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2007 am Ende

Eigent­lich wäre das hier ja ein wür­di­ger Jah­res­ab­schluss gewe­sen: Pein­li­che Feh­ler unter­be­zahl­ter und demo­ti­vier­ter Jour­na­lis­ten waren ja (neben Block­flö­ten und einer Dins­la­ke­ner Nach­wuchs­band) das The­ma des Jah­res in die­sem Blog.

Mein Image­be­ra­ter mein­te aber, das sei ein wenig arg unver­söhn­lich so zum Jah­res­en­de. Des­we­gen ist das hier jetzt die obli­ga­to­ri­sche Zuga­be, in der ich mich für Ihr Inter­es­se, Ihre Ver­lin­kun­gen und Kom­men­ta­re bedan­ke, mei­ne Eltern, Freun­de und För­de­rer lobend erwäh­ne und natür­lich die gan­zen Dep­pen bei „Spie­gel Online“, „Rhei­ni­scher Post“ und „sueddeutsche.de“, ohne die es hier im Blog allen­falls um Block­flö­ten und Dins­la­ke­ner Nach­wuchs­bands gegan­gen wäre.

Ich wün­sche Ihnen einen guten Rutsch und viel Spaß beim Alko­hol trin­ken, „Din­ner For One“ gucken und Brot ver­b­öl­lern. Wir sehen uns im nächs­ten Jahr wie­der!

Was machen Sie um die Uhr­zeit über­haupt noch vor dem Com­pu­ter? Soll­ten Sie nicht längst auf einem gesell­schaft­li­chen Anlass oder wenigs­tens vor dem hei­mi­schen Spie­gel sein?

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Geld verbrennen leicht gemacht

Ich hat­te es letz­te Woche schon mal erwähnt: Der All­ge­mei­ne Stu­die­ren­den-Aus­schuss (kurz: AStA) ((Hat eigent­lich schon mal jemand dar­über phi­lo­so­phiert, dass beson­ders lin­ke Stu­den­ten­grup­pen, die sich ger­ne Stu­die­ren­den­grup­pen nen­nen, einen ähn­lich gro­tes­ken Hang zu Abkür­zun­gen haben wie die Nazis mit ihren Stu­Kas und GröFa­zen?)) der Ruhr-Uni Bochum hat eine gro­ße Par­ty ver­an­stal­tet, um mal rich­tig Geld zu ver­bren­nen. Jetzt hat Niels dar­über geschrie­ben und da dach­te ich mir: „Wenn man sich schon in Kiel über ‚unse­ren‘ AStA aus­lässt, muss ich da auch noch mal nach­tre­ten …“

Vor lan­ger, lan­ger Zeit, als ich noch nicht Stu­dent der Ruhr-Uni­ver­si­tät war, fan­den angeb­lich „legen­dä­re“ Par­ties in der damals noch unre­no­vier­ten Men­sa statt, die einen enor­men Ruf hat­ten und wohl – ähn­lich wie die Fach­schafts­par­ties heu­te noch – haupt­säch­lich als Geld­quel­le für die Arbeit des AStA dien­ten. Inso­fern hät­te man schon mehr als gewarnt sein müs­sen, als der aktu­el­le AStA-Vor­sit­zen­de Fabi­an Fer­ber noch vor der dies­jäh­ri­gen Neu­auf­la­ge in den „Ruhr Nach­rich­ten“ sag­te:

„Wir haben von Anfang an nicht damit gerech­net, Gewinn ein­zu­fah­ren.“ Jahr für Jahr hät­ten die Vor­gän­ger-ASten Über­schüs­se erwirt­schaf­tet, „wir haben Rück­la­gen von 170.000 Euro.“ Da hält Fer­ber es für legi­tim, den Stu­die­ren­den eine gro­ße Show zum klei­nen Preis zu bie­ten – selbst wenn sie am Ende Ver­lus­te bringt. 35 Euro (ermä­ßigt 28 Euro) kos­tet der Ein­tritt zur Par­ty.

Und, in deed: Das Line-Up konn­te sich sehen las­sen. Auf Schul­hö­fen oder bei der „MTV Cam­pus Inva­si­on“, zu der ja ver­mut­lich auch mehr Schü­ler als Stu­den­ten kom­men, hät­te man mit Juli, 2raumwohnung, Cul­cha Can­de­la oder Joy Den­alane sicher gro­ße Erfol­ge fei­ern kön­nen. Wenn die nicht sowie­so stän­dig an jeder Ecke spie­len wür­den.

200.000 Euro hat die Ver­an­stal­tung unge­fähr gekos­tet, was schon erstaun­lich ist, wenn man bedenkt, dass ein „gro­ßes Open-Air-Rock­fes­ti­val“ mit meh­re­ren Büh­nen, an die hun­dert Bands, Dixie-Klos und Cam­ping­plät­zen angeb­lich “nur” sechs Mil­lio­nen kos­ten soll. Dort kal­ku­liert man frei­lich auch mit mehr als 5.000 Besu­chern, von denen dann noch nicht mal die Hälf­te kommt.

Ich gebe zu, mich immer eben­so wenig für Hoch­schul­po­li­tik inter­es­siert zu haben wie 85% mei­ner Kom­mi­li­to­nen. Die Stu­den­ten­ver­tre­ter, das waren eben immer die­se Freaks, die man in jeder SPD-Orts­grup­pe aus­ge­lacht hät­te. Die ganz lin­ken Grup­pen, die in ihren Flug­blät­tern die Hälf­te des Plat­zes für poli­tisch kor­rek­te Pos­ten­um­schrei­bun­gen („die Ver­tre­te­rIn­nen des Aus­län­de­rIn­nen­re­fe­rats“) und seit vier­zig Jah­ren ver­al­te­te Klas­sen­kampf­pa­ro­len ver­wen­de­ten, konn­te man noch weni­ger ernst neh­men. Aber was soll­ten die auch groß (falsch) machen? Hilf­lo­se Aktio­nen gegen Stu­di­en­ge­büh­ren unter­neh­men und dafür sor­gen, dass die Nazi-Paro­len auf den Klo­wän­den alle paar Mona­te über­pin­selt wer­den, viel­leicht. Es konn­te ja kei­ner ahnen, dass die im Stil­len an der Ver­pul­ver­ung mei­nes Gel­des arbei­ten. ((Inter­es­sant: Um das im Stu­den­ten­aus­weis ent­hal­te­ne Semes­ter­ti­cket kann man sich mit etwas Mühe drü­cken, falls man auf dem Unige­län­de wohnt und nie Zug fah­ren will. Den AStA muss jeder Stu­dent unter­stüt­zen, ob er das will oder nicht.))

