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Digital Politik

Von der Außenwelt abgeschnitten

Zugegeben: In der Pressestelle des Bundesverteidigungsministeriums möchte man dieser Tage auch nicht arbeiten.

Heute stand der Start der Bundeswehrreform auf dem Programm, in den letzten Tagen gab es die eine oder andere unschöne Meldung über die wissenschaftliche Reputation des Ministers und dann berichtete die “Financial Times Deutschland” auch noch, dass die Bundeswehr eine “große Werbekampagne” bei “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de schalten wolle.

Wegen dieser “FTD”-Meldung hatte ich einige BILDblog-Fragen an das Ministerium. Aus der Erfahrung weiß ich, dass ich bei Versuchen, den richtigen Ansprechpartner zu treffen, immer zunächst den falschen anrufe und es auch nie möglich ist, mich zu verbinden.

Doch so weit kam ich heute nicht. Als ich die Liste der Pressesprecher durchklickte, bot sich mir folgendes Bild:

Weil ich gerne den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe, fragte ich Freunde und Kollegen, ob sie die Kontaktdaten der Sprecher irgendwo sähen. Nein, taten sie nicht.

Die Seiten mit den Ansprechpartnern sind alle auf dem Stand vom heutigen 24. Februar 2011. Im Google-Cache finden sich noch die Versionen von letzter Woche und die sahen beispielsweise so aus:

Die Übersichtsseite, auf der sonst immer die “Zentrale Servicenummer für Presseanfragen und Medienvertreter nach Dienst und am Wochenende” angegeben war, wurde offenbar schon am Dienstag überarbeitet.

Alt:

Neu:

Ich habe jetzt mal nicht beim Ministerium nachgefragt, was das zu bedeuten hat.

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Jugend schreibt

Vor einigen Jahren wollte ich schon einmal über die Arbeitsbedingungen von Schüler- und Jugendreportern bei Lokalzeitungen schreiben. Auslöser war damals ein … nun ja: unfassbar schlechter Artikel, den ich über die “Einslive Krone” gelesen hatte. Ich hätte darüber geschrieben, dass die hoffnungsvollen Jüngst-Journalisten als besonders preiswerte Arbeitssklaven missbraucht werden, dass ihre Artikel unredigiert (oder ohne weitere Erklärungen redigiert) veröffentlicht werden und sie so aus ihren möglichen Fehlern nie würden lernen können. Dann stellte ich fest, dass der unfassbar schlechte Artikel von einer “WAZ”-Redakteurin geschrieben worden war, und vergaß das Thema erst mal.

Dann sind wir beim BILDblog auf den Fall einer Jugendreporterin beim Kölner “Express” gestoßen, die es geschafft hatte, Online- und Print-Redaktion Artikel unterzujubeln, die aus Pressemitteilungen und Agenturmeldungen abgeschrieben waren. Die Fahrgestellnummer Handlungsorte hatte die Autorin ins Einzugsgebiet der Zeitung verlegt.

Ein solches Verhalten ist zweifellos völlig unjournalistisch. Aber so ein Text muss ja theoretisch auch erst mal an einer Redaktion vorbei, bevor er veröffentlicht wird. Dass “fact checking” in den meisten deutschen Redaktionen ein Fremdwort ist, ist klar (es ist ja auch eins), aber nach gewissen Erfahrungen der letzten Jahre sollte man als Endredakteur doch zumindest einmal kurz den Namen von angeblichen Zitatgebern googeln. Bei der “Express”-Reporterin hätte in zwei der drei Fälle das erste Suchergebnis die tatsächliche Wirkungsstätte der entsprechenden Personen verraten und damit weitere Fragen aufwerfen müssen.

Der erste Zeitungsartikel, in dem mein Name in der Autorenzeile stand, erschien im Mai 1997 in der Dinslakener Lokalausgabe der “Neuen Rhein Zeitung” (die damals glaube ich noch “Neue Ruhr Zeitung” hieß). Im Zuge eines “Zeitung in der Schule”-Projekts hatten wir mit der ganzen Klasse den Hundeübungsplatz der Polizei in Wesel besucht und Reportagen darüber geschrieben. Aus drei dieser Reportagen verschnitten die Redakteure dann einen neuen Artikel, den sie druckten. Was ausgerechnet an unseren Texten so gut gewesen sein soll, haben wir nie erfahren.

Fünfeinhalb Jahre später fing ich als freier Reporter für die Dinslakener Lokalausgabe der “Rheinischen Post” an. Vor meinem ersten Termin gab man mir eine Mappe mit, in der alles stand, was man als junger Journalist zu beachten hatte. Ich weiß nicht mehr, was drin stand, aber “nicht abschreiben!” stand womöglich irgendwo dabei. Der Rest war learning by doing — oder genauer: learning by reading what has become of your own texts.

Mein erster Text wurde komplett im Wortlaut veröffentlicht, was sicher nicht an dessen Qualität lag. In anderen Texten korrigierte die Redaktion die ungewöhnlichen Namen der Protagonisten zur gängigen und damit falschen Schreibweise oder sorgten dafür, dass sich die Jugendlichen bei einem Rockfestival die “Dröhnung am Freitagabend schmecken” ließen. Bei der Zeitungslektüre meiner Reportage über einen Schwimmmeister im städtischen Freibad erfuhr ich, dass die Blondinen bei “Baywatch” nicht “drall”, sondern “hübsch” sind. Für Überschriften galt damals, was auch heute noch für jede Lokalredaktion gilt: Hauptsache, sie sind nichtssagend und auf keinen Fall grammatisch korrekt oder gar knackig.

Rückmeldungen gab es kaum, aber das mag auch daran liegen, dass ich als Kulturreporter die Artikel meist noch am Abend in die Redaktion mailte und nur selten mit den Kollegen vor den völlig veralteten Redaktionscomputern saß. Aber auch wenn ich da war, gab es nicht viele Gespräche über meine Texte.

