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Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 10

Da sind wir wie­der! Weil ja zum Glück im letz­ten hal­ben Jahr nicht viel pas­siert ist, spre­chen wir über deut­sche Schau­spie­ler auf Face­book und die Stra­te­gie­lo­sig­keit der euro­päi­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie. Lucky will sei­nen Frie­dens­no­bel­preis zurück­ge­ben und Fred gibt Nach­hil­fe in Sachen Flug­zeug­tech­no­lo­gie. Also ein Abend für die gan­ze Fami­lie.

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Politik

Plakatastrophentourismus

Ich will das hier weder zu einem Fach­ma­ga­zin für Wahl­pla­ka­tie­rung wer­den las­sen, noch will ich irgend­wie para­no­id klin­gen, aber: Das haben die doch extra gemacht, oder?

Mein Weg vom Wohn­heim zur U‑Bahn ist voll­ge­pflas­tert mit Frank-Wal­ter Stein­mei­ers:

Frank-Walter Steinmeier Anpacken. Für unser Land.

Frank-Walter Steinmeier Anpacken. Für unser Land.

Unser Land kann mehr.

Mal davon ab, dass ich Frank-Wal­ter Stein­mei­er jetzt nicht unbe­dingt „anpa­cken“ muss, dürf­te das letz­te Motiv natür­lich eines der ehr­lichs­ten Wahl­pla­ka­te der letz­ten 60 Jah­re sein: Neben ein Foto von Stein­mei­er und unter das Logo der SPD „Unser Land kann mehr“ zu schrei­ben, das ist schon erstaun­lich offen.

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… und wir sind nur die Kandidaten

Mon­tag­nach­mit­tag im Köl­ner E‑Werk: Außer Rent­nern, Stu­den­ten und Arbeits­lo­sen hat um die­se Zeit eigent­lich nie­mand Zeit. Trotz­dem haben WDR und NDR es hin­be­kom­men, 179 Bun­des­bür­ger anzu­kar­ren, die angeb­lich reprä­sen­ta­tiv für 82 Mil­lio­nen sind: alt und jung, aus Nord und Süd, Mann und Frau – die gan­ze Palet­te halt. Sie sol­len SPD-Kanz­ler­kan­di­dat Frank-Wal­ter Stein­mei­er in einer die­ser Town­hall-Mee­ting-Simu­la­tio­nen, die der neu­es­te Schrei im deut­schen Polit-TV sind, auf den Zahn füh­len. Bizar­rer­wei­se bin ich einer die­ser 179.

Nach dem nur ver­hal­te­nen Warm-Up durch einen Kol­le­gen (es ist halt eine öffent­lich-recht­li­che Poli­tik­sen­dung, kei­ne Pri­vat­fern­seh-Come­dy) begrü­ßen die Mode­ra­to­ren Jörg Schö­nen­born und Andre­as Cicho­wicz erst uns und dann den Mann, der Kanz­ler wer­den will. Stein­mei­er begrüßt die Zuschau­er, die um ihn her­um sit­zen, rou­ti­niert und man ist froh, dass er nicht gleich mit dem Hän­de­schüt­teln anfängt. Er hät­te ja gar nicht kom­men brau­chen, sagt er, so toll habe ihn „der Jonas“, ein jun­ger Zuschau­er mit blon­dier­ten Haa­ren, der im Warm-Up sei­nen Platz ein­ge­nom­men hat­te, ja ver­tre­ten. Sol­che Aus­sa­gen sor­gen für Stim­mung, aber dann erin­nert Schö­nen­born, der trotz sei­ner sons­ti­gen Kern­auf­ga­be, Zah­len von einem Moni­tor abzu­le­sen, mensch­li­cher wirkt als der leben­de Akten­de­ckel Stein­mei­er, dar­an, dass wir ja nicht zum Ver­gnü­gen hier sei­en, und es geht los.

Die ers­te Fra­ge wird gestellt und die ers­te Ant­wort gege­ben. Im Vor­feld hat­ten sich die WDR-Redak­teu­re tele­fo­nisch erkun­digt, was man even­tu­ell fra­gen wol­le, aber im Stu­dio lässt sich (außer bei ein paar aus­ge­wähl­ten Gäs­ten) nicht zuord­nen, wer wel­che Fra­ge stel­len wür­de – eine wie auch immer gear­te­te Kon­trol­le scheint aus­ge­schlos­sen. Ein Mann wird vor­ge­stellt, der 33 Jah­re bei Her­tie gear­bei­tet hat und „mit nichts mehr als einem feuch­ten Hän­de­druck“ (er muss sehr feucht gewe­sen sein, denn er fin­det zwei Mal Erwäh­nung) ver­ab­schie­det wur­de. Hof­fent­lich war es nicht auch noch der sel­be Her­tie-Mit­ar­bei­ter wie vor drei Wochen bei RTL. Stein­mei­er sagt von Anfang an oft „ich“ und „wir“, ohne dass klar wird, wel­che geheim­nis­vol­le Trup­pe er damit meint. Die magi­schen Buch­sta­ben „SPD“ nimmt er nach 67 Minu­ten zum ers­ten Mal in den Mund, „CDU“ folgt kurz dar­auf. Er redet viel und sagt wenig. Sagt ein Zuschau­er, woher er kommt, kom­men von Stein­mei­er stets die glei­chen back­chan­nels: „Rhe­da-Wie­den­brück, ah!“, „Gre­ven­broich, ah!“, „Bochum, ah!“. Ein Mann, der bei Con­ti­nen­tal arbei­tet, wird fast zu Stein­mei­ers Joe the plum­ber: Zwar kann er sich den Namen des Man­nes nicht mer­ken, aber auf den „Arbei­ter bei Con­ti“ kommt der Kanz­ler­kan­di­dat an jeder pas­sen­den und unpas­sen­den Stel­le gern noch mal zurück.

Kon­kre­te Fra­gen beant­wor­tet Stein­mei­er mit dem Hin­weis, „sofort“ auf den Kern zurück­zu­kom­men, nur um dann so weit aus­zu­ho­len, dass er an einer belie­bi­gen Stel­le abbie­gen und über irgend­was reden kann. Als Fra­ge­stel­ler ist man zu betäubt, um das sofort zu mer­ken, und die Mode­ra­to­ren wis­sen natür­lich sowie­so am Bes­ten, dass sie hier kei­ne kon­kre­ten Ant­wor­ten erwar­ten kön­nen.

