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Holzmichel auf dem Holzweg

Jaaaaaaaaa, Fried­bert Pflü­ger lebt also auch noch.1 Um auf die­sen Umstand hin­zu­wei­sen, hat er zu Beginn der Woche die Abset­zung der Talk­show „Anne Will“ gefor­dert. In der Aus­ga­be vom letz­ten Sonn­tag gab es einen Ein­spie­ler zu sehen, der laut Herrn Pflü­ger die rot-rote Regie­rung in Ber­lin in einem viel zu guten Licht hat erschei­nen las­sen.

Ich habe die betref­fen­de Sen­dung nicht gese­hen, ich habe „Anne Will“ über­haupt noch nie gese­hen, eben­so wie ich mich nicht erin­nern kann, je eine gan­ze Aus­ga­be „Sabi­ne Chris­ti­an­sen“ ertra­gen zu haben. Ich ertra­ge kein Talk­shows, in denen Poli­ti­ker und Men­schen aus­wen­dig gelern­te Sät­ze auf­sa­gen, und sich in kei­ner Wei­se durch das beir­ren las­sen, was die ande­ren Gäs­te aus­wen­dig auf­sa­gen.2

In sei­nem Blog schrieb Pflü­ger über „Anne Will“:

Mit Jour­na­lis­mus hat das alles wenig zu tun. Das ist Ideo­lo­gie und Lie­be­die­ne­rei, dazu noch schlecht gemacht. Frau Will miss­braucht ihren pri­vi­le­gier­ten Sen­de­platz und wirbt für eine poli­ti­sche Rich­tung, anstatt zu infor­mie­ren.

Es ent­behrt nicht einer gewis­sen Iro­nie, dass aus­ge­rech­net „Bild“ Pflü­gers Vor­la­ge auf­nahm.

Dann warf Pflü­ger sei­ne kom­plet­te Ahnungs­lo­sig­keit in Sachen Medi­en­po­li­tik in die Wag­scha­le:

Ich bin – auch als Rund­funk­rat des rbb – nicht bereit, dass auf sich beru­hen zu las­sen.

Ich bin mir sicher, dass man beim NDR, der die Sen­dung „Anne Will“ ver­ant­wor­tet, schon mit den Knien schlot­tert, ange­sichts die­ser Kampf­an­sa­ge.

Oder wie es Lorenz Maroldt in sei­nem klu­gen Kom­men­tar im „Tages­spie­gel“ zusam­men­fasst:

Für die Fra­ge, ob Anne Will durch Frank Plas­berg ersetzt wird, ist Pflü­gers Stim­me eben­so wich­tig wie die von Lothar Mat­thä­us für die Auf­stel­lung der Natio­nal­mann­schaft.

Bis hier­hin war es nur Fried­bert Pflü­ger, der sich freu­en konn­te, mal wie­der in der bun­des­wei­ten Pres­se gelan­det zu sein. Doch heu­te for­dern – eben­falls in „Bild“ – Kul­tur­staats­mi­nis­ter Bernd Neu­mann (CDU) und David McAl­lis­ter, CDU-Frak­ti­ons­chef in Nie­der­sach­sen und Mit­glied im NDR-Rund­funk­rat eben­falls Kon­se­quen­zen, die bis zur Abset­zung der Sen­dung rei­chen.

Jour­na­lis­ti­sche Feh­ler pas­sie­ren immer wie­der und Frank Schirr­ma­cher, der dem The­ma einen klu­gen, aber etwas umständ­li­chen Text gewid­met hat, dürf­te Recht haben, wenn er sagt, die Redak­ti­on der Sen­dung wür­de sich über sol­che Feh­ler wohl am meis­ten ärgern.3 Im kon­kre­ten Fall scheint aber noch nicht ein­mal völ­lig klar, ob die in der Sen­dung auf­ge­stell­te Behaup­tung, die rot-rote Regie­rung habe in Ber­lin 60 Mil­lio­nen Mil­li­ar­den Euro „geerbt“ nun wirk­lich falsch oder nur unglück­lich for­mu­liert war. Ver­mut­lich ist es ein­fach eine Inter­pre­ta­ti­ons­sa­che.

Dass nun Poli­ti­ker direkt in die Pro­gramm­pla­nung ein­grei­fen wol­len, fin­de ich sehr gefähr­lich. Zwar haben gera­de die Zuschau­er öffent­lich-recht­li­cher Pro­gram­me einen Anspruch auf rich­ti­ge Fak­ten und mög­lichst objek­ti­ve Bericht­erstat­tung, aber ers­tens ist der strit­ti­ge Sach­ver­halt ja offen­bar gar nicht so klar und zwei­tens strahlt die ARD ja auch immer noch den „Report aus Mün­chen“ aus. In kei­nem Fal­le aber soll­ten Poli­ti­ker, denen eine poli­ti­sche Talk­show nicht in den Kram passt, erklä­ren wol­len, wie guter Jour­na­lis­mus geht.

Wie die­se gan­zen CDU-Poli­ti­ker wohl reagiert hät­ten, wenn in der Sen­dung Stim­mung gegen rot-rot gemacht wor­den wäre?

  1. Für die 81 Mil­lio­nen Deut­schen, die Fried­bert Pflü­ger nicht ken­nen: Das ist der Mann, der vor zwei Jah­ren ger­ne Regie­ren­der Bür­ger­meis­ter in Ber­lin gewor­den wäre. Er sieht immer ein biss­chen so aus, als habe er gera­de die Jah­res­pro­duk­ti­on einer Zitro­nen­saft­kon­zen­trat­fa­brik leer­ge­trun­ken, und ist gera­de mit sei­nem ein­zi­gen bekann­ten poli­ti­schen Ziel, dem Erhalt eines knuf­fi­gen Stadt­flug­ha­fens, geschei­tert. Kurz­um: Er ist der Typ, der in ame­ri­ka­ni­schen High-School-Komö­di­en immer in den Spind gesperrt wird. Außer­dem bloggt Fried­bert Pflü­ger. []
  2. In den drei Sen­dun­gen von „Hart aber fair“, die ich gese­hen habe, rede­ten Men­schen laut und wüst durch­ein­an­der und gegen Ende wur­de klar, dass es theo­re­tisch einen Mode­ra­tor gege­ben hät­te, der das Gan­ze hät­te len­ken kön­nen. Wie­so alle Welt „Hart aber fair“ so toll fin­det, ist mir völ­lig schlei­er­haft. []
  3. Wenigs­tens will ich Schirr­ma­chers Opti­mis­mus tei­len. []
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Politik Gesellschaft

Im Bad mit Sebastian Edathy

Gäbe es einen Preis für den unsou­ve­räns­ten Poli­ti­ker, er gin­ge in die­sem noch jun­gen Jahr mit hoher Wahr­schein­lich­keit an Sebas­ti­an Edathy. Gäbe es im deut­schen Fern­se­hen ech­te Sati­re­sen­dun­gen und nicht nur den „Schei­ben­wi­scher“ und das Dekol­le­tee von Ange­la Mer­kel, müss­te man sich auf Mona­te vol­ler Zahn­putz-Wit­ze ein­stel­len.

Was war pas­siert? Edathy, SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te und Vor­sit­zen­der des Innen­aus­schus­ses, wur­de von den Mode­ra­to­ren des Ber­li­ner Sen­ders Radio 1 zum geplan­ten BKA-Gesetz befragt – oder bes­ser: soll­te befragt wer­den, denn son­der­lich lang lief das Inter­view nicht, wie man bei Radio 1 nach­hö­ren kann:

[Das Gespräch wur­de von zwei Mode­ra­to­ren geführt, die ich aber stimm­lich nicht aus­ein­an­der hal­ten kann. Für den Inhalt ist das auch uner­heb­lich.]

