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Posh The Button

Die ersten zehn Tage des Januars waren die großen Macher und Entscheider wohl noch im Weihnachtsurlaub, am elften kehrten sie an ihre Schreibtische zurück und machten und entschieden: Jürgen Klinsmann wird Trainer beim FC Bayern München, Jens Lehmann nicht Torwart bei Borussia Dortmund, Burda stellt seine Zeitschrift “Max” ein und Ulf Poschardt verlässt “Vanity Fair”. Die erste Ausgabe in der preiswerteren Rückendrahtheftung war damit wohl die letzte, die “Posh” mit einem seiner einzigartigen Editoriale (“prägnant, unverhohlen, unangepasst”, so ein Leserbriefschreiber) eröffnen durfte. Und so musste ich mir trotz anders lautender Vorsätze doch noch mal ein Heft kaufen. ((Dass auf dem Cover “Exklusiv: Natalie Portman über ihre ersten Nacktszenen” stand, hat mit meiner Kaufentscheidung nichts zu tun.))

Ulf Poschardt: Ein verschenktes JahrAls die deutsche Ausgabe des renommierten People-Magazins im letzten Februar mit großem Tamtam anlief, wurde die Startauflage von angeblich 500.000 Exemplaren fast ausschließlich von Medienjournalisten aufgekauft. Wie es danach mit den Verkaufszahlen aussah, wusste man längere Zeit nicht. Als es dann überraschend doch noch Zahlen gab, lagen die mit 172.000 verkauften Exemplaren im 3. Quartal 2007 (s. die IVW-Auflagenliste, S. 170) deutlich höher, als die meisten Beobachter erwartet hätten. So ganz ernst genommen wurden die Zeitschrift und ihr Chefredakteur nie, dafür hatte man sich im Vorfeld (“das Magazin für Mover und Shaker”, die komplett weiße Inneneinrichtung der Redaktion) zu peinlich verhalten. Und auch Aktionen wie das Interview von Michel Friedman (der für “Vanity Fair” einige interessante Reportagen geschrieben hat) mit Horst Mahler unter der Überschrift “So spricht man mit Nazis” brachte dem Blatt eher Spott und Kritik als journalistisches Renommee ein und die ständige Kampfpreis-Verramschung für einen Euro gab dem Leser auch nicht gerade das Gefühl, ein hochwertiges Produkt in der Hand zu haben. Egal, ob gerade Lindsay Lohan, George Clooney, der Papst, Angela Merkel oder Knut auf dem Titelbild waren: “Vanity Fair” hat es nicht mal ins Wartezimmer meines Friseurs geschafft.

Auf Zugfahrten habe ich “Vanity Fair” trotzdem hin und wieder gerne gelesen durchgeblättert – auch weil man, wie Daniel Fiene richtig bemerkt, kaum sonst so viel Heft für so wenig Geld bekam. Aber irgendwann nervte mich die permanente Nichtigkeit des Blattes und ich konnte das wirtschaftsliberale, neokonservative Geschwurbel in den Editorials von Ulf “die FDP wählen ist Punk” Poschardt nicht mehr sehen:

In Deutschland war es ein verschenktes Jahr. Politisch eines der Idiotie. Sein Triumphator hieß Oskar Lafontaine. Mit der Gründung der Linken und ihrem schnellen politischen Erfolg auch in Westdeutschland hat er die Agenda des Jahres bestimmt. Anstatt über die Zukunft zu sprechen, über die Chancen der Globalisierung und die Herausforderungen der Wissensgesellschaft, diskutierte das Land abwechselnd über Fragen des 19. Jahrhunderts oder der 70er-Jahre. Das Land führte selbstbetrunken einen inneren Monolog über Gerechtigkeit und Gleichheit. Und das so, als wäre der angelsächsische “Raubtierkapitalismus” über die Deutschen wie eine Seuche hereingebrochen.

Nun ist Poschardt nicht mal ein Jahr nach dem Start freiwillig gegangen (oder er wurde es gar). Ironischerweise findet sich in seiner letzten Ausgabe ein Interview mit Matthias Matussek, ebenfalls frisch geschasster Kulturchef des “Spiegels”. Die beiden reden über die Vorteile des Katholizismus. Es ist ein Witz. Und Poschardt reicht damit seine Bewerbung für die Nachfolge Stefan Austs ein.

