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Stille Gefängnispost

Die fol­gen­de Geschich­te wird ein biss­chen kom­pli­ziert. Legen Sie also bes­ser schon mal Papier und Blei­stift bereit, wie Sie es beim Betrach­ten der „Lin­den­stra­ße“ oder beim Lesen von John-Gris­ham-Büchern tun, um den Über­blick zu behal­ten.

Josef Fritzl, das darf als gesi­cher­te Infor­ma­ti­on gel­ten, sitzt zur Zeit in der Jus­tiz­an­stalt St. Pöl­ten in Unter­su­chungs­haft. Der als „Inzest-Mons­ter aus Amstet­ten“ bekannt gewor­de­ne Mann war­tet dort auf sei­nen Pro­zess, der Ende des Jah­res begin­nen soll.

Der „Dai­ly Mir­ror“, eine die­ser gru­se­li­gen bri­ti­schen Bou­le­vard­zei­tun­gen, berich­te­te am Diens­tag, Fritzl habe den Gefäng­nis­arzt um Anti-Fal­ten-Creme gebe­ten. Noch am sel­ben Tag nahm Bild.de die Geschich­te dank­bar auf und erfand noch hin­zu, Fritzl habe „wohl kein Spiel“ der Fuß­ball-EM ver­passt.

Inzest-Drama von Amstetten: Josef Fritzl verlangt im Knast nach Anti-Falten-Creme

Fast zeit­gleich berich­te­te „Spie­gel Online“ über den „Mirror“-Artikel und war­te­te mit einem über­ra­schen­den Twist auf:

Der Gefäng­nis­spre­cher weiß nichts davon. Auf Nach­fra­ge von SPIEGEL ONLINE sag­te Huber-Günst­ho­fer, er habe nie mit dem „Dai­ly Mir­ror“ gespro­chen.

Er kön­ne sich nicht erklä­ren, wie die bri­ti­sche Zei­tung dazu kom­me, ihn zu zitie­ren.

An die­sem Punkt wäre es eine schö­ne Geschich­te fürs BILD­blog gewe­sen: „Bild.de schreibt eine Falsch­mel­dung des ‚Dai­ly Mir­ror‘ ab“.

So ein­fach aber war es nicht: der „Mir­ror“ war längst nicht das ein­zi­ge bri­ti­sche Medi­um, das über die Anti-Fal­ten-Creme berich­tet hat­te. Neben diver­sen Bou­le­vard­me­di­en fand sich die Mel­dung auch beim renom­mier­ten „Dai­ly Tele­graph“ – und die wer­den ja kaum unge­prüft aus dem „Mir­ror“ abschrei­ben.

Über­haupt stand ja schon bei „Spie­gel Online“:

Mit die­ser Aus­sa­ge kon­fron­tiert, teilt der „Dai­ly Mir­ror“ mit, man habe die Infor­ma­tio­nen „einer Agen­tur­mel­dung“ ent­nom­men.

Eine Nach­fra­ge beim „Tele­graph“ ergab: Die Agen­tur, die die­se Mel­dung ver­brei­tet hat­te, heißt „Cen­tral Euro­pean News“ (CEN) und sitzt in Wien. Kein deut­scher Jour­na­list hat je von ihr gehört. Dort war man sehr freund­lich und koope­ra­tiv und teil­te mir mit, die Nach­richt aus der öster­rei­chi­schen „Kro­nen­zei­tung“ zu haben.

Und dort stand am 12. Juli 2008:

Kurze Spaziergänge im Hof - Einziger Wunsch: Hautcreme - Häftling Fritzl verpasst keinen Bericht über seine Horrortaten!

„Der ein­zi­ge Extra­wunsch von Josef Fritzl war bis­her eine Haut­creme“, so Oberst­leut­nant Erich Huber-Günst­ho­fer von der Jus­tiz­an­stalt St. Pöl­ten.

Bevor CEN die Mel­dung an den „Dai­ly Mir­ror“ schick­te, habe man extra noch mal bei den Gefäng­nis­ver­ant­wort­li­chen nach­ge­fragt und sich die Zita­te bestä­ti­gen las­sen, so die Agen­tur. Ent­spre­chend über­rascht sei man des­halb auch über den Arti­kel bei „Spie­gel Online“ gewe­sen: zwar stimmt es ja wohl, dass der Gefäng­nis­spre­cher nicht mit dem „Dai­ly Mir­ror“ gespro­chen hat – aber das muss­te er ja auch nicht, weil es sich ja eigent­lich um eine Mel­dung der „Kro­nen­zei­tung“ gehan­delt hat­te. Und mit deren Repor­ter hat Oberst­leut­nant Huber-Günst­ho­fer dann schon gespro­chen, wie er mir auf Anfra­ge bestä­tig­te. Die viel­zi­tier­te Haut­creme habe er aller­dings schon im Gespräch mit der „Kro­nen­zei­tung“ eher bei­spiel­haft genannt, um auf die All­täg­lich­keit von Fritzls Wün­schen hin­zu­wei­sen.

Die Behaup­tun­gen („Kro­nen­zei­tung“, „Dai­ly Mir­ror“, „Bild“), dass Fritzl vor allem oder aus­schließ­lich Berich­te über sich selbst lese oder schaue, bezeich­ne­te Erich Huber-Günst­ho­fer im Übri­gen als über­trie­ben: Die Fern­se­her in den Zel­len ver­füg­ten über 22 Pro­gram­me und da es kei­ne 24-Stun­den-Über­wa­chung gebe, wüss­te auch die Gefäng­nis­ver­wal­tung nicht, was sich ein Gefan­ge­ner da genau anse­he. Glei­ches gel­te für Zei­tun­gen: „Ob er die Wit­ze­sei­te oder den Sport­teil liest, kann ich Ihnen nicht sagen.“

Es blei­ben frei­lich immer noch ein paar Fra­gen offen:

  • Wie­so muss eine Mel­dung der öster­rei­chi­schen „Kro­nen­zei­tung“ erst einen Umweg über Eng­land neh­men, ehe sie von „Bild“ auf­ge­grif­fen wird?
  • War­um hat „Spie­gel Online“ nicht nach der Agen­tur­mel­dung gesucht, auf die sich der „Dai­ly Mir­ror“ beru­fen hat?
  • Wie wur­de eigent­lich aus der „Haut­creme“ (Huber-Günst­ho­fer, „Kro­nen­zei­tung“) die „Anti-Fal­ten-Creme“ („Bild“)?

Ach, letz­te­res lässt sich ganz leicht durch einen klei­nen Über­set­zungs­feh­ler bei CEN erklä­ren, den der „Dai­ly Mir­ror“ ahnungs­los auf­ge­grif­fen und Bild.de eben­so ahnungs­los zurück­über­setzt hat:

Incest mons­ter Josef Fritzl is a fre­quent visi­tor to the pri­son doc­tor to com­plain about aches and pains and has asked for a sup­p­ly of anti aging face cream.

Meh­re­re Ver­su­che, mit den Ver­ant­wort­li­chen bei „Spie­gel Online“ Kon­takt auf­zu­neh­men, ver­lie­fen erfolg­los. Unter­des­sen hat Bild.de den Arti­kel off­line genom­men und CEN hat ange­kün­digt, sich wegen fal­scher Unter­stel­lun­gen bei einer ent­spre­chen­den Stel­le (falls es so etwas wie eine „Ger­man Press Asso­cia­ti­on“ gibt) über „Spie­gel Online“ beschwe­ren zu wol­len.

Mit Dank an die vie­len BILD­blog-Hin­weis­ge­ber!

Nach­trag, 18. Juli: Zur Stel­lung­nah­me von „Spie­gel Online“ bit­te hier ent­lang!

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Nicht wütend genug

Auch bevor er sei­nen Kopf ver­lo­ren hat­te, war der Ber­li­ner Wachs-Hit­ler seit Tagen in der Pres­se. „Bild“ sah mal wie­der eine „Empö­rung in ganz Deutsch­land“ (bei der Abstim­mung auf Bild.de sind der­zeit 77% der Leser der Mei­nung, dass Hit­ler als Wachs­denk­mal „o.k.“ sei) und Michel Fried­man sprang mal wie­der über ein Stöck­chen, das „Bild“ ihm hin­ge­hal­ten hat­te.

Wir haben also in den letz­ten Tagen jede Men­ge über den fal­schen Füh­rer in Ber­lin gehört, gese­hen und gele­sen. Wie üblich durf­te sich jeder, des­sen Empö­rung nur glaub­wür­dig genug vor­ge­tra­gen war, zum The­ma äußern.

Aber ist Ihnen in den letz­ten Tagen und in die­sem Zusam­men­hang mal der Name Ste­phan Kra­mer begeg­net? Ste­phan Kra­mer ist Gene­ral­se­kre­tär des Zen­tral­ra­tes der Juden in Deutsch­land und hat­te sich bereits vor gut einem Monat im Gespräch mit der „Net­zei­tung“ zu dem The­ma geäu­ßert:

Kra­mer sag­te zwar, Hit­ler sol­le in Ber­lin kei­ne Tou­ris­ten­at­trak­ti­on wer­den. «Wenn eine sol­che Aus­stel­lung jedoch dabei hilft, unse­re Sicht auf Hit­ler zu nor­ma­li­sie­ren und ihn zu demys­ti­fi­zie­ren, dann soll­te man es ver­su­chen.»

Dazu gehört für den Zen­tral­rat auch die Beschäf­ti­gung mit der His­to­rie: «Zu ver­su­chen, Hit­ler aus der Geschich­te zu löschen, funk­tio­niert nicht und ist kon­tra­pro­duk­tiv», sag­te Kra­mer. Dies mache die Opfer des Holo­caust nicht leben­dig und besei­ti­ge nicht die ver­ur­sach­ten Schä­den und began­ge­nen Ver­bre­chen.

