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„Sein“ oder nicht „sein“

Am 21. August wur­de die ehe­ma­li­ge Sol­da­tin Chel­sea Man­ning, die der Whist­le­b­lower-Platt­form Wiki­leaks gehei­me Doku­men­te zuge­spielt hat­te, von einem US-Mili­tär­ge­richt zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt.

Wobei: Das stimmt so nicht. Damals hieß Chel­sea in der Öffent­lich­keit noch Brad­ley Man­ning und galt als Mann. Erst einen Tag spä­ter ließ sie ein State­ment ver­öf­fent­li­chen, in dem es hieß:

As I tran­si­ti­on into this next pha­se of my life, I want ever­yo­ne to know the real me. I am Chel­sea Man­ning. I am a fema­le. Given the way that I feel, and have felt sin­ce child­hood, I want to begin hor­mo­ne the­ra­py as soon as pos­si­ble. I hope that you will sup­port me in this tran­si­ti­on. I also request that, start­ing today, you refer to me by my new name and use the femi­ni­ne pro­no­un (except in offi­ci­al mail to the con­fi­ne­ment faci­li­ty).

Wer glei­cher­ma­ßen auf­ge­klärt wie naiv ist, hät­te anneh­men kön­nen, dass das The­ma damit schnell been­det war: Chel­sea Man­ning ist eine Frau, die in einem männ­li­chen Kör­per gebo­ren wur­de und einen männ­li­chen Vor­na­men getra­gen hat, jetzt aber expli­zit dar­um bit­tet, mit ihrem weib­li­chen Vor­na­men bezeich­net zu wer­den.

Die „New York Times“ erklär­te dann auch in einem Blog­ein­trag, mög­lichst schnell den Namen Chel­sea Man­ning und die weib­li­chen Pro­no­mi­na ver­wen­den und zum bes­se­ren Ver­ständ­nis für die Leser auf die Umstän­de die­ser Namens­än­de­rung zu ver­wei­sen. Der „Guar­di­an“ leg­te den Schal­ter von „Brad­ley“ auf „Chel­sea“ um und schrieb für­der­hin nur noch von „ihr“.

Aber so ein­fach war das alles natür­lich nicht.

Die „Ber­li­ner Zei­tung“ fass­te das ver­meint­li­che Dilem­ma am 24. August ein­drucks­voll zusam­men:

Brad­ley Man­ning möch­te fort­an als Frau leben und Chel­sea genannt wer­den. […] Der 25 Jah­re alte Sol­dat ließ erklä­ren, er habe sich seit sei­ner Kind­heit so gefühlt. Von nun an wol­le er nur noch mit sei­nem neu­en Namen ange­spro­chen wer­den. Auch sol­le künf­tig aus­schließ­lich das weib­li­che Pro­no­men „sie“ ver­wen­det wer­den, wenn über Man­ning gespro­chen wer­de. Eine ope­ra­ti­ve Geschlechts­um­wand­lung strebt Man­ning zunächst wohl nicht an.

Mit die­sem Wunsch hat Man­ning, der gut 700000 Geheim­do­ku­men­te an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks wei­ter­gab, Jour­na­lis­ten in den USA ver­wirrt und vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen gestellt. In den Mel­dun­gen über Man­nings Erklä­rung war ein­mal von „ihm“ die Rede, dann wie­der von Brad­ley Man­ning, „die“ nun eine Frau sein wol­le. Die einen ver­mie­den es pein­lich, Per­so­nal­pro­no­men zu ver­wen­den. Die ande­ren erklär­ten, sie wür­den solan­ge von „ihm“ spre­chen, wie Man­ning aus­se­he wie ein Mann.

Wie es die „Ber­li­ner Zei­tung“ selbst hält, wur­de in den fol­gen­den Wochen deut­lich:

5. Sep­tem­ber:

Die von Matthew H. 2009 besuch­te Ver­an­stal­tung des Cha­os Com­pu­ter Clubs war immer­hin öffent­lich. Sein Anteil an der Ver­ur­tei­lung des Whist­le­b­lo­wers Brad­ley Man­ning ist unklar. Und auch wenn der Umgang mit Man­ning nicht unse­ren Vor­stel­lun­gen ent­spricht: Er hat mili­tä­ri­sche Geheim­nis­se ver­ra­ten. Das ist auch deut­schen Sol­da­ten ver­bo­ten.