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Leben Sport

Wie Wetter gemacht wird

Heute ist es kalt. Das erfuhr ich im Supermarkt. Zwar würde ich persönlich 15°C Mitte Oktober als nicht wirklich kalt bezeichnen, aber es ist immerhin knappe zehn Grad kälter als am Wochenende.

Viel wichtiger ist aber, dass ich dort auch erfuhr, warum es jetzt kalt ist/wird: Das liegt daran, dass Bochum am Samstag gegen Bayern spielt. Auch in den letzten Jahren sei es da immer kalt gewesen, erklärte die Kassiererin der Frau am Bäckereitresen.

Wie das Spiel ausgehen wird, habe ich leider nicht erfahren.

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Digital Leben

Panik ohne Listen

Popkulturliebhaber neigen mitunter dazu, alles in Listen zu organisieren. Das wissen wir spätestens seit Nick Hornbys “High Fidelity” (Platz 2 meiner Lieblingsbücher, Platz 4 meiner Lieblingsfilme).

Ich habe schon mein Leben lang Spaß an Listen und Statistiken. Den Grand Prix Eurovision de la Chanson habe ich hauptsächlich wegen der ellenlangen, wahnsinnig ermüdenden Punktevergabe am Schluss geschaut. Ich habe sogar mit Playmobil-Figuren eigene Grand Prixes ausgetragen, wobei auch dort die Vergabe und Berechnung der Jurystimmen der für mich unterhaltsamste Teil waren. Ich habe vor Fußballweltmeisterschaften deren Ausgang berechnet (Weltmeister 1994 wurde Deutschland mit einem 2:1 gegen Argentinien) und eigene Sportligen gegründet und durchgerechnet – alles noch mit Papier und Kugelschreiber.

Als ich anfing, Kassettenmädchenkassetten aufzunehmen, habe ich die genauen Playlists in den Computer eingetragen. So wusste ich hinterher, welche Songs das entsprechende love interest bereits von mir erhalten hatte, kann aber heute auch relativ schnell überprüfen, was die essentiellen Hits auf bisher über 65 Mixtapes und -CDs waren: “Try, Try, Try” von den Smashing Pumpkins, “Just Looking” von den Stereophonics und “Charm Attack” von Leona Naess kommen auf jeweils fünf Einsätze (bei den Bands liegen Travis mit 56 Songs vor den Stereophonics und Ben Folds Five mit jeweils 46).

Seit vielen Jahren führe ich Excel-Tabellen, in denen ich vermerke, welche CDs ich wann und wo für welchen Preis gekauft habe (im vergangenen Jahr 63 Alben und Singles für durchschnittlich 7,77 Euro) oder wann ich wo mit wem im Kino war und welchen Film wir dort gesehen haben (früher sogar noch mit einer Bewertung für jeden Film versehen).

Hätten wir uns im Mathematik-Grundkurs noch mit Statistik beschäftigt, wäre mein Abiturschnitt (den ich überraschenderweise nicht vorab berechnet hatte) bestimmt besser ausgefallen.

Ich bin also das, was man einen “Statistikfreak” nennen könnte, und würde nicht groß widersprechen, wenn mir jemand einen milden Autismus auf dem Gebiet unterstellte.

Deshalb bin ich auch ziemlich traurig, dass Blogscout dicht gemacht hat. So long and thanks for all the numbers.

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Digital

Wer zu früh kommt, braucht für den Spott nicht zu sorgen

Deutschland verliert gegen Argentinien bei tagesschau.de
(Screenshot: tagesschau.de am 30. Juni 2006)

Eigentlich wollte ich das Bild ja erst am ersten Jahrestag des “Bitteren Viertelfinal-Aus” posten, aber es scheint mir gerade so passend. Manchmal ist das aber auch wirklich eine Seuche mit den vorbereiteten OnlineInhalten, die sich selber ins Netz stellen und dann auch noch gesehen werden …

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Sport

Liveblog: Deutschland – San Marino

18:30 Uhr Ich begrüße die Zuschauer hier in meinem Elternhaus und an den heimischen Computern und wünsche uns allen einen schönen Fußballabend. Den wird es leider nicht geben, denn moderiert wird das Rahmenprogramm von Johannes Bekerner, der offenbar den Gerhard-Delling-Wortspielpreis der Kriegsblinden gewinnen will.

