Kategorien
Musik

Sie haben uns ein Denkmal gebaut

Am vergangenen Freitag erschien “Soundso”, das dritte Album von Wir Sind Helden. Hier meine patentierte Track-by-track-Analyse:

(Ode) An die Arbeit
Es bedarf schon einiges Mutes, sein Album mit einem funkigen Sprechgesang zu beginnen. Die Helden haben Mut und plaudern sich durch einen Track, der die elende Gesellschaftskritik bandtypisch mit zwei zwinkernden Augen auf den Punkt bringt: “Du bist Preußen!”

Die Konkurrenz
Noch mehr Arbeitswelt-Metaphorik für “Neon”-Leser und “Polylux”-Zuschauer. “Sag’s mir, Hippiekind!” sollte dringend als geflügeltes Wort in die deutsche Sprache eingehen. Musikalisch (mit Bläsern aufgehübscht) ganz nett, aber einer der schwächeren Songs des Albums.

Soundso
Aus einem Heavy-Metal-Gitarrensolo entspinnt sich eine melancholische Midtempo-Nummer, die im Refrain zu “Du erkennst mich nicht wieder”-mäßigen Höhen erwächst. Ein Lied über Anderssein und Schubladendenken, ein Lied, das aber auch zeigt, dass Wir Sind Helden nicht nur Text, sondern auch Musik sind.

Für nichts garantieren
Wenn man schon Tele-Sänger Francesco Wilking als Gastsänger verpflichten kann (der Gegenbesuch für Judith Holofernes’ Gesang auf “Wovon sollen wir leben”), muss man auch ein bisschen nach Tele klingen. Und das klappt bestens, denn musikalisch ist das genau die richtige Kragenweite mit leichtem Schunkelbeat und entspannten Bläsern. Textlich ist das dann wohl das Eltern-Lied der Platte, denn Frau Holofernes und Schlagzeuger Pola Roy sind ja jüngst Eltern eines kleinen Jungen geworden.

Kaputt
Noch ein Lied übers Anderssein, über kaputte Familien und das Gefühl, aufgeben zu wollen: “Es ist okay – jeder soll fliehen der kann / Wenn du den Fluchtwagen fährst / Schnall dich an”. Das ist ja überhaupt etwas, was die Band seit ihrem Debüt perfekt beherrscht: Sie vermitteln dem Hörer das Gefühl, verstanden zu werden, und fassen das in Worte, was er selbst nicht beschreiben kann.

Labyrinth
Okay, spätestens hier ist der textliche Schwerpunkt des Albums (eigentlich aller Helden-Alben) klar: Orientierungslosigkeit und Suche. Welche Metapher wäre da besser geeignet als “Labyrinth”. Wieder Midtempo, wieder Keyboards, wieder Nachts auf dem Fahrrad hören und die Arme ausbreiten.

The Geek (Shall Inherit)
Wenn die Serie aufrechterhalten wird, wird das die vierte Single des Albums. Bisher wurden meine Helden-Favoriten (“Denkmal”, “Wenn es passiert”) nämlich immer als letztes ausgekoppelt. Und das hier ist sowas von mein Favorit: Anderssein, natürlich. “Die Verletzten sollen die Ärzte sein / Die Letzten sollen die Ersten sein / Die Ersten sehen als Letzte ein: / The Geek shall inherit the earth” wird bitte jetzt sofort vor jeder Schule in Marmor gemeißelt. Wer sein Leben lang nicht dazu gehörte, hat jetzt endlich – von denn Weezer-Alben mal ab – seine ganz persönliche Nationalhymne. Ich muss dringend Krafttraining machen, um mir den kompletten Text auf den Oberarm tätowieren lassen zu können.
Ist übrigens auch musikalisch ein toller Song und das kettcar-mäßigste, was die Helden bisher hatten.

Endlich ein Grund zur Panik
Die Vorabsingle. Wie schon “Gekommen um zu bleiben” ein Lied, das man nicht erwartet hätte: Die Helden wieder laut, wieder wild, Frau Holofernes schreit wieder. Der Song hätte auch aufs Debütalbum gepasst und ist textlich eigentlich die einzig notwendige Antwort auf Wolfgang Schäubles Generalpanikmachung. Ach verdammt, jetzt hab ich die Helden schon wieder als “Sprachrohr einer Generation” misshandelt …

Der Krieg kommt schneller zurück als du denkst
Supertitel, was? Für ein Kind der Achtziger, das ich bin, ist die heutige Zeit natürlich regelrecht erholsam, verglichen mit dem atomaren Weltkrieg, der uns damals angeblich jeden Tag von neuem drohte. Trotzdem: Wie schnell Regierungen (auch die eigene) tatsächlich in den Krieg ziehen, haben wir in den letzten achteinhalb Jahren deutlich genug gesehen. Um viel mehr geht’s in dem Lied dann auch nicht, dafür noch die Super-Anspielung “Was ist so lustig an Liebe und Frieden?”

