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Rundfunk Kultur Fernsehen

Blutig: Noch ein Medium durch!

Fernseher (unter CC-Lizenz von Walt Jabsco)

Ich wollte nicht über Marcel Reich-Ranicki und seinen Auftritt beim Fernsehpreis schreiben. Andere Leute haben eine Vielzahl von klugen Texten geschrieben, die ich alle auf ihre Weise nachvollziehen kann.

Aber erstens ist dieses Land eh über Nacht zu einer Nation von 82 Millionen Medienkritikern geworden, ((Heute Abend werden’s dann aber wieder 82 Millionen Fußballtrainer, versprochen!)) und zweitens haben mich die Reaktionen der Fernsehleute jetzt, da sich der erste Staub gelegt hat und der wütende, alte Mann nicht mehr in Hörweite ist, wahnsinnig gemacht. Die “Frankfurter Rundschau” hat einige davon dokumentiert, “Bild” und die “Netzeitung” ebenfalls.

Es ist unfassbar: Medienschaffende, Journalisten gar, ((Und das schreibe ich ohne Gänsefüßchen und Ironie.)) befinden sich plötzlich in der Situation, dass ihr Medium kollektiv abgewatscht und für scheiße befunden wird. Ja, “Willkommen im Club”, kann ich da nur sagen, denn als Blogger passiert einem das regelmäßig.

Nur sind die meisten Blogger Amateurpianisten auf der medialen Klaviatur, weswegen wir immer noch ständig in Rechtfertigungsgestammel verfallen. Fernsehmacher hingegen sollten Profis sein — und entsprechend reagieren. Das heißt, sie stellen sich entweder selbstbewusst hin und sagen: “Ja, kann schon sein, dass wie hier Mist machen. Aber die Leute mögen es und auch wir können noch jeden Tag in den Spiegel gucken, lasst uns doch den Spaß”, ((Was bizarrerweise nah dran ist an dem, was ausgerechnet Marco Schreyl am Samstag getan hat.)) oder sie glauben an den Anspruch ihres Programms und haben ein trotziges “Aber wir machen doch gar keinen Mist!” nicht nötig. Überhaupt hätte mal jemandem dem Herrn Literaturkritiker entgegenhalten können, dass es ja nicht nur Bücher von Thomas Mann und Bertolt Brecht gibt, sondern auch welche von Uta Danella und Ken Follett.

WDR-Intendantin Monika Piel will sich jetzt dafür einsetzen, dass in der ARD Kulturveranstaltungen vermehrt zur Primetime gesendet werden. Es ist wie im (mutmaßlich sehr schlechten, von mir nach der Betrailerung ungesehen) Film “Free Rainer”, wo Arte plötzlich Mörder-Einschaltquoten hat. ((Und dessen Start vor elf Monaten schon einmal eine Mini-Qualitätsdiskussion durchs Dorf getrieben hatte.)) Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das nicht will. Ich will kein “Faust II” nach der “Tagesschau”, ich will nur, dass das normale Programm ein bisschen weniger lieblos und Zuschauerverachtend ist. Wenn ich mich mit Literatur befassen will, höre ich mir Germanistikvorlesungen an. ((Und Sie können das via Podcast sogar auch.))

Unterhaltungssendungen müssen kein Bildungsfernsehen sein, ((Es wäre schlimm, wenn’s so wäre.)) aber man kann auch gute Unterhaltung machen. Gerade deshalb ist der Preis für “Deutschland sucht den Superstar” ein Skandal, weil es eine lieblose, handwerklich allenfalls solide Show ist, die sich über ihre eigenen Hauptfiguren lustig macht. Wie gute Unterhaltung funktioniert, haben “Ich bin ein Star – holt mich hier raus!” und “Das perfekte (Promi-)Dinner” bewiesen, bei denen Bild- und Tonschnitt, Musikauswahl und Kommentar ein stimmiges Gesamtbild ergeben.

Barbara Schöneberger hat bei Reinhold Beckmann ((Oh, diese Geschichte ist so voller Ironie, man hätte es sich nicht ausdenken können!)) gesagt, man könne auch nicht ins Fußballstadion zu Hertha gehen und dann fragen, warum die Berliner Philharmoniker nicht da seien. Aber wenn ich ins Fußballstadion gehe, erwarte ich, dass da Fußball gespielt wird. Und nicht, dass Mario Gomez am Ball vorbei tritt, oder Borussia Mönchengladbach einen 0:1-Rückstand zu verwalten versucht. Eine Fernsehpreisverleihung sollte, wenn schon keine Sternstunde des Fernsehjahres, dann wenigstens nicht ihr Tiefpunkt sein. Aber wie auf Kommando erscheint beim Stichwort “Tiefpunkt” eben Atze Schröder in Kapitänsuniform auf der Bühne.

Bei der ganzen Diskussion wird mal wieder ein Medium mit seinen Inhalten verwechselt. Je länger ich über Marshall McLuhans berühmten Ausspruch nachdenke, wonach das Medium die Botschaft sei, desto abwegiger finde ich ihn. Goethe soll “Wandrers Nachtlied (Ein Gleiches)” in die Wand einer Holzhütte auf dem Kickelhahn geritzt haben — und zweifellos hat es doch einen höheren kulturellen Wert als so ziemliche jedes andere Graffito, das in Deutschland in den letzten 250 Jahren eine Bretterwand geziert hat.

Das Symbolbild ist von Walt Jabsco und wird hier unter CC-Lizenz verwendet.

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Leben Unterwegs

Die Jugend der Weltpresse

Gestern durfte ich beim Jugendmedienevent zwei Seminare unter dem Motto “Web 2.0 – Blogs, Social Networks & Co” leiten. ((Am Titel trifft mich keine Schuld.)) Zweimal 16 Nachwuchsjournalisten unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichsten Vorkenntnissen wollten unterhalten werden und sollten natürlich etwas lernen.

Die erste Gruppe war die pure Wonne: die Jugendlichen ((Genau genommen waren die Ältesten der Gruppe gerade mal zwei Jahre jünger als ich, die Jüngsten aber 14. Es war wohl eher Zufall, dass eine so heterogene Mischung gut ging.)) hatten Interesse am Thema, kannten Portale, von denen ich noch nie gehört hatten, und meldeten sich allesamt bei twitter an, nachdem ich ihnen den Dienst vorgestellt hatte. Sie wirkten angenehm skeptisch und zurückhaltend, was die Angabe persönlicher Daten im Netz anging, und sahen sich die Blogs, die wir uns gemeinsam vornahmen, mit Interesse an. ((Ich hatte wahllos Platzierungen aus den deutschen Blogcharts an die einzelnen Teilnehmer verteilt. Das war insofern spannend, weil ich selber nicht genau wusste, über welche Blogs wir sprechen würden. Dass das System auch Nachteile hat, musste ich feststellen, als ich eine Teilnehmerin zur Auseinandersetzung mit der “Achse des Guten” zwang. Es tut mir aufrichtig leid.))