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Digital Sport

Programmhinweis

Nach dem großen Erfolg des Grand Prix Liveblogs mit integriertem Saufspiel will ich morgen mal wieder ein solches starten. Der Grund Vorwand ist das Länderspiel Deutschland – San Marino, bei dem jeder Treffer der deutschen Mannschaft gefeiert werden will. Das Hinspiel endete 13:0

Fußball-Liveblog
Deutschland – San Marino
Samstag, 2. Juni 2007
ab 18:30 Uhr
auf coffeeandtv.de

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Print Sport

“Es gibt doch nichts Schlimmeres als nervende B-Promis.”

Wie jeder Fußball- und Nicht-Bayern-Fan, so habe natürlich auch ich eine ordentliche Abneigung gegen den FC Bayern München. Wie viele andere Nicht-Bayern-Fans hege aber auch ich große Sympathien für Mehmet Scholl. Der Mittelfeldspieler, der sich auch als Sampler-Kompilierer einen Namen gemacht hat, beendet heute seine Karriere als Profifußballer.

Grund genug für die Süddeutsche Zeitung, noch einmal ein ausführliches Interview mit ihm zu führen – auch wenn er sonst ungern Interviews gibt:

Ich wollte mich eben nur dann äußern, wenn ich auch etwas zu sagen habe. Ich wollte das Gefühl haben, dass mir jemand zuhört. Viele Leute geben Interviews nicht, weil sie was zu sagen haben, sondern weil sie wo erscheinen möchten. Sie beziehen ihren Marktwert daher und werden mit Werbeverträgen belohnt. Das ist in Ordnung. Aber nichts für mich.

Es ist ein Anekdotenreiches, selbstkritisches und versöhnliches Interview, das einmal mehr das Bild bestätigt, das man von Mehmet Scholl allgemein so hat: Ein Typ, den man in einer Kneipe erst auf den zweiten Blick entdeckt, dem man ein Bier ausgeben und sich nett mit ihm unterhalten würde.

Mir ging es um den Erhalt einer gewissen Lebensqualität – und zudem darum, den Leuten nicht auf die Nerven zu gehen. Es gibt doch nichts Schlimmeres als nervende B-Promis.

Es ist aber auch nicht zuletzt deshalb ein tolles Interview, weil man sich die Szenerie (zweieinhalb Stunden im Restaurant, am Nebentisch sitzt Stefan Effenberg nebst Gattin) so lebhaft vorstellen kann – inklusiver der ungläubigen Blicke der SZ-Redakteure bei dieser Szene:

Mehmet Scholl: Stellt’ euch mal vor, ich täusch’ an und laufe auf Uli Hoeneß auf. Dann sinke ich wie die Titanic!

SZ: Das will ja keiner. Wo werden Sie dann künftig Ihren Spieltrieb ausleben?

Mehmet Scholl: Kegeln werde ich.

SZ: KEGELN?

Ich wünsche Mehmet Scholl, dass er heute noch mal ein Tor schießt (es wäre sein erstes in dieser Saison) – und nur seinetwegen dürfen die Bayern heute ausnahmsweise mal gewinnen.

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Sport

Who Let The Dogs Out?

Wenn der Artikel nicht hält, was die Überschrift verspricht …

Star-Coach Mourinho rastet wegen Terrier aus
(Screenshot: Spiegel Online)

Bei dieser Meldung dachte ich als alter Borussia-Mönchengladbach-Fan (Bitte, keine Häme!) natürlich: “Was hat Berti Vogts jetzt angestellt?”