Nun ist die Orga­ni­sa­ti­on von Groß­ver­an­stal­tun­gen eine durch­aus kom­ple­xe, ver­ant­wor­tungs­vol­le Auf­ga­be, die man allei­ne schon des­halb Pro­fis über­las­sen soll­te, weil man dabei so viel falsch machen kann. Der AStA der Ruhr-Uni Bochum ((Der RCDS, eigent­lich auch AStA-Mit­glied, nennt das Gan­ze einen „Lis­ten-ego­is­ti­schen Allein­gang der Juso-Rubro­sen“)) ent­schied sich offen­bar dazu, so ziem­lich jeden Feh­ler selbst zu machen. Das reich­te von der Band­aus­wahl, die sicher­lich zu einem gewis­sen Teil auch Geschmacks­sa­che ist, über den Umfang der Ver­an­stal­tung (statt acht Bands und zehn Stun­den Live­mu­sik von mit­tags bis abends hät­te es viel­leicht auch eine Num­mer klei­ner getan), bis hin zu einem umfang­rei­chen PR-Desas­ter: Das Uni-eige­ne Cam­pus­ra­dio, von so ziem­lich jedem bis­he­ri­gen AStA geschnit­ten, wur­de im Vor­feld außen vor gelas­sen und das Ein­ge­ständ­nis des finan­zi­el­len GAUs geriet zu dem, was man in der Poli­tik (oder eben bei Vat­ten­fall) eine „Sala­mi-Tak­tik“ nennt. Der AStA-Vor­sit­zen­de Fabi­an Fer­ber von den „RUB-Rosen“ ((Die ganz lin­ken Grup­pen wür­den jetzt noch schrei­ben, dass es sich dabei um eine „SPD-nahe Stu­den­ten­grup­pe“ han­delt, was einer­seits eine hilf­rei­che Infor­ma­ti­on ist, bei den Ganz­lin­ken aber nur hei­ßen soll: „Iiiih, bah, Poli­tik mit mög­li­chen Fern­zie­len!“)) emp­fahl sich dabei auch gleich für die gro­ße Poli­tik, indem er bei sei­nem Rück­tritt die „vol­le Ver­ant­wor­tung“ über­nahm. „Vol­le Ver­ant­wor­tung“ heißt natür­lich nicht, dass er jetzt den Fehl­be­trag aus­glei­chen wür­de – ja, es soll noch nicht mal hei­ßen, dass er wirk­lich für das Desas­ter ver­ant­wort­lich ist, wie die „RUB-Rosen“ klar­stel­len wol­len:

Wenn man selbst von den eige­nen Fehl­trit­ten ablen­ken will, dann sucht man sich halt einen Sün­den­bock und der heißt in die­sem Monat Fabi­an Fer­ber. Wie ein­fach, wie bil­lig und wie schmut­zig!

Es ist der klas­si­sche Fall, wo ich alle doof fin­de: Beker­ner und Her­man, Schell und Meh­dorn, AStA, RCDS und Ganz­lin­ke.

Nach­trag 19. Dezem­ber: Jetzt erst gese­hen: Sogar die „Süd­deut­sche Zei­tung“ hat schon über den Fall berich­tet.

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The Lonesome Crowded West

Ich hat­te ja noch gar nicht über „Der­Wes­ten“ geschrie­ben, das wahn­sin­ni­ge neue Online­por­tal der WAZ-Grup­pe. Etwas völ­lig neu­es soll­te es wer­den, Lokal­jour­na­lis­mus 2.0 oder sowas in der Art. Des­halb hat die Ent­wick­lung auch so lan­ge gedau­ert, dass für einen Beta-Test kei­ne Zeit mehr war. Und nach posi­ti­ven Erst­ein­drü­cken kris­tal­li­siert sich lang­sam her­aus: das Ding droht ein Desas­ter zu wer­den.

Ich nut­ze „Der­Wes­ten“ nicht son­der­lich inten­siv, möch­te aber ger­ne per RSS-Feed über die Gescheh­nis­se in Bochum und Dins­la­ken auf dem Lau­fen­den blei­ben. Nach dem Wech­sel vom alten Online-Auf­tritt der WAZ bzw. NRZ zu „Der­Wes­ten“ funk­tio­nier­ten die alten Feeds nicht mehr und ich muss­te mir müh­sam die neu­en raus­su­chen. Das kann bei einem kom­plet­ten Platt­form­wech­sel natür­lich schon mal pas­sie­ren, ist aber trotz­dem unglück­lich.

Seit unge­fähr drei Wochen wird im Bochu­mer Feed ein Bei­trag spa­zie­ren geführt, der immer da ist, auch wenn alle ande­ren Mel­dun­gen wech­seln. Die Über­schrift lau­tet:

Demenz: Noch vergesslich oder schon dement?

Das ist übri­gens die Ori­gi­nal-Über­schrift von derwesten.de in der Ori­gi­nal-Far­be.
Bit­te nicht mit unse­rer Ori­gi­nal-Far­be ver­wech­seln!

Was man aber wirk­lich von „Der­Wes­ten“ hal­ten kann, möch­te ich Ihnen anhand eines will­kür­li­chen Bei­spiels vor­füh­ren – wobei die Will­kür weni­ger bei mir als viel mehr auf Sei­ten der Por­tal­be­trei­ber zuhau­se zu sein scheint.

Begin­nen wir mit der gefet­te­ten Ein­lei­tung, die neben der Über­schrift übri­gens auch der ein­zi­ge Teil des Arti­kels ist, der im Feed­rea­der ange­zeigt wird – man muss also immer auf die Sei­te. ((„Spie­gel Online“ und n‑tv.de schi­cken nicht mal Kurz­fas­sun­gen oder Ein­lei­tung per RSS)) Beson­ders gut gefällt mir dabei der Cliff­han­ger zwi­schen Ein­lei­tung

Dort wo bald schon die Bag­ger für das Bochu­mer Kon­zert­haus anrü­cken sol­len, gibt es seit dem 16. …

und Arti­kel

… Novem­ber einen ganz beson­de­ren Park­platz.

Da hat „Der­Wes­ten“ von den Pro­fis gelernt, die bei sueddeutsche.de die Bil­der­ga­le­rien betex­ten. Müs­sen.