Die zweite Gruppe erwies sich als sehr viel schwieriger zu knacken: die Frage, warum sie sich für dieses Seminar entschieden hätten, konnte niemand so recht beantworten. Statt halbwegs gleichmäßig verteilter Redeanteile gab es ein paar wenige aktive Teilnehmer ((Und Teilnehmerinnen. Wenigstens mit dem Gerücht, Mädchen würden das Internet nur für die Ansicht von Pferdefotos und das Erstellen von MySpace-Profilen nutzen, sollte an dieser Stelle einmal gründlich aufgeräumt werden.)), ein paar gelangweilte Besserwisser und viel Schweigen. Mit social networks war dieser Gruppe kaum beizukommen: nicht mal die Hälfte war bei einem der Holtzbrinck-Fauzette, kaum jemand bei Facebook und, wenn ich mich recht erinnere, niemand bei MySpace. Diese Menschen interessieren sich vor allem für Blogs.

Einige hätten vorab schon überlegt zu bloggen, wussten aber nicht genau, was, wie oder wo. Das “wo” lässt sich ja recht leicht beantworten (blogger.com, wordpress.com, twoday.net), das “wie” ist mit “(im Rahmen der juristischen Möglichkeiten) einfach drauf los” auch schnell zusammengefasst, das “was” bleibt als zentrale Frage. Als Betreiber eines thematisch völlig offenen Blogs hielt ich den Hinweis für angebracht, dass man sich darüber auf alle Fälle im Vorfeld im Klaren sein sollte. Manchmal habe ich einen etwas merkwürdigen Humor.

Ich weiß nicht, ob es an der Nachmittagszeit lag, die generell träge macht, am gleichzeitig stattfindenden Bundesligaspieltag oder an ganz anderen Gründen, aber das mit der zweiten Gruppe lief nicht so richtig rund. Mitunter hatte ich das Gefühl, zu skeptischen Vertretern meiner Eltern-Generation zu sprechen und nicht zu weltoffenen Jungjournalisten. Andererseits stellten ein paar von ihnen auch wirklich kluge Fragen.

Es war eine interessante Erfahrung, die unter anderem gezeigt hat, dass die fünf Jahre zurückliegende Entscheidung, auf keinen Fall Lehrer werden zu wollen, eine sehr weise war. Wie ich mit Till, der ebenfalls unter den Referenten war ((Das wussten wir vorher nicht. Die Veranstalter wollten vorab keine Referentenlisten herausgeben, weil sie nicht “sicherstellen [konnten], dass jeder damit einverstanden ist”. Entsprechend wussten wohl auch die Teilnehmer vorab gar nicht, mit wem sie das Vergnügen haben würden. Eine wie ich finde eher mittelprächtige Idee.)), später noch diskutierte, sind auch längst nicht alle Leute, die heute jung sind und einen Computer einschalten können, digital natives. Bei einigen besteht das Internet aus der “Dreifaltigkeit” (Till) Google, StudiVZ und Wikipedia. Aber um das zu ändern waren wir ja da.

Mein insgesamt positiver Grundeindruck der Jungjournalisten wurde allerdings heute etwas getrübt, als ich im Blog “Onlinemagazin” zum Jugendmedienevent den Bericht über mein Seminar las: die haben meinen Vornamen falsch geschrieben.

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Print

20 Jahre Totalversagen

Journalisten lieben Jubiläen. Im Gegensatz zu tatsächlichen, tagesaktuellen Ereignissen treten diese nicht überraschend auf, man kann die Themen gründlich recherchieren, mit Zeitzeugen sprechen und das Geschehen frei von Affekten in seinen historischen Kontext einordnen. Ich würde nicht ausschließen, dass die ersten Reporter am Abend des 11. September 2001 begannen, ihre große “Ten years after”-Geschichte vorzubereiten.

Dieser Tage jährt sich das Geiseldrama von Gladbeck zum zwanzigsten Mal. Ein im wahrsten Wortsinne tragisches Ereignis, bei dem schlichtweg alles schief ging, was schief gehen konnte, und das insofern in einer Reihe mit dem Olympia-Attentat von München und der Schleyer-Entführung steht. Eine Verkettung von Unerfahrenheit und Inkompetenz auf Seiten der Behörden, ein Totalversagen der berichterstattenden Presse.

Ich bin zu jung, um mich an die drei Tage im August 1988 erinnern zu können, aber man kennt ja die Bilder von Silke Bischoff mit der Pistole an der Schläfe und Hans-Jürgen Rösner mit der Pistole zwischen den Zähnen. Und gerade das Foto von Silke Bischoff macht die große Erinnerungsparade, die schon seit einigen Wochen in den deutschen Medien abgehalten wird, zu einer Gratwanderung.

Bereits vor einem Monat brachte “Bild” im Zuge einer großen Gladbeck-Serie einen Artikel über Silke Bischoffs Mutter, der wie folgt überschrieben war:

20 Jahre nach Gladbeck: Dieses Bild lässt die Mutter der toten Silke nie mehr los

Das Demonstrativpronomen stand da natürlich nicht versehentlich, denn “dieses Bild” war darüber natürlich noch einmal riesengroß abgedruckt. ((Dass das Foto inzwischen aus der Online-Version des Artikels entfernt wurde, hat wenig zu bedeuten – erfahrungsgemäß hat das bei Bild.de häufig mit Bildrechten und selten mit Anstand zu tun.))

Fast ähnlich bizarr ist der Spagat, den die “WAZ” vollbringt: auf derwesten.de ist ein Foto von Tätern, Waffen und Geisel zu sehen, nur wenige Zentimeter über diesem Absatz:

Dass es überhaupt dieses Bild gibt: der Täter, die Waffe, die Geisel. Und dann aus dem Off diese Frage, was für eine Frage! "Was fühlen Sie so, mit der Waffe am Hals?" Silke Bischoff guckt fast freundlich über das Mikrofon, es ist ihr bald so nah wie der Revolver. "Gut", sagt sie, sie habe bloß Angst, "dass jemand umgebracht wird oder so".

Da weiß man auch nicht, ob die folgende Passage Selbstkritik oder Rechtfertigung sein soll:

Journalisten handeln statt nur zu beobachten. Angesehene Reporter sind unter ihnen, von öffentlich-rechtlichen Sendern und auch von der WAZ. Oft weiß die Presse mehr als die Polizei.

Es ist schwierig, über die Fehler der Presse von damals zu berichten, in der Presse von heute. Und es ist schwierig, diese Fotos zu verwenden. Einerseits gibt es sie, sie sind journalistische Fakten, die damals geschaffen wurden und nicht rückgängig gemacht werden können. Andererseits besteht die Gefahr, mit jedem Wiederabdruck nicht nur das Leid der Angehörigen (s. o.) zu vergrößern, sondern auch die Demütigung der damaligen Opfer zu wiederholen. Wir haben es natürlich mit Zeitdokumenten zu tun, aber man kann sie heute nur zeigen, weil die Medien damals versagt haben. Und so ist es einigermaßen schizophren, das Medienversagen von damals mit genau diesen Fotos zu bebildern.