Das alles hilft den jungen Reportern (und den Zeitungen) nicht weiter. Natürlich ist es toll, schon in jungen Jahren große Artikel für die Zeitung schreiben zu dürfen, aber zu optimieren gibt es eigentlich immer was. Zwar muss man annehmen, dass den allermeisten Lesern die Qualität von Zeitungstexten eher egal ist, aber wer für 12 bis 20 Cent pro Zeile vorher noch stundenlang in Schalterhallen Kunstwerke aus Simbabwischen Serpentinstein begucken oder sich auf einem kalten Supermarktparkplatz mit Renault-Bastlern über Tuning unterhalten musste, der hat als Dreingabe wenigstens ein bisschen konstruktive Kritik verdient.

Angesichts der chronischen Unterbesetzung vieler Lokalredaktion mag es fast wie ein Wunschtraum klingen, aber irgendjemand sollte eigentlich noch mal vor Veröffentlichung über jeden Text drübergucken — besonders über die von Berufsanfängern, die noch nicht mal theoretisch mit journalistischer Ethik in Kontakt gekommen sind.

Die Geschichte mit den umgesiedelten Agenturmeldungen ist da noch vergleichsweise ungefährlich. Da gab es etwa den Fall einer Jugendreporterin, die ein Interview gemacht hatte mit einem Mädchen, das in einer sozialen Einrichtung lebt. Dabei ging es auch um die Vorgeschichte, warum sie aus ihrem kleinen Heimatdorf in diese Einrichtung in der nächsten größeren Stadt gekommen war. Der Artikel erschien schließlich mit voller Namensnennung des Mädchens, das anschließend tagelang in der Angst lebte, einer ihrer Verwandten könnte diese Geschichte lesen. Zum Glück schien sich niemand aus ihrer Familie weiter für den Jugendreporterteil zu interessieren.

Ich halte es nach wie vor für eine gute Idee, als Journalist die sprichwörtliche Lokal-Schule von Kaninchenzüchterverein und Seidenmalereiausstellung durchlaufen zu haben. Damit kann man auch gar nicht früh genug anfangen (unvergessen die Germanistik-Studenten im ersten Semester, die gerne “was mit Medien” machen wollten, aber noch nie irgendeinen Text geschrieben hatten). Aber diese hoffnungsvollen jungen Leute, sollen irgendwann, wenn sich die ganzen frühvergreisten Schreibbeamten aus den Redaktion zurückgezogen haben werden, ja auch mal an vorderster Front stehen. Und da kann es nicht schaden, sich von Anfang an um sie zu kümmern.

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Verwertungskreislauf einer Werbemeldung

Wenn Til Schweiger, Schauspieler, Regisseur und Werbegesicht der Firma Braun, ein Interview führt, das sich nahezu ausschließlich um Körperbehaarung dreht, ist es naheliegend, dass die Zeitschrift “Gala” dieses Gespräch gleich mit einem Braun-Rasierer bebildert.

Auf den ersten Blick nicht ganz so naheliegend ist, dass auch “Spiegel Online”, abendblatt.de oder “Focus Online” aufschreiben müssen, dass sich der Coverboy der deutschen Erstausgabe von “Vanity Fair” die Brusthaare “mit einem Rasierer” entferne.

Nach ein paar Wochen ist die Geschichte jetzt allerdings wieder – hinter “Wurst-Meisterwerken” und “Getränke-Vielfalt” – in ihrem natürlichen Lebensraum angekommen:

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Musik

Eine Liebe zur Musik

Es ist eines der schönsten YouTube-Videos, in dem keine Tierbabies vorkommen, und eines der wenigen deutschen Meme: Der DJ der guten Laune.

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Ich kann mir das Video immer wieder ansehen, weil es auf wundervolle Weise abbildet, was es bedeutet, Musik zu lieben. Außerdem läuft Kid Cudi. Inzwischen hat selbst Bild.de das Video geklaut gefeatured und berichtet von dem sympathischen Wuschelkopf, der Interviews aber ablehne.

Wobei das nicht so ganz stimmt: YouTube-User grafandraget, der den Clip vor einem Monat online gestellt und den DJ damit weltberühmt gemacht hatte, hat den namenlosen Mann in seinem Garten besucht und sich ein bisschen was über Musik und Tanz erzählen lassen:

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Ein Denkmal für Heiko Herrlich

Heiko Herrlich war der Größte. Zumindest war er einer der ganz Großen in der goldenen Bundesliga-Saison 94/95, als Borussia Mönchengladbach nahezu alles gelang. Mit Martin Dahlin bildete er den effektivsten Sturm der Liga und wurde am Ende Torschützenkönig. Beim DFB-Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg schossen die überragenden Männer der Saison die Tore: Dahlin, Stefan Effenberg und natürlich Heiko Herrlich. Es war die Krönung einer großartigen Saison und für einen elfjährigen Jungen im Berliner Olympiastadion war klar, dass es der Auftakt einer neuen Ära für die Borussen sein würde. Wir würden um die Meisterschaft mitspielen und ich würde später so von den Spielern sprechen, wie es mein Patenonkel von Netzer, Vogts, Heynckes und Kleff tat.

Heiko Herrlich war ein Verräter. Das Pokalfinale war sein letztes Spiel für Gladbach. Er wollte weg, ausgerechnet zur anderen Borussia, nach Dortmund. Für einen Elfjährigen, der gerade seine erste Saison als Fan hinter sich gebracht hatte, war es unvorstellbar, warum man Mönchengladbach überhaupt verlassen wollen würde — geschweige denn nach Dortmund und unter diesen Umständen. Dass sich Herrlich und die Vereinsführung vor Gericht wieder trafen, sprach damals eindeutig gegen den Spieler, der bestimmt eh nur auf Kohle aus war. Dann verschwand er aus meinem Focus.