Mode­ra­tor: Mor­gen Herr Edathy!
Edathy: Mor­gen, grüß Sie!
Mode­ra­tor: Guten Mor­gen! Wenn Sie sich mor­gens die Zäh­ne put­zen, sind Sie eigent­lich nackt oder haben Sie Unter­wä­sche an?
Edathy: Ich, äh … Wie­so?
Mode­ra­tor: Die Fra­ge ist Ihnen unan­ge­nehm oder war­um?
Edathy: Ja, ich weiß nicht, was das mit der Sache zu tun hat, mit Ver­laub, Herr …
Mode­ra­tor: Ja, Sie machen das ja gemein­hin wahr­schein­lich …
Edathy: Also, was solln der Scheiß? Ent­schul­di­gung, Wie­der­hö­ren …
*klick*

Zuge­ge­ben: Kei­ne Fra­ge, die man unbe­dingt im Radio beant­wor­ten möch­te, aber eine, die das dif­fu­se The­ma BKA-Gesetz in den kon­kre­ten All­tag der Men­schen und Poli­ti­ker run­ter­bre­chen kann, immer­hin geht es in dem Gesetz um „gehei­mes Foto­gra­fie­ren, Fil­men und Abhö­ren, auch in Woh­nun­gen“.

Fol­gen­de Ant­wor­ten hät­te ich an sei­ner Stel­le für denk­bar gehal­ten:

  • Die schlich­te: „Dar­über spre­che ich nicht.“
  • Die schlicht-ran­schmei­ße­ri­sche: „Das geht Sie nichts an, aber ich höre im Bad Radio 1.“
  • Die aus­wei­chen­de: „Ich put­ze mir mei­ne Zäh­ne mor­gens nicht.“
  • Die ver­ständ­nis­vol­le: „Ich weiß, wor­auf Sie hin­aus­wol­len, des­halb put­ze ich mir im Dun­keln die Zäh­ne.“
  • Die staats­tra­gen­de: „Wo den­ken Sie hin? Ich bin Vor­sit­zen­der des Innen­aus­schus­ses – im Anzug, natür­lich!“
  • Die grö­ßen­wahn­sin­ni­ge: „Ich bin nackt, weil ich mei­nen gestähl­ten Kör­per und mein mäch­ti­ges Glied im Spie­gel sehen will.“

Herr Edathy aber, der sowie­so ein Pro­blem mit Jour­na­lis­ten zu haben scheint, sag­te zu einer Zeit, zu der Kin­der­gar­ten­kin­der mit ihren Eltern am Früh­stücks­tisch sit­zen könn­ten, „Scheiß“ und leg­te auf.

Als er in sei­nem Gäs­te­buch dar­auf ange­spro­chen wur­de, dass er das Inter­view nach der Ein­gangs­fra­ge abge­bro­chen habe, ant­wor­te­te Edathy zunächst, man habe ihm ja zwei Fra­gen gestellt (die nach dem Zäh­ne­put­zen und die, ob ihm die ers­te unan­ge­nehm sei) und fügt hin­zu:

Ich fin­de in der Tat, dass man sich als Inter­view­part­ner nicht jede Frech­heit bie­ten las­sen muss und dass es dies­be­züg­lich Gren­zen gibt. Die waren in die­sem Fall über­schrit­ten.

Das passt sehr schön zum über­set­zen BKA-Gesetz, in dem es unter ande­rem heißt:

Das Bun­des­kri­mi­nal­amt soll im Ein­zel­nen die fol­gen­den Mit­tel anwen­den dür­fen:

[…]

2. Per­so­nen befra­gen (die­se sind ver­pflich­tet, Aus­kunft zu geben)

Nun ist es mir wirk­lich egal, wann, wie und wo sich Herr Edathy die Zäh­ne putzt. Ich wür­de mir als Wäh­ler nur wün­schen, das wäre sei­ne ein­zi­ge Tages­be­schäf­ti­gung.

Mehr dazu im red­blog, bei Netzpolitik.org, Massenpublikum.de und Indis­kre­ti­on Ehren­sa­che.

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Bananenrepublik Deutschland

Ich hat­te ja schon das eine oder ande­re Mal geschrie­ben, dass ich mir ein deut­sches Äqui­va­lent zur „Dai­ly Show“ wün­sche. Im Moment bräuch­te man dafür noch nicht mal Autoren, man müss­te nur die Zei­tung auf­schla­gen:

In den letz­ten drei Wochen hat die SPD gefühl­te ein­hun­dert Mal ihre Plä­ne für Hes­sen geän­dert – „regie­ren“, „nicht regie­ren“, „regie­ren“, „nicht regie­ren“ – ganz so, als sei Homer Simpson plötz­lich zum Bun­des­vor­sit­zen­den der Par­tei ernannt wor­den (er hät­te bes­se­re Umfra­ge­wer­te als Kurt Beck, so viel ist klar). Im Umgang mit der Abge­ord­ne­ten Dag­mar Metz­ger bewie­sen die Sozis noch kurz, dass ihnen Par­tei­dis­zi­plin wich­ti­ger ist als Moral und Kon­se­quenz, dann gab Peer Stein­brück die Bun­des­tags­wahl 2009 ver­lo­ren. Das wird vor allem Gui­do Wes­ter­wel­le gefreut haben, der gera­de erst die CDU kri­ti­siert und zu Pro­to­koll gege­ben hat­te, er kön­ne sich inzwi­schen doch eine Zusam­men­ar­beit mit SPD und/​oder Grü­nen vor­stel­len. Roland Koch, der einen der schlimms­ten Wahl­kämp­fe der Nach-Strauß-Ära geführt hat­te, war­te­te ein­fach so lan­ge, bis sich der poli­ti­sche Geg­ner ganz von allein zer­legt hat­te, dann deu­te­te er an, selbst auf das Amt des Minis­ter­prä­si­den­ten ver­zich­ten zu wol­len.

Unter­des­sen ver­ur­sach­ten ver­schie­de­ne Gewerk­schaf­ten (allen vor­an die GDL) alle paar Tage ein mit­tel­schwe­res bis gro­ßes Cha­os und sorg­ten damit für ein gro­ßes Hal­lo in der Bevöl­ke­rung, die sich eh schon hin­ter der Lin­ken ver­sam­melt hat­te, um nach 17 Jah­ren end­lich mal wie­der so was ähn­li­ches wie Sozia­lis­mus nach Deutsch­land zurück­zu­ho­len. Am liebs­ten hät­ten die haupt­be­ruf­li­chen „Die da oben“-Beschimpfer (auch Wäh­ler genannt) wahr­schein­lich eine gro­ße Koali­ti­on aus Lin­ker und FDP, die einen Wie­der­auf­bau des Sozi­al­staats bei gleich­zei­ti­ger Abschaf­fung aller Steu­ern durch­setzt. Wer Kanz­ler wür­de, wäre dabei egal, denn von Ange­la Mer­kel hat man in den letz­ten Wochen ja auch nichts gehört.

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Alle Räder stehen still

Gewerkschafter in San Francisco, CA

Heu­te brau­che ich die Woh­nung nicht zu ver­las­sen, denn im Bochu­mer ÖPNV sieht es aus, als wären Weih­nach­ten, das Fuß­ball-WM-Fina­le Deutsch­land – Hol­land, ein Schnee­sturm, ein Strom­aus­fall und eine Son­nen­fins­ter­nis auf einen Tag gefal­len: Nichts geht mehr.

Glück­li­cher­wei­se muss ich heu­te weder zur Uni noch mit irgend­wel­chen tol­len Frau­en in noch tol­le­re Kino­fil­me, denn sonst wäre ich SEHR, SEHR ANGEKOTZT. Mei­ne Soli­da­ri­tät und mein Mit­ge­fühl wer­den näm­lich nicht in einer Wäh­rung erkauft, die „mir auf die Ner­ven gehen“ heißt.1

Strei­ken tun Ver.di und Kom­ba, was nicht etwa lus­ti­ge Figu­ren aus lehr­rei­chen Seri­en beim KiKa sind, son­dern Gewerk­schaf­ten. Gewerk­schaf­ten, das weiß ich seit mei­nem ach­ten Lebens­jahr, sind böse: Sie wer­den geführt von Men­schen, die so lus­ti­ge Namen wie Moni­ka Wulf-Mathies oder Frank Bsir­s­ke tra­gen, und wenn sie mal schlecht gelaunt sind, wird der Müll wochen­lang nicht abge­holt und es lau­fen Rat­ten über den Schul­hof. Am 1. Mai, wenn nor­ma­le Men­schen aus­schla­fen, lau­fen sie mit selbst­ge­mal­ten Trans­pa­ren­ten durch die Stra­ßen und wol­len Geld.