Geo-Tagging-Funktion bei “DerWesten”Die eigent­lich sehr sinn­vol­le Geo-Tag­ging-Funk­ti­on, mit der bei jedem Arti­kel der „Ort des Gesche­hens“ ange­zeigt wer­den soll, wird lei­der kaum genutzt – dafür sind näm­lich die User zustän­dig und deren Zahl liegt nach vier Wochen bei der eini­ger­ma­ßen depri­mie­ren­den Zahl von 5655.

In die­sem spe­zi­el­len Fall hät­te es aber natür­lich sehr gehol­fen zu erfah­ren, wo denn wohl der Park­platz, um den es die gan­ze Zeit geht, eigent­lich liegt – das wird ja wohl kaum jeder Bochu­mer auf Anhieb wis­sen. Ich will zu Guns­ten aller Betei­lig­ten mal davon aus­ge­hen, dass die Infor­ma­ti­on beim Umko­pie­ren des Tex­tes ver­lo­ren ging und nicht auch schon in der gedruck­ten WAZ aus­führ­lich über einen anony­men Park­platz berich­tet wur­de. Sie ahnen, in wel­chen Bah­nen wir uns bewe­gen, wenn wir zu Guns­ten der Betei­lig­ten von tech­ni­scher Unfä­hig­keit aus­ge­hen.

Abschlie­ßen möch­te ich aber mit einem Bild, das ja bekannt­lich mehr als tau­send Wor­te sagt. Oder in die­sem Fall auch mehr als zwei:

Unendlich viele Kommentare bei “DerWesten”

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Musik Politik

Rock around the Bundestag

Wie ich gera­de sueddeutsche.de ent­neh­me, wird sich der Deut­sche Bun­des­tag am heu­ti­gen Mitt­woch mit dem Antrag „Popu­lä­re Musik als wich­ti­gen Bestand­teil des kul­tu­rel­len Lebens stär­ken“ befas­sen. Dar­in for­dern die Frak­tio­nen von CDU/​CSU und SPD eine zag­haf­te För­de­rung von hei­mi­schem Rock, Pop und Jazz.

Nun muss man bei der soge­nann­ten Kul­tur­po­li­tik immer ganz vor­sich­tig sein, beson­ders, wenn es um Pop­mu­sik geht. Erin­ne­run­gen an die grau­en­haf­te For­de­rung nach einer „Radio­quo­te“ wer­den sofort wie­der wach (und dar­an, wie Wiglaf Dros­te Ant­je Voll­mer und Hart­mut Eng­ler fer­tig mach­te).

Und, inde­ed: Smells Like Deutsch­quo­te light.

Das Inter­net als beson­ders leicht zugäng­li­ches und preis­wer­tes Medi­um hat sich in den letz­ten Jah­ren zu einer der wich­tigs­ten Platt­for­men für Künst­le­rin­nen und Künst­ler aller Berei­che ent­wi­ckelt. Neben der Ver­füg­bar­keit gro­ßer und über­grei­fen­der Platt­for­men ist im Inter­net auch eine eigen­stän­di­ge und selbst­be­stimm­te Prä­sen­ta­ti­on und Ver­mark­tung mög­lich, die durch­aus sinn­voll sein kann. Weit­aus höher sind die Zugangs­bar­rie­ren jedoch bei den wich­ti­gen media­len Platt­for­men Hör­funk und Fern­se­hen. Hier spie­gelt sich der bestehen­de Erfolg der in Deutsch­land pro­du­zier­ten Rock- und Pop­mu­sik nicht wider.

Allein die Vor­stel­lung, beim Ein­schal­ten des Radi­os noch öfter Juli, Sil­ber­mond oder gar Revol­ver­held hören zu müs­sen, treibt mir den Angst­schweiß ins Gesicht.

Zwi­schen­ruf: „Und was ist mit Tom­te, Kan­te, Kili­ans?“
Ant­wort: „Ja, das ist eben Qua­li­tät. Ich habe immer noch die nai­ve Vor­stel­lung, dass die sich lang­fris­tig durch­set­zen wird. Das ist jeden­falls wahr­schein­li­cher, als dass eine grö­ße­re Anzahl Radio­kon­su­men­ten plötz­lich los­rennt und Kan­te-Alben kauft, nur weil die im Radio lie­fen. Kan­te wür­den aber eh nicht im Radio lau­fen, son­dern die oben genann­ten.“

Die Bun­des­re­gie­rung wird auf­ge­for­dert, bestehen­de För­de­run­gen für deut­sche Pop­mu­sik bes­ser abzu­stim­men, „pri­va­te Mit­tel ergän­zend zur staat­li­chen För­de­rung ein­zu­wer­ben“ und sich bei den Rund­funk­an­stal­ten für „ange­mes­se­ne Platt­for­men ein­zu­set­zen“. Es ist ein zah­mer Antrag, zusam­men mit zwei Ein­ga­ben zur Kul­tur­wirt­schaft ist jedoch immer­hin eine Stun­de zur Bera­tung vor­ge­se­hen. Die ver­an­schlag­ten Kos­ten im Haus­halt lie­gen bei je einer Mil­li­on Euro für 2007 und 2008.

Das kann eine Men­ge hei­ßen. Natür­lich habe auch ich Angst vor Rock­be­am­ten und Pop­be­auf­trag­ten. In Län­dern wie Schwe­den, Finn­land, Nor­we­gen, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en und Kana­da, gibt es teil­wei­se seit Jah­ren „Musik­ex­port­bü­ros“, die sich um eine För­de­rung der hei­mi­schen Musik im Aus­land bemü­hen.

Nun kann man argu­men­tie­ren, dass Bands wie Abba, a‑ha oder die … Beat­les durch­aus auch ohne der­ar­ti­ge Kam­pa­gnen Erfolg hat­ten. Man Ich weiß nicht, inwie­weit die aktu­el­le „Swe­dish Inva­si­on“ von Man­do Diao, Money­brot­her und Sugar­plum Fairy plan­bar gewe­sen sein soll. Und es bleibt natür­lich immer ein fader Bei­geschmack bei staat­lich „ver­ord­ne­ter“ Kul­tur.