Hände hoch
“Es ist vorbei du bist umstellt / Um dich herum überall Welt” – Ja, fantastisch, was soll man denn nach einem solchen Liedanfang noch schreiben? Ein Lied übers Aufgeben, übers Akzeptieren, das seltsamerweise viel optimistischer klingt, als man es vermuten würde.

Stiller
“Ich bin nicht Stiller” – Was? Deutsch-LK mit Max-Frisch-Abi?! Nee, “stiller” als Komparativ zu “still”. Na, dann ist ja gut. Eine Ballade über … Ja, Herrgott: über Orientierungslosigkeit, übers Akzeptieren, übers Abkapseln: “Ich bin nicht stiller / Nur die Worte fehlen”.

Lass uns verschwinden
Im Wesentlichen gibt es bei Wir Sind Helden zwei Sorten von Liedern, die immer wieder neu und toll durchdekliniert werden: Den lauten, gesellschaftskritischen Stampfer (“Guten Tag”) und die melancholische, persönliche Ballade (“Du erkennst mich nicht wieder”). Der letzte Song ist immer die melancholische, persönliche Ballade und auch in ihrer x-ten Manifestation ist diese immer noch anrührend und wunderschön. Was ja bei aller Gesellschaftskritik und dem Sprachrohr-Geschwurbel immer wieder übersehen wird: Die persönlichen Helden-Songs waren fast immer noch ein bisschen besser als die gesellschaftskritischen. So auch hier.

Fazit
Nach dem dritten Album kann man sich meistens sicher sein, ob eine Band so gut ist, wie man das am Anfang vermutet hatte. Mehr als vier Jahre, nachdem ich Wir Sind Helden für mich entdeckt und sie vor damals noch zweihundert laut mitsingenden (vor der Veröffentlichung des Debüts!) Fans live gesehen habe, kann ich nun also beruhigt sagen: Ja, die sind so gut. Sie sprechen einem aus dem Herzen und der Seele, sie packen das in Worte, was man immer schon gedacht hat. Konzeptalben sind eine doofe Erfindung und natürlich ist “Soundso” keines, aber die immer wiederkehrenden Themen (ja ja: Anderssein, Orientierungslosigkeit, Schubladendenken, …) sind schon deutlich erkennbar. Und wer kennst sich mit Schubladen besser aus als das “Sprachrohr der Generation Praktikum”?

Wir Sind Helden - Soundso (Cover)
Wir Sind Helden – Soundso

VÖ: 25.05.2007
Label: Reklamation Records/Labels
Vertrieb: EMI

Kategorien
Musik

Der musikalische Aschermittwoch: Who Invented These Lists?

Nicht nur die Politiker machen heute allerorten Bestandsaufnahmen, auch ich werfe einen Blick ins Plattenregal und versuche festzuhalten, was da so bisher unter dem Erscheinungsjahr 2007 einsortiert wurde.

Alben
1. Bloc Party – A Weekend In The City
“Silent Alarm” hat (fast) alle kalt erwischt: vor zwei Jahren, auf dem ersten Höhepunkt der Newest Wave, waren Bloc Party plötzlich da und klangen so anders als der ganze Rest. Die Erwartungshaltungen für den Nachfolger waren riesig und was tut die Band? Schlägt so viele Haken, dass man erst gar nicht merkt, dass das Zweitwerk noch größer ist als das Debüt.
Eine Art Konzeptalbum über London und England allgemein, geprägt von der dortigen Paranoia und Gewalt, von Exszessen und der immer gleichen Suche nach Liebe. Die ganz großen Themen, gehauen in nicht minder große Songs, die auf dem Grat zwischen verstörend und überwältigend tanzen.
Ausgewählte Highlights zu bestimmen, erscheint schon fast unmöglich. Mein persönlicher Favorit aber von Anfang an: “Sunday”, nicht zuletzt wegen des Refrains “I love you in the morning / When you’re still hung over / I love you in the morning / When you’re still strung out”. Das dürfte dieses Jahr schwer zu toppen sein.

2. The Blood Arm – Lie Lover Lie
Schreibt der Musikexpress, die klängen wie eine Mischung aus Ben Folds Five und Franz Ferdinand. Denk ich: “Das wollen wir doch erst mal sehen”. Da dröhnt es aus den Boxen der Indiediscos: “I like all the girls and all the girls like me”, immer und immer wieder. Das Rennen um die Textzeilen des Jahres ist also ganz sicher noch nicht entschieden und der dazugehörige Song “Suspcicious Character” hat alle Chancen, meine Single des Jahres zu werden.
Das zweite Album des Quartetts aus L.A. hat aber mehr zu bieten als textarme Mitgrölhymnen: “Going To Arizona” ist eine herrliche Folknummer zum, nun ja: Mitgrölen, und “Dolores Delivers A Glorious Death” ein fast schon tödlicher Schunkler. Es gibt eine weitere Band, die das Klavier zum Rocken nutzt und im Gitarrenverliebten Indierock abstellt, was will man mehr?

