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Listenpanik: Songs 2007

Nie­mand weiß so recht, war­um man sich aus­ge­rech­net immer den doch recht belie­bi­gen Zeit­raum eines Kalen­der­jah­res aus­sucht, um Lis­ten zu erstel­len von den Din­gen, die da waren und über die High­lights abstim­men zu las­sen. Aber es ist nun mal seit län­ge­rem so, dass im Dezem­ber zurück­ge­blickt, unver­gleich­li­ches ver­gli­chen und unbe­schreib­li­ches beschrie­ben wird. Und die­sem heid­ni­schen Brauch schlie­ße ich mich ger­ne an und eröff­ne mit der Lis­te mei­ner Songs Hym­nen des Jah­res:

1. Shout Out Louds – Tonight I Have To Lea­ve It
Der „Ach, das sind gar nicht The Cure?“-Song des Jah­res. Die Hym­ne des Hald­ern Pop Fes­ti­vals. Das Lied des Jah­res.

2. Kai­ser Chiefs – Ruby
Wie lang ist die Min­dest­halt­bar­keit für Mit­gröl­hym­nen? Erstaun­li­cher­wei­se doch schon fast ein gan­zes Jahr. Wenn man das Lied auch nach hun­dert Mal hören und im nüch­ter­nen Zustand noch gut fin­det, ist das schon die Sil­ber­me­dail­le wert.

3. Kili­ans – When Will I Ever Get Home
Let me intro­du­ce you to some fri­ends of mine. Gute Freun­de zu haben, die tol­le Musik machen, und sich mit ihnen über ihren Erfolg zu freu­en, ist das eine. Das ande­re ist, immer noch auf­rich­tig begeis­tert zu sein von einer mör­der­gu­ten Sta­di­on­rock-Hym­ne wie die Kili­ans die­se hier aus dem Ärmel geschüt­telt haben.

4. Wir Sind Hel­den – The Geek (Shall Inhe­rit)
Nicht, dass ich Wir Sind Hel­den nicht gene­rell für eine tol­le Band hal­ten wür­de, deren Auf­stieg ich seit bei­na­he dem ers­ten Tag mit Freu­den ver­fol­ge. Aber dass sie auf jedem ihrer guten bis sehr guten Alben immer noch einen Song drauf haben, der alle ande­ren um Mei­len über­ragt, macht sie noch ein biss­chen tol­ler. Nach „Denk­mal“ und „Wenn es pas­siert“ jetzt also „The Geek (Shall Inhe­rit)“, die Außen­sei­ter-Hym­ne des Jahr­zehnts.

5. Jus­ti­ce – D.A.N.C.E.
Viel­leicht der Kon­sens-Song des Jah­res: Ob Rocker, Hip-Hop­per oder Elek­tri­ker – auf „D.A.N.C.E.“ konn­ten sich (fast) alle eini­gen. Ein Tanz­bo­den­fül­ler son­der­glei­chen und ver­mut­lich eine der Num­mern, die man unse­ren Kin­dern in drei­ßig Jah­ren auf einem Sam­pler der „größ­ten Hym­nen der Nuller Jah­re“ im Tele­shop (bzw. des­sen Nach­nach­fol­ger) ver­kau­fen wird.

6. Just Jack – Starz In Their Eyes
Hip-Hop? Dis­co? Ein unglaub­lich gut gemach­ter Song mit einem sehr klu­gen Text und immensem Mit­wipp­f­ak­tor. Und jetzt las­sen Sie mich end­lich als Wer­be­tex­ter arbei­ten!

7. Mode­st Mou­se – Dash­board
Nach 14 Jah­ren Band­ge­schich­te gelang Mode­st Mou­se mit der ers­ten Sin­gle aus ihrem fünf­ten Album doch noch so etwas wie ein Durch­bruch. Mit die­ser Indiepop-Per­le, einem Ex-Schmitz an der Gitar­re und dem völ­lig über­dreh­ten Pira­ten-Video.

8. Bloc Par­ty – I Still Remem­ber
Bloc Par­ty haben mich mit ihrem Zweit­werk „A Weekend In The City“ so sehr über­zeugt, dass sie – so viel sei schon ver­ra­ten – zum zwei­ten Mal mein per­sön­li­ches Album des Jah­res stel­len. „I Still Remem­ber“ ist unter den alle­samt gro­ßen Songs der Plat­te der größ­te, weil er trotz des eher trau­ri­gen Tex­tes eine Eupho­rie ver­brei­tet, die einen für 3:50 Minu­ten alles ver­ges­sen lässt.