Wenn man länger über diesen Sachverhalt nachdenkt, befindet man sich plötzlich tief in einer ethischen Grundsatzdiskussion. Wozu sind Bilder wie die von der verängstigten Silke Bischoff auf der Rückbank oder von Hanns Martin Schleyer im durchgeschwitzten Unterhemd da? Sollen sie mahnen, dass sich das Gezeigte nicht wiederholen dürfe, sollen sie Mitleid erzeugen oder sollen sie (abermals) die Sensationsgier befriedigen? ((Der Fall Schleyer unterscheidet sich vom Fall Bischoff insofern, als die Entführer die Fotos selbst gemacht haben – zum einen, um zu beweisen, dass sie Schleyer tatsächlich in ihrer Gewalt haben und er noch lebt, zum anderen sicher auch, um ihr Opfer zu demütigen.)) Solche Bilder sind durch ihre ständige Wiederholung irgendwann mehr als nur die Abbildung von Ereignissen. Sie werden zu popkulturellen Ikonen, so wie die Einschläge der Flugzeuge am 11. September 2001, die bereits einen Tag später als Dauerschleife Teil des On-Screen-Designs in den Sondersendungen von RTL waren. Sie waren aber genau genommen auch nie nur die Abbildung von Ereignissen, gerade diese Bilder waren selbst Teil der Ereignisse.

Auch stellt sich die Frage, ob es “gut”, “schlecht” oder “egal” ist, wenn solche Bilder zu Ikonen werden. Vermutlich kommt es da unter anderem darauf an, ob man sich an die Täter oder an die Opfer erinnert. Es laufen ja ernsthaft immer noch Menschen mit dem Foto von Charles Manson auf dem T-Shirt herum und Marilyn Manson hat sich ja bewusst nach Marilyn Monroe und Charles Manson benannt. Die Band 18 Summers hieß übrigens lange Jahre Silke Bischoff, was man ganz und gar geschmacklos finden, aber vielleicht auch verstehen kann, wenn Sänger Felix Flaucher erklärt, dass es ihm um das Schicksal einer Einzelperson gehe, das viel stärker berühren kann als das einer anonymen Menge.

Wenn wir als Schüler im Geschichtsunterricht Fotos aus den frisch befreiten Konzentrationslagern gezeigt bekamen, war die Botschaft klar: So etwas darf nie wieder passieren, sorgt gefälligst dafür! Was aber sollen uns die Fotos von Gladbeck ((“Gladbeck” ist ja in diesem Fall auch nur ein vereinfachendes Schlagwort, Silke Bischoff wurde ja in Bremen als Geisel genommen, die berühmt-berüchtigten Fotos entstanden auf der Domplatte in Köln.)) heute sagen? Für Journalisten schwingt da natürlich ein “nie wieder” mit und die – zugegeben eher theoretische – Frage, wie man sich eigentlich selbst in einem solchen Fall verhalten würde. Aber Journalisten sind eine ziemliche Minderheit.

Andererseits rufen Medien in Großbritannien oder den USA schon länger ihre Zuschauer bzw. Leser dazu auf, sich bei großen Ereignissen (also spannenden Katastrophen) an der Berichterstattung zu beteiligen. So kam CNN im vergangenen Jahr an einen Teil seiner Bilder vom Amoklauf in Blacksburg, VA. Udo Röbel, der sich damals als Reporter des Kölner “Express” besonders unrühmlich hervortat, als er zu den Tätern ins Auto stieg und sie aus der Stadt lotste, sagt jetzt in einem sehr lesenswerten Artikel der “Süddeutschen Zeitung”:

“Aber was ich schon glaube, ist, dass wir irgendwann ein Gladbeck anderer Art kriegen könnten. Inzwischen tummeln sich ja Leute in der Medienwelt, die Journalismus gar nicht gelernt haben. Es gibt Müller, Meier, Schulze, die mit dem Handy unterwegs sind und jederzeit in Situationen kommen können, wo etwas passiert, was sie dann filmen.”

Vielleicht würde ein ähnliches Verbrechen heute unter der 1414 stattfinden.

Lange wird die Erinnerung an “Gladbeck” und die Selbstreflexion allerdings sowieso nicht vorhalten: am 28. August steht “20 Jahre Ramstein” an.

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Politik Sport

Heucheln wird olympisch

Ich liebe es, Sport im Fernsehen zu gucken. Ich selber betreibe außer Treppensteigen gar keinen Sport, aber anderen dabei zuzusehen, macht mir Spaß. Gerade die Olympischen Spiele, bei denen man so außergewöhnliche Disziplinen wie Tontaubenschießen, Dreisprung oder (im Winter natürlich) Curling zu sehen bekommt, begeistern mich immer wieder. Außerdem werden sie meistens von Sportreportern kommentiert und nicht von Steffen Simon, Bela Réthy oder Reinhold Beckmann.

In diesem Jahr weiß ich echt nicht, ob ich mir die Olympischen Spiele im Fernsehen ansehen soll. Nicht nur, weil sie wegen der Zeitverschiebung zu etwas anstrengenden Zeiten übertragen werden, die ganze Aktion kommt mir von vorne bis hinten missglückt vor.

Da ist zunächst einmal China, von dem ich gerne glaube, dass es ein tolles, spannendes Land ist, das aber auch von einem völlig indiskutablen Regime geführt wird. Hinzu kommt das Internationale Olympische Komitee, bei dem ich mich mittlerweile frage, ob man dort eigentlich nur Mitglied werden kann, wenn man seinen letzten Rest Selbstachtung vorher an der Garderobe abgegeben hat. Allerspätestens, als die internationalen Journalisten (entgegen vorheriger Zusagen) keinen freien Zugang zum Internet erhielten, hätte es ein Donnerwetter geben müssen – doch das IOC zuckte nur mit den Schultern und die Journalisten arbeiteten unter Protest weiter.

Den Athleten sind während der Spiele nicht nur politische Äußerungen, sondern auch jegliche kommerzielle und journalistische Tätigkeit verboten – ein im Prinzip ehrenwerter Gedanke, sozusagen der letzte Rest der olympischen Idee von Pierre de Coubertin. Leider wirkt das einigermaßen verlogen vor dem Hintergrund, dass die olympischen Spiele in Peking eine einzige politische Demonstration des Gastgeberlandes waren, sind und sein werden, und die Spiele selbst ein Milliardenschweres Marketingprodukt sind.

Ja, sagt dann das IOC, aber ohne die Sponsoren wären doch die schönen Olympischen Spiele gar nicht möglich. Das stimmt natürlich auch. Es geht ja auch gar nicht um die Sponsoren, es geht darum, dass das IOC mit erschütternder Vehemenz die Sonderrolle seiner Spiele verteidigt und so tut, als handele es sich dabei um ein Event mit einem höheren ethischen Wert als jedes andere kommerzielle Großereignis.

Zugegeben: “Wir treffen uns hier alle vier Jahre, nicht immer in Ländern, in denen wir gerne selbst leben würden, wir machen Werbung für ungesundes Fast Food und totalitäre Regimes, ein paar von uns werden wieder versuchen zu bescheißen (und womöglich damit durchkommen), aber wir wollen mal sehen, das wir das Beste draus machen und ein bisschen Spaß haben” ist ein etwas mittelprächtiger Wahlspruch, aber bei “Rock am Ring” faselt doch auch niemand vom “musikalischen Geist”.

Von den Sportjournalisten ist leider nichts zu erwarten, wie Christian Zaschke (selbst Sportjournalist) in seinem sehr empfehlenswerten Artikel für die “Süddeutsche Zeitung” feststellt. Wer bei den letzten beiden Fußballgroßereignissen gleichermaßen mantrahaft und orgiastisch immerzu vom “Sommermärchen” faselte, wird jetzt wohl kaum plötzlich kritische Fragen stellen.

