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Leben Unterwegs

Die Jugend der Weltpresse

Gestern durfte ich beim Jugendmedienevent zwei Seminare unter dem Motto “Web 2.0 – Blogs, Social Networks & Co” leiten. ((Am Titel trifft mich keine Schuld.)) Zweimal 16 Nachwuchsjournalisten unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichsten Vorkenntnissen wollten unterhalten werden und sollten natürlich etwas lernen.

Die erste Gruppe war die pure Wonne: die Jugendlichen ((Genau genommen waren die Ältesten der Gruppe gerade mal zwei Jahre jünger als ich, die Jüngsten aber 14. Es war wohl eher Zufall, dass eine so heterogene Mischung gut ging.)) hatten Interesse am Thema, kannten Portale, von denen ich noch nie gehört hatten, und meldeten sich allesamt bei twitter an, nachdem ich ihnen den Dienst vorgestellt hatte. Sie wirkten angenehm skeptisch und zurückhaltend, was die Angabe persönlicher Daten im Netz anging, und sahen sich die Blogs, die wir uns gemeinsam vornahmen, mit Interesse an. ((Ich hatte wahllos Platzierungen aus den deutschen Blogcharts an die einzelnen Teilnehmer verteilt. Das war insofern spannend, weil ich selber nicht genau wusste, über welche Blogs wir sprechen würden. Dass das System auch Nachteile hat, musste ich feststellen, als ich eine Teilnehmerin zur Auseinandersetzung mit der “Achse des Guten” zwang. Es tut mir aufrichtig leid.))

Die zweite Gruppe erwies sich als sehr viel schwieriger zu knacken: die Frage, warum sie sich für dieses Seminar entschieden hätten, konnte niemand so recht beantworten. Statt halbwegs gleichmäßig verteilter Redeanteile gab es ein paar wenige aktive Teilnehmer ((Und Teilnehmerinnen. Wenigstens mit dem Gerücht, Mädchen würden das Internet nur für die Ansicht von Pferdefotos und das Erstellen von MySpace-Profilen nutzen, sollte an dieser Stelle einmal gründlich aufgeräumt werden.)), ein paar gelangweilte Besserwisser und viel Schweigen. Mit social networks war dieser Gruppe kaum beizukommen: nicht mal die Hälfte war bei einem der Holtzbrinck-Fauzette, kaum jemand bei Facebook und, wenn ich mich recht erinnere, niemand bei MySpace. Diese Menschen interessieren sich vor allem für Blogs.

Einige hätten vorab schon überlegt zu bloggen, wussten aber nicht genau, was, wie oder wo. Das “wo” lässt sich ja recht leicht beantworten (blogger.com, wordpress.com, twoday.net), das “wie” ist mit “(im Rahmen der juristischen Möglichkeiten) einfach drauf los” auch schnell zusammengefasst, das “was” bleibt als zentrale Frage. Als Betreiber eines thematisch völlig offenen Blogs hielt ich den Hinweis für angebracht, dass man sich darüber auf alle Fälle im Vorfeld im Klaren sein sollte. Manchmal habe ich einen etwas merkwürdigen Humor.

Ich weiß nicht, ob es an der Nachmittagszeit lag, die generell träge macht, am gleichzeitig stattfindenden Bundesligaspieltag oder an ganz anderen Gründen, aber das mit der zweiten Gruppe lief nicht so richtig rund. Mitunter hatte ich das Gefühl, zu skeptischen Vertretern meiner Eltern-Generation zu sprechen und nicht zu weltoffenen Jungjournalisten. Andererseits stellten ein paar von ihnen auch wirklich kluge Fragen.

Es war eine interessante Erfahrung, die unter anderem gezeigt hat, dass die fünf Jahre zurückliegende Entscheidung, auf keinen Fall Lehrer werden zu wollen, eine sehr weise war. Wie ich mit Till, der ebenfalls unter den Referenten war ((Das wussten wir vorher nicht. Die Veranstalter wollten vorab keine Referentenlisten herausgeben, weil sie nicht “sicherstellen [konnten], dass jeder damit einverstanden ist”. Entsprechend wussten wohl auch die Teilnehmer vorab gar nicht, mit wem sie das Vergnügen haben würden. Eine wie ich finde eher mittelprächtige Idee.)), später noch diskutierte, sind auch längst nicht alle Leute, die heute jung sind und einen Computer einschalten können, digital natives. Bei einigen besteht das Internet aus der “Dreifaltigkeit” (Till) Google, StudiVZ und Wikipedia. Aber um das zu ändern waren wir ja da.

Mein insgesamt positiver Grundeindruck der Jungjournalisten wurde allerdings heute etwas getrübt, als ich im Blog “Onlinemagazin” zum Jugendmedienevent den Bericht über mein Seminar las: die haben meinen Vornamen falsch geschrieben.

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Print Digital

Fischen im Netz

Das Internet hat die Arbeit von Journalisten erheblich vereinfacht: Binnen weniger Sekunden kann man Agenturmeldungen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen (vorausgesetzt, man will), uralte Texte aus obskuren Archiven heraussuchen und per E-Mail Ansprechpartner in aller Welt kontaktieren. Vor allem aber hat man blitzschnell Informationen über junge Leute zur Hand, über die zuvor noch niemand geschrieben hat – außer sie selbst.

Das fiel mir gestern wieder auf, als ich auf der Internetseite des “San Francisco Chronicle” einen Artikel über einen Studenten aus Berkeley las, der am frühen Samstagmorgen erstochen wurde. Schon ohne die Familie des Opfers heimgesucht zu haben, konnten die Autoren am Samstagabend eine einigermaßen lebendige Charakterisierung des Toten abgeben:

Christopher W.*, who loved ’80s music, poker, baseball and football, according to his MySpace page, would have received his undergraduate degree later this month and was going to begin graduate school in nuclear engineering at UC Berkeley in the fall.

