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Du und Dein VfL

Trainingsauftakt beim VfL Bochum

Heute Vormittag: Trainingsauftakt beim VfL Bochum. Viel weiter kannst Du im Profifußball nicht von Messi, Ronaldo, Mbappé und den Scheich-Milliarden entfernt sein. Dafür sind die Fans mit ihrer ganzen Familie ganz nah dran, kaufen die (wirklich sehr schönen) neuen Trikots und essen Currywurst.

Vor der dritten Bundesliga-Saison in Folge haben sich die Erwartungshaltung der Anhänger*innen und das Selbstverständnis der Offiziellen ein bisschen verschoben: Diesmal soll es nicht mehr nur um den Klassenerhalt gehen, ein wenig weiter oben erscheint denkbar. Von allen Ruhrgebietsvereinen kommt der VfL jedenfalls mit dem größten Rückenwind aus dem letzten Spieltag der letzten Saison.

Beim Trainingsspiel liefern die rund 1.500 Fans schon mal einen Vorgeschmack, wie es mit 28.000 klingen wird. Von den Neuverpflichtungen ist noch nicht ganz so viel zu sehen, einige Fans müssen die neuen Spieler auch erstmal googeln, bevor sie diese um ein Autogramm bitten, aber: Hey, es geht ja gerade erst los!

Die vor vier Jahren noch so gefürchteten und chronisch unzufriedenen Fans sind optimistisch — was sie natürlich trotzdem nicht davon abhält, auf der Tribüne rumzumeckern. Doch trifft es heute eher die eigenen Kinder oder abwesende Dritte.

Quasi parallel hat Herbert Grönemeyer für den 12. Juni 2024 sein erstes Konzert im Ruhrstadion seit neun Jahren angekündigt. Selbst, wenn es für den VfL nicht so rund laufen sollte: Die Relegationsspiele sind bis dahin über die Bühne gegangen.

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Mein Fan-Problem

Es mag so die 82. Minute im WM-Viertelfinalspiel Deutschland gegen Kroatien gewesen sein, als ich den Fernseher im Wohnzimmer meines Elternhauses zurückließ, in den Garten ging und meinen Fußball immer wieder gegen die Wand des Gartenhauses drosch. “So geht das, Ihr Versager”, rief ich an die Adresse der deutschen Mannschaft, die gerade in Lyon 0:2 zurücklag. Meine Mutter trat auf die Terrasse, beobachtete skeptisch mein wütendes Gebolze und verkündete, es stehe jetzt 0:3.

In der deutschen Mannschaft spielten damals so klangvolle Namen wie Christian Wörns, Jörg Heinrich, Dietmar Hamann, Michael Tarnat und Olaf Marschall.

* * *

Ich bin jetzt seit 22 Jahren Fußballfan — und das hat viel mit Missverständnissen zu tun:

Das erste Fußballspiel, an das ich mich erinnern konnte, war das Achtelfinale Deutschland gegen die Niederlande bei der Italia 90. Zuvor waren wir im Sommerurlaub in den Niederlanden gewesen, wo damals alle der Meinung waren, dass ihr Team Weltmeister werden würde. Alles war in Oranje dekoriert und seitdem bin ich Holland-Fan. Holland verlor gegen Deutschland, Deutschland wurde Weltmeister und ich musste – ebenso wie Franz Beckenbauer – annehmen, dass Deutschland auf Jahre unbesiegbar sein werde. Dann verlor Deutschland das EM-Finale 1992 gegen Dänemark ((Das sich nicht mal regulär qualifiziert hatte und in meinem Panini-Sammelalbum nur mit einem zweiteiligen Mannschaftsfoto gewürdigt wurde, nicht mit einer Doppelseite voller Einzelporträts!)) und ich weinte als Achtjähriger heiße Tränen der Enttäuschung.

Da meine Begeisterung für Sport (genauso wie meine Begeisterung für den Eurovision Song Contest) von Anfang an vor allem von meiner Begeisterung für Zahlen und Statistiken geprägt wurde, tippte ich vor der WM 1994 alle Spiele des Turniers, errechnete die Gruppensieger und Achtelfinalpaarungen und kam zu dem Schluss, dass Deutschland seinen Titel verteidigen würde. Daraus wurde nichts, ich war wieder einmal bitter enttäuscht, aber der Gedanke, dass dieser Finalsieg 1990 nicht die Regel, sondern die Ausnahme gewesen sein könnte, kam mir erst viele Jahre später. Ich hatte mich unterdessen in die schwedische Mannschaft verliebt, die mit offenkundigen Weltklassespielern wie Thomas Ravelli, Patrik Andersson, Thomas Brolin, Henrik Larsson, Kennet Andersson und Martin Dahlin WM-Dritter wurde. Als ansonsten ahnungsloser Junge musste ich davon ausgehen, dass Schweden eine internationale Top-Mannschaft sei.