Als ich wieder von ihm hörte, war Heiko Herrlich krank. Die verfickte Arschlochkrankheit Krebs. Am Tag nachdem er kahlköpfig eine Pressekonferenz gegeben hatte, fragte mich meine Mutter, ob ich die Bilder in der Zeitung gesehen hatte. Ich hatte Mitleid mit Heiko Herrlich und Respekt vor seinem Überlebenswillen. Menschenleben zählen dann eben doch viel, viel mehr als Fußball.

Was weiter mit Heiko Herrlich passierte, habe ich kaum mitbekommen. Musik war wichtiger geworden als Fußball und dass Herrlich sich im Training Nasen- und Jochbein gebrochen hatte, erfuhr ich erst Jahre später aus einer sehr berührenden SWR-Doku über den Spieler, der sich immer wieder zurückgekämpft hatte, bis ihm nach vielen Rückschlägen die Motivation ausging und er stattdessen Trainer wurde.

Im vergangenen Winter übernahm Heiko Herrlich den Trainerposten beim VfL Bochum und ich freute mich sogar ein bisschen, dass ich wieder mehr von ihm mitbekam. Die ersten Spiele liefen hervorragend, dann ging es bergab. Als ich vor zwei Wochen beim Spiel gegen den HSV im Stadion war, wurde der Name des Trainers bei der Mannschaftsvorstellung vorsichtshalber gar nicht erst aufgerufen. Bochum kämpfte, war aber abschlussschwach, als stünden Klose und Gomez im Sturm, und verlor letztlich unglücklich mit 1:2. Noch nie zuvor hatte ein Verein, dessentwegen ich im Stadion war, verloren.

Und dann letzten Mittwoch diese Pressekonferenz beim VfL: Heiko Herrlich, wieder eine Spur zu selbstbewusst und realitätsfern, teilte in alle Richtungen aus. Und als der “Bild”-Reporter, der Herrlich so konsequent anduzte, dass sich selbst Waldi Hartmann geschämt hätte, dem Trainer Selbstzweifel einreden wollte, legte Herrlich los — nicht laut wie Giovanni Trapattoni oder Thomas Doll, sondern ganz ruhig. Und jeder, der Eltern hat oder mal auf eine Schule gegangen ist, weiß: Das knallt viel mehr.

Heiko Herrlich hatte bei “Bild” eh nichts mehr zu verlieren und griff die Zeitung deshalb frontal an. Er erklärte, warum ihn “Bild” seines Erachtens runterschreibt (weil er nicht mit der Zeitung reden wollte, vgl. Jürgen Klinsmann), er nahm gleich den nächsten Schritt vorweg (“Und ich weiß auch, dass es da vielleicht ‘nen Bumerang gibt, ne?”) und er sagte, er werde “aufrichtig” bleiben. Und dann ließ er noch so ganz nebenbei den Namen Günter Wallraff fallen, was natürlich wieder so gar nicht zum Klischee des doofen Fußballers passte.

Herrlichs Nachsatz zum Thema ist in Marmor zu meißeln:

Und drücken Sie auf Aufnahme, dass ich’s meinen Kindern irgendwann zeigen kann: Euch gegenüber, Ihnen gegenüber bleib’ ich aufrichtig. Die werden stolz sein auf mich, irgendwann.

Es sind Momente wie diese, in denen sonst die Musik anschwillt und in denen Menschen auf Tische steigen und “Oh Käpt’n, mein Käpt’n” skandieren. Und es sind Momente, die bitte, bitte bleiben sollen, in Zeiten, in denen Leute wie Miriam Pielhau oder Matthias Steiner in “Bild” intimste Momente nach Schicksalsschlägen ausbreiten, und sich selbst Sibel Kekilli, die vor sechs Jahren im Zentrum einer “Bild”-Kampagne von historischem Ausmaß stand, mit dem Blatt versöhnt zu haben scheint.

Sportlich sieht es nicht gut aus für Heiko Herrlich (wofür man sich heute auch noch beim deutschen Meister VfL Wolfsburg bedanken kann, der ausgerechnet gegen den Bochumer Kellerkonkurrenten SC Freiburg verlieren musste), aber menschlich war sein Auftritt beeindruckend. Heiko Herrlich ist einer der Großen.

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Leben Fernsehen Rundfunk

Im Fernsehen

Das sind mehr Ränder als Augen, die ich da sehe. Es sind meine Ränder, da im Spiegel, was mir an jedem anderen Tag reichlich egal wäre, heute aber nicht. Heute bin ich in einer Fernsehsendung zu Gast und wollte dabei ungern aussehen wie Vatter Hein persönlich.

Seit ich im Januar “Chef” vom BILDblog geworden bin, kamen immer wieder Interview-Anfragen von verschiedensten Medien und wenn man solche Aufmerksamkeit nicht gewohnt ist, keine Sekretärin hat, aber gut erzogen ist, sagt man erst jedem Anrufer zu und anschließend immer wieder das Gleiche. Am Sympathischsten waren meist die Gespräche mit den Campusradios, aber ab dem fünften Interview wusste ich, dass ich nie einen Hollywood-Film drehen würde — bei den internationalen Interview-Marathonen würde ich mich irgendwann selbst verletzen, weil ich mich selbst viel zu oft dasselbe sagen gehört hätte.

Aber Fernsehen, das wollte ich dann doch mal mitmachen. Zumal die Anfrage von einem dieser ARD-Digitalsender kam, die auch nicht viel mehr Zuschauer haben als Dinslaken Einwohner. “Da kann man ja erst mal üben, bevor man irgendwann unvorbereitet bei Gottschalk auf der Couch sitzt”, dachte ich und fuhr nach Köln.

