Kategorien
Musik

Alben des Jahres 2018

In Groß­bri­tan­ni­en ist der Absatz von CDs im ver­gan­ge­nen Jahr um 23% ein­ge­bro­chen. Wenn das in Deutsch­land ähn­lich aus­se­hen – und die Zah­len des ers­ten Halb­jah­res deu­ten dar­auf hin – trifft mich sicher­lich eine Mit­schuld, denn so weni­ge CDs gekauft wie im letz­ten Jahr habe ich bestimmt seit 20 Jah­ren nicht mehr.

Dafür habe ich (auch weil ich end­lich mal wie­der rich­tig musik­jour­na­lis­tisch tätig bin) so viel Musik gehört wie seit vie­len Jah­ren nicht mehr – und zwar über Spo­ti­fy, was sich für mich immer noch so anfühlt, wie an die­sen Hör­sta­tio­nen, die es frü­her im Saturn gab, kurz in die CD rein­zu­hö­ren, die man in der Hand hält, ohne die Hül­le öff­nen zu müs­sen.

Ich bin, wie schon mal ange­deu­tet, medi­al kon­ser­va­tiv: Ich mag linea­res Fern­se­hen, weil ich mich dort nur zwi­schen knapp 80 Sen­dern (rea­lis­ti­scher­wei­se für mich: zwölf) ent­schei­den muss und nicht zwi­schen zehn­tau­sen­den Strea­ming-Ange­bo­ten. ((Ich nut­ze gera­de einen Monat lang Net­flix, weil ich „Springsteen on Broad­way“ sehen woll­te, und ich fin­de die­se gan­ze Platt­form so schlimm, dass ich fast schon Angst vor gro­ßen, roten „N„s habe, wenn ich sie irgend­wo sehe.)) Ich lese Tex­te am Liebs­ten auf Papier, weil ich dann hin­ter­her wenigs­tens noch unge­fähr weiß, was drin stand. Und ich habe mei­ne Musik und Fil­me ger­ne auf klei­nen sil­ber­nen Schei­ben, die kaputt gehen kön­nen, wenn sie in die Hän­de von Klein­kin­dern gera­ten oder 30 Jah­re rum­ste­hen.

Und selbst, wenn im letz­ten Jahr nur weni­ge CDs zu mei­ner Samm­lung hin­zu­ge­kom­men sind, glau­be ich immer noch an die Idee des Albums, also eines in sich geschlos­se­nen Werks, bei dem die ein­zel­nen Stü­cke in einer Rei­hen­fol­ge ste­hen, die die Künstler*innnen kurz vor der Ver­öf­fent­li­chung als defi­ni­tiv erach­tet haben – wes­we­gen es mich auch wahn­sin­nig macht, wenn auf „Spe­cial Edi­ti­ons“ zum x. Jubi­lä­um eines Albums plötz­lich die Rei­hen­fol­ge oder gar die Aus­wahl der Songs geän­dert wer­den.

Lan­ge Rede, kur­zer Sinn: Hier sind mei­ne 10 Alben des Jah­res 2018!

10. Hay­ley Kiyo­ko – Expec­ta­ti­ons (Spo­ti­fy, Apple Music)
Am 1. Janu­ar 2018 rief Hay­ley Kiyo­ko via Twit­ter das Jahr „20GAYTEEN“ aus – und tat danach alles, damit sich ihre Vor­her­sa­ge bewahr­hei­tet. Ihr Debüt­al­bum „Expec­ta­ti­ons“ ist zu wei­ten Tei­len Rosé­wa­ve in Rein­form und damit genau das, was ich in die­sem unend­li­chen Som­mer hören woll­te!

9. Toco­tro­nic – Die Unend­lich­keit (Spo­ti­fy, Apple Music)
Viel, viel, viel zu sel­ten gehört: Ange­kün­digt als „Kon­zept­al­bum“ und „Auto­bio­gra­phie in 12 Kapi­teln“ (das Album ent­hält 16 Titel) durf­te man vor­ab ein biss­chen besorgt, aber auch gespannt sein. Toco­tro­nic haben alle Erwar­tun­gen pul­ve­ri­siert und ein Werk (ja: ein Werk!) vor­ge­legt, das in so vie­le Rich­tun­gen geht, in so vie­len Far­ben schil­lert und doch genau die Essenz die­ser Band wie­der­gibt.