9. Tra­vis- Sel­fi­sh Jean
Wer hät­te gedacht, dass Tra­vis zehn Jah­re nach ihrem Debüt doch noch mal den Rock für sich ent­de­cken wür­den? Mit dem char­man­tes­ten „Lust For Life“-Ripoff seit … äh: „Lust For Life“ tan­zen sich die sym­pa­thischs­ten Schot­ten im Musik­ge­schäft in die Top 10.

10. Litt­le Man Tate – Euro­pean Lover
Wenn es die Kili­ans nicht gäbe, hät­ten Litt­le Man Tate gute Chan­cen auf mei­nen Titel „New­co­mer des Jah­res“. „Euro­pean Lover“ ist dabei der ein­gän­gigs­te, char­man­tes­te Song ihres Debüt­al­bums „About What You Know“.

11. Beat­steaks – Cut Off The Top
Zu den Beat­steaks muss man nicht mehr viel sagen, die haben immer schon fast alles rich­tig gemacht und mit „Lim­bo Mes­siah“ ist ihnen wie­der ein Top-Album gelun­gen. „Cut Off The Top“ besticht durch sei­nen trei­ben­den Beat und den phan­tas­ti­schen Mit­gr­öl-Refrain: „Dama­ge, dama­ge!“

12. Muff Pot­ter – Die Guten
War­um gibt es eigent­lich so vie­le gute deutsch­spra­chi­ge Songs über Bezie­hungs­en­den? Viel­leicht, weil es so vie­le deutsch­spra­chi­ge Songs über Bezie­hungs­en­den gibt und wenn man den gan­zen Müll von Revol­ver­held, Juli oder Sil­ber­mond weg­lässt, blei­ben eben die guten über. Oder, haha: „Die Guten“. Mit gewohnt tol­lem Text und schö­nen Jim­my-Eat-World-Gitar­ren errei­chen Muff Pot­ter ihre inzwi­schen schon tra­di­tio­nel­le Erwäh­nung auf mei­nen Bes­ten­lis­ten.

13. Rihan­na feat. Jay‑Z – Umbrel­la
Wenn ich an Kate­go­rien wie „Pein­lichs­tes Lieb­lings­lied“ glau­ben wür­de, stün­de die­ses Lied die­ses Jahr unan­ge­foch­ten auf Platz 1. Aber war­um soll­ten einem Lie­der, die man toll fin­det, pein­lich sein? Des­halb: „Umbrel­la“ ist ein tol­ler Song, der auch dann noch gut wäre, wenn Rihan­na eine dicke, alte Frau wäre. Punkt.

14. Babysham­bles – Deli­very
Wer Pete Doh­erty nur als Ex-Freund und Dro­gen­op­fer aus der Bou­le­vard­pres­se kennt, ist doof mag erstaunt sein, dass der Mann auch Musik macht – und zwar rich­tig gute. Mit der bes­ten Post-Liber­ti­nes-Sin­gle ever hat der Mann wie­der ein biss­chen an sei­nem Denk­mal gebaut, an des­sen Demon­ta­ge er sonst so eif­rig arbei­tet.

15. The Blood Arm – Sus­pi­cious Cha­rac­ter
Der Refrain des Jah­res: „I like all the girls and all the girls like me“, so lan­ge wie­der­holt, bis es der Dümms­te glaubt. Oder der Sän­ger selbst. Wenn man sol­che Rock­songs dann auch noch mit Kla­vie­ren auf­hübscht, kann man sich mei­ner Begeis­te­rung sicher sein.

16. Kate Nash – Foun­da­ti­ons
Irgend­wie schei­ne ich eine Schwä­che für Frau­en mit außer­ge­wöhn­li­chem bri­ti­schen Akzent zu haben. Was letz­tes Jahr Lily Allen war, ist die­ses Jahr Kate Nash. „Foun­da­ti­ons“ hat dar­über hin­aus einen char­man­ten Text, ein Kla­vier (s.o.) und ist sowie­so ein rund­her­um tol­ler Song.

17. The Wom­bats – Let’s Dance To Joy Divi­si­on
Erstaun­lich, dass es immer noch Bands gibt, die im Prin­zip genau die glei­che Musik wie alle ande­ren machen und trotz­dem viel, viel tol­ler sind. The Wom­bats sind so ein Fall einer mich über­ra­schen­der­wei­se begeis­tern­den Kapel­le, „Let’s Dance To Joy Divi­si­on“ eine äußerst gelun­ge­ne Sin­gle.