6. Sep­tem­ber:

Wie in letz­ter Zeit in Ber­lin häu­fi­ger der Fall, ste­hen mal wie­der lee­re Stüh­le auf der Büh­ne, dies­mal nicht für den mit Aus­rei­se­ver­bot beleg­ten Fil­me­ma­cher Jafar Panahi, son­dern für Edward Snow­den und Brad­ley Man­ning, die Ulrich Schrei­ber gern dabei­ge­habt hät­te. Lei­der sind sie aus bekann­ten Grün­den ver­hin­dert.

Bei der „Süd­deut­schen Zei­tung“ gibt es offen­bar auch kei­ne Emp­feh­lun­gen und Richt­li­ni­en wie bei der „New York Times“ – und noch nicht mal eine kla­re Linie. Am 2. Sep­tem­ber schrieb die „SZ“:

Auf Trans­pa­ren­ten for­dern die Teil­neh­mer, dass US-Prä­si­dent Barack Oba­ma sei­nen Frie­dens­no­bel­preis an die Geheim­da­ten-Ent­hül­ler Chel­sea Man­ning und Edward Snow­den abtre­ten sol­le.

Und eine Woche spä­ter:

Anders gefragt: Hät­ten ame­ri­ka­ni­sche Diens­te eine sol­che Anfra­ge zuge­las­sen, wenn ein deut­scher Dienst sich um Hin­ter­grün­de zum Trei­ben eines bekann­ten ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lis­ten inter­es­siert hät­te? Da kön­nen, trotz aller Nar­re­tei­en und Ver­här­tun­gen der ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik im Kampf gegen Whist­le­b­lower wie Brad­ley Man­ning oder Edward Snow­den ame­ri­ka­ni­sche Behör­den emp­find­sam reagie­ren.

Am 7. Okto­ber nun wie­der:

Schließ­lich, so schrei­ben eini­ge, sei er ein Visio­när, gleich­zu­set­zen mit der Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning oder dem NSA-Whist­le­b­lower Edward Snow­den .

„Bild“ hat­te in ganz weni­gen Zei­len klar­ge­macht, wie wenig sich die Redak­ti­on um die Bit­te von Chel­sea Man­ning schert: In ihren „Fra­gen der Woche“ am 24. August frag­te die Bou­le­vard­zei­tung „Kommt Man­ning in den Frau­en­knast?“ und ant­wor­te­te:

Nein! Obwohl der zu 35 Jah­ren Gefäng­nis ver­ur­teil­te Wiki­leaks-Infor­mant Brad­ley Man­ning (25) ab sofort als Frau namens Chel­sea leben und sich einer Hor­mon­be­hand­lung unter­zie­hen will (BILD berich­te­te), kam er in das Män­ner­ge­fäng­nis Fort Lea­ven­worth (US-Staat Kan­sas). Ein Armee­spre­cher sag­te, dass dort weder Hor­mon­the­ra­pien noch chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe zur Geschlechts­um­wand­lung bezahlt wer­den.

Der Unter­schied zum „Spie­gel“ ist da aller­dings mar­gi­nal:

Man­ning fühlt sich schon län­ger als Frau, nach sei­ner Ver­ur­tei­lung will er auch so leben. […] Am Mitt­woch ver­ur­teil­te ihn ein Mili­tär­ge­richt dafür zu 35 Jah­ren Gefäng­nis, abzu­sit­zen in Fort Lea­ven­worth, Kan­sas. Zwar kann Man­ning auf vor­zei­ti­ge Ent­las­sung hof­fen – doch bis dahin steht ihm eine har­te Zeit bevor: Sei­ne Mit­in­sas­sen sind aus­nahms­los Män­ner, eine Ver­le­gung in ein Frau­en­ge­fäng­nis ist nicht geplant.

Die Deut­sche Pres­se-Agen­tur tat sich anfangs noch schwer mit dem Geschlecht. Am 4. Sep­tem­ber schrieb die dpa:

Die Mis­si­on des angeb­li­chen US-Agen­ten soll dem Bericht zufol­ge öffent­lich gewor­den sein, nach­dem er im Juni die­ses Jah­res als Zeu­ge im Pro­zess gegen den Whist­le­b­lower Brad­ley Man­ning vor einem ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­ge­richt in Mary­land auf­ge­tre­ten sei. Man­ning wur­de spä­ter zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt, weil er Wiki­Leaks rund 800.000 Geheim­do­ku­men­te über­ge­ben hat­te. Der Ex-Sol­dat war eine Art Zeu­ge der Ankla­ge der Mili­tär­staats­an­wäl­te.

