Vor einigen Jahren wollte ich schon einmal über die Arbeitsbedingungen von Schüler- und Jugendreportern bei Lokalzeitungen schreiben. Auslöser war damals ein … nun ja: unfassbar schlechter Artikel, den ich über die “Einslive Krone” gelesen hatte. Ich hätte darüber geschrieben, dass die hoffnungsvollen Jüngst-Journalisten als besonders preiswerte Arbeitssklaven missbraucht werden, dass ihre Artikel unredigiert (oder ohne weitere Erklärungen redigiert) veröffentlicht werden und sie so aus ihren möglichen Fehlern nie würden lernen können. Dann stellte ich fest, dass der unfassbar schlechte Artikel von einer “WAZ”-Redakteurin geschrieben worden war, und vergaß das Thema erst mal.
Dann sind wir beim BILDblog auf den Fall einer Jugendreporterin beim Kölner “Express” gestoßen, die es geschafft hatte, Online- und Print-Redaktion Artikel unterzujubeln, die aus Pressemitteilungen und Agenturmeldungen abgeschrieben waren. Die Fahrgestellnummer Handlungsorte hatte die Autorin ins Einzugsgebiet der Zeitung verlegt.
Ein solches Verhalten ist zweifellos völlig unjournalistisch. Aber so ein Text muss ja theoretisch auch erst mal an einer Redaktion vorbei, bevor er veröffentlicht wird. Dass “fact checking” in den meisten deutschen Redaktionen ein Fremdwort ist, ist klar (es ist ja auch eins), aber nach gewissen Erfahrungen der letzten Jahre sollte man als Endredakteur doch zumindest einmal kurz den Namen von angeblichen Zitatgebern googeln. Bei der “Express”-Reporterin hätte in zwei der drei Fälle das erste Suchergebnis die tatsächliche Wirkungsstätte der entsprechenden Personen verraten und damit weitere Fragen aufwerfen müssen.
Der erste Zeitungsartikel, in dem mein Name in der Autorenzeile stand, erschien im Mai 1997 in der Dinslakener Lokalausgabe der “Neuen Rhein Zeitung” (die damals glaube ich noch “Neue Ruhr Zeitung” hieß). Im Zuge eines “Zeitung in der Schule”-Projekts hatten wir mit der ganzen Klasse den Hundeübungsplatz der Polizei in Wesel besucht und Reportagen darüber geschrieben. Aus drei dieser Reportagen verschnitten die Redakteure dann einen neuen Artikel, den sie druckten. Was ausgerechnet an unseren Texten so gut gewesen sein soll, haben wir nie erfahren.
Fünfeinhalb Jahre später fing ich als freier Reporter für die Dinslakener Lokalausgabe der “Rheinischen Post” an. Vor meinem ersten Termin gab man mir eine Mappe mit, in der alles stand, was man als junger Journalist zu beachten hatte. Ich weiß nicht mehr, was drin stand, aber “nicht abschreiben!” stand womöglich irgendwo dabei. Der Rest war learning by doing — oder genauer: learning by reading what has become of your own texts.
Mein erster Text wurde komplett im Wortlaut veröffentlicht, was sicher nicht an dessen Qualität lag. In anderen Texten korrigierte die Redaktion die ungewöhnlichen Namen der Protagonisten zur gängigen und damit falschen Schreibweise oder sorgten dafür, dass sich die Jugendlichen bei einem Rockfestival die “Dröhnung am Freitagabend schmecken” ließen. Bei der Zeitungslektüre meiner Reportage über einen Schwimmmeister im städtischen Freibad erfuhr ich, dass die Blondinen bei “Baywatch” nicht “drall”, sondern “hübsch” sind. Für Überschriften galt damals, was auch heute noch für jede Lokalredaktion gilt: Hauptsache, sie sind nichtssagend und auf keinen Fall grammatisch korrekt oder gar knackig.
Rückmeldungen gab es kaum, aber das mag auch daran liegen, dass ich als Kulturreporter die Artikel meist noch am Abend in die Redaktion mailte und nur selten mit den Kollegen vor den völlig veralteten Redaktionscomputern saß. Aber auch wenn ich da war, gab es nicht viele Gespräche über meine Texte.
Das alles hilft den jungen Reportern (und den Zeitungen) nicht weiter. Natürlich ist es toll, schon in jungen Jahren große Artikel für die Zeitung schreiben zu dürfen, aber zu optimieren gibt es eigentlich immer was. Zwar muss man annehmen, dass den allermeisten Lesern die Qualität von Zeitungstexten eher egal ist, aber wer für 12 bis 20 Cent pro Zeile vorher noch stundenlang in Schalterhallen Kunstwerke aus Simbabwischen Serpentinstein begucken oder sich auf einem kalten Supermarktparkplatz mit Renault-Bastlern über Tuning unterhalten musste, der hat als Dreingabe wenigstens ein bisschen konstruktive Kritik verdient.
Angesichts der chronischen Unterbesetzung vieler Lokalredaktion mag es fast wie ein Wunschtraum klingen, aber irgendjemand sollte eigentlich noch mal vor Veröffentlichung über jeden Text drübergucken — besonders über die von Berufsanfängern, die noch nicht mal theoretisch mit journalistischer Ethik in Kontakt gekommen sind.
Die Geschichte mit den umgesiedelten Agenturmeldungen ist da noch vergleichsweise ungefährlich. Da gab es etwa den Fall einer Jugendreporterin, die ein Interview gemