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Musik Digital

Warum Fran Healy so gut schläft

Ich bin seit Jahren großer Fan von Travis. Nicht nur, dass die Musik (beinahe) immer toll ist, Fran Healy sagt auch von Zeit zu Zeit sehr kluge Sachen, von denen man sich wünscht, es würden die betreffenden Leute zuhören.

Zum Beispiel aktuell zu einem Fall, den man bei torrentfreak.com nachlesen kann: Travis hatten zur Verbreitung des neuen Songs “J. Smith” per MP3 aufgerufen – wie man das eben heutzutage so macht. Plötzlich meldete sich die IFPI, die International Federation of the Phonographic Industry, bei Kevin, der den Song in seinem Blog So Much Silence gehostet hatte, und forderten ihn zur Löschung auf. (Das heißt: genau genommen forderten sie ihn auf, einen Song von Hercules And Love Affair zu löschen, weil sie sich da wohl irgendwie mit der Zuordnung vertan hatten.) Kevin schrieb Fran Healy an, der prompt reagierte und klar stellte, dass der Song weiter verbreitet werden soll. Die IFPI, die ja angeblich im Namen der Künstler gegen das Unrecht in der Welt kämpft, musste zugeben, von einer solchen Genehmigung nichts mitbekommen zu haben.

Und auf Anfrage von torrentfreak.com legte Fran dann richtig los:

With a view to music, the internet is like radio. The only major difference is that, at the moment, I don’t get a PRS payment everytime my song is listened to.

The problem is, the business is trying to fit old rules on a new model. Like trying to fit the square peg in the round hole. I think someone has to sit down and re-write the rules for the new model.

[…]

As far as illegal filesharing goes. There are people who will buy albums and people who will record them off friends. If you took away the Internet this would still happen so I don’t lose any sleep. Goodnight.

Jetzt müsste er das nur noch irgendwie seinen Plattenbossen verklickern.

Ach, und runterladen können Sie “J. Smith” jetzt hier – ganz legal und mit Einwilligung des Künstlers. (Das Album “Ode To J. Smith” können Sie sich bei Gefallen dann ab dem 26. September kaufen.)

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Politik

Und ein Haken für Juli …

Gleich drei Vergleiche zum Preis von einem liefert die Büso-Chefin, Anglo-holländische-Verschwörungs-Gegnerin und Atomstromaktivistin Helga Zepp-LaRouche in ihrem aktuellen Kommentar zu Barack Obamas Deutschland-Besuch. Der Führer ist selbstverständlich mit dabei:

Das wirklich erschreckende aber war nicht Obamas Rede, die inhaltlich nichts brachte, was er nicht schon vorher gesagt hätte, von einigen Bezügen auf die Luftbrücke einmal abgesehen, worauf jeder professionelle Redenschreiber kommen mußte. Viel beunruhigender ist, daß die deutschen Massen anscheinend nichts aus der Geschichte gelernt haben, und bei bombastisch aufgezogenen Massenversammlungen offensichtlich eine fatale Neigung haben, in Manien zu verfallen. Dabei scheint es egal zu sein, ob es Hitler in Nürnberg, Gorby auf Deutschlandreise, der Dalai Lama oder eben jetzt das Soufflé Obama ist.

Auf eine etwas andere Art witzig (und zugegebenermaßen näher an meinem Humor) ist da der Kommentar von Jon Stewart in der “Daily Show”:

Hier klicken, um den Inhalt von www.thedailyshow.com anzuzeigen

[Direktobama]

Eine unvollständige Liste der schönsten Nazi-Vergleiche seit 1945 finden Sie nach wie vor hier.

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Frau im Spiegel

Vielleicht werden wir nie genau erfahren, was eigentlich vorgefallen ist in den Redaktionsräumen von “Emma”. Warum sich Lisa Ortgies, die gerade als neue Chefredakteurin eingearbeitet werden sollte, nicht “für die umfassende Verantwortung einer Chefredakteurin” “eignet”. Warum eine Fernsehjournalistin, die “bis dahin noch nie als Redakteurin oder Ressortleiterin, geschweige denn als Chefredakteurin gearbeitet” hatte, “ganz und gar überraschend für alle” “die Falsche zu sein scheint”. Ob der Satz “Im Sinne von Lisa Ortgies wird es hierzu keine weitere Stellungnahme von EMMA geben” vielleicht das bösartigste Arbeitszeugnis aller Zeiten darstellt. Und warum man bei “Emma” – entgegen der eigenen Ankündigung – immer noch nachtreten muss.

Aber wenigstens erklärt uns Alice Schwarzer jetzt, warum diese Personalie so hochgekocht wurde:

Aufmerksamen ZeitgenossInnen wird es nicht entgangen sein: Im Kleinen laufen diese Hetzkampagnen gegen Alice & EMMA rituell alle paar Jahre, im Großen etwa im Zehn-Jahres-Rhythmus. Der Anlass ist beliebig, jeder Vorwand ist willkommen. Zum Beispiel eine Personalie, die bei jedem anderen Verlag ein Dreizeiler oder eine einmalige kleine Glosse wäre.

Entschuldigung. Den letzten Satz habe ich unvollständig zitiert. Frau Schwarzer hat nämlich noch ein knackiges Beispiel parat:

Zum Beispiel eine Personalie, die bei jedem anderen Verlag ein Dreizeiler oder eine einmalige kleine Glosse wäre (wie im Falle Spiegel vor einigen Monaten).

[via]

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Politik Gesellschaft

Im Bad mit Sebastian Edathy

Gäbe es einen Preis für den unsouveränsten Politiker, er ginge in diesem noch jungen Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit an Sebastian Edathy. Gäbe es im deutschen Fernsehen echte Satiresendungen und nicht nur den “Scheibenwischer” und das Dekolletee von Angela Merkel, müsste man sich auf Monate voller Zahnputz-Witze einstellen.

Was war passiert? Edathy, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzender des Innenausschusses, wurde von den Moderatoren des Berliner Senders Radio 1 zum geplanten BKA-Gesetz befragt – oder besser: sollte befragt werden, denn sonderlich lang lief das Interview nicht, wie man bei Radio 1 nachhören kann:

[Das Gespräch wurde von zwei Moderatoren geführt, die ich aber stimmlich nicht auseinander halten kann. Für den Inhalt ist das auch unerheblich.]

Moderator: Morgen Herr Edathy!
Edathy: Morgen, grüß Sie!
Moderator: Guten Morgen! Wenn Sie sich morgens die Zähne putzen, sind Sie eigentlich nackt oder haben Sie Unterwäsche an?
Edathy: Ich, äh … Wieso?
Moderator: Die Frage ist Ihnen unangenehm oder warum?
Edathy: Ja, ich weiß nicht, was das mit der Sache zu tun hat, mit Verlaub, Herr …
Moderator: Ja, Sie machen das ja gemeinhin wahrscheinlich …
Edathy: Also, was solln der Scheiß? Entschuldigung, Wiederhören …
*klick*

Zugegeben: Keine Frage, die man unbedingt im Radio beantworten möchte, aber eine, die das diffuse Thema BKA-Gesetz in den konkreten Alltag der Menschen und Politiker runterbrechen kann, immerhin geht es in dem Gesetz um “geheimes Fotografieren, Filmen und Abhören, auch in Wohnungen”.

Folgende Antworten hätte ich an seiner Stelle für denkbar gehalten:

  • Die schlichte: “Darüber spreche ich nicht.”
  • Die schlicht-ranschmeißerische: “Das geht Sie nichts an, aber ich höre im Bad Radio 1.”
  • Die ausweichende: “Ich putze mir meine Zähne morgens nicht.”
  • Die verständnisvolle: “Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, deshalb putze ich mir im Dunkeln die Zähne.”
  • Die staatstragende: “Wo denken Sie hin? Ich bin Vorsitzender des Innenausschusses – im Anzug, natürlich!”
  • Die größenwahnsinnige: “Ich bin nackt, weil ich meinen gestählten Körper und mein mächtiges Glied im Spiegel sehen will.”