Im Rah­men ihrer Bericht­erstat­tung zum Frie­dens­no­bel­preis letz­te Woche schrieb die dpa dann:

Unter den bekann­ten Kan­di­da­ten in die­sem Jahr ist auch Chel­sea Man­ning (frü­her Brad­ley Man­ning). Dem eins­ti­gen US-Whist­le­b­lower räumt der Prio-Direk­tor aber wenig Chan­cen ein. „Es gibt kei­nen Zwei­fel, dass die Ent­hül­lun­gen sehr zur inter­na­tio­na­len Debat­te über Über­wa­chung bei­getra­gen haben“, sagt Harp­vi­ken. Ethisch und mora­lisch reflek­tie­re Man­ning aber zu wenig, was sie getan habe.

Tat­säch­lich hat­te die Agen­tur in der Zwi­schen­zeit die Ent­schei­dung getrof­fen, zukünf­tig immer von „Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning“ zu schrei­ben und im wei­te­ren Text­ver­lauf mög­lichst schnell zu erklä­ren, dass Chel­sea als Brad­ley Man­ning vor Gericht gestan­den habe. Wie mir ihr Spre­cher Chris­ti­an Röwekamp auf Anfra­ge erklär­te, hat die dpa nach Abstim­mung mit ande­ren Agen­tu­ren am 6. Sep­tem­ber eine ent­spre­chen­de Pro­to­koll­no­tiz in ihr Regel­werk „dpa-Kom­pass“ auf­ge­nom­men, in dem sonst etwa die Schreib­wei­sen bestimm­ter Wör­ter gere­gelt wer­den.

Der Evan­ge­li­sche Press­dienst epd war da offen­bar nicht dabei. Er schrieb am 11. Okto­ber:

Gute Chan­cen auf den Frie­dens­no­bel­preis wur­den auch dem frü­he­ren US-Prä­si­den­ten Bill Clin­ton, dem Wiki­Leaks-Infor­man­ten Brad­ley Man­ning und der afgha­ni­schen Men­schen­recht­le­rin Sima Samar ein­ge­räumt.

Wie ein­fach es eigent­lich geht, hat­te die „FAZ“ am 9. Sep­tem­ber bewie­sen:

Der Umgang mit Chel­sea (vor­mals Brad­ley) Man­ning, die Cau­sa Snow­den mit trans­at­lan­ti­scher Sip­pen­haft gegen ihn unter­stüt­zen­de Jour­na­lis­ten und der Umgang mit den Geheim­dienst- und Mili­tär-Whist­le­b­lo­wern ins­ge­samt zeigt über­deut­lich, welch unkon­trol­lier­te Macht der „deep sta­te“ der Diens­te mitt­ler­wei­le hat und wie unbe­rührt von öffent­li­chem Pro­test er agiert.

Am 5. Okto­ber schrieb die „FAZ“ dann aller­dings wie­der:

Ohne die von Brad­ley Man­ning an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks gelie­fer­ten gehei­men Regie­rungs­do­ku­men­te hät­te Maz­zet­ti man­che Zusam­men­hän­ge nicht rekon­stru­ie­ren kön­nen.

Nun zäh­len die The­men­fel­der Trans­gen­der und Trans­se­xua­li­tät im Jahr 2013 immer noch zu den etwas außer­ge­wöhn­li­che­ren, sind aber zumin­dest immer mal wie­der in Sicht­wei­te des Main­streams. Bali­an Busch­baum etwa, der als Yvonne Busch­baum eine erfolg­rei­che Stab­hoch­sprin­ge­rin war, ist häu­fi­ger in Talk­shows zu Gast und wird dort mehr oder weni­ger augen­zwin­kernd angel­anzt, wie das denn jetzt so sei mit einem … hihi: Penis. Der Ame­ri­ka­ner Tho­mas Bea­tie durf­te als „schwan­ge­rer Mann“ die Kurio­si­tä­ten­ka­bi­net­te der Bou­le­vard­me­di­en fül­len. Mina Capu­to wur­de mal Keith genannt und war als Sän­ger von Life Of Ago­ny bekannt und Lau­ra Jane Grace von der Band Against Me! begann ihre Kar­rie­re als Tom Gabel – was die Komi­ker von „Spie­gel Online“ sei­ner­zeit zu der pie­tät­vol­len Über­schrift „Gabel unterm Mes­ser“ inspi­riert hat­te.

