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Mein Fan-Problem

Es mag so die 82. Minu­te im WM-Vier­tel­fi­nal­spiel Deutsch­land gegen Kroa­ti­en gewe­sen sein, als ich den Fern­se­her im Wohn­zim­mer mei­nes Eltern­hau­ses zurück­ließ, in den Gar­ten ging und mei­nen Fuß­ball immer wie­der gegen die Wand des Gar­ten­hau­ses drosch. „So geht das, Ihr Ver­sa­ger“, rief ich an die Adres­se der deut­schen Mann­schaft, die gera­de in Lyon 0:2 zurück­lag. Mei­ne Mut­ter trat auf die Ter­ras­se, beob­ach­te­te skep­tisch mein wüten­des Gebol­ze und ver­kün­de­te, es ste­he jetzt 0:3.

In der deut­schen Mann­schaft spiel­ten damals so klang­vol­le Namen wie Chris­ti­an Wörns, Jörg Hein­rich, Diet­mar Hamann, Micha­el Tar­nat und Olaf Mar­schall.

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Ich bin jetzt seit 22 Jah­ren Fuß­ball­fan – und das hat viel mit Miss­ver­ständ­nis­sen zu tun:

Das ers­te Fuß­ball­spiel, an das ich mich erin­nern konn­te, war das Ach­tel­fi­na­le Deutsch­land gegen die Nie­der­lan­de bei der Ita­lia 90. Zuvor waren wir im Som­mer­ur­laub in den Nie­der­lan­den gewe­sen, wo damals alle der Mei­nung waren, dass ihr Team Welt­meis­ter wer­den wür­de. Alles war in Oran­je deko­riert und seit­dem bin ich Hol­land-Fan. Hol­land ver­lor gegen Deutsch­land, Deutsch­land wur­de Welt­meis­ter und ich muss­te – eben­so wie Franz Becken­bau­er – anneh­men, dass Deutsch­land auf Jah­re unbe­sieg­bar sein wer­de. Dann ver­lor Deutsch­land das EM-Fina­le 1992 gegen Däne­mark ((Das sich nicht mal regu­lär qua­li­fi­ziert hat­te und in mei­nem Pani­ni-Sam­mel­al­bum nur mit einem zwei­tei­li­gen Mann­schafts­fo­to gewür­digt wur­de, nicht mit einer Dop­pel­sei­te vol­ler Ein­zel­por­träts!)) und ich wein­te als Acht­jäh­ri­ger hei­ße Trä­nen der Ent­täu­schung.

Da mei­ne Begeis­te­rung für Sport (genau­so wie mei­ne Begeis­te­rung für den Euro­vi­si­on Song Con­test) von Anfang an vor allem von mei­ner Begeis­te­rung für Zah­len und Sta­tis­ti­ken geprägt wur­de, tipp­te ich vor der WM 1994 alle Spie­le des Tur­niers, errech­ne­te die Grup­pen­sie­ger und Ach­tel­fi­nal­paa­run­gen und kam zu dem Schluss, dass Deutsch­land sei­nen Titel ver­tei­di­gen wür­de. Dar­aus wur­de nichts, ich war wie­der ein­mal bit­ter ent­täuscht, aber der Gedan­ke, dass die­ser Final­sieg 1990 nicht die Regel, son­dern die Aus­nah­me gewe­sen sein könn­te, kam mir erst vie­le Jah­re spä­ter. Ich hat­te mich unter­des­sen in die schwe­di­sche Mann­schaft ver­liebt, die mit offen­kun­di­gen Welt­klas­se­spie­lern wie Tho­mas Ravel­li, Patrik Anders­son, Tho­mas Bro­lin, Hen­rik Lars­son, Ken­net Anders­son und Mar­tin Dah­lin WM-Drit­ter wur­de. Als ansons­ten ahnungs­lo­ser Jun­ge muss­te ich davon aus­ge­hen, dass Schwe­den eine inter­na­tio­na­le Top-Mann­schaft sei.

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End­gül­tig vom Fuß­ball ange­fixt, brauch­te ich natür­lich auch eine eige­ne Bun­des­li­ga­mann­schaft. Mei­ne Wahl fiel auf Borus­sia Mön­chen­glad­bach, was nicht so will­kür­lich wahr, wie es sich im ers­ten Moment anhö­ren mag: Ste­fan Effen­berg, der wegen sei­nes Mit­tel­fin­ger-Ein­sat­zes gegen deut­sche Fans bei der WM aus dem Kader geflo­gen war, woll­te nach dem Tur­nier in die Bun­des­li­ga wech­seln. Aus irgend­ei­nem früh­pu­ber­tä­ren Grund fand ich die „Stinkefinger“-Aktion als Zehn­jäh­ri­ger cool und dach­te mir: „Hey, wo der hin­geht, das ist mein Ver­ein: Bre­men oder Mön­chen­glad­bach!“ Für Glad­bach spra­chen dann aber auch noch die schwe­di­schen Natio­nal­spie­ler Patrik Anders­son und Mar­tin Dah­lin und mein Paten­on­kel, der in Mön­chen­glad­bach wohn­te.

Vor dem Beginn der Bun­des­li­ga­sai­son 1994/​95 hat­te ich kei­ne Ahnung, wie erfolg­reich die­se Borus­sia aus Mön­chen­glad­bach sein könn­te, ein Jahr spä­ter waren „wir“ Fünf­ter in der Bun­des­li­ga und DFB-Pokal­sie­ger gewor­den. ((Das Pokal­fi­na­le in Ber­lin hat­te ich als mein zwei­tes Fuß­ball­spiel über­haupt sogar live im Ber­li­ner Olym­pia­sta­di­on ver­folgt.)) Ich muss­te wie­der ein­mal anneh­men, mich für eine Top-Mann­schaft ent­schie­den zu haben.