War­um die Gewerk­schaf­ten das dies­mal wol­len, war mir bis ges­tern nicht so ganz klar. Jens muss­te es mir bei der pl0gbar erklä­ren und war so freund­lich, die­se Erklä­rung gleich auch noch mal bei sich zu blog­gen. Von Sei­ten der Gewerk­schaf­ten hat­te ich bis­her nur einen Zet­tel in der U‑Bahn gese­hen, auf dem stand, dass man als allein­ste­hen­der Stra­ßen­bahn­fah­rer zum Berufs­ein­stieg einen Hun­ger­lohn von 1.200 Euro net­to bekom­me, was für mich jetzt irgend­wie nicht all­zu dra­ma­tisch klang. Auch der Web­site von Ver.di oder die­ser Kam­pa­gnen­sei­te konn­te ich allen­falls ent­neh­men, dass die Gewerk­schaf­ter mehr Geld wol­len. Das will aber jeder, wes­we­gen ich ein paar klei­ne Erklä­run­gen ganz töf­te gefun­den hät­te.

Des­halb for­de­re ich: PR-Bera­ter in die Gewerk­schaf­ten!

Was ein Müll­mann, ein Bus­fah­rer, eine Biblio­the­ka­rin macht, weiß ich selbst – ich möch­te wis­sen, war­um sie mehr Geld wol­len – und da fin­de ich „Weil sie in den letz­ten Jah­ren immer weni­ger Geld gekriegt haben“, schon eine ziem­lich nach­voll­zieh­ba­re Begrün­dung. Ich wet­te nur, wenn man heu­te Mor­gen ein­hun­dert ent­nerv­te Pend­ler befragt hät­te: „Nen­nen Sie einen Grund, war­um Sie heu­te nicht zur Arbeit gefah­ren wer­den!“, wäre „Real­lohn­ver­lus­te in den ver­gan­ge­nen Jah­ren“ nicht die Top-Ant­wort gewe­sen.

Locker ver­teil­te Warn­streiks sind nur ärger­lich: Wenn Mon­tags die Kin­der­gärt­ne­rin­nen strei­ken, Diens­tags die Bus­fah­rer und Mitt­wochs die Müll­ab­fuhr, hat die Bevöl­ke­rung jeden Tag einen Grund sich zu ärgern und total unso­li­da­risch drauf zu sein. Wie wäre es denn mal mit einem ordent­li­chen, alles läh­men­den Gene­ral­streik? Man müss­te sich kei­ne Gedan­ken mehr machen, wer die Kin­der ver­sorgt und wie man zur Arbeit kommt, man könn­te mit den Klei­nen gemüt­lich zuhau­se sit­zen, Kakao trin­ken und ihnen die Rat­ten in den Müll­ber­gen im Vor­gar­ten zei­gen. Frank­reich und Ita­li­en sind berühmt für ihre Gene­ral­streiks und die Deut­schen sind doch sonst immer so ver­narrt in Mer­lot, Lat­te Mat­s­ch­ia­to und Brusket­ta, war­um nicht mal einen schi­cken Gene­ral­streik impor­tie­ren? Danach wüss­ten alle, wo über­all Men­schen arbei­ten, die mehr Geld ver­dient hät­ten,2 und es wäre ein biss­chen wie Urlaub mit­ten im Jahr. Die Stra­ßen wären nicht ver­stopft (auch Gewerk­schaf­ten soll­ten sich dem Umwelt­schutz nicht ver­schlie­ßen) und alle wür­den ein­an­der mögen und toll fin­den.

Statt­des­sen: In Müll­tü­ten geklei­de­te Schnauz­bart­trä­ger, die hin­ter einem bren­nen­den Fass ste­hen und in Tril­ler­pfei­fen bla­sen. So zwan­zigs­tes Jahr­hun­dert, so SPD, so nicht 2.0.

Natür­lich kann es sein, dass dies ein über­kom­me­nes Kli­schee ist oder in Gewerk­schafts­krei­sen als Folk­lo­re im Sin­ne von Kar­ne­val, Fuß­ball oder Volks­mu­sik gilt, aber es ist immer noch das bestim­men­de Bild in den Medi­en. Was letzt­lich auch dar­an lie­gen könn­te, dass Medi­en­kon­zer­ne letzt­lich auch in Gewerk­schaf­ten orga­ni­sier­te Ange­stell­te haben, und des­halb wenig Wert dar­auf legen, dass Strei­ken­de sym­pa­thisch rüber­kom­men.

  1. Größ­te Sym­pa­thien kann erwar­ten, wer mich in Frie­den lässt. Die Welt­po­li­tik soll­te mei­nem Bei­spiel fol­gen. []
  2. Ist es nicht völ­lig bizarr, dass man in der deut­schen Spra­che weni­ger Geld ver­die­nen kann als man ver­dient hät­te? []
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Hier könnte Ihre Metropole stehen

Nördliches Ruhrgebiet von der Zeche Zollverein aus

Ich mag das Ruhr­ge­biet, wirk­lich. Ich lebe ger­ne hier und fin­de vie­les in einem kon­ven­tio­nel­len, gar nicht iro­ni­schen Sin­ne „schön“. Neben ein paar klei­ne­ren Macken, die man in jeder Gegend fin­den könn­te, hat das Ruhr­ge­biet aber ein paar ekla­tan­te Pro­ble­me, die exis­tenz­be­dro­hend sein kön­nen.

Damit mei­ne ich noch nicht mal „Der­Wes­ten“, das lan­ge und groß ange­kün­dig­te, in der Umset­zung aber desas­trö­se Online-Por­tal der WAZ. Zwar bin ich der Mei­nung, dass sich die WAZ-Grup­pe viel­leicht erst mal auf ihre Kern­kom­pe­ten­zen besin­nen (bzw. sol­che auf­bau­en) soll­te, bevor man sich an Kon­zert­agen­tu­ren betei­li­gen will, und auch über die geplan­te Koope­ra­ti­on mit dem WDR wer­de ich mich zu gege­be­ner Zeit sicher­lich noch auf­re­gen, „Der­Wes­ten“ selbst habe ich aber völ­lig abge­schrie­ben und will mich am Ein­prü­geln auf der­art wei­che Zie­le auch nicht mehr betei­li­gen.

Reden wir lie­ber vom Ruhr­ge­biet selbst: Bei ruhrbarone.de gibt es einen sehr lesens­wer­ten Arti­kel über das Image-Pro­blem des Ruhr­ge­biets, das unter ande­rem auch dar­aus resul­tiert, dass die größ­te Metro­pol­re­gi­on Deutsch­lands (und fünft­größ­te Euro­pas – aller­dings mit Köln und Düs­sel­dorf) nach wie vor als unüber­sicht­li­ches Wirr­warr von 56 Städ­ten und Krei­sen wahr­ge­nom­men wird und sich tra­gi­scher­wei­se auch noch selbst so wahr­nimmt.

Im Ruhr­ge­biet leben 5,2 Mil­lio­nen Men­schen – auf­ge­teilt in drei Regie­rungs­be­zir­ke, von denen der eine nach einer Klein­stadt im Sau­er­land benannt ist, zwei Land­schafts­ver­bän­de, vier Krei­se, elf kreis­freie Städ­te, min­des­tens drei WDR-Lan­des­stu­di­os und unge­zähl­te Nah­ver­kehrs­un­ter­neh­men. Der Regio­nal­ver­band Ruhr (RVR) soll das gan­ze halb­wegs zusam­men­hal­ten – wenn nicht gera­de die nicht ganz unbe­deu­ten­de Stadt Dort­mund aus­stei­gen und lie­ber Haupt­stadt der west­fä­li­schen Pro­vinz als Teil einer Metro­po­le sein oder der Kreis Wesel lie­ber nie­der­rhei­ni­sche Pro­vinz als grü­ne Lun­ge der Regi­on sein will. Die SPD, die es in gefühl­ten hun­dert Jah­ren in der NRW-Lan­des­re­gie­rung nicht geschafft hat, das Ruhr­ge­biet zusam­men­zu­brin­gen, will den RVR gar gleich ganz auf­lö­sen.

