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Furchtbar

Durch Umstände, die diesmal nichts zur Sache tun, bin ich gerade über eine rund zweieinhalb Jahre alte Überschrift auf bunte.de gestolpert:

Kai Wiesinger: "Es ist furchtbar!"

Im Vorspann steht:

Der Tod von Chantal de Freitas im Sommer 2013 war überraschend. Die damals 45-jährige Schauspielerin und getrennt lebende Ehefrau von Kai Wiesinger starb plötzlich und unerwartet. Zurück blieben ihre zwei Töchter – und ein trauernder Kai Wiesinger …

Und das kann man sich ja gut vorstellen, dass eine solche Situation furchtbar ist.

Allein — wenn man den dazugehörigen Artikel auf bunte.de komplett liest, stellt man fest, dass das Zitat in der Schlagzeile vielleicht ein bisschen … nennen wir es mal: aus dem Zusammenhang gerissen ist:

"Es ist furchtbar, wie Medien ein falsches Bild von jemandem erschaffen können" Chantal de Freitas hinterließ zwei Töchter aus ihrer Ehe mit Kai Wiesinger. Im Interview mit dem Magazin "DONNA"​ spricht der 48-Jährige jetzt über die schwere Zeit. "Es ist furchtbar, wie Medien durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate ein falsches Bild von jemandem erschaffen können. Es ist sehr schwer, so etwas auszuhalten und dabei öffentlich keine Stellung zu beziehen."

Womöglich braucht man gar nicht viel mehr als dieses Beispiel, um das Wesen von Boulevardjournalismus zu erklären.

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Journalisten

Ich zucke immer zusammen, wenn ich als “Journalist” vorgestellt werde. Das hat wenig mit dem behaupteten Kulturkampf “Blogger vs. Journalisten” zu tun (ich zucke auch zusammen, wenn ich als “Blogger” vorgestellt werde) und viel mit dem, was in Deutschland für Journalismus gehalten wird.

“Journalist” ist keine geschützte Berufsbezeichnung, anders als zum Beispiel “Tierarzt”. Metzger, Wilderer und Automechaniker betreiben nachweislich keine Veterinärmedizin, das Werk von Volksverhetzern, Leichenfledderern und sonstigem charakterlosen Pack kann aber ohne weiteres als “Journalismus” bezeichnet werden.

Deshalb wird Paul Ronzheimer, 25-jähriger “Bild”-Redakteur, der auch gerne schon mal “den Pleite-Griechen die Drachmen zurück” gibt, mit dem Herbert-Quandt-Medien-Preis (immerhin benannt nach einem anderen großen Menschenfreund und Wohltäter) ausgezeichnet.

Und deshalb werden Druckerzeugnisse wie “Bild”, “Focus” oder “Bunte” auch von seriösen Journalisten (die es natürlich, um Himmels Willen, auch gibt und die gut daran täten, die Bezeichnung “Journalist” zu verteidigen) als Journalismus angesehen, obwohl es in der restlichen zivilisierten Welt eher unüblich ist, Boulevardjournalismus als Journalismus wahr- oder auch nur ernstzunehmen.

Jörg Kachelmann hat der “Zeit” ein langes Interview gegeben und auch wenn die Interviewerin Sabine Rückert selbst jetzt nicht gerade als strahlendes Beispiel für ordentlichen Journalismus bezeichnet werden kann, ist es ein beeindruckendes Dokument.

Kachelmann sagt darin unter anderem:

Ich bin sicher, dass die Boulevardmedien überall U-Boote haben. In allen wichtigen Organisationen haben die einen sitzen, damit er mal kurz in den Computer guckt. Wenn ich in einer Maschine unterwegs war, die nicht zu den Fluglinien des Firmenverbundes Star Alliance gehört, hat mich nie ein Paparazzo am Flugplatz erwartet.

Das lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder, der Mann ist verrückt (geworden), oder dieses Land ist sehr viel upgefuckter, als man sich das als Bürger gemeinhin vorstellen würde.

Das Internetportal “Meedia”, dessen Chefredakteur es als “elementarste Aufgabe” der Medien ansah, “das Doppelleben des netten Herrn Kachelmann zu enthüllen”, und der es als “rufschädigend für den Journalismus” bezeichnet hatte, den medialen Irrsinn in Sachen Kachelmann zu hinterfragen, dieses Internetportal jedenfalls schreibt heute über das Interview:

Schwenn habe nicht gebrüllt oder auf den Richtertisch gehauen, wie die Bild berichtet hat. Es ist nicht nur diese Stelle des Interviews, die den Eindruck erweckt, Kachelmann habe seit dem Prozess womöglich eine etwas verschobene Wahrnehmung der Realität. Zwar hat Schwenn tatsächlich nicht gebrüllt, aber seine Art und Weise im Gericht vorzugehen kann jeder, der anwesend wahr nur als offene Provokation empfunden haben.

