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Wenn wir wirklich Freunde wären

Damit war nicht zu rech­nen gewe­sen: Heu­te ist der 20. Jah­res­tag der legen­dä­ren Tic-Tac-Toe-Pres­se­kon­fe­renz und weder „Spie­gel Online“ (wahl­wei­se bei „Eines Tages“ oder „Ben­to“) noch Bild.de oder „Buzzfeed“ berich­ten dar­über. Ein­zig die „Gos­lar­sche Zei­tung“ erin­nert in ihrem „Kalen­der­blatt“ an den denk­wür­di­gen Ver­such, eine zer­strit­te­ne Girl­band auf offe­ner Büh­ne vor der ver­sam­mel­ten WeltPres­se zu ver­söh­nen – ein Ver­such, der gran­di­os schei­ter­te, weil sich die drei Mit­glie­der am Ende beschimpf­ten und teil­wei­se wei­nend das Podi­um ver­lie­ßen.

[Anschwel­len­de Musik, Gui­do-Knopp-Bedeu­tungs­brum­men]

Eine Pres­se­kon­fe­renz, die sich aber so ins kol­lek­ti­ve Gedächt­nis der Deut­schen ein­ge­brannt hat, dass sie auch 20 Jah­re spä­ter noch als Refe­renz taugt – sogar, wenn es um eine geschei­ter­te Regie­rungs­bil­dung geht.

[flot­tes 90er-Musik­bett]

An die­ser Stel­le ein kur­zes „Hal­lo!“ an unse­re fünf Leser unter 25: Tic Tac Toe waren eine drei­köp­fi­ge Girl­group aus dem öst­li­chen Ruhr­ge­biet, die mit Songs wie „Ich find‘ Dich schei­ße“, „Ver­piss Dich“ oder „War­um?“ nicht nur beacht­li­che Erfol­ge fei­er­te, son­dern auch die Gren­zen des­sen, was man im Radio und Fern­se­hen „sagen durf­te“, aus­lo­te­ten und ver­scho­ben. Bei ihrem Kome­ten­haf­ten Auf­stieg [hier Schnitt­bil­der Viva-Comet-Ver­lei­hung ein­fü­gen] wur­de das Trio aller­dings immer wie­der von der Bou­le­vard­pres­se und ent­spre­chen­den „Skan­da­len“ beglei­tet.

In der Wiki­pe­dia heißt es dazu:

Zunächst kam her­aus, dass die Alters­an­ga­ben der drei Sän­ge­rin­nen von Tic Tac Toe von der Plat­ten­fir­ma den Sän­ge­rin­nen ein jün­ge­res Alter beschei­nig­ten; bei­spiels­wei­se war Lee bereits 22 Jah­re alt, obwohl sie – laut Plat­ten­fir­ma – 18 Jah­re alt gewe­sen sein soll. Medi­al gro­ßes Auf­se­hen erlang­te die Band, als Lees dama­li­ger Ehe­mann nach Bezie­hungs­pro­ble­men Sui­zid beging. Eine Woche spä­ter wur­de bekannt, dass Lee kurz­zei­tig als Pro­sti­tu­ier­te gear­bei­tet hat­te, um mit dem Geld Dro­gen zu finan­zie­ren.

Und dann, am 21. Novem­ber 1997 lud die Plat­ten­fir­ma der Band, Ario­la, in Mün­chen zu einer Pres­se­kon­fe­renz, von der sie sich nach inter­nen Que­re­len Signal­wir­kung erhofft hat­te: Einig­keit, nach vor­ne schau­en, der Auf­bruch zu wei­te­ren Erfol­gen.

[Das Bild friert ein, wird schwarz/​weiß, her­an­zoo­men]

Doch dann kam alles ganz anders.