Vie­le haben in ihrem Bekann­ten­kreis kei­ne Trans­men­schen (oder wis­sen nichts davon) und wis­sen nicht, wie sie mit einem umge­hen soll­ten. Für Jour­na­lis­ten, die aus der Fer­ne über sie schrei­ben, ist es aber mei­nes Erach­tens erst ein­mal nahe­lie­gend, die Namen und Per­so­nal­pro­no­mi­na zu ver­wen­den, die sich die betref­fen­den Per­so­nen erbe­ten haben. Und Chel­sea Man­ning hat dies expli­zit getan.

In ver­gleichs­wei­se all­täg­li­chen Situa­tio­nen schei­nen Jour­na­lis­ten übri­gens weni­ger über­for­dert: Muham­mad Ali und Kareem Abdul-Jab­bar waren schon bekann­te Sport­ler, als sie zum Islam kon­ver­tier­ten und ihre neu­en Namen annah­men. Durch Ehe­schlie­ßun­gen und ‑schei­dun­gen wech­sel­ten Schau­spie­le­rin­nen wie Robin Wright, Poli­ti­ke­rin­nen wie Kris­ti­na Schrö­der und Schmuck­de­si­gne­rin­nen wie Ales­san­dra Pocher ihre Namen und die Pres­se zog mit. Und der Fern­seh­mo­de­ra­tor Max Moor hieß bis zum Früh­jahr die­ses Jah­res Die­ter, was – nach einem kur­zen Moment des Nase­rümp­fens und Drü­ber­lus­tig­ma­chens – inzwi­schen auch kei­nen mehr inter­es­siert.

Hof­fent­lich braucht es weni­ger als 35 Jah­re, bis Chel­sea Man­nings Bit­te von den deut­schen Medi­en erhört wird.

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Und Normal gibt’s nicht mal mehr an der Tankstelle

Lie­be Autoren, Ihr könnt die Arbeit ein­stel­len: Das Ren­nen um den dümms­ten Text des Jah­res ist ent­schie­den. David Baum hat ihn ver­gan­ge­ne Woche auf „The Euro­pean“ ver­öf­fent­licht, einem kon­ser­va­ti­ven Inter­net­ma­ga­zin, des­sen erklär­tes Ziel es ist, inner­halb der nächs­ten Jah­re so wich­tig zu wer­den, wie es sich selbst seit dem ers­ten Tag nimmt.

In wel­che Rich­tung es gehen wird, erkennt man schon an der Fra­ge, die Baum sei­ner „Kolum­ne“ vor­an­ge­stellt hat: „Wie abar­tig ist eigent­lich nor­mal?“. Die Über­schrift zeigt, dass hier einer die Kon­tro­ver­se, die Pro­vo­ka­ti­on, das Bro­dern sucht: „Lie­be Nege­rIn­nen“.

Doch was will Baum eigent­lich sagen?

HÖREN SIE – sehr geehr­te Damen, sehr geehr­te Her­ren “und alle, die sich nicht mit die­sen Kate­go­rien iden­ti­fi­zie­ren kön­nen oder wol­len”: Ich kom­me mir manch­mal vor wie Ronald Rea­gan, der ver­se­hent­lich an den Nackt­ba­de­strand des Wood­stock-Fes­ti­vals gera­ten ist.
Zum Bei­spiel, wenn ich die­se inzwi­schen heiß umfeh­de­te Rede des Chefs der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung, Tho­mas Krü­ger, lese, die er tat­säch­lich mit genau jener eben zitier­ten Anre­de ein­ge­lei­tet hat. Das erin­nert mich an die hin­rei­ßend idio­ti­sche Afri­kare­de von Hein­rich Lüb­ke, bloß dass der zum Kar­ne­va­lis­ti­schen nei­gen­de Bun­des­prä­si­dent heu­te nicht nur über die böse ras­sis­ti­sche For­mel stür­zen wür­de, son­dern auch noch, weil er nicht “lie­be Nege­rIn­nen” gesagt hat.

Zuge­ge­ben: Das ist schon sehr viel zer­schmet­ter­ter Satz­bau und sehr viel Unfug für einen ein­zel­nen Absatz. Aber wir kom­men da durch. Zunächst also mal das Offen­sicht­li­che: In White Lake, NY gab es nach allem, was wir wis­sen, kei­nen Strand – also auch kei­nen „Nackt­ba­de­strand des Wood­stock-Fes­ti­vals“. Was soll­te man da auch schon sehen außer Schlamm?