Aber würde sich irgendwas ändern, wenn ich, wenn Millionen nicht einschalten würden? Ich würde den Olympiasieger im Bogenschießen nicht kennenlernen, obwohl er und seine Kollegen die Aufmerksamkeit sicher wenigstens einmal in vier Jahren verdient hätten. ARD und ZDF würden wohl nicht einmal darüber nachdenken, ob man wirklich Unsummen von Gebührengeldern in eine solche Riesenveranstaltung investieren muss, oder ob das komplett Werbefinanzierte Privatfernsehen nicht eher der natürliche Lebensraum für derartiges Event-TV wäre. Olympische Spiele gehören für sie zur Grundversorgung – auch so ein hehres Wort.

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Print

Frau im Spiegel

Vielleicht werden wir nie genau erfahren, was eigentlich vorgefallen ist in den Redaktionsräumen von “Emma”. Warum sich Lisa Ortgies, die gerade als neue Chefredakteurin eingearbeitet werden sollte, nicht “für die umfassende Verantwortung einer Chefredakteurin” “eignet”. Warum eine Fernsehjournalistin, die “bis dahin noch nie als Redakteurin oder Ressortleiterin, geschweige denn als Chefredakteurin gearbeitet” hatte, “ganz und gar überraschend für alle” “die Falsche zu sein scheint”. Ob der Satz “Im Sinne von Lisa Ortgies wird es hierzu keine weitere Stellungnahme von EMMA geben” vielleicht das bösartigste Arbeitszeugnis aller Zeiten darstellt. Und warum man bei “Emma” – entgegen der eigenen Ankündigung – immer noch nachtreten muss.

Aber wenigstens erklärt uns Alice Schwarzer jetzt, warum diese Personalie so hochgekocht wurde:

Aufmerksamen ZeitgenossInnen wird es nicht entgangen sein: Im Kleinen laufen diese Hetzkampagnen gegen Alice & EMMA rituell alle paar Jahre, im Großen etwa im Zehn-Jahres-Rhythmus. Der Anlass ist beliebig, jeder Vorwand ist willkommen. Zum Beispiel eine Personalie, die bei jedem anderen Verlag ein Dreizeiler oder eine einmalige kleine Glosse wäre.

Entschuldigung. Den letzten Satz habe ich unvollständig zitiert. Frau Schwarzer hat nämlich noch ein knackiges Beispiel parat:

Zum Beispiel eine Personalie, die bei jedem anderen Verlag ein Dreizeiler oder eine einmalige kleine Glosse wäre (wie im Falle Spiegel vor einigen Monaten).

[via]

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Rundfunk Digital

Kalter Kaffee und TV

Das medienforum.nrw galt einmal als bedeutender Branchentreff. Zeitgleich wurde es auch immer als irrelevante Nabelschau gescholten, was im Wesentlichen ein Synonym für “bedeutender Branchentreff” ist. In diesem Jahr findet es zum zwanzigsten Mal statt, weckt keine großen Erwartungen mehr, und das ist doch ein guter Grund, persönlich in Köln vorbeizuschauen.

medienforum.nrw: Eingang

Das Grußwort von Oberbürgermeister Fritz Schramma können Sie sich ganz leicht selber basteln, wenn Sie nur oft genug die Worte “Standortfaktor”, “Medien” und “Kreativwirtschaft” in einen Blindtext einfügen. Die Einführung von Prof. Norbert Schneider, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und damit Gastgeber des Medienforums, war da schon deutlich gehaltvoller und vor allem: witziger. Schneider blickte vor allem auf die letzten zwanzig Jahre zurück und fasste zusammen, wie viel sich in der Zeit verändert hat – oder auch wie wenig. Außerdem wünschte er sich in Zeiten in denen “Verleger Intendanten und Intendanten Verleger werden wollen”, dass sich alle ein bisschen mehr auf ihre Kernkompetenzen besinnen, was man angesichts der aktuell tobenden und auch kurz nach seiner Rede wiederaufgeführten Diskussion wahlweise als weltfremde Einlassung oder als ausgesprochen klugen Gedanken sehen kann.

Die “medienpolitische Grundsatzrede” von Ministerpräsident Rüttgers sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Sie war ungefähr doppelt so lang wie geplant, bot aber nicht viel neues. Allenfalls die deutliche Ansage an die EU-Kommission, sie möge gefälligst endlich mal aufhören, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Frage zu stellen, blieb hängen.

Und dann sollte das kommen, worauf alle gewartet hatten: Schlammcatchen mit Beil und Morgenstern, inklusive Haareziehen und Fingernägelausfahren. In der großen Diskussionsrunde, drei Tage bevor die Ministerpräsidenten sich über dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag zusammenhocken, sollten Vertreter der öffentlich-rechtlichen und privaten Sender noch einmal aufeinanderstoßen, begleitet vom Gemurmel der Printbranche. RTL-Chefin Anke Schäferkordt und WDR-Intendantin Monika Piel waren beim Projekt “Zickenterror” aber allenfalls halbherzig bei der Sache und überhaupt schien es, als hätten alle Diskussionsteilnehmer vorab unterschreiben müssen, dass sie der Diskussion auf keinen Fall neue Aspekte hinzufügen würden: die Öffentlich-Rechtlichen wollen sich von der Politik nicht einschränken, ja: “zensieren” lassen; die Privaten sehen im Wettbewerb mit gebührenfinanzierten Sendern keinen echten Wettbewerb.

Sandra Maischberger moderierte gewitzt und so souverän, dass man völlig vergessen konnte, dass ihre eigene Sendung ja auch bei einem öffentlich-rechtlichen Sender läuft; ZDF-Intendant Markus Schächter redete viel und sagte doch immer nur das selbe; Jürgen Doetz vom Verband Privater Rundfunk und Telemedien grantelte, wie er das dem Vernehmen nach seit zwanzig Jahren tut, und Ulrich Reitz von der Zeitungsgruppe WAZ erklärte, dass Printredakteure nun Online- und Videokompetenz erwerben müssten – wenn sie soweit sind, wird man dies vielleicht auch bei derwesten.de, dem Onlineportal der WAZ-Gruppe, sehen können.

Aber das alles ist Brauchtum: auf dem Podium sagen alle, was sie immer sagen, und hinterher sitzen die Journalisten zusammen und sagen wie immer, dass alle ja nur gesagt hätten …

Alles was Rang und Namen hat - und nichts besseres vor

Die Idee, auch die Technikseite zu Wort kommen zu lassen, war keine schlechte, aber angesichts der aktuellen medienpolitischen Diskussion kamen die Vertreter von Satelliten- und Kabelanbietern kaum zu Wort. Überraschender Sympathieträger der Runde war René Obermann, der Vorstandsvorsitzende der Telekom, der das ganze einstudierte Gekeife völlig entspannt an sich vorbeiziehen ließ und mit feinem Galgenhumor in der aktuellen Abhöraffäre die größten Lacher erntete.

Wenn man aus dem großen Rauschen etwas mitnehmen konnte, dann das neue Mantra der Medienbranche das “Internetvideo ist die Zukunft” heißt und in meinen Augen ziemlicher Blödsinn ist. YouTube ist ja nicht so erfolgreich, weil man sich dort online Videos anschauen kann, sondern wegen der Inhalte, die man sich dort ansehen kann. Und wenn ich im Internet Videonachrichten sehen will, dann doch bitte in gewohnter Qualität und von Menschen, die sowas jeden Tag machen (also von Fernsehleuten), und nicht von Print-Redakteuren, die widerwillig einen Camcorder halten. Dass die Print-Vertreter Texte im Internet als “elektronischen Print” und die Fernsehleute Internet-Videos als “Fernsehen” bezeichnen, zeigt eigentlich nur, in welchen Schablonen Menschen denken, die von “Medienkonvergenz” reden.