Herr Edathy aber, der sowieso ein Problem mit Journalisten zu haben scheint, sagte zu einer Zeit, zu der Kindergartenkinder mit ihren Eltern am Frühstückstisch sitzen könnten, “Scheiß” und legte auf.

Als er in seinem Gästebuch darauf angesprochen wurde, dass er das Interview nach der Eingangsfrage abgebrochen habe, antwortete Edathy zunächst, man habe ihm ja zwei Fragen gestellt (die nach dem Zähneputzen und die, ob ihm die erste unangenehm sei) und fügt hinzu:

Ich finde in der Tat, dass man sich als Interviewpartner nicht jede Frechheit bieten lassen muss und dass es diesbezüglich Grenzen gibt. Die waren in diesem Fall überschritten.

Das passt sehr schön zum übersetzen BKA-Gesetz, in dem es unter anderem heißt:

Das Bundeskriminalamt soll im Einzelnen die folgenden Mittel anwenden dürfen:

[…]

2. Personen befragen (diese sind verpflichtet, Auskunft zu geben)

Nun ist es mir wirklich egal, wann, wie und wo sich Herr Edathy die Zähne putzt. Ich würde mir als Wähler nur wünschen, das wäre seine einzige Tagesbeschäftigung.

Mehr dazu im redblog, bei Netzpolitik.org, Massenpublikum.de und Indiskretion Ehrensache.

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Musik Digital

Wagners Arie

Patrick Wagner war mal Sänger der mittelguten Band Surrogat, heute betreibt er das Label Louisville Records, bei dem einige mittelgute Bands sowie die grandiosen Naked Lunch unter Vertrag sind. Dort erscheint jetzt das Debütalbum von Navel, die dieses Jahr einen bereits sicheren Supportslot für die Smashing Pumpkins mit der Begründung ablehnten, sie hätten es nicht nötig “mit so abgehalfterten Rockopas wie Smashing Pumpins zu touren”. Kurz vor Veröffentlichung hat sich Herr Wagner, der mit Franz Josef nicht nur den Nachnamen, sondern auch ein mitunter bizarres Selbstverständnis gemein hat, mal ein bisschen ausgekotzt über diese ganzen Blödmänner im Musikbiz, die Navel nicht hinreichend zu würdigen wissen:

Grossartig auch Leute wie Christoph von MTV – “Bei Navel könnte ich mir echt gut vorstellen, wenn das Video gut wird, dass wir da einen Newcomer Deal anbieten könnten – ca 10 000€ später, ist das Video zwei mal gelaufen und MTV lässt über Dritte ausrichten, dass man keinen Rock spiele auf MTV – als hätten sie das nicht einen Moment früher gewusst. Besser sind da schon die herrlichen Kollegen von den Printmedien – am besten aus der Rockhauptstadt München vom Musikexpress – zB. Oliver “das sind Newcomer, oder ?- Ja dann musst du mit Christoph sprechen: “ich weiss nicht ob ich da was bringen kann, es ist so viel los gerade” die Wahrheit ist, dass im März/April ausser Nick Cave und Portishead keine einzige auch nur halbwegs anhörbare Platte rausgekommen ist, da nimmt man schon mal eine Künstlerin aufs Cover die grade nur Coverversionen veröffentlicht, wenn das nicht die Musik vorantreibt? Toll auch Markus vom Radio Sender “Eldoradio” (Hörerschnitt: 4/Tag), der ganz gerne von einem erwartet, dass man für ihn und seinen beschissenen Sender und seine absolut irrelevanten Campuscharts einen Song umschreibt oder ne andre Single auskoppelt und im gleichen Atemzug sagt “Kettcar finden wir zwar auch scheisse, müssen wir aber machen”. Da sind mir die Kollegen von der Spex schon lieber, die einfach, sagen, “da machen wir nichts”, -genauso hab ich mir nen Diskurs vorgestellt.