Am letz­ten Spiel­tag der Sai­son 1997/​98 ret­te­te sich Glad­bach ((Mit Schüt­zen­hil­fe von Han­sa Ros­tock!)) vor dem Abstieg, ein Jahr spä­ter stieg mein Ver­ein dann doch in die zwei­te Liga ab. Ich beschloss, mich eher auf Musik zu kon­zen­trie­ren, wo ich auf weni­ger Ent­täu­schun­gen hoff­te. Nach einem Jahr lös­ten sich zwei mei­ner dama­li­gen Lieb­lings­bands auf.

Als ich gera­de nach Bochum gezo­gen war, qua­li­fi­zier­te sich der VfL für den UEFA-Cup, ein Jahr spä­ter stieg er ab. Glad­bach ent­ließ 2006, nach der erfolg­reichs­ten Sai­son seit zehn Jah­ren, den Trai­ner und ging 2007 wie­der in die zwei­te Liga. Letz­tes Jahr tra­fen bei­de Mann­schaf­ten in der Rele­ga­ti­on auf­ein­an­der, ich konn­te mich kaum ent­schei­den – und ein Jahr spä­ter been­de­te Glad­bach die Sai­son in der ers­ten Liga auf Platz 4, Bochum Elf­ter in Liga Zwei.

Man lernt als Fuß­ball­fan viel fürs Leben, denn es gilt das glei­che, was Jason Lee in „Vanil­la Sky“ über die Lie­be sagt:

You can do wha­te­ver you want with your life, but one day you’ll know what love tru­ly is. It’s the sour and the sweet. And I know sour, which allows me to app­re­cia­te the sweet.

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Was mei­ne Lie­be zum Fuß­ball, aber auch die zur Musik, immer etwas schwie­rig gestal­tet hat, waren die ande­ren Fans. Ich hat­te immer Schwie­rig­kei­ten damit, Teil einer Grup­pe zu sein. Ich den­ke dann immer: „Wir mögen ja gemein­sa­me Inter­es­sen haben, aber ich bin doch ganz anders als Ihr!“

Wenn ich wäh­rend der zwei Wochen Euro­vi­si­on den­ke, so lang­sam sei es aber auch mal gut, mit den Kli­scheeschwu­len, die da blon­diert und nasal flö­tend um mich rum­tu­cken, muss ich mich nur dran erin­nern, wie es im Fuß­ball­sta­di­on aus­sieht: Homo­pho­bie statt Homo­se­xua­li­tät, plum­pes Gebrüll statt ent­zück­tem Gekrei­sche und gene­rell null Takt­ge­fühl. Natür­lich: Nicht alle Fuß­ball­fans sind so, aber in der Sum­me ist es für mich dann doch schwer erträg­lich. Schon in der Knei­pe sind mir die­se Typen ein Graus, die immer hin­ter einem ste­hen und in jeder ver­damm­ten Sze­ne die Spie­ler laut­stark anbrül­len – dabei kön­nen Men­schen im Fern­se­hen einen nun wirk­lich nicht hören.

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Schlim­mer als die­se Fans, die es mit ihrer Begeis­te­rung für den Sport dann viel­leicht doch ein biss­chen über­trei­ben, sind aber jene Leu­te, die sich zu inter­na­tio­na­len Tur­nie­ren in schwarz-rot-gol­de­ne Scha­le wer­fen und gemein­sam mit der Bou­le­vard­pres­se dar­auf hof­fen, dass „wir“ den Titel holen.

Natür­lich kann man inter­na­tio­na­le Fuß­ball­tur­nie­re ver­fol­gen, ohne die Abseits­re­gel oder die FIFA-Welt­rang­lis­te zu ken­nen. Auch habe ich in den letz­ten sechs Jah­ren ver­stan­den, dass die Men­schen, die ihre Häu­ser und Autos mit Deutsch­land­flag­gen schmü­cken, in den aller­we­nigs­ten Fäl­len Neo­na­zis sind. Aber die­se Schön­wet­ter­fans sind schon schwer erträg­lich.

Wenn man von den unglück­li­chen Vogts-Welt­meis­ter­schaf­ten 1994 und ’98 und den EM-Total­aus­fäl­len 2000 und 2004 absieht, zählt Deutsch­land seit 26 Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich zu den vier bes­ten Mann­schaf­ten Euro­pas bzw. der Welt. Wer Fuß­ball nur guckt, weil er auf einen Titel­ge­winn der eige­nen Mann­schaft ((Oder schlim­mer noch: der eige­nen Nati­on.)) hofft, ist kein Fan der Sport­art, son­dern ein­fach nur jemand, der sein Ver­hält­nis zu die­ser Sport­art von einem ein­zi­gen Fak­tor abhän­gig macht: dem Titel. Mit die­ser Ein­stel­lung kann man die­ser Tage nicht mal mehr Fan des FC Bay­ern Mün­chen wer­den – und sel­ber Sport trei­ben sowie­so nicht.

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Das EM-Vier­tel­fi­na­le gegen Grie­chen­land war sicher kein bril­lan­tes Spiel. Die deut­sche Mann­schaft hat sich gegen eine eher dritt­klas­si­ge Mann­schaft zwei Gegen­to­re ein­ge­fan­gen, das Spiel letzt­lich inner­halb einer sehr guten Vier­tel­stun­de gewon­nen.

„Bild“ titel­te am nächs­ten Mor­gen:

Uns stoppt keiner mehr!