Überhaupt: Von welchem Wettbewerb im Internet reden die eigentlich alle? Wenn ARD und ZDF ihre (ja mitunter doch recht guten) Reportagen aus dem In- und Ausland nicht mehr ins Internet stellen dürften, weil die ja mit den Gebühren der … äh: Zuschauer finanziert wurden, würde dadurch doch nicht plötzlich die bisher nicht vorhandene Qualität des RTL-Infotainments steigen. Und wenn ich “Dr. House” online sehen könnte, würde ich das natürlich bei rtlnow.de tun, das “Heute Journal” finde ich in der ZDF-Mediathek. Das sind zwei Paar Schuhe und ich will das sehen, was mich interessiert, und nicht das, was die Politik mir zugesteht.

Später war ich bei einer Diskussion über die Zukunft der deutschen Serie, bei der sich alle Teilnehmer darüber einig waren, dass etwas geschehen muss, sie aber alle nicht wissen, was. Nachmachen von US-Serien klappt nicht, neue Ideen hat entweder keiner oder sie interessieren den Zuschauer nicht. In der Selbsthilfegruppenhaftigkeit kam die Runde auf gute 0,8 Musikindustrien.

Unterhaltsam wurde es beim Veteranentreff mit Prof. Norbert Schneider, Jürgen Doetz, Christiane zu Salm und Prof. Helmut Thoma. Das hatte in der Tat viel von der vorher prophezeiten Muppet-Show, aber wenig zu tun mit dem Jahr 2008. Norbert Schneider bestätigte die schlimmsten Annahmen über die überbürokratisierten Landesmedienanstalten, als er anmerkte, man würde auch pharmazeutische Lizenzen ausgeben, wenn man das Recht dazu hätte. Christiane zu Salm, zu deren größten Verdiensten der erste Fernsehsender mit ironischem Namen (MTV, music television) und die Erfindung von Call-In-Sendungen zählt, erzählte das, was sie immer erzählt, seit sie Chefin der Cross-Media-Abteilung bei Burda ist. Jürgen Doetz hatte sein Pulver schon in der vormittäglichen Diskussion verschossen, so das alles an Helmut Thoma hängen blieb. Der ewige RTL-Chef ist inzwischen Berater bei Axel Springer und tourt mit einer Sammlung seiner besten Bonmot von früher und heute über deutsche Podien:

  • “Digitalisierung ist ein Transportweg, nicht ein Inhalt. Ein Joghurt, den ich mit einem Elektrokarren in den Laden schaffe, ist ja auch kein Elektro-Joghurt.”
  • “In Deutschland besteht eine größere Vielfalt unter den Landesmedienanstalten, als unter den Programmen.”
  • “Wir haben kein duales System mehr, sondern eines für jüngere Zuschauer und eines für ältere”
  • “Die Öffentlich-Rechtlichen werden sicher auch nach dem Verbleichen des letzten Zuschauers noch wunderbar funktionieren.”

Und das medienforum.nrw wird allem Gemecker und aller Redundanz zum Trotz auch in zwanzig Jahren noch die gleichen Diskussionen führen. Anders wär’s ja auch langweilig.

Daniel Fiene ist auch auf dem medienforum.nrw und schreibt darüber hier und hier.

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Digital

Und wieso eigentlich nicht ich?

Heute wurden die Nominierungen für den Grimme Online Award 2008 bekannt gegeben. Da ich noch nicht die Zeit hatte, mir alle nominierten Internetangebote näher anzusehen, schreibe ich aber nicht über die Nominierten, sondern über die nette kleine Veranstaltung in den Räumen der Landesanstalt für Medien NRW in Düsseldorf:

Bekanntgabe der Nominierungen für den GOA 2008

Dem Adolf-Grimme-Institut haftet ja immer eine gewisse Spießigkeit an: Es sitzt in Marl und hängt irgendwie mit dem Deutschen Volkshochschulverband zusammen – Unglamouröseres kann man sich kaum vorstellen, ohne beim Aufschreiben mindestens die Bewohner mehrerer ostdeutscher Landstriche und ein paar Personen zu beleidigen. Trotzdem (vermutlich eher: genau deshalb) macht das Grimme-Institut aber sehr gute und lobenswerte Arbeit – ich selbst habe kürzlich erst an einem sehr interessanten Seminar über Medienjournalismus teilnehmen dürfen.

Wo, wenn nicht im weitgehend ablenkungsfreien Marl, sollten sich Menschen durch fast 1.900 vorgeschlagene Internetseiten klicken; wer, wenn nicht eine Nominierungskommission aus Kommunikationswissenschaftlern, VHS-Studienleitern und Onlinejournalisten, sollte eine solche Masse erst auf 250 näher zu betrachtende Angebote und dann auf 17 Nominierungen einschränken? So erklärte Uwe Kammann, Direktor des Adolf-Grimme-Instituts, dann auch das Selbstverständnis des Preises: Orientierung und Hilfe liefern in der Flut von Internetangeboten. Im vergangenen Jahr habe ich so das großartige Blog “USA erklärt” kennengelernt.

Zwei Trends seien in diesem Jahr erkennbar, hieß es: der zu Online-Videos und zu Nutzerbeteiligung, wobei letztere inzwischen weit über Kommentarfunktionen hinausginge. Damit war die Horrorvorstellung für einige Journalisten dann auch schön umrissen: “Fernsehen” im Internet, gemacht von Menschen, die womöglich noch nie ein Fernsehstudio, geschweige denn eine Journalistenschule von innen gesehen haben, und noch dazu die Einbindung der Leute, die früher nur abnicken sollten, was man ihnen vorsetzte.

Andere Journalisten finden das freilich toll. So berichtete Jens Rehländer von GEO.de, das mit einer Multimediareportage über die Koralleninsel Raja Ampat nominiert ist, völlig nachvollziehbar davon, wie enthusiastisch er nach einem Jahr in der Online-Redaktion sei, nachdem er 20 Jahre Print gemacht habe. Er sprach von der Veränderung des Berufsbilds Journalist und davon, dass die Reporter von Geo nach Feierabend und am Wochenende ihre Multimediainhalte zusammenschneiden. Dann sagte er noch, dass es Internetnutzer lieber authentisch als extrem professionell hätten, und man gar nicht vorhabe, mit Podcasts und Videos Radio und Fernsehen Konkurrenz zu machen. Und ich dachte nur noch: “Kluger Mann!”