Klingt eini­ger­ma­ßen mode­rat, nicht? Und mög­li­cher­wei­se schlicht zu unspan­nend für die Pres­se, die ja immer auf den gro­ßen Skan­dal aus ist.

dpa und epd haben Kra­mers wich­tigs­te Aus­sa­gen noch am glei­chen Tag geti­ckert, in deut­lich ver­kürz­ter Form tauch­te die Mel­dung Anfang Juni auch in der Ber­li­ner „Bild“ auf. Als es jetzt kurz vor der Erin­ne­rung heiß her ging, erin­ner­te sich kaum noch jemand an Kra­mers libe­ra­le Posi­ti­on.

So stieß ich auf den Namen Ste­phan Kra­mer und sei­ne Mei­nung zum Wachs-Hit­ler in einem Bericht der BBC über die Köp­fung (aus Ste­phan wur­de dort aller­dings Ste­phen).

Dort blieb von der „Empö­rung in ganz Deutsch­land“ auch nur noch ein Neben­satz übrig:

Despi­te some cri­ti­cism in the media, Ste­phen Kra­mer, gene­ral secre­ta­ry of the Cen­tral Coun­cil of Jews in Ger­ma­ny, said he did not object to Hit­ler being shown, as long as it was done pro­per­ly.

Eine kur­ze Recher­che bei Goog­le News ergab, dass Kra­mer in die­sen Tagen genau zwei Mal von der deut­schen Pres­se zum The­ma zitiert wor­den war: heu­te Mor­gen in der „Mär­ki­schen All­ge­mei­nen“ und nach dem Über­griff in der „Erleb­nis-Com­mu­ni­ty“ „Kwick!“

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Brüh im Lichte revisited

Deutschlandfahne (Symbolbild)

Deut­sche Medi­en­nut­zer sind genüg­sam, sie neh­men fast alles hin. Manch­mal schrei­ben sie einen empör­ten Leser­brief, wenn sie eine Kari­ka­tur nicht ver­ste­hen, aber ansons­ten sind sie still.

Nur zwei Sachen neh­men die Deut­schen ihren Medi­en übel: Wenn Frau­en den Namen eines Fuß­ball­ver­eins nicht rich­tig aus­spre­chen, und wenn sich „Tagesthemen“-Grafiker bei der Natio­nal­flag­ge ver­tun.

Dann war da eben mal für eine hal­be Minu­te eine rot-schwarz-gel­be Fah­ne zu sehen. Das ist pein­lich und ange­sichts der Voll­be­flag­gung von Wohn­häu­sern, Auto­mo­bi­len und Fahr­rä­dern die­ser Tage auch eini­ger­ma­ßen über­ra­schend. Die Kol­le­gen von DWDL.de haben’s gese­hen und auf­ge­schrie­ben, weil man das als Medi­en­ma­ga­zin natür­lich so macht. Hät­te ich ja auch getan.

Heu­te ist die Geschich­te aber das The­ma am ers­ten fuß­ball­frei­en Tag seit Wochen: Ganz groß auf der „Bild“-Zeitung, wo man sich mit gelb, rot und schwarz super aus­kennt, und in nahe­zu jedem ver­damm­ten Online-Medi­um.

Natür­lich darf auch, wer sel­ber ger­ne Feh­ler macht, sich über die Feh­ler ande­rer lus­tig machen – sonst gäbe es ja von heu­te auf mor­gen kei­nen Medi­en­jour­na­lis­mus mehr. Und natür­lich ist die Art und Wei­se, wie „ARD aktu­ell“ auf den „Vor­fall“ reagiert hat (nach­zu­le­sen bei Peer), sehr viel pein­li­cher als eine feh­ler­haf­te Gra­fik.

Aber …

Gibt’s grad nichts wich­ti­ge­res?

Zum Bei­spiel die ers­te Lesung des BKA-Geset­zes am ver­gan­ge­nen Frei­tag …

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Politik Fernsehen Rundfunk

Holzmichel auf dem Holzweg

Jaaaaaaaaa, Fried­bert Pflü­ger lebt also auch noch.1 Um auf die­sen Umstand hin­zu­wei­sen, hat er zu Beginn der Woche die Abset­zung der Talk­show „Anne Will“ gefor­dert. In der Aus­ga­be vom letz­ten Sonn­tag gab es einen Ein­spie­ler zu sehen, der laut Herrn Pflü­ger die rot-rote Regie­rung in Ber­lin in einem viel zu guten Licht hat erschei­nen las­sen.

Ich habe die betref­fen­de Sen­dung nicht gese­hen, ich habe „Anne Will“ über­haupt noch nie gese­hen, eben­so wie ich mich nicht erin­nern kann, je eine gan­ze Aus­ga­be „Sabi­ne Chris­ti­an­sen“ ertra­gen zu haben. Ich ertra­ge kein Talk­shows, in denen Poli­ti­ker und Men­schen aus­wen­dig gelern­te Sät­ze auf­sa­gen, und sich in kei­ner Wei­se durch das beir­ren las­sen, was die ande­ren Gäs­te aus­wen­dig auf­sa­gen.2

In sei­nem Blog schrieb Pflü­ger über „Anne Will“:

Mit Jour­na­lis­mus hat das alles wenig zu tun. Das ist Ideo­lo­gie und Lie­be­die­ne­rei, dazu noch schlecht gemacht. Frau Will miss­braucht ihren pri­vi­le­gier­ten Sen­de­platz und wirbt für eine poli­ti­sche Rich­tung, anstatt zu infor­mie­ren.

Es ent­behrt nicht einer gewis­sen Iro­nie, dass aus­ge­rech­net „Bild“ Pflü­gers Vor­la­ge auf­nahm.

Dann warf Pflü­ger sei­ne kom­plet­te Ahnungs­lo­sig­keit in Sachen Medi­en­po­li­tik in die Wag­scha­le:

Ich bin – auch als Rund­funk­rat des rbb – nicht bereit, dass auf sich beru­hen zu las­sen.

Ich bin mir sicher, dass man beim NDR, der die Sen­dung „Anne Will“ ver­ant­wor­tet, schon mit den Knien schlot­tert, ange­sichts die­ser Kampf­an­sa­ge.

Oder wie es Lorenz Maroldt in sei­nem klu­gen Kom­men­tar im „Tages­spie­gel“ zusam­men­fasst:

Für die Fra­ge, ob Anne Will durch Frank Plas­berg ersetzt wird, ist Pflü­gers Stim­me eben­so wich­tig wie die von Lothar Mat­thä­us für die Auf­stel­lung der Natio­nal­mann­schaft.

Bis hier­hin war es nur Fried­bert Pflü­ger, der sich freu­en konn­te, mal wie­der in der bun­des­wei­ten Pres­se gelan­det zu sein. Doch heu­te for­dern – eben­falls in „Bild“ – Kul­tur­staats­mi­nis­ter Bernd Neu­mann (CDU) und David McAl­lis­ter, CDU-Frak­ti­ons­chef in Nie­der­sach­sen und Mit­glied im NDR-Rund­funk­rat eben­falls Kon­se­quen­zen, die bis zur Abset­zung der Sen­dung rei­chen.

Jour­na­lis­ti­sche Feh­ler pas­sie­ren immer wie­der und Frank Schirr­ma­cher, der dem The­ma einen klu­gen, aber etwas umständ­li­chen Text gewid­met hat, dürf­te Recht haben, wenn er sagt, die Redak­ti­on der Sen­dung wür­de sich über sol­che Feh­ler wohl am meis­ten ärgern.3 Im kon­kre­ten Fall scheint aber noch nicht ein­mal völ­lig klar, ob die in der Sen­dung auf­ge­stell­te Behaup­tung, die rot-rote Regie­rung habe in Ber­lin 60 Mil­lio­nen Mil­li­ar­den Euro „geerbt“ nun wirk­lich falsch oder nur unglück­lich for­mu­liert war. Ver­mut­lich ist es ein­fach eine Inter­pre­ta­ti­ons­sa­che.

Dass nun Poli­ti­ker direkt in die Pro­gramm­pla­nung ein­grei­fen wol­len, fin­de ich sehr gefähr­lich. Zwar haben gera­de die Zuschau­er öffent­lich-recht­li­cher Pro­gram­me einen Anspruch auf rich­ti­ge Fak­ten und mög­lichst objek­ti­ve Bericht­erstat­tung, aber ers­tens ist der strit­ti­ge Sach­ver­halt ja offen­bar gar nicht so klar und zwei­tens strahlt die ARD ja auch immer noch den „Report aus Mün­chen“ aus. In kei­nem Fal­le aber soll­ten Poli­ti­ker, denen eine poli­ti­sche Talk­show nicht in den Kram passt, erklä­ren wol­len, wie guter Jour­na­lis­mus geht.

Wie die­se gan­zen CDU-Poli­ti­ker wohl reagiert hät­ten, wenn in der Sen­dung Stim­mung gegen rot-rot gemacht wor­den wäre?