Ein deut­sches Rock­bü­ro ist für mich eine denk­bar uncoo­le Vor­stel­lung – und ich fra­ge mich, wie­so. Als ich auf ver­gan­ge­nen Pop­kom­men von der skan­di­na­vi­schen För­de­rung hör­te, fand ich die Idee wun­der­bar und frag­te mich, wie­so es sowas in mei­nem hin­ter­wäld­le­ri­schen Hei­mat­land nicht gibt. Kaum küm­mern sich die Poli­ti­ker mal um pop­kul­tu­rel­le The­men, fin­de ich es auch wie­der schreck­lich. Einer­seits könn­te die hie­si­ge Musik­sze­ne eine „ein­heit­li­che Struk­tur“, wie sie im Antrag gefor­dert wird, gut gebrau­chen, ande­rer­seits zer­stört das natür­lich das Bild des chao­ti­schen, unauf­ge­räum­ten Rock’n’Roll.

Eigent­lich ist es nur gerecht: Thea­ter wer­den geför­dert, Muse­en, Biblio­the­ken und Denk­mä­ler. Klas­si­sche Musik eh. Die deut­sche Film­wirt­schaft könn­te ohne Film­för­de­rung kaum über­le­ben – und Zyni­ker wür­den fra­gen, in wie viel Pro­zent der Fäl­le das ein Ver­lust wäre. Von über­wie­gend pri­va­ter Kul­tur­för­de­rung sind wir hier­zu­lan­de noch weit ent­fernt und glaubt man den Ver­ant­wort­li­chen der Musik­in­dus­trie, wird ihr Wirt­schafts­sek­tor bald eh ein Fall fürs Amt.

Viel­leicht soll­ten wir ein­fach mal abwar­ten. Die Erfah­rung zeigt: Die Deut­schen wer­den es schon falsch machen.

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Neues aus der Anstalt

Es gibt The­men, mit denen will ich mich aus Rück­sicht auf mei­ne eige­ne Gesund­heit gar nicht mehr beschäf­ti­gen.

Lesen Sie also selbst zwei Mel­dun­gen über den öffent­lich-recht­li­chen Qua­li­täts­jour­na­lis­mus und des­sen Geld­ein­trei­ber:

Zum einen einen Arti­kel aus der „Bild“-Zeitung. Die­ser ist natür­lich mit beson­de­rer Vor­sicht zu genie­ßen, aber der geschil­der­te Fall hät­te auch über­all sonst ste­hen kön­nen und lässt – auch wenn er natür­lich auf­ge­bauscht wird – tief bli­cken.

Der ande­re Text steht bei Finblog.de und ist ein beein­dru­cken­des Bei­spiel dafür, wie weit man gehen kann, um unab­hän­gi­ge Bericht­erstat­tung und freie Mei­nungs­äu­ße­rung zu … äh: ver­tei­di­gen?

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Politik Gesellschaft

Grün+Roth=Braun?

Herz­lich will­kom­men zurück bei „Der lus­ti­ge Nazi-Ver­gleich“.

Unse­re Gäs­te heu­te: In der rech­ten Ecke … Bischof Wal­ter „Reimt sich auf … Fal­ter“ Mixa, in der ande­ren rech­ten Ecke … Grü­nen-Che­fin Clau­dia Roth.

Und das kam so: Der Augs­bur­ger Bischof sprach am 2. Okto­ber beim Diö­ze­san­ko­mi­tee in Regens­burg und sag­te unter ande­rem Fol­gen­des:

Hin­ter einer fami­li­en­freund­li­chen Pro­pa­gan­da, bei der von Wahl­frei­heit und Kin­des­wohl die Rede ist, ver­birgt sich in Wirk­lich­keit ein staat­li­ches Umer­zie­hungs­pro­gramm für Frau­en und Müt­ter, mit dem jun­ge Frau­en in ers­ter Prio­ri­tät auf exter­ne Erwerbs­tä­tig­keit und Berufs­kar­rie­re statt auf Fami­li­en­ar­beit und ihre Beru­fung als Mut­ter ein­ge­stellt wer­den sol­len.

*RINGELINGELING!*

Er hat „Umer­zie­hung“ gesagt, er hat „Umer­zie­hung“ gesagt! Das ist bestimmt wie­der so ein Nazi-Begriff!

Oh, ist es nicht.

Aber Clau­dia Roth wäre nicht Clau­dia Roth, wenn ihr nicht spon­tan doch noch etwas dazu ein­ge­fal­len wäre:

Wenn Mixa mit Blick auf die drin­gend nöti­ge Ver­bes­se­rung des Krip­pen­an­ge­bots von einem ‚Umer­zie­hungs­pro­gramm’ redet, dann spielt er mit der sprach­li­chen Nähe zu Ver­bre­chen von Gulag bis Pol Pot. Er ver­höhnt Men­schen, die Opfer von schlim­men Unta­ten wur­den und dis­kre­di­tiert das Enga­ge­ment für bes­se­re Kin­der­be­treu­ung auf abso­lut uner­träg­li­che Wei­se.

Die Rus­sen! Kam­bo­dscha! Mal eine völ­lig neue Rich­tung.

Was kommt wohl als nächs­tes?

Nun, zunächst ein­mal kam zwei Wochen lang gar nichts. Dann sprach Clau­dia Roth ges­tern beim bay­ri­schen Lan­des­par­tei­tag der Grü­nen und die Medi­en kol­por­tie­ren wie folgt:

Bischof Wal­ter Mixa sei ein „durch­ge­knall­ter, spal­te­ri­scher Ober­fun­di aus Augs­burg“, sag­te die Bun­des­vor­sit­zen­de der Grü­nen.

(Quel­le: sueddeutsche.de)

Sie hat tat­säch­lich „Spal­ter!“ gesagt. Höre ich ein „Jeho­va!“?

Foul in Augs­burg:

Ein Spre­cher des Bischofs erwi­der­te, die­se Wort­wahl Roths erin­ne­re „in erschre­cken­der Wei­se an die Pro­pa­gan­da-Het­ze der Natio­nal­so­zia­lis­ten gegen die Katho­li­sche Kir­che und ihre Reprä­sen­tan­ten“.

Und gleich noch mehr:

Der Öffent­lich­keits­re­fe­rent der Diö­ze­se Augs­burg, Dirk Her­mann Voß, hat­te zuvor gesagt, er erken­ne in den per­sön­li­chen Atta­cken Roths gegen Ver­tre­ter der Kir­che und in ihrem Ver­such, sich selbst zur „Zen­sur­be­hör­de“ der gesell­schafts­po­li­ti­schen Dis­kus­si­on in Deutsch­land zu machen, „seit lan­gem schon beun­ru­hi­gen­de faschis­to­ide Züge“. Die Grü­nen sei­en damit „auf allen Ebe­nen für Chris­ten nicht wähl­bar“.