Eine älte­re Dame, die zuvor bereits wüst in die Kame­ra gewun­ken hat­te, um dar­auf auf­merk­sam zu machen, dass sie eine Fra­ge stel­len will, hat ein paar kopier­te Zet­tel dabei und fragt Stein­mei­er, ob er schon Gele­gen­heit gehabt habe, den aktu­el­len „Spie­gel“ zu lesen. Stein­mei­er wird aber gera­de frisch über­pu­dert und kann des­halb nicht ant­wor­ten, wes­we­gen Schö­nen­born bit­tet, eine kon­kre­te Fra­ge zu for­mu­lie­ren. Es geht um die Besteue­rung von Sonn­tags­ar­beit und Stein­mei­er ant­wor­tet, man dür­fe auch nicht alles glau­ben, was in der Zei­tung ste­he. Obwohl es natür­lich stimmt, kommt das ein biss­chen mecke­rig rüber und die Dame ent­geg­net, es habe ja nicht in „Bild“ gestan­den, son­dern im „Spie­gel“ und dem müs­se man ja trau­en. Ich hof­fe, dass die Raum­mi­kros zu schwach ein­ge­stellt waren, als dass man mein gluck­sen­des Geläch­ter auch noch zuhau­se hören könn­te.

Weil ich ein „jun­ger Mann im karier­ten Hemd“ bin, darf ich auch eine Fra­ge stel­len, aber ich mer­ke schon, als das Fra­ge­zei­chen durch den Raum schwebt, dass das kei­ne gute Idee war. Ich will wis­sen, ob Stein­mei­er manch­mal von Murat Kur­naz träu­me, aber der Kanz­ler­kan­di­dat ant­wor­tet mit dem Ver­weis auf irgend­wel­che Doku­men­ta­tio­nen über sich und dar­auf, dass ein Unter­su­chungs­aus­schuss sei­ne (Stein­mei­ers) Unschuld bewie­sen habe. Man müs­se jetzt auch mal mit die­sen Anschul­di­gun­gen auf­hö­ren, sagt er, wäh­rend wir irgend­wie haar­scharf anein­an­der vor­bei gucken, und ich das Gefühl habe, unter den Bli­cken der ande­ren Zuschau­er und der Hit­ze der Schein­wer­fer lang­sam zu zer­flie­ßen.

Mit Poli­ti­kern zu spre­chen ist eine der unbe­frie­di­gends­ten Beschäf­ti­gun­gen über­haupt, weil einem immer erst hin­ter­her klar wird, dass das gar kein Gespräch war, son­dern eine Phra­sen-Rou­ti­ne, die man schon im Infor­ma­tik­un­ter­richt der sieb­ten Klas­se schrei­ben kann. (Es kann kein Zufall sein, dass Dou­glas Adams einst an einem Com­pu­ter­pro­gramm namens „Rea­gan“ arbei­te­te, das Fern­seh­de­bat­ten anstel­le des US-Prä­si­den­ten hät­te füh­ren kön­nen.) Es macht fast mehr Spaß, im Herbst Laub zusam­men­zu­keh­ren und die Wie­se kurz nach dem Weg­pa­cken des Rechens schon wie­der mit Blät­tern über­sät zu sehen.

Das The­ma Außen­po­li­tik kommt in der Befra­gung des Außen­mi­nis­ters nicht vor. Fra­gen nach afgha­ni­schen Tank­las­tern („Wie vie­le davon wer­den wir noch in die Luft spren­gen müs­sen, bis es in dem Land kei­ne Tali­ban und kei­ne Zivi­lis­ten mehr gibt und wir nach hau­se gehen kön­nen?“) ver­bie­ten sich wegen der Vor­lauf­zeit von fast 30 Stun­den: Wer weiß, wie die Nach­rich­ten­la­ge bei Aus­strah­lung aus­sieht? Afgha­ni­stan kommt trotz­dem vor, wenn auch anders als gedacht: Die Mut­ter eines Sol­da­ten fragt nicht etwa, wann ihr Jun­ge dau­er­haft zuhau­se und in Sicher­heit blei­ben darf, son­dern erkun­digt sich nach bes­se­rer tech­ni­scher Aus­stat­tung für die Trup­pen. Dass sich die Sen­dung so ame­ri­ka­nisch anfüh­len wür­de, war sicher nicht geplant.

Zur Auf­lo­cke­rung wer­den Stein­mei­er zwi­schen­durch zwei „Wer wird Millionär?“-mäßige Quiz­fra­gen gestellt. Es fällt schwer zu glau­ben, dass eine mut­maß­lich gut bezahl­te Redak­ti­on in mona­te­lan­ger Vor­be­rei­tung nicht über „Was wer­den Sie nach dem Ende der gro­ßen Koali­ti­on am meis­ten ver­mis­sen? A: Ange­la Mer­kel, B: Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg, C: Ursu­la von der Ley­en, D: mei­nen Dienst­wa­gen“ hin­aus­ge­kom­men ist. Immer­hin gibt es Stein­mei­er die Gele­gen­heit zum ein­zi­gen Mal in 75 Minu­ten mit Witz und Schlag­fer­tig­keit zu glän­zen, als er ant­wor­tet: „ ‚D‘ schei­det ja aus, denn wenn die gro­ße Koali­ti­on endet, sit­ze ich ja im Kanz­ler­amt.“

Als Schö­nen­born eine län­ge­re, kom­pli­zier­te Zwi­schen­mo­de­ra­ti­on, in der es auch irgend­wie um die FDP geht, augen­schein­lich völ­lig frei (also jeden­falls ohne Tele­promp­ter und ohne noch mal auf sei­ne Kar­ten zu gucken) in die Kame­ra spricht, wer­de ich zu sei­nem glü­hen­den Ver­eh­rer. Cicho­wicz dage­gen gerät bei sei­nen kur­zen Text­pas­sa­gen häu­fi­ger ins Schwim­men, hat dafür aber das Zwi­schen-Zuschau­ern-Hocken in der Tra­di­ti­on von Jür­gen Flie­ge und Gün­ther Jauch im Reper­toire. Zwi­schen­durch stür­zen immer wie­der stu­den­ti­sche Mikro­fon-hin­hal­te-Kräf­te die Trep­pen hin­un­ter, was man am Bild­schirm ver­mut­lich nur als gro­tesk anmu­ten­de Satz­pau­sen wahr­nimmt.

