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Dear Mr. President

Bevor heute Abend das traditionsreiche Fußballspiel zwischen Deutschland und England stattfindet (also das Aufeinandertreffen zweier einst ruhmreicher Fußballnationen), möchte ich noch einmal kurz daran erinnern, was das für ein Verein ist, dem Sie da heute vermutlich die Daumen drücken werden:

Nachdem DFB-Präsident Theo Zwanziger in zwei Instanzen mit seinem Versuch gescheitert war, dem freien Sportjournalisten Jens Weinreich untersagen zu lassen, ihn einen “unglaublichen Demagogen” zu nennen, hat der DFB am vergangenen Freitag eine große Verleumdungskampagne gegen Weinreich losgetreten.

Dabei kehrt der DFB nicht nur die beiden Gerichtsentscheidungen zu Ungunsten Zwanzigers unter den Teppich, er verdreht in seiner Pressemitteilung auch munter Sachverhalte und Begrifflichkeiten. So scheuen sich weder DFB noch Zwanziger, das Wort “Demagoge” mit “Volksverhetzer” zu übersetzen und ausschließlich auf den Nationalsozialismus zu beziehen.

Wer die Vita und das konsequente Engagement von Theo Zwanziger im Kampf gegen Neo-Nazis kennt, versteht selbstverständlich seine Reaktion. Denn als Demagoge wird ein Volksverhetzer bezeichnet, der sich einer strafbaren Handlung schuldig macht.

(DFB-Vizepräsident Dr. Rainer Koch)

Wenn man eine solche Vita hat und außerdem, wie ich, in Yad Vashem war, denkt man anders über die Dinge nach. Ich bitte um Verständnis, dass meine Empfindlichkeit, was die Nazi-Zeit angeht, größer ist, als das vielleicht bei andern Leuten oder Jüngeren der Fall ist.

(Theo Zwanziger im Interview mit “Direkter Freistoß”)

Alles weitere können Sie bei Jens Weinreich selbst und bei Stefan Niggemeier nachlesen.

Jede Wette: wenn der Vorstand eines Bundesligavereins so eine Show abziehen würde, würden die Fans anschließend im Stadion mit Sprechchören und Transparenten dessen Absetzung fordern. Theo Zwanziger, der sich heute Abend mal wieder mit der Bundeskanzlerin schmücken wird, muss so etwas kaum befürchten.

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Unterwegs Politik

Vor Erfurt

Die Grünen (Symbolfoto)

Morgen früh geht’s los nach Erfurt zur Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen. Die wird vermutlich nur noch so lange so heißen, bis jemand auf die Idee kommt, dass man von Partizipen auch weibliche Formen bilden könnte — denn dann muss es natürlich “BundesdelegiertInnenkonferenz” heißen. Bei den Grünen müssen Anträge nämlich in “geschlechtergerechter Sprache” formuliert werden — und das nicht etwa seit der Gründung in den frühen Achtziger Jahren, sondern seit 2007. Sprachästhet, der ich bin, werde ich in meiner Berichterstattung auf derlei Mätzchen allerdings verzichten. Sonst müsste ich die Partei ja auch “Bündnis 90/Die Grüninnen und Grünen” nennen.

Auf noch etwas möchte ich hinweisen: Erwarten Sie von mir um Himmels Willen keine politischen Analysen. Ich habe keine Ahnung von Politik, was Sie schon daran merken können, dass ich diese regelmäßig an dem messe, was ich “gesunden Menschenverstand” nennen würde. Politik interessiert mich als Popkulturfanatiker und studierter Germanist eher von außen: Was reden die da (zumeist gedacht als “Was zum Henker reden die da für eine Scheiße?”), was passiert da, wie wirkt das? Der Umstand, dass ich auf Parteipolitik mit Schütteln am ganzen Körper reagiere, ist übrigens jenen Bochumer SPD-Lokalpolitikern geschuldet, die mich nach einem Interview, das ich als Praktikant für CT das radio mit ihnen führen musste, zum Parteibeitritt zu überreden versuchten.

Ich möchte aus Gründen der Transparenz auch noch einmal darauf hinweisen, dass die Grünen mir (und den vier anderen Stipendiaten) Anreise und Unterkunft bezahlen. Dafür opfern wir aber unsere Wochenenden und teilweise Urlaubstage (und ich die Möglichkeit, den Sieg von Borussia Mönchengladbach gegen Bayern München in einer Fußballkneipe zu gucken). Zwar hätte ich durchaus “die finanziellen Möglichkeiten […], zu Veranstaltungen zu reisen”, wäre aber von alleine nie auf die Idee gekommen, einen Parteitag zu besuchen. Wenn Sie dieses Blog regelmäßig lesen, kennen Sie meine Meinung zu Veranstaltungen, auf denen viel geredet wird.

Auch soll nicht unerwähnt sein, dass ich in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal mein Kreuz bei den Grünen gemacht habe — im schlimmsten Fall könnte die Partei also mit end- und sinnlosen Diskussionen einen möglichen Wähler verlieren. Als Reaktion auf die unfähige und das Grundgesetz verachtende große Koalition halte ich für 2009 allerdings eine gelb-grüne Bundesregierung für die einzige Alternative.