8. Res­to­ra­ti­ons – LP5000 (Spo­ti­fy, Apple Music)
24 Minu­ten, sie­ben Songs – mehr braucht es nicht für ein beein­dru­cken­des Album, das Geschich­ten aus einem Ame­ri­ka erzählt, das ver­wirrt und gespal­ten ist. Mit heu­len­den Gitar­ren, Rock’n’Roll-Ges­ten und Pathos, mit Bruce Springsteen im Tank und The Gas­light Anthem, The Hold Ste­ady und Japan­dro­ids im Rück­spie­gel (wo die Din­ge ja immer fer­ner erschei­nen, als sie in Wirk­lich­keit sind).

7. Clue­so – Hand­ge­päck I (Spo­ti­fy, Apple Music)
Da hät­te ich jetzt auch nicht unbe­dingt mit gerech­net: Dass Clue­so ein Album raus­bringt, das mich so abholt und mit­nimmt. Dar­über, wie es ist, unter­wegs zu sein und an zuhau­se zu den­ken, über die Welt und die eige­ne Rol­le dar­in – sehr redu­ziert und sehr anrüh­rend. Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re schwärm­te von „Clue­sos ‚Sea Chan­ge‘ “, mich hat es in sei­ner Wirk­mäch­tig­keit an Tom Liwas „St. Amour“ erin­nert. (Fun fact: Clue­so ist inzwi­schen ziem­lich genau so alt wie Tom Liwa, als der „St. Amour“ auf­ge­nom­men hat. Uff!)

6. Andrew McMa­hon In The Wil­der­ness – Upsi­de Down Flowers (Spo­ti­fy, Apple Music)
Okay, okay: Andrew McMa­hon ist mir so nahe wie sonst nur Ben Folds, kett­car und R.E.M. (und viel­leicht noch ein, zwei Dut­zend ande­re Acts), aber nach dem letz­ten Album „Zom­bies On Broad­way“ hat­te ich ehr­lich gesagt nicht mehr mit viel gerech­net. Umso erfreu­ter war ich, dass sich „Upsi­de Down Flowers“ als Rück­kehr zu alten Höhen ent­pupp­te. Viel­leicht habe ich das Album nach sei­nem Erschei­nen im Novem­ber ein biss­chen über­do­siert, aber: Es ist auch wirk­lich gut!

5. Meg Myers – Take Me To The Dis­co (Spo­ti­fy, Apple Music)
Sie moch­ten Gar­ba­ge, Hole, Fio­na Apple, Gar­ba­ge, Tori Amos und Skunk Anan­sie und sind trau­rig, dass die 1990er Jah­re vor­bei sind? Ver­zwei­feln Sie nicht: Zie­hen Sie sich Ihr Holz­fäl­ler­hemd an, legen Meg Myers‘ zwei­tes Album auf und dre­hen die Laut­stär­ke hoch! So viel Druck, so viel Inti­mi­tät und so ver­dammt klu­ge Tex­te! (Letzt­lich also auch irgend­wie für Leu­te, denen Tay­lor Swifts „Repu­ta­ti­on“ nicht kon­se­quent genug war.)

4. Leo­ni­den – Again (Spo­ti­fy, Apple Music)
Da hät­te ich jetzt auch nicht mit gerech­net: Dass aus Deutsch­land noch mal ein rich­tig gutes Indie­rock-Album kommt – auf Eng­lisch! 32 Minu­ten, zehn Songs, aber Ideen für knapp 50: Auf „Again“ pas­siert so viel, dass man eigent­lich Buch füh­ren müss­te – was lei­der nicht geht, weil das Album so sehr groovt. Ich scheue mich nicht, Leo­ni­den in der Tra­di­ti­on der ganz gro­ßen deut­schen Indiero­cker wie Pale und Miles zu sehen. Viel­leicht klappt’s ja dies­mal mit dem gro­ßen Erfolg!

3. Oh Pep! – I Wasn’t Only Thin­king About You… (Spo­ti­fy, Apple Music)
Irgend­wo zwi­schen Folk und Indie­rock ruht das zwei­te Album des aus­tra­li­schen Frau­en­du­os Oh Pep! (Fun Fact: Pepi­ta Emme­richs [Vio­li­ne, Man­do­li­ne] hat in der Ver­fil­mung von „Wo die wil­den Ker­le woh­nen“ die gro­ße Schwes­ter von Max gespielt – und man muss ja alle Men­schen, die irgend­et­was mit die­sem abso­lut wun­der­vol­len Film zu tun hat­ten, eigent­lich schon des­halb toll fin­den!) Ich höre Melan­cho­lie, Trost, Anflü­ge von Sar­kas­mus und Wut und zehn gran­dio­se Songs.