Kurz vor Schluss darf noch eine Mut­ter mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund eine Fra­ge stel­len und weil sie in Stein­mei­ers Rücken sitzt, gerät die­se Gesprächs­si­mu­la­ti­on voll­ends zum Desas­ter: Stein­mei­er dreht ihr halb die Schul­ter zu und redet lie­ber zu Schö­nen­born und Kame­ra 1 und berich­tet dann – Ein­zel­schick­sa­le her­vor­he­ben! – von einer jun­gen Tür­kin, die er kürz­lich in Mainz ken­nen­ge­lernt habe und die jetzt ihren Haupt­schul­ab­schluss nach­ma­che. Dass vor hin­ter ihm das viel­leicht span­nen­de­re Ein­zel­schick­sal sitzt, ist egal: Die Frau aus Mainz passt bes­ser in die Rou­ti­ne.

Die ers­ten Zuschau­er erhe­ben sich schon wäh­rend des Abspanns.

Wahl­are­na: Zuschau­er fra­gen Frank-Wal­ter Stein­mei­er
Diens­tag, 8. Sep­tem­ber 2009
21:05 Uhr im Ers­ten

Nach­trag, 9. Sep­tem­ber: Bis zum kom­men­den Sams­tag kann man sich die Sen­dung jetzt auch in der ARD-Media­thek anse­hen.

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Digital Politik Gesellschaft

Mein anderes Protest-Problem

Ich habe kurz über­legt, ob ich all das, was ich ges­tern zum The­ma Bil­dungs­streik, Demons­tra­tio­nen und Beset­zungs­ak­tio­nen auf­ge­schrie­ben habe, heu­te noch mal zu den Pro­gramm­punk­ten „Zen­sur­su­la“, „Unwähl­bar­keit“ und „Mit Euch reden wir jetzt gar nicht mehr“ auf­schrei­ben soll.

Aber ers­tens fin­de ich lang­sam auch, dass ich mich stän­dig selbst wie­der­ho­le, und zwei­tens sagt ein Bild Screen­shot ja immer noch mehr als tau­send Wor­te:

Zensiert zurück! Das WordPress-Plugin, um Parteien und Fraktionen auszusperren.

Die Logik dahin­ter ist beein­dru­ckend: „Ihr habt unse­re Argu­men­te nicht hören wol­len, wes­we­gen wir sie jetzt vor Euch ver­ste­cken – gut, wir kön­nen nicht über­prü­fen, ob das über­haupt klappt, aber wenigs­tens haben wir Euch noch eine puber­tä­re Trotz­re­ak­ti­on mit auf den Weg gege­ben.“

Und bevor das jetzt wie­der all­ge­mein die­ser „Inter­net-Com­mu­ni­ty“ in die Schu­he gescho­ben wird: Ich füh­le mich von sol­chen Aktio­nen ziem­lich exakt so gut reprä­sen­tiert wie von einem durch­schnitt­li­chen Abge­ord­ne­ten von CDU/​CSU und SPD. Näm­lich gar nicht.

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Politik

Politiker sind auch nur Menschen

Es könn­te doch noch was wer­den mit mei­ner Kar­rie­re als öffent­lich-recht­li­cher Polit­tal­ker. Die­se Erkennt­nis traf mich, als ich es nach einer Minu­te end­lich geschafft hat­te, Die­ter Wie­fel­spütz zu unter­bre­chen.

Zwölf Minu­ten habe ich mich ges­tern mit dem innen­po­li­ti­schen Spre­cher der SPD-Frak­ti­on über fal­sche Zita­te, Inter­net­sper­ren und Zen­sur unter­hal­ten und das Wich­tigs­te aus dem Gespräch steht im BILD­blog.

Für mich hat sich ein­mal mehr bewahr­hei­tet, dass ein­zel­ne Poli­ti­ker im direk­ten Kon­takt durch­aus ver­nünf­tig und sym­pa­thisch wir­ken kön­nen und ihre Posi­tio­nen gar nicht mehr so selt­sam klin­gen, wenn sie mal Gele­gen­heit haben, die­se aus­führ­lich – und nicht auf zwei Sät­ze ver­knappt – zu ver­tre­ten. Wie­fel­spütz hat mir jeden­falls lang und breit dar­ge­legt, dass er und sei­ne Par­tei kei­ner­lei Ambi­tio­nen hät­ten, Inter­net­sper­ren ein­zu­füh­ren, die über die jetzt geplan­ten gegen Kin­der­por­no­gra­phie hin­aus­gin­gen.

Ers­te Prio­ri­tät habe aber sowie­so die Bekämp­fung von Ver­bre­chen selbst, Sper­ren dürf­ten erst ganz am Schluss zum Zuge kom­men. Und wer nicht gegen Geset­ze ver­sto­ße, dür­fe so lan­ge extre­mis­ti­sche Mei­nun­gen ver­tre­ten, wie er wol­le – alles ande­re sei ja Zen­sur, sag­te mir der Poli­ti­ker deut­lich.

Auch Begrif­fe wie „Ser­ver“ oder „Pro­vi­der“ konn­te er kor­rekt ver­wen­den, was man bei Poli­ti­kern ja lei­der immer noch her­vor­he­ben muss. Dass vie­le kin­der­por­no­gra­phi­sche Inhal­te gar nicht auf chi­ne­si­schen oder rus­si­schen Ser­vern lagern wie mir Wie­fel­spütz erzäh­len woll­te, son­dern in Län­dern, mit denen Deutsch­land bes­te Rechts­hil­fe-Bezie­hun­gen hat (dar­un­ter, äh: Deutsch­land), trüb­te das Bild etwas, aber als Erkennt­nis blieb doch: Der Mann wirkt gar nicht wie ein wahn­sin­ni­ger Fürst der Fins­ter­nis, son­dern viel mehr wie einer, der sich Gedan­ken macht und sich aus­drück­lich selbst als Teil der Inter­net­ge­mein­de sieht.