Alle Blog-Einträge zur Bundesdelegiertenkonferenz können Sie unter dem Tag bdk08 finden bzw. bei Nicht-Interesse ignorieren.

Und hier noch die Links zu den vier anderen Blogs:
www.regine-heidorn.de
flannelapparel.blogspot.com
www.jurblog.de
www.pottblog.de

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New Radicals

Wer und was dieser Tage so alles radikal ist:

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Leben

Scheiße zum Quadrat

Aus Düsseldorf kommt nichts Gutes: Studiengebühren, Alt-“Bier” und die Toten Hosen, zum Beispiel. Oder der neue Slogan fürs Ruhrgebiet, den sich die Werbeagentur Grey entweder aus Unkenntnis oder reiner Verachtung für die dort lebenden Menschen ausgedacht hat:

Ruhrn Team-Work-Capital

So wird das nie was mit der Metropole. Oder auch nur mit dem ernst genommen werden.

[via blog.50hz.de]

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Kultur

Kunst im Alltag: Roland Koch “Ohne Titel I”

Ypsilanti, al-Wazir
und die Kommunisten stoppen!

Mit diesem, auf den ersten Blick schlichten Zweizeiler hat sich der bisher unbedeutende Nachwuchsliterat Roland Koch vergangene Woche in den Olymp der Politlyrik katapultiert.

Die erste Zeile besteht aus einem seltenen Paion (mit Betonung auf der dritten Silbe) und einem Anapäst und klingt daher schon allein durch ihr Versmaß exotisch. Diese Wirkung unterstreicht der Dichter mit der Verwendung zweier Familiennamen aus dem südöstlichen Mittelmeerraum und dem Gebiet der arabischen Halbinsel.

Der Name “Ypsilanti” stammt aus dem Griechisch-Phanariotischen und bezeichnete schon griechische Nationalhelden des 19. Jahrhunderts. Sein Klang erinnert an den vorletzten Buchstaben des lateinischen Alphabets, der erst im zweiten vorchristlichen Jahrhundert aus dem Griechischen übernommen wurde und hier für etwas Unfertiges, Unbedeutendes steht. Der Name “al-Wazir” leitet sich ab vom persischen “wazir” und bezeichnet ab dem 10. Jahrhundert den mächtigsten Mann in einem Kalifenstaat – die deutsche Schreibweise ist “Wesir”. Mit nur sieben Silben gelingt es Koch so, eine Brücke über Vorderasien in den Orient zu schlagen.

Die zweite Zeile beginnt mit einem Jambus, der auf eine deutlich geordnetere Struktur hindeutet, überrascht dann aber mit einem weiteren Paion und einem Trochäus. Der in der ersten Zeile gemachte Ausflug in fremde Länder wird nicht weiter ausgeführt – man erfährt nicht, welche Aufgaben die derart herbeizitierten Entscheidungsträger fremder Hochkulturen für den weiteren Verlauf des Gedichts haben. Koch beendet die Aufzählung mit dem deutlich unpersönlicheren Begriff “Kommunisten”, der durch den Zeilenumbruch und die Verwendung der Konjunktion “und” und des Artikels “die” zusätzlich deutlich von den ersten beiden Begriffen abgegrenzt ist. Statt einer Handlung innerhalb des Gedichts endet es mit einem Imperativ, das Ausrufezeichen unterstreicht den appellativen Charakter des Zweizeilers.

Koch gelingt es, diese sechs Worte mit einer immensen Bedeutung aufzuladen. In einem fast flehentlichen Ton fordert der nicht näher spezifizierte Sprecher einen unbekannten Adressaten zu einer Handlung (“Stoppen”) auf, während er selbst weder aktiv noch passiv in Erscheinung tritt. “Gestoppt” werden sollen die durch die Namen repräsentierten (vorder-)orientalischen Hochkulturen (wobei der Verweis auf Griechenland auch für die Antike und die Wiederaufnahme ihrer Ideale in der Aufklärung stehen kann) und “die Kommunisten”, die einen überraschenden politischen Aspekt in das Gedicht bringen. Betrachtet man diese doch recht unterschiedlichen Gruppierungen und die Werte, für die sie stehen, und ihre offensichtliche Opposition zum Sprecher, so wird klar, dass dieser ein christlich-konservatives, möglicherweise anti-aufklärerisches Weltbild vertreten soll. Das ungewöhnliche, allen ästhetischen Regeln widersprechende Versmaß und der fehlende Reim spiegeln die innere Aufruhr des Sprechers wieder, die weibliche Kadenz am Ende der zweiten Zeile drückt seine Resignation aus. Zwar fehlen wesentliche Informationen, da das Hauptgeschehen außerhalb des Gedichts stattzufinden scheint, aber die Intention des Werks wird klar: es steht in der Tradition großer mittelalterlicher Kampf- und Spottschriften und muss wie diese unabhängig von der politischen Intention für seine literarischen Qualitäten wertgeschätzt werden.

Roland Koch ist ein ausdrucksstarkes Gedicht voller Brisanz gelungen, das gleichzeitig sehr vielschichtig ist und doch keine klare Aussage trifft. Es ist dem Dichter zu wünschen, dass er in Zukunft noch mehr Zeit für seine lyrischen Arbeiten finden wird.