* * *

Endgültig vom Fußball angefixt, brauchte ich natürlich auch eine eigene Bundesligamannschaft. Meine Wahl fiel auf Borussia Mönchengladbach, was nicht so willkürlich wahr, wie es sich im ersten Moment anhören mag: Stefan Effenberg, der wegen seines Mittelfinger-Einsatzes gegen deutsche Fans bei der WM aus dem Kader geflogen war, wollte nach dem Turnier in die Bundesliga wechseln. Aus irgendeinem frühpubertären Grund fand ich die “Stinkefinger”-Aktion als Zehnjähriger cool und dachte mir: “Hey, wo der hingeht, das ist mein Verein: Bremen oder Mönchengladbach!” Für Gladbach sprachen dann aber auch noch die schwedischen Nationalspieler Patrik Andersson und Martin Dahlin und mein Patenonkel, der in Mönchengladbach wohnte.

Vor dem Beginn der Bundesligasaison 1994/95 hatte ich keine Ahnung, wie erfolgreich diese Borussia aus Mönchengladbach sein könnte, ein Jahr später waren “wir” Fünfter in der Bundesliga und DFB-Pokalsieger geworden. ((Das Pokalfinale in Berlin hatte ich als mein zweites Fußballspiel überhaupt sogar live im Berliner Olympiastadion verfolgt.)) Ich musste wieder einmal annehmen, mich für eine Top-Mannschaft entschieden zu haben.

Am letzten Spieltag der Saison 1997/98 rettete sich Gladbach ((Mit Schützenhilfe von Hansa Rostock!)) vor dem Abstieg, ein Jahr später stieg mein Verein dann doch in die zweite Liga ab. Ich beschloss, mich eher auf Musik zu konzentrieren, wo ich auf weniger Enttäuschungen hoffte. Nach einem Jahr lösten sich zwei meiner damaligen Lieblingsbands auf.

Als ich gerade nach Bochum gezogen war, qualifizierte sich der VfL für den UEFA-Cup, ein Jahr später stieg er ab. Gladbach entließ 2006, nach der erfolgreichsten Saison seit zehn Jahren, den Trainer und ging 2007 wieder in die zweite Liga. Letztes Jahr trafen beide Mannschaften in der Relegation aufeinander, ich konnte mich kaum entscheiden — und ein Jahr später beendete Gladbach die Saison in der ersten Liga auf Platz 4, Bochum Elfter in Liga Zwei.

Man lernt als Fußballfan viel fürs Leben, denn es gilt das gleiche, was Jason Lee in “Vanilla Sky” über die Liebe sagt:

You can do whatever you want with your life, but one day you’ll know what love truly is. It’s the sour and the sweet. And I know sour, which allows me to appreciate the sweet.

* * *

Was meine Liebe zum Fußball, aber auch die zur Musik, immer etwas schwierig gestaltet hat, waren die anderen Fans. Ich hatte immer Schwierigkeiten damit, Teil einer Gruppe zu sein. Ich denke dann immer: “Wir mögen ja gemeinsame Interessen haben, aber ich bin doch ganz anders als Ihr!”

Wenn ich während der zwei Wochen Eurovision denke, so langsam sei es aber auch mal gut, mit den Klischeeschwulen, die da blondiert und nasal flötend um mich rumtucken, muss ich mich nur dran erinnern, wie es im Fußballstadion aussieht: Homophobie statt Homosexualität, plumpes Gebrüll statt entzücktem Gekreische und generell null Taktgefühl. Natürlich: Nicht alle Fußballfans sind so, aber in der Summe ist es für mich dann doch schwer erträglich. Schon in der Kneipe sind mir diese Typen ein Graus, die immer hinter einem stehen und in jeder verdammten Szene die Spieler lautstark anbrüllen — dabei können Menschen im Fernsehen einen nun wirklich nicht hören.