Nach dem län­ge­ren Gespräch woll­te ich Wie­fel­spütz nicht auch noch zum The­ma Com­pu­ter­spie­le befra­gen (es wäre auch nur noch per­sön­li­ches Inter­es­se gewe­sen). Womög­lich hät­ten wir uns da böse in die Wol­le gekriegt, viel­leicht hät­te ich aber auch ein Stück ver­stan­den, was er eigent­lich meint, wenn er sich mit Schlag­wor­ten wie „Gewalt ist jung und männ­lich“ zitie­ren lässt.

Ich wür­de übri­gens den­noch ungern einen öffent­lich-recht­li­chen Polit­talk mode­rie­ren wol­len. Die­se Sen­dun­gen, in denen sich Poli­ti­ker erst anschrei­en, bevor sie anschlie­ßend gemein­sam ein Bier trin­ken gehen, scha­den der Demo­kra­tie mehr als ein paar extra­va­gan­te Mei­nun­gen in einer auf­rich­ti­gen Debat­te. Bes­ser wäre, wenn Poli­ti­ker und Bür­ger ein­fach mal wie­der ins Gespräch kämen.

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Digital Gesellschaft

Reinigendes Getwitter

Ich fin­de Twit­ter im Gro­ßen und Gan­zen ja ganz okay und den­ke, es kommt wie bei jedem Werk­zeug dar­auf an, wie man es ein­setzt. Eine gro­ße Gefahr besteht natür­lich dar­in, dass die­ses Werk­zeug so leicht zu bedie­nen ist und man des­halb oft schnel­ler tweetet als denkt.

Was? Das habe ich schon geschrie­ben? Ja, sicher. Aber wenn die Auf­merk­sam­keits­span­ne nur noch 140 Zei­chen beträgt, kann man sich ja mal wie­der­ho­len.

Am Sams­tag haben Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te aus der Bun­des­ver­samm­lung get­wit­tert, dass Horst Köh­ler die Bun­des­prä­si­den­ten­wahl im ers­ten Wahl­gang gewon­nen hat. Ich fin­de das eini­ger­ma­ßen respekt­los dem Bun­des­tags­prä­si­den­ten gegen­über, des­sen Auf­ga­be nun mal die Ver­kün­dung des Wahl­er­geb­nis­ses ist.

Mag sein, dass die Abge­ord­ne­ten das Ergeb­nis von Jour­na­lis­ten erfah­ren hat­ten, mag sein, dass – bis auf Ange­la Mer­kel – jeder im Reichs­tag Bescheid wuss­te – aber auch twit­tern­de Abge­ord­ne­te soll­ten ein biss­chen an die Außen­wir­kung den­ken. Und wenn es Auf­ga­be des Bun­des­tags­prä­si­den­ten ist, das Ergeb­nis zu ver­kün­den, dann soll­te es zumin­dest kein ande­res Mit­glie­der die­ses Ver­fas­sungs­or­gans sein, das ihm die­se Auf­ga­be abnimmt.

Am Diens­tag haben nun offen­bar ein­zel­ne Abge­ord­ne­te aus einer nicht-öffent­li­chen Sit­zung der SPD-Frak­ti­on get­wit­tert, wor­auf­hin Frak­ti­ons­chef Peter Struck eine Art Wut­an­fall bekom­men haben muss (bei dem ich ger­ne dabei­ge­we­sen wäre) und die SPD jetzt Kon­se­quen­zen zie­hen will.

Ich fin­de es schon erstaun­lich, dass man Volks­ver­tre­tern offen­bar erst ein­mal erklä­ren muss, was mit „nicht-öffent­lich“ gemeint sein könn­te – oder brin­gen die sonst Schwie­ger­müt­ter, Hun­de­fri­seu­re und Haupt­stadt­jour­na­lis­ten mit, weil die sowas auch mal von nahem sehen woll­ten? Wann kom­men die ers­ten Tweets aus den gehei­men Sicher­heits­aus­schüs­sen? („Hin­wei­se auf gepl. Anschlä­ge im Raum Ber­lin. Schmut­zi­ge Bom­be, BKA ist dran“)

Tho­mas Knü­wer geht davon aus, dass das Ergeb­nis der Bun­des­tags­wahl vor­ab via Twit­ter ver­ra­ten wer­den wird. Damit wäre Deutsch­land dann wohl noch hip­per als die USA, wo das Ergeb­nis der letzt­jäh­ri­ge Prä­si­dent­schafts­wahl mei­nes Wis­sens noch von den Fern­seh­sen­dern bekannt gege­ben wur­de.

Was mich aber beson­ders stört ist die Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der man­che Men­schen einen Frei­schein für Twit­ter for­dern: Muss man denn alles, was man weiß, in die Welt hin­aus­po­sau­nen, nur weil man es kann?

Was ist mit den Spiel­re­geln, auf denen unse­re Gesell­schaft beruht? Dass wir nicht aus dem Kino gehen und den War­ten­den erzäh­len, wie der Film aus­geht? Dass wir Wahl­er­geb­nis­se für uns behal­ten, bis die Wahl­lo­ka­le geschlos­sen haben? Dass wir uns nicht nackt aus­zie­hen, mit Exkre­men­ten ein­rei­ben und schrei­end durch die Innen­stadt ren­nen?

Nen­nen Sie mich kon­ser­va­tiv, aber ich fand die Zeit ganz gut, bevor die­ses post­mo­der­ne „any­thing goes“ über uns hin­ein­ge­bro­chen ist. Als man in klei­ner Run­de noch schlech­te Wit­ze machen konn­te, ohne Angst haben zu müs­sen, dass sie gleich im Inter­net ver­brei­tet wer­den.

[Auf­tritt Mike Skin­ner: „How the hell am I sup­po­sed to be able to do a line in front of com­ple­te stran­gers /​ When I know they’­ve all got came­ras?“]

Nun könn­te man natür­lich ein­wen­den: Man konn­te ande­ren Men­schen noch nie ver­trau­en, heut­zu­ta­ge ist es nur tech­nisch viel ein­fa­cher (und anony­mer), den Kram zu ver­brei­ten. Han­dy­ka­me­ras und Twit­ter zei­gen nur auf, dass wir ein Rudel bös­ar­ti­ger Wöl­fe sind, die dar­auf war­ten, über­ein­an­der her­zu­fal­len. Aber so pes­si­mis­tisch wäre ich ungern.

