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Musik Digital

Wenn ein Königreich zerfällt

Zum ersten Mal habe ich vor acht Jahren von Leona Naess gehört, als ihr Album “Comatised” erschien. Ihr fast perfekter Popsong “Charm Attack” hat es auf zahlreiche Kassettenmädchenkassetten geschafft, die ich über die Jahre aufgenommen habe. Dann habe ich lange nichts mehr von ihr gehört (also von Leona Naess jetzt, obwohl: auch von vielen Mixtape-Empfängerinnen).

Schon der erste Satz in ihrem Wikipedia-Eintrag klingt nach der ganz großen, ganz weiten Welt. Man möchte sie sofort kennenlernen:

Naess was born in New York City and raised in London. She is the daughter of Filippa Kumlin D’Orey, a Swedish-Brazilian interior designer and Arne Næss, Jr., a Norwegian mountaineer and business magnate.

Jetzt stelle ich fest, dass sie in der Zwischenzeit einige Alben aufgenommen und sie vor fünf Jahren mal mit Ryan Adams verlobt war — und mit dem zusammen hat sie eine besondere Version ihres Songs “Leave Your Boyfriend Behind” (“normale” Version hier) aufgenommen. Das Ergebnis kann man sich bei spin.com anhören.

Es ist ein spannender Song, der zwischen Jazz in den Strophen und Country im Refrain schwankt und der eine unglaubliche Dramatik entwickelt, wenn man um den persönlichen Hintergrund der beiden Künstler weiß.

Oder wie Peter Gaston bei spin.com schreibt:

“We’re not ready,” Leona Naess and Ryan Adams harmonize. “We’re not even close.” It’s one of those powerful lines that a saddened lover might post as a Facebook status update, or as an AIM away message.

But when sung by a formerly smashing couple, it weighs a ton.

Ich mag den Verweis auf die Statusnachrichten bei Facebook, die heutzutage all das Herumtelefonieren und “Aber sag’s erst mal keinem”-Sagen im Freundeskreis abgelöst haben. Irgendwann steht dann da “… is no longer listed as in a relationship” und die Sache ist zwar noch lange nicht durch, aber doch fast so offiziell wie die schriftliche Verkündung ihrer Verlobung, die meine Großeltern vor 54 Jahren noch an 500 Adressaten verschickt haben. (Ich habe dazu übrigens auch noch einen lesenswerten Artikel zum Thema relationship status gefunden.)

Doch ich gerate aus dem Gleise: Kaufen kann man die Duett-Version von “Leave Your Boyfriend Behind” leider nur als Bonustrack im amerikanischen iTunes-Store. Auf der CD-Version, die auch in Deutschland erhältlich ist, fehlt sie.

[via Visions]

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Fernsehen Digital

Aufguss 2007 – Die Coffee-And-TV-Leserwahl

Haben Sie sich auch schon mal gefragt, wer eigentlich immer mit Scheinwerfern hinter großen Ereignissen geht, damit die ihre Schatten vorauswerfen können?

Nein? Oh, schade.

Jedenfalls: Das Jahr neigt sich dem Ende und überall werden Elf-Monats-Rückblicke ausgestrahlt, peinliche “Award-Zeremonien” abgehalten und Leser, Zuschauer oder Hörer zum Zurückblicken aufgerufen. Da will Coffee And TV natürlich nicht hinten anstehen:

Aufguss 2007 - Die Coffee-And-TV-Leserwahl

Sie haben gleich die Gelegenheit, in 19 Kategorien die besten Irgendwasse des Jahres 2007 zu bestimmen – Songs und Alben sogar in Hornby’schen Top-Five-Listen. Vorher muss ich aber noch kurz den Frank Elstner geben und die Spielregeln erläutern:

Jeder Leser darf einmal abstimmen. Überlegen Sie sich also vorher gut, wen und was Sie zu wählen gedenken.