  1. Für die 81 Mil­lio­nen Deut­schen, die Fried­bert Pflü­ger nicht ken­nen: Das ist der Mann, der vor zwei Jah­ren ger­ne Regie­ren­der Bür­ger­meis­ter in Ber­lin gewor­den wäre. Er sieht immer ein biss­chen so aus, als habe er gera­de die Jah­res­pro­duk­ti­on einer Zitro­nen­saft­kon­zen­trat­fa­brik leer­ge­trun­ken, und ist gera­de mit sei­nem ein­zi­gen bekann­ten poli­ti­schen Ziel, dem Erhalt eines knuf­fi­gen Stadt­flug­ha­fens, geschei­tert. Kurz­um: Er ist der Typ, der in ame­ri­ka­ni­schen High-School-Komö­di­en immer in den Spind gesperrt wird. Außer­dem bloggt Fried­bert Pflü­ger. []
  2. In den drei Sen­dun­gen von „Hart aber fair“, die ich gese­hen habe, rede­ten Men­schen laut und wüst durch­ein­an­der und gegen Ende wur­de klar, dass es theo­re­tisch einen Mode­ra­tor gege­ben hät­te, der das Gan­ze hät­te len­ken kön­nen. Wie­so alle Welt „Hart aber fair“ so toll fin­det, ist mir völ­lig schlei­er­haft. []
  3. Wenigs­tens will ich Schirr­ma­chers Opti­mis­mus tei­len. []
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Fischen im Netz

Das Inter­net hat die Arbeit von Jour­na­lis­ten erheb­lich ver­ein­facht: Bin­nen weni­ger Sekun­den kann man Agen­tur­mel­dun­gen auf ihren Wahr­heits­ge­halt über­prü­fen (vor­aus­ge­setzt, man will), uralte Tex­te aus obsku­ren Archi­ven her­aus­su­chen und per E‑Mail Ansprech­part­ner in aller Welt kon­tak­tie­ren. Vor allem aber hat man blitz­schnell Infor­ma­tio­nen über jun­ge Leu­te zur Hand, über die zuvor noch nie­mand geschrie­ben hat – außer sie selbst.

Das fiel mir ges­tern wie­der auf, als ich auf der Inter­net­sei­te des „San Fran­cis­co Chro­nic­le“ einen Arti­kel über einen Stu­den­ten aus Ber­ke­ley las, der am frü­hen Sams­tag­mor­gen ersto­chen wur­de. Schon ohne die Fami­lie des Opfers heim­ge­sucht zu haben, konn­ten die Autoren am Sams­tag­abend eine eini­ger­ma­ßen leben­di­ge Cha­rak­te­ri­sie­rung des Toten abge­ben:

Chris­to­pher W.*, who loved ’80s music, poker, base­ball and foot­ball, accor­ding to his MySpace page, would have recei­ved his under­gra­dua­te degree later this month and was going to begin gra­dua­te school in nuclear engi­nee­ring at UC Ber­ke­ley in the fall.

[…]

W.* was acti­ve in his fra­ter­ni­ty, ser­ving as vice pre­si­dent and pledge edu­ca­tor.

„Nobo­dy can have a bet­ter set of fri­ends than I do,“ he wro­te on his MySpace page. „I’m a Sig­ma Pi for life.“

W.* lis­ted on MySpace the Bible as one of his favo­ri­te books and Jesus as one of his top inte­rests.

Among his heroes, he lis­ted „Jesus, my mom, my dad, my big brot­her, real­ly wise peo­p­le.“

* Anony­mi­sie­rung von mir

Exkurs: Dass die Opfer eines Ver­bre­chens (eben­so wie die Täter) meist mit vol­lem Namen genannt und auf Fotos gezeigt wer­den, ist im angel­säch­si­schen Jour­na­lis­mus nor­mal. Anders als in Deutsch­land, wo „Bild“ und Kon­sor­ten häu­fig die unrühm­li­che Aus­nah­me dar­stel­len, sind die Prot­ago­nis­ten von Kri­mi­nal­fäl­len in Groß­bri­tan­ni­en und den USA oft auch in den soge­nann­ten Qua­li­täts­me­di­en voll­stän­dig iden­ti­fi­zier­bar. Ent­spre­chend war es lei­der wenig über­ra­schend, dass BBC und CNN im „Fall Amstet­ten“ zu den ers­ten Medi­en gehör­ten, die Täter und Opfer bei vol­lem Namen nann­ten, bevor deutsch­spra­chi­ge Medi­en nach­zo­gen (lesen Sie dazu auch die­sen sehr klu­gen Ein­wurf bei medienlese.com). Exkurs Ende.

Doch zurück zum Toten von Ber­ke­ley und sei­nem MySpace-Pro­fil: Immer­hin hat man beim „Chro­nic­le“ (vor­erst) dar­auf ver­zich­tet, auch Fotos von sei­ner Sei­te zu ver­öf­fent­li­chen. Es ist nicht unwahr­schein­lich, dass sie noch zum Ein­satz kom­men wer­den, denn nie war es ein­fa­cher, an per­sön­li­che Bil­der und Infor­ma­tio­nen von Betrof­fe­nen zu kom­men – „Wit­wen­schüt­teln“, ganz ohne anstren­gen­de Haus­be­su­che, bei denen man Gefahr lau­fen könn­te, im Ange­sicht der Hin­ter­blie­be­nen doch noch Gewis­sens­bis­se zu bekom­men.

Als im Janu­ar eine Bie­le­fel­der Schü­le­rin beim Ski­fah­ren töd­lich ver­un­glück­te, nutz­ten „Bild am Sonn­tag“ (s. BILD­blog) und RTL (s. Indis­kre­ti­on Ehren­sa­che) Pri­vat­fo­tos aus dem Schue­lerVZ-Pro­fil der Toten zur Illus­tra­ti­on ihrer Arti­kel und Bei­trä­ge. Bei Schue­lerVZ muss man sich – anders als bei MySpace – erst ein­mal anmel­den, um die Pro­fi­le der ande­ren Mit­glie­der ein­se­hen zu kön­nen.

Im März brach­te die „New York Times“ ein gro­ßes Por­trät über das Call­girl, das die poli­ti­sche Kar­rie­re des New Yor­ker Gou­ver­neurs Eli­ot Spit­zer been­det hat­te – wei­te Tei­le stamm­ten aus Tele­fon­in­ter­views, die die Redak­teu­re mit der jun­gen Frau geführt hat­ten, ande­re Details und Fotos waren direkt ihrer MySpace-Sei­te ent­nom­men. Patri­cia Drey­er, „Panorama“-Chefin von „Spie­gel Online“ und Ex-Unter­hal­tungs­chefin bei „Bild“, muss­te wenig mehr machen, als den „New York Times“-Artikel noch zu über­set­zen und mit indi­rek­ter Rede zu ver­se­hen, um bei „Spie­gel Online“ einen „eige­nen“ gro­ßen Arti­kel dar­aus zu machen. Wie­der inklu­si­ve aller MySpace-Fotos, die dort plötz­lich mit den Quel­len­hin­wei­sen „AP“ und „AFP“ ver­se­hen waren.

Ende März brach­te die „taz“ einen län­ge­ren Arti­kel dar­über, wie sich „Bild“ immer wie­der bei Stu­diVZ bedient und frag­te auch in der Pres­se­stel­le von Stu­diVZ nach, wie man dort eigent­lich zu dem The­ma ste­he. Die Ant­wort fiel wenig über­ra­schend schwam­mig aus:

Die jour­na­lis­ti­sche Ver­wer­tung von Bil­dern aus Stu­diVZ ist nicht in unse­rem Inter­es­se. Das steht auch ein­deu­tig in unse­ren AGB. Wird den­noch ein Foto von einem unse­rer Nut­zer zu die­sem Zweck unau­to­ri­siert ver­wen­det, so han­delt es sich hier­bei um eine Ver­let­zung der Urhe­ber­rech­te. Der Nut­zer kann gegen das ent­spre­chen­de Medi­um vor­ge­hen.

Doch noch ein­mal zurück zum „San Fran­cis­co Chro­nic­le“, der – das muss man viel­leicht noch mal erwäh­nen – durch­aus zu den ame­ri­ka­ni­schen Qua­li­täts­zei­tun­gen zählt und des­sen Redak­teu­re regel­mä­ßig mit Jour­na­lis­mus­prei­sen geehrt wer­den: In einem wei­te­ren Arti­kel auf der heu­ti­gen Titel­sei­te wer­den dort Aus­sa­gen vom Bru­der des Opfers mit Zita­ten aus dem MySpace-Blog des Toten gegen­über­ge­stellt. Die Aus­sa­ge, der Ver­stor­be­ne sei ein fried­li­cher und reli­giö­ser Mensch gewe­sen, wer­den mit hor­mon- und alko­hol­ge­schwän­ger­ten Par­ty­ge­schich­ten ver­schnit­ten, die für jeden „Chronicle“-Leser drei Maus­klicks weit ent­fernt sind.

Ich muss also mei­ne eige­ne Mei­nung zur infor­ma­tio­nel­len Selbst­be­stim­mung, die ich hier schon ein­mal aus­ge­brei­tet habe, etwas ein­schrän­ken: Zwar glau­be ich nach wie vor, dass per­sön­li­che Blog­ein­trä­ge und Par­ty­fo­tos eines Tages für Per­so­nal­chefs wie­der völ­lig irrele­vant sein wer­den (ein­fach, weil es sie von jedem Bewer­ber und dem Per­so­nal­chef selbst geben wird), aber es besteht eben immer die Gefahr, unfrei­wil­lig zum Gegen­stand pseu­do-jour­na­lis­ti­scher Bericht­erstat­tung zu wer­den.

Ich wür­de nicht wol­len, dass, soll­te ich mor­gen unter einem LKW lie­gen, die Zei­tun­gen über­mor­gen mein Leben und Wesen so zusam­men­fass­ten: „Lukas moch­te, wie er auf sei­nem MySpace-Pro­fil schrieb, Acht­zi­ger-Jah­re-Komö­di­en und Musik von Oasis und Phil Coll­ins.“

Nach­trag, 6. Mai: BILD­blog gibt Tipps, wie man sich halb­wegs gegen die Ver­wen­dung von Fotos schüt­zen kann.

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Kulturhauptstadt 2008 (2)

„Ein­plal­fo“ schlägt mir die T9-Funk­ti­on mei­nes Mobil­te­le­fons jedes Mal vor, wenn ich „Dins­la­ken“ schrei­ben will (danach kommt „Ein­plalfn“ und erst dann der rich­ti­ge Orts­na­me). Es ist sehr alt und kennt noch nicht die Kul­tur­me­tro­po­le am Nie­der­rhein, aus der heut­zu­ta­ge jeder zwei­te Nach­wuchs­künst­ler kommt.