Die Fra­ge, die man sich beim Schrei­ben von Twit­ter­nach­rich­ten stel­len soll­te, ist nicht „Wür­dest Du das Dei­nem bes­ten Freund erzäh­len?“, son­dern „Wür­dest Du das Dei­ner Mut­ter, Dei­nem Part­ner, Dei­nem Chef und allen Men­schen im Ruhr­sta­di­on schrift­lich geben?“

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Print Politik

Ich bin nur zugezogen, holt mich hier raus!

Die pein­li­che Absa­ge der Love­pa­ra­de, die die­ses Jahr eigent­lich in Bochum statt­fin­den soll­te, bestimmt in den letz­ten Tagen die Lokal­pres­se:

Nein, von einem Image­scha­den kön­ne kei­ne Rede sein, gab Stadt­rat Paul Aschen­bren­ner (SPD) zu Pro­to­koll. „Weil wir eine ver­ant­wor­tungs­be­wuss­te Ent­schei­dung getrof­fen haben.“

(„Ruhr­nach­rich­ten“)

Gut, dass Bochum kein Image hat, was zu Scha­den kom­men könn­te. Und wen inter­es­sie­ren schon jun­ge Men­schen, die Krach hören und Rausch­gift kon­su­mie­ren?

Die SPD jeden­falls nicht:

So hat­te etwa der SPD-Orts­ver­ein Bochum-Ham­me, der schon Wolf­gang Cle­ment poli­tisch weit­ge­hend über die Klin­ge sprin­gen ließ, einen Antrag für den Rat vor­be­rei­tet, wegen dro­hen­der Ver­mül­lung der Anlie­ger­stra­ßen vom Raver-Tanz­ver­gnü­gen ganz abzu­las­sen.

In dem Antrag vom 31. Juli 2008 heißt es wört­lich: „Der SPD-Orts­ver­ein Bochum-Ham­me sieht in der Aus­rich­tung der Love­pa­ra­de 2009 in Bochum kei­nen kul­tu­rel­len bzw. nach­hal­ti­gen Bei­trag zur Ver­bes­se­rung des Images des Ruhr­ge­bie­tes bzw. für das Kul­tur­haupt­stadt­jahr 2010. Die im Rah­men der Orga­ni­sa­ti­on ent­ste­hen­den Kos­ten und Nach­fol­ge­schä­den ste­hen in kei­nem Ver­hält­nis zum Nut­zen die­ser Ver­an­stal­tung und sind öffent­lich nicht ver­tret­bar.” Bochum sol­le des­halb die Ver­an­stal­tung zurück­ge­ben.

(„WAZ“)

Aber die sehr end­li­che Kom­pe­tenz der SPD mani­fes­tiert sich bis ins kleins­te Detail:

Im Som­mer 2008 ver­ab­schie­de­te der Orts­ver­ein den Antrag an den Rat, die Love­pa­ra­de in Bochum abzu­bla­sen, wegen Gefahr der Ver­mül­lung und ande­rer Schä­den. Zwar wur­de der Antrag nie abge­schickt, doch in den SPD-Gre­mi­en wie Rats­frak­ti­on und Unter­be­zirks­par­tei­tag sicker­te die Ableh­nung gleich­wohl durch.

(Noch mal die „WAZ“)

Ent­spre­chend gut lässt sich die­ser Eier­tanz kom­men­tie­ren:

Wie eine Nach­ge­burt kom­men nun Ein­schät­zun­gen zu Tage, die dar­auf hin­wei­sen, dass die Macher der Bochu­mer Poli­tik mit der Love­pa­ra­de wenig am Hut hat­ten. Statt­des­sen ging die Sor­ge um, das The­ma spal­te und kön­ne im Super­wahl­jahr 2009 Wäh­ler­stim­men kos­ten.

Das aller­dings ist nicht von der Hand zu wei­sen. Zu auf­fäl­lig, wie ein­drucks­voll und wort­mäch­tig sich Bochu­mer Poli­ti­ker über Kon­zert­haus­bau, Cross-Bor­der-Deal und Gott und die Welt ver­brei­tet haben, das The­ma Love­pa­ra­de aber fast gänz­lich mie­den. […]

Und dann die Kos­ten: 130 000 Euro allein durch den Ein­satz der Feu­er­wehr und Ret­tungs­diens­te. Ganz zu schwei­gen von hun­der-ten Extrabus­sen. Und der befürch­te­ten Ver­mül­lung. Das wirkt doch sehr wie ein run­des bestell­tes Gut­ach­ten. Von Leu­ten, die nicht wirk­lich wol­len.

(Kom­men­tar in der „WAZ“)

Ins­ge­heim dürf­ten spä­tes­tens seit dem Erfolg der Love­pa­ra­de in Essen klar gewe­sen sein: Bochum ist dem nicht gewach­sen. Da das nie­mand sagen will, fehl­te nur ein Grund für die Absa­ge.

Zum Glück gibt es die Gleis­bau­ar­bei­ten der Bahn.

(Kom­men­tar in den „Ruhr Nach­rich­ten“)

Der publi­zis­ti­sche Todes­stoß kam aller­dings aus der alten Hei­mat der Love­pa­ra­de. Ein Pro­vinz­por­trät in zwei­ein­halb Sät­zen:

Her­bert Grö­ne­mey­er hat Bochum groß gemacht, aber nicht groß genug. Die Love­pa­ra­de – Älte­re wer­den sich erin­nern – kann dort in die­sem Jahr man­gels Kapa­zi­tät nicht statt­fin­den: Bahn­hof zu klein, Miet­toi­let­ten aus­ge­bucht, zu wenig Papier­kör­be, so etwa.

(„Der Tages­spie­gel“)

Der SPD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de im Bochu­mer Stadt­rat wird von der „WAZ“ übri­gens wie folgt zitiert:

Es wur­de der Ein­druck erweckt, als wären nur Dep­pen am Werk.

Wie jetzt? „Ein­druck“? „als“?

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Nixkönner

BREAKING NEWS!

Im Fal­le unse­rer neu­en Lis­te „Yes, may­be we could try to, but come to think of it: we defi­ni­te­ly can’t“ geht die SPD Mar­burg mög­li­cher­wei­se unein­hol­bar in Füh­rung:

Schäfer-Gümbel '09: Yo isch kann

Für den Fall, dass das „irgend­wie iro­nisch“ gemeint sein soll­te: Fail!

