Kategorien
Musik

Goodbye Trouble

Ges­tern war ich auf einer Trau­er­fei­er. Und auf einem Klas­sen­tref­fen. Und auf dem ers­ten (indoor) Kon­zert seit drei Jah­ren. Pale hat­ten zum One-Night-Only-Kon­zert ins Köl­ner Glo­ria gebe­ten und die Indie-Crowd, die vor 20 Jah­ren auf Visi­ons-Par­tys Smirn­off Ice getrun­ken hat­te, war geschlos­sen ange­tre­ten — mit Müt­zen über dem lich­ter wer­den­den Haar, ohne Trai­nings­ja­cken mit Städ­te­na­men drauf und mit nur einem Bier in der Hand, denn man muss ja noch fah­ren und die Kin­der wer­den so früh wach.

Die ers­te Wel­le der Eksta­se schwappt schon hoch, als das Licht für die Vor­band aus­geht. Pale hat­ten vage „Gäs­te“ und „Freun­de“ ange­kün­digt und so geht es als kol­lek­ti­ve Selbst­be­stä­ti­gung durch, als wir sehen, dass es wirk­lich Thees Uhl­mann ist, der da auf die Büh­ne schlurft. Doch – behold! – er ist nicht allei­ne, mit ihm kommt Mar­cus Wie­busch raus. Das macht Sinn, sind doch das letz­te Pale-Album 2006 und das jetzt aber wirk­lich aller­letz­te Pale-Album 2022 beim Grand Hotel van Cleef erschie­nen, dem Label, das die bei­den 2002 gegrün­det hat­ten und des­sent­we­gen wir uns alle ken­nen und gute Musik hören. „Gebt dem Nach­wuchs eine Chan­ce“, scherzt Thees, dann spie­len die bei­den sechs Songs aus dem gro­ßen kett­car/­Tom­te/­Thees-Uhl­mann-Werk. Wir hät­ten auch 20 genom­men, aber sie sind ja nur als Warm-Up hier und brin­gen das Glo­ria erfolg­reich auf Betriebs­tem­pe­ra­tur. Lei­der auch buch­stäb­lich.

Vor dem Pale-Konzert (Foto: Lukas Heinser)

Dann leuch­tet der Pale-Schrift­zug über der Büh­ne auf und die Band (oder das, was von ihr übrig ist) betritt unter einem der dicks­ten Auf­tritts­ap­plau­se, die ich je erlebt habe, das Schein­wer­fer­licht. Nach dem ers­ten Song sagt Sänger/​Gitarrist Hol­ger Kochs, er habe sich in den letz­ten Tagen eine lan­ge Ansa­ge aus­ge­dacht und wie­der ver­wor­fen, denn wir wüss­ten ja eh alle, war­um wir da sind: „Für Chris­ti­an!“

Chris­ti­an Dang-anh war der Gitar­rist von Pale, „der ein­zi­ge rich­ti­ge Musi­ker inner­halb der Band“, wie die ande­ren selbst sagen. 2019, zehn Jah­re nach der Auf­lö­sung der Band, wur­de bei ihm ein Gehirn­tu­mor dia­gnos­ti­ziert, was die Mit­glie­der auf die Idee brach­te, wie­der gemein­sam Musik zu machen. Schlag­zeu­ger und Hol­gers Bru­der Ste­phan Kochs hat­te mit einer eige­nen schwe­ren Erkran­kung zu kämp­fen, dann kam die Pan­de­mie und im Früh­jahr 2021 ist Chris­ti­an lei­der gestor­ben.

Aus die­sen Ses­si­ons und Erfah­run­gen ist „The Night, The Dawn And What Remains“ ent­stan­den, das wirk­lich aller­letz­te Album, des­sen Songs heu­te Abend alle zur Auf­füh­rung kom­men — neben den gan­zen Hits, natür­lich, wobei mir irgend­wann auf­fällt, dass es fal­se memo­ry mei­ner­seits war, zu glau­ben, ich hät­te die Musik der Band „schon damals“ „immer viel“ gehört.

Zwi­schen den Songs sagt Hol­ger so vie­le klu­ge Sachen über das Leben und die Gegen­wart, die man genie­ßen und fei­ern sol­le, dass ich mir den­ke, dass ich mir die alle mer­ken wer­de. Jetzt könn­te ich natür­lich nichts mehr davon zitie­ren, aber das ist total egal, weil ich ja WEISS, dass er Recht hat.