Gut ein Viertel der Nominierungen entfiel auf programmbegleitende Angebote öffentlichlich-rechtlicher Sender, was man natürlich durchaus kritisieren kann, wenn man eh bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit das öffentlich-rechtliche System kritisieren will. Dass die ZDF-Mediathek nominiert wurde, kann man durchaus als politische Entscheidung verstehen, immerhin sollen die öffentlich-rechtlichen Sender nach Plänen der EU-Kommission ihre Inhalte zukünftig nur noch sieben Tage online stellen dürfen, was für den Gebührenzahler in etwa so geistreich ist wie ein Malermeister, der Ihnen nach sieben Tagen die bereits bezahlten Tapeten wieder von den Wänden kratzt. Dieses Thema führte dann auch zu kleineren Diskussionen zwischen Vertretern des WDR und der Düsseldorfer Staatskanzlei und zu spannenden Gesprächen nach dem offiziellen Teil. Dass es im Jahr 2008 überhaupt noch als preiswürdig gilt, wenn ein Fernsehsender fast alle seine Inhalte online verfügbar hat, ist schon einigermaßen tragisch, in Deutschland aber eben auch Fakt. Wenn sich die Jury an die Bewertungskriterien hält (Stichwort “Nutzerfreundlichkeit”), dürfte die ZDF-Mediathek trotzdem keine Chance auf den Preis haben.

Markus Beckedahl von netzpolitik.org

Insgesamt ist die Liste der Nominierten schon recht brav, man könnte sagen: Grimme-Institut halt. Mir fiele so spontan aber kein sonderlich “unbraves” Internetprojekt ein, das ich hätte vorschlagen können. Dass vergleichsweise wenige Blogs nominiert wurden (dafür mit Netzpolitik und Störungsmelder zwei politische und das sehr persönliche der ALS-Patientin Sandra Schadek), erklärte Prof. Christoph Neuberger aus der Nominierungskommission damit, dass sich die Standards im Web jedes Jahr änderten und Multimedialität inzwischen einen höheren Stellenwert habe.

Dann sind überproportional viele Angebote für Kinder dabei, was man noch damit rechtfertigen kann, dass Orientierung besonders auf diesem Gebiet Not tut und pädagogisch wertvolle Internetseiten sowieso unterstützenswert sind. Mit Hobnox ist ein Angebot nominiert, das ich zwar für sehr spannend, möglicherweise gar revolutionär halte, sich aber auch noch in der Beta-Phase befindet …

Man kann also wieder kräftig an der Liste rummäkeln, was man als Blogger vermutlich sogar tun muss, weil ja so viele böse “kommerzielle” und “gebührenfinanzierte” Angebote auf der Liste stehen, man kann aber das Anliegen und die Entscheidungen des Grimme-Instituts akzeptieren und, wenn’s denn sein muss, einfach einen eigenen Award ausrufen – so wie Til Schweiger, nachdem er beim Deutschen Filmpreis übergangen worden war.

Nicht ohne Stolz will ich aber zum Schluss darauf hinweisen, dass ich beim Überfliegen der Listen unter den Mitarbeiter an den nominierten Projekten schon wieder zwei ehemalige Dinslakener gefunden habe.

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Digital

Programmhinweis: Jugendmedienevent 2008

Wenn Sie zwischen zwölf und 25 Jahre alt sind (ich Sie also nicht unbedingt siezen müsste) und sich für Medien und Journalismus interessieren, hätte ich da was für Sie:

Die Junge Presse veranstaltet vom 14. bis zum 17. August 2008 in Mainz und Essen (erst zwei Tage Mainz, dann zwei Tage Essen) das Jugendmedienevent 2008.

Für wenig Geld gibt es dort einen Ausflug zum ZDF und zahlreiche Vorträge und Workshops mit erfahrenen und namhaften Journalisten – sowie einen mit mir, denn ich werde dort etwas über das Web 2.0 im Allgemeinen und Blogs im Speziellen erzählen.

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Leben

Kurt Beck wird Kanzlerkandidat der SPD

Nennen Sie mich humorlos, aber ich hasse Aprilscherze. Ich werde jeden, der sich heute daran versucht, für mindestens 15 Minuten verachten.

Das liegt unter anderem an dem Trauma, das ich erlitt, als ich vor zehn Jahren feststellte, dass es den von der Filmzeitschrift “Cinema” angekündigten Director’s Cut von James Camerons “Titanic” (inkl. Gastauftritt von Arnold Schwarzenegger als Kellner) nie geben wird. Ich stand schon fast an der Kinokasse, als ich den “Witz” bemerkte.

Aprilscherze funktionieren nach dem Prinzip “Freude plus Fallhöhe”, bzw. “Ärger plus Fallhöhe”: Man erzählt eine Geschichte, bei der sich die Zuhörer auf etwas freuen, das nie kommen wird, oder sich über etwas ärgern, das nie stattgefunden hat. Kinder oder andere logisch denkende Wesen würden das “Lügen” nennen.

Als Chuck Klosterman heute vor zwei Jahren das ewig verschobene Guns-n’-Roses-Album “Chinese Democracy” rezensierte, war das schon irgendwie witzig, aber nicht halb so gut wie die letzte Woche angekündigte (offensichtlich ernst gemeinte) PR-Aktion von Dr Pepper zum Thema.

Wenn ich mir so ansehe, wie viel Mühe sich manche Medien mit der Vorbereitung ihres Aprilscherzes gegeben haben, dann weiß ich auch, wieso diese den Rest des Jahres über so schwach sind. Bei anderen würde eine weitere Falschmeldung gar nicht auffallen.

Allerdings muss ich der Fairness halber sagen, dass es zumindest immer mal wieder ein paar sehr liebevoll durchdachte Aprilscherze gab und vermutlich auch geben wird: Das WDR-“Zeitzeichen” brachte vor vielen Jahren einen Bericht über die Einführung von Sächsisch als Unterrichtsfach in der DDR und bei Spiegel Online einestages findet sich die schöne Geschichte aus dem “Guardian” von 1977 über die Entdeckung der Inselrepublik San Serriffe. Aber wenn ich auf die reingefallen wäre, hätte ich sie vermutlich auch doof gefunden.

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Wie schon St. Peter Lustig immer sagte

Ich hoffe, Sie hatten ein schönes Osterfest!

Die Karwoche ist immer die Zeit des Jahres, zu der ich katholisch werde. Sonst bin ich nie katholisch, schon gar nicht so getauft, und den Papst und das alles finde ich natürlich sowieso nicht gut. Aber ich mag die Showelemente, die die katholische Kirche dem Protestantismus voraushat ((Streng genommen gibt es den Protestantismus ja unter anderem genau deshalb, weil diese Showelemente wenig mit dem Glauben an sich zu tun haben, aber ich möchte hier weder Martin Luther erklären, noch in längere Religionsphilosophien abdriften.)) – ich gehe ja auch auf Robbie-Williams- und Killers-Konzerte – und Show gibt es eben an Palmsonntag und in der Osternacht.

Karfreitag verzichte ich aus mir selbst nicht nachvollziehbaren Gründen ((I guess that’s why they call it religion.)) auf Fleisch und Alkohol. Gleichwohl hätte ich kein Problem damit, wenn jemand vor meinen Augen ein halbes Schwein verspeisen oder ein Fass Wein leeren würde. Ich würde auch am Karfreitag “weg gehen”, gerne auch auf Konzerte. Zuhause wäre dies kein Problem: Außerhalb Bayerns können die Kommunen selbst entscheiden, ob sie das “Tanzverbot”, das an den sogenannten “Stillen Tagen” gilt, aufheben wollen. In Bochum will man das offenbar seit längerem und die reichlich besuchten Gothic- und Metalparties sprechen für eine große Nachfrage. ((“Vier Tage Familienfeier ohne zwischenzeitlichen Ausgang” stehen auf George W. Bushs “Liste mit den Nicht-Folter-Methoden, die wir erproben sollten, falls wir Waterboarding jemals verbieten sollten” ziemlich weit oben.)) In Dinslaken ginge es nicht: Als regiere im Kreis Wesel der Pietcong, sind öffentliche Tanzveranstaltungen, der Betrieb von Spielhallen, Märkte, Sportveranstaltungen und die Vorführung nicht “feiertagsfreier” Kinofilme dort verboten – und zwar schon ab Gründonnerstag, 18 Uhr. Da kann man als Mensch, der an die Trennung von Staat und Kirche glaubt, schon mal nervöse Zuckungen im Gesicht kriegen.