[via PickiHH]

Nach­trag, 26. Novem­ber: Tobi­as weist in den Kom­men­ta­ren völ­lig zu Recht dar­auf hin, dass es sich bei dem Logo um einen zwei Wochen alten Ent­wurf des Design­ta­ge­buchs han­delt. Aus was für absur­den Inter­pre­ta­tio­nen des Kon­zepts „Selbst­iro­nie“ die SPD das aber auf­greift, ist mir offen gestan­den schlei­er­haft.

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Digital Politik

Barack Obamas schlimme Folgen für die Weltpolitik

„Was kön­nen wir vom Wahl­kampf von Barack Oba­ma ler­nen?“ hat­te ein Dele­gier­ter auf dem Grü­nen­par­tei­tag den zu die­sem Zeit­punkt noch desi­gnier­ten Par­tei­vor­sit­zen­den Cem Özd­emir gefragt. Özd­emir ant­wor­te­te irgend­was Klu­ges, Abwar­ten­des, von wegen das sol­le man jetzt nicht alles nach­ma­chen und man müs­se auch mal sehen und so …

„Ist eine Inter­net-Kam­pa­gne wie die von Barack Oba­ma auch in Deutsch­land mög­lich?“ hat­te Mar­kus Becke­dahl schon kurz nach Oba­mas Wahl­sieg gefragt und sowohl eine kur­ze („Ja und Nein“), als auch eine lan­ge Ant­wort dar­auf gege­ben.

Aber wie das immer so ist: auf beson­ne­ne Poli­ti­ker hören genau­so vie­le Per­so­nen, wie läng­li­che Blog-Ein­trä­ge lesen – also kaum einer. Und so kommt es, dass die zwei­te bis drei­ßigs­te Rei­he (so vie­le Sitz­rei­hen hat das Bochu­mer Ruhr­sta­di­on, viel­leicht bie­tet jemand mehr) der Poli­ti­ker jetzt vor den Fett­näp­fen Schlan­ge steht, um auf eine neue Lis­te zu kom­men.

Sie heißt:
„Yes, may­be we could try to, but come to think of it: we defi­ni­te­ly can’t“

Los ging es mit die­sem Meis­ter­werk:

Yes we can -  Klausurtagug der SPD Havixbeck

[via Jens]

Eine wei­te­re gewag­te Kom­bi­na­ti­on aus Slo­gan und miss­glück­ter deut­scher Spra­che fand ich dann bei Face­book:

Wir machen's: Mit Heiko Maas, muss einer neuer Mann an die Spitze der saarländischen Landesregierung. Unterstützt Heiko Maas für Gute Arbeit, Faire Chancen und Neue Energie im Saarland.

Und den fina­len Aus­lö­ser, die Num­mer von einer Twit­ter-Serie zu einer Blog-Serie zu machen (hof­fent­lich nicht), fand ich dann im Dins­la­ke­ner Lokal­teil der „Rhei­ni­schen Post“:

Dinslaken: 
Köse dreht Wansing-Wahlspot. Dinslaken (RP) Reportage am Montag "Wansing on Ice" hieß es am Sonntagmittag in der Dinslakener Eishalle. Dort drehte CDU-Bürgermeisterkandidat Heinz Wansing gemeinsam mit Regisseur Adnan Köse seinen Wahlwerbespot.

Der auf­stre­ben­de Lokal­po­li­ti­ker Heinz Wan­sing hat sich vom Dins­la­ke­ner Regis­seur Adnan Köse („Lauf um Dein Leben – Vom Jun­kie zum Iron­man“) über­re­den las­sen, einen Wahl­wer­be­spot zu dre­hen, der ab Janu­ar als zehn­mi­nü­ti­ge Ver­si­on auf sei­ner Home­page und spä­ter als Zwei­mi­nü­ter in der Dins­la­ke­ner Licht­burg lau­fen soll.

Die „RP“ zitiert den Regis­seur wie folgt:

Man muss die neu­en Medi­en nut­zen. Mir gefällt sei­ne Hal­tung und ich will mit dem Film errei­chen, dass neben dem Poli­ti­ker und Ver­wal­tungs­fach­mann auch der pri­va­te, der Mensch Heinz Wan­sing fokus­siert wird.

Und wenn Sie jetzt fra­gen: „Ja, was sol­len die armen deut­schen Poli­ti­ker denn jetzt machen, ohne dass Ihr Inter­net-Jung­spun­de Euch immer über deren Unbe­hol­fen­heit lus­tig macht?“, dann ant­wor­te ich mit mei­ner glo­cken­klars­ten Engels­stim­me, die sonst für Fami­li­en­be­su­che und mei­nen Bank­be­ra­ter reser­viert ist: „Poli­tik!“

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Der automatische Nazi-Beantworter

hellojed: @coffeeandtv: Bitte Liste aktualisieren http://is.gd/7LH0

Guten Tag, hier spricht der auto­ma­ti­sche Nazi-Beant­wor­ter von coffeeandtv.de. Was gibt’s?

Neuer Nazi-Vergleich: SPD-Mann vergleicht Jugendliche mit SA. Mit den Schlägern Adolf Hitlers hat der Potsdamer Oberbürgermeister protestierende Linksalternative gleichgesetzt. Entschuldigt hat er sich dafür bestenfalls halbherzig.

Bit­te gehen Sie wei­ter, es gibt nichts zu sehen!

„Schlim­mer als Hit­ler­krebs – Miss­glück­te Rhe­to­rik für Pro­fis“ jetzt vor­be­stel­len!

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Miss American Pie

Die­ser Tage schaut die Welt noch mehr auf Ame­ri­ka, als sie es sowie­so schon tut. Die „Schick­sals­wahl unse­rer Gene­ra­ti­on“ steht an und es wirkt ein biss­chen so, als wer­de am Diens­tag zwi­schen Him­mel und Höl­le ent­schie­den.

Der Wahl­kampf zeigt ein­mal mehr die ekla­tan­ten Unter­schie­de zwi­schen den USA und Deutsch­land auf: Nicht nur, dass wir hier ein ande­res Wahl­sys­tem haben, auch kul­tu­rell sieht es hier ganz anders aus. Das Pathos, das Oba­mas halb­stün­di­gen Info­mer­cial durch­weht, wäre hier­zu­lan­de undenk­bar.