18. Lady Sove­reign – Love Me Or Hate Me
Dass die­ser Song in Deutsch­land kein Hit wur­de und Lady Sove­reign kein Star, hat mich dann doch über­rascht. Viel­leicht ist weib­lich, bri­tisch und rap­pen dann doch kei­ne Kom­bi­na­ti­on für „Bravo“-Leser. Scha­de eigent­lich, denn „Love Me Or Hate Me“ ist mein Hip-Hop-Song des Jah­res.

19. Stars – The Night Starts Here
Und hier die bei Cof­fee And TV am sträf­lichs­ten ver­nach­läs­sig­te Band des Jah­res: Stars. „In Our Bed­room After The War“ ist eine wahn­sin­nig gute Plat­te, die uns in der Lis­te der bes­ten Alben noch ein­mal recht weit vor­ne begeg­nen wird; „The Night Stars Here“ ist bes­ter orches­tra­ler Indiepop.

20. Maxï­mo Park – Girls Who Play Gui­tars
Maxï­mo Park waren neben Bloc Par­ty die span­nends­te Band der Class of 2005 und wie Bloc Par­ty haben auch sie die­ses Jahr ein über­zeu­gen­des Zweit­werk her­aus­ge­bracht. „Girls Who Play Gui­tars“ ist dabei noch einen Tacken bes­ser als die ande­ren Songs.

21. Bruce Springsteen – Radio Nowhe­re
Und hier der Alters­prä­si­dent mei­ner dies­jäh­ri­gen Bes­ten­lis­te, der Mann, den sie „Boss“ nen­nen. Wenn ich mit 56 noch Blog­ein­trä­ge schrei­be wie Bruce Springsteen Songs, wer­de ich mich sehr, sehr glück­lich schät­zen.

22. Mika – Grace Kel­ly
Wann fin­gen Mika und die­ser Song eigent­lich an zu ner­ven? Irgend­wann im Som­mer dürf­te es gewe­sen sein, wes­we­gen sich „Grace Kel­ly“ in der kon­ti­nu­ier­lich aktua­li­sier­ten Bes­ten­lis­te bestän­dig nach unten kämpf­te. Mit etwas Abstand betrach­tet ist das Lied dann aber immer noch ganz gut. Das kön­nen wir ja in zehn Jah­ren noch mal über­prü­fen.

23. Crow­ded House – Don’t Stop Now
Wen inter­es­sie­ren Led Zep­pe­lin, die vor 20 Mil­lio­nen Zuschau­ern hät­ten spie­len kön­nen? Das Come­back des Jah­res gelang Crow­ded House, die genau da wei­ter­ma­chen, wo sie vor elf Jah­ren auf­ge­hört haben: mit zeit­los-tol­len Pop­songs.

24. Toco­tro­nic – Imi­ta­tio­nen
Toco­tro­nic darf man jetzt wohl auch ruhi­gen Gewis­sens auf die Lis­te der Bands set­zen, die wohl nichts mehr falsch machen wer­den in ihrer Kar­rie­re. „Kapi­tu­la­ti­on“ ist wie­der ein her­aus­ra­gen­des, sehr klu­ges Album gewor­den, „Imi­ta­tio­nen“ eines der High­lights. „Dein gut ist mein gut /​ Dein schön ist mein schön.“

25. Ste­reo­pho­nics – Dai­sy Lane
Selbst auf ihren schwä­che­ren Alben hat­ten die Ste­reo­pho­nics immer min­des­tens einen Song, den ich noch gut fand. „Pull The Pin“ ist aber noch nicht mal ein schwa­ches Album. Das hyp­no­ti­sche „Dai­sy Lane“ ist den­noch das High­light der Plat­te und per­fekt geeig­net, die­se Lis­te zu beschlie­ßen.

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Über Listen

Jedes Jahr im Dezem­ber ist es das glei­che Elend: Musik­zeit­schrif­ten und Web­sei­ten-Betrei­ber rufen ihre Leser zum Ein­sen­den derer per­sön­li­chen Jah­res­hit­pa­ra­den auf und ich sit­ze mit zer­wühl­ten Haa­ren und wir­rem Blick vor mei­nem Com­pu­ter und einem Berg von Noti­zen und ver­su­che, Ord­nung in das Musik­jahr zu brin­gen.