Kachelmann sagt, Schwenn habe nicht gebrüllt, und Schwenn hat nicht gebrüllt, aber Kachelmann hat eine “etwas verschobene Wahrnehmung der Realität”? Was hat dann Stefan Winterbauer, Autor dieser Zeilen? (Außer vielleicht “den Schuss nicht gehört”.)

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The Playboy Mention

Mal was ganz anderes: Welchen Nachrichtenwert hat es eigentlich, wenn sich eine leidlich bekannte Blondine für ein Herrenmagazin auszieht und ein bisschen über sich plaudert?

Schöne Referendarin aus ARD-Hit "Die Stein": Ivonne Schönherr entblättert sich
(“RP Online”)

 Sexy Schauspielerin: Ivonne mag es verführerisch
(Express.de)

TV-Star Ivonne Schönherr im Playboy: "Beim Sex brauche ich Gefühl"
(Bild.de)

Bildergalerie: Ivonne Schönherr - Die Schauspielerin zieht sich für den Playboy aus
(welt.de)

"Eigentlich bin ich total schüchtern" MÜNCHEN – Ivonne Schönherr lässt die Hüllen fallen. Die Schauspielerin mit dem Schlafzimmerblick räkelt sich für den Playboy.
(blick.ch)

Im Oktober: TV-Star Ivonne Schönherr als sexy Playboy-Girl
(oe24.at)

Sexy Referendarin: "Die Stein"-Star Ivonne Schönherr im Playboy Oktober 2008
(de.msn.com)

Ivonne Schönherr im Playboy
(freenet.de)

Gute Gründe, über das Thema zu berichten, hat auch Bunte.de – immerhin erscheint der “Playboy” im gleichen Verlag:

Ivonne Schönherr stand nicht so auf Mathe & Physik

Ebenfalls zu Hubert Burda Media gehört “Focus Online”. Auf deren Seite gibt es gleich mehrere Links zu playboy.de: einmal als Anzeige …

Anzeige: Playboy - Alles, was Männern Spaß macht. Special - Das Playmate des Monates. Playboy-Abo - Jetzt ein Geschenk sichern.

… und einmal als “Surftipp im Web”:

Surftipp im Web: Mehr schöne Frauen: Hier geht es zum Playboy

Die Fragen, wo die Unterschiede zwischen den beiden Links lägen und ob das keine unzulässige Vermengung von Werbung und redaktionellem Inhalt sei, konnte man mir bei “Focus Online” auf die Schnelle nicht beantworten.

Auf die Spitze getrieben wird die Crosspromotion innerhalb des Unternehmens allerdings von diesem Artikel bei cinema.de, den ich hier der Einfachheit halber mal in voller Länge, sowie inklusive aller Links und Bilder wiedergeben möchte:

Playboy: Ein Model in der Sauna. Die Schwäbin Alena Gerber arbeitet als Model in München. Abgelichtet wurde sie als Wiesn-Playmate im Wellness-Bereich eines Hotels in Südtirol. Die 19-Jährige wurde vor Jahren beim Einkaufen von einem Model-Scout angesprochen - wohl nicht zuletzt wegen ihrer Traummaße von 91-60-89. Sie mag schnelle Autos und Sushi und verreist gerne mit dem Motorrad. Mehr über das Playmate erfahren Sie hier. Auf dem Titel ist die Schauspielerin Ivonne Schönherr zu sehen.

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Digital Leben

Keine seriöse Presse ohne kaffeetrinkende Rockstar-Freundinnen

Es ist natürlich reiner Zufall, dass am gleichen Tag, an dem auf ProSieben eine Serie startet, die eine C-Prominente und ihren Verlobten auf dem Wege zur Hochzeitsvorbereitungen zeigen (und die in der ersten Live-Hochzeit im deutschen Fernsehen münden soll), der Bundesgerichtshof entscheidet, dass die “Bunte” kein Recht hat, Fotos der Lebensgefährtin von Herbert Grönemeyer abzudrucken. Aber es sind diese kleinen Zufälle, die das Leben so unterhaltsam machen.

Während also Gülcan Karahanci und Sebastian Kamps die Menschheit aus freien Stücken und gegen gutes Geld an ihrem Privatleben teilhaben lassen wollen, bekommt die Grönemeyer-Freundin höchstrichterlich bestätigt, dass sie es nicht hinnehmen muss, dass fremde Menschen (die natürlich auch nur ihren Job machen und ihre Familien ernähren müssen) Fotos von ihr und ihrem zufälligerweise prominenten Partner bei nicht-offiziellen Terminen machen und diese dann abgedruckt werden.

Es folgt mein Lieblings-Satzanfang: Ich bin zwar kein Jurist, aber es erscheint mir vollkommen nahe liegend, dass so entschieden wurde. Ich habe nie verstanden, mit welcher Begründung sog. Personen der Zeitgeschichte auf Schritt und Tritt von Paparazzi verfolgt werden sollten. Mich interessiert nicht, wie Britney Spears beim Einkaufen aussieht, und es hat eigentlich auch niemanden sonst zu interessieren.

