eher selten zur Teilnahme an Podiumsdiskussionen geladen, weswegen ich diese ermüdenden Anti-Blog-Diskussionen, von denen man bei renommierteren Bloggern immer wieder liest, noch nie aus der Nähe erlebt habe. Das änderte sich aber am Donnerstag, als wir in einem Literaturseminar auf das “Vanity Fair”-Blog von Rainald Goetz zu sprechen kamen.

Die meisten der etwa zehn Seminarteilnehmer kannten den Namen Rainald Goetz nicht ((Sie hörten sogar von der berühmten Stirn-aufschlitz-Geschichte zum ersten Mal, fanden sie aber gleich doof.)) und hatten noch nie ein Blog gelesen. Beides ist sicherlich verzeihlich, bei Germanistikstudenten Anfang Zwanzig aber vielleicht auch etwas unerwartet.

Da wir mit der Interpretation des Goetz’schen Werkes nicht so recht aus dem Quark kamen, driftete die Diskussion in grundsätzlichere Gefilde. Einem Kommilitonen ((“Kommilitone” gehört zu den Begriffen, die ich nur schreiben kann, wenn ich an einem Computer mit automatischer Rechtschreibüberprüfung sitze. Weitere Beispiele: Atmosphäre, Feuilleton, Kommissar, aufpfropfen.)) missfiel diese ganze “Selbstdarstellung” in Form von StudiVZ, Blogs und Videos, und eine Kommilitonin, die zuvor geäußert hatte, außer Auslandstagebüchern von Freunden noch nie ein Blog gesehen zu haben, echauffierte ((Ha, noch so ein Wort!)) sich in harschem Ton über die mindere Qualität und die allerorten anzutreffende Selbstdarstellung, die sie “peinlich” finde.

Nun gehöre ich nicht zu den Vertretern jener Zunft, die im Internet die Heilsbringung für alles und jeden sehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es auch in fünfzig Jahren noch Menschen geben wird, die das Internet überhaupt nicht nutzen. Es gibt ja auch heutzutage Leute, die weder Telefon noch Fernseher besitzen, und von Eugen Drewermann liest man immer wieder, dass er noch nicht einmal einen Kühlschrank in seiner Wohnung habe. Etwas erstaunt bin ich aber, wenn Menschen in meinem Alter, die mitten im Leben stehen ((Gut: Einige von ihnen wollen vielleicht Lehrer werden …)), moderne Medien und Phänomene rundherum ablehnen, und halbwegs sauer werde ich, wenn sie dies ohne vorherige Inaugenscheinnahme tun.

Ich kippelte mit meinem Stuhl nach hinten, breitete die Arme aus und lächelte. “Natürlich gibt es viel Schrott im Internet, aber den hat man in der traditionellen Literatur oder wo auch immer ja auch. Ich finde es gerade spannend, dass man sich selbst ein bisschen umsehen muss, um gute Sachen zu finden. Aber es gibt eben jede Menge gute und spannende Sachen im Netz.”

So ganz wusste die junge Frau wohl nicht, was in Blogs überhaupt so drinstehen kann. Oder Goetz hatte sie auf die falsche Fährte gelockt: Sie erzählte jedenfalls, in ihrem Bekanntenkreis gebe es Dutzende Leute, die immer schon erzählt hätten, sie würden gerne mal ein Buch schreiben. Getan habe das zum Glück noch keiner. Aber jetzt könnten alle mit ihrer minderen Qualität das Internet vollschreiben.

Mit der gleichen Begründung, so entgegnete ich, könne sie ja auch Konzerte von Nachwuchsbands in Jugendzentren verdammen, weil die oft auch nicht so doll seien. “Das ist doch das spannende, dass heute endlich die Versprechungen der Pop Art und fast aller wichtigen Medientheorien des 20. Jahrhunderts eingelöst werden”, geriet ich etwas zu heftig in Fahrt. “Warhols 15 Minuten Ruhm, ‘Jeder ist ein Künstler’, ‘the medium is the message’: jeder kann sich einbringen!” Ich dachte: “Jetzt hassen sie mich alle. Namedropping, Angeberei und Pathos. Das kann in einer Universität nicht gut gehen.” Dann fügte ich hinzu: “Ich finde, dass jede Form von Kunst, die irgendjemandem was bedeutet – und sei es nur dem Künstler selbst – ihre Berechtigung hat.” ((Das ist übrigens eine Einstellung, die ich regelmäßig verwerfen will, wenn ich das Radio einschalte und mit Maroon 5 oder Revolverheld gequält werde.))