Die Pres­se­kon­fe­renz ist legen­där, aber bei You­Tube oder anders­wo nicht auf­zu­fin­den (dort stößt man aber auf kaum weni­ger bizar­re Medi­en­be­rich­te zur Band). Auch spä­te­re O‑Töne von Tho­mas M. Stein, als Chef der Ario­la gleich­sam Gast­ge­ber der ver­un­fall­ten PR-Akti­on und einer brei­ten Öffent­lich­keit spä­ter bekannt gewor­den als Juror der ers­ten bei­den Staf­feln von „Deutsch­land sucht den Super­star“, in denen er sich über den Her­gang der Ereig­nis­se äußert, haben es nicht ins kol­lek­ti­ve pop­kul­tu­rel­le Archiv geschafft. Die in der Wiki­pe­dia auf­ge­stell­te Behaup­tung, „Die­se Akti­on wur­de am Abend in der Tages­schau the­ma­ti­siert“, lässt sich zumin­dest für die 20-Uhr-Aus­ga­be nicht bele­gen.

Immer­hin gibt es aber ein Tran­skript, das sich auf die in die­sem Fall denk­bar seriö­ses­te Quel­le stützt, die „Bra­vo“

Aber auch wenn sich heu­te kein gro­ßer Jubi­lä­ums­be­richt auf­trei­ben lässt, wird die Pres­se­kon­fe­renz mit ihren zu geflü­gel­ten Wor­ten geron­ne­nen Zita­ten („Wenn wir wirk­lich Freun­de wären, dann wür­dest du so’n Scheiß über­haupt nicht machen!“, „Boah, ihr könnt echt gut lügen!“, „Jetzt kom­men wie­der die Trä­nen auf Knopf­druck.“) noch regel­mä­ßig her­vor­ge­kramt: Wenn die AfD eine Pres­se­kon­fe­renz abhält, wenn sich der Schla­ger­sän­ger Rober­to Blan­co und sei­ne Toch­ter Patri­cia auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se strei­ten (eine Mel­dung, die man sich jetzt auch eher nicht hät­te aus­den­ken kön­nen oder wol­len), wann auch immer sich ein „Was machen eigent­lich …?“ anbie­tet (außer natür­lich heu­te).

Als Fach­ma­ga­zin für Lis­ten, bevor jeder Depp Lis­ten ver­öf­fent­licht hat wol­len wir es uns bei Cof­fee And TV aber natür­lich nicht neh­men las­sen, die Tic-Tac-Toe-Pres­se­kon­fe­renz in den Gesamt­kon­text des Kon­zepts „Pres­se­kon­fe­renz“ in Deutsch­land ein­zu­ord­nen.

Also, bit­te: Die sie­ben legen­därs­ten deut­schen Pres­se­kon­fe­ren­zen!

7. Gert­jan Ver­beek, 21.09.2015

6. Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg, 18.02.2011

5. Chris­toph Daum, 09.10.2000/12.01.2001

4. Tic Tac Toe, 21.11.1997

3. Uwe Bar­schel, 18.09.1987

2. Gio­van­ni Trapp­a­to­ni, 10.03.1998

1. Gün­ter Schab­ow­ski, 09.11.1989

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Blöd On Blöd

Ich habe all das, was zu Bob Dylans sieb­zigs­tem Geburts­tag gesen­det, gesun­gen und geschrie­ben wur­de, nicht sehen, hören, lesen wol­len – und bin doch eini­ger­ma­ßen zuver­sicht­lich, den schlech­tes­ten Bei­trag zum The­ma gefun­den zu haben: Er lief im Rock’n’Roll-Maga­zin „Bri­sant“ im ARD-Vor­abend und wenn Dylan davon Wind bekä­me, wür­de er die Ver­ant­wort­li­chen schär­fer angrei­fen als die Adres­sa­ten in „Mas­ters Of War“.

Der Mode­ra­tor erklärt zunächst mal, dass sich die­ser Bob Dylan „im Lau­fe der Jah­re zu einem eigen­wil­li­gen, aber genia­len Rock-Poe­ten ent­wi­ckelt“ habe. Logi­scher wird’s anschlie­ßend nicht mehr.