Den­ke ich wäh­rend des Jah­res immer, es sei­en ja dies­mal nicht soooo vie­le gute Songs und Alben erschie­nen, zwi­schen denen ich mich ent­schei­den müs­se, wird die­se Ein­schät­zung spä­tes­tens beim Anblick der extra dafür ange­leg­ten iTu­nes-Play­list bzw. der eige­nen Sta­tis­tik bei last.fm zunich­te gemacht. Immer­hin weiß ich jetzt, wel­che Songs ich am häu­figs­ten gehört habe – aber waren das auch die bes­ten? Und wie defi­nie­re ich „die bes­ten“? Nach pseu­do-objek­ti­ven Kri­te­ri­en oder danach, wie viel Spaß ich beim Hören habe? Wür­de ich ein­fach mei­nen häu­figs­ten und pene­tran­tes­ten Ohr­wurm zum „Song des Jah­res“ ernen­nen, wäre das „Umbrel­la“ von Rihan­na – aber auch nur, weil „Durch den Mon­sun“ von Tokio Hotel, der mir nach den EMAs drei Wochen lang im Hirn kleb­te, schon zwei Jah­re alt ist.

Dabei trägt es nicht gera­de zur schnel­len Fin­dung bei, wenn der eige­ne Musik­ge­schmack immer eklek­ti­scher wird und sich auf der Long­list mun­ter Indierock­bands, Girl­groups, Hip-Hop­per, Main­stream-Pop­per, Deutsch­punks und Elek­tro­ni­ker tum­meln. Denn, mal im Ernst: Wie soll ich „Love Me Or Hate Me“ mit „Don’t Stop Now“ ver­glei­chen, wie „D.A.N.C.E.“ mit „Imi­ta­tio­nen“?

Nun wird der Außen­ste­hen­de viel­leicht den­ken: „War­um tut sich die­ser jun­ge Mann das an? War­um ver­schwen­det er sei­ne Zeit mit so unbe­deut­sa­men Über­le­gun­gen? Er soll lie­ber was gegen den Treib­haus­ef­fekt tun oder der CDU die Herd­prä­mie aus­re­den!“ Das Erstel­len per­sön­li­cher Bes­ten­lis­ten nimmt sich gegen das Elend in Dar­fur oder auch nur das vor der eige­nen Haus­tür natür­lich lächer­lich und klein aus, aber in die­sen Dimen­sio­nen den­ken Pop­kul­tur­fans nicht. Und selbst wenn: Es wür­de kaum etwas ändern.

Wer „High Fide­li­ty“ gele­sen und sich dar­in wie­der­ge­fun­den hat, ist von einem inne­ren Zwang getrie­ben, das Unsor­tier­ba­re sor­tie­ren zu wol­len und die gro­ße Unord­nung, die Rock’n’Roll nun mal ist, in geord­ne­te Bah­nen len­ken zu müs­sen. Dabei müs­sen auch so ver­schie­de­ne Dimen­sio­nen wie der Song, bei dem man das ers­te Mal ein Mäd­chen geküsst hat, und das Lied, das man als ers­tes gehört hat, als Elliott Smith sich umge­bracht hat, irgend­wie mit­ein­an­der ver­gli­chen wer­den kön­nen.

Genau die­sem Dilem­ma bin ich jetzt aus­ge­setzt. Aber ich kann Ihnen ver­si­chern: Sie wer­den es auch noch!

PS: Da ich kei­ne pas­sen­de Stel­le in die­sem Ein­trag gefun­den habe, wo ich den wun­der­ba­ren jüngs­ten Bei­trag in Phil­ipp Hol­steins Pop­kul­tur­blog bei „RP Online“ hät­te ver­lin­ken kön­nen, mache ich es ein­fach geson­dert hier.

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Der musikalische Aschermittwoch: Who Invented These Lists?

Nicht nur die Poli­ti­ker machen heu­te aller­or­ten Bestands­auf­nah­men, auch ich wer­fe einen Blick ins Plat­ten­re­gal und ver­su­che fest­zu­hal­ten, was da so bis­her unter dem Erschei­nungs­jahr 2007 ein­sor­tiert wur­de.