Die Kategorien sollten eigentlich selbsterklärend sein. Die Bezeichnung “… des Jahres” legt nahe, dass es sich bei Ihrer Wahl um Veröffentlichung und Ereignisse handeln sollte, die zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2007 stattgefunden haben. Dabei bin ich mal so tollkühn und beschränke das nicht auf den deutschen Markt. Bei Büchern und Filmen, die in Deutschland erschienen sind, sollte trotzdem der deutsche Titel notiert werden, bei hierzulande unveröffentlichten Kulturprodukten der jeweilige Originaltitel. Wir werden sehen, wo das endet …

Da ich zu faul war, mich um eine elektronische Auswertung zu kümmern, muss ich die Ergebnisse per Hand und Papier zählen. Ich hoffe auf ein bisschen Mitleid und bitte um Verständnis, falls die Auswertung bei überwältigender Teilnahme etwas dauern sollte. Irgendwann muss ich schließlich auch noch schlafen.

[Nachtrag 23:56 Uhr: Nachdem ich gerade mit der Auswertung begonnen habe, möchte ich Sie bitten, der Einfachheit, Übersichtlichkeit und Bequemlichkeit halber bei den Alben, Songs, Videos und Büchern nach dem Prinzip “$Künstler – $Titel” zu verfahren. Vielen Dank!]

Zu gewinnen gibt es auch was:

1. Preise

GHvC-Fanpaket

Je ein Grand-Hotel-van-Cleef-Fanpaket, bestehend aus einem Fest-van-Cleef-Shirt und den Singles “Ich sang die ganze Zeit von Dir” (Tomte), “Baby Melancholie” (Hansen Band) und “Deiche” (kettcar). Einmal für Damen (Girlie-Shirt in M) und einmal für Herren (T-Shirt in M).

Diese Preise wurden freundlicherweise vom Grand Hotel van Cleef zur Verfügung gestellt.

2. Preis
Eine Kassettenmädchenkassette mit den besten Songs 2007. Zusammengestellt vom legendärsten Kassettenmädchenkassettenkompilierer, den das Dinslakener Theodor-Heuss-Gymnasium je gesehen hat.

3. Preis
Die streng limitierte Single “Young Boy” von Occident.

Ich glaube, jetzt sind alle Klarheiten beseitigt und Sie können zur Tat schreiten:

I now declare this bazaar open!

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Digital Leben

Panik ohne Listen

Popkulturliebhaber neigen mitunter dazu, alles in Listen zu organisieren. Das wissen wir spätestens seit Nick Hornbys “High Fidelity” (Platz 2 meiner Lieblingsbücher, Platz 4 meiner Lieblingsfilme).

Ich habe schon mein Leben lang Spaß an Listen und Statistiken. Den Grand Prix Eurovision de la Chanson habe ich hauptsächlich wegen der ellenlangen, wahnsinnig ermüdenden Punktevergabe am Schluss geschaut. Ich habe sogar mit Playmobil-Figuren eigene Grand Prixes ausgetragen, wobei auch dort die Vergabe und Berechnung der Jurystimmen der für mich unterhaltsamste Teil waren. Ich habe vor Fußballweltmeisterschaften deren Ausgang berechnet (Weltmeister 1994 wurde Deutschland mit einem 2:1 gegen Argentinien) und eigene Sportligen gegründet und durchgerechnet – alles noch mit Papier und Kugelschreiber.

Als ich anfing, Kassettenmädchenkassetten aufzunehmen, habe ich die genauen Playlists in den Computer eingetragen. So wusste ich hinterher, welche Songs das entsprechende love interest bereits von mir erhalten hatte, kann aber heute auch relativ schnell überprüfen, was die essentiellen Hits auf bisher über 65 Mixtapes und -CDs waren: “Try, Try, Try” von den Smashing Pumpkins, “Just Looking” von den Stereophonics und “Charm Attack” von Leona Naess kommen auf jeweils fünf Einsätze (bei den Bands liegen Travis mit 56 Songs vor den Stereophonics und Ben Folds Five mit jeweils 46).

Seit vielen Jahren führe ich Excel-Tabellen, in denen ich vermerke, welche CDs ich wann und wo für welchen Preis gekauft habe (im vergangenen Jahr 63 Alben und Singles für durchschnittlich 7,77 Euro) oder wann ich wo mit wem im Kino war und welchen Film wir dort gesehen haben (früher sogar noch mit einer Bewertung für jeden Film versehen).