[…]

W.* was active in his fraternity, serving as vice president and pledge educator.

“Nobody can have a better set of friends than I do,” he wrote on his MySpace page. “I’m a Sigma Pi for life.”

W.* listed on MySpace the Bible as one of his favorite books and Jesus as one of his top interests.

Among his heroes, he listed “Jesus, my mom, my dad, my big brother, really wise people.”

* Anonymisierung von mir

Exkurs: Dass die Opfer eines Verbrechens (ebenso wie die Täter) meist mit vollem Namen genannt und auf Fotos gezeigt werden, ist im angelsächsischen Journalismus normal. Anders als in Deutschland, wo “Bild” und Konsorten häufig die unrühmliche Ausnahme darstellen, sind die Protagonisten von Kriminalfällen in Großbritannien und den USA oft auch in den sogenannten Qualitätsmedien vollständig identifizierbar. Entsprechend war es leider wenig überraschend, dass BBC und CNN im “Fall Amstetten” zu den ersten Medien gehörten, die Täter und Opfer bei vollem Namen nannten, bevor deutschsprachige Medien nachzogen (lesen Sie dazu auch diesen sehr klugen Einwurf bei medienlese.com). Exkurs Ende.

Doch zurück zum Toten von Berkeley und seinem MySpace-Profil: Immerhin hat man beim “Chronicle” (vorerst) darauf verzichtet, auch Fotos von seiner Seite zu veröffentlichen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie noch zum Einsatz kommen werden, denn nie war es einfacher, an persönliche Bilder und Informationen von Betroffenen zu kommen – “Witwenschütteln”, ganz ohne anstrengende Hausbesuche, bei denen man Gefahr laufen könnte, im Angesicht der Hinterbliebenen doch noch Gewissensbisse zu bekommen.

Als im Januar eine Bielefelder Schülerin beim Skifahren tödlich verunglückte, nutzten “Bild am Sonntag” (s. BILDblog) und RTL (s. Indiskretion Ehrensache) Privatfotos aus dem SchuelerVZ-Profil der Toten zur Illustration ihrer Artikel und Beiträge. Bei SchuelerVZ muss man sich – anders als bei MySpace – erst einmal anmelden, um die Profile der anderen Mitglieder einsehen zu können.

Im März brachte die “New York Times” ein großes Porträt über das Callgirl, das die politische Karriere des New Yorker Gouverneurs Eliot Spitzer beendet hatte – weite Teile stammten aus Telefoninterviews, die die Redakteure mit der jungen Frau geführt hatten, andere Details und Fotos waren direkt ihrer MySpace-Seite entnommen. Patricia Dreyer, “Panorama”-Chefin von “Spiegel Online” und Ex-Unterhaltungschefin bei “Bild”, musste wenig mehr machen, als den “New York Times”-Artikel noch zu übersetzen und mit indirekter Rede zu versehen, um bei “Spiegel Online” einen “eigenen” großen Artikel daraus zu machen. Wieder inklusive aller MySpace-Fotos, die dort plötzlich mit den Quellenhinweisen “AP” und “AFP” versehen waren.

Ende März brachte die “taz” einen längeren Artikel darüber, wie sich “Bild” immer wieder bei StudiVZ bedient und fragte auch in der Pressestelle von StudiVZ nach, wie man dort eigentlich zu dem Thema stehe. Die Antwort fiel wenig überraschend schwammig aus:

Die journalistische Verwertung von Bildern aus StudiVZ ist nicht in unserem Interesse. Das steht auch eindeutig in unseren AGB. Wird dennoch ein Foto von einem unserer Nutzer zu diesem Zweck unautorisiert verwendet, so handelt es sich hierbei um eine Verletzung der Urheberrechte. Der Nutzer kann gegen das entsprechende Medium vorgehen.

Doch noch einmal zurück zum “San Francisco Chronicle”, der – das muss man vielleicht noch mal erwähnen – durchaus zu den amerikanischen Qualitätszeitungen zählt und dessen Redakteure regelmäßig mit Journalismuspreisen geehrt werden: In einem weiteren Artikel auf der heutigen Titelseite werden dort Aussagen vom Bruder des Opfers mit Zitaten aus dem MySpace-Blog des Toten gegenübergestellt. Die Aussage, der Verstorbene sei ein friedlicher und religiöser Mensch gewesen, werden mit hormon- und alkoholgeschwängerten Partygeschichten verschnitten, die für jeden “Chronicle”-Leser drei Mausklicks weit entfernt sind.

Ich muss also meine eigene Meinung zur informationellen Selbstbestimmung, die ich hier schon einmal ausgebreitet habe, etwas einschränken: Zwar glaube ich nach wie vor, dass persönliche Blogeinträge und Partyfotos eines Tages für Personalchefs wieder völlig irrelevant sein werden (einfach, weil es sie von jedem Bewerber und dem Personalchef selbst geben wird), aber es besteht eben immer die Gefahr, unfreiwillig zum Gegenstand pseudo-journalistischer Berichterstattung zu werden.

Ich würde nicht wollen, dass, sollte ich morgen unter einem LKW liegen, die Zeitungen übermorgen mein Leben und Wesen so zusammenfassten: “Lukas mochte, wie er auf seinem MySpace-Profil schrieb, Achtziger-Jahre-Komödien und Musik von Oasis und Phil Collins.”

Nachtrag, 6. Mai: BILDblog gibt Tipps, wie man sich halbwegs gegen die Verwendung von Fotos schützen kann.