* * *

Schlimmer als diese Fans, die es mit ihrer Begeisterung für den Sport dann vielleicht doch ein bisschen übertreiben, sind aber jene Leute, die sich zu internationalen Turnieren in schwarz-rot-goldene Schale werfen und gemeinsam mit der Boulevardpresse darauf hoffen, dass “wir” den Titel holen.

Natürlich kann man internationale Fußballturniere verfolgen, ohne die Abseitsregel oder die FIFA-Weltrangliste zu kennen. Auch habe ich in den letzten sechs Jahren verstanden, dass die Menschen, die ihre Häuser und Autos mit Deutschlandflaggen schmücken, in den allerwenigsten Fällen Neonazis sind. Aber diese Schönwetterfans sind schon schwer erträglich.

Wenn man von den unglücklichen Vogts-Weltmeisterschaften 1994 und ’98 und den EM-Totalausfällen 2000 und 2004 absieht, zählt Deutschland seit 26 Jahren kontinuierlich zu den vier besten Mannschaften Europas bzw. der Welt. Wer Fußball nur guckt, weil er auf einen Titelgewinn der eigenen Mannschaft ((Oder schlimmer noch: der eigenen Nation.)) hofft, ist kein Fan der Sportart, sondern einfach nur jemand, der sein Verhältnis zu dieser Sportart von einem einzigen Faktor abhängig macht: dem Titel. Mit dieser Einstellung kann man dieser Tage nicht mal mehr Fan des FC Bayern München werden — und selber Sport treiben sowieso nicht.

* * *

Das EM-Viertelfinale gegen Griechenland war sicher kein brillantes Spiel. Die deutsche Mannschaft hat sich gegen eine eher drittklassige Mannschaft zwei Gegentore eingefangen, das Spiel letztlich innerhalb einer sehr guten Viertelstunde gewonnen.

“Bild” titelte am nächsten Morgen:

Uns stoppt keiner mehr!

Die “Bild”-Schlagzeilen vor und nach dem Halbfinal-Aus, die mein Kollege Mats Schönauer im BILDblog gesammelt hat, stammen allerdings noch aus einer ganz anderen Welt: Ich finde es eh schwierig, wenn Journalisten (oder in diesem Fall: “Bild”-Mitarbeiter) “wir” sagen und damit die deutsche Mannschaft meinen. Wenn ein kleiner Junge und vielleicht auch älterer Fußballfan enttäuscht und wütend sind, ist das menschlich — aber Medien sollten nicht menschlich, sondern sachlich berichten. Was “Bild” da macht, geht über den normalen Wahnsinn eines enttäuschten Fans hinaus. Da arbeitet eine ganze Redaktion an Schlagzeilen, die all dem entgegenstehen, was sie selbst wenige Tage zuvor erarbeitet hat. Ein menschliches Gehirn müsste eigentlich implodieren, wenn sich sein Besitzer derart selbst widerspricht.

“Bild” reagiert wie ein trotziger Dreijähriger, der seiner Mutter “Ich hasse Dich!” entgegen schleudert, wenn sie ihm kein zweites Eis mehr kaufen mag, oder wie ein Stalker — in jedem Fall wie niemand, dem man rationales Denken unterstellen könnte.

Die Mannschaft sei “zu soft” für den Titel, so urteilt “Bild”. Die neoliberale Moral der Casting-Shows der “Bild”-Freund Dieter Bohlen und Heidi Klum wird so weiter im Bewusstsein junger Menschen verankert: “Du musst es nur hart genug wollen! Wenn Du es nicht schaffst, hast Du nicht hart genug gewollt!”

Hier werden Menschen so behandelt, als seien sie Maschinen, die man nur richtig optimieren muss, damit sie Erfolg haben. Und Erfolg heißt immer nur, Erster zu sein. Es geht nie darum, für sich selbst das Beste herauszuholen, sondern ausschließlich darum, “Bester” zu sein. Alles andere ist immer eine Enttäuschung. Wer so denkt, wird fast immer ein Leben voller Enttäuschungen führen.

* * *

Es spricht eh wenig dafür, dass im Sportjournalismus irgendjemand arbeitet, der Fußball liebt: Spiele werden in so viele statistische Werte (gelaufene Meter, gespielte Pässe, gewonnene Zweikämpfe, etc.) zerlegt, dass nicht mal ich als Statistik-Freund irgendeinen Sinn darin sehe — und ich weiß, dass Heiko Herrlich und Mario Basler in der Bundesligasaison 1994/95 mit jeweils 20 Treffern Torschützenkönige der Bundesliga wurden.