Mal davon ab, dass die Campusradios zu den wenigen Sendern gehören dürften, die Bands von Louisville Records spielen: Jeder, der schon mal mit “Markus vom Radio Sender ‘Eldoradio'” zusammengearbeitet hat, wird Wagners Schmerz nachempfinden können.

[via taz Popblog]

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Musik

Gar nicht nachdenken, so

Die Band Panda (“Hit”: “Jeht Kacken”) steht nicht unbedingt ganz oben auf meiner Liste “Gute Nachwuchsbands aus Deutschland”. Sie steht nicht mal in der Mitte meiner Liste “Mittelgute Nachwuchsbands aus Berlin”. In Wahrheit steht sie auf keiner solchen Liste, weil ich gar keine führe.

Deshalb kommen mir mediale Erwähnungen von Panda eher versehentlich unter, so wie vorhin, als ich per ICQ auf ein höchst vergnügliches Video aufmerksam gemacht wurde, das das Jugendmagazin “Fluter” im vergangenen Dezember mit Panda gedreht hat.

Drehen Sie ihre PC-Boxen etwas lauter (der Ton ist sehr leise) und … äh … hören Sie einfach zu:

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Print

Zitatenstrauß: Fritz Pleitgen

Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” berichtete am Freitag über Fritz Pleitgen, der nach seiner Pensionierung als WDR-Intendant im letzten Jahr Vorstand der Geschäftsführung der Ruhr 2010 GmbH in Essen geworden ist.

Er sagt, er habe ursprünglich ganz andere Pläne gehabt, als bei Reden “in Volkshochschulen, Kirchen, Universitäten, Rathäusern, Museen, Kneipen und sogar einer Müll-Entsorgungsanlage” das Ruhrgebiet von innen kennen zu lernen:

Aber dann sage ich mir: Was ist die menschenleere Weite Sibiriens gegen die gutbesuchte Volkshochschule Dinslaken oder die Schwüle von Vera Cruz gegen die wohltemperierte Luft der Müll-Entsorgungsbetriebe von Herne?

[Zitatenstrauß, die Serie]

Mit Dank an Jens für den Hinweis.

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Rundfunk

Zitatenstrauß: Claus Kleber

Claus Kleber musste gestern im “Heute Journal” einen Beitrag anmoderieren, in dem es um den Prozessauftakt zum Berliner “Koma-Trinken” ging. Er begann überraschend, aber klug:

Es hat da ja jeder seine eigenen Erfahrungen, aber ich denke, dass bei uns über kein anderes Thema – nicht mal über Sex – so scheinheilig gelogen wird wie über Alkohol. Besonders zwischen älteren und jungen Leuten: Da wird schwadroniert, wie toll das war, als Onkel Jürgen kaum noch zum Auto laufen konnte, und dann werden – nüchtern betrachtet – die üblichen Warnungen mit ernstem Ton von oben herab verteilt.

Ich weiß schon, warum ich Claus Kleber für einen der Besten im deutschen Fernsehen halte.

[Zitatenstrauß, die Serie]

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Musik Print

Zitatenstrauß: Fran Healy

Coffee-And-TV-Vorsatz für 2008: Ein paar neue Rubriken einführen und sie auch wirklich durchziehen. Nicht nach einer oder zwei Episoden einfach auslaufen lassen.