Die „Bild“-Schlagzeilen vor und nach dem Halb­fi­nal-Aus, die mein Kol­le­ge Mats Schö­nau­er im BILD­blog gesam­melt hat, stam­men aller­dings noch aus einer ganz ande­ren Welt: Ich fin­de es eh schwie­rig, wenn Jour­na­lis­ten (oder in die­sem Fall: „Bild“-Mitarbeiter) „wir“ sagen und damit die deut­sche Mann­schaft mei­nen. Wenn ein klei­ner Jun­ge und viel­leicht auch älte­rer Fuß­ball­fan ent­täuscht und wütend sind, ist das mensch­lich – aber Medi­en soll­ten nicht mensch­lich, son­dern sach­lich berich­ten. Was „Bild“ da macht, geht über den nor­ma­len Wahn­sinn eines ent­täusch­ten Fans hin­aus. Da arbei­tet eine gan­ze Redak­ti­on an Schlag­zei­len, die all dem ent­ge­gen­ste­hen, was sie selbst weni­ge Tage zuvor erar­bei­tet hat. Ein mensch­li­ches Gehirn müss­te eigent­lich implo­die­ren, wenn sich sein Besit­zer der­art selbst wider­spricht.

„Bild“ reagiert wie ein trot­zi­ger Drei­jäh­ri­ger, der sei­ner Mut­ter „Ich has­se Dich!“ ent­ge­gen schleu­dert, wenn sie ihm kein zwei­tes Eis mehr kau­fen mag, oder wie ein Stal­ker – in jedem Fall wie nie­mand, dem man ratio­na­les Den­ken unter­stel­len könn­te.

Die Mann­schaft sei „zu soft“ für den Titel, so urteilt „Bild“. Die neo­li­be­ra­le Moral der Cas­ting-Shows der „Bild“-Freund Die­ter Boh­len und Hei­di Klum wird so wei­ter im Bewusst­sein jun­ger Men­schen ver­an­kert: „Du musst es nur hart genug wol­len! Wenn Du es nicht schaffst, hast Du nicht hart genug gewollt!“

Hier wer­den Men­schen so behan­delt, als sei­en sie Maschi­nen, die man nur rich­tig opti­mie­ren muss, damit sie Erfolg haben. Und Erfolg heißt immer nur, Ers­ter zu sein. Es geht nie dar­um, für sich selbst das Bes­te her­aus­zu­ho­len, son­dern aus­schließ­lich dar­um, „Bes­ter“ zu sein. Alles ande­re ist immer eine Ent­täu­schung. Wer so denkt, wird fast immer ein Leben vol­ler Ent­täu­schun­gen füh­ren.

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Es spricht eh wenig dafür, dass im Sport­jour­na­lis­mus irgend­je­mand arbei­tet, der Fuß­ball liebt: Spie­le wer­den in so vie­le sta­tis­ti­sche Wer­te (gelau­fe­ne Meter, gespiel­te Päs­se, gewon­ne­ne Zwei­kämp­fe, etc.) zer­legt, dass nicht mal ich als Sta­tis­tik-Freund irgend­ei­nen Sinn dar­in sehe – und ich weiß, dass Hei­ko Herr­lich und Mario Bas­ler in der Bun­des­li­ga­sai­son 1994/​95 mit jeweils 20 Tref­fern Tor­schüt­zen­kö­ni­ge der Bun­des­li­ga wur­den.

Der Sta­tis­tik­wahn der aktu­el­len Sport­be­richt­erstat­tung ist so, als ob man eine CD nach ihrer Spiel­zeit, der Beat­zah­len der ein­zel­nen Tracks und der Anzahl der Har­mo­nie­wech­sel bewer­ten wür­de. Man möch­te sich nicht vor­stel­len, wie sol­che Men­schen ihre Ehe­part­ner aus­su­chen. Wer die gan­ze Welt in angeb­lich objek­ti­ve Zah­len zer­legt, wird irgend­wann über­rascht fest­stel­len, dass er sie trotz­dem nicht ver­steht.

Und dann immer die­se Beno­tun­gen nach Fuß­ball­spie­len! Natür­lich hat Lukas Podol­ski am Don­ners­tag schlecht gespielt, aber was hat man davon, wenn man ihm dafür eine „6“ geben kann?

Wirt­schafts­ver­bän­de und Leh­rer kri­ti­sie­ren die Noten­ver­ga­be an Schu­len in ihrer aktu­el­len Form als wenig aus­sa­ge­kräf­tig. Ich habe es immer schon für Unfug gehal­ten, dass jemand, der Medi­zin stu­die­ren möch­te, dafür gute Schul­no­ten in Geschich­te, Eng­lisch, Sport und Reli­gi­on braucht. Und wenn Sie jetzt sagen: „Ja, aber irgend­wie muss man so eine Stu­di­en­platz­zu­las­sung ja regeln“, dann ent­geg­ne ich Ihnen: „Wenn unser Bil­dungs­sys­tem es nicht ein­mal auf die Ket­te bekommt, gerech­te und logi­sche Zulas­sungs­ver­fah­ren zu ent­wi­ckeln, dann brau­chen wir mit dem Ver­such, künf­ti­ge Eli­ten aus­zu­bil­den, ja gar nicht erst anzu­fan­gen!“

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Im Novem­ber 2009 war aus einem Volk von 82 Mil­lio­nen poten­ti­el­len Bun­des­trai­nern kurz­zei­tig eine Nati­on von 82 Mil­lio­nen Psy­cho­lo­gen gewor­den: Nach dem Sui­zid des depres­si­ven Natio­nal­tor­hü­ters Robert Enke erklär­ten Funk­tio­nä­re, Fans und Medi­en, es müs­se ein soge­nann­tes Umden­ken ein­set­zen.