Meine Gegenüberin äußerte nun die Vermutung, wir hätten offensichtlich recht unterschiedliche Kunstbegriffe. Leider befanden wir uns zeitlich schon in der Verlängerung, so dass wir uns nicht mehr wirklich hochschaukeln konnten. Aber ich fühlte mich schon etwas knüwer als sonst.

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Leben

Der Vulkan in meinem Pappbecher

Als das Konzept des coffee to go in Deutschland ganz neu war, mag der eine oder andere tatsächlich davon ausgegangen sein, dass das beworbene Produkt “Coffee Togo” hieße. Wer heute vorsätzlich vom “Coffee Togo” spricht, muss sich vorwerfen lassen, über den gleichen Humor zu verfügen, wie Menschen, die “zum Bleistift” sagen. Der Kaffee für zum Gehen ist mittlerweile bekannt und gesellschaftlich voll akzeptiert.

Sie sind aber auch zu praktisch, diese Heißgetränke zum Mitnehmen. Gestern ging ich zum Beispiel zu dem hippen Café im Eingangsbereich der Bochumer Uni-Bibliothek und bestellte mir eine hot chocolate. Dort verwendet man nämlich Kakao von Ghirardelli, den ich im vergangenen Jahr nach langwieriger Recherche zum weltbesten Kakao ernannt habe. Ob ich noch Sahne drauf wollte, fragte die Bedienung. Hell yeah, ich wollte. Und stellte erst nach Empfang des Pappbechers fest, dass der Berg Sahne auf meinem Becher die Montage des Schnabeltassenplastikdeckels unmöglich machen würde.

Da musste ich jetzt durch, also versuchte ich, einen ersten Schluck zu nehmen, während ich Richtung Institutsgebäude ging. Ich nahm einen Mund voll Sahne, tunkte meine Nasenspitze in Schokoladensirup1 und hatte den Becher schließlich so weit geneigt, dass mir einige Schlücke kochenden Stahls Kakao in den Mund schossen. Zunge und Gaumen waren sofort taub und fühlen sich seitdem an, als würde man einen vollgeaschten Teppichboden ablecken.2 Diese ersten Schlücke hatten nun eine Schneise in den bisher undurchdringlichen Sahneberg geschlagen und der Kapillareffekt ermöglichte es meiner glühend heißen Schokolade nun, wie Lava nach oben zu brodeln. Mit diesem Vulkan in meinem Pappbecher ging ich in den Hörsaal.

Dort stand ich vor dem nächsten Problem: Auf den leicht geneigten Schreibflächen war an ein Abstellen des immer noch beinahe randvollen Bechers nicht zu denken. Also hielt ich das Gefäß, um das ich klugerweise noch eine Hitzeschild-Banderole gezogen hatte, mit der einen Hand fest, während ich versuchte, mich mit der anderen Hand aus meiner Jacke zu schälen, ohne dabei den laufenden MP3-Player (Rihanna) fallen zu lassen. Schließlich schaffte ich es auch noch, mich irgendwie auf den Klappsitz zu setzen und der Vorlesung über die Literatur und Politik von 1965 bis 1975 zu folgen.

1 Ein Umstand, den ich natürlich erst Stunden später vor dem heimischen Spiegel bemerkte.
2 Sprachliches Bild, kein Erfahrungswert.

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Gesellschaft

Wir nennen es Arbeitsplatz

Nachdem mein Computer vorgestern kaputt gegangen ist, sitze ich nun schon den zweiten Tag in Folge in der Uni-Bibliothek. Es ist wieder der gleiche PC wie gestern (nur die Jalousien sind heute wegen erheblicher Bewölkung und Regens die ganze Zeit über oben) und ich fühle mich schon fast ein bisschen, als sei das hier mein Arbeitsplatz. Neben mir arbeiten andere junge Menschen an ihren Seminararbeiten, ab und an fliegt eine Taube gegen die Fensterfront und gleich werde ich mal sehen, was die Kaffeebar im Erdgeschoss so zu bieten hat.

Kurzum: Smells like Großraumbüro und geregelten Arbeitszeiten. Und soll ich Euch was sagen, Ihr digitalen Bohémians? Ich finde das super!