Fragt man Men­schen aus Bran­den­burg nach ihrer Her­kunft, wer­den sie mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit „Ber­lin“ ant­wor­ten. Wer im Umkreis von etwa hun­dert Mei­len um Städ­te wie New York, Chi­ca­go oder Los Ange­les lebt, wird sich als Ein­woh­ner die­ser (zuge­ge­be­ner­ma­ßen extrem nam­haf­ten) Metro­po­len füh­len. Im Ruhr­ge­biet leben Men­schen, die dar­auf bestehen, aus einem seit 33 Jah­ren unselb­stän­di­gen Stadt­teil Bochums zu kom­men, und ein lau­tes Weh­kla­gen anstim­men, wenn sich das irgend­wann auch mal in der Bahn­hofs­be­schil­de­rung nie­der­schla­gen soll. Kein Wun­der, dass im Aus­land noch nie jemand vom Ruhr­ge­biet gehört hat und man immer „I live near Colo­gne“ sagen muss. Köln hat außer sei­nem wun­der­ba­ren Dom kei­nen Grund, in der Welt bekannt zu sein – im Ruhr­ge­biet gibt es wenigs­tens Bier und fünf Mal so vie­le Leu­te.

Schafft es das Ruhr­ge­biet in die Nach­rich­ten, sind gera­de wie­der ein paar Tau­send Arbeits­plät­ze in Gefahr oder weg­ge­fal­len und irgend­ein Ober­bür­ger­meis­ter, den nicht mal die Ein­woh­ner der Nach­bar­stadt ken­nen, spricht von einem „schwe­ren Schlag“ für sei­ne Stadt und die dor­ti­ge Wirt­schaft. Wahr­lich beein­dru­ckend ist die Soli­da­ri­tät unter den Men­schen hier: Da wird man als Besu­cher des Bochu­mer Schau­spiel­hau­ses gebe­ten, Pro­test­post­kar­ten an die Nokia-Füh­rung in Finn­land aus­zu­fül­len, und die aller­meis­ten machen das ein­fach. Zu Demons­tra­tio­nen am Nokia-Werk kom­men tau­sen­de Leu­te mit unter­schied­lichs­ten Beru­fen und sozia­len Hin­ter­grün­den, aber es klappt nicht, die­se „Wir schaf­fen das!“-Stimmung über die Medi­en zu trans­por­tie­ren – dort heißt es dann, eine gan­ze Stadt ste­he am Abgrund. Über­haupt: Wie wirkt denn das, wenn von „Nokia­nern“ oder „Ope­la­nern“ die Rede ist, ganz so, als gin­ge es um außer­ir­di­sche Lebens­for­men oder schlim­me Krank­hei­ten? Ent­las­se­ne Simens-Mit­ar­bei­ter hei­ßen doch auch „Sie­mens-Mit­ar­bei­ter“.

Zwar wer­den regel­mä­ßig neue For­schungs­zen­tren, Indus­trie­parks und ähn­li­ches eröff­net (und manch­mal auch wie­der geschlos­sen), aber das wird selbst in der regio­na­len Pres­se immer unter einem Rubrum wie „IT statt Koh­le“ auf­ge­führt, ganz so, als lie­fen hier immer noch alle mit schwarz ver­schmier­ten Gesich­tern durch stau­bi­ge Stra­ßen und wür­den gera­de ihre ers­te elek­tri­sche Schreib­ma­schi­ne anschlie­ßen. Fast scheint es, als wol­le man den gera­de statt­fin­den­den Struk­tur­wan­del ver­schwei­gen, weil es immer noch bes­ser ist, der „Koh­len­pott“ zu sein als so ein eigen­schafts­lo­ser Wachs­tums­raum wie Halle/​Leipzig.

Dafür wird das Ruhr­ge­biet ja euro­päi­sche Kul­tur­haupt­stadt des Jah­res 2010, mag man jetzt den­ken. Die Hoff­nun­gen, dass von die­ser Ver­an­stal­tung irgend­ein posi­ti­ver Impuls aus­ge­hen könn­te, habe ich aller­dings so gut wie begra­ben. Zwar ist es in Deutsch­land guter Brauch, alles im Vor­hin­ein schei­ße zu fin­den und es hin­ter­her zu beju­beln (Welt­aus­stel­lun­gen, Fuß­ball­welt­meis­ter­schaf­ten, Die Lin­ke), aber in die­sem Fall deu­tet vie­les dar­auf hin, dass die „Ruhr.2010“ in der Tat ein Desas­ter unge­ahn­ten Aus­ma­ßes wer­den könn­te. Dju­re hat bei blog.50hz.de viel über den sog. Logostreit, den Slo­gan und die Finan­zie­rung geschrie­ben und sich trotz opti­mis­ti­scher Aus­gangs­hal­tung inzwi­schen zur For­de­rung „Absa­gen, ein­fach absa­gen …“ hoch­ge­ar­bei­tet.

Wie gesagt: Ich mag das Ruhr­ge­biet. Aber ich habe das Gefühl, die Leu­te, die in die­ser Regi­on etwas zu sagen haben, has­sen die Idee dahin­ter. Und die Leu­te, die hier leben, mer­ken gar nicht, dass sie im Ruhr­ge­biet leben.

Universitätsstraße in Bochum
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Rundfunk Politik

Florida Lady

3.595 Stim­men beträgt im vor­läu­fi­gen amt­li­chen End­ergeb­nis die Dif­fe­renz zwi­schen der CDU und der SPD in Hes­sen. Das ist weni­ger als die 6.027 Stim­men, die die SPD bei der Bun­des­tags­wahl 2002 vor der CDU/​CSU lag, aber bedeu­tend mehr als die 537 Stim­men Unter­schied zwi­schen Geor­ge W. Bush und Al Gore in Flo­ri­da (bei mehr als dop­pelt so vie­len abge­ge­be­nen Stim­men).

Ähn­lich span­nend wie damals in Flo­ri­da war es auch heu­te Abend. In der ARD bewies Infra­test dimap mal wie­der, dass man teu­re Wahl­um­fra­gen auch wun­der­bar durch wür­feln­de Affen erset­zen könn­te, denn am Ende waren alle wich­ti­gen Details anders als pro­gnos­ti­ziert: Um 18 Uhr lag die SPD bei 37,5%, die CDU bei 35,7%, Die Lin­ke wäre drau­ßen geblie­ben. Roland Koch wird sich also mor­gen trotz her­ber Ver­lus­te rüh­men kön­nen, man habe ihn zu früh abge­schrie­ben.

Ähn­lich wie damals in Flo­ri­da gab es offen­bar erheb­li­che Pro­ble­me und Unre­gel­mä­ßig­kei­ten mit Wahl­com­pu­tern, die der Cha­os Com­pu­ter Club in einer Pres­se­mit­tei­lung zusam­men­ge­fasst hat. Und in den Qua­li­täts­me­di­en fin­det sich dazu (anders als in Blogs) kein Wort.

Nach­trag 13:52 Uhr: Die Rhein-Main-Zei­tung hat einen Arti­kel zum The­ma online.

Nach­trag 20:14 Uhr: Eine Mel­dung zum The­ma hat’s sogar auf „Bild.de“ geschafft.

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Du willst es doch auch!

Es freut mich außer­or­dent­lich, dass die gro­ße Cof­fee-And-TV-Leser­wahl „Auf­guss 2007“ sich offen­bar auf Anhieb sol­cher Beliebt­heit erfreut, dass eini­ge Men­schen alles unter­neh­men, um auch gewählt zu wer­den.