Schon der ers­te Satz des Bei­trags lässt sich nicht von Raum und Zeit beir­ren:

„Like A Rol­ling Stone“ ist zum bes­ten Rock­song aller Zei­ten gekürt wor­den und Sän­ger Bob Dylan ist Mit­te der Sech­zi­ger Jah­re ein Halb­gott.

Doch weg von den Göt­tern, hin­ab in die Höl­le: Musik­ma­na­ger Tho­mas M. Stein habe Dylans Werk „ana­ly­siert“, erklärt die Spre­che­rin, doch bevor wir erfah­ren, wie es klingt, wenn Tho­mas M. Stein etwas ana­ly­siert, erfah­ren wir erst mal, wie es aus­sieht, wenn Tho­mas M. Stein etwas signiert – zum Bei­spiel sein eige­nes Hör­buch, das bei ihm deko­ra­tiv und in mehr­fa­cher Aus­fer­ti­gung auf dem Schreib­tisch liegt:

Dylan sei des­we­gen ein Mythos, erklärt Stein (nach­dem er zunächst „war“ gesagt hat­te, aber viel­leicht hat er auch nur dar­auf spe­ku­liert, dass sein O‑Ton der­einst in den Nach­ru­fen noch mal wie­der­ver­wen­det wird), weil er „wun­der­ba­re Lie­der, wun­der­ba­re Tex­te“ geschrie­ben habe. Denn eine schö­ne Stim­me habe der Mann ja nun wahr­lich nicht.

Nur: Er hat eine gan­ze Gene­ra­ti­on bewegt. Ver­ges­sen Sie nicht Wood­stock, das sind legen­dä­re Auf­trit­te, die Bob Dylan gemacht hat. Damals nur mit der Klamp­fe und mit der Gitar­re, ohne gro­ßen Back­ground, wäh­rend­des­sen ande­re schon rock­mä­ßig wei­ter – Rol­ling Stones und San­ta­na, wie sie alle hie­ßen – schon mit gro­ßem Orches­ter gereist sind, hat er sich sehr stark zurück­ge­hal­ten.

Was Tho­mas M. Stein bei sei­ner Ana­ly­se des Leben ’n‘ Werk Bob Dylans offen­bar ent­gan­gen ist: Dylan ist beim Wood­stock Fes­ti­val gar nicht auf­ge­tre­ten (die Rol­ling Stones übri­gens auch nicht und Car­los San­ta­na nicht mit Orches­ter).

Wei­ter Tho­mas M. Stein:

Er hat spä­ter einen Knick bekom­men in der Kar­rie­re, lus­ti­ger­wei­se, weil er von der nor­ma­len Akus­tik­gi­tar­re zur elek­tri­schen Gitar­re über­ge­gan­gen ist. Das haben ihm die alten Fans übel genom­men.

Ja, übel genom­men haben sie’s ihm, aber nicht „spä­ter“, son­dern beim New­port Folk Fes­ti­val 1965 – mehr als vier Jah­re vor Wood­stock.

Aber gehen wir doch noch ein paar Schrit­te zurück in die Geschich­te:

Hier in Min­ne­so­ta, USA kommt Robert Allen Zim­mer­man 1941 zur Welt.

Nun ist „hier in Min­ne­so­ta“ eigent­lich ein biss­chen unprä­zi­se, weil der Staat mit 225.000 Qua­drat­ki­lo­me­tern fast so groß ist wie die Bun­des­re­pu­blik ohne DDR, aber zum Glück kann man das ja bild­lich etwas prä­zi­sie­ren:

Irgend­wo ent­lang die­ser Stra­ße, also.

Doch es kommt noch schlim­mer. Viel schlim­mer, als sich die kran­ken Köp­fe hin­ter „Saw“, „Hos­tel“ und „Final Desti­na­ti­on“ es sich jemals hät­ten aus­den­ken kön­nen.

Auf­tritt Bern­hard Brink.