Aber viel­leicht ist das auch wit­zig gemeint. So wie die Anre­de „lie­be Neger“, die sehr wahr­schein­lich frei erfun­den ist und die Baum mit der Anre­de in Tho­mas Krü­gers Rede beim Kon­gress „Das fle­xi­ble Geschlecht. Gen­der, Glück und Kri­sen­zei­ten in der glo­ba­len Öko­no­mie.“ ver­gleicht wie ande­re Leu­te Äpfel mit Schrau­ben­zie­hern: „Sehr geehr­te Damen und Her­ren, lie­be Neger“ klingt für unse­re Ohren, als ob es neben den Damen und Her­ren auch noch die „Neger“ gebe, die (ähn­lich wie bei „lie­be Kin­der“) von den Damen und Her­ren abge­grenzt wer­den müs­sen, weil sie nicht dazu­ge­hö­ren. Beim Kon­gress der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung hin­ge­gen wer­den auch die Men­schen adres­siert, die sich selbst weder den Damen, noch den Her­ren zurech­nen kön­nen oder wol­len. Die drit­te Kate­go­rie ver­sucht also eine Abgren­zung auf­zu­he­ben, nicht eine her­zu­stel­len.

Wie bei jedem ordent­li­chen Pole­mi­ker, der sich völ­lig in der Lebens­wirk­lich­keit ver­fah­ren hat, ist man auch bei David Baum gut bera­ten, ihn zwecks Demon­ta­ge aus­gie­big zu zitie­ren:

Herr Krü­ger, der Mann, der samt Ehe­gat­tin und sei­nem gan­zen Klün­gel vom Staat gespon­sert wird, “um inter­es­sier­te Bür­ge­rin­nen und Bür­ger dabei zu unter­stüt­zen, sich mit Poli­tik zu befas­sen”, doziert all­zu gern über das The­ma “Das fle­xi­ble Geschlecht”. Er ver­tritt also jene lau­ni­ge The­se – die zur Folk­lo­re der hei­mi­schen Links­extre­men gehört –, dass kein Mensch als Jun­ge oder Mäd­chen gebo­ren wird und des­halb die Kin­der­lein geschlechts­neu­tral auf­wach­sen sol­len, um sich schließ­lich frei ent­schei­den zu kön­nen. Der Ver­weis auf gewach­se­ne Geschlechts­or­ga­ne gilt in die­sen Krei­sen als lächer­li­cher Volks­glau­be aus der fins­te­ren Vor­mo­der­ne, den­ken sie erst gar nicht dar­an. Ich weiß nicht, was die­se Kama­ril­la in den 70ern geraucht hat, jeden­falls macht es bis heu­te so high, dass sie die Unter­schei­dung von Mäd­chen und Jun­gen für eine zutiefst reak­tio­nä­re und rechts­ra­di­ka­le Ange­le­gen­heit hält.

Mal davon ab, dass es in Krü­gers Rede nur am Ran­de um jene „lau­ni­ge The­se“ und gar nicht um Geschlechts­or­ga­ne und Geschlechts­neu­tra­li­tät geht, offen­bart sich in die­sem Absatz auch wie­der ein erschüt­ternd schlich­tes Welt­bild: Mann oder Frau, schwarz oder weiß, dafür oder dage­gen. Wenn Anders­den­ken­de für David Baum „Links­extre­me“ sind, müss­te er in sei­ner eige­nen bipo­la­ren Welt ja eigent­lich ein Rechts­ra­di­ka­ler sein. Das hat er natür­lich selbst schon aus­for­mu­liert und womög­lich wit­zig gemeint.

Aber ganz so ein­fach, wie es Baum ger­ne hät­te mit Pim­mel und Mumu, macht es ihm die Natur schon nicht. Hin­zu kommt, dass er – wie so vie­le Ande­re an bei­den Enden des poli­ti­schen Spek­trums – aus­schließ­lich inner­halb bestehen­der Kate­go­rien den­ken will.

Dazu ein kur­zer Exkurs: Das Volk der Sets­wa­na in Afri­ka kennt nur weni­ge Farb-Grund­wör­ter (im Prin­zip nur schwarz, weiß, rot, und blau/​grün, aber kein Wort für gelb, braun, oran­ge, oder ähn­li­ches), die Dani in Papua-Neu­gui­nea haben (wie ande­re Sprach­ge­mein­schaf­ten auch) über­haupt nur zwei Farb­wör­ter, die in etwa „hell“ und „dun­kel“ bedeu­ten. Sie hät­ten bei der Beschrei­bung eines Regen­bo­gens sicher eini­ge Schwie­rig­kei­ten, aber der Regen­bo­gen blie­be (für unse­re Augen) der glei­che. Die Geschich­te, nach der Eski­mos hun­dert ver­schie­de­ne Wor­te für Schnee hät­ten, ist zwar unge­fähr genau­so falsch wie Hein­rich Lüb­kes berüch­tig­tes Zitat, aber die Idee dahin­ter ist ja ein­fach, dass man alles noch mal aus­dif­fe­ren­zie­ren kann.