Das heißt: Bis ich nach Köln fahren durfte, musste ich erst mal einen Fragebogen mit sensationell unbeantwortbaren Fragen (“Haben Sie ein Lieblingsbuch?”, “Wie würden Sie sich beschreiben?”) beantworten, auf dessen Grundlage dann eine Redakteurin ein einstündiges telefonisches Vorgespräch mit mir führte, aus dem dann die Fragen für das eigentliche Interview kondensiert wurden.

Man macht sich als Zuschauer ja keine Gedanken, wie viel Aufwand dahinter steckt, ein paar redende Köpfe auf die heimische Mattscheibe zu projizieren. Also von dem ganzen technischen Kram inklusive Erfindung der Braun’schen Röhre und den Rundfunkwellen mal ab.

Stilleben in einer WDR-Garderobe.

Und jetzt sitze ich hier in der Garderobe im (geschätzt) vierten Untergeschoss des Filmhauses des Westdeutschen Rundfunks in Köln, sehe aus wie Manny Calavera und werde von einer Garderobiere gefragt, ob ich “das” (meinen roten Kapuzen-Sweater) anlassen wolle.

“Ich hätte auch noch ein Hemd”, fange ich vorsichtig an, “aber ich weiß nicht, ob das nicht zu kleingemustert ist.”

Das hatte man mir nämlich gesagt, mehrfach: Kein Grün, kein Gelb, nicht zu viel Weiß und um Himmels Willen bitte nicht kleingemustert. Die nette Garderobiere (nett sind sie überhaupt alle hier unten, obwohl sie hier ohne Tageslicht und frische Luft arbeiten müssen und man es durchaus verstünde, wenn sie sich deshalb von Blut ernährten) geht mal fragen und weil mein Hemd nicht zu kleinkariert ist, geht sie es gleich auch noch aufbügeln. Das letzte Mal, als irgendeines meiner Hemden aufgebügelt wurde, lebte ich noch bei meinen Eltern.

Dann darf ich in die Maske und die ist natürlich bitter nötig: “Es tut mir sehr leid, aber meine Augenringe sind heute noch tiefer als sonst”, beginne ich entschuldigend, “dabei war ich gestern extra früh im Bett.”
“Kriegen wir hin”, sagt die nette Maskenbildnerin und beginnt mit umfangreicheren Stuckationsarbeiten, wie man sie von der Deckensanierung Berliner Altbauten aus der Gründerzeit kennt.

Neben mir sitzt Anja Backhaus, die Moderatorin der Sendung, die mit ihrer Maske schon durch ist, und betreibt Small Talk. Wir sprechen über den öffentlichen Personennahverkehr, Wuppertal und den drohenden Abriss des Kölner Schauspielhauses. Bloß nichts aus dem Interview vorwegnehmen, damit der Talkgast später nicht gleich im ersten Satz irgendwas mit “wie gesagt” antwortet.

Nach ein paar Minuten guckt mich ein frischer junger Mann aus dem Spiegel an und ich überlege kurz, wie lange ich wohl üben müsste, bis ich es selber hinkriegte, mich so zu schminken. So für jeden Tag. Meine Haare darf ich, wie jeden Tag, selbst verstrubbeln, was ich sehr gewissenhaft und lange tue, bis es so aussieht, als hätte ich exakt nichts daran getan. “Eitelkeit ist eine der sieben Todsünden”, höre ich meine katholische Großmutter sagen, drehe mich um, sehe aber niemanden.

Dann geht es ins Studio, wo Anja und ich in stylischen Lounge-Sesseln Platz nehmen, in denen man ganz phantastisch liegen kann. Nur aufrecht sitzen geht schlecht, wäre aber im Idealfall wichtig. Wir haben viel Zeit, um die Positionierung unserer Beine auszutesten, denn zunächst einmal müssen wir richtig eingeleuchtet werden. Während wir unsere Beine mal links, mal rechts aneinander vorbeischieben und dabei versuchen, weder verkrampft zu wirken noch uns die Hüften auszukugeln, werden über unseren Köpfen viele Scheinwerfer eingeschaltet, von denen jeder einzelne ausreicht, um eine Tiefkühlpizza aufzubacken. Ich versuche, nicht nach oben zu starren, aber sonst sind da nur eine riesige grüne Wand und drei Kameras, in die ich auch nicht gucken sollte. Wenigstens kann man seine Hände bequem so auf den Sesseln platzieren, dass ich nicht Gefahr laufe, die ganze Zeit über wüst zu gestikulieren, wie ich das sonst tue, wenn ich rede.

Anja redet hin und wieder mit dem Regisseur, den ich aber nicht hören kann, weil er sich in einem Knopf in Anjas Ohr versteckt hat. Als er über die Studio-Lautsprecher spricht, sagt er “Vorwarnung fürs Studio” und das klingt ein bisschen nach Raketenstart.

Beim ersten Versuch stimmt etwas mit Anjas Anmoderation nicht, beim zweiten läuft irgendwas anderes schief, aber da habe ich die erste Frage schon beantwortet. Jetzt also noch mal, wobei ich so tun muss, als würde ich die Frage zum ersten Mal hören und beantworten. Aber wozu war ich in der Unterstufen-Theater-AG meines Gymnasiums?

Diesmal klappt alles und wir befinden uns plötzlich mitten in einem Gespräch. Ich gucke Anja konzentriert an (was für sie ziemlich sicher beunruhigend wirken muss), während ich die Fragen beantworte, die stellenweise echtes Nachdenken erfordern. Da zeigt sich dann auch der Sinn und Nutzen des Vorgesprächs: Manche Fragen spielen gezielt auf eine Antwort an, die ich der Redakteurin vor drei Tagen am Telefon gegeben habe und jetzt idealerweise wiederholen sollte, wenn ich mich noch an sie erinnern würde.