Viel­leicht liegt es dar­an, dass Schwarz, Rot und Gold kei­ne so schö­ne Farb­kom­bi­na­ti­on ist wie Rot, Weiß und Blau. Aber noch nicht mal eine geeig­ne­te Musik­un­ter­ma­lung wür­de man hier für so einen Wahl­wer­be­film fin­den: in Deutsch­land gibt es kei­ne Folk­lo­re, denn was es gab, wur­de vom „Musi­kan­ten­stadl“ in Grund und Boden gevolks­tü­melt.

Ich fin­de die­se Unter­schie­de nicht schlimm (auch wenn ich mir manch­mal wün­sche, dass sich jeder ein­zel­ne Deut­sche ein biss­chen mehr mit sei­ner Rol­le in der Gesell­schaft um ihn her­um – nicht mit dem abs­trak­ten Begriff der Nati­on – iden­ti­fi­zie­ren wür­den), aber die­se Unter­schie­de sind eben da. Des­we­gen soll­ten sich deut­sche Poli­ti­ker dafür hüten, Oba­mas ver­meint­li­che Erfolgs­re­zep­te nächs­tes Jahr 1:1 für den deut­schen Markt kopie­ren zu wol­len.

Die armen, armen Hes­sen, die im Janu­ar die soge­nann­te Wahl zwi­schen Roland Koch und Andrea Ypsi­lan­ti hat­ten, bekom­men am Diens­tag viel­leicht eine neue Minis­ter­prä­si­den­tin. Ja, an jenem Schick­sals­diens­tag, 4. Novem­ber. Und weil das so schön passt, hat sich Frau Ypsi­lan­ti heu­te Mor­gen auf einem SPD-Son­der­par­tei­tag in Ful­da dem wehr­lo­sen Barack Oba­ma ans Bein geschmis­sen und mit einem ein­zi­gen Satz die­se tie­fen kul­tu­rel­len Unter­schie­de, die­sen schma­len Grat zwi­schen anste­cken­dem Pathos und absto­ßen­der Pein­lich­keit zusam­men­ge­fasst:

Ich hof­fe, Genos­sin­nen und Genos­sen, dass die ame­ri­ka­ni­schen Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler am 4. Novem­ber in Ame­ri­ka sagen: „Yes, we can!“, und dass die hes­si­schen Abge­ord­ne­ten dann sagen kön­nen, mit Euch zusam­men in Hes­sen: „Yes, we do!“

[via WDR2-Nach­rich­ten]

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Auf jeden Sieger zehn Verlierer

Stel­len wir uns für einen Moment bit­te Fol­gen­des vor: Ich habe Usain Bolt, den schnells­ten Mann der Welt, zu einem Wett­ren­nen über 100 Meter her­aus­ge­for­dert. Usain Bolt hat sich vor­her bei­de Bei­ne gebro­chen, tritt aber trotz­dem an. Durch die­ses Han­dy­cap läuft Bolt die Stre­cke in 12,5 Sekun­den, ich brau­che 29,2 Sekun­den und bin damit so lang­sam wie noch nie. Nach dem Ren­nen erklä­re ich mich zum kla­ren Sie­ger, weil Bolt ja nor­ma­ler­wei­se viel, viel schnel­ler ist und das muss man ja auch berück­sich­ti­gen.

Wenn Sie die­ser Argu­men­ta­ti­on fol­gen kön­nen (und nicht schon bei der Vor­stel­lung, ich könn­te 100 Meter gera­de­aus lau­fen lachend unter Ihrem Schreib­tisch ver­schwun­den sind), sind Sie ver­mut­lich in der SPD. Die hat näm­lich gera­de bei der bay­ri­schen Land­tags­wahl das schlech­tes­te Ergeb­nis ever ein­ge­fah­ren, was sie in der Selbst­wahr­neh­mung zum Sie­ger macht, weil die CSU (die 2,3 Mal so vie­le Stim­men erhal­ten hat) immer­hin seit 54 Jah­ren nicht mehr so schwach war.

Die gebro­che­nen Bei­ne von Usain Bolt hei­ßen Gün­ther Beck­stein und Erwin Huber und sie haben die Wahl natür­lich nur der­art vor die Wand gefah­ren, um Edmund Stoi­ber sei­nen 67. Geburts­tag zu ver­ha­geln. Dafür haben sie Stoi­ber (und ich fürch­te, Sie wer­den sich heu­te noch mit eini­gen schie­fen Bil­dern rum­schla­gen müs­sen) bei Tem­po 180 aus dem fah­ren­den Wagen gewor­fen, wäh­rend Horst See­ho­fer an der Hand­brem­se nes­tel­te und Gabrie­le Pau­li das Ver­deck ein­fah­ren woll­te. Aber für das füh­rer­lo­se und zer­trüm­mer­te Gefährt hät­ten sie immer­hin noch die vol­le Pend­ler­pau­scha­le bezie­hen kön­nen.

Die in jeder Hin­sicht beein­dru­cken­de Schlap­pe für die CSU, die fast ein Drit­tel ihrer Wäh­ler­stim­men ein­ge­büßt hat, wird aber in den Schat­ten gestellt von einer SPD, die das eige­ne Deba­kel ele­gant igno­riert (wohl Dank der Erfah­rung auf dem Gebiet) und allen Erns­tes Ansprü­che auf die Regie­rungs­bil­dung anmel­det.

Frank-Wal­ter Stein­mei­er, den sie in der Par­tei mitt­ler­wei­le ver­mut­lich für einen Albi­no-Barack-Oba­ma hal­ten, der aber bes­ten­falls ein ganz sicher nicht gefärb­ter Ger­hard-Schrö­der-Klon ist (was immer­hin schon mal bedeu­tend bes­ser ist als ein unra­sier­ter Gor­don-Brown-Klon), die­ser Frank-Wal­ter Stein­mei­er also stellt sich hin­ter ein Mikro­fon und sagt:

Und immer­hin: Es ist zum ers­ten Mal für vie­le Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler in Bay­ern vor­stell­bar und mög­lich gewe­sen, nicht mehr CSU zu wäh­len. Sie sind noch nicht gleich durch­ge­gan­gen zur SPD, aber es ent­steht eine Per­spek­ti­ve.