Sie spie­len „Man Of 20 Lives“ für Ste­phan, der heu­te nur im Publi­kum ist. Zu „Big­ger Than Life“ wer­den im Hin­ter­grund alte Vide­os und Bil­der von Chris­ti­an pro­ji­ziert und ich den­ke mal wie­der, wie so oft, über Musik: „This is my church /​ This is whe­re I heal my hurts“. (Maxi Jazz von Faithl­ess ist übri­gens im Dezem­ber auch gestor­ben.) Hol­ger singt – „auch wenn’s pathe­tisch klingt“ – „Wake Up!“ für sei­ne Kin­der und ich ste­he da inmit­ten einer wild zusam­men­ge­wür­fel­ten Grup­pe alter Freun­de und Bekann­ter, jetzt sind wir alle Väter, und ich muss mich gar nicht umgu­cken, weil ich weiß, dass wir gera­de alle Trä­nen in den Augen haben. Das Publi­kum weiß auch, wann Hol­ger Unter­stüt­zung gebrau­chen kann, und umarmt ihn mit lan­gem, fre­ne­ti­schen Applaus. Das Glo­ria ist heu­te ein ein­zi­ger gro­ßer Lie­bes­kreis. (Roc­co Clein ist jetzt auch schon 19 Jah­re tot.)

Beim Pale-Konzert (Foto: Lukas Heinser)

„Still You Feel“, eine Hym­ne auf die Musik, die einem Zuhau­se ist, nach­dem man die furcht­ba­re Hei­mat­stadt ver­las­sen hat, ist auf dem Album ein Duett mit Simon den Har­tog von den Kili­ans. (Auf dem Pop­kul­tur-Altar auf dem Album­co­ver steht ein Mix­tape namens „Home­town Mix“, des­sen B‑Seite mit „Dins­la­ken 2002“ beschrif­tet ist — Simons und mei­ner alten Hei­mat­stadt und mei­nem Abi-Jahr. Ich bin mir auch nach Mona­ten noch nicht sicher, was das mit mir macht.) Und natür­lich kommt Simon, den Hol­ger als sei­ne Lieb­lings­stim­me in Deutsch­land bezeich­net, auch auf die Büh­ne im Glo­ria. Und er bleibt noch für einen zwei­ten Song: „Fight The Start“ von den Kili­ans. Ich habe die­sen Song min­des­tens 30 Mal live gehört, im Publi­kum, beim Sound­check, neben der Büh­ne — zuletzt vor neun Jah­ren, ein paar Leben her, und ich bin sehr froh, dass mir die gan­ze emo­tio­na­le Bedeu­tung die­ses Moments nicht schon ges­tern Abend auf­ge­fal­len ist, son­dern erst jetzt. Durch­at­men.

„Some­day You Will Know“ („The last song of a band that alre­a­dy play­ed its final show“) wird auf dem Album von einem Saxo­fon-Solo von Ste­ve Nor­man von Span­dau Bal­let gekrönt — und es ist jetzt wirk­lich kei­ne gro­ße Über­ra­schung mehr, dass auch er heu­te Abend hier ist und mit­spielt. (Tat­säch­lich wäre es auch nur kon­se­quent gewe­sen, wenn zum abschlie­ßen­den The-Jam-Cover „Town Cal­led Mali­ce“ Paul Wel­ler zur Band hin­zu­ge­sto­ßen wäre. Oder Noel Gal­lag­her. Oder John Len­non, becau­se why the fuck not?) Etwas über­ra­schen­der ist schon, dass auch er für einen zwei­ten Song bleibt und wir so in den Genuss kom­men, „Gold“ von Span­dau Bal­let auch ein­mal live zu hören. You’­ve got the power to know you’­re indes­truc­ti­ble!

Er habe unter­schätzt, wie viel 27 Songs sind, meint Hol­ger lachend vor den letz­ten Zuga­ben, als er das Publi­kum bit­tet, ger­ne etwas lau­ter mit­zu­sin­gen. Drei Stun­den ste­hen sind auch schon ziem­lich anstren­gend, den­ke ich. Und drei Stun­den Rück­weg vom Club zum eige­nen Bett haben sich frü­her auch nicht so schlimm ange­fühlt. Aber wer hät­te gedacht, damals, als man anfing, Musik als etwas wahr­zu­neh­men, was mehr ist als das, was im Radio zwi­schen den Poli­tik-Bei­trä­gen läuft, dass sie einem mal so viel bedeu­ten und einen durch schwe­re Zei­ten (und groß­ar­ti­ge!) beglei­ten wür­de, dass sie mal zu Freund­schaf­ten füh­ren wür­de und zu Aben­den wie die­sem?

This is how it feels when not­hing can ever make you stop /​ This is how it feels when nothing’s wrong.