3. Little Man Tate – About What You Know
Sheffield, Partnerstadt Bochums und Heimat von Pulp und der Arctic Monkeys. Letztere sind dafür verantwortlich, dass wohl bald jeder verpickelte Schuljunge in der Stadt, der eine Gitarre halten kann, einen Plattenvertrag unterschreiben muss. Bevor es aber so weit ist (und der große Rock’n’Roll-Circus womöglich nach Darlington weiterzieht), dürfen wir uns am Debütalbum von Little Man Tate erfreuen.
Die machen das, was man als junge Band halt so macht: leicht rotzigen Gitarrenpop mit mehr oder weniger bissigen Texten und eingängigen Melodien. Der Opener “Man I Hate Your Band”, das schon mehrfach als Single ausgekoppelt worden war, spielt dann auch gleich mit den ganzen Klischees, die Schülerbands auf Musikmagazintitelbildern so mit sich bringen, aber auch “European Lover” und “Court Report” springen direkt aus dem Alltag in die Radios dieser Welt. Bochum hat immer noch nur Grönemeyer. Noch.

4. Cold War Kids – Robbers And Cowards
Da kommt jahrelang nichts Neues aus Kalifornien und jetzt haben wir hier schon die zweite Band, die am Pazifik zu Hause ist: auch Indierock im weitesten Sinne, auch ab und zu mal mit Klavier, aber insgesamt ein weniger kantiger als The Blood Arm. Man erahnt ein wenig Tom-Waits-Einflüsse (California, you know?), auch Vergleiche mit Clap Your Hands Say Yeah klopfen höflich an, aber so unhörbar sind Cold War Kids dann auch nicht.
“Hang Me Up To Dry” heißt die aktuelle Single, die nur deshalb nicht so häufig in Indiediscos laufen wird, weil man auf den Takt kaum tanzen kann.

5. Tele – Wir brauchen nichts
Und noch schnell was für die Deutschquote tun: Tele werden beim Durchzählen der aktuellen deutschsprachigen Bands gerne übersehen. Ihre Singles laufen vielleicht im Radio, aber viele ihrer Songs sind ein bisschen zu vetrackt, um noch Massenkompatibler Pop zu sein. Beim “Bundesvision Song Contest” landeten sie im Mittelfeld, dabei war “Mario” wohl der mit Abstand am besten ausgearbeitete Song im Wettbewerb: die Lied gewordene Geschichte eines Jungen aus gutem Hause, der immer auf der Suche ist, vorgetragen zu leicht lateinamerikanisierter Musik und unwiderstehlichen “Oh oh”-Chören.
Mit nicht ganz so naheliegenden Musikstilen haben es Tele eh, auch wenn “Rio de Janeiro” eher nach US-amerikanischer Revuemusik als nach Samba klingt. Und dann noch diese Texte: “Als Du noch hier warst, war ich sicher, ich bin nicht mehr in dich verliebt, aber das war falsch wie der erste und der zweite Golfkrieg”. Der Titeltrack ist dann (nach Muff Potters “Wenn dann das hier” und “Nichts geht verloren” von Kante) der endgültige Beweis dafür, dass man über Sex sehr wohl auch auf Deutsch singen kann. Ein Lied, so vereinnehmend, dass man dazu auch gerne mal seine Reisetasche im Zug stehen lässt.

Singles
1. Kaiser Chiefs – Ruby
Meinen Hang zu klug ersonnenen Mitgrölhymnen hatte ich ja schon weiter oben zugegeben. “Rubyrubyrubyruby (ahaaahaa), doyadoyadoyadoya” ist also ein Zwei-Promill-Refrain ganz nach meinem Geschmack. Das ist für den Moment mehr als genug, das ist sogar spitzenmäßig, und wie das Album wird, sehen wir dann am Freitag.

2. Bloc Party – I Still Remember
Gerüchten zufolge die zweite Single, deswegen hier in der Liste: ein The-Cure-Gitarrenriff, danach erst mal nur noch Bass, Schlagzeug und die unglaubliche Stimme von Kele Okereke. Eine Hymne über unerfüllte Liebe, wahrscheinlich bald zu Kerzenlicht und billigem Rotwein in jedem zweiten Teenager-Zimmer zu hören (falls man sowas heute noch macht).

3. The Blood Arm – Suspcious Character
Ich schreib doch jetzt nicht das dritte Alkohol-Loblied in Folge! Stattdessen nur “I like all the girls and all the girls like me”, der Rest steht eh oben.

4. Mika – Grace Kelly
Seit Wochen Nummer 1 in UK, muss ich mehr sagen? Okay: Wenn es Queen mit ihrer Reunion halbwegs ernst gemeint hätten, hätten sie sich Mika als Sänger geholt. Der jongliert nicht nur mit seiner Stimme wie dereinst Freddie Mercury, der schreibt auch noch gleich solche Songs.

5. Lady Sovereign – Love Me Or Hate Me
Weiße Engländerinnen, die anfangen zu rappen: Au weia. Glücklicherweise erreicht Louise Harman einen recht beachtlichen Wert auf der Mike-Skinner-Skala und bastelt sich noch reichlich Grime-Elemente in die Musik. Wie Lily Allens böse Stiefschwester. Klar, dass sowas polarisiert, aber das sagt ja auch schon der Titel.