Dass das hier eine Aufzeichnung sein würde ist klar, aber wir produzieren vor für in drei Wochen. Bezugnahmen zum Zeitgeschehen gilt es also eher zu vermeiden — ein bisschen schwierig, wenn man über Medien sprechen soll. Die Frage “Was war in den letzten Wochen besonders krass in den Medien?”, beantworte ich elegant mit einem Verweis auf einen BILDblog-Eintrag von gestern. Also: “vor ein paar Wochen”. Hollywood, ich komme!

Der Talk ist schnell vorbei, aber zwölfeinhalb Minuten sind mehr, als einem als einzelner Gast in der “NDR Talkshow” zustehen. Ich bin also ganz zufrieden mit dem, was wir alles abgehandelt haben. Es wird noch ein Extra-Clip fürs Internet gedreht, den wir vier Mal wiederholen, weil immer irgendwas schief läuft. Dann darf ich gehen.

In der (Nein: meiner) Garderobe packe ich hastig zusammen und vergesse dabei prompt die unangebrochene Packung Kekse, die dort für mich bereitstand. Dabei hat man doch so selten Gelegenheit, sich seine Rundfunkgebühren derart direkt zurückzuholen.

Als ich in den Kölner Nieselregen trete, bin ich noch geschminkt, aber wieder alleine. Niemand um mich, der fragt, ob ich zufrieden bin, ob ich irgendwas brauche, ob alles in Ordnung ist. Niemand, der mir freundlich zunickt. Die ersten Minuten ist das – nach gerade mal zweieinhalb Stunden im Fernsehstudio – ziemlich irritierend. “Hollywood- oder Rockstars würden jetzt Drogen nehmen”, denke ich und gehe stattdessen Freunde besuchen.

EINSWEITERgefragt
Freitag, 16. April 2010
Um 20.01 Uhr auf Eins Festival

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Boulevardjournalismus-Mäander

Es gibt Texte, die neben ihrem eigentlichen Inhalt auch ihre eigene Entstehungsgeschichte transportieren. In der heutigen “Bild am Sonntag” gibt es mindestens zwei dieser Sorte:

Zehn Kollegen haben Stefan Hauck (der als Experte auf dem Gebiet der Existenzvernichtung zu gelten hat) bei seinem Versuch unterstützt, das Privatleben von Jörg Kachelmann auszuloten.

Sie haben dabei keine großen Erkenntnisse gewonnen und die Enttäuschung darüber schwingt mit:

Viel genauer geht es nicht, denn auch am Ende von langen Gesprächen mit Weggefährten, Freunden, Geliebten, Kollegen und Feinden des Beschuldigten, hat zwar jeder über Jörg-Andreas Kachelmann gesprochen – aber immer einen anderen Menschen geschildert.

Da betreibt man so einen Aufwand und am Ende sitzt man vor einem Berg aus Puzzleteilen, die alle nicht so rechtzusammenpassen wollen. Aber wenn man sie doch gewaltsam zusammenhämmert, entsteht da das Bild eines Menschen — oder, wie Hauck schreibt, einer “widersprüchlichen Person”.

“Herzlichen Glückwunsch!”, möchte man fast ausrufen, “Sie haben soeben begriffen, dass die wenigsten Menschen zweidimensionale Wesen sind!” Aber das wäre Quatsch. Hauck hat nichts begriffen, wie er gleich zu Beginn seines Textes selbst herausposaunt:

Bis vergangenen Montag hat sich kein Mensch ernsthaft dafür interessiert, was der Fernsehstar Jörg Kachelmann, 51, für eine Beziehung zu Frauen hat. Und ob überhaupt. Kachelmann ist ein Star des Fernsehens, ist aber, was den “Glam-Faktor” anbelangt, also die Maßeinheit, in der man das Glitzernde eines Fernseh-Menschen misst, natürlich kein Roberto Blanco, wer ist schon wie Roberto Blanco?

Wenn sich bis letzte Woche “kein Mensch ernsthaft” für das Intimleben dieses angeblich so unglamourösen Fernsehstars interessiert hat, warum sollte man es jetzt tun? Weil es helfen würde, als Außenstehender zu beurteilen, ob Kachelmann die Tat, die ihm vorgeworfen wird, begangen haben könnte? (Und was hat das Wort “ernsthaft” überhaupt in diesem Satz zu suchen?)

Die Suche nach Erklärungsmustern ist zutiefst menschlich, aber während es bei Amokläufern oder Terroristen, ((Der Kabarettist Volker Pispers sagte einmal über die Reporter, die nach den Anschlägen des 11. September 2001 in Hamburg das Umfeld des Anführers Mohammed Atta ausgefragt hatten: “Solche Menschen können Sie nur zufriedenstellen, indem Sie sagen: ‘Ja, so ein bisschen nach Schwefel gerochen hat er schon ab und zu.'”)) die ihre Taten in und an der Öffentlichkeit begangen haben, noch ein gerechtfertigtes Interesse an ihrer Vorgeschichte geben könnte – um im Idealfall in ähnlich gelagerten Fällen Taten zu vermeiden – geht es im “Fall Kachelmann” um das exakte Gegenteil: Ein mögliches Verbrechen im denkbar intimsten Rahmen, in dessen Folge nicht nur der mutmaßliche Täter der Öffentlichkeit präsentiert wird, sondern auch das potentielle Opfer, notdürftig anonymisiert.

* * *

Die andere Geschichte hat nur eine Autorennennung, aber schon der erste Satz deutet an, dass auch Nicola Pohl nicht allein war, als sie im privaten Umfeld der deutschen Grand-Prix-Hoffnung Lena Meyer-Landrut wühlte:

Einen wehmütigen Jungen mit dünnem Bart. Eine Tanzlehrerin, die abhebt. Einen Friseur, der der Neunjährigen die Spitzen schnitt. Sie alle trafen wir, als wir zwei Tage durch Lena Meyer-Landruts Leben spazierten und uns fragten: Wo lebt, lacht, liebt, lümmelt Lena?