Aber das ist natür­lich nicht so geil kra­wal­lig wie die For­mu­lie­rung „an den Scham­haa­ren her­bei Gezo­ge­nes“ oder der Ruf nach dem Ver­fas­sungs­schutz, um den „beson­de­ren Schutz“ der Ehe und der Fami­lie im Grund­ge­setz zu gewähr­leis­ten.

Und über­haupt:

Nor­ma­li­tät gibt es ja nicht, wie der Mensch von mor­gen jetzt schon weiß.

Womög­lich denkt Baum ein­fach nur vom fal­schen Ende aus, denn es geht in der Debat­te ja gera­de dar­um, Schwu­le, Les­ben, Bise­xu­el­le, Trans­se­xu­el­le, Trans­gen­der, usw. usf. nicht mehr als Exo­ten wahr­zu­neh­men, die wahl­wei­se lus­tig oder krank sind, son­dern als nor­mal.

Für Baum eine offen­bar uner­träg­li­che Vor­stel­lung:

Das Ziel einer gesun­den Gesell­schaft soll­te sein, Min­der­hei­ten zu schüt­zen und ihnen zu ihren Rech­ten zu ver­hel­fen. Aber jede Lau­ne der Natur zum all­ge­mei­nen Leit­bild zu erhe­ben sicher nicht. Sie geht näm­lich dar­an kaputt.

Das ist genau die Logik der Leu­te, die wol­len, dass Mus­li­me ihre Moscheen in irgend­wel­chen Hin­ter­hö­fen und Indus­trie­ge­bie­ten errich­ten, und die dann hin­ter­her dar­über schimp­fen, wie schlecht „inte­griert“ die­se Men­schen in einer Gesell­schaft sei­en, die sie selbst an den Rand gedrängt hat. Schwul ja, aber bit­te nicht der eige­ne Sohn, nicht öffent­lich und nicht mit den glei­chen Rech­ten wie Hete­ro-Paa­re. Deko­ra­ti­ve Anders­ar­ti­ge in einer sonst uni­for­mier­ten Gesell­schaft. Aber immer beto­nen, dass man doch eigent­lich („Jedem Tier­chen sein Plä­sier­chen“) tole­rant sei – was natür­lich im Zwei­fels­fall auch wie­der iro­nisch gemeint sein könn­te.

All die­se Aus­brü­che Baums haben wenig bis gar nichts mit der Rede Tho­mas Krü­gers zu tun. Er will nichts „zum all­ge­mei­nen Leit­bild erhe­ben“, er will viel­mehr bestehen­de Leit­bil­der abbau­en:

Um Gerech­tig­keit und einen Aus­tausch auf Augen­hö­he zu errei­chen, kann die eige­ne Posi­ti­on, die eige­ne Erfah­rung, der eige­ne Kör­per und die eige­ne Sexua­li­tät nicht län­ger zur Norm erklärt wer­den, von der alle ande­ren Ver­sio­nen als min­der­wer­ti­ge Abwei­chun­gen gel­ten, die es allen­falls zu tole­rie­ren gilt.

Baum reißt ein­zel­ne Schlag­wor­te aus dem Kon­text der (zuge­ge­be­ner­ma­ßen nicht ganz kur­zen) Rede und erweckt so den Ein­druck, Krü­ger und die Bun­des­zen­tra­le woll­ten Sodom und Gomor­rha als gesell­schaft­li­ches Ide­al (oder gleich als Zwang) eta­blie­ren. Dabei geht es um ganz kon­kre­te Lebens­wirk­lich­kei­ten und Unge­rech­tig­kei­ten in ganz durch­schnitt­li­chen hete­ro­se­xu­el­len Part­ner­schaf­ten, wenn Krü­ger etwa die „klas­si­sche Ernäh­rer-Ehe, an der sich immer noch steu­er­li­che Pri­vi­le­gi­en fest­ma­chen“ kri­ti­siert.

Aber das ist wohl alles zu viel für einen Mann wie David Baum, der die Gren­ze des­sen, was nicht mehr „nor­mal“ ist, unmit­tel­bar hin­ter sich zieht.