Wal­ter M. Stra­ten, damals stell­ver­tre­ten­der Sport­chef bei „Bild“, hat­te sich damals von der „Süd­deut­schen Zei­tung“ so zitie­ren las­sen:

„Wir wer­den wohl mit extre­men Noten etwas vor­sich­ti­ger sein“, sagt der stell­ver­tre­ten­de Bild-Sport­chef. Man wer­de sich ein­mal mehr über­le­gen, „ob der Spie­ler, der eine kla­re Tor­chan­ce ver­ge­ben hat, oder der Tor­wart, der den Ball hat durch­flut­schen las­sen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht“.

Schnell zeig­te sich, dass Stra­tens Aus­sa­ge exakt so ernst zu neh­men war, wie ande­re Aus­sa­gen der „Bild“-Chefredaktion.

In der Zwi­schen­zeit ist ein Bun­des­li­ga­trai­ner wegen Burn­outs zurück­ge­tre­ten, hat ein Schieds­rich­ter einen Sui­zid­ver­such unter­nom­men, wird einem Bun­des­li­ga­pro­fi vor­ge­wor­fen, sein Haus in Brand gesetzt zu haben.

Jedes Mal zei­gen sich alle ent­setzt und jedes Mal geht es danach wei­ter: Fuß­bal­ler sind ent­we­der Hel­den oder Luschen, es gibt nur hop oder top.

Als Fan fand ich den Satz „Es ist doch nur ein Spiel“, immer schlimm. Er kann nur von Men­schen kom­men, die selbst nie mit­ge­fie­bert und mit­ge­lit­ten haben. Aber an etwas ande­res soll­te man immer mal wie­der erin­nern: Die­se Göt­ter oder Ver­sa­ger, die da Tore schie­ßen oder Chan­cen ver­ge­ben, die bril­lant auf­spie­len oder gran­di­os ver­ge­ben, das sind letzt­end­lich auch nur Men­schen. Also: „nur“.

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Musik

Interview mit James Walsh (Starsailor)

Star­sail­or kön­nen sich noch so Mühe geben: Wirk­lich cool wer­den die vier Bri­ten in die­sem Leben nicht mehr.

Als James Walsh am Mon­tag­nach­mit­tag in der CD-Abtei­lung des Ham­bur­ger Saturn-Mark­tes ein kur­zes Akus­tik­set spielt, ste­hen die Fans (von denen nicht mords­mä­ßig vie­le gekom­men sind) zwi­schen Rega­len, die mit „Schla­ger“ beschrif­tet sind, um Auto­gram­me an. Da kann man dann auch noch Abbas „Dancing Queen“ covern, ohne dass es Ein­fluss auf die cre­di­bi­li­ty hät­te. Schön ist es trotz­dem.

Zwei­ein­halb Stun­den spä­ter sitzt James Walsh im Back­stage­raum der Fabrik und lang­weilt sich. Ich wer­de das Gefühl nicht los, dass er das auch wäh­rend unse­res Inter­views (sie­he unten) tut, aber da müs­sen wir gemein­sam durch. Die The­men: Rock’n’Roll-Kli­schees, Poli­tik und Jere­mi­ah Dug­gan, über des­sen mys­te­riö­sen Tod die Band vor vier Jah­ren einen Song geschrie­ben hat. Walsh ant­wor­tet höf­lich bis nett und dass er eine Stun­de vor dem Auf­tritt kei­nen Bock hat, end­los zu reden, kann man ja auch ver­ste­hen.

James Walsh im Interview.

Nach zwölf Minu­ten sind Mar­ti­na und ich fer­tig mit Fotos und Inter­views und es kommt noch zu einer Nor­bert-Körz­dör­fer-esken Sze­ne, als Walsh uns mit gro­ßer Ges­te auf­for­dert, uns doch noch aus dem Kühl­schrank zu bedie­nen. „It’s Guin­ness, that’s the real thing“, sagt er und ich den­ke, ich hät­te mal bes­ser gucken sol­len, von wel­cher Mar­ke sei­ne Arm­band­uhr war.

Nach der Vor­band (Oh, Napo­le­on aus Kre­feld, hören Sie da ruhig mal rein) steht ein ande­rer James Walsh auf der Büh­ne: Er ist hell­wach, scherzt mit sei­ner Band und erin­nert kein biss­chen mehr an den scheu­en Anfang-Zwan­zi­ger, der sich vor acht, neun Jah­ren am liebs­ten hin­ter dem Mikro­fon­stän­der ver­steckt hät­te. Anders als bei den letz­ten Tou­ren gibt es kei­nen zusätz­li­chen Gitar­ris­ten mehr, Walsh spielt alles selbst und das kann er durch­aus gut. Fünf Songs spie­len Star­sail­or vom aktu­el­len Album „All The Plans“ – einen weni­ger als vom Debüt „Love Is Here“.

Starsailor live.

Was einem ver­mut­lich wie­der kei­ner glau­ben wird: Die Band hat live in den letz­ten Jah­ren schon immer ordent­lich gerockt, heu­te Abend tut sie es beson­ders. Walsh freut sich über das bes­te Publi­kum, das sie in Deutsch­land je gehabt hät­ten, und man ist geneigt, das nicht als Spruch abzu­tun: Die Fabrik kocht und wenn ich im Schät­zen von Men­schen­mas­sen nicht so unfass­bar schlecht wäre, könn­te ich mei­ne Behaup­tung, es han­de­le sich auch um das größ­te Publi­kum, das die Band in Deutsch­land je hat­te, auch ein wenig unter­mau­ern. Wirk­lich vie­le waren es lei­der trotz­dem nicht.