Alben
1. Bloc Par­ty – A Weekend In The City
„Silent Alarm“ hat (fast) alle kalt erwischt: vor zwei Jah­ren, auf dem ers­ten Höhe­punkt der Newest Wave, waren Bloc Par­ty plötz­lich da und klan­gen so anders als der gan­ze Rest. Die Erwar­tungs­hal­tun­gen für den Nach­fol­ger waren rie­sig und was tut die Band? Schlägt so vie­le Haken, dass man erst gar nicht merkt, dass das Zweit­werk noch grö­ßer ist als das Debüt.
Eine Art Kon­zept­al­bum über Lon­don und Eng­land all­ge­mein, geprägt von der dor­ti­gen Para­noia und Gewalt, von Exszes­sen und der immer glei­chen Suche nach Lie­be. Die ganz gro­ßen The­men, gehau­en in nicht min­der gro­ße Songs, die auf dem Grat zwi­schen ver­stö­rend und über­wäl­ti­gend tan­zen.
Aus­ge­wähl­te High­lights zu bestim­men, erscheint schon fast unmög­lich. Mein per­sön­li­cher Favo­rit aber von Anfang an: „Sun­day“, nicht zuletzt wegen des Refrains „I love you in the mor­ning /​ When you’­re still hung over /​ I love you in the mor­ning /​ When you’­re still strung out“. Das dürf­te die­ses Jahr schwer zu top­pen sein.

2. The Blood Arm – Lie Lover Lie
Schreibt der Musik­ex­press, die klän­gen wie eine Mischung aus Ben Folds Five und Franz Fer­di­nand. Denk ich: „Das wol­len wir doch erst mal sehen“. Da dröhnt es aus den Boxen der Indi­edis­cos: „I like all the girls and all the girls like me“, immer und immer wie­der. Das Ren­nen um die Text­zei­len des Jah­res ist also ganz sicher noch nicht ent­schie­den und der dazu­ge­hö­ri­ge Song „Suspci­cious Cha­rac­ter“ hat alle Chan­cen, mei­ne Sin­gle des Jah­res zu wer­den.
Das zwei­te Album des Quar­tetts aus L.A. hat aber mehr zu bie­ten als text­ar­me Mit­gröl­hym­nen: „Going To Ari­zo­na“ ist eine herr­li­che Folk­num­mer zum, nun ja: Mit­grö­len, und „Dolo­res Deli­vers A Glo­rious Death“ ein fast schon töd­li­cher Schun­k­ler. Es gibt eine wei­te­re Band, die das Kla­vier zum Rocken nutzt und im Gitar­ren­ver­lieb­ten Indie­rock abstellt, was will man mehr?

3. Litt­le Man Tate – About What You Know
Shef­field, Part­ner­stadt Bochums und Hei­mat von Pulp und der Arc­tic Mon­keys. Letz­te­re sind dafür ver­ant­wort­lich, dass wohl bald jeder ver­pi­ckel­te Schul­jun­ge in der Stadt, der eine Gitar­re hal­ten kann, einen Plat­ten­ver­trag unter­schrei­ben muss. Bevor es aber so weit ist (und der gro­ße Rock’n’Roll-Cir­cus womög­lich nach Dar­ling­ton wei­ter­zieht), dür­fen wir uns am Debüt­al­bum von Litt­le Man Tate erfreu­en.
Die machen das, was man als jun­ge Band halt so macht: leicht rot­zi­gen Gitar­ren­pop mit mehr oder weni­ger bis­si­gen Tex­ten und ein­gän­gi­gen Melo­dien. Der Ope­ner „Man I Hate Your Band“, das schon mehr­fach als Sin­gle aus­ge­kop­pelt wor­den war, spielt dann auch gleich mit den gan­zen Kli­schees, die Schü­ler­bands auf Musik­ma­ga­zin­ti­tel­bil­dern so mit sich brin­gen, aber auch „Euro­pean Lover“ und „Court Report“ sprin­gen direkt aus dem All­tag in die Radi­os die­ser Welt. Bochum hat immer noch nur Grö­ne­mey­er. Noch.

4. Cold War Kids – Rob­bers And Cowards
Da kommt jah­re­lang nichts Neu­es aus Kali­for­ni­en und jetzt haben wir hier schon die zwei­te Band, die am Pazi­fik zu Hau­se ist: auch Indie­rock im wei­tes­ten Sin­ne, auch ab und zu mal mit Kla­vier, aber ins­ge­samt ein weni­ger kan­ti­ger als The Blood Arm. Man erahnt ein wenig Tom-Waits-Ein­flüs­se (Cali­for­nia, you know?), auch Ver­glei­che mit Clap Your Hands Say Yeah klop­fen höf­lich an, aber so unhör­bar sind Cold War Kids dann auch nicht.
„Hang Me Up To Dry“ heißt die aktu­el­le Sin­gle, die nur des­halb nicht so häu­fig in Indi­edis­cos lau­fen wird, weil man auf den Takt kaum tan­zen kann.