Oha, da wurd’s aber schnell all­ge­mein: „für Chris­ten nicht wähl­bar“. Und nu? Alle Grü­nen-Wäh­ler kom­men in die Höl­le? Exkom­mu­ni­ka­ti­on für Grü­nen-Wäh­ler? Und was sagen die ande­ren christ­li­chen Ver­ei­ne dazu, dass der Öffent­lich­keits­re­fe­rent der Diö­ze­se Augs­burg gleich für ihre Leu­te mit­spricht?

Leu­te, mal im Ernst: Geht’s nicht ’ne Num­mer klei­ner? Ihr seid nicht das Use­net oder die Blogo­sphä­re, Ihr seid Poli­ti­ker und Kir­chen­leu­te. Ihr müsst nicht sofort mit völ­li­ger rhe­to­ri­scher Ohn­macht reagie­ren, wenn jemand mal ande­rer Mei­nung ist als ihr – was ziem­lich genau immer der Fall sein dürf­te. Ihr redet über Fami­li­en­po­li­tik und benehmt Euch so, wie sich Drei­jäh­ri­ge im Sand­kas­ten beneh­men wür­den.

Dabei kann ich nur wenig Unter­schie­de fest­stel­len zwi­schen

Roth for­der­te in ihrer Rede beim baye­ri­schen Grü­nen-Lan­des­par­tei­tag in Deg­gen­dorf, Fami­li­en bräuch­ten end­lich eine ech­te Wahl­frei­heit, ob sie ihre Kin­der selbst beauf­sich­ti­gen woll­ten oder sie in Kin­der­krip­pen zur Betreu­ung geben.

und

Statt­des­sen müs­se staat­li­che Fami­li­en­po­li­tik die Ent­schei­dung von Eltern, ihre Kin­der selbst zu erzie­hen und nicht in staat­li­che Betreu­ungs­ein­rich­tun­gen zu geben, in glei­cher Wei­se för­dern wie den Aus­bau von Krip­pen­plät­zen, for­dert der Bischof.

Die wol­len doch bei­de das Glei­che, oder nicht?

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Literatur

Das blinde Redaktionshuhn der „Süddeutschen Zeitung“

Dass ich das noch erle­ben darf: Die „Süd­deut­sche Zei­tung“ (oder wenigs­tens deren Maga­zin) haut eine Bil­der­ga­le­rie raus, die sogar mal sinn­voll und unter­halt­sam ist. Recht­zei­tig zur Frank­fur­ter Buch­mes­se wird dem lite­ra­tur­in­ter­es­sier­ten Zei­tungs­le­ser eine Hil­fe an die Hand gege­ben, um ver­schie­de­ne, viel zu oft ver­wech­sel­te Autoren aus­ein­an­der­hal­ten zu kön­nen: z.B. Ben­ja­min Lebert und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re; Jona­than Fran­zen, Jona­than Safran Foer und Jona­than Lethem; Mar­tin Wal­ser und Robert Wal­ser.

[via mei­ne Mut­ter, mal wie­der]

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Digital Leben

Anti Pasta

Stel­len Sie sich vor, wir wür­den heu­te mal kom­plett auf Eis­bein und Sau­er­kraut ver­zich­ten!

Gut, auch wenn das Kli­schee etwas ande­res sagt: Das wäre für die aller­meis­ten Deut­schen kein Pro­blem. Aber stel­len Sie sich mal vor, wir wür­den heu­te mal kom­plett auf Nudeln ver­zich­ten! Kin­der, Stu­den­ten und Berufs­tä­ti­ge müss­ten sich schon was ein­fal­len las­sen (wobei „was“ ver­mut­lich „Fisch­stäb­chen“, „Piz­za“ oder „But­ter­bro­te“ hie­ße). Aber jetzt stel­len Sie sich mal vor, die Ita­lie­ner wür­den einen Tag auf Nudeln verzichten!!!!1

Las­sen wir die Ste­reo­ty­pen bei­sei­te und wid­men uns den har­ten Fak­ten: Ita­lie­ni­sche Ver­brau­cher­ver­bän­de haben für den heu­ti­gen Don­ners­tag zum „Pas­ta-Streik“ auf­ge­ru­fen. Einen gan­zen Tag sol­len die Ver­brau­cher auf ihr Natio­nal­ge­richt ver­zich­ten (AP berich­tet inter­es­san­ter­wei­se: „not against eating it, but against buy­ing it“, was auch irgend­wie auf­fäl­li­ger wäre), um gegen stei­gen­de Prei­se für Nudeln, Öl und Fahr­kar­ten zu pro­tes­tie­ren.

Stel­len Sie sich also bes­ser vor, wir wür­den heu­te mal kom­plett auf Auto­fahr­ten ver­zich­ten!

P.S.: sueddeutsche.de hat das Pro­blem des Alles-bebil­dern-Müs­sens übri­gens der­art gelöst, dass man den Screen­shot eines „Tele­graph“-Arti­kels zum The­ma, auf dem noch ein hal­bes Pas­ta-Sym­bol­fo­to zu erah­nen ist, in den Arti­kel ein­ge­baut hat. Als Meta-Sym­bol­bild, sozu­sa­gen.

sueddeutsche.de zeigt telegraph.co.uk, die einen Teller mit Nudeln zeigen
Screen­shot: sueddeutsche.de

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Digital

Klickbefehl

Wenn ein Pro­gramm­di­rek­tor die­se Zei­len liest und sich ärgert, kann er von sofort an die Zei­tung nicht mehr kau­fen. Das kann der Örrf-Gefan­ge­ne, will er sich geset­zes­kon­form ver­hal­ten, nur dann tun, wenn er sich von allen sei­nen Radi­os, Fern­se­hern, Com­pu­tern etc. trennt und die GEZ außer­dem sei­ne Abmel­dung akzep­tiert.

Nach dem gest­ri­gen Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts kom­men­tiert Kurt Kis­ter in der „Süd­deut­schen Zei­tung“ die „Rund­funk­frei­heit“ in Deutsch­land.