Der Statistikwahn der aktuellen Sportberichterstattung ist so, als ob man eine CD nach ihrer Spielzeit, der Beatzahlen der einzelnen Tracks und der Anzahl der Harmoniewechsel bewerten würde. Man möchte sich nicht vorstellen, wie solche Menschen ihre Ehepartner aussuchen. Wer die ganze Welt in angeblich objektive Zahlen zerlegt, wird irgendwann überrascht feststellen, dass er sie trotzdem nicht versteht.

Und dann immer diese Benotungen nach Fußballspielen! Natürlich hat Lukas Podolski am Donnerstag schlecht gespielt, aber was hat man davon, wenn man ihm dafür eine “6” geben kann?

Wirtschaftsverbände und Lehrer kritisieren die Notenvergabe an Schulen in ihrer aktuellen Form als wenig aussagekräftig. Ich habe es immer schon für Unfug gehalten, dass jemand, der Medizin studieren möchte, dafür gute Schulnoten in Geschichte, Englisch, Sport und Religion braucht. Und wenn Sie jetzt sagen: “Ja, aber irgendwie muss man so eine Studienplatzzulassung ja regeln”, dann entgegne ich Ihnen: “Wenn unser Bildungssystem es nicht einmal auf die Kette bekommt, gerechte und logische Zulassungsverfahren zu entwickeln, dann brauchen wir mit dem Versuch, künftige Eliten auszubilden, ja gar nicht erst anzufangen!”

* * *

Im November 2009 war aus einem Volk von 82 Millionen potentiellen Bundestrainern kurzzeitig eine Nation von 82 Millionen Psychologen geworden: Nach dem Suizid des depressiven Nationaltorhüters Robert Enke erklärten Funktionäre, Fans und Medien, es müsse ein sogenanntes Umdenken einsetzen.

Walter M. Straten, damals stellvertretender Sportchef bei “Bild”, hatte sich damals von der “Süddeutschen Zeitung” so zitieren lassen:

“Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.

Schnell zeigte sich, dass Stratens Aussage exakt so ernst zu nehmen war, wie andere Aussagen der “Bild”-Chefredaktion.

In der Zwischenzeit ist ein Bundesligatrainer wegen Burnouts zurückgetreten, hat ein Schiedsrichter einen Suizidversuch unternommen, wird einem Bundesligaprofi vorgeworfen, sein Haus in Brand gesetzt zu haben.

Jedes Mal zeigen sich alle entsetzt und jedes Mal geht es danach weiter: Fußballer sind entweder Helden oder Luschen, es gibt nur hop oder top.

Als Fan fand ich den Satz “Es ist doch nur ein Spiel”, immer schlimm. Er kann nur von Menschen kommen, die selbst nie mitgefiebert und mitgelitten haben. Aber an etwas anderes sollte man immer mal wieder erinnern: Diese Götter oder Versager, die da Tore schießen oder Chancen vergeben, die brillant aufspielen oder grandios vergeben, das sind letztendlich auch nur Menschen. Also: “nur”.

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Musik Sport

Und wieder mal besiegt

Nach der desaströsen letzten Saison und dem Abstieg aus der 1. Bundesliga muss sich einiges ändern beim VfL Bochum. Deshalb kam es zur Gründung der Initiative “Wir sind VfL”, die es sich zum Ziel gesetzt hat, “die bestehenden Vereinsstrukturen und die sportliche Zukunft des VfL Bochum nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern konstruktiv und offensiv mitzugestalten”.

Zur Unterstützung und Untermalung dieser Aktion hat mein Kumpel Tommy Finke ein Lied über den VfL aufgenommen:

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“Wir sind VfL (Jetzt erst recht!)” kann man sich auf Tommys Website kostenlos herunterladen.

Nach “Das hier ist Fußball” von Thees Uhlmann über den FC St. Pauli fehlt mir jetzt eigentlich nur noch ein Borussia-Mönchengladbach-Song von Simon den Hartog in meiner Sammlung.