Im aktuellen “Musikexpress” (Januar 2008) ist ein “Blind Date” mit Travis. Das Konzept ist so einfach wie (meist) gut: Man spielt Musikern ein paar Songs vor und schreibt auf, ob und wann sie das Lied erkennen und was sie dazu sagen. Im konkreten Fall bekam Fran Healy “Weird Fishes/Arpeggi” von Radiohead vorgespielt. Und für einen Moment antwortete nicht mehr der Schwiegermutter-Darling Franny, sondern ein genervter Hörer:

FRAN: Ist das die neue Radiohead?
Ja. Wie findest Du Sie?
FRAN: Ich finde, dass Nigel Godrich wie üblich einen fantastischen Job gemacht hat. Sein Sound, seine Produktion ist fantastisch, ohne Nigel würde es Radiohead nicht geben. Aber ich sehe nicht den Sinn, Alben zu machen, die ausgedehnte Jams sind, über die er (Thom Yorke, Anm. d. R.) dann drübermurmelt. Es solle sich endlich jemand ein Herz fassen und ihm sagen, bitte schreib einen verdammten Song! Du bist nämlich ein toller Songwriter. Und ein toller Sänger. Aber das hier ist für mich einfach … (äfft Yorkes leiernden Gesang nach) “Woozywooziwoo …” Fuck off! Ich hab’s satt.
Warst Du früher Fan?
FRAN: Ich war riesiger Radiohead-Fan. Weil sie großartige Songs schrieben und er SANG. Heute ist es ihm offenbar peinlich, eine gute Melodie zu schreiben. Er macht lieber diese kleinen Soundcollagen. Den Leuten gefällt’s, klar, weil Radiohead zu mögen eine Lifestyle-Entscheidung ist: “Ich mag Radiohead”, “Ich lese dieses und jenes Magazin”, “Ich trage diese und jene Kleidung”, “Ich bin diese und jene Art Mensch”.
Wann ging die Enttäuschung los? Mit KID A?
FRAN: Nein, KID A war toll, damals. Aber dann fingen sie an, diese gleiche Platte immer wieder zu machen.

Hätte von mir sein können …

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Unterwegs

Blogger auf dem Weihnachtsmarkt

Vor der inzwischen schon fast traditionellen Bochumer pl0gbar am letzten Dienstag wollten wir eigentlich mit allen noch über den Weihnachtsmarkt schlendern. Letztendlich waren es dann Kathrin, Jens und ich, die sich die Bretterbuden und den Glühwein einmal genauer ansahen.

Was dabei herausgekommen ist, sehen Sie hier:

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Und hier noch das passende Max-Goldt-Zitat:

Wenn ich nur einen schlechten Rotwein hätte, eine Alkoholzufuhr aber für dringend sachdienlich hielte, würde ich den Wein so weit wie möglich runterkühlen. Man weiß ja von Coca-Cola und manchem Milchspeiseeis, daß eklige Dinge halbwegs tolerabel schmecken, wenn man sie stark kühlt. Ich würde den schlechten Wein jedenfalls nicht zur drastischeren Offenlegung seiner minderen Qualität auch noch erwärmen!

(Max Goldt – Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens, in: Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens)

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Politik

Niederrheinische Mengenleere

Wir müssen mal für einen kurzen Moment so tun, als interessiere uns die Lokalpolitik in meiner früheren Heimatstadt Dinslaken.

Nein, das ist Quatsch. Lokalpolitik interessiert schon in Dinslaken niemanden mehr, da ist sie hier eigentlich völlig off topic. Ich wäre auch schlicht nicht in der Lage, die Vorgeschichte zu rekonstruieren, die zu dem Ratsbürgerentscheid führte, der die Stadt im Moment beschäftigt. Niemand in Dinslaken weiß noch so genau, worum es ging, was die Situation so besonders machte, der sich die Wahlberechtigten am vergangenen Sonntag (bei strömendem Regen und geöffneten Geschäften in der Innenstadt) ausgesetzt sahen. Aber wir haben es hier mit einem beeindruckenden Beispiel von politischem Selbstverständnis zu tun, das ich für allgemeingültig halte und Ihnen deshalb nicht vorenthalten will.