Die­ser Tage erreich­ten uns noch fol­gen­de Bewer­bun­gen für die Kate­go­rie „Depp des Jah­res“:

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Politik

Maulwurf bei der CDU

„Ich sei, gewährt mir die Bit­te, in Eurem Bun­de die Mit­te!“
(Fried­rich Schil­ler, „Die Bürg­schaft“, 1. unver­öf­fent­lich­te Fas­sung)

CDU. Die Mitte.
Screen­shot: cdu.de

Obi­ges Logo hat die CDU groß auf der Büh­ne ihres Par­tei­tags in Han­no­ver mon­tiert. Bit­te beach­ten Sie den kur­zen schwar­zen Bogen und den sehr viel län­ge­ren roten Bogen in der Mit­te, dane­ben den Schrift­zug „Die Mit­te“.

Fällt denen denn nicht mal auf, dass die einem Sozi-Gra­fi­ker auf­ge­ses­sen sind?

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Feigheit ist keine Nachricht

Wir müs­sen noch­mal auf die Erklä­rung der 26 SPD-Abge­ord­ne­ten zu spre­chen kom­men, in der die­se ihre ver­fas­sungs­recht­li­chen Beden­ken gegen­über dem Gesetz zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung aus­drück­ten, dann aber erklär­ten, die­sem trotz­dem zuzu­stim­men.

Nicht nur ix und Dr. Dean fra­gen sich, war­um es das The­ma eigent­lich über­haupt nicht in die Medi­en geschafft hat. Der Sache woll­te ich dann doch mal auf den Grund gehen.

Ich schrieb also eini­ge E‑Mails und rief in Redak­tio­nen an, wo man mich bat, wei­te­re E‑Mails zu schi­cken. Eine wirk­li­che Ant­wort habe ich bis­her nur vom ZDF bekom­men, wobei das eigent­lich auch kei­ne Ant­wort auf mei­ne Fra­ge war:

Da an die­sem Tag auch der Son­der­er­mitt­ler des Euro­pa­rats Dick Mar­ty sei­nen Bericht vor­stell­te, habe man die­sem Ansatz den Vor­zug gege­ben gegen­über einer eher inlands­ori­en­tier­ten Bericht­erstat­tung.

Offen­bar war die Erklä­rung der Abge­ord­ne­ten des­halb nir­gend­wo The­ma gewe­sen, weil außer den Redak­teu­ren bei heise.de nie­mand in das Pro­to­koll der ent­spre­chen­den Bun­des­tags­sit­zung geguckt hat­te. Die 26 Abge­ord­ne­ten hat­ten es also nicht nur geschafft, einem Gesetz zuzu­stim­men, dass sie selbst für ver­fas­sungs­wid­rig hiel­ten, sie hat­ten es auch noch fer­tig gebracht, dies in einer öffent­li­chen Erklä­rung zuzu­ge­ben, die nie eine brei­te­re Öffent­lich­keit erreicht hat (oder errei­chen soll­te). Dafür muss­ten sie nur eine Erklä­rung nach § 31 der Geschäfts­ord­nung des Deut­schen Bun­des­ta­ges abge­ben:

§ 31 Erklä­rung zur Abstim­mung

(1) Nach Schluß der Aus­spra­che kann jedes Mit­glied des Bun­des­ta­ges zur abschlie­ßen­den Abstim­mung eine münd­li­che Erklä­rung, die nicht län­ger als fünf Minu­ten dau­ern darf, oder eine kur­ze schrift­li­che Erklä­rung abge­ben, die in das Ple­nar­pro­to­koll auf­zu­neh­men ist. Der Prä­si­dent erteilt das Wort zu einer Erklä­rung in der Regel vor der Abstim­mung.

Damit ent­las­tet man sein Gewis­sen und kann hin­ter­her, wenn das Gesetzt kas­siert wur­de und mal wie­der alle auf der Bun­des­re­gie­rung rum­ha­cken, freund­lich lächelnd Anla­ge 4 her­vor­ho­len und „Wir ham’s ja schon immer gesagt“ mur­meln.

Eine ande­re Mög­lich­keit, dass die Öffent­lich­keit von der Erklä­rung erfah­ren hät­te, wäre natür­lich der Pran­ger der Oppo­si­ti­on gewe­sen. Also rief ich mal bei den drei Oppo­si­ti­ons­par­tei­en im Deut­schen Bun­des­tag an und frag­te, war­um man die­se Vor­la­ge aus Tei­len der SPD-Frak­ti­on denn nicht für eine öffent­li­che Bloß­stel­lung der 26 Abge­ord­ne­ten genutzt habe.

Bei der FDP hat­te man bis zu mei­nem Anruf noch nichts von der Erklä­rung gehört, war aber sehr inter­es­siert und sag­te mir, man wol­le „über Hand­lungs­mög­lich­kei­ten nach­den­ken“. Viel­leicht höre ich von denen also noch was.

Mark Sei­bert, Refe­rent im Büro des Die-Lin­ke-Abge­ord­ne­ten Jan Kor­te, nann­te die Erklä­rung eine „poli­ti­sche Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit“, die dem ohne­hin umstrit­te­nen Gesetz „die Kro­ne auf­ge­setzt“ habe. Aller­dings sei zu dem kon­kre­ten Fall im Moment nichts geplant, da „kein neu­er Nach­rich­ten­wert“ vor­han­den sei. Die Lin­ke und beson­ders Jan Kor­te sei­en aber in ver­schie­de­nen Initia­ti­ven gegen die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung orga­ni­siert und plan­ten wei­te­re Aktio­nen.

Auch bis zu Bünd­nis 90/​Die Grü­nen war der Inhalt von Anla­ge 4 noch nicht ganz durch­ge­drun­gen. Wolf­gang Wie­land, Spre­cher für Inne­re Sicher­heit der grü­nen Frak­ti­on, ließ mir aber nur weni­ge Stun­den nach mei­nem Anruf eine schrift­li­che Stel­lung­nah­me zukom­men, die ich (schon wegen ihrer Exklu­si­vi­tät) ger­ne wie­der­ge­be:

Dass man für ein Gesetz stimmt, weil man die Inhal­te über­zeu­gend fin­det, ist der Nor­mal­fall. Dass es weni­ge Geset­ze gibt, bei denen man als Abge­ord­ne­ter nicht auch eini­ge Aspek­te ver­zicht­bar gefun­den hät­te, gehört eben­falls dazu. Wer aber für ein Gesetz stimmt und dar­auf ver­traut, dass sei­ne unge­lieb­ten Tei­le sowie­so bald vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt kas­siert wer­den, der ver­sucht, aus einem Dilem­ma eine win-win-Situa­ti­on zu machen.

Tat­sa­che ist: Die Logik hin­ter der jüngst beschlos­se­nen Vor­rats­da­ten­spei­che­rung stellt Sicher­heit über Frei­heit. Tat­sa­che ist auch, dass sie sowohl euro­pa­recht­lich wie grund­ge­setz­lich auf wacke­li­gen Bei­nen steht. Das erken­nen die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von der SPD ja auch, aber sie han­deln nicht danach. Das ist ent­täu­schend, denn es ist Auf­ga­be des Gesetz­ge­bers, ver­fas­sungs­recht­li­che Beden­ken von vorn­her­ein aus­zu­räu­men und ent­spre­chen­de Geset­ze zu ver­ab­schie­den. Das Mot­to „Koali­ti­ons­frie­den wah­ren, Idea­le zitier­fä­hig ins Pro­to­koll schrei­ben, Karls­ru­he das Auf­räu­men über­las­sen“ darf nicht die Hand­lungs­ma­xi­me für Abge­ord­ne­te sein.

Für uns Blog­ger heißt das, dass wir einer­seits zwar ganz nah an den The­men sind, der Sprung die­ser The­men in die sog. „eta­blier­ten Medi­en“ und in eine brei­te­re Öffent­lich­keit aber ande­rer­seits noch über­haupt nicht funk­tio­niert.