Na, hur­ra! Da könn­te ich ja auch in laut­star­ke Ver­zü­ckung gera­ten, weil Nata­lie Port­man nicht mehr mit Devan­dra Ban­hart zusam­men ist – und mich jetzt sicher end­lich hei­ra­ten wird.

Franz Maget, der aus­sieht wie Peter Zweg­at, aber SPD-Spit­zen­kan­di­dat in Bay­ern war, ver­spricht, den „hal­ben Weg“ beim „nächs­ten Mal“ nach­zu­ho­len, und die Wäh­ler nicht nur weg von der CDU, son­dern auch hin zur SPD zu holen. Das klingt, als steck­ten die Wäh­ler zwi­schen Vil­la­ri­ba und Vil­la­ba­jo (form­er­ly known as Not und Elend) auf hal­ber Stre­cke im Schlamm – und nicht, als hät­ten sie sich gera­de irgend­wo ganz anders ein gemüt­li­ches klei­nes Zelt­la­ger am war­men Herd von Gabi Pau­li errich­tet.

Um die Run­de voll­zu­ma­chen, trat auch noch Andrea Ypsi­lan­ti, die das Wort­paar „glaub­wür­di­ger Poli­ti­ker“ im Allein­gang zum Oxy­mo­ron stem­peln will, freu­de­strah­lend vor die Kame­ras und sprach von der zwei­ten Wahl, die „gründ­lich schief­ge­gan­gen“ sei für … die CDU/​CSU. Mit der ers­ten meint sie wohl ihre eige­ne in Hes­sen, die­sem armen Bun­des­land, dass seit einem hal­ben Jahr von einem geschäfts­füh­ren­den Minis­ter­prä­si­den­ten regiert wird, der auch noch Roland Koch heißt.

Denn das ist die eigent­li­che Sen­sa­ti­on der Wah­len in Hes­sen und Bay­ern: dass die Uni­on nicht wegen ihrer poli­ti­schen Geg­ner so dumm dasteht, son­dern wegen ihres eige­nen Füh­rungs­per­so­nals. Aber selbst dann schafft es die SPD nicht, wenigs­tens so vie­le Wäh­ler zu mobi­li­sie­ren, dass sie selbst die meis­ten Stim­men bekommt – was nach mei­nem Demo­kra­tie­ver­ständ­nis (Koch hin, Beck­stein her) irgend­wie drin­gend not­wen­dig wäre, um wasauch­im­mer zu regie­ren.

Aber ver­mut­lich weiß es der Wäh­ler zu schät­zen, wenn eine Par­tei, der er viel­leicht auch noch sei­ne Stim­me gege­ben hat, in ers­ter Linie durch Scha­den­freu­de über die Ver­lus­te des poli­ti­schen Geg­ners auf sich auf­merk­sam macht. Eigent­lich ist es da doch inkon­se­quent, nicht gleich noch einen Schritt wei­ter zu gehen, auf Öster­reich zu zei­gen und „wenigs­tens hat bei uns kei­ner das Nazi­pack gewählt“ zu rufen.

Dass auch ein in Bay­ern erwor­be­nes Abitur nicht zwangs­läu­fig für gro­ße Mathe­ma­tik­kennt­nis­se steht, bewies dann Clau­dia Roth, die Mut­ter Bei­mer der Grü­nen. Sie sieht „eine deut­li­che Mehr­heit jen­seits der CSU“, die sich in den abso­lu­ten Zah­len der Sitz­ver­tei­lung wohl vor allem dar­in nie­der­schlägt, dass alle ande­ren Par­tei­en zusam­men exakt drei Sit­ze mehr haben als besag­te CSU. Dar­aus lei­tet Frau Roth einen „Auf­trag“ zur Regie­rungs­bil­dung ab.

Es ist beein­dru­ckend, mit wel­cher Unbe­irrt­heit Poli­ti­ker gro­ße Deba­kel und mitt­le­re Ent­täu­schun­gen (die Grü­nen haben zwar als ein­zi­ge vor­her im Land­tag ver­tre­te­ne Par­tei hin­zu­ge­won­nen, sind aber nicht mal mehr dritt­stärks­te Frak­ti­on) in Sie­ge und Tri­um­phe umzu­wid­men ver­su­chen. Wie ein Wahl­er­geb­nis gedeu­tet wer­den soll, das eigent­lich nur den Schluss zulässt, dass die Wäh­ler die Schnau­ze voll haben von den bei­den gro­ßen Volks­par­tei­en, die die Bun­des­re­pu­blik seit drei Jah­ren in trau­ter Zwie­tracht regie­ren (und dabei noch jedes zwei­te Gesetz ver­fas­sungs­wid­rig gekriegt haben). Und wie die Läh­mung, die so ein Land durch unein­deu­ti­ge Macht­ver­hält­nis­se erfährt, gefei­ert wird.

Man war­tet eigent­lich nur noch auf den Tag, an dem irgend­ei­ne Par­tei (mut­maß­lich eine von Gui­do Wes­ter­wel­le geführ­te) auf die Idee kommt, bei Wahl­er­geb­nis­sen ana­log zur Ein­schalt­quo­te im Fern­se­hen eine „wer­be­re­le­van­te Ziel­grup­pe“ aus­zu­ru­fen und nur noch das Abstimm­ver­hal­ten der 14- bis 49-Jäh­ri­gen berück­sich­ti­gen zu wol­len.

Dabei sind die deut­schen Ver­tre­ter noch blass und harm­los gegen das Per­so­nal, das im US-Wahl­kampf ange­tre­ten ist, um das Amt zu erobern, das man nicht umsonst das wich­tigs­te der Welt nennt. Wir haben ja noch nicht mal eine Sarah Palin (obwohl ich glau­be, dass Gabrie­le Pau­li für die Rol­le not­falls zur Ver­fü­gung stün­de), von einem John McCain oder Joe Biden ganz zu schwei­gen.

Ande­rer­seits rei­chen Ronald Pofalla, Gui­do Wes­ter­wel­le und Oskar Lafon­taine für den Anfang völ­lig aus.

[Aus­ge­löst via twit­ter]