Der Stim­mung tut das kei­nen Abbruch, neue Songs wer­den warm auf­ge­nom­men, alte beju­belt. Ein Fan sagt, er sei aus Japan gekom­men, will aber sei­nen Namen nicht nen­nen: „Liking Star­sail­or can get you into real trou­ble“, lacht James Walsh und man ist sich gar nicht sicher, ob das jetzt Koket­te­rie oder eine rea­lis­ti­sche Ein­schät­zung des Ban­di­mages ist. Aber Image ist nichts, ent­schei­dend ist auf der Büh­ne: „Four To The Flo­or“ wird fast von sei­nen kom­plet­ten Dis­co-Strei­chern befreit und kommt als kra­chi­ger Brit­pop-Stamp­fer daher und wird direkt anschlie­ßend noch mal in der Remix-Ver­si­on ange­stimmt. Letz­te­res ist zwar nicht neu, macht aber immer wie­der Spaß.

Nach dem regu­lä­ren Schluss­song „Good Souls“ gibt es noch eine wei­te­re Zuga­be: „Tomor­row Never Knows“ von den Beat­les. An denen kommt man im Moment wirk­lich nicht vor­bei – auf dem Sofa im Back­stage­raum lag auch eine der frisch remas­ter­ten CDs her­um.

Starsailor live.

Und hier das Inter­view im Cof­fee-And-TV-Pod­cast:

Inter­view mit James Walsh (Zum Her­un­ter­la­den rechts kli­cken und „Ziel spei­chern unter …“ wäh­len.)

Sie kön­nen die Pod­casts übri­gens auch als eige­nen Feed oder direkt in iTu­nes abon­nie­ren.

Star­sail­or spie­len das letz­te Kon­zert ihrer Deutsch­land­tour am Sonn­tag, 27. Sep­tem­ber im Glo­ria in Köln.

Fotos: © Mar­ti­na Dri­gnat.

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Musik

Aber hier leben? Nein, Danke!

Aus dem aktu­el­len Toco­tro­nic-News­let­ter:

Lie­be Freun­dIn­nen,
es ist unfass­bar: Anläß­lich des Tages der Deut­schen Ein­heit hat der ansons­ten von uns hoch­ge­schätz­te Musik­vi­deo­sen­der MTV auf sei­ner Inter­net­sei­te unter der Über­schrift „Hei­mat­me­lo­dien“ (!) ein Voting für den bes­ten deut­schen Song­text („Deutsch­land – Land der Dich­ter und Den­ker“) gestar­tet. Auch unse­re Grup­pe, Toco­tro­nic, ist dort mit dem Text zu dem Lied „Imi­ta­tio­nen“ ver­tre­ten. Wir möch­ten aus­drück­lich dar­auf hin­wei­sen, dass wir nichts, aber auch gar nichts von unse­rer Teil­nah­me an die­ser höchst zwei­fel­haf­ten Akti­on gewußt haben und wir auch nichts von sol­chen hei­mat­du­se­li­gen Lyrik­wett­be­wer­ben hal­ten. Im Gegen­teil: Eine sol­ches Voting reprä­sen­tiert so ziem­lich das genaue Gegen­teil der von uns pro­pa­gier­ten Inhal­te. Dies nur mal so neben­bei.
Vie­le Grüs­se
Toco­tro­nic

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Rundfunk Sport

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!

Nun ist die­se Fuß­ball-EM also auch schon wie­der vor­bei. Deutsch­land hat sie nicht gewon­nen (was zu erwar­ten war), ist aber Zwei­ter gewor­den (was nicht zu erwar­ten war).

Somit ist es Zeit für den Cof­fee-And-TV-EM-Rück­blick:

Die Gast­ge­ber
Legen wir aus­nahms­wei­se mal, was wir bei der Hym­ne nie tun wür­den, die Hand aufs Herz: Schwei­zer und Öster­rei­cher gel­ten den Deut­schen ja irgend­wie als die etwas welt­fer­nen Stief­cou­sins. Die, die so ähn­lich wie wir reden, aber doch anders, und die, die beru­hi­gen­der­wei­se immer noch schlech­ter Fuß­ball spie­len als die Deut­schen.

Ent­spre­chend war es dann auch das ers­te wich­ti­ge Tur­nier, bei dem alle Gast­ge­ber die Vor­run­de nicht über­stan­den, was wohl auch die Stim­mung vor Ort etwas trüb­te. Von Öster­reich und der Schweiz bekam man im Fern­se­hen lei­der viel zu wenig mit, die Bil­der aus den Innen­städ­ten hät­ten auch in Dres­den, Han­no­ver oder einer ande­ren deut­schen Stadt, in der ich noch nie war, gedreht sein kön­nen. Doch ges­tern nach dem Fina­le wur­de klar: die Gast­ge­ber waren die beschei­de­nen klei­nen Brü­der von Deutsch­land 2006. Alles war ein biss­chen gedämpf­ter, stil­vol­ler.

Die Favo­ri­ten
Ja, das war etwas merk­wür­dig: Mein Euro­pa­meis­ter­tipp Tsche­chi­en über­stand die Vor­run­de eben­so­we­nig wie mei­ne Lieb­lings­mann­schaft Schwe­den, die Ita­lie­ner ret­te­ten sich mit Mühe und Not gegen die dann aus­ge­schie­de­nen Fran­zo­sen über die Grup­pen­pha­se, und Grie­chen­land bewies end­lich, dass der Gewinn der EM vor vier Jah­ren wirk­lich nur ein Betriebs­un­fall der Fuß­ball­ge­schich­te gewe­sen war. Vor­her hat­ten sie uns aller­dings mit dem 0:2 gegen Schwe­den eines der grau­en­haf­tes­ten Spie­le des Pro­fi­sports gebo­ten.