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Sport

Eine neue Liga ist wie ein neues Leben

Das war nicht schön, am Samstag in der Stammkneipe zu stehen und den VfL Bochum mit hängenden Fahnen untergehen zu sehen. Als Fan von Borussia Mönchengladbach ist man zwar Kummer gewohnt (und nach dem 1:6 in Hannover, das die Bochumer in die unglückliche Ausgangslage vor dem letzten Spieltag brachte, auch nicht frei von schlechtem Gewissen), aber dieses kampf- und lieblose Gekicke da tat schon weh.

Noch während sich die Stadt von diesem Tiefschlag zu erholen versuchte (was bei diesem grauen Wetter noch ein wenig länger dauert), hat Frank Goosen, Kabarettist, Schriftsteller und treuer VfL-Fan eine Brandrede … äh: geschrieben, die “Der Westen” gestern veröffentlicht hat.

Es ist eine bittere Abrechnung, die den Tausenden Fans aus der Seele sprechen dürfte, die immer zu ihrem Verein gehalten haben, nur um irgendwann festzustellen, dass ihr Verein einige strukturelle Probleme hat:

Dieser Verein ist mittlerweile durchsuppt von einem Gestus der Mittelmäßigkeit, einer Haltung, die kein Ziel, keine Vision kennt, nur Langeweile. Wer einmal das Glück hatte, den Aufsichtsratsvorsitzenden auf einer Saisonabschlussfeier sprechen zu hören, weiß, wo das herkommt: Nicht der VfL Wolfsburg sei deutscher Meister geworden, hieß es da, sondern VW. Auf dem zweiten Platz seien Allianz und Telekom gelandet. Und so weiter. So richtet man sich in einer Opferrolle ein, die im wahrsten Sinne des Wortes un-sportlich ist. Kein Rhönradfahrer kann seinen Sport mit diesem Habitus betreiben

Trotz all der (sicherlich berechtigten) Vorhaltungen ist Goosens Text nicht durchweg negativ. Er zeigt sogar neue Möglichkeiten auf:

Wie gesagt, der Verein braucht eine Identität und eine Idee von sich selbst. Er braucht auf allen Ebenen Personal, das diese Idee verkörpert und dafür kämpft. Wir wollen wieder Lust auf unseren Verein haben. Wenn es dafür nötig ist, ihn umzubauen, sollten wir sofort damit anfangen

Für mich klingt das, als habe da jemand seinen Hut in den Ring geworfen.

“Gebt uns unseren Verein zurück” bei “Der Westen”

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Ein Denkmal für Heiko Herrlich

Heiko Herrlich war der Größte. Zumindest war er einer der ganz Großen in der goldenen Bundesliga-Saison 94/95, als Borussia Mönchengladbach nahezu alles gelang. Mit Martin Dahlin bildete er den effektivsten Sturm der Liga und wurde am Ende Torschützenkönig. Beim DFB-Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg schossen die überragenden Männer der Saison die Tore: Dahlin, Stefan Effenberg und natürlich Heiko Herrlich. Es war die Krönung einer großartigen Saison und für einen elfjährigen Jungen im Berliner Olympiastadion war klar, dass es der Auftakt einer neuen Ära für die Borussen sein würde. Wir würden um die Meisterschaft mitspielen und ich würde später so von den Spielern sprechen, wie es mein Patenonkel von Netzer, Vogts, Heynckes und Kleff tat.

Heiko Herrlich war ein Verräter. Das Pokalfinale war sein letztes Spiel für Gladbach. Er wollte weg, ausgerechnet zur anderen Borussia, nach Dortmund. Für einen Elfjährigen, der gerade seine erste Saison als Fan hinter sich gebracht hatte, war es unvorstellbar, warum man Mönchengladbach überhaupt verlassen wollen würde — geschweige denn nach Dortmund und unter diesen Umständen. Dass sich Herrlich und die Vereinsführung vor Gericht wieder trafen, sprach damals eindeutig gegen den Spieler, der bestimmt eh nur auf Kohle aus war. Dann verschwand er aus meinem Focus.

Als ich wieder von ihm hörte, war Heiko Herrlich krank. Die verfickte Arschlochkrankheit Krebs. Am Tag nachdem er kahlköpfig eine Pressekonferenz gegeben hatte, fragte mich meine Mutter, ob ich die Bilder in der Zeitung gesehen hatte. Ich hatte Mitleid mit Heiko Herrlich und Respekt vor seinem Überlebenswillen. Menschenleben zählen dann eben doch viel, viel mehr als Fußball.