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Leserbriefschreiber 2.0

Ich habe nie ver­stan­den, was für Leu­te das sind, die sich hin­set­zen und einer Zei­tung oder einem Maga­zin einen Brief schrei­ben, in dem sie den Redak­teu­ren mit­tei­len, dass die­se alle „auf Linie gebracht“ sei­en, Deutsch­land von unfä­hi­gen Irren regiert wer­de und die dann kurz aus­füh­ren, wie das in der Welt so wirk­lich lau­fe. Aber immer­hin: Die­se Men­schen haben sich die Zeit genom­men, sich hin­zu­set­zen, einen Brief zu for­mu­lie­ren, ihn zum Brief­kas­ten zu brin­gen und sie wür­den ihre Abon­ne­ments nie kün­di­gen, weil sie ja immer nach­se­hen müs­sen, ob ihr Brief auch bis aufs letz­te Kom­ma abge­druckt wird.

Im Inter­net ist das anders: Man liest auf der Web­sei­te einer Zei­tung oder eines Maga­zins einen Arti­kel, klickt auf „Arti­kel kom­men­tie­ren“ und noch ehe sich im Hirn Sät­ze bil­den konn­ten, hat man schon irgend­was in die Tas­ten gehäm­mert und auf „Abschi­cken“ geklickt.

Heu­te habe ich, weil Hei­se dar­auf ver­linkt hat­te, bei „Welt Online“ den Arti­kel „SPD plant Grund­recht auf Infor­ma­ti­ons­frei­heit“ gele­sen. Wir wol­len mal nicht dar­über spre­chen, dass aus­ge­rech­net die Par­tei, die ver­gan­ge­ne Woche noch mit Pau­ken und Trom­pe­ten für eine Aus­wei­tung der Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung war, plötz­lich ein „Grund­recht auf Infor­ma­ti­ons­frei­heit im Inter­net“ im Grund­ge­setz ver­an­kern will. Über die­se Sor­te Logik-Pirou­et­te, die bei der SPD lang­sam in Mode zu kom­men scheint, sol­len sich ande­re aus­las­sen.

Reden wir lie­ber über das, was die Kom­men­ta­to­ren bei „Welt Online“ so kom­men­tiert haben: Los ging es mit dem, was „Ein Bür­ger“ so zu sagen hat­te.1

Ein Bür­ger meint:
17-11-2007, 13:46 Uhr
Wel­che Par­tei hat gera­de unter Frak­ti­ons­zwang für die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung gestimmt? Wel­che Par­tei hat unter Schrö­der heim­li­che Online­durch­su­chun­gen rechts­wid­rig ein­ge­führt?
Ach ja, die SPD!!!

Und jetzt will die­se Par­tei angeb­lich für bür­ger­li­che Frei­heits­rech­te und weni­ger Rech­te für die Staats­ge­walt kämp­fen?

Die machen sich doch lächer­lich und voll­kom­men unglaub­wür­dig.

In Wahr­heit will die SPD eine neue DDR und ver­sucht jetzt die „Mau­er“ die­ses Jahr­hun­derts (=tota­le Infor­ma­ti­ons- und Kommunikationskontrolle)als anti­fa­schis­ti­schen Schutz­wall (= SPD Initia­ti­ve: Grund­recht auf Infor­ma­ti­ons­frei­heit) zu tar­nen.

Wider­li­che Wort­akro­ba­tik!

Sie wer­den gleich mer­ken, dass die­se Aus­sa­ge in Sachen Para­noia noch zu den ver­nünf­ti­ge­ren Bei­trä­gen gehört – aber auch in Sachen Recht­schrei­bung und Gram­ma­tik ist das hier erst der Anfang.

Sil­ver­co­in meint:
17-11-2007, 14:31 Uhr
Infor­ma­tio­nen sind sowie­so nur für die jewei­li­gen Schich­ten der Bevöl­ke­rung vor­be­stimmt…
Wie soll der Staat ein Grund­recht auf Infor­ma­ti­on garan­tie­ren, wenn er es nicht ein­mal schafft die ande­ren Grund­rech­te, wie Pres­se­frei­heit und Post­mel­de­ge­heim­nis ein­zu­hal­ten.

Je län­ger ich die­ses Trei­ben in der Poli­tik ver­fol­ge, umso mehr wün­sche ich mir wie­der einen Kai­ser oder Ähn­li­ches.…
Auf die­se Art von Demo­kra­tie kann das Volk ver­zich­ten.….
Wir haben kei­ne Demo­kra­tie in Deutsch­land, son­dern eine Hypo­kra­tie.…

Und Sie glau­ben ja gar nicht, wie vie­le Staats­theo­re­ti­ker sich so an einem Sams­tag­nach­mit­tag im Kom­men­tar­be­reich von „Welt Online“ tum­meln:

ZWEIFLER meint:
17-11-2007, 15:20 Uhr
Das Sys­tem wird eh bald zusam­men­bre­chen. Dann kommt was Ande­res. So kann es nicht funk­tio­nie­ren. In Wirk­lich­keit regie­ren die Lob­by­is­ten, nicht das Volk.

Dabei weiß doch jedes Kind, wer Deutsch­land seit Erfin­dung der Stamm­ti­sche regiert: Natür­lich „die da oben“.

mavy meint:
17-11-2007, 16:12 Uhr
naja .. der wie­fel­spütz ist schon etwas glaub­wür­di­ger wie vie­le der ande­ren kas­per die da oben unse­re „eli­te“ bil­den sol­len

Aber hal­ten wir uns nicht mit den klei­nen Kas­pe­rei­en auf, wen­den wir uns den Rund­um­schlä­gen zu, der Ver­qui­ckung sämt­li­cher denk­ba­rer The­men, der ganz gro­ßen Ver­schwö­rung:

cor­vus albus meint:
17-11-2007, 17:56 Uhr
Dann soll­te es ‚Kom­mu­ni­ka­ti­ons­frei­heit ‘ lau­ten, weil Infor­ma­ti­on ein­sei­tig abge­ru­fen wird!
Aber zunächst soll­te die SPD mal die Bür­ger sel­ber infor­mie­ren, wie sie so zu tür­ki­schen Natio­na­lis­ten steht? Wäh­rend Beck die NPD ver­bie­ten las­sen will singt Stein­mei­er mit den tür­ki­schen Wöl­fen? Das Schwei­gen der SPD zu die­sen Vor­gang und der Medi­en ist ein­deu­ti­ger als lau­te Schreie lie­be Poli­ti­ker.… und der gan­ze Bun­des­tag schaut weg, weil es da um die deutsch-tür­ki­sche Freund­schaft geht? Lie­be Poli­ti­ker, unter ‚Freun­den‘ soll­te ein klä­ren­des Gespräch schon mög­lich sein, oder ist das etwa eine sol­che Freund­schaft, die uns der Ex-Kanz­ler Ger­hard mit Chi­na beschert hat?
Je mehr die Medi­en die­sen Fall beschwei­gen, um so mehr weiss der Büger, dass da etwas nicht stimmt im Hin­ter­grund! Hal­tet uns doch bit­te nicht für so blöd wie ihr uns ger­ne hät­tet !
Die Print-Medi­en sind schon zen­siert… soll nun per Gesetz auch noch das Inter­net zen­siert wer­den? Das scheint mir der wah­re Hin­ter­grund zu sein!

Geben Sie mir aber, bevor wir zu den Jesui­ten, den Außer­ir­di­schen und Hit­lers Tun­nel nach Tibet kom­men, noch kurz Gele­gen­heit, den popu­lärs­ten Irr­tum der deut­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te2 aus­zu­räu­men:

outface5 meint:
17-11-2007, 18:19 Uhr
.…die Ähn­lich­keit mit frü­he­ren „Sys­te­men“ Deutsch­lands wird immer deut­li­cher.