Mr. Kurb­ju­weit also cal­led Win­ne­tou “a Ger­man with a migra­ti­on back­ground,” a phra­se I’ve heard used to descri­be Turks here. Tor­men­ted Ger­man intellec­tu­als like to pon­der whe­ther May’s con­cept of an “edel­mensch,” his term for a tru­ly noble man, as he cal­led Win­ne­tou, has inspi­red more fee­lings of fra­ter­ni­ty or of racial supe­rio­ri­ty in the coun­try. An Ame­ri­can today is like­lier to won­der how May shaped Ger­man views of the United Sta­tes over the last cen­tu­ry.

Die „New York Times“ ver­sucht ihren Lesern Karl May („vir­tual­ly unknown in the United Sta­tes but the most popu­lar aut­hor in Ger­man histo­ry“) und die Fas­zi­na­ti­on der Deut­schen für den Wil­den Wes­ten näher­zu­brin­gen.

das gigan­ti­sche waren­la­ger mit waren­aus­ga­be ist wirk­lich noch ekli­ger gewor­den als der roh­bau bereits sug­ge­rier­te. allein die auf­ge­kleb­te fas­sa­den­de­ko und die am ein­gang auf­ge­stelll­te plas­tik sind so geist­los, dass es einem die trä­nen in die augen treibt.

Felix Schwen­zel steht vor einem pot­ten­häss­li­chen neu­en Ber­li­ner Ein­kaufs­zen­trum und phi­lo­so­phiert über potem­kin­sche Dör­fer und fest­an­ge­stell­te Gebäu­de.

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Besser nie als jetzt.de

jetzt.de, der trau­ri­ge Inter­net-Nach­fol­ger der einst sehr guten Jugend­bei­la­ge der „Süd­deut­schen Zei­tung“, hat eine Auf­lis­tung von 25 deutsch­spra­chi­gen Blogs erstellt, aus der die Leser das „inter­es­san­tes­te deut­sche Web­log“ wäh­len sol­len.

Her­aus­ge­kom­men ist eine über­aus hete­ro­ge­ne Mischung, die neben den obli­ga­to­ri­schen Bei­spie­len BILD­blog und Spree­blick auch die Blogs von Robert Basic, Jojo Beet­le­bum und Felix Schwen­zel und das Pott­blog. In den Kom­men­ta­ren jam­mert es schon wie­der, dass da eh wie­der nur „die übli­chen Ver­däch­ti­gen, die nur des­halb in der Aus­wahl sind, weil jeder Depp meint, die­se Blogs wären ein Muss in der Blogroll“ auf­tau­chen.

Das ist natür­lich nicht falsch, offen­bart aber auch das Dilem­ma dahin­ter: An wen rich­tet sich die Lis­te? Für die Leu­te, die sich in der sog. Blogo­sphä­re aus­ken­nen, ist das kal­ter Lat­te Mac­chia­to, und wer sich nur rudi­men­tär für das The­ma inter­es­siert, wird irgend­wann glau­ben, es gäbe in Deutsch­land nur eine Hand­voll Blogs, so wie es ja auch zu jedem The­ma immer nur einen Exper­ten in den Nach­rich­ten­sen­dun­gen die­ses Lan­des gibt. Wer noch nie von Blogs gehört hat, wird die jetzt.de-Seite in der gedruck­ten „Süd­deut­schen Zei­tung“ über­blät­tern und schon gar nicht im Inter­net dar­über stol­pern. Bleibt also noch die ach so tol­le Abstim­mung.

Als wäre das nicht alles schon trau­rig genug, wer­den die 25 Blogs bei jetzt.de in der jour­na­lis­ti­schen Form prä­sen­tiert, die seit eini­ger Zeit bei sueddeutsche.de und ihren Unter­sei­ten Pflicht ist: als 26-teil­i­ge Bil­der Text­ga­le­rie, bei der man für jede Blog­be­schrei­bung eine Sei­te wei­ter­kli­cken muss.

jetzt.de sucht das “interessanteste deutsche Weblog”
Aus­ris­se: jetzt.de

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Hilfe! (Ambulant oder stationär)

Es ist beun­ru­hi­gend, ja gera­de­zu skan­da­lös, was da seit ges­tern durch die deut­sche Medi­en­land­schaft geis­tert: Der Medi­zi­ni­sche Dienst der Spit­zen­ver­bän­de der Kran­ken­kas­sen (MDS) ver­öf­fent­lich­te ges­tern sei­nen Prüf­be­richt zur Qua­li­tät in der ambu­lan­ten und sta­tio­nä­ren Pfle­ge. Noch bevor das Papier offi­zi­ell vor­ge­stellt wur­de, hat­te die „Bild“-Zeitung eine gro­ße Titel­ge­schich­te zu dem The­ma gebracht, die jetzt nicht so hun­der­pro­zen­tig exakt war, um es mal vor­sich­tig aus­zu­drü­cken.

Was folg­te, zeig­te mal wie­der, dass Jour­na­lis­ten einer dpa-geti­cker­ten „Bild“-Schlagzeile mehr ver­trau­en als ihrer eige­nen Lese­kom­pe­tenz, denn statt auch nur mal nach­zu­gu­cken, ob die Behaup­tun­gen von „Bild“ rich­tig sind, schrie­ben sie die­se mun­ter ab.

Oft krei­sen die Berich­te um die Behaup­tung von „Bild“, jeder drit­te Pati­ent bekom­me nicht genug zu essen oder zu trin­ken.

„Spie­gel Online“ schreibt ab:

Der aktu­el­le Prüf­be­richt des Medi­zi­ni­schen Diens­tes der Spit­zen­ver­bän­de der Kran­ken­kas­sen (MDS) offen­bart einem Bericht der „Bild“-Zeitung zufol­ge skan­da­lö­se Zustän­de bei ambu­lan­ten Pfle­ge­diens­ten und in deut­schen Pfle­ge­hei­men. Dem­nach bekommt nach die­sem Bericht jeder drit­te Pfle­ge­fall (Hei­me: 34,4 Pro­zent; ambu­lan­te Pfle­ge: 29,6 Pro­zent) nicht genug zu essen und zu trin­ken.

Auch die „Süd­deut­sche Zei­tung“ beruft sich lie­ber auf „Bild“ statt auf den Bericht selbst:

Jeder drit­te Pfle­ge­fall bekom­me nicht genug zu Essen und zu Trin­ken, schreibt die Bild-Zei­tung unter Beru­fung auf den Bericht. In Hei­men sei­en es 34,4 Pro­zent der Fäl­le, bei der ambu­lan­ten Pfle­ge 29,6 Pro­zent.