Nach­dem sie in der Vor­run­de den Welt­meis­ter, den Vize­welt­meis­ter und schließ­lich mit einer B‑Mannschaft auch noch die Rumä­nen in Grund und Boden gede­mü­tigt hat­ten, gal­ten die Hol­län­der als kla­rer Favo­rit, was sich als­bald als die bei die­sem Tur­nier unlieb­sams­te Rol­le her­aus­stell­te: Zack!, bra­chen sie gegen die Rus­sen ein wie eine labb­ri­ge Frit­te im Nord­see­sturm. Von allen Grup­pen­ers­ten schaff­te es gera­de mal Spa­ni­en, sich nach einem freud­lo­sen Spiel gegen die Ita­lie­ner durch­zu­set­zen – aber auch nur, weil deren Elf­me­ter­glück nach dem Ber­li­ner WM-Fina­le bis min­des­tens 2044 auf­ge­braucht ist. Por­tu­gal schei­ter­te an den Deut­schen, die zur Über­ra­schung aller ein gutes Spiel ablie­fer­ten, die Kroa­ten, die wirk­ten als hät­te man ihnen das mit Elf­me­ter­schie­ßen erst nach Ende der Ver­län­ge­rung erklärt, schei­ter­ten letzt­lich an der unfass­ba­ren Last-Minu­te-Macht der Tür­ken.

Um die dem Tur­nier inne­woh­nen­de Tra­gik auf die Spit­ze zu trei­ben, erwisch­te es im Halb­fi­na­le aus­nahms­wei­se mal die Tür­kei in der letz­ten Minu­te, wor­auf­hin Deutsch­land ver­se­hent­lich im Fina­le stand, in das am Fol­ge­tag die Spa­ni­er ein­zo­gen. Auch Guus Hidd­inks Rus­sen, die sich im ers­ten Grup­pen­spiel gegen Spa­ni­en trick­reich tot­ge­stellt und danach alles domi­niert hat­ten, konn­ten die Ibe­rer (Sport­jour­na­lis­mus geht nicht ohne The­sau­rus) nicht mehr stop­pen.

Im Fina­le muss­te Spa­ni­en nur noch Deutsch­land schla­gen, was dann auch kein Pro­blem mehr war, weil die Deut­schen neben Phil­ipp Lahm und Jens Leh­mann aus­schließ­lich Dop­pel­gän­ger ihrer Stamm­elf auf­ge­stellt hat­ten. Beim ein­zi­gen Gegen­tor kamen sich kon­se­quen­ter­wei­se Lahm und Leh­mann in die Que­re.

Dies Spa­ni­er wur­den völ­lig ver­dient Euro­pa­meis­ter und bewie­sen bei der Pokal­über­ga­be auch noch, dass sie deut­lich bes­ser erzo­gen sind als die Ita­lie­ner, die sich den Cup vor zwei Jah­ren ein­fach selbst ver­lie­hen hat­ten. Michel Pla­ti­ni wirk­te wie ein Leh­rer auf Klas­sen­fahrt, als er inmit­ten der spa­ni­schen Spie­ler die am wenigs­ten häss­li­che Sport­tro­phäe der Welt (man ist ja schon für Klei­nig­kei­ten dank­bar) Iker Cas­il­las in die Hand drück­te.

Deutsch­land
Die eigent­li­che Sen­sa­ti­on ereig­ne­te sich bereits am 8. Juni: Deutsch­land gewann ein EM-Spiel. Viel mehr hat­ten sich Joa­chim Löw und sei­ne Mann­schaft wohl nicht vor­ge­nom­men, wes­we­gen man im dar­auf­fol­gen­den Spiel gegen Kroa­ti­en ein­fach mal alles (außer dem eige­nen Harn) lau­fen ließ. Ich habe glück­li­cher­wei­se die zwei­te Halb­zeit ver­schla­fen und wur­de erst pünkt­lich zur roten Kar­te gegen Bas­ti­an Schwein­stei­ger wie­der wach. Ver­mut­lich zum letz­ten Mal in der Natio­nal­mann­schaft gese­hen haben wir David Odon­kor, bei Mario Gomez wird sehr, sehr viel Auf­bau­ar­beit nötig sein.

Gegen Öster­reich erleb­te man end­lich wie­der die klas­si­sche deut­sche Tur­nier­mann­schaft wie bei der EM ’96 oder der WM 2002: schwach spie­len, hin­ten sau­ber hal­ten, vor­ne eine Stan­dard­si­tua­ti­on aus­nut­zen, wei­ter­kom­men. Gegen Por­tu­gal sieg­te dann Bas­ti­an Schwein­stei­ger im Allein­gang, wie er das jetzt offen­bar immer gegen Por­tu­gal machen will, und gegen die Tür­kei war Deutsch­land so unfass­bar schlecht, dass es ein­zig und allein dem grund­sym­pa­thi­schen Phil­ipp Lahm und des­sen Sieg­tor zu ver­dan­ken war, dass ich mir das Fina­le über­haupt anse­hen woll­te. Das Trau­ma des Halb­fi­nals, dass man sich über einen völ­lig unver­dien­ten Sieg freu­en soll­te, wie­der­hol­te sich ges­tern Abend dann zum Glück nicht: Nach zehn Minu­ten Fuß­ball woll­te das Deut­sche Team auch mal „was mit Rasen“ machen und ser­vier­te den Spa­ni­ern die Tor­chan­cen auf einem Sil­ber­ta­blett mit Pla­tin­in­tar­si­en. Wenn man der spa­ni­schen Mann­schaft einen Vor­wurf machen kann, dann den, dass ihre Chan­cen­aus­beu­te genau­so schlecht war wie bei allen ande­ren Mann­schaf­ten ab dem Vier­tel­fi­na­le. Ich möch­te hier­mit die neue Regel vor­schla­gen, dass, wenn zwei Mann­schaf­ten es nicht schaf­fen, inner­halb von 120 Minu­ten wenigs­tens ein Tor zu schie­ßen, ein­fach bei­de aus dem Tur­nier aus­schei­den.