Hätten wir uns im Mathematik-Grundkurs noch mit Statistik beschäftigt, wäre mein Abiturschnitt (den ich überraschenderweise nicht vorab berechnet hatte) bestimmt besser ausgefallen.

Ich bin also das, was man einen “Statistikfreak” nennen könnte, und würde nicht groß widersprechen, wenn mir jemand einen milden Autismus auf dem Gebiet unterstellte.

Deshalb bin ich auch ziemlich traurig, dass Blogscout dicht gemacht hat. So long and thanks for all the numbers.

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Musik

Lieder für die Ewigkeit: Sportfreunde Stiller – Ein Kompliment

In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken

Gerade habe ich bei MTV (bei MTV!!!!1) zum ersten Mal das Video zur neuen Sportfreunde-Stiller-Single “Alles Roger” gesehen. Ich bin mir relativ sicher: bei denen geht nicht mehr viel. Endgültig vorbei scheint die Zeit, in der die sympathischen Bayern intelligente, gewitzte Texte mit charmanten Melodien zusammenpackten und dabei Songs wie “Ein Kompliment” aus dem Ärmel schüttelten.

Man greift sicher nicht zu hoch, wenn man die damalige Vorabsingle zum zweiten Sportfreunde-Album “Die gute Seite” zu den besten deutschsprachigen Liebesliedern aller Zeiten (also inkl. Romantik und Sturm’n’Drang) zählt. Die unumwundene Sympathiebekundung, die bei vielen anderen Künstlern in schlimmstem Schlagerkitsch hätte versinken können, kam bei den Sportfreunden Stiller sympathisch und authentisch rüber. Ja, so ist das halt, wenn man verliebt ist: die Angebetete wird zum “Ziel einer langen Reise”, zur “Schaumkrone der Woge der Begeisterung”, kurzum zum “größten für mich”.

Man kann nur vermuten, auf wie vielen Kassettenmädchenkassetten “Ein Kompliment” in den letzten fünfeinhalb Jahren gelandet ist. Wer ein Mixtape mit diesem Song darauf verschenkt und darauf keine Antwort in der einen oder anderen Richtung bekommt, sollte sich ein neues Ziel aussuchen (hätte mir das damals mal jemand gesagt …). All das, was man sich als Teenager (und darüber hinaus) nie zu sagen getraut hat, kann man ein ganzes Stück einfacher trotzdem ausdrücken (lassen).

Aber auch fernab dieses Dienstleistungsgedankens ist und bleibt “Eine Kompliment” ein wunderbares Lied: emotional, euphorisch, aber immer noch mit einem sogenannten Augenzwinkern. Das ist das Schlachtschiff “Pathos” mit dem Rettungsboot “Ironie”, die neunundneunzigkommaneunprozentige Hingabe. Ein solches Lied kann man einer Band gar nicht hoch genug anrechnen.

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Musik

Another Day In Paradise

Die erste Schallplatte, von der ich mich erinnern kann, sie in den Händen gehalten zu haben, müsste “…But Seriously” von Phil Collins gewesen sein. Mein Vater hatte sie vermutlich kurz nach Erscheinen gekauft und ich nehme an, “Another Day In Paradise” war mit sechs Jahren sowas wie mein erstes Lieblingslied, einfach weil es ständig auf Platte und im Radio lief. So ganz genau weiß ich es nicht mehr, aber Phil Collins war einfach immer da.

Etwa zu dieser Zeit fing ich mit dem Schlagzeugspielen an und begriff erst langsam, dass Phil Collins auch ein berühmter Schlagzeuger (gewesen) war – einer der besten der Welt. So wird es wohl nie mehr einen beeindruckenderen Schlagzeugeinsatz geben als auf “In The Air Tonight” und auch heute sind seine Schlagzeugsoli die Höhepunkte jedes Livekonzerts. Ehe der ungleich coolere Dave Grohl vom Nirvana-Schlagzeug ans Foo-Fighters-Mikrofon wechselte, war Phil Collins das Vorbild aller Drummer, die sich zu Höherem berufen fühlten (also aller Drummer).