Wenn der Staat Tanzveranstaltungen verbietet und gleichzeitig im Fernsehen Mord und Totschlag stattfinden, kann der Bürger die Plausibilität von staatlichen Regelungen nicht mehr nachvollziehen

sagte deshalb Bischof Gebhard Fürst, meinte das nur völlig anders als ich. Im katholischen Festttagskalender fest verankert ist nämlich seit einiger Zeit die Medienschelte zum Feiertagsprogramm: “Zu brutal, zu lustig, zu wenig familientauglich”, rufen dann der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz oder der Vorsitzende des medienpolitischen Expertenkreises der CDU ((Was lustigerweise ausgerechnet Günther Oettinger ist.)) erschüttert aus und werfen die Hände zum Himmel, so wie Pfarrer das in Fünfziger-Jahre-Schwarzweiß-Filmen immer machen, wenn der Satan in Form von Peter Kraus und seiner Rock’n’Roll-Kapelle ins Dorf kommt.

Während der Papst – über den Bernward Loheide von dpa übrigens letzte Woche einen sehr lesenswerten Bericht geschrieben hat – zum Osterfest 2008 so einiges unternahm, um sowohl Juden als auch Moslems vor den Kopf zu stoßen, soll also das deutsche Fernsehen unverfängliche Familienunterhaltung senden für eine Zuschauerschaft, die Ostern sicher nicht vor dem Fernseher, sondern mit der Familie beim Essen oder in der Kirche verbringen wollten? Aha. ((Nickeligkeiten wie die Behauptung, die zwanzigste Wiederholung von “Stirb Langsam” habe mehr Zuschauer gehabt als die Kirchen an Ostern Gottesdienstbesucher, spare ich mir schon aus Faulheit, die tatsächlichen Zahlen herauszusuchen. Außerdem liegt es mir fern, mich über Leute lustig zu machen, die in die Kirche gehen. Ich wäre nämlich auch in der (natürlich katholischen) Kirche gewesen, war aber im Urlaub.))

Reflektierter klang da der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, der in seiner Osterpredigt Medienkompetenz einforderte, aber gleichzeitig klarstellte, dass jeder die Freiheit habe, sich bestimmte Dinge nicht anzuschauen und abzuschalten. Und das ist ein so weiser Gedanke, dass er auch Carsten Matthäus als Schlusssatz seines sehr lesenswerten Kommentars bei sueddeutsche.de diente. Eben “Abschalten”, wie schon St. Peter Lustig immer sagte.

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Alle Räder stehen still

Gewerkschafter in San Francisco, CA

Heute brauche ich die Wohnung nicht zu verlassen, denn im Bochumer ÖPNV sieht es aus, als wären Weihnachten, das Fußball-WM-Finale Deutschland – Holland, ein Schneesturm, ein Stromausfall und eine Sonnenfinsternis auf einen Tag gefallen: Nichts geht mehr.

Glücklicherweise muss ich heute weder zur Uni noch mit irgendwelchen tollen Frauen in noch tollere Kinofilme, denn sonst wäre ich SEHR, SEHR ANGEKOTZT. Meine Solidarität und mein Mitgefühl werden nämlich nicht in einer Währung erkauft, die “mir auf die Nerven gehen” heißt. ((Größte Sympathien kann erwarten, wer mich in Frieden lässt. Die Weltpolitik sollte meinem Beispiel folgen.))

Streiken tun Ver.di und Komba, was nicht etwa lustige Figuren aus lehrreichen Serien beim KiKa sind, sondern Gewerkschaften. Gewerkschaften, das weiß ich seit meinem achten Lebensjahr, sind böse: Sie werden geführt von Menschen, die so lustige Namen wie Monika Wulf-Mathies oder Frank Bsirske tragen, und wenn sie mal schlecht gelaunt sind, wird der Müll wochenlang nicht abgeholt und es laufen Ratten über den Schulhof. Am 1. Mai, wenn normale Menschen ausschlafen, laufen sie mit selbstgemalten Transparenten durch die Straßen und wollen Geld.

Warum die Gewerkschaften das diesmal wollen, war mir bis gestern nicht so ganz klar. Jens musste es mir bei der pl0gbar erklären und war so freundlich, diese Erklärung gleich auch noch mal bei sich zu bloggen. Von Seiten der Gewerkschaften hatte ich bisher nur einen Zettel in der U-Bahn gesehen, auf dem stand, dass man als alleinstehender Straßenbahnfahrer zum Berufseinstieg einen Hungerlohn von 1.200 Euro netto bekomme, was für mich jetzt irgendwie nicht allzu dramatisch klang. Auch der Website von Ver.di oder dieser Kampagnenseite konnte ich allenfalls entnehmen, dass die Gewerkschafter mehr Geld wollen. Das will aber jeder, weswegen ich ein paar kleine Erklärungen ganz töfte gefunden hätte.

Deshalb fordere ich: PR-Berater in die Gewerkschaften!

Was ein Müllmann, ein Busfahrer, eine Bibliothekarin macht, weiß ich selbst – ich möchte wissen, warum sie mehr Geld wollen – und da finde ich “Weil sie in den letzten Jahren immer weniger Geld gekriegt haben”, schon eine ziemlich nachvollziehbare Begründung. Ich wette nur, wenn man heute Morgen einhundert entnervte Pendler befragt hätte: “Nennen Sie einen Grund, warum Sie heute nicht zur Arbeit gefahren werden!”, wäre “Reallohnverluste in den vergangenen Jahren” nicht die Top-Antwort gewesen.

Locker verteilte Warnstreiks sind nur ärgerlich: Wenn Montags die Kindergärtnerinnen streiken, Dienstags die Busfahrer und Mittwochs die Müllabfuhr, hat die Bevölkerung jeden Tag einen Grund sich zu ärgern und total unsolidarisch drauf zu sein. Wie wäre es denn mal mit einem ordentlichen, alles lähmenden Generalstreik? Man müsste sich keine Gedanken mehr machen, wer die Kinder versorgt und wie man zur Arbeit kommt, man könnte mit den Kleinen gemütlich zuhause sitzen, Kakao trinken und ihnen die Ratten in den Müllbergen im Vorgarten zeigen. Frankreich und Italien sind berühmt für ihre Generalstreiks und die Deutschen sind doch sonst immer so vernarrt in Merlot, Latte Matschiato und Brusketta, warum nicht mal einen schicken Generalstreik importieren? Danach wüssten alle, wo überall Menschen arbeiten, die mehr Geld verdient hätten, ((Ist es nicht völlig bizarr, dass man in der deutschen Sprache weniger Geld verdienen kann als man verdient hätte?)) und es wäre ein bisschen wie Urlaub mitten im Jahr. Die Straßen wären nicht verstopft (auch Gewerkschaften sollten sich dem Umweltschutz nicht verschließen) und alle würden einander mögen und toll finden.