Nun also doch ganz kurz zur Vorgeschichte: Es geht grob darum, ob auf einem Parkplatz am Rande der Innenstadt ((“Rand” heißt hier: fußläufig durchaus zu erreichen, aber durch Gebäude und Straßen doch irgendwie ziemlich abgetrennt.)) ein Einkaufszentrum gebaut werden soll. Es ist hier völlig unerheblich, wer das bauen soll, wie das finanziert wird und was das alles mit dem MSV Duisburg zu tun hat. ((In Dinslaken ist es natürlich gar nicht unerheblich, da ist es langwierig und traurig. Aber wie gesagt: zu komplex, als dass noch irgendjemand durchblicken würde.)) Alles, was Sie jetzt noch wissen müssen, ist: Die Stimmung in der Stadt war sehr dagegen, die Stimmung in der großen Koalition im Rat war sehr dafür.

Ein Bürgerbegehren, bei dem sich 6.000 Dinslakener gegen die Bebauung ausgesprochen hatten, verhallte aus formalen Gründen ungehört, aber der Rat beschloss einen freiwilligen Bürgerentscheid, bei dem rauskommen sollte, dass “die Dinslakener eine Bebauung des Platzes nicht grundsätzlich ablehnen”. Das ist ungefähr so sinnvoll wie wenn Eltern zu ihren Kindern sagen würden: “Okay, wir sehen: Ihr mögt keinen Fisch. Ihr habt hier zwar nix zu sagen, aber wir sind mal so großzügig und räumen Euch jetzt die Möglichkeit ein, uns zu zeigen, dass Ihr Fisch nicht grundsätzlich ablehnt!” ((Sie verstehen, warum eine Karriere im politischen Kabarett für mich nicht in Betracht kommt.))

Nun machten aber nur 17,9% der Kinder von der Möglichkeit Gebrauch, sich zum Fisch zu äußern. Zwei Drittel davon waren gegen den Fisch bzw. die Bebauung, 6.399 Leute. Die Stadtverwaltung hatte aber festgelegt, dass mindestens 11.000 dagegen sein müssten.

Andererseits waren ja von 55.644 Wahlberechtigten auch nur 3.546 für die Bebauung, was eher unsolide 6,37% sind. Der Rest zählt (und wir wissen, wie das mit schweigenden Massen ist) wohl als “nicht grundsätzlich dagegen”.

Nun würde man als normaler Mensch sagen: “Formalitäten hin und her: Nach allem, was uns an Zahlen vorliegt, sind zwei Drittel der Leute dagegen und gerade mal sechs Prozent unserer Bürger ist das Bauvorhaben so wichtig, dass sie dafür am Sonntag bei Regen ins Wahllokal trotten. Vielleicht sollten wir also doch mal gucken, ob wir das nicht irgendwie anders machen.”

Und jetzt werfen wir bitte jegliche Logik über Bord, halten uns unbedingt noch mal die Zahl von 3.546 Befürwortern vor Augen und zitieren die Bürgermeisterin Sabine Weiss:

„Es ist wichtig, dass man solche Grenzen [die 11.000 erforderlichen Stimmen] setzt, sonst ließe sich mit 6000 Stimmen ja die große Mehrheit einer Stadt dominieren. Ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass die, die nicht abgestimmt haben, gegen die Bebauung sind oder dass ihnen die Frage egal ist.“

Bitte beißen Sie in Ihren eigenen Schreibtisch, meiner ist schon durch.

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Literatur Politik

Licht aus, Spott an

Wie kann man heutzutage in Deutschland eigentlich noch wirklich provozieren? In Zeiten, in denen schon jeder und alles mit irgendwelchen Nazi-Sachen verglichen wurde, muss man sich was neues einfallen lassen: den Kohl-Vergleich.

Erfunden hat ihn Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse in der “Leipziger Volkszeitung”. Zumindest zitiert diese ihn wie folgt:

Müntefering geht, weil ihm Privates in einer entscheidenden Lebensphase wichtiger als alles andere ist. Ein Einschnitt?