…denk ich an Deutsch­land in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. (Hein­rich Hei­ne 1797–1856)

In sei­nem Gedicht „Nacht­ge­dan­ken“ ist Hein­rich Hei­ne (1797–1856) näm­lich des­halb um den Schlaf gebracht, weil er außer­halb Deutsch­lands weilt und sich zur Mut­ter zurück­sehnt. Statt „mein Gott, wie geht die­ses Deutsch­land nur den Bach run­ter“ schrieb er sogar:

Deutsch­land hat ewi­gen Bestand,
Es ist ein kern­ge­sun­des Land,
Mit sei­nen Eichen, sei­nen Lin­den,
Werd‘ ich es immer wie­der­fin­den.

Nach Deutsch­land lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mut­ter dor­ten wär;
Das Vater­land wird nie ver­der­ben,
Jedoch die alte Frau kann ster­ben.

Nun, da Sie mit­hil­fe die­ses klei­nen lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­chen Exkur­ses dem Schwie­ger­va­ter bei der nächs­ten Debat­te am Ess­tisch das Maul stop­fen kön­nen, wol­len wir’s aber auch mal rich­tig irr wer­den las­sen:

Von Ber­li­chin­gen meint:
17-11-2007, 18:28 Uhr
Der Vor­stoß der SEPD kommt lei­der 60 Jah­re zu spät.
1968 hat die SEPD die Kur­ve nicht gekriegt.….und nun begin­nen die Rück­füh­rungs­ak­tio­nen. Mit den Deut­schen Hei­mat­ver­trie­be­nen hat­te auch kei­ner Mit­leid.
Aber wir wer­den unse­ren Gast­ar­bei­tern kein Haar krüm­men. So wahr uns Gott hel­fe!

Also, unter uns: Ich weiß auch nicht, was der Mann meint. Aber der Mann hat Zeit. Und irgend­ein erns­te­res Pro­blem:

von Ber­li­chin­gen meint:
18-11-2007, 05:03 Uhr
Ich brau­che weder von der SPD noch von den GRÜNEN ein Grund­recht auf Infor­ma­ti­ons­frei­heit.
Die­se Frei­heit mich umfas­send zu infor­mie­ren, habe ich mir seit mei­ner frü­hes­ten Jugend immer schon selbst genom­men.
Bevor es das Inter­net gab, habe ich mir Bücher, die in Deutsch­land nicht ver­legt wur­den und nur in eng­li­scher Spra­che publi­ziert wur­den über den Ame­ri­can Book­s­to­re in Frank­furt am Main bestellt oder auf Aus­lands­rei­sen gekauft.
Ich habe mei­ne Infor­ma­tio­nen z.B. nie aus dem Spie­gel-Maga­zin oder aus dem „Vor­wärts“ bezo­gen.
Von mir aus könn­te der Bun­des­tag ein Gesetz erlas­sen, das die­se Unsit­te der Lügen­pro­pa­gan­da-Pla­ka­te­kle­be­rei bei Wahl­kämp­fen end­lich ver­bo­ten wird. Das ist opti­sche und geis­ti­ge Umfeld­ver­schmut­zung und kos­tet Mil­lio­nen an Papier und Dru­cker­far­be. Für wie blöd hal­ten uns die­se Par­tei­en eigent­lich?
Hat die ARD und GEZ schon die neu­es­ten Umfra­ge­wer­te zur heu­ti­gen Sonn­tags­fra­ge ver­öf­fent­licht? Oder kommt das erst wie­der wenn der Wahl­kampf eröff­net ist?
Wer bezahlt eigent­lich für die­se Umfra­gen? Das macht doch ein „For­sa-Insti­tu­te“ nicht umsonst. Wer ist denn der Auf­trag­ge­ber, der sich da Umfra­ge­wer­te nach sei­nem Gut­dün­ken bas­teln lässt?
Sehen Sie, von der WELT-Redak­ti­on, ich mache von mei­nem Recht mich infor­mie­ren zu dür­fen Gebrauch und stel­le hier ein­fach mal dum­me Fra­gen.

Und weil in der Redak­ti­on von „Welt Online“ offen­bar nie­mand liest, was die Kom­men­ta­to­ren da so von sich geben, und des­halb auch nie­mand dum­me Ant­wor­ten auf sei­ne dum­men Fra­gen geben konn­te, schrieb „von Ber­li­chin­gen“ ein­fach mun­ter wei­ter:

von Ber­li­chin­gen meint:
18-11-2007, 11:50 Uhr
Ist es Infor­ma­ti­ons­frei­heit wenn einer auf die Idee kom­men wür­de zu fra­gen: Hat jemand die Toten der Ver­trei­bun­gen gezählt und hat der­je­ni­ge eine Namens­lis­te aller die­ser Toten? Gefal­le­ne gab es ja auf bei­den Sei­ten, da sie gezwun­gen wur­den, auf Leben und Tod gegen­ein­an­der zu kämp­fen. Bis zum letz­ten Mann. [ Frau­en und Kin­der und Grei­se und Ampu­tier­te waren für eine der bei­den Sei­ten damals unin­ter­res­sant. Das wur­de unter dem Begriff „Kol­la­te­ral­schä­den“ abge­hakt. Ab-Ge-Hakt. Haken­kreuz ] Da wur­de der Tod des eige­nen Vol­kes bewusst in Kauf genom­men, damit es nicht sovie­le Mit­es­ser gab.

Gut, für „Polit­cal­ly Incor­rect“ reicht’s noch nicht ganz und die Aus­füh­run­gen sind ver­mut­lich auch viel zu wirr, um dar­in etwas jus­ti­zia­bles zu fin­den, aber merk­wür­dig darf man den Bei­trag wohl min­des­tens fin­den.

Indes: Nicht so merk­wür­dig, wie der Kom­men­tar, den „Petra“ heu­te um 12:17 Uhr abge­ge­ben hat. Ihr eige­ner Bei­trag dazu besteht aus zwei Wör­tern:

Unse­re SPD.

Die rest­li­chen 38 Zei­len ihres Kom­men­tars bestehen aus einem Arti­kel der nicht unum­strit­te­nen Wochen­zei­tung „Jun­ge Frei­heit“. Dar­in wird die Behaup­tung auf­ge­stellt, an einem aktu­el­len Buch der baden-würt­tem­ber­gi­schen SPD-Poli­ti­ker Ute Vogt und Ste­phan Braun über die „Jun­ge Frei­heit“ hät­ten „Links­extre­mis­ten“ mit­ge­ar­bei­tet – das bele­ge „eine jetzt erschie­ne­ne Stu­die“ aus dem Ver­lag der „Jun­gen Frei­heit“. (Lesen Sie den Arti­kel doch selbst und über­se­hen Sie dabei auch nicht die Nen­nung der evan­ge­li­ka­len Pres­se­agen­tur idea als Quel­le.)

Die­ser kopier­te Arti­kel jeden­falls, der wenig bis gar nichts mit dem The­ma zu tun hat, steht seit fünf Stun­den im Kom­men­tar­be­reich von „Welt Online“.

1 Sie fin­den den Anfang ganz hin­ten, „Welt Online“ zieht es vor, sei­ne Leser­kom­men­ta­re umge­kehrt chro­no­lo­gisch anzu­zei­gen.
2 Der popu­lärs­te Irr­tum der eng­li­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te ist die Annah­me, „Fran­ken­stein“ sei der Name des Mons­ters in Mary Shel­leys Roman.

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Licht aus, Spott an

Wie kann man heut­zu­ta­ge in Deutsch­land eigent­lich noch wirk­lich pro­vo­zie­ren? In Zei­ten, in denen schon jeder und alles mit irgend­wel­chen Nazi-Sachen ver­gli­chen wur­de, muss man sich was neu­es ein­fal­len las­sen: den Kohl-Ver­gleich.

Erfun­den hat ihn Bun­des­tags­vi­ze­prä­si­dent Wolf­gang Thier­se in der „Leip­zi­ger Volks­zei­tung“. Zumin­dest zitiert die­se ihn wie folgt:

Mün­te­fe­ring geht, weil ihm Pri­va­tes in einer ent­schei­den­den Lebens­pha­se wich­ti­ger als alles ande­re ist. Ein Ein­schnitt?