Nicht uner­wähnt blei­ben soll­te Ange­la Mer­kel, die im Sta­di­on nicht nur die wich­tigs­te Ent­schei­dung ihrer bis­he­ri­gen Amts­zeit traf (Bas­ti­an Schwein­stei­ger moti­vie­ren), son­dern auf der Tri­bü­ne und im Inter­view ein­mal mehr ihren Fuß­ball­sach­ver­stand bewies. Ich möch­te sie hier­mit ganz ehr­lich als kom­men­de DFB-Prä­si­den­tin vor­schla­gen, was sicher auch im Hin­blick auf 2011 ein schö­nes Signal wäre.

Regeln & Schieds­rich­ter
Die schon län­ger bestehen­de Rege­lung, dass in der Grup­pen­pha­se bei Punkt­gleich­heit der direk­te Ver­gleich zäh­le, sorg­te dank des gut aus­ge­ar­bei­te­ten Spiel­plans dafür, dass gleich drei Grup­pen­sie­ger schon vor dem letz­ten Spiel fest­stan­den, wes­we­gen sie ent­spre­chend mit einer B- bis C‑Mannschaft (Oma der Nach­ba­rin des Bus­fah­rers) auf­lie­fen. Ande­rer­seits gab es so in jeder Grup­pe ein End­spiel um den zwei­ten Tabel­len­platz. Das zwi­schen der Tür­kei und Tsche­chi­en schrieb Fuß­ball­ge­schich­te, als die Tsche­chen es in den letz­ten Spiel­mi­nu­ten nicht schaff­ten, den Ball auch nur in die Nähe des tür­ki­schen Tores zu schla­gen, in dem seit der roten Kar­te gegen den tür­ki­schen Tor­wart ein Feld­spie­ler stand. Außer­dem gab es noch eine gel­be Kar­te für einen Ersatz­spie­ler auf der Bank.

Die WM 2006 hat­te den unver­dien­ten Elf­me­ter der Ita­lie­ner (ja, ich weiß, dass das ein Pleo­nas­mus ist) gegen die Aus­tra­li­er und die drei gel­ben Kar­ten gegen Josip Simu­nic in einem Spiel, ist mir aber sonst nicht durch grö­ße­re Schieds­rich­ter-Inkom­pe­ten­zen in Erin­ne­rung geblie­ben. Dies­mal war es anders: die Fehl­ent­schei­dun­gen häuf­ten sich und bei man­chen Sze­nen frag­te man sich, ob man – so das wirk­lich die Eli­te der euro­päi­schen Unpar­tei­ischen sein soll­te – in Zukunft bei einer EM nicht bes­ser Kol­le­gen aus Tri­ni­dad und Toba­go ein­flie­gen soll­te. Gab es vor Spie­len Geschrei um die Natio­na­li­tät eines Schieds­rich­ters (der Deut­sche bei Spa­ni­en – Ita­li­en, der Schwei­zer bei Deutsch­land – Tür­kei, der Ita­lie­ner im Fina­le), gaben sich die­se größ­te Mühe, die Beden­ken zu zer­streu­en, in dem sie kon­se­quent gegen die von ihnen ver­meint­lich bevor­zug­te Mann­schaft pfif­fen. Nur beim Hand­spiel Leh­manns an der Straf­raum­li­nie bei erschöpf­tem Aus­wech­sel­kon­tin­gent zwan­zig Minu­ten vor Schluss kam den Deut­schen mal die Inkom­pe­tenz des Schi­ri-Gespanns ent­ge­gen.

Der Tief­punkt war da frei­lich schon lan­ge erreicht gewe­sen: die Ver­ban­nung bei­der Trai­ner auf die Tri­bü­ne im Spiel Öster­reich – Deutsch­land war eine gefähr­li­che Mischung aus den Ego-Pro­ble­men des soge­nann­ten vier­ten Offi­zi­el­len und der Unent­spannt­heit des spa­ni­schen Schieds­rich­ters. Die UEFA bewies Humor, indem sie bei­de Trai­ner für je ein Spiel sperr­te und eben jenen Spa­ni­er im Vier­tel­fi­na­le gegen Por­tu­gal als vier­ten Mann auf­stell­te. Wo er dann auch kurz davor stand, wenigs­tens den por­tu­gie­si­schen Trai­ner auf die Tri­bü­ne schi­cken zu las­sen.

Immer­hin eine Schieds­rich­ter-Ent­schei­dung blieb posi­tiv in Erin­ne­rung: im Spiel Hol­land – Ita­li­en wuss­te der Schieds­rich­ter, dass das ver­meint­li­che Abseits­tor kei­nes war (also kein Abseits, ein Tor war es ja sehr wohl).

Fern­se­hen
Schlim­mer als Schieds­rich­ter und Deut­sche waren immer­hin noch die Leu­te, die uns den Fuß­ball ins Haus brin­gen: es ging gar nichts. Nichts.

