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Nicht wütend genug

Auch bevor er seinen Kopf verloren hatte, war der Berliner Wachs-Hitler seit Tagen in der Presse. “Bild” sah mal wieder eine “Empörung in ganz Deutschland” (bei der Abstimmung auf Bild.de sind derzeit 77% der Leser der Meinung, dass Hitler als Wachsdenkmal “o.k.” sei) und Michel Friedman sprang mal wieder über ein Stöckchen, das “Bild” ihm hingehalten hatte.

Wir haben also in den letzten Tagen jede Menge über den falschen Führer in Berlin gehört, gesehen und gelesen. Wie üblich durfte sich jeder, dessen Empörung nur glaubwürdig genug vorgetragen war, zum Thema äußern.

Aber ist Ihnen in den letzten Tagen und in diesem Zusammenhang mal der Name Stephan Kramer begegnet? Stephan Kramer ist Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland und hatte sich bereits vor gut einem Monat im Gespräch mit der “Netzeitung” zu dem Thema geäußert:

Kramer sagte zwar, Hitler solle in Berlin keine Touristenattraktion werden. «Wenn eine solche Ausstellung jedoch dabei hilft, unsere Sicht auf Hitler zu normalisieren und ihn zu demystifizieren, dann sollte man es versuchen.»

Dazu gehört für den Zentralrat auch die Beschäftigung mit der Historie: «Zu versuchen, Hitler aus der Geschichte zu löschen, funktioniert nicht und ist kontraproduktiv», sagte Kramer. Dies mache die Opfer des Holocaust nicht lebendig und beseitige nicht die verursachten Schäden und begangenen Verbrechen.

Klingt einigermaßen moderat, nicht? Und möglicherweise schlicht zu unspannend für die Presse, die ja immer auf den großen Skandal aus ist.

dpa und epd haben Kramers wichtigste Aussagen noch am gleichen Tag getickert, in deutlich verkürzter Form tauchte die Meldung Anfang Juni auch in der Berliner “Bild” auf. Als es jetzt kurz vor der Erinnerung heiß her ging, erinnerte sich kaum noch jemand an Kramers liberale Position.

So stieß ich auf den Namen Stephan Kramer und seine Meinung zum Wachs-Hitler in einem Bericht der BBC über die Köpfung (aus Stephan wurde dort allerdings Stephen).

Dort blieb von der “Empörung in ganz Deutschland” auch nur noch ein Nebensatz übrig:

Despite some criticism in the media, Stephen Kramer, general secretary of the Central Council of Jews in Germany, said he did not object to Hitler being shown, as long as it was done properly.

Eine kurze Recherche bei Google News ergab, dass Kramer in diesen Tagen genau zwei Mal von der deutschen Presse zum Thema zitiert worden war: heute Morgen in der “Märkischen Allgemeinen” und nach dem Übergriff in der “Erlebnis-Community” “Kwick!”