Die neu­es­ten Mel­dun­gen stam­men vom König des Pop­schla­gers, Micha­el Wend­ler, des­sen sechs Jah­re alte Pri­vat­in­sol­venz die „Bild“-Zeitung letz­te Woche pas­send zum Char­t­ein­stieg „ent­hüllt“ hat (Teil 1, Teil 2, Teil 3 und ges­tern end­lich das Inter­view), und ges­tern dann die Welt­pre­mie­re des Films „Lauf um Dein Leben“, der zu wei­ten Tei­len in der Stadt gedreht wur­de.

Letz­te­rem Ereig­nis ver­dan­ken wir auch die­se wun­der­ba­re Bil­der­ga­le­rie bei „RP Online“, die eine der wohl schmuck­lo­ses­ten Film­pre­mie­ren west­lich von Kasach­stan zei­gen dürf­te – ich sag nur „Der Haus­halts­wa­ren-Dis­coun­ter“.

[Die­ser Ein­trag ist eine Fort­set­zung von „Kul­tur­haupt­stadt 2008“]

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Kommen und gehen

“Eine Liebeserklärung an die Hauptstadt - BILD ist ein Berliner!”

“Tote Hose auf dem Straßenstrich”

Mit Dank an Chris­ti­an M.

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Politik Gesellschaft

„Nazi!“ – „Selber!“

Bei­na­he wöchent­lich erschüt­tert ein neu­er „Nazi-Skan­dal“ die Öffent­lich­keit. Kaum jemand kann noch den Über­blick behal­ten, wer gera­de wie­der ver­se­hent­lich oder absicht­lich etwas gesagt hat, was „halt nicht geht“.

Das Dienst­leis­tungs­blog Cof­fee And TV hat sich des­halb bemüht, einen his­to­ri­schen Abriss der skan­da­lö­ses­ten Skan­da­le und der empö­rens­wer­tes­ten Ent­glei­sun­gen zusam­men­zu­stel­len, der selbst­ver­ständ­lich kei­nen Anspruch auf Voll­stän­dig­keit erhe­ben will:

  • 1979 Als Franz Josef Strauß im Wahl­kampf mit Eiern und Toma­ten bewor­fen wird, ver­gleicht sein Wahl­kampf­lei­ter Edmund Stoi­ber das Ver­hal­ten der Men­schen mit dem der „schlimms­ten Nazi-Typen in der End­zeit der Wei­ma­rer Repu­blik“.
  • Sep­tem­ber 1980 In „Kon­kret“ erscheint ein Arti­kel von Hen­ryk M. Bro­der, der glaubt, bei einer Artis­tik­num­mer im „Cir­cus Ron­cal­li“ eine „faschis­ti­sche Ästhe­tik“ und den Hit­ler­gruß beob­ach­tet zu haben.
  • 15. Juni 1983 Hei­ner Geiß­ler (CDU) sagt in einer Sicher­heits­de­bat­te im Bun­des­tag: „Ohne den Pazi­fis­mus der 30er Jah­re wäre Ausch­witz über­haupt nicht mög­lich gewe­sen.“
  • 15. Juli 1982 Oskar Lafon­taine äußert sich über die „Sekun­där­tu­gen­den“ von Bun­des­kanz­ler Hel­mut Schmidt, mit denen „man auch ein KZ betrei­ben“ kön­ne.
  • 25. April 1983 Der „Stern“ prä­sen­tiert auf einer Pres­se­kon­fe­renz die angeb­li­chen Tage­bü­cher Adolf Hit­lers, die sich zehn Tage spä­ter als Fäl­schung erwei­sen. Die Chef­re­dak­ti­on muss zurück­tre­ten, Repor­ter Gerd Hei­de­mann und Fäl­scher Kon­rad Kujau wer­den zu Haft­stra­fen ver­ur­teilt.
  • 1985 Alt-Kanz­ler Brandt sagt, Hei­ner Geiß­ler sei „seit Goeb­bels der schlimms­te Het­zer in unse­rem Land.“
  • 15. Okto­ber 1986 In einem Inter­view mit „News­week“ ver­gleicht Hel­mut Kohl die PR-Fähig­kei­ten des sowje­ti­schen Staats- und Par­tei­chefs Michail Gor­bat­schow mit denen von Joseph Goeb­bels.
  • 17. Okto­ber 1988 In einem Arti­kel in der „taz“ bezeich­net der freie Mit­ar­bei­ter Tho­mas Kapiel­ski ein Dis­co als „Gas­kam­mer­voll“. Nach wochen­lan­gen Leser­pro­tes­ten wer­den die zustän­di­gen Redak­teu­rin­nen ent­las­sen.
  • 10. Novem­ber 1988 Bun­des­tags­prä­si­dent Phil­ipp Jen­nin­ger hält eine Rede über das „Fas­zi­no­sum“ des Natio­nal­so­zia­lis­mus und muss nach öffent­li­chen Pro­tes­ten sei­nen Rück­tritt erklä­ren.
  • 10. Dezem­ber 1988 Wiglaf Dros­te über­schreibt einen Arti­kel in der „taz“ über Wolf­gang Neuss mit „Trau­er­ar­beit macht frei“. Die Leser­brie­fe tref­fen wasch­kör­be­wei­se in der Redak­ti­on ein.
  • 6. April 1994 Das für den 20. April geplan­te Fuß­ball­län­der­spiel Deutsch­land – Eng­land im Ber­li­ner Olym­pia­sta­di­on wird nach Pro­tes­ten abge­sagt.
  • 10. Febru­ar 1997 In Flo­ri­da herrscht ein betrun­ke­ner Harald Juhn­ke einen far­bi­gen Wach­mann an: „Du dre­cki­ger N[*****], bei Hit­ler wäre so etwas ver­gast wor­den.“
  • Mai 1997 Bei einem Gast­spiel in Isra­el unter­schreibt ein Bas­sist der Deut­schen Oper eine Hotel­rech­nung mit „Adolf Hit­ler“.
  • Juni 1998 Nokia wirbt mit dem Slo­gan „Jedem das Sei­ne“ für aus­tausch­ba­re Han­dy­co­ver. Nach Pro­tes­ten wird die Kam­pa­gne ein­ge­stellt.
  • 11. Okto­ber 1998 Mar­tin Wal­ser hält in der Frank­fur­ter Pauls­kir­che sei­ne „Moralkeulen“-Rede, für die er von Ignatz Bubis lang­an­hal­tend kri­ti­siert wird.
  • Febru­ar 1999 Nach dem Raus­wurf von Trai­ner Horst Ehrm­an­traut sagt der Ein­tracht-Frank­furt-Spie­ler Jan-Age Fjör­toft laut Sport­di­rek­tor Ger­not Rohr: „Vor­her war es Hit­ler­ju­gend, jetzt ist es kor­rekt.“
  • 1. Febru­ar 2001 Nico­la Beer, FDP-Abge­ord­ne­te im hes­si­schen Land­tag, sieht den Unter­schied zwi­schen den „Putz­grup­pen“, denen Josch­ka Fischer frü­her ange­hört hat, und Neo­na­zis „nur dar­in, dass die Putz­trup­pen damals mit Turn­schu­hen im Wald unter­wegs waren und dass die heu­te Sprin­ger­stie­fel anha­ben.“
  • 12. März 2001 Bun­des­um­welt­mi­nis­ter Jür­gen Trit­tin sagt über den kahl­köp­fi­gen CDU-Gene­ral­se­kre­tär, die­ser habe „die Men­ta­li­tät eines Skin­heads und nicht nur das Aus­se­hen“.
  • März 2002 Jamal Kars­li, damals Grü­nen-Abge­ord­ne­ter im NRW-Land­tag ver­öf­fent­licht eine Pres­se­er­klä­rung mit der Über­schrift „Israe­li­sche Armee wen­det Nazi-Metho­den an!“ Kurz dar­auf ver­lässt er die Grü­nen und wird von Jür­gen W. Möl­le­mann kurz­zei­tig in die FDP-Frak­ti­on geholt.
  • 13. Mai 2002 Im FAZ-Feuil­le­ton schreibt Patrick Bah­ners über die feh­len­de Regie­rungs­er­fah­rung des FDP-Kanz­ler­kan­di­da­ten Gui­do Wes­ter­wel­le: „Der letz­te deut­sche Kanz­ler, den nur das Cha­ris­ma des Par­tei­füh­rers emp­fahl, war Adolf Hit­ler.“ FDP-Gene­ral­se­kre­tä­rin Cor­ne­lia Pie­per for­dert ver­geb­lich eine Ent­schul­di­gung.
  • 13. August 2002 Weil er sich vom Rasen­mä­hen sei­ner Nach­barn beläs­tigt fühlt, bezeich­net der Lie­der­ma­cher Rein­hard Mey die­se als „Gar­ten­na­zis“.
  • 29. August 2002 Wie der „Spie­gel“ berich­tet, habe Hel­mut Kohl Bun­des­tags­prä­si­dent Wolf­gang Thier­se in einem pri­va­ten Gespräch als „schlimms­ten Prä­si­den­ten seit Her­mann Göring“ bezeich­net.
  • Sep­tem­ber 2002 Nach einer wochen­lan­gen Anti­se­mi­tis­mus­de­bat­te mit Michel Fried­man ver­öf­fent­licht Jür­gen W. Möl­le­mann weni­ge Tage vor der Bun­des­tags­wahl ein Flug­blatt, auf dem er Fried­man und Ari­el Sharon scharf angreift. Dem Par­tei­aus­schluss kommt er im März 2003 durch einen Aus­tritt zuvor.
  • 18. Sep­tem­ber 2002 Her­ta Däub­ler-Gme­lin ver­gleicht die Poli­tik Geor­ge W. Bushs mit der Adolf Hit­lers.
  • 11. Dezem­ber 2002 Roland Koch bezeich­net die Rei­chen-Kri­tik von Ver.di-Chef Frank Bsir­s­ke als „eine neue Form des Sterns auf der Brust“.
  • 2. Juli 2003 Im Euro­päi­schen Par­la­ment schlägt Sil­vio Ber­lus­co­ni den deut­schen SPD-Abge­ord­ne­ten Mar­tin Schulz „für die Rol­le des Lager­chefs“ in einem Spiel­film über Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger vor.
  • 3. Okto­ber 2003 Bei einer Rede zum Tag der deut­schen Ein­heit han­tiert der CDU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Mar­tin Hoh­mann mit dem Begriff „Täter­volk“ in der Nähe zu „den Juden“ und wird im fol­gen­den Jahr aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen.
  • 30. August 2004 Auf dem selbst­be­ti­tel­ten Album der Liber­ti­nes erscheint ein Song namens „Arbeit Macht Frei“. Da Pete Doh­erty aber noch nicht der „Skan­dal-Rocker“ und „(Ex-)Freund von Kate Moss“ ist, ist die­ser Umstand kei­ne Mel­dung wert.
  • 15. Dezem­ber 2004 In Hes­sen dür­fen Ord­nungs­äm­ter „Ord­nungs­po­li­zei“ hei­ßen. Da der Begriff schon für die Dach­or­ga­ni­sa­ti­on der Poli­zei im Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­wen­det wur­de, kommt es zu Pro­tes­ten und schließ­lich zur Auf­lö­sung der Behör­de.
  • 6. Janu­ar 2005 Der Köl­ner Erz­bi­schof Joa­chim Kar­di­nal Meis­ner ver­gleicht Abtrei­bun­gen mit den Ver­bre­chen von Hit­ler und Sta­lin.
  • 13. Janu­ar 2005 Der bri­ti­sche Prinz Har­ry erscheint in einer Nazi-Uni­form auf einem Kos­tüm­ball.
  • 13. Mai 2005 Der bay­ri­sche Wis­sen­schafts­mi­nis­ter Tho­mas Gop­pel bezeich­net nach einer Rede das Ver­hal­ten pro­tes­tie­ren­der Stu­den­ten als „Hin­weis auf die Into­le­ranz, die uns damals in das Schla­mas­sel gebracht haben“.
  • 12. Juli 2005 SPD-Frak­ti­ons­vi­ze Lud­wig Stiegler ver­gleicht den CDU-Slo­gan „Sozi­al ist, was Arbeit schafft“ mit der KZ-Inschrift „Arbeit macht frei“.
  • 16. Sep­tem­ber 2005 Weil CDU-Abge­ord­ne­te die Rede eines SPD-Abge­ord­ne­ten mit Zwi­schen­ru­fen stö­ren, ver­gleicht Sig­mar Gabri­el deren Ver­hal­ten mit dem der Nazis.
  • Sep­tem­ber 2005 Die­ter Tho­mas Heck ver­gleicht Ange­la Mer­kels Rhe­to­rik mit der Adolf Hit­lers.
  • 24. Febru­ar 2006 Weil er einen jüdi­schen Jour­na­lis­ten mit einem KZ-Auf­se­her ver­gli­chen hat­te, wird der Lon­do­ner Bür­ger­meis­ter Ken Living­stone für vier Wochen vom Dienst sus­pen­diert.
  • 17. August 2006 Bei einem Test­spiel in Ita­li­en for­men kroa­ti­sche Fuß­ball­fans auf der Tri­bü­ne ein Haken­kreuz.
  • Novem­ber 2006 Der Stu­diVZ-Grün­der Ehs­san Daria­ni ver­schickt eine Geburts­tags­ein­la­dung im Sti­le des „Völ­ki­schen Beob­ach­ters“.
  • 9. Febru­ar 2007 Ein „Bild“-Leser ent­deckt in Goog­le Earth den Schrift­zug „Nazi Ger­ma­ny“ bei Ber­lin.
  • 9. Febru­ar 2007 Die RTL-Woh­nungs­ver­schö­ne­rin Tine Witt­ler erwirkt eine einst­wei­li­ge Ver­fü­gung gegen einen Trai­ler für die fik­ti­ve Sen­dung „Tine Hit­ler: Ein­marsch in vier Wän­den“ bei Come­dy Cen­tral („täg­lich von 19.33 Uhr bis 19.45 Uhr“).
  • 14. März 2007 Bei einer inter­nen Unter­su­chung stellt die Frank­fur­ter Poli­zei fest, dass sich Per­so­nen­schüt­zer von Michel Fried­man ger­ne mit Nazi-Sym­bo­len prä­sen­tier­ten.
  • 11. April 2007 In sei­ner Trau­er­re­de auf Hans Fil­bin­ger bezeich­net Gün­ther Oet­tin­ger den frü­he­ren Mari­ne­rich­ter als „Geg­ner des NS-Regimes“.
  • 6. Sep­tem­ber 2007 Bei einer Buch­vor­stel­lung äußert sich Eva Her­man umständ­lich und miss­ver­ständ­lich über die Fami­li­en­po­li­tik im Natio­nal­so­zia­lis­mus und wird vom NDR gefeu­ert.
  • 14. Sep­tem­ber 2007 Im Köl­ner Dom warnt Joa­chim Kar­di­nal Meis­ner: „Dort, wo die Kul­tur vom Kul­tus, von der Got­tes­ver­eh­rung abge­kop­pelt wird, erstarrt der Kult im Ritua­lis­mus und die Kul­tur ent­ar­tet.“
  • 9. Okto­ber 2007 Bei einem Auf­tritt in der Show von Johan­nes B. Ker­ner ver­hed­dert sich Eva Her­man aber­mals in rhe­to­ri­schen Fuß­an­geln, als sie von Hit­lers Auto­bah­nen spricht. Es ist ihr letz­ter Fern­seh­auf­tritt bis heu­te.
  • 20. Okto­ber 2007 Bischof Wal­ter Mixa fühlt sich durch Äuße­run­gen von Clau­dia Roth „in erschre­cken­der Wei­se an die Pro­pa­gan­da-Het­ze der Natio­nal­so­zia­lis­ten gegen die Katho­li­sche Kir­che und ihre Reprä­sen­tan­ten“ erin­nert.
  • 25. Okto­ber 2007 In der ers­ten Sen­dung von „Schmidt & Pocher“ kommt ein „Nazo­me­ter“ zum Ein­satz, das für Pro­tes­te sorgt.
  • 7. Novem­ber 2007 Wolf­gang Schäub­le sagt im Hin­blick auf die Mas­sen­kla­ge gegen die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung: „Wir hat­ten den ‚größ­ten Feld­herrn aller Zei­ten‘, den GröFaZ, und jetzt kommt die größ­te Ver­fas­sungs­be­schwer­de aller Zei­ten.“
  • 27. Dezem­ber 2007 Will Smith spe­ku­liert über Adolf Hit­lers Mor­gen­ge­dan­ken.
  • 20. Janu­ar 2008 Gui­do Knopp fühlt sich durch einen Vor­trag von Tom Crui­se an die Sport­pa­last-Rede von Joseph Goeb­bels erin­nert.
  • 23. Janu­ar 2008 „Bild“ ver­öf­fent­licht ein Video, das DJ Tomekk mit erho­be­nem rech­ten Arm und beim Sin­gen der ers­ten Stro­phe des „Deutsch­land­lieds“ zeigt.
  • 30. Janu­ar 2008 In der Pro­Sie­ben-Quiz­show „Night­l­oft“ sagt Mode­ra­to­rin Julia­ne Zieg­ler „Arbeit macht frei“. Am nächs­ten Mor­gen trennt sich der Sen­der von ihr.
  • 31. Janu­ar 2008 In Rio de Janei­ro ver­bie­tet ein Gericht den Ein­satz eines Kar­ne­vals­wa­gens mit über­ein­an­der gesta­pel­ten Holo­caust-Opfern und eines Tän­zers im Hit­ler­kos­tüm beim Kar­ne­vals­zug.

Mit Dank an Niels W. für die indi­rek­te Anre­gung und Ste­fan N. für die Unter­stüt­zung bei der Recher­che.

Unter Zuhil­fe­nah­me von agitpopblog.org, FAZ.net und der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler an der FU Ber­lin.

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Rundfunk Gesellschaft

Hitl, hitler, am hitlsten

So, da hat­te also DJ Tomekk, der zunächst wahn­sin­nig unsym­pa­thi­sche, dann aber immer knuf­fi­ger wer­den­de Dschun­gel­camp-Bewoh­ner, vor zehn Tagen in einer aus­tra­li­schen Hotel­hal­le den rech­ten Arm geho­ben und die ers­te Stro­phe des Deutsch­land­lieds (die übri­gens nicht „ver­bo­ten“ ist, lie­be Viva-Mit­ar­bei­ter) ange­stimmt. Ges­tern tauch­te das Video dann urplötz­lich auf und wur­de von „Bild.de“ ver­öf­fent­licht. Dass man die Erst­ver­öf­fent­li­chung des Vide­os mit dem Off-Kom­men­tar „Die­ses Skan­dal­vi­deo scho­ckiert Deutsch­land!“ ver­se­hen hat­te, spricht ent­we­der für eine Lücke im Raum-Zeit-Kon­ti­nu­um oder für das Selbst­ver­ständ­nis von „Bild“.