2. DJ Koze – Knock Knock (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wäh­rend die meis­ten Alben hier auf mei­ner Lis­te die Halb­stun­den-Mar­ke nicht signi­fi­kant über­schrei­ten, ist „Knock Knock“ eher unkna­cki­ge 78 Minu­ten lang. So viel Zeit brau­chen die Tracks aber auch, um sich auf­zu­bau­en, aus­zu­brei­ten und die Hörer*innen ein­zu­wi­ckeln wie in eine war­me Decke. Mit illus­tren Gäs­ten wie Rói­sín Mur­phy, José Gon­za­les und Kurt Wag­ner hat DJ Koze ein abwechs­lungs­rei­ches Album zusam­men­ge­baut, das auch schon 20 Jah­ren alt sein könn­te – was hier aus­drück­lich als Kom­pli­ment gemeint ist.

1. Rae Mor­ris – Someone Out The­re (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wenn ich im März begeis­tert bin, kann sich das auch mal bis in den Dezem­ber hal­ten: Rae Mor­ris hat mit ihrem zwei­ten Album ein­fach mein Album des Jah­res auf­ge­nom­men – leicht, ver­spielt, melan­cho­lisch, humor­voll, warm­her­zig und sexy. Kurz­um: Wäre die­ses Album ein Mensch, wäre es der per­fect crush.

Kategorien
Musik

Ein Sommer in pink

Es gibt ja so Men­schen, die man trifft und sofort am Liebs­ten mit ihnen befreun­det wäre. (Oder in sel­te­nen Fäl­len: ver­hei­ra­tet.) Es gibt aber auch Men­schen, die man sich sofort als Kol­le­gen wünscht und dazu gehö­ren für mich die Leu­te von NPR Music. Die Musik­re­dak­ti­on des öffent­li­chen US-Radi­os macht erst­klas­si­gen Musik­jour­na­lis­mus (u.a. im Pod­cast „All Songs Con­side­red“), ist rich­tig breit auf­ge­stellt und ihre Mit­glie­der wir­ken alle unfass­bar fach­kun­dig und sym­pa­thisch.

Jetzt haben die­se tol­len Leu­te von NPR Music ein neu­es Musik­gen­re erfun­den (wobei „erfun­den“ eigent­lich nicht ganz stimmt, eher „gefun­den“): Rosé­wa­ve. Wer sich bei die­ser maxi­mal tref­fen­den Bezeich­nung noch nicht ganz vor­stel­len kann, um was es geht, soll­te an Acts wie HAIM, Car­ly Rae Jep­sen, Tegan And Sara und Vam­pi­re Weekend den­ken. Und an jun­ge Men­schen, die unter­be­zahlt viel zu vie­le Stun­den in Agen­tu­ren in der gro­ßen Stadt klop­pen und sich dann nach Fei­er­abend mit ihren Freun­den in öffent­li­chen Parks tref­fen, Musik aus Blue­tooth-Boxen hören und dabei … nun ja: Rosé trin­ken.

Mir war das Anfangs nicht klar, aber Rosé­wa­ve deckt als Gen­re wei­te Tei­le mei­nes eige­nen Musik­ge­schmacks ab (rea­lis­ti­scher­wei­se könn­te man auch sehr viel ESC-Musik dar­un­ter ein­sor­tie­ren). Und weil die Men­schen bei NPR Music nicht nur sehr sym­pa­thisch sind, son­dern auch sehr gewis­sen­haft, sind sie nach einem Auf­schlag im ver­gan­ge­nen Jahr jetzt so rich­tig bei der Sache mit einer eige­nen Fol­ge „All Songs Con­side­red“ und wöchent­lich neu­en Play­lists mit ver­schie­de­nen, ja: Schwer­punk­ten. Da geht es dann um die schöns­ten Rosé­wa­ve-Songs bei Lie­bes­kum­mer, die bes­ten Rosé­wa­ve-Sin­gle-Hym­nen und spe­zi­el­le Rosé­wa­ve-Tracks für Män­ner. Ich bin mir bei­na­he sicher, dass sie mit der gan­zen Num­mer ein biss­chen über­trei­ben — und fin­de es doch sen­sa­tio­nell toll. So toll, dass ich dann neu­lich im Super­markt tat­säch­lich Rosé gekauft habe. Wenn der Som­mer noch zwei Mona­te anhält, habe ich mich bis dahin bestimmt auch an den Geschmack gewöhnt.

Die­ser Text erschien ursprüng­lich in mei­nem News­let­ter „Post vom Ein­hein­ser“, für den man sich hier anmel­den kann.