Stattdessen: In Mülltüten gekleidete Schnauzbartträger, die hinter einem brennenden Fass stehen und in Trillerpfeifen blasen. So zwanzigstes Jahrhundert, so SPD, so nicht 2.0.

Natürlich kann es sein, dass dies ein überkommenes Klischee ist oder in Gewerkschaftskreisen als Folklore im Sinne von Karneval, Fußball oder Volksmusik gilt, aber es ist immer noch das bestimmende Bild in den Medien. Was letztlich auch daran liegen könnte, dass Medienkonzerne letztlich auch in Gewerkschaften organisierte Angestellte haben, und deshalb wenig Wert darauf legen, dass Streikende sympathisch rüberkommen.

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Hier könnte Ihre Metropole stehen

Nördliches Ruhrgebiet von der Zeche Zollverein aus

Ich mag das Ruhrgebiet, wirklich. Ich lebe gerne hier und finde vieles in einem konventionellen, gar nicht ironischen Sinne “schön”. Neben ein paar kleineren Macken, die man in jeder Gegend finden könnte, hat das Ruhrgebiet aber ein paar eklatante Probleme, die existenzbedrohend sein können.

Damit meine ich noch nicht mal “DerWesten”, das lange und groß angekündigte, in der Umsetzung aber desaströse Online-Portal der WAZ. Zwar bin ich der Meinung, dass sich die WAZ-Gruppe vielleicht erst mal auf ihre Kernkompetenzen besinnen (bzw. solche aufbauen) sollte, bevor man sich an Konzertagenturen beteiligen will, und auch über die geplante Kooperation mit dem WDR werde ich mich zu gegebener Zeit sicherlich noch aufregen, “DerWesten” selbst habe ich aber völlig abgeschrieben und will mich am Einprügeln auf derart weiche Ziele auch nicht mehr beteiligen.

Reden wir lieber vom Ruhrgebiet selbst: Bei ruhrbarone.de gibt es einen sehr lesenswerten Artikel über das Image-Problem des Ruhrgebiets, das unter anderem auch daraus resultiert, dass die größte Metropolregion Deutschlands (und fünftgrößte Europas – allerdings mit Köln und Düsseldorf) nach wie vor als unübersichtliches Wirrwarr von 56 Städten und Kreisen wahrgenommen wird und sich tragischerweise auch noch selbst so wahrnimmt.

Im Ruhrgebiet leben 5,2 Millionen Menschen – aufgeteilt in drei Regierungsbezirke, von denen der eine nach einer Kleinstadt im Sauerland benannt ist, zwei Landschaftsverbände, vier Kreise, elf kreisfreie Städte, mindestens drei WDR-Landesstudios und ungezählte Nahverkehrsunternehmen. Der Regionalverband Ruhr (RVR) soll das ganze halbwegs zusammenhalten – wenn nicht gerade die nicht ganz unbedeutende Stadt Dortmund aussteigen und lieber Hauptstadt der westfälischen Provinz als Teil einer Metropole sein oder der Kreis Wesel lieber niederrheinische Provinz als grüne Lunge der Region sein will. Die SPD, die es in gefühlten hundert Jahren in der NRW-Landesregierung nicht geschafft hat, das Ruhrgebiet zusammenzubringen, will den RVR gar gleich ganz auflösen.

Fragt man Menschen aus Brandenburg nach ihrer Herkunft, werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit “Berlin” antworten. Wer im Umkreis von etwa hundert Meilen um Städte wie New York, Chicago oder Los Angeles lebt, wird sich als Einwohner dieser (zugegebenermaßen extrem namhaften) Metropolen fühlen. Im Ruhrgebiet leben Menschen, die darauf bestehen, aus einem seit 33 Jahren unselbständigen Stadtteil Bochums zu kommen, und ein lautes Wehklagen anstimmen, wenn sich das irgendwann auch mal in der Bahnhofsbeschilderung niederschlagen soll. Kein Wunder, dass im Ausland noch nie jemand vom Ruhrgebiet gehört hat und man immer “I live near Cologne” sagen muss. Köln hat außer seinem wunderbaren Dom keinen Grund, in der Welt bekannt zu sein – im Ruhrgebiet gibt es wenigstens Bier und fünf Mal so viele Leute.

Schafft es das Ruhrgebiet in die Nachrichten, sind gerade wieder ein paar Tausend Arbeitsplätze in Gefahr oder weggefallen und irgendein Oberbürgermeister, den nicht mal die Einwohner der Nachbarstadt kennen, spricht von einem “schweren Schlag” für seine Stadt und die dortige Wirtschaft. Wahrlich beeindruckend ist die Solidarität unter den Menschen hier: Da wird man als Besucher des Bochumer Schauspielhauses gebeten, Protestpostkarten an die Nokia-Führung in Finnland auszufüllen, und die allermeisten machen das einfach. Zu Demonstrationen am Nokia-Werk kommen tausende Leute mit unterschiedlichsten Berufen und sozialen Hintergründen, aber es klappt nicht, diese “Wir schaffen das!”-Stimmung über die Medien zu transportieren – dort heißt es dann, eine ganze Stadt stehe am Abgrund. Überhaupt: Wie wirkt denn das, wenn von “Nokianern” oder “Opelanern” die Rede ist, ganz so, als ginge es um außerirdische Lebensformen oder schlimme Krankheiten? Entlassene Simens-Mitarbeiter heißen doch auch “Siemens-Mitarbeiter”.

Zwar werden regelmäßig neue Forschungszentren, Industrieparks und ähnliches eröffnet (und manchmal auch wieder geschlossen), aber das wird selbst in der regionalen Presse immer unter einem Rubrum wie “IT statt Kohle” aufgeführt, ganz so, als liefen hier immer noch alle mit schwarz verschmierten Gesichtern durch staubige Straßen und würden gerade ihre erste elektrische Schreibmaschine anschließen. Fast scheint es, als wolle man den gerade stattfindenden Strukturwandel verschweigen, weil es immer noch besser ist, der “Kohlenpott” zu sein als so ein eigenschaftsloser Wachstumsraum wie Halle/Leipzig.

Dafür wird das Ruhrgebiet ja europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2010, mag man jetzt denken. Die Hoffnungen, dass von dieser Veranstaltung irgendein positiver Impuls ausgehen könnte, habe ich allerdings so gut wie begraben. Zwar ist es in Deutschland guter Brauch, alles im Vorhinein scheiße zu finden und es hinterher zu bejubeln (Weltausstellungen, Fußballweltmeisterschaften, Die Linke), aber in diesem Fall deutet vieles darauf hin, dass die “Ruhr.2010” in der Tat ein Desaster ungeahnten Ausmaßes werden könnte. Djure hat bei blog.50hz.de viel über den sog. Logostreit, den Slogan und die Finanzierung geschrieben und sich trotz optimistischer Ausgangshaltung inzwischen zur Forderung “Absagen, einfach absagen …” hochgearbeitet.

Wie gesagt: Ich mag das Ruhrgebiet. Aber ich habe das Gefühl, die Leute, die in dieser Region etwas zu sagen haben, hassen die Idee dahinter. Und die Leute, die hier leben, merken gar nicht, dass sie im Ruhrgebiet leben.

Universitätsstraße in Bochum