Es ist eine unpolitische Entscheidung, dass Franz Müntefering seine Frau in der letzten Phase ihres Lebens direkt begleiten will. Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal. Ohne dass das vergleichbar wäre. Die Politik ist nicht das Allerwichtigste. Man sollte sich in solchen Phasen das Recht nehmen, auch einmal still zu halten. Es ist nicht so, dass man ein Schwächling ist, wenn man nicht immer sofort in diesen unmenschlichen Entscheidungsdruck verfällt.

Zitat: lvz-online.de

Zur Erinnerung: Hannelore Kohl, die Frau von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, litt schon während dessen Amtszeit an einer schweren Lichtallergie, die sie zuletzt dazu zwang, in einem völlig abgedunkelten Haus zu leben, und nahm sich im Juli 2001 das Leben (vgl. dazu auch dieses geschmackvolle “Spiegel”-Titelbild).

So, wie Thierse von der “Leipziger Volkszeitung” zitiert wird, wäre das natürlich eine etwas unglückliche, vielleicht auch schlichtweg geschmacklose Äußerung. Thierse sah seine Ausführungen zunächst einmal als “falsch und verkürzt” wiedergegeben und schrieb dem Altkanzler einen persönlichen Brief, in dem er bedauerte, dass “ein falscher Eindruck entstanden sei”. (Man beachte dabei den alten PR-Trick und bedauere nicht seine Äußerungen, sondern den Eindruck, der durch sie entstanden sein könnte.)

Unterdessen schrien Politiker aller Parteien schon Zeter und Mordio und versuchten, die Nummer zu einem Riesenskandal hochzujubeln, in dessen Windschatten die heutige Diätenerhöhung medial untergehen könnte.

Wer verstehen will, wie Politik und Medien heutzutage funktionieren, muss nur diesen Artikel bei n-tv.de lesen:

“Die Äußerungen von Herrn Thierse sind für mich menschlich zutiefst unverständlich. Sie grenzen für mich an Niedertracht”, sagte Merkel der “Bild”.

[…]

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sprach von einem “Tiefpunkt im Umgang” unter Kollegen. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagte, ein Bedauern reiche “hinten und vorne nicht”. “Das ist des Deutschen Bundestags nicht würdig. FDP-Chef Guido Westerwelle hat recht, wenn er sagt, er kann sich durch einen solchen Vizepräsidenten nicht repräsentiert fühlen.” Westerwelle sprach im “Kölner Stadt-Anzeiger” von “unterirdischen” Äußerungen.

Sie sehen schon: Die reden alle übereinander und mit der Presse, aber in keinem Fall miteinander – und das Volk sitzt daneben wie das Kind geschiedener Eltern, die nur noch über ihre Anwälte miteinander kommunizieren.

Im “Bild”-Artikel kommen noch ein paar weitere Hochkaräter zu Wort:

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) empört: „Schäbig und geschmacklos!“ Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder: „Parteichef Kurt Beck muss Thierse sofort zur Ordnung rufen.“

Und weil die Luft langsam dünn wurde, schaltete Thierse einen Gang höher und entschuldigte sich heute morgen per Brief “in aller Form” bei Helmut Kohl. Richtiger noch: Er bat um Entschuldigung, was ja heutzutage auch eine sprachliche Seltenheit ist.

Wie reagiert eigentlich Kohl auf den Brief seines alten Freundes und das ganze Theater drum herum? Mit der ihm üblichen staatsmännischen Größe und Gelassenheit:

“Ich nehme diese Entschuldigung an. Zum Vorgang selbst will ich sonst nichts sagen.”

Ich weiß schon, warum der Mann auf ewig “mein” Kanzler bleiben wird.

Nachtrag 17. November: Gerade erst festgestellt, dass diese erste öffentliche Erwähnung des Namens Helmut Kohl seit Monaten zufälligerweise mit der Präsentation des dritten Bands von Kohls Autobiografie zusammenfiel …