Den Schla­ger­sän­ger, der „in einem ande­ren Gen­re zuhau­se ist“, hat das ARD-Team offen­bar in sei­nem Lieb­lings­wein­lo­kal ange­trof­fen, wo er von der „gro­ßen Zeit der APO, Ende der Ach­ten­sech­zi­ger, in der gro­ßen Pro­test­zeit“ schwär­men darf. Er habe sich selbst „auch ’n Play­back besorgt von dem Klas­si­ker, hier“, des­sen Titel Brink offen­bar nicht mehr ein­fal­len will, was er aber char­mant mit einer eige­nen Inter­pre­ta­ti­on von „Blo­win‘ In The Wind“ über­geht.

So schlimm ist dann wie­der­um Bern­hard Brinks Gesangs­ein­la­ge nicht – zumin­dest, wenn man sie mit den zusam­men­hang­lo­sen Sät­zen ver­gleicht, die jetzt wie­der aus dem Off blub­bern:

Doch Bob Dylan will sich vor kei­nen Kar­ren span­nen las­sen; nicht für die Frie­dens­be­we­gung, nicht für die Musik­in­dus­trie. Dar­an ändert auch sei­ne Lie­be zu Sän­ge­rin Joan Baez nichts. Inter­views gibt er sel­ten – und wenn, dann kurz und schmerz­haft.

Man könn­te anneh­men, die „Brisant“-Leute hät­ten sich Joan Baez hier als eine Art Kar­ren gedacht, wenn es nicht kei­nen Grund gebe, anzu­neh­men, dass sie sich irgend­et­was gedacht haben.

Es folgt ein kur­zer Aus­schnitt, in dem sich ein sehr jun­ger Bob Dylan über eine sehr dum­me Inter­view-Fra­ge echauf­fiert, dann geht der über­ra­schen­de Ein­satz von Kon­nek­tiv­par­ti­keln wei­ter:

Den­noch: Von den zehn bes­ten Schall­plat­ten der Pop­ge­schich­te stam­men zwei von Bob Dylan.

Bis hier­hin ist es ein pein­li­cher, ahnungs­lo­ser Bei­trag. Doch jetzt wird der Jubi­lar nicht mehr nur von Schla­ger­bar­den besun­gen, jetzt wer­den ihm halt­lo­se Vor­wür­fe gemacht:

Ohne ihn hät­te es die deut­sche Rock­band BAP womög­lich nie gege­ben.

Natür­lich! Wenn in Deutsch­land alle Dyla­no­lo­gen abge­sagt haben mit dem Hin­weis, für sol­che Quatsch­for­ma­te wür­den sie nicht den Ham­pel­mann machen, dann gibt es immer noch Wolf­gang Nie­de­cken, den „Dylan der Süd­stadt“, von dem man einen kur­zen O‑Ton kriegt.

Dann spricht wie­der die Bou­le­vard-Fern­seh-Tan­te:

Der Mensch Dylan aber bleibt prak­tisch unsicht­bar: Nie­mand weiß genau­es über sei­ne vier Kin­der, das Schei­tern sei­ner ers­ten Ehe, wenig über sei­ne Dro­gen­sucht.

Das „aber“ hat natür­lich wie­der kei­ne logi­sche Funk­ti­on und tat­säch­lich gibt es über zwei der vier Dylan-Kin­der nicht mal Wiki­pe­dia-Ein­trä­ge, aber als Regis­seur von „Ame­ri­can Pie 3“ bzw. als Sän­ger der Wall­flowers sind Jes­se und Jakob Dylan dann doch irgend­wie mal so ein biss­chen in Erschei­nung getre­ten.

Doch zurück zu Bob und des­sen Schaf­fen, das Tho­mas M. Stein wie folgt zusam­men­fasst:

Er hat gezeigt, dass man neben „Lala“ auch noch was ande­res sin­gen kann.

Das hät­te nicht mal der Graf von Unhei­lig ver­dient.

[via Ralf]