Die­ses Spiel über Ban­de ist immer­hin ein biss­chen weni­ger irre­füh­rend als das, was tagesschau.de behaup­tet:

Dem­nach bekommt offen­bar jede drit­te zu pfle­gen­de Per­son nicht genug Essen und Trin­ken.

Und der Voll­stän­dig­keit hal­ber auch noch n‑tv.de:

Etwa jeder drit­te Pfle­ge­be­dürf­ti­ge bekom­me nicht genug zu essen und zu trin­ken.

Nun mag es eini­ger­ma­ßen ver­ständ­lich erschei­nen, dass kein Jour­na­list mal eben 212 Sei­ten voll Daten und Fak­ten durch­ar­bei­ten will. Muss er aber gar nicht, denn eine schlich­te Suche nach dem Wort „Ernäh­rung“ im PDF-Doku­ment hät­te zum Bei­spiel auf Sei­te 48 ver­wie­sen, wo es heißt:

Die fest­ge­stell­ten Män­geln bei der Ernäh­rung und Flüs­sig­keits­ver­sor­gung sind nicht unbe­dingt gleich­be­deu­tend mit einer bereits ein­ge­tre­te­nen Unter­ernäh­rung oder einer Dehy­drat­a­ti­on.

Auf Sei­te 66 steht:

Bei 65,6 % der im 1. HJ 2006 in die Prü­fung ein­ge­zo­ge­nen Bewoh­ner lagen bei der Ernäh­rung und Flüs­sig­keits­ver­sor­gung kei­ne Qua­li­täts­pro­ble­me vor. Bei 34,4 % der Per­so­nen wur­den Män­gel fest­ge­stellt. Auch hier sind die­se Män­gel nicht unbe­dingt gleich­be­deu­tend mit einer ein­ge­tre­te­nen Unter­ernäh­rung oder einer Dehy­drat­a­ti­on.

Immer­hin heute.de hat es irgend­wie geschafft, die Tat­sa­chen rich­tig aus dem Bericht abzu­pin­nen:

Der Bericht weist nach wie vor Män­gel bei der Ernäh­rung und Flüs­sig­keits­ver­sor­gung der Pfle­ge­be­dürf­ti­gen aus. Bei etwa jedem drit­ten Fall (Hei­me: 34,4 Pro­zent; ambu­lan­te Pfle­ge: 29,6 Pro­zent) stell­ten die Prü­fer Defi­zi­te fest. Sie kri­ti­sier­ten etwa unzu­rei­chen­de Gewichts­kon­trol­len oder eine feh­len­de Ermitt­lung des Ener­gie­be­darfs der Bewoh­ner. Dies bedeu­te aber nicht unbe­dingt, dass die Betrof­fe­nen jeweils unter­ver­sorgt oder man­gel­haft ernährt sei­en, hieß es.

Im Ver­gleich zum letz­ten Bericht, der das 2. Halb­jahr 2003 erfass­te, hat sich die Qua­li­tät der Pfle­ge auf bei­na­he jedem Gebiet ver­bes­sert, wenn auch mit­un­ter nur ganz leicht.
„Bild“ wür­dig­te die­sen Sach­ver­halt mit vier Wor­ten:

Geän­dert hat sich wenig.

Das mag bei einer ent­spre­chen­den Aus­le­gung des Wor­tes „wenig“ ja sogar noch rich­tig sein, bei Heri­bert Prantls Kom­men­tar in der heu­ti­gen „Süd­deut­schen Zei­tung“ wur­de dar­aus aber schon ein:

Seit Jah­ren hat sich nichts ver­bes­sert – doch nie­mand reagiert.

(Dass Prantl 34,4 bzw. 29,6 % für „Fast die Hälf­te der Men­schen in den unter­such­ten Pfle­ge­hei­men“ hält, die auch noch „Hun­ger und Durst“ „lei­det“, schlägt dann dem Fass die Kro­ne ins Gesicht.)

Dabei hät­te man nur das Vor­wort lesen müs­sen, um von der Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on zu erfah­ren:

Die Pfle­ge­ein­rich­tun­gen haben in den zurück­lie­gen­den drei Jah­ren erkenn­ba­re Anstren­gun­gen unter­nom­men, um die Pfle­ge­qua­li­tät in den Pfle­ge­ein­rich­tun­gen wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Bei vie­len Qua­li­täts­kri­te­ri­en las­sen sich Ver­bes­se­run­gen nach­wei­sen. Ein Teil die­ser Ent­wick­lun­gen ist auch auf die Wir­kung der Arbeit des MDK zurück­zu­füh­ren. Der Bericht zeigt aber auch, dass die Pfle­ge nach wie vor ein Qua­li­täts­pro­blem hat, aus dem sich ein erheb­li­cher Opti­mie­rungs­be­darf in den ambu­lan­ten Pfle­ge­diens­ten und sta­tio­nä­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen ergibt.

„Spie­gel Online“ schaff­te es immer­hin, einen zwei­ten Arti­kel hin­ter­her­zu­schie­ben, wo man unter der Über­schrift „Pfle­ge ver­bes­sert – Pro­ble­me blei­ben“ fol­gen­des lesen kann:

„Die Pfle­ge-Schan­de“, titelt die „Bild“-Zeitung heu­te und pran­gert die skan­da­lö­sen Miss­stän­de in deut­schen Alten­hei­men an. Die Prü­fer der Kran­ken­kas­sen sind über­rascht: Denn seit ihrem letz­ten Bericht hat sich die Lage fast über­all ver­bes­sert – auch wenn die Pro­ble­me blei­ben.

Lei­der ist die­se par­ti­el­le Rich­tig­stel­lung im ers­ten Arti­kel, wo „Spie­gel Online“ noch mun­ter den „Bild“-Blödsinn zitiert, nicht ver­linkt.

Regel­recht reflek­tiert wirkt da schon der Arti­kel bei „RP Online“:

Der jüngs­te Prüf­be­richt des Medi­zi­ni­schen Diens­tes zei­ge, dass es in den ver­gan­ge­nen Jah­ren bei allen wich­ti­gen Ver­sor­gungs­kri­te­ri­en Ver­bes­se­run­gen gege­ben habe, wenn auch auf nied­ri­gem Niveau. „Die Pfle­ge hat nach wie vor ein Qua­li­täts­pro­blem“, räum­te Ger­del­mann ein. […] Dies bedeu­te aber nicht, dass es einen „Pfle­ge­skan­dal“ gebe.