Was weiter mit Heiko Herrlich passierte, habe ich kaum mitbekommen. Musik war wichtiger geworden als Fußball und dass Herrlich sich im Training Nasen- und Jochbein gebrochen hatte, erfuhr ich erst Jahre später aus einer sehr berührenden SWR-Doku über den Spieler, der sich immer wieder zurückgekämpft hatte, bis ihm nach vielen Rückschlägen die Motivation ausging und er stattdessen Trainer wurde.

Im vergangenen Winter übernahm Heiko Herrlich den Trainerposten beim VfL Bochum und ich freute mich sogar ein bisschen, dass ich wieder mehr von ihm mitbekam. Die ersten Spiele liefen hervorragend, dann ging es bergab. Als ich vor zwei Wochen beim Spiel gegen den HSV im Stadion war, wurde der Name des Trainers bei der Mannschaftsvorstellung vorsichtshalber gar nicht erst aufgerufen. Bochum kämpfte, war aber abschlussschwach, als stünden Klose und Gomez im Sturm, und verlor letztlich unglücklich mit 1:2. Noch nie zuvor hatte ein Verein, dessentwegen ich im Stadion war, verloren.

Und dann letzten Mittwoch diese Pressekonferenz beim VfL: Heiko Herrlich, wieder eine Spur zu selbstbewusst und realitätsfern, teilte in alle Richtungen aus. Und als der “Bild”-Reporter, der Herrlich so konsequent anduzte, dass sich selbst Waldi Hartmann geschämt hätte, dem Trainer Selbstzweifel einreden wollte, legte Herrlich los — nicht laut wie Giovanni Trapattoni oder Thomas Doll, sondern ganz ruhig. Und jeder, der Eltern hat oder mal auf eine Schule gegangen ist, weiß: Das knallt viel mehr.

Heiko Herrlich hatte bei “Bild” eh nichts mehr zu verlieren und griff die Zeitung deshalb frontal an. Er erklärte, warum ihn “Bild” seines Erachtens runterschreibt (weil er nicht mit der Zeitung reden wollte, vgl. Jürgen Klinsmann), er nahm gleich den nächsten Schritt vorweg (“Und ich weiß auch, dass es da vielleicht ‘nen Bumerang gibt, ne?”) und er sagte, er werde “aufrichtig” bleiben. Und dann ließ er noch so ganz nebenbei den Namen Günter Wallraff fallen, was natürlich wieder so gar nicht zum Klischee des doofen Fußballers passte.

Herrlichs Nachsatz zum Thema ist in Marmor zu meißeln:

Und drücken Sie auf Aufnahme, dass ich’s meinen Kindern irgendwann zeigen kann: Euch gegenüber, Ihnen gegenüber bleib’ ich aufrichtig. Die werden stolz sein auf mich, irgendwann.

Es sind Momente wie diese, in denen sonst die Musik anschwillt und in denen Menschen auf Tische steigen und “Oh Käpt’n, mein Käpt’n” skandieren. Und es sind Momente, die bitte, bitte bleiben sollen, in Zeiten, in denen Leute wie Miriam Pielhau oder Matthias Steiner in “Bild” intimste Momente nach Schicksalsschlägen ausbreiten, und sich selbst Sibel Kekilli, die vor sechs Jahren im Zentrum einer “Bild”-Kampagne von historischem Ausmaß stand, mit dem Blatt versöhnt zu haben scheint.

Sportlich sieht es nicht gut aus für Heiko Herrlich (wofür man sich heute auch noch beim deutschen Meister VfL Wolfsburg bedanken kann, der ausgerechnet gegen den Bochumer Kellerkonkurrenten SC Freiburg verlieren musste), aber menschlich war sein Auftritt beeindruckend. Heiko Herrlich ist einer der Großen.

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It Ain’t Over ’til It’s Over

Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätte die Bundesligasaison um 16:15 Uhr wirklich vorbei sein können:

1. Bundesliga, Tabelle: 1. Gladbach 3:0 Tore 3 Pkt

Es gibt Dinge, von denen eigentlich klar ist, dass man sie nie tun darf: Sich über ein Festival-Lineup freuen, bevor der Zeitplan raus ist (und man feststellt, dass alle Bands, die man sehen will, gleichzeitig spielen); den eigenen Freunden vor dem entscheidenden Date vom aktuellen love interest erzählen und Siege von Borussia Mönchengladbach vor dem Abpfiff feiern. Ich hab heute zur Abwechslung mal wieder letzteres getan.