Nun ist es natürlich so, dass viele Stars die Presse für die eigene Karriereplanung nutzen. Bitte: Wer so dämlich ist, sich und seine unbeteiligte Familie für sog. Home Stories zur Verfügung zu stellen, ist selbst schuld und soll von mir aus an ungeraden Wochentagen zwischen 11:30 Uhr und 19:00 Uhr (Zeiten verhandelbar) beim Verzehr von Mettbrötchen, beim Erwerb von Fußbettsandalen oder bei sonstirgendetwas uninteressantem fotografiert werden, das in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit und der Prominenz des Fotografierten steht.

Herbert Grönemeyer aber hat sein Privatleben (bis auf einige Sätze in Interviews) sehr bewusst von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Spiegel Online ist da offenbar anderer Meinung und dreht mal wieder an der Logikschraube:

Der Fall Grönemeyer ist für die Presse gravierend. Der wohl berühmteste Sänger Deutschlands hatte die Trauer über den Tod seiner Frau im Jahr 1998 immer wieder öffentlich verarbeitet: in seinem Bestseller-Album “Mensch”, aber auch in zahlreichen Interviews, und noch im SPIEGEL-Gespräch im Februar 2003 hatte er freimütig bekannt: “Ich war immer eine nichtöffentliche Person. Durch den Tod meiner Frau bin ich jetzt genau das Gegenteil.”

Ja, was hat er denn da “freimütig bekannt”? Dass er eine öffentliche Person ist? Ja. Dass die Öffentlichkeit Anteil genommen hat am Schicksal seiner Familie? Gut möglich. Wenn Grönemeyer aber aus dieser Position permanente Kameraüberwachung für sich und sein Umfeld eingefordert haben sollte, so geht das aus dem Zitat (das betreffende Interview ist natürlich nicht frei verfügbar) aber in keiner Weise hervor. Außer, man interpretiert es herein, weil es einem gerade in den Kram passt.

Ein Spiegel-Online-Artikel kommt bekanntlich nur schwer ohne den Abgesang aufs Abendland auf den Qualitätsjournalismus aus, deshalb folgt dieser auf dem Fuße:

Künftig dürften auch Medien wie der SPIEGEL oder die “Süddeutsche Zeitung” etwa in einem Feature über Tod und Trauer-Verarbeitung zwar über die ergreifenden Lieder von Grönemeyer berichten, aber nicht mit Bildern illustrieren, dass Trauer-Vorbild Grönemeyer seinen Schmerz offenbar überwunden hat.

Ja, Himmel, warum sollten sie denn auch? Erst einmal möchte ich denjenigen Leser sehen, der in einem Feature über Tod und Trauer-Verarbeitung Bilder von Herbert Grönemeyer und dessen Freundin erwartet. Er würde sich doch hoffentlich einen gut recherchierten und geschriebenen Text wünschen, wenn Betroffene oder Experten zu Wort kommen, sollten diese vielleicht mit einem Porträtfoto vorgestellt werden, damit man sich beim Lesen ein besseres Bild machen kann, und von mir aus kann man das “Feature” (es könnte “Artikel” oder “Text” heißen, aber who cares?) noch mit Symbolbildern von Kreuzen, Sonnenuntergängen und Auen im Winter aufhübschen, wenn es denn unbedingt eye candy braucht. Ein Foto eines verwitweten Popmusikers mit seiner neuen Lebensgefährtin ist aber auch bei gewagtester Konstruktion sicher nicht das, was dem Feature noch zum Pulitzer-Preis gefehlt hätte.

Das perfideste ist aber nicht, dass Spiegel Online so einen Blödsinn einfordert. Das perfideste ist, wie die Leser auf die eigene Seite geholt und gegen die Betroffenen aufgebracht werden sollen:

Aber kann sich die Freundin oder Lebensgefährtin einer nationalen Berühmtheit wie Herbert Grönemeyer auch dagegen wehren, in eigentlich unverfänglichen Situationen abgebildet zu werden? Zumal wenn die Fotos in aller Öffentlichkeit aufgenommen wurden, einmal auf der Straße, das andere mal zwar im Café, aber gewissermaßen auf dem Präsentierteller sitzend hinter Glastüren, die zu einer Straße oder Passage weit geöffnet sind?

Was soll denn diese Wortwahl? “In eigentlich unverfänglichen Situationen” – sollten es wenigstens abartige, kompromittierende Bilder sein, wenn diese lästigen Prominenten und ihre Partner, die ihr sog. Privatleben partout vor Spiegel Online und den anderen Klatschblätter geheimhalten wollen, schon dagegen vorgehen müssen? Soll jeder, in dessen Umfeld es jemanden gibt, der aufgrund seines Berufes in der Öffentlichkeit steht, in Zukunft zuhause bleiben, wenn er nicht in der “Bunten” abgedruckt oder von Spiegel Online bloßgestellt werden will?

Ich bin kein Jurist, aber aufregen könnte ich mich da schon.