Béla Réthy, von den Print­kol­le­gen merk­wür­di­ger­wei­se immer über den grü­nen Klee gelobt, nervt nur. Er redet in einem fort, nur als im Halb­fi­na­le plötz­lich das Bild aus­fiel und man auf sein Gequas­sel ange­wie­sen war, wur­den sei­ne Sät­ze knap­per. Tom Bartels kann selbst Fuß­ball­kri­mis zum Sand­männ­chen degra­die­ren, so dass man ges­tern Angst haben muss­te, die deut­schen Spie­ler hät­ten ver­se­hent­lich sei­nen Kom­men­tar aufs Ohr bekom­men und sei­en des­halb so müde. Stef­fen Simon ist einer die­ser Men­schen, die beim Ita­lie­ner „brusket­ta“ und „jnok­ki“ bestel­len, weil sie mal ein Semes­ter in der Volks­hoch­schu­le waren. Beson­ders pein­lich wur­de es immer dann, wenn er einen aus­län­di­schen Namen zum gefühlt hun­derts­ten Mal vor­ge­turnt hat­te, und man anschlie­ßen den mut­ter­sprach­li­chen Sta­di­on­spre­cher etwas ähn­li­ches, aber doch ganz ande­res sagen hör­te. Wie wohl­tu­end boden­stän­dig war dage­gen Wolf-Die­ter Posch­mann, der alles so aus­sprach wie man’s schreibt.

Beck­mann und Ker­ner gehen per se nicht, in kei­ner Rol­le und auf kei­nem Sen­der, mit Net­zer und Del­ling soll­te lang­sam auch mal gut sein, Jür­gen Klopp ist mir unsym­pa­thisch. Urs Mey­er geht, der groß­ar­ti­ge Meh­met Scholl kam bei Beck­mann (s.o.) nicht wirk­lich zur Ent­fal­tung. Moni­ka Lier­haus wirk­te bei den Trai­ner­in­ter­views immer wie Kai Diek­mann bei der Papst­au­di­enz (außer in dem unpas­sen­den Moment, wo sie end­lich mal jour­na­lis­tisch wir­ken woll­te) und Kat­rin Mül­ler-Hohen­stein … ach ja. Als ich es ein­mal nicht mehr aus­hielt mit Béla Réthy und im Radio wei­ter­hö­ren woll­te, war dort grad Sabi­ne Töp­per­wi­en am Mikro­fon und rela­ti­vier­te wie­der eini­ges, wenn auch nicht alles, was ich schlechts über Réthy zu sagen hät­te.

Es sei an die­ser Stel­le nur noch ein­mal dar­auf hin­ge­wie­sen: die­se Kom­men­ta­to­ren, Mode­ra­to­ren und sons­ti­gen Sport­jour­na­lis­ten­dar­stel­ler wer­den von uns allen bezahlt. Gutes Per­so­nal ist halt schwer zu fin­den.

Die Fans
Was soll das eigent­lich mit die­sem „Schland“ und wann und wo hat das ange­fan­gen? An die Beflag­gung von Wohn­häu­sern und Auto­mo­bi­len hat man sich zwei Jah­re nach der Geburt des „posi­ti­ven Patrio­tis­mus“ inzwi­schen gewöhnt, die Reichs­par­tei­tags­ver­wei­se sind längst nur noch Brauch­tum und Iro­nie.

Wie undog­ma­tisch die Deut­schen sind zeig­te sich immer wie­der, wenn die glei­chen Leu­te, die mor­gens beim „Bild“-Kauf über die Ben­zin­prei­se jam­mer­ten, Abends beim Auto­kor­so (nach dem Öster­reich-Spiel!) den Gegen­wert eines Final­ti­ckets in den Innen­städ­ten ver­brann­ten. Auch die Bou­le­vard­pres­se schaff­te die­sen Spa­gat, indem sie vor dem Halb­fi­na­le gegen die Tür­kei gleich­zei­tig zu Frei­heit, Gleich­heit, Brü­der­lich­keit auf­rief und für die kom­men­de Nacht bür­ger­kriegs­ähn­li­che Zustän­de vor­aus­sag­te.

Das Cof­fee-And-TV-Redak­ti­ons­team bewies sei­ne gro­ße Fuß­ball­kom­petnz, indem es sich vor dem Eröff­nungs­spiel mit Fah­nen ein­deck­te, die alle­samt zum Ende der Vor­run­de ein­ge­holt wer­den konn­ten: Schwe­den, Grie­chen­land und die Schweiz spiel­ten unge­fähr so gut, wie wir tipp­ten. In der fami­li­en­in­ter­nen Tipp­run­de muss­te ich mich nicht nur mei­nem Bru­der, son­dern auch mei­nen Eltern und mei­ner Schwes­ter geschla­gen geben. Aber als Borus­sia-Mön­chen­glad­bach-Fan ist man lei­den gewohnt.

So geht’s wei­ter …
Am 9./10. August star­tet der DFB-Pokal, eine Woche spä­ter die Bun­des­li­ga. Mön­chen­glad­bach ist wie­der da, wo es hin­ge­hört, der MSV Duis­burg auch.

Die Natio­nal­mann­schaft wird sich für die WM 2010 qua­li­fi­zie­ren und wenn sie da plötz­lich die Leis­tun­gen aus so man­chen Qua­li­fi­ka­ti­ons­spie­len und dem EM-Vier­tel­fi­na­le wie­der­ho­len, könn­te das schon was wer­den. Außer­dem spricht 2006: 3., 2008: 2. für 2010: 1. Die ein­zi­ge Alter­na­ti­ve wäre eine gol­de­ne Gene­ra­ti­on im deut­schen Team: wie die Por­tu­gie­sen immer schön spie­len und Favo­rit sein, es dann aber nie schaf­fen. Die Rol­le des ewig erfolg­lo­sen Geheim­fa­vo­ri­ten ist seit ges­tern Abend unbe­setzt.