Weil ich im Vorverkauf keine Karten für den Gladbacher Block gekriegt hatte, war ich heute auf gut Glück zum Ruhrstadion gefahren. Dort gab es tatsächlich noch Karten, aber eben nur für die Bochumer Kurve. Mit ungutem Gefühl meine Eignung als Undercover-Agent betreffend stellte ich mich also zwischen die Bochumer Fans (zu denen ich mich als Zugezogener an jedem anderen Spieltag auch zähle) und stellte mir die – wie ich annahm theoretische – Frage, ob ich bei möglichen Gladbacher Toren wohl ruhig bleiben könnte.

VfL Bochum -  Borussia Mönchengladbach 0:1

Die Frage wurde in der 19. Minute beantwortet: Ich konnte. (In der letzten Saison habe ich mir beim 1:0 der Gladbacher meine Stimme völlig ruiniert. Falscher Block hat also auch was für sich.) Etwas überraschend ging Gladbach, das die ersten fünf Minuten die interessante Spielvariante komplett ohne Mittelfeld ausprobiert hatte, durch Arango in Führung. Sieben Minuten später kesselte es erneut, die ersten Bochum-Fans verließen das Stadion und die Borussia tat etwas, wofür sie nicht unbedingt immer berühmt ist: sie spielte schönen und schlüssigen Offensiv-Fußball. Das 3:0 in der 41. Minute war die logische Folge und Mönchengladbach war Tabellenführer.

Bis hierhin waren die Borussen-Fans schon häufig die lauteren Anhänger gewesen, jetzt waren sie die einzigen. In der Bochumer Kurve richtete sich jener abgrundtiefe Hass, den man außerhalb von Fußballstadien nur in Terrorcamps und Musikforen im Internet findet, plötzlich gegen die eigene Mannschaft. Zu gern wäre man in der Halbzeitpause in der Kabine gewesen, um Marcel Koller bei seinem Wutanfall zu beobachten. Aber die “Highlights” der ersten Spielhälfte auf der Videoleinwand waren auch schon ein schöner Ersatz.

Nach der Pause fiel den Bochumer Spielern plötzlich wieder ein, warum sie eigentlich ins Stadion gekommen waren, und in der 51. Minute stand es 1:3. Was dann folgte, kann ich erst nach Sichtung der Fernsehbilder heute Abend verstehen: Es müssen maximal fünf Ballkontakte nach dem Wiederanpfiff gewesen sein und schon hatte Azaouagh zum zweiten Mal für die Bochumer getroffen. Da dämmerte mir, dass die erste Halbzeit ein Traum gewesen war und mich die Gladbacher gerade mit Holzhämmern zu wecken gedachten. Verkatert, mitten in der Nacht, an einem Ort, den ich nicht kannte. Und dann holte sich Dante in der 59. Minute eine der dämlichsten roten Karten der Fußballgeschichte ab und Borussia war zu zehnt.

Klar, dass vier Minuten später der Ausgleich fiel. In nicht mal einer Viertelstunde, die mir allerdings vorkam wie ein vierstündiger tschechischer Experimental-Film ohne Untertitel, war das komplette Spiel gekippt. In einem der wenigen Momente, in denen ich noch denken konnte, dachte ich: “Respekt, wie die Bochumer sich da noch mal aufgerappelt haben! Gladbach hätte ab einem 0:2-Rückstand nur noch auf Halten gespielt.” Ich wollte nach hause, aber ich durfte das Stadion auf keinen Fall verlassen, denn die letzte Hoffnung waren meine Serien: Noch nie hatte Gladbach verloren, als ich im Stadion war, und noch nie hatte Bochum etwas anderes als Unentschieden gespielt.

Irgendwann kamen die Gladbacher dann auch mal wieder ins Spiel und in die Nähe des Bochumer Tores. Zum Schluss hätte jede Mannschaft noch einen Siegtreffer landen können, aber für Bochum wäre er zugegebenermaßen etwas verdienter gewesen. Doch es blieb bei den sechs Toren, die natürlich allesamt auf der anderen Seite des Stadions gefallen waren. Der Abpfiff kam und ich war erleichtert, dass die Saison wenigstens nicht schon wieder mit einer Niederlage begonnen hatte. Jetzt nur schnell weg! Als ich zuhause aus der U-Bahn stieg, spielte die Shuffle-Funktion meines iPods “Don’t Look Back In Anger”.