5. Tele – Wir brau­chen nichts
Und noch schnell was für die Deutsch­quo­te tun: Tele wer­den beim Durch­zäh­len der aktu­el­len deutsch­spra­chi­gen Bands ger­ne über­se­hen. Ihre Sin­gles lau­fen viel­leicht im Radio, aber vie­le ihrer Songs sind ein biss­chen zu vetrackt, um noch Mas­sen­kom­pa­ti­bler Pop zu sein. Beim „Bun­des­vi­si­on Song Con­test“ lan­de­ten sie im Mit­tel­feld, dabei war „Mario“ wohl der mit Abstand am bes­ten aus­ge­ar­bei­te­te Song im Wett­be­werb: die Lied gewor­de­ne Geschich­te eines Jun­gen aus gutem Hau­se, der immer auf der Suche ist, vor­ge­tra­gen zu leicht latein­ame­ri­ka­ni­sier­ter Musik und unwi­der­steh­li­chen „Oh oh“-Chören.
Mit nicht ganz so nahe­lie­gen­den Musik­sti­len haben es Tele eh, auch wenn „Rio de Janei­ro“ eher nach US-ame­ri­ka­ni­scher Revue­mu­sik als nach Sam­ba klingt. Und dann noch die­se Tex­te: „Als Du noch hier warst, war ich sicher, ich bin nicht mehr in dich ver­liebt, aber das war falsch wie der ers­te und der zwei­te Golf­krieg“. Der Titel­track ist dann (nach Muff Pot­ters „Wenn dann das hier“ und „Nichts geht ver­lo­ren“ von Kan­te) der end­gül­ti­ge Beweis dafür, dass man über Sex sehr wohl auch auf Deutsch sin­gen kann. Ein Lied, so ver­ein­neh­mend, dass man dazu auch ger­ne mal sei­ne Rei­se­ta­sche im Zug ste­hen lässt.

Sin­gles
1. Kai­ser Chiefs – Ruby
Mei­nen Hang zu klug erson­ne­nen Mit­gröl­hym­nen hat­te ich ja schon wei­ter oben zuge­ge­ben. „Ruby­ru­by­ru­by­ru­by (ahaaa­haa), doya­doya­doya­doya“ ist also ein Zwei-Pro­mill-Refrain ganz nach mei­nem Geschmack. Das ist für den Moment mehr als genug, das ist sogar spit­zen­mä­ßig, und wie das Album wird, sehen wir dann am Frei­tag.

2. Bloc Par­ty – I Still Remem­ber
Gerüch­ten zufol­ge die zwei­te Sin­gle, des­we­gen hier in der Lis­te: ein The-Cure-Gitar­ren­riff, danach erst mal nur noch Bass, Schlag­zeug und die unglaub­li­che Stim­me von Kele Oke­re­ke. Eine Hym­ne über uner­füll­te Lie­be, wahr­schein­lich bald zu Ker­zen­licht und bil­li­gem Rot­wein in jedem zwei­ten Teen­ager-Zim­mer zu hören (falls man sowas heu­te noch macht).

3. The Blood Arm – Suspcious Cha­rac­ter
Ich schreib doch jetzt nicht das drit­te Alko­hol-Lob­lied in Fol­ge! Statt­des­sen nur „I like all the girls and all the girls like me“, der Rest steht eh oben.

4. Mika – Grace Kel­ly
Seit Wochen Num­mer 1 in UK, muss ich mehr sagen? Okay: Wenn es Queen mit ihrer Reuni­on halb­wegs ernst gemeint hät­ten, hät­ten sie sich Mika als Sän­ger geholt. Der jon­gliert nicht nur mit sei­ner Stim­me wie der­einst Fred­die Mer­cu­ry, der schreibt auch noch gleich sol­che Songs.

5. Lady Sove­reign – Love Me Or Hate Me
Wei­ße Eng­län­de­rin­nen, die anfan­gen zu rap­pen: Au weia. Glück­li­cher­wei­se erreicht Loui­se Har­man einen recht beacht­li­chen Wert auf der Mike-Skin­ner-Ska­la und bas­telt sich noch reich­lich Grime-Ele­men­te in die Musik. Wie Lily Allens böse Stief­schwes­ter. Klar, dass sowas pola­ri­siert, aber das sagt ja auch schon der Titel.