Und „Bild“ soll­te recht behal­ten: Schon im eige­nen Arti­kel hat­te man die gut geöl­te Empö­rungs­ma­schi­ne­rie in Gang gebracht. Gut mög­lich, dass Die­ter Grau­mann, stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der des Zen­tral­ra­tes der Juden in Deutsch­land, weder wuss­te, wer DJ Tomekk war, noch das Video gese­hen hat­te, als „Bild“ ihn anrief und um einen Kom­men­tar bat. Aber „Wer Hit­ler fei­ert, muss geäch­tet wer­den“, kann man ja immer sagen.

Nun, es mag sicher eini­ger­ma­ßen geschmack­los sein, als Deut­scher im Aus­land den Hit­ler-Gruß zu zei­gen, aber … Moment, „Deut­scher“? Tomekk wur­de als Tomasz Kuklicz in Kra­kau gebo­ren, sein Mut­ter ist Polin, sein Vater Marok­ka­ner – für Roland Koch und erst recht für Neo­na­zis macht ihn das wohl zu einem „Aus­län­der“. Des­we­gen sind Über­schrif­ten wie „Nazi-Skan­dal im Dschun­gel-Camp“ gleich dop­pel­ter Unfug.

Der „Skan­dal“ fin­det näm­lich außer­halb des Camps statt, in laut­stark empör­ten Medi­en, deren Leser und Zuschau­er bis vor zwei Wochen nicht mal wuss­ten, dass es einen DJ namens Tomekk geben könn­te. Als wären die deut­schen Medi­en­kon­su­men­ten zu doof, Geschmack­lo­sig­kei­ten selbst zu erken­nen, wird ihnen von mög­lichst vie­len Fach­leu­ten für Ent­rüs­tung erklärt, war­um die­ses oder jenes „nicht geht“. Über kurz oder lang kann das aller­dings dazu füh­ren, dass die Leu­te irgend­wann eben nicht mehr selb­stän­dig wis­sen, was „schlimm“ ist.

Jan Fed­der­sen hat bei taz.de einen sehr inter­es­san­ten Arti­kel ver­öf­fent­licht, dem ich nicht in allen Punk­ten zustim­men wür­de, der aber die Lek­tü­re den­noch lohnt:

In Deutsch­land geht Nazi gar nicht. Nie­mals und auf ewig nicht. Ist schlimm. Poli­tisch, ästhe­tisch, kul­tu­rell, unter­schicht­stra­shig. Jeder muss wis­sen, dass jede semio­ti­sche Andeu­tung min­des­tens fünf Tank­las­ter Trä­nen der Empö­rung und der Wut und des Abscheus pro­vo­ziert. Soli­da­ri­täts­er­klä­run­gen von Zen­tral­rä­ten, Gewerk­schafts­krei­sen, Zir­keln der Opfer und Ver­ei­nen der Auch­be­trof­fen­heit in all­ge­mei­ner Hin­sicht.

Klar, dass das den Lesern sau­er auf­stößt:

Gera­de in der Taz ein Plä­doy­er für sol­che völ­lig unan­ge­brach­ten „Scher­ze“ zu fin­den, irri­tiert mich gera­de ziem­lich.

Oder:

Ich wuss­te gar nicht, dass die TAZ das Bil­dungs­fern­se­hen RTL und ihre tra­shi­ge-debi­le Dschun­gel­sen­ung anschaut!

Und damit wird viel­leicht auch die Marsch­rich­tung Inten­ti­on der gan­zen Kam­pa­gne ange­spro­chen: „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ ist ja eh „Unter­schich­ten­fern­se­hen“. Wenn ein dort mit­ma­chen­der Hip­Hop-Proll (Hip­Hop ist ja eh böse, s. Bushi­do) also zum Nazi taugt, kann sich das Bür­ger­tum ent­spannt zurück­leh­nen und gleich drei Sachen auf ein­mal schei­ße fin­den. Das ist ein­fa­cher, als sich mit den ech­ten Neo­na­zis vor der eige­nen Haus­tür zu beschäf­ti­gen.

Die wirk­lich span­nen­de Fra­ge, die Fed­der­sens Arti­kel auf­wirft, ist die, war­um man in Deutsch­land eigent­lich immer noch kei­ne Wit­ze über Nazis machen soll:

DJ Tomekk mag uns der Beweis sein: 75 Jah­re nach der Macht­über­nah­me der Natio­nal­so­zia­lis­ten in Deutsch­land darf über den Füh­rer, darf über Goeb­bels, Hit­ler, über all das Nazig’schwurbel gelacht und geläs­tert wer­den.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wel­che „Wit­ze“ man über Nazis machen soll­te und wel­che nicht. Aber wer­den Ver­bre­chen der Natio­nal­so­zia­lis­ten etwa „weni­ger schlimm“, wenn man sich über die Anfüh­rer von damals lus­tig macht? Fast scheint es, als wür­den die­se Arsch­lö­cher heu­te erns­ter genom­men als je im „Drit­ten Reich“.

Wei­ter­füh­ren­de Links
DJ Tomekks Reak­ti­on und Ent­schul­di­gung im Wort­laut
Das Hit­ler-Blog der taz zum The­ma

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Politik Gesellschaft

Die volkstümliche Schlägerparade

Bis vor drei Wochen gab es in Deutsch­land aus­schließ­lich net­te, klu­ge Jugend­li­che, die zwar viel­leicht ab und zu mal Amok­läu­fe an ihren Schu­len plan­ten, aber das waren ja die Kil­ler­spie­le schuld. Seit Ende Dezem­ber reicht es nicht, dass die Jugend­li­chen in der U‑Bahn nicht mehr für älte­re Mit­men­schen auf­ste­hen, sie tre­ten die­se jetzt auch noch zusam­men. Plötz­lich gibt es in Deutsch­land Jugend­ge­walt – so viel, dass die „Bild“-„Zeitung“ ihr eine eige­ne Serie (Teil 1, Teil 2, Teil 3, …) wid­met. Bei „Bild“ sind aller­dings immer die Aus­län­der schuld.

Mit dem The­ma Jugend­kri­mi­na­li­tät ist es wie mit jedem The­ma, das jah­re­lang tot­ge­schwie­gen wur­de: Plötz­lich ist es aus hei­te­rem Wahl­kampf-Him­mel in den Medi­en und alle haben ganz töf­te Erklä­run­gen dafür und Mit­tel dage­gen. In die­sem kon­kre­ten Fall füh­ren sich die Poli­ti­ker auf wie Eltern, die ihre Kin­der die gan­ze Zeit ver­nach­läs­sigt haben und dann plötz­lich, als sie die nicht mehr ganz so lie­ben Klei­nen auf der Poli­zei­wa­che abho­len muss­ten, „War­um tust Du uns das an?“ brül­len und dem Blag erst­mal eine lan­gen. Nur, dass „Ver­nach­läs­si­gung“ in der Poli­tik eben nicht „kei­ne gemein­sa­men Aus­flü­ge in den Zoo“ und „das Kind allei­ne vor dem RTL-II-Nacht­pro­gramm hocken las­sen“ heißt, son­dern „Zuschüs­se für die Jugend­ar­beit strei­chen“ und „desas­trö­ses­te Bil­dungs­po­li­tik betrei­ben“.

Ich hal­te wenig von Gene­ra­tio­nen-Eti­ket­tie­rung, ein gemein­sa­mer Geburts­jahr­gang sagt zunächst ein­mal gar nichts aus. Auch wenn Phil­ipp Lahm und ich im Abstand von sechs Wochen auf die Welt gekom­men und wir bei­de mit „Duck Tales“, Kin­der-Cola und „Kevin allein zuhaus“ auf­ge­wach­sen sind, wäre der sym­pa­thi­sche klei­ne Natio­nal­spie­ler doch nicht unbe­dingt unter den ers­ten ein­hun­dert Leu­ten, die mir ein­fie­len, wenn ich mir ähn­li­che Per­so­nen auf­sa­gen soll­te.1 Es gibt in jeder Alters­grup­pe (und bei jeder Pass­far­be, Eth­ni­zi­tät, sexu­el­len Ori­en­tie­rung, Kör­per­form, Haar­län­ge und Schuh­grö­ße) sym­pa­thi­sche Per­so­nen und Arsch­lö­cher. Mög­li­cher­wei­se war zum Bei­spiel die Chan­ce, in einer Stu­den­ten-WG an Mit­be­woh­ner zu gera­ten, die sich nicht an den Putz­plan hal­ten und ihre Bröt­chen­krü­mel nicht aus dem Spül­stein ent­fer­nen, vor vier­zig Jah­ren bedeu­tend höher als heu­te, und auch wenn Schlun­zig­keit kein Gewalt­ver­bre­chen ist, so ist doch bei­des sehr unschön für die Betrof­fe­nen.

Doch ich schwei­fe ab: Das Kri­mi­no­lo­gi­sches For­schungs­in­sti­tut Nie­der­sach­sen e.V. mit sei­nem viel­zi­tier­ten und fast zu Tode inter­view­ten Direk­tor Prof. Dr. Chris­ti­an Pfeif­fer hat im ver­gan­ge­nen Jahr eine Stu­die zum The­ma „Gewalt­tä­tig­keit bei deut­schen und nicht­deut­schen Jugend­li­chen“ ver­öf­fent­licht.

Auf Sei­te 4 gibt es einen recht schlüs­sig erschei­nen­den Erklä­rungs­ver­such, war­um gera­de bestimm­te Bevöl­ke­rungs­grup­pen eher zu Gewalt nei­gen als ande­re:

Beson­de­re Rele­vanz für eine erhöh­te Gewalt­tä­tig­keit von Nicht­deut­schen scheint aktu­el­len Stu­di­en zufol­ge bestimm­ten, mit Gewalt asso­zi­ier­ten Männ­lich­keits­vor­stel­lun­gen zuzu­kom­men. Die­sen hän­gen in ers­ter Linie tür­ki­sche, aber auch rus­si­sche Jugend­li­che an (vgl. Enzmann/​Brettfeld/​Wetzels 2004, Strasser/​Zdun 2005). Die Männ­lich­keits­vor­stel­lun­gen resul­tie­ren aus einem Ehr­kon­zept, das sich unter spe­zi­fi­schen gesell­schaft­li­chen Bedin­gun­gen her­aus­ge­bil­det hat. […] Der Mann als Fami­li­en­vor­stand muss Stär­ke demons­trie­ren, um even­tu­el­le Angrei­fer bereits im Vor­hin­ein abzu­schre­cken.