Die Wahrheit ist eher öde: Weil der Hund (Sie ahnen die Rasse) des Chelsea-Trainers nach einer Auslandsreise angeblich ungeimpft nach Großbritannien eingeführt wurde, wollte die Polizei das Tier nach den landesüblichen Vorschriften in Quarantäne packen. Daraufhin rastete der mitunter als cholerisch bezeichnete Coach aus. Toll!

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Gott und die Welt: Ein Interview mit James Dean Bradfield

Morgen erscheint “Send Away The Tigers”, das achte Album der Manic Street Preachers (ausführliche Besprechung folgt). Zeit, für ein Gespräch mit deren Sänger James Dean Bradfield.

Das letzte Manics-Album “Lifeblood” wurde von der Kritik und den Hörern nicht so gut aufgenommen. Waren die Soloprojekte von Dir und Nicky der Versuch, neue Energie für die Manics zu sammeln?

Ehrlich gesagt glaube ich, dass wir nach den Reaktionen auf „Lifeblood“ eine Auszeit nehmen mussten. Wir hatten das Gefühl, irgendwie unsere Perspektive verloren zu haben, und wussten zum allerersten Mal nicht, was wir als nächstes tun wollten. Ich denke, dass unsere Soloprojekte neues Leben in die Manics gebracht haben. Die neuen Songs klingen sehr lebendig und nach Rock’n’Roll. Sie sind viel optimistischer, seit ich dieses Soloding gemacht habe.

Wenn wir über Perspektiven sprechen: Ihr habt Millionen von Platten verkauft und zum Jahreswechsel 1999/2000 eine riesige Show im Millennium Stadium in Cardiff gespielt – wie motiviert man sich nach solchen Aktionen wieder, neues zu machen?

Wenn ich je Schwierigkeiten hätte, mich selbst zu motivieren, würde ich aufgeben. Es ist verdammt einfach, sich für eine Show wie die im Millennium Stadium zu motivieren – eigentlich für jede Show. Ich mache das jetzt, seit ich 15 war, und es war mir von Anfang an klar: Ich finde nicht viel Katharsis im Songwriting, aber sehr viel, wenn wir spielen. Für mich ist Katharsis, wenn das Emotionale auf das Körperliche trifft. Und deshalb liebe ich es, Konzerte zu spielen. Selbst, wenn es ein Konzert ist, das ich nie spielen wollte, ist es für mich das einfachste auf der Welt, motiviert zu sein.

Ihr wart immer und seid auch heute noch eine sehr politische Band. Wie ist das in Zeiten, wo immer noch kein Frieden im Nahen Osten herrscht und die Menschen fast überall gegen soziale Einschnitte protestieren: inwiefern hat das die neuen Songs beeinflusst?

Ich denke, die letzten fünf, sechs Jahre waren für die politische Linke die größte Herausforderung, der sie sich je stellen musste. Die zentrale Frage lautet, ob sie an die Demokratie glauben oder einen Gottesstaat gutheißen. Die Linken haben Religion immer gehasst, eines ihrer Grundprinzipien lautet, dass Religion das Opium des Volkes ist. Die Mischung von Staat und Kirche ist eine Todsünde für die Linke.
Im Irak hatten wir plötzlich die Situation, dass eine Theokratie gestürzt wurde, aber eine imperialistische amerikanische Macht hat sie ersetzt. Ich glaube, dass hat die Linke sehr verwirrt im Hinblick darauf, was sie will. Dabei geht es weniger um die Kriege an sich, sondern viel mehr um das Selbstverständnis der Linken.

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Musik

Eine Idee zur Gewalt

Wenn Daniel schon gerechterweise von Modest Mouse schwärmt, fühle ich mich genötigt, auf die wundervolle Rose Kemp hinzuweisen, die ich unlängst schon auf Plattentests.de abfeiern mußte. Zu ihrem bewegenden Gemütsbrecher “Violence” haben Fránçois und Rozi Plain ein stimmungsvolles Video in Sepiafarben gedreht. Bunt ist anders. Aber sicherlich längst nicht so intensiv.

Und mit dem Geprügel der Dumpfbacken nicht nur im Fußballosten dieses Landes, sondern auch in anderen großen Fußballnationen wie Spanien oder Italien hat das zum Glück so wenig zu tun wie nur was.