Die Recherche muss noch enttäuschender verlaufen sein als die bei Kachelmann: Aus der Überschrift “Wie heil ist Lenas Welt?” tropft förmlich die Hoffnung auf Familiendramen, Drogen, Sex und Schummeln bei den Vorabiklausuren, aber nichts davon hat die Autorin gefunden. Jetzt muss sie unüberprüfbare und belanglose Aussagen wie “Für 7,90 Euro ließ sie sich Spitzen schneiden” als Sensations-Meldung verkaufen. Wenn man schon sonst nichts gefunden hat und extra hingefahren ist.

* * *

Mal davon ab, dass ein Friseur, der mit irgendwelchen wildfremden Menschen über mich redet, mir die längste Zeit seines Lebens die Haare geschnitten hätte, habe ich nie verstanden, was so interessant sein soll am Privatleben von Prominenten. Ich bin mir sicher, wenn man die Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder eines beliebigen Menschen befragt, werden die meisten nicht viel mehr als zwei, drei Sätze über die betreffende Person berichten können — wohl aber erstaunliche Details aus dem Privatleben von Brad Pitt, Angelina Jolie, Sandra Bullock und Tiger Woods.

Es ist mir egal, wie oft Ben Folds schon verheiratet war, welche Drogen Pete Doherty gerade nimmt und welche Haarfarbe Lily Allen im Moment hat. Ich wünsche diesen Prominenten wie allen anderen Menschen auch, dass es ihnen gut geht. ((Auch wenn Musiker meist die besseren Songs schreiben, wenn es ihnen schlecht geht, aber so egoistisch sollte man als Hörer dann auch nicht sein.)) Mich interessiert ja offen gestanden schon nicht, was die meisten Menschen so machen, mit denen ich zur Schule gegangen bin. ((Selbst einige Sachen, die mir gute Freunde über sich erzählt haben, hätte ich am liebsten nie erfahren. Aber mit dieser Last muss man in einer Freundschaft irgendwie klarkommen.))

* * *

Es sind Texte wie diese zwei aus “Bild am Sonntag”, bei denen man hofft, bei der Auswahl der eigenen Freunde das richtige Fingerspitzengefühl bewiesen zu haben, auf dass diese nicht mit irgendwelchen dahergelaufenen Journalisten plaudern, wenn man selbst mal zufälligerweise unter einen Tanklaster geraten sollte. Gleichzeitig ahnt man natürlich auch, dass die Menschen, die reden würden, nur das Schlechteste über einen zu berichten wüssten: Frühere Mitschüler, mit denen man nie etwas zu tun hatte; Ex-Kollegen, die man im Eifer des Gefechts mal eine Spur zu hart angegangen hat; Internet-Nutzer, die glauben, aufgrund der Lektüre verschiedener Blog-Einträge und -Kommentare einen Eindruck von der eigenen Person zu haben.

* * *

Überhaupt sollte man bei dieser Gelegenheit und für alle Zeiten noch mal auf den Ratgeber “Hilfe, ich bin in BILD!” zu verweisen, den die Kollegen vor mehr als drei Jahren zusammengestellt haben, aber der natürlich immer noch gültig ist, wenn “Bild”-Reporter, Menschen, die sich als solche ausgeben, oder andere Medienvertreter bei einem anrufen.

* * *

Wenn ein Verkehrsminister seinen Führerschein wegen Geschwindigkeitsüberschreitung abgeben muss, ist das eine interessante Information, weil seine private Verfehlung mit seinem öffentlichen Amt kollidiert. Wenn dagegen ein Landwirtschaftsminister beim Rasen erwischt würde, sähe ich keinen Zusammenhang zu seinem Amt und somit auch keinen Grund für öffentliche Verlautbarungen. ((Dass sich generell jeder an die Verkehrsregeln halten sollte, steht dabei außer Frage.))

Im Falle Kachelmann haben die Vorwürfe gegen ihn nichts mit seinem Beruf zu tun. Zwar ist es durchaus denkbar, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender auf die Dienste vorbestrafter Moderatoren verzichten würde (schon, um Schlagzeilen wie “Unsere Gebühren für den Vergewaltiger!” zu vermeiden), aber darüber kann die ARD ja immer noch entscheiden, wenn es ein rechtskräftiges Urteil eines ordentlichen Gerichts gibt.

Allein über die irrige (und oft gefährliche) Annahme, man müsse immer sofort losberichten, wenn man von einer Sache Wind bekommen hat, könnte ich mich stundenlang auslassen. Das Internet und der herbeiphantasierte Anspruch, man müsse nicht der Beste, sondern nur der Schnellste sein, hat Journalismus zu etwas werden lassen, was mit “work in progress” mitunter noch schmeichelhaft umschrieben wäre. “Work in preparation” wäre mitunter passender.

* * *

Von der Arbeitsweise mancher Medienvertreter konnte ich mich in den letzten Tagen selbst überzeugen, als mich ein Mitarbeiter der Zeitschrift “Der Journalist” anrief, die ausgerechnet vom Deutschen Journalisten-Verband herausgegeben wird: Es ging um Vorwürfe, ein Kollege, der auch für BILDblog schreibt, habe Zitate erfunden. Der Mann vom “Journalisten” wollte die Handy-Nummer des Kollegen, die ich ihm nicht geben konnte, und erklärte mir dann, er wolle auf alle Fälle erst mal mit dem Betroffenen selbst sprechen, bevor er etwas veröffentliche. Der Zeitdruck sei ja auch nicht sooo groß, zumal bei einer Monatszeitschrift.

“Das ehrt Sie schon mal”, hatte ich sagen wollen, es dann aber doch nicht getan, weil es mir albern erschien, vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu loben. Glück gehabt, denn ich hätte mein Lob zurücknehmen müssen, wie sich alsbald zeigte.