Lai­en­haft ver­stan­den und über­spitzt gesagt: Eva Her­mans Ruf nach der Rück­kehr ins Patri­ar­chat wür­de auf lan­ge Sicht dazu füh­ren, dass wir wie­der mehr prü­geln­de Jungs hät­ten, weil die archai­schen Männ­lich­keits­bil­dern anhän­gen und den dicken Lar­ry mar­kie­ren wür­den. Oder anders: In Ober­bay­ern wer­den nur des­halb kei­ne Leu­te in U‑Bahnen zusam­men­ge­schla­gen, weil es dort kei­ne U‑Bahnen gibt.

Noch span­nen­der ist aber wohl der auf Sei­te 5 aus­ge­führ­te Ansatz, wonach der ver­meint­lich hohe Anteil an kri­mi­nel­len Aus­län­dern auch ein Wahr­neh­mungs­pro­blem ist:

Die eti­ket­tie­rungs­theo­re­ti­sche Erklä­rung sieht den Grund für eine höhe­re Kri­mi­na­li­täts­be­las­tung dabei nicht allein auf Sei­ten der Migran­ten, son­dern sie bezieht das Ver­hal­ten der Ein­hei­mi­schen mit ein. So konn­te u.a. gezeigt wer­den, dass die Kri­mi­na­li­sie­rungs­wahr­schein­lich­keit (d.h. die Regis­trie­rung als Tat­ver­däch­ti­ger) bei Aus­län­dern im Ver­gleich zu den Deut­schen dop­pelt bis drei­mal so hoch ist (Albrecht 2001; Mansel/​Albrecht 2003). Zudem exis­tie­ren Befun­de, die bele­gen, dass straf­fäl­lig gewor­de­ne Aus­län­der einer zuneh­mend här­te­ren Sank­ti­ons­pra­xis aus­ge­setzt sind (vgl. Pfeif­fer et al. 2005, S. 77ff). Abwei­chung, so die dar­aus ableit­ba­re The­se, ist nicht nur des­halb unter den eth­ni­schen Min­der­hei­ten ver­brei­te­ter, weil die­se tat­säch­lich öfter ein ent­spre­chen­des Ver­hal­ten zei­gen, son­dern weil die auto­chtho­ne Bevöl­ke­rung bzw. ihre Straf­ver­fol­gungs­or­ga­ne die Abwei­chung von Migran­ten anders wahr­nimmt und auf sie beson­ders sen­si­bel reagiert.

Und wer ein­mal im Gefäng­nis sitzt, lernt dort die fal­schen Leu­te ken­nen, fin­det kei­nen Job mehr und befin­det sich mit­ten­drin in einer Abwärts­spi­ra­le. Der „kri­mi­nel­le Aus­län­der“ ist also zum Teil eine selbst erfül­len­de Pro­phe­zei­hung: Wie oft liest man in der Pres­se von jun­gen Tür­ken, Grie­chen oder Alba­nern, die gewalt­tä­tig gewor­den sind, und wie sel­ten von jun­gen Deut­schen? Bei Deut­schen lässt man in Deutsch­land die Staats­bür­ger­schaft ein­fach weg und der Leser nimmt die Natio­na­li­tät nur wahr, wenn es sich Aus­län­der han­delt. Die Situa­ti­on ist ver­gleich­bar mit den schlecht gepark­ten Autos auf dem Sei­ten­strei­fen, die Sie auch nur wahr­neh­men, wenn eine Frau aus­steigt.

Als ich vor andert­halb Jah­ren für drei Mona­te in San Fran­cis­co weil­te (wo ich mich übri­gens stets sehr sicher fühl­te – auch, weil ich kei­ne loka­len Zei­tun­gen las), wur­de ich eines Tages auf dem Fuß­weg in die Innen­stadt von einem jun­gen Mann ange­rem­pelt. Es war nicht son­der­lich bru­tal, der Mann woll­te nur offen­bar genau dort lang gehen, wo ich stand. So etwas pas­siert einem in deut­schen Fuß­gän­ger­zo­nen nahe­zu täg­lich. Der jun­ge Mann aber war von schwar­zer Haut­far­be und aus dem Fern­se­hen glau­ben wir zu wis­sen: Schwar­ze bege­hen viel mehr Ver­bre­chen als Wei­ße. Ich als auf­ge­schlos­se­ner, ratio­na­ler Mensch muss­te mein Hirn zwin­gen, die­sen Vor­fall nicht als sym­pto­ma­tisch abzu­tun: Nach gröbs­ten sta­tis­ti­schen Schät­zun­gen wur­de ich im Jahr 2006 etwa 42 Mal ange­rem­pelt. In 95% der Fäl­le waren es unfreund­li­che Rent­ner in grau­en Stoff­ja­cken, her­ri­sche Frau­en mit mür­ri­schem Gesichts­aus­druck und dicke unge­zo­ge­ne Kin­der in Deutsch­land. Aber das war All­tag – und in die­sem einen Fall pass­te der Remp­ler auf­grund sei­ner Haut­far­be in ein dif­fu­ses Täter­pro­fil, dass ich im Hin­ter­kopf hat­te. Ich war von mir selbst scho­ckiert.

In San Fran­cis­co wur­de ich noch ein wei­te­res Mal ange­rem­pelt: Als ich an Hal­lo­ween auf der Stra­ße stand, lief eine Grup­pe Jugend­li­cher an mir vor­bei. Jeder ein­zel­ne ver­pass­te mir einen Schul­ter­check, bis ich schließ­lich auf den Geh­weg flog.2 Ihre genaue Eth­ni­zi­tät konn­te ich nicht erken­nen, aber schwarz waren sie nicht. Mei­ne ame­ri­ka­ni­schen Freun­de waren ent­setzt und ver­si­cher­ten mir teils am Ran­de der Trä­nen, dass so etwas in die­ser Gegend sonst nie vor­kä­me. Ich sag­te, ich sei in Dins­la­ken auf­ge­wach­sen, da sei man schlim­me­res gewohnt.

  1. Mei­ne Fuß­bal­ler­kar­rie­re ende­te zum Bei­spiel nach einem ein­ma­li­gen Pro­be­trai­ning in der D‑Jugend. []
  2. Ich beein­druck­te die Fest­ge­mein­de, indem ich bei dem Sturz kei­nen ein­zi­gen Trop­fen Bier aus mei­ner Dose ver­schüt­te­te. Es war das ers­te und ein­zi­ge Mal in mei­nem Leben, dass ich mich als Deut­scher fühl­te. []
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Wenn Journalisten ihre Tage haben

Am Sams­tag fand in der Bochu­mer Jahr­hun­dert­hal­le (bzw. in deren Foy­er) der Jour­na­lis­ten­tag NRW statt. Da traf man sich dann bei Kaf­fee und Fin­ger Food1, herz­te die Kol­le­gen und alles war unge­fähr so, wie sich Klein Fritz­chen ein Tref­fen von Jour­na­lis­ten vor­stellt.

Hel­mut Dah­l­mann, Vor­sit­zen­der des DJV-Lan­des­ver­bands NRW, sag­te in sei­ner Eröff­nungs­re­de einen Satz, dem ich durch­aus zustim­men konn­te. Er lau­te­te „Die Pres­se ist kei­ne vier­te Gewalt mehr“. Einen Vor­schlag, wie man das ändern könn­te, gab es aber den gan­zen Tag über nicht. Es folg­te ein „Impuls“ von Prof. Die­ter Gor­ny, dem Erfin­der von Klin­gel­ton­re­kla­meab­spiel­sen­dern und des Pop­komm-Mexi­ka­ners (oder so), der für Erst­hö­rer2 halb­wegs span­nend war. Aller­dings offen­bar­te das Refe­rat zum The­ma „Krea­tiv­wirt­schaft“ auch, war­um Deutsch­land auf abseh­ba­re Zeit kei­ne rele­van­te Kul­tur­na­ti­on sein wird: All das, was Gor­ny in durch­aus bes­ter Absicht vor­stell­te (Zitat: „Für die Deut­schen ist Krea­tiv­wirt­schaft der Muse­ums­shop, für die Eng­län­der Elec­tro­nic Arts.“), mag für eini­ge der Hörer und sicher auch für die Leu­te der RUHR.2010, deren künst­le­ri­scher Direk­tor er ist, unvor­stell­bar pro­gres­siv klin­gen, für mich waren Aus­füh­run­gen über das Copy­right Anek­do­ten aus der Medi­en­his­to­rie (Stich­wort Crea­ti­ve Com­mons).

Beson­ders gespannt war ich auf Gün­ter Wall­raff – immer­hin hat der Mann mit „Der Auf­ma­cher“ das Stan­dard­werk über „Bild“ geschrie­ben. Um „Bild“ ging es dann auch immer wie­der in dem von Ele Beuth­ner (WDR) sagen­haft kon­fus mode­rier­ten Gespräch, außer­dem um Wall­raffs berühm­te Recher­che­ar­bei­ten da, wo es weh­tut. Nach ein paar Minu­ten des Zuhö­rens fiel auf: Wenn Wall­raff über sei­ne Arbeit und sei­ne Erfol­ge redet, redet er vor allem über sich. Das darf er durch­aus als „Jour­na­lis­ten-Legen­de“, aber es ist für den Teil des Publi­kums, der nicht die gan­ze Zeit sab­bernd „Oh mein Gott, da vor­ne sitzt Gün­ter Wallraff!!!!!1“ dach­te, ein biss­chen ermü­dend. Mei­ne Fra­ge nach der Recher­chefaul­heit nam­haf­ter deut­scher Zei­tun­gen, die lie­ber auf „Bild“-Artikel ver­trau­en, als sel­ber in die Quel­len zu schau­en, beant­wor­te­te er mit einem aus­führ­li­chen Wolf-Schnei­der-Bas­hing und ehe er zum Punkt kom­men konn­te, hat­te Frau Beuth­ner die Dis­kus­si­on auch schon been­det.