Endlich gehe ich Abends wieder ins Bett, wenn ich müde bin, und nicht erst, wenn Feedreader und ICQ wirklich absolut gar nichts mehr hergeben. Ich trinke meinen Kaffee am Frühstückstisch (wo einer meiner Mitbewohner heute freundlicherweise sogar eine Zeitung, na gut: die “Welt kompakt” hinterlegt hatte) und nicht vor dem Monitor, in gefährlicher Schlabbernähe zur Tastatur. Ich werde heute Abend nach Hause gehen und mich mit den Worten “Schatz, ich bin wieder da-ha!” meinem Fernseher widmen. Oder etwas in der Art.

Ich überlege in Zukunft, wenn mein Computer wieder läuft, eine kleine Besenkammer anzumieten, wo ich ihn reinstellen kann. So muss ich zwischendurch an die frische Luft und mein Zimmer ist nicht mehr ein Büro mit Bett, sondern ein Wohnzimmer. Vielleicht reicht es aber auch, wenn ich mich einfach dazu zwinge, das doofe Ding, das so unglaublich praktisch ist, einfach mal auszuschalten oder auszulassen.

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Leben

Ständiges Auf und Ab

Ich habe meinen defekten Rechner heute Mittag zu Fuß zur U-Bahn und von dort aus zum nächstgelegenen PC-Händler geschleppt. Am Montag werde man sich das Teil mal ansehen und mich dann anrufen, erklärte mir der freundliche Herr hinter der Theke. Ich bin gespannt.

Und jetzt sitze ich hier in der Uni-Bibliothek an beinahe brandneuen Computern, die über jede nur vorstellbare Software verfügen, und sichte die digitale Welt. Aus dem Fenster, vor dem “mein” Computer steht, hat man einen wunderbaren Ausblick über den Campus und ins Lottental1, dahin wo das Ruhrgebiet ins Bergische Land (I suppose) übergeht. Um mich herum lesen angehende Juristen angeregt ihre anderthalbtausen Seiten dicken Fachbücher, es ist – bis auf das hirnerweichende Rauschen der Leuchtstoffröhren – still und beinahe denke ich nicht mehr an meinen Computerärger.

Aber leider sitzen vor diesem Fenster automatische Jalousien, die hochfahren, wenn es sich bewölkt, und herunter, wenn die Sonne rauskommt. Und bei dem Wetter, was hier im Moment vorherrscht, tun sie das alle verdammten fünf Minuten!

1 Ja, das musste ich bei Google Maps nachgucken.

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Film Sport

Deine Mutter!

Etwa einmal in der Woche gucke ich, was es bei apple.com für neue Trailer gibt. Bei meinem letzten Kontrollgang erblickte ich ein Plakat für “Beowulf”, erinnerte mich an die Vorlesung “Middle English Literature” im zweiten Anglistik-Semester und guckte mir den Trailer an.

Nach ungefähr drei Vierteln kam eine Stelle, bei der ich dachte: “Also das sah jetzt aber gerade irgendwie billig animiert aus …” – dann stellte ich fest, dass der komplette Trailer (und damit natürlich auch der Film) computeranimiert ist. Die Gesichter von Ray Winstone, Angelina Jolie, Brendan Gleeson, Anthony Hopkins, Robin Wright Penn, John Malkovich – alle aus dem Computer. Uff!

Natürlich stellt sich da irgendwie die Frage, warum man derart namhafte Schauspieler nicht einfach “in echt” im Film auftreten lässt. Andererseits ist es nach “Sky Captain And The World Of Tomorrow” und “Sin City”, die komplett vor einer Blue bzw. Green Screen gedreht und mit digitalen Hintergründen versehen wurden, ja nur noch ein weiterer Schritt, auch gleich die Schauspieler mit zu animieren. Sowas wurde sogar schon mal gemacht, z.B. bei “Polar Express – und dessen Regisseur Robert Zemeckis (“Zurück in die Zukunft”, “Forrest Gump”, “Cast Away”, …) führt jetzt auch bei “Beowulf” Regie.

Bei einem kurzen Blick in die IMDb stellte ich dann noch fest, dass das Drehbuch vom phantastischen Neil Gaiman und vom früheren Tarantino-Helfer Roger Avary stammt. Da kann eigentlich nichts mehr schief gehen, zumal Gaiman den Film als “cheerfully violent and strange take on the Beowulf legend” angekündigt hat.

P.S.: Wer den Zusammenhang zwischen Überschrift und Inhalt dieses Eintrags ohne Nachzugucken (also googeln) herstellen kann, darf sie als bewandert in mittelenglischer Literatur betrachten.