* * *

Doch noch einmal zurück zu Jörg Kachelmann: Wenn sich die Redaktion der “Tagesschau” nach langen Diskussionen entscheidet, nicht über die Vorwürfe gegen ihn und seine Verhaftung zu berichten, kriegt sie dafür einen auf den Deckel.

Die selben Medien, die sich im Vergleich zum bösen, bösen Internet (das neben hundert anderen Gesichtern natürlich auch seine hässliche Fratze zeigt) immer wieder ihrer “Gatekeeper”-Funktion rühmen (die also wichtige von unwichtigen, richtige von unrichtigen Meldungen unterscheiden zu können glauben), haben ihre eigenen Scheunentore sperrangelweit offen und leiten ihre Verpflichtung (mit einer Berechtigung ist es nicht getan) zur Berichterstattung daraus ab, dass auch die Justiz aktiv geworden ist.

Franz Baden auf sueddeutsche.de:

Im Fall Kachelmann hat eine Frau Strafanzeige erstattet – und das Amtsgericht Mannheim Haftbefehl erlassen, als sich der Tatverdacht erhärtet habe. Darüber wird berichtet werden müssen.

Wenn sich ein Journalist hinstellt und zu Besonnenheit aufruft, wie es Michalis Pantelouris in seinem Blog “Print Würgt” getan hat, kommt der Chefredakteur des Mediendienstes des Trash-Portals von Meedia.de vorbei und wirft ihm in einem Kommentar vor, solche Blogeinträge seien “rufschädigend für den Journalismus”.

Mir ist nach der letzten Woche ehrlich gesagt nicht ganz klar, auf was für einen Ruf er sich da eigentlich noch bezieht.

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Digital

Die eiserne Taifun-Lawine

Was halt so passiert, wenn man zu nachtschlafender Zeit (dienstlich!) auf Bild.de rumsurft:

Man droht, in wilden Metaphern-Fluten zu ertrinken …

Odenwaldschule: Ex-Schüler: "Ich war im Zentrum des Taifuns" Eine Lawine von Missbrauchsfällen überrollt Deutschland. Durch die Berichte ehemaliger Schüler werden neue Details bekannt. mehr ...

… und stößt auf die vielleicht bizarrste Grafik der letzten hundert Jahre:

Steinhart, unbeugsam, wehrhaft: Angela Merkel (55, CDU) von BILD in die Pose des "Eisernen Kanzlers" Bismarck versetzt. So muss die Kanzlerin den EU-Regierungschefs derzeit vorkommen. Das Original-Bismarck-Denkmal steht übrigens in Hamburg Foto: dpa Picture-Alliance

Jetzt kann ich wieder nicht schlafen …

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Hinter all diesen Türen

Bei Recherchen stößt man manchmal auf Dinge, die nichts mit dem aktuellen Thema zu tun haben, aber so außergewöhnlich, kurios oder toll sind, dass man sie trotzdem gern mit der Welt teilen möchte.

So wie diese Pressemitteilung der Bremer Polizei:

Unglaublich aber wahr

(9. März 2010) Die Geschichte fing damit an, dass gestern Mittag eine ältere Dame im Buntentorsteinweg ihren Abfall aus dem Haus bringen wollte. Nach Erledigung musste sie aber feststellen, dass ihre Haustür zugefallen und sie keinen Haustürschlüssel mitgenommen hatte. Die Frau wandte sich daraufhin hilfesuchend an ihren Nachbarn, der seine Schutzmannskollegen informierte. Die sehr aufgeregte 88 Jahre alte Frau konnte den uniformierten Helfern lediglich mitteilen, dass ihre Tochter im Besitz eines Ersatzschlüssels sei. Deren Adresse und Telefonnummer fielen ihr in der Aufregung nicht mehr ein. Nachdem diese Lücke schnell durch die Polizeibeamten geschlossen werden konnte, wurde ein Einsatzfahrzeug zur Adresse der Tochter entsandt. Die 55-Jährige wurde auch angetroffen und um Hilfe gebeten. Nach einigen Minuten mussten die Beamten allerdings über Funk ihren Kollegen bei der Mutter mitteilen, dass es mit der Hilfe noch dauern wird, weil der Tochter bei dem Gespräch mit ihnen die Haustür zugefallen sei. Einen Ersatzschlüssel hätte nur die Mutter! Daraufhin orderten die Beamten einen Schlüsseldienst zum Buntentorsteinweg. Als die Tochter sich jetzt auf den Weg machen wollte, um ihren Ersatzschlüssel bei der Mutter abzuholen, fiel ihr siedendheiß ein, dass sie das Mittagessen auf dem Herd hatte. Logische Konsequenz – ihre Haustür wurde jetzt von der eilig informierten Feuerwehr geöffnet. Außer einem leichten Brandgeruch wurden keine weiteren Schäden festgestellt. Nachdem der Schlüsseldienst die Haustür der Mutter geöffnet hatte, wurde auch hier leichter Brandgeruch wahrgenommen. Auch die Mutter hatte ihr Essen auf dem Herd gehabt. Die Mittagessen bei Mutter und Tochter waren nach Angaben der Einsatzkräfte gut durchgekocht.

Eine Verfilmung mit Inge Meysel in der Hauptrolle ist angeblich bereits in Planung.

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Hang On To Your IQ

Als ich bei CT das radio anfing, gab es eine feste Regel: Pro Nachrichtenblock wurde eine Weltnachricht, eine Deutschlandnachricht, eine aus NRW/Ruhrgebiet und eine aus dem Hochschulwesen benötigt. Hochschulnachrichten begannen meist mit der Formulierung “Forscher der Ruhr-Universität haben herausgefunden …” und endete nicht selten mit schlafenden Hörern. ((Mutmaßlich, für eine Media-Analyse fehlte das Geld.)) Manchmal auch mit schlafenden Nachrichtensprechern.