Sein ’93er Album “Both Sides” war eine der ersten CDs, die ich selbst besaß, auch wenn ich es bis heute glaube ich kein einziges Mal komplett gehört habe – als junger Mensch hörte man ja irgendwie immer nur die Singles, die man aus dem Radio oder aus der WDR-Videoclipsendung “Hit Clip” kannte. Dafür kann ich die Texte dieser Singles heute immer noch auswendig mitsingen, was insofern beachtlich ist, als das Album ja aus einer Zeit stammt, zu der ich gerade im ersten Jahr des Englischunterrichts steckte.

Weihnachten 1996 wünschte ich mir dann und bekam “Dance Into The Light”, das ich auch erstmalig als vollständiges Album wahrnahm. Aus heutiger Sicht lässt sich natürlich leicht sagen, dass es sich um ein ziemlich grauenhaftes Radiopop-Album handelt, auf dem der damals 45-jährige Collins abwechselnd versuchte, jugendlich und wie sein alter Genesis-Kumpel Peter Gabriel zu klingen. Auch hatte ich mich als 13-Jähriger noch nicht so weit in die Musikhistorie eingearbeitet um zu erkennen, dass Collins’ Version von “The Times They Are A-Changin'” ein ziemlich übles Vergehen am Werk eines gewissen Bob Dylan war. Ich war halt Phil-Collins-Fan und sollte noch lernen, dass es offenbar ebenso schwer ist, sich gegen seine ersten musikalischen Helden zu stellen, wie etwas schlechtes über seine erste Teenager-Liebe zu sagen. So bin ich ja heute noch glühender Verehrer von a-ha und Herbert Grönemeyer, versuche auch der grauenhaften neuen Paul-McCartney-Platte irgendetwas positives abzuringen und nach meinem Wiederhören mit der Münchener Freiheit will ich am liebsten gar nicht wissen, was ich auch heute noch von BAP und East 17 hielte.

“…Hits”, das Collins-Best-Of von 1998, war jedenfalls eine meiner ersten selbstgekauften CDs und machte mich auch mit den Erfolgen, die vor meiner Geburt lagen, bekannt. Als Phil Collins dann 1999 den Soundtrack zu Disneys “Tarzan”-Film veröffentlichte, befand ich mich zwar schon auf dem Weg zu einem anderen Musikgeschmack, aber die sympathische Stimme des kleinen Mannes gehörte inzwischen quasi zur Familie. Auch diese Lieder kann ich heute alle noch mitsingen und die Single “You’ll Be In My Heart” hat es seinerzeit auf mindestens eine Kassettenmädchenkassette geschafft.

Selbst, als sich bei mir schon die Radiohead-, Smashing-Pumpkins- und Tom-Liwa-Alben stapelten, war Phil Collins aus meinem Leben nicht wegzukriegen: Das Leo-Sayer-Cover “Can’t Stop Loving You” vom ansonsten grauenhaften Album “Testify” landete wahrscheinlich nur deshalb auf keinem Mixtape, weil die Stereoanlage meines Vaters damals nach einem Blitzschaden in Reparatur war, und selbst “Look Through My Eyes” vom “Bärenbrüder”-Soundtrack fand ich gut. Phil Collins’ Stimme hat inzwischen die gleiche Wirkung auf mich wie der Geruch auf dem Dachboden meiner Großeltern: Sie weckt Erinnerungen an längst vergangene Tage, als die Welt noch groß und aufregend war, und einem trotzdem nichts passieren konnte.

So war ich auch kein bisschen überrascht, als bei der Akademischen Jahresfeier, in deren Rahmen ich am Dienstag mein Bachelor-Zeugnis erhielt, ein Jazz-Trio “Against All Odds” zum Besten gab (der Grund, warum ich überhaupt auf die Idee zu diesem Eintrag kam). Ich war sogar richtiggehend beruhigt, denn ich wusste, Phil Collins und seine Songs würden immer da sein, egal wo ich bin und was ich tu. Und es ist doch immer schön, wenn man sich auf etwas verlassen kann.