Und so haben wir seit ges­tern zwei Skan­da­le in Deutsch­land: Die von der „Bild“-Zeitung aus­ge­ru­fe­ne „Pfle­ge­schan­de“, bei der genau genom­men natür­lich jeder Fall von unzu­rei­chen­der Behand­lung schreck­lich und skan­da­lös ist, und die kaum wahr­ge­nom­me­ne, lei­der auch kaum noch über­ra­schen­de Tat­sa­che, dass die Ver­fech­ter des Qua­li­täts­jour­na­lis­mus lie­ber schnell irgend­was wei­ter­plap­pern, als nur mal für zehn Minu­ten selbst zu recher­chie­ren.

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Fernsehen Rundfunk

Tatort Programmdirektion

Am Sams­tag­abend soll­te im WDR Fern­se­hen „Herr Schmidt wird 50, will aber nicht fei­ern“ wie­der­holt wer­den. Die Sen­dung mit die­sem irre wit­zi­gen1 Titel, die erst am Vor­abend in der ARD ihre Erst­aus­strah­lung erlebt hat­te, lief aber nicht. Nicht nur Micha­el vom Fern­seh­le­xi­kon frag­te sich, wie­so.

Heu­te Mor­gen dann erfuhr ich bei der Früh­stücks­lek­tü­re der „Süd­deut­schen Zei­tung“ den Grund:

„Auf­grund der zu erwar­ten­den schlech­ten Zuschau­er­ak­zep­tanz im WDR Fern­se­hen haben wir uns ent­schie­den, sie kurz­fris­tig aus dem Pro­gramm zu neh­men und statt­des­sen einen ‚Tat­ort‘ zu sen­den“, teilt Pres­se­spre­che­rin Kris­ti­na Bausch mit.

Da fällt einem zunächst nichts mehr ein und dann eine gan­ze Men­ge.

Ers­tens hat­te Micha­el offen­bar (und wie’s aus­sieht eher unfrei­wil­lig) Recht mit einer sei­ner drei Ver­mu­tun­gen:

Man hat fest­ge­stellt, dass 1,98 Mil­lio­nen Zuschau­er bei der Erst­aus­strah­lung von Herr Schmidt wird 50, will aber nicht fei­ern gar kei­ner so guten Ein­schalt­quo­te ent­spre­chen.
Und will den vie­len Blö­den, die es nicht gese­hen haben, bloß kei­ne Chan­ce geben, das Ver­pass­te nach­zu­ho­len? Ja, klingt schlüs­sig.

Zwei­tens dürf­te zumin­dest jedem, der nicht Betriebs­wirt oder Medi­en­öko­nom ist, ein­leuch­ten, dass eine Sen­dung, die ange­kün­digt ist, in jedem Fall mehr Zuschau­er haben dürf­te als eine, die nicht ange­kün­digt ist: Wer vor dem Fern­se­her saß und Schmidt sehen woll­te, hat die Glot­ze ver­mut­lich noch wäh­rend des „Tatort“-Vorspanns ent­täuscht aus­ge­tre­ten – und wer zu den fünf Leu­ten gehört, die Sams­tags­abend ger­ne noch eine „Tatort“-Wiederholung mit­neh­men wür­den, lag wahr­schein­lich schon im Bett, denn selbst auf der Inter­net­sei­te des WDR stand zu die­sem Zeit­punkt noch, dass „Herr Schmidt …“ lau­fe. Die 210.000 Zuschau­er (6,4% Markt­an­teil) waren bestimmt ein­fach im Fern­seh­ses­sel ein­ge­pennt.

Drit­tens ist das ein Satz, den man nor­ma­ler­wei­se von Pro­Sie­ben-Ver­ant­wort­li­chen hört. Wenn ein gebüh­ren­fi­nan­zier­ter Sen­der wie der WDR meint, sei­ne hek­ti­sche und völ­lig kopf­los wir­ken­de Pro­gramm­po­li­tik mit dem Blick auf die Quo­te erklä­ren zu kön­nen, ver­wirkt er damit in mei­nen Augen sofort und auf alle Zeit den Anspruch, in der Gebüh­ren­debat­te ernst genom­men zu wer­den. Pro­gramm­pla­ner, die ihre (nicht ganz frei­wil­lig) zah­len­den Zuschau­er mit dem Hin­weis auf Öko­no­mie und Quo­ten­druck der­art vor den Kopf sto­ßen, wären wohl selbst fürs Pri­vat­fern­se­hen noch zu dreist.

Anders als die­ser pro­gramm­pla­ne­ri­sche Offen­ba­rungs­eid war die abge­setz­te Sen­dung übri­gens kaum der Rede wert: Sie wur­de ges­tern Abend bei Eins­Fes­ti­val wie­der­holt und ent­pupp­te sich als einer die­ser (von den zustän­di­gen Redak­teu­ren ver­mut­lich als „wahn­sin­nig inno­va­tiv“ emp­fun­de­nen) wüs­ten Zusam­men­schnit­te, die weder chro­no­lo­gisch noch seman­tisch einen Sinn erge­ben. Ohne Off-Spre­cher oder sonst ein ver­bin­den­des Ele­ment wur­den tau­send­mal gezeig­te Sze­nen aus Harald Schmidts bis­he­ri­gem Fern­seh­schaf­fen durch­ein­an­der gewür­felt und mit (wahr­schein­lich „total iro­nisch“ gemein­ten) Sze­nen gar­niert, in denen u.a. Tho­mas Gott­schalk, Elke Hei­den­reich, Ingolf Lück und immer­hin auch Her­bert Feu­er­stein vor einer gip­ser­nen Harald-Schmidt-Büs­te Barock­mu­sik vor­tru­gen. Und weil die ARD ja jetzt alles im 16:9‑Format sen­den muss, wur­den die Aus­schnit­te, die noch im rich­ti­gen Fern­seh­for­mat vor­la­gen, an den Sei­ten mit einer idio­ti­schen Blüm­chen­ta­pe­te auf­ge­füllt, damit das Bild voll ist. Ach, es war ganz schreck­lich – könn­te aber im Fal­le von Schmidts Able­ben jeder­zeit wie­der­holt wer­den.

1 Dem­nächst wirk­lich an die­ser Stel­le: Die zehn schöns­ten Acht­zi­ger-Jah­re-Adjek­ti­ve.