Irgendwann wurden die gelangweilt abgelesenen Mitteilungen der Uni-Pressestellen zum Hormonhaushalt von Karpfen und zur Anziehungskraft weit entfernter Planeten in ein eigenes Programmsegment verfrachtet, dessen Bumper ((Fachbegriff für “Eine gut gelaunte Stimme ruft den Namen der Rubrik, dann läuft jene Hintergrundmusik, die die verrückten Radiomenschen ‘Bett’ nennen …”)) den Hörern deutlich macht, dass sie jetzt gefahrlos zwei Minuten auf Klo gehen können, ohne ihren aktuellen Lieblingssong zu verpassen. Aber was will man tun? Hochschulnachrichten gehören halt zum Sendeauftrag von Campusradios …

Medien gehen kaum weniger lieblos mit den Entdeckungen und Erkenntnissen großer Forscher um: Wissenschaftliche Inhalte sind nur dann spannend, wenn “wir” ((Also Sie, ich und Kai Diekmann — das ganze deutsche Volk halt.)) mal wieder Nobelpreis “sind” oder sich zu knackigen Schlagzeilen im “Panorama”-Ressort bürsten lassen.

In den letzten Wochen also in etwa so:

Studie: Niedriger IQ schlecht fürs Herz

Herz-Kreislauf-Erkrankung durch niedrigen IQ - Gesundheitszustand vom IQ abhängig

Areale im Gehirn - Wo die Intelligenz sitzt

Und wenn man Ursache und Wirkung vertauscht, kommt schon mal so etwas heraus:

Die neuesten Erkenntnisse sind auch wieder beruhigend:

Intelligenz und Evolution - Konservative haben geringeren IQ

Satoshi Kanazawa von der London School of Economics and Political Science will eine ganze Menge herausgefunden haben:

In the current study, Kanazawa argues that humans are evolutionarily designed to be conservative, caring mostly about their family and friends, and being liberal, caring about an indefinite number of genetically unrelated strangers they never meet or interact with, is evolutionarily novel. So more intelligent children may be more likely to grow up to be liberals.

Mehr noch:

“Humans are evolutionarily designed to be paranoid, and they believe in God because they are paranoid,” says Kanazawa. […] “So, more intelligent children are more likely to grow up to go against their natural evolutionary tendency to believe in God, and they become atheists.”

Und schließlich:

And the theory predicts that more intelligent men are more likely to value sexual exclusivity than less intelligent men, but general intelligence makes no difference for women’s value on sexual exclusivity.

All diese Erkenntnisse ((Ein höherer IQ führt zu mehr Progressivität, weniger Religiosität und höherer Monogamie.)) gerinnen bei den Online-Medien des Axel-Springer-Verlags schließlich zu Schlagzeilen wie diesen:

Britischer Forscher behauptet: Fremdgeher haben einen niedrigeren IQ!

Sex-Studie: Fremdgeher haben niedrigen IQ

Hmmmm. Was könnte wohl passieren, wenn es die Meldung bis nach Österreich schafft?

Untreue Männer sind dümmer

Ob die im Volksmund weit verbreitete These, wonach Dumm besser ficke, auch für Männer gilt, steht leider nicht im Artikel.

Wäre aber doch ein schöner Ausgleich, denn:

Wer einen niedrigen IQ hat, stirbt früher

Mit Dank auch an Peter B., Lukas S. und noir

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Yeaahh! Alle so: “und”

Im BILDblog hatten wir vor einiger Zeit einen Eintrag über den überraschenden Einsatz von Konjunktionen.

Daran musste ich heute denken, als ich bei “RP Online” einen Artikel aus der “Rheinischen Post” las, in dem ein armer Mensch mehrere Polizeimeldungen hatte zusammenfassen müssen und sich dabei ein wenig verheddert hatte.

Der Vorspann ging wie folgt (und ich möchte Sie bitten, auf die überraschende Konjunktion im letzten Drittel zu achten):

In der Nacht zu Samstag gegen 2.40 Uhr wurden Polizeibeamte wegen einer Körperverletzung zu einer Gaststätte an der Friedrichstraße gerufen. Ein unter Alkoholeinwirkung stehender 18-jähriger Duisburger störte die Anzeigenaufnahme so erheblich, dass mehrfach ein Platzverweis ausgesprochen wurde. Und in Dinslaken ist ein 74-Jähriger Opfer eines Trickbetrügers geworden.

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Es ist doch immer das Gleiche

Twitter ist ja nicht gerade als das Medium bekannt, das den Siegeszug der Aufklärung endlich abschließen könnte: 140 Zeichen kann man auch eben schnell tippen, ohne dass man das Gehirn zwischen Galle und Finger schalten müsste. Twittern ist oft genug der Sieg des Affekts über die Reflektion, Hauptsache man ist der Schnellste — besonders bei der Eskalation.

Entschuldigung, was? Das hab ich schon mal geschrieben?! Oh ja, Verzeihung!

Anders gesagt:

Es kann doch nicht sein, dass wir immer wieder die Informationen loben, die im Internet für jeden überall und frei verfügbar sind, und dann nicht mal drei Minuten darauf verwenden, bei einer solchen Geschichte auch die Gegenseite abzuchecken. Stattdessen wird der Link blindlings bei Twitter weiterverbreitet.

Wie bitte? Das hab ich auch schon geschrieben?! Verdammt, Sie haben Recht!

Was ich sagen will, ist Folgendes:

Die Leute, die den Medien vorwerfen, unkritisch zu sein und nur aufzuschreiben, was ihnen in den Kram passt, waren unkritisch und schrieben genau das auf, was ihnen in den Kram passte: “fail” eben.

Hä? Ach so.