Vielleicht war es aber auch ganz gut, dass das mit der Tabellenführung nichts wurde: Zum letzten Mal war Gladbach am ersten Spieltag der Saison 98/99 auf Platz 1 und stieg am Ende als 18. ab.

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Sport Kultur

Wer braucht schon ein Sektfrühstück bei Real Madrid?

Es gibt ja so Sachen, die nimmt man sich immer mal wieder vor, macht sie dann aber doch nie: zum Zahnarzt gehen, rechtzeitig Weihnachtsgeschenke kaufen, “Spiegel Online” aus dem Feedreader schmeißen. Ich habe mir seit einigen Jahren vorgenommen, endlich mal zu “Scudetto” zu gehen, einer in Bochum schon legendären Veranstaltungsreihe in Sachen Fußballliteratur.

Ausgerichtet wird sie von Ben Redelings, der nicht nur mehrere Bücher über Fußball und das Leben als Fan geschrieben, sondern auch drei Filme über den VfL Bochum gedreht hat. Seit einiger Zeit verfolge ich sein Scudettoblog, in dem ich auch endlich die Gelegenheit witterte, “Scudetto” einmal live zu erleben.

Und obwohl ich im Moment eher ungern mit Fußball beschäftige, ging ich trotzdem gespannt ins Bochumer Riff, wo mich “Far Away In America” begrüßte, das vielleicht beknackteste Stück Fußballmusik aller Zeiten. Nach diesem Duett mit Village People (!!!) und der desaströsen WM 1994 hat sich die deutsche Fußballnationalmannschaft anschließend nie wieder an ein Mottolied herangewagt.

Dann ging’s los und es gab Tondokumente, Fotos, Videos (YouTube und eigene, s.a. “Scudetto-TV”, jetzt auch bei “Spiegel Online”), eigene Texte von Ben Redelings und Rezitationen wie die des grandiosen Peter-Neururer-Interviews aus der “Zeit”. Also all das, was man “Fußballkultur” nennt.

“Scudetto” ist da wie “11 Freunde” oder “Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs”: von Fans für Fans, noch ganz nah an dem Fußball mit Bratwurst und Bier, weit weg von den VIP-Lounges — also ganz nah dran am VfL Bochum. Irgendwie klar, dass das neue Buch, das Ben Redelings gestern vorstellte, “Fußball ist nicht das wichtigste im Leben. Es ist das Einzige” heißt.

Irgendwann zwischen Lese-Teilen und Videos gab es das (offensichtlich traditionelle) Fußballer-Zitate-Quiz, bei dem man Redelings’ Fußball-Zitate-Buch gewinnen konnte (wer es einmal gewonnen und auswendig gelernt hat, hat beim nächsten Mal bessere Chancen) und bei dem ich gerade mal anderthalb Antworten gewusst hätte. Ben Redelings’ eigene Texte sind kurzweilig, sehr gut beobachtet und aus der Perspektive eines echten Fans geschrieben. Dass sie nicht unbedingt auf Pointen hinauslaufen, lässt sie im auf Lacher ausgerichteten Livevortrag mitunter ein bisschen wie Angriffe von Mario Gomez wirken, macht sie aber kein Stück schlechter.

Der nächste “Scudetto”-Termin steht auch schon fest: am 16. Oktober, dann mit einem Gast, auf den das Wort “Legende” noch zutrifft: Willi “Ente” Lippens. Und am Abend drauf spielt der VfL Bochum gegen Borussia Mönchengladbach.

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Leben Sport

Wie Wetter gemacht wird

Heute ist es kalt. Das erfuhr ich im Supermarkt. Zwar würde ich persönlich 15°C Mitte Oktober als nicht wirklich kalt bezeichnen, aber es ist immerhin knappe zehn Grad kälter als am Wochenende.

Viel wichtiger ist aber, dass ich dort auch erfuhr, warum es jetzt kalt ist/wird: Das liegt daran, dass Bochum am Samstag gegen Bayern spielt. Auch in den letzten Jahren sei es da immer kalt gewesen, erklärte die Kassiererin der Frau am Bäckereitresen.

Wie das Spiel ausgehen wird, habe ich leider nicht erfahren.