Es ist eine unpo­li­ti­sche Ent­schei­dung, dass Franz Mün­te­fe­ring sei­ne Frau in der letz­ten Pha­se ihres Lebens direkt beglei­ten will. Sei­ne Frau im Dun­keln in Lud­wigs­ha­fen sit­zen zu las­sen, wie es Hel­mut Kohl gemacht hat, ist kein Ide­al. Ohne dass das ver­gleich­bar wäre. Die Poli­tik ist nicht das Aller­wich­tigs­te. Man soll­te sich in sol­chen Pha­sen das Recht neh­men, auch ein­mal still zu hal­ten. Es ist nicht so, dass man ein Schwäch­ling ist, wenn man nicht immer sofort in die­sen unmensch­li­chen Ent­schei­dungs­druck ver­fällt.

Zitat: lvz-online.de

Zur Erin­ne­rung: Han­ne­lo­re Kohl, die Frau von Ex-Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl, litt schon wäh­rend des­sen Amts­zeit an einer schwe­ren Licht­all­er­gie, die sie zuletzt dazu zwang, in einem völ­lig abge­dun­kel­ten Haus zu leben, und nahm sich im Juli 2001 das Leben (vgl. dazu auch die­ses geschmack­vol­le „Spiegel“-Titelbild).

So, wie Thier­se von der „Leip­zi­ger Volks­zei­tung“ zitiert wird, wäre das natür­lich eine etwas unglück­li­che, viel­leicht auch schlicht­weg geschmack­lo­se Äuße­rung. Thier­se sah sei­ne Aus­füh­run­gen zunächst ein­mal als „falsch und ver­kürzt“ wie­der­ge­ge­ben und schrieb dem Alt­kanz­ler einen per­sön­li­chen Brief, in dem er bedau­er­te, dass „ein fal­scher Ein­druck ent­stan­den sei“. (Man beach­te dabei den alten PR-Trick und bedaue­re nicht sei­ne Äuße­run­gen, son­dern den Ein­druck, der durch sie ent­stan­den sein könn­te.)

Unter­des­sen schrien Poli­ti­ker aller Par­tei­en schon Zeter und Mor­dio und ver­such­ten, die Num­mer zu einem Rie­sen­skan­dal hoch­zu­ju­beln, in des­sen Wind­schat­ten die heu­ti­ge Diä­ten­er­hö­hung medi­al unter­ge­hen könn­te.

Wer ver­ste­hen will, wie Poli­tik und Medi­en heut­zu­ta­ge funk­tio­nie­ren, muss nur die­sen Arti­kel bei n‑tv.de lesen:

„Die Äuße­run­gen von Herrn Thier­se sind für mich mensch­lich zutiefst unver­ständ­lich. Sie gren­zen für mich an Nie­der­tracht“, sag­te Mer­kel der „Bild“.

[…]

Uni­ons-Frak­ti­ons­chef Vol­ker Kau­der (CDU) sprach von einem „Tief­punkt im Umgang“ unter Kol­le­gen. CSU-Lan­des­grup­pen­chef Peter Ram­sau­er sag­te, ein Bedau­ern rei­che „hin­ten und vor­ne nicht“. „Das ist des Deut­schen Bun­des­tags nicht wür­dig. FDP-Chef Gui­do Wes­ter­wel­le hat recht, wenn er sagt, er kann sich durch einen sol­chen Vize­prä­si­den­ten nicht reprä­sen­tiert füh­len.“ Wes­ter­wel­le sprach im „Köl­ner Stadt-Anzei­ger“ von „unter­ir­di­schen“ Äuße­run­gen.

Sie sehen schon: Die reden alle über­ein­an­der und mit der Pres­se, aber in kei­nem Fall mit­ein­an­der – und das Volk sitzt dane­ben wie das Kind geschie­de­ner Eltern, die nur noch über ihre Anwäl­te mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren.

Im „Bild“-Artikel kom­men noch ein paar wei­te­re Hoch­ka­rä­ter zu Wort:

Hes­sens Minis­ter­prä­si­dent Roland Koch (CDU) empört: „Schä­big und geschmack­los!“ Jun­ge-Uni­on-Chef Phil­ipp Miß­fel­der: „Par­tei­chef Kurt Beck muss Thier­se sofort zur Ord­nung rufen.“

Und weil die Luft lang­sam dünn wur­de, schal­te­te Thier­se einen Gang höher und ent­schul­dig­te sich heu­te mor­gen per Brief „in aller Form“ bei Hel­mut Kohl. Rich­ti­ger noch: Er bat um Ent­schul­di­gung, was ja heut­zu­ta­ge auch eine sprach­li­che Sel­ten­heit ist.

Wie reagiert eigent­lich Kohl auf den Brief sei­nes alten Freun­des und das gan­ze Thea­ter drum her­um? Mit der ihm übli­chen staats­män­ni­schen Grö­ße und Gelas­sen­heit:

„Ich neh­me die­se Ent­schul­di­gung an. Zum Vor­gang selbst will ich sonst nichts sagen.“

Ich weiß schon, war­um der Mann auf ewig „mein“ Kanz­ler blei­ben wird.

Nach­trag 17. Novem­ber: Gera­de erst fest­ge­stellt, dass die­se ers­te öffent­li­che Erwäh­nung des Namens Hel­mut Kohl seit Mona­ten zufäl­li­ger­wei­se mit der Prä­sen­ta­ti­on des drit­ten Bands von Kohls Auto­bio­gra­fie zusam­men­fiel …

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An Tagen wie diesen

Stel­len Sie sich bit­te für einen Moment vor, sie wären Frank-Wal­ter Stein­mei­er, der deut­sche Außen­mi­nis­ter.

Ihre Woche hät­te damit begon­nen, dass Sie mit Ihrem fran­zö­si­schen Amts­kol­le­gen ein Ton­stu­dio auf­su­chen, um dort einen „Inte­gra­ti­ons­song“ ein­zu­sin­gen. Mit sowas macht man sich zwar mit­un­ter ein biss­chen zum Horst, aber es ist immer­hin eine schö­ne Abwechs­lung zum übli­chen Poli­ti­ker­all­tag und bei der Bevöl­ke­rung kommt sowas auch gut an.

Mon­tag Abend hät­ten Sie im Kanz­ler­amt geses­sen und die Koali­ti­ons­run­de wäre für Ihre Par­tei, die SPD, nicht wirk­lich erfolg­reich ver­lau­fen. Als Sie nach Hau­se gekom­men wären, hät­ten Sie im „Nacht­ma­ga­zin“ hören müs­sen, dass eine Fil­me­ma­che­rin schwe­re Vor­wür­fe gegen den Musi­ker erhebt, mit dem Sie am Mor­gen noch im Ton­stu­dio waren.

Der Diens­tag hät­te also für Sie im „Mor­gen­ma­ga­zin“ der ARD begon­nen, wo Sie erst mal hät­ten erklä­ren müs­sen, dass Sie sich nicht vor­stel­len könn­ten, dass die Vor­wür­fe rich­tig sei­en. Als nächs­tes hät­ten Sie erfah­ren, dass Ihr frü­he­rer Par­tei­vor­sit­zen­der Franz Mün­te­fe­ring aus pri­va­ten Grün­den vom Amt des Arbeits­mi­nis­ters und Vize­kanz­lers zurück­tritt.

Weil Sie neu­er Vize­kanz­ler wer­den soll­ten, wäre bei Ihnen natür­lich alles drun­ter und drü­ber gegan­gen und Sie hät­ten erst am Ende des gest­ri­gen Tages mit­be­kom­men, dass 26 Ihrer Frak­ti­ons­kol­le­gen ziem­li­chen Mist ver­zapft hät­ten.

Es sind Tage wie die­se, an denen ich es beson­ders bedaue­re, dass es in Deutsch­land kein Äqui­va­lent zur „Dai­ly Show“ gibt …