Von beein­dru­cken­der Uner­gie­big­keit war das „Panel“ zum The­ma Digi­tal­hör­funk, bei dem Dr. Udo Becker, der Geschäfts­füh­rer des Zei­tungs­ver­le­ger­ver­ban­des NRW, Jan Marc Eumann, Medi­en­po­li­ti­scher Spre­cher der SPD-Land­tags­frak­ti­on, und WDR-Hör­funk­di­rek­tor Wolf­gang Schmitz in brü­der­li­cher Ein­tracht das wie­der­hol­ten, was ich auch schon zwei Wochen zuvor beim „Cam­pus­ra­dio-Tag NRW“ zum glei­chen The­ma gehört hat­te: So genau weiß kei­ner, wie Digi­tal­hör­funk funk­tio­nie­ren wird und wann er kommt, aber er kommt bestimmt irgend­wann und dann tei­len WDR und die Zei­tungs­ver­le­ger das Land unter sich auf wie die Groß­her­zö­ge. Dass sich Medi­en­men­schen in Zei­ten von Inter­net und Euro­päi­scher Uni­on ernst­haft dar­über beschwe­ren, dass man im Süden NRWs auch Radio­pro­gram­me des SWR emp­fan­gen kann, ist eigent­lich schon einen eige­nen Ein­trag wert, soll hier aber nur eine Ran­dan­ek­do­te abge­ben.

Kurz vor dem „Get-Tog­e­ther“, bei dem nie­mand mehr anwe­send war, hör­te ich mir noch an, was André Boße, Chef­re­dak­teur vom Inter­view-Maga­zin „Galo­re“ zum The­ma Inter­view und Redak­ti­ons­grün­dung zu sagen hat­te. Durch­aus offen sprach er über das Pro­blem, ohne zah­lungs­kräf­ti­gen Ver­lag und damit auch ohne Rei­se-Etat arbei­ten zu müs­sen, was dazu füh­re, dass Aus­lands­rei­sen von den Film- oder Plat­ten­fir­men bezahlt wür­den, was wie­der­um schnell zu gewis­sen Ein­fluss­nah­men und Abhän­gig­kei­ten füh­ren kön­ne. Man ach­te aber sehr genau dar­auf, kei­ne äuße­re Ein­fluss­nah­me zuzu­las­sen. „Public“, die Wer­be­bei­la­ge für Abon­nen­ten, hat er nicht erwähnt.

Am Ende war vor allem der direk­te Ver­gleich zum Cam­pus­ra­dio-Tag inter­es­sant: Die Pro­fis unter­schei­den sich nicht groß von den Ama­teu­ren, es ist eine Art Klas­sen­tref­fen mit ein paar ober­fläch­li­chen Podi­ums­dis­kus­sio­nen. Es sind kei­ne unspan­nen­den Ver­an­stal­tun­gen, aber man lernt mehr über die Bran­che als über Inhal­te. Was mich aber irgend­wie beru­hig­te: Die span­nen­den und etwas kri­ti­sche­ren Publi­kums­fra­gen kamen grund­sätz­lich von den jün­ge­ren Kol­le­gen.

  1. Bin ich eigent­lich der Ein­zi­ge, der das Wort „Fin­ger Food“ unglaub­lich ekel­haft fin­det? (Ande­rer­seits heißt Hun­de­fut­ter ja auch „Hun­de­fut­ter“ …) []
  2. Dju­re mein­te hin­ter­her, Gor­ny erzäh­le jedes Mal das Glei­che, was ich ger­ne zu Glau­ben bereit bin. []
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It’s Raining Stupid Men

I’ll tell you one thing: Men are bas­tards.
After about ten minu­tes I wan­ted to cut off my own penis with a kit­chen kni­fe.

(Nick Horn­by – About A Boy)

Okay, mal ehr­lich, Mädels: Wie vie­le von Euch haben damals geheult, als raus­kam, dass Ste­phen Gate­ly von Boy­zo­ne schwul ist? Und Eloy de Jong von Caught In The Act auch? Und die bei­den zusam­men waren?

Man muss schon etwas absei­ti­ge Ver­glei­che bemü­hen, um sich zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, was da gera­de mit den deut­schen Medi­en los ist: Anne Will hat sich geoutet hat­te ihr Coming-Out, sie hat eine Lebens­ge­fähr­tin, sie ist – huh­uhu – les­bisch.

Nun soll­te man mei­nen, dass das The­ma Homo­se­xua­li­tät im Jahr 2007 eigent­lich so all­täg­lich ist, dass nicht gleich sämt­li­che Jour­na­lis­ten des Lan­des hyper­ven­ti­lie­rend auf ihre Tas­ta­tu­ren sprin­gen. Dem ist offen­bar nicht so. Wenn Anne Will als erklär­te Sym­pa­thie­trä­ge­rin dazu bei­tra­gen kann, dass das The­ma all­täg­li­cher wird, ist das natür­lich zu begrü­ßen, so wie über­haupt grund­sätz­lich zu begrü­ßen ist, wenn Men­schen glück­lich sind.

Ich weiß nicht, was Anne Will und Miri­am Meckel dazu brach­te, aus­ge­rech­net jetzt der „Bild am Sonn­tag“ zu bestä­ti­gen, was eh jeder, der es wis­sen woll­te, schon län­ger wuss­te. Ich möch­te es eigent­lich auch gar nicht wis­sen, denn ich könn­te mir vor­stel­len, dass die „muti­ge Lie­bes-Beich­te“ nicht so hun­dert­pro­zen­tig eine freie Ent­schei­dung der bei­den war.

Die „Bild am Sonn­tag“ jeden­falls schrieb noch:

Anne Will und Miri­am Meckel – ein Power-Paar. Zwei erfolg­rei­che, klu­ge und schö­ne Frau­en, die viel Wert dar­auf legen, ihr Pri­vat­le­ben zu schüt­zen, auch wenn sie bei­de in der Öffent­lich­keit bekannt sind. Sie wol­len kein Getu­schel und kei­ne Auf­re­gung um ihre les­bi­sche Lie­be.

Dabei waren die „Los Les­bos Wochos“ längst eröff­net. Wie genau es „Bild“ mit dem schüt­zens­wer­ten Pri­vat­le­ben nimmt, haben wir im BILD­blog ges­tern schon nach­ge­zeich­net, und auch heu­te ver­brei­tet die Zei­tung jede Men­ge Getu­schel und Auf­re­gung. Was aber brach­te auch die ver­meint­lich seriö­sen Medi­en dazu, in einem Aus­maß über die „Lie­bes­sen­sa­ti­on“ zu berich­ten, das – zumin­dest gefühlt – alles in den Schat­ten stellt, was man dort nor­ma­ler­wei­se so an Klatsch fin­det?

Nun, ich glau­be, die Erklä­rung ist eben­so nahe­lie­gend wie beun­ru­hi­gend: In den meis­ten Redak­tio­nen sit­zen Män­ner und die füh­len sich in ihrer Männ­lich­keit gekränkt, wenn eine gut aus­se­hen­de Frau kei­ner­lei sexu­el­les Inter­es­se an ihnen hat. Nie­mand könn­te das bes­ser in Wor­te fas­sen als Franz Josef Wag­ner:

Lie­be Anne Will,

als Mann kom­men­tie­re ich Ihr Outing nicht spon­tan mit … „Das ist gut so!“

Als Ihr treu­er Bild­schirm-Flirter bin ich natür­lich nicht begeis­tert, dass Sie bezau­bern­de Frau eine Fata Mor­ga­na sind, eine Sin­nes­täu­schung.

Hun­der­te, Tau­sen­de Male stel­le ich mir ein Ren­dez­vous mit Ihnen vor. Und plötz­lich – bums bzw. BamS, Sie sind les­bisch.

Und dann ist da noch die­se Stra­ßen­um­fra­ge, die bild.de gemacht hat. Da gibt es dann wirk­lich Män­ner, die ent­we­der kei­ne Ahnung haben, dass sie sich gera­de gehö­rig zum Affen machen, oder es auch noch ernst mei­nen, wenn sie Sät­ze sagen wie:

„Scha­de eigent­lich, ich hät­te sie ger­ne auch genom­men.“

Ich kann und will mir nicht vor­stel­len, dass Män­ner sich tat­säch­lich die „Tages­the­men“ ange­se­hen haben, weil sie dar­über nach­dach­ten, wie die Frau, die da gera­de irgend­wel­che Hun­gers­nö­te und Ter­ror­an­schlä­ge anmo­de­rier­te, wohl so „im Bett“ sei. Ande­rer­seits ist das Medi­en­in­ter­es­se wohl wirk­lich kaum noch anders zu erklä­ren als mit gekränk­ter Eitel­keit.

Das aber wirft noch eine Fra­ge auf: Kann eine Frau, die dum­mer­wei­se gut aus­sieht und nicht les­bisch ist, einem offen­bar der­art schwanz­ge­steu­er­ten Mob über­haupt ent­kom­men?

Und ich hat­te mir schon Sor­gen gemacht, dass es irgend­wie kin­disch wäre, jedes Mal für fünf Minu­ten ent­täuscht zu sein, wenn Nata­lie Port­man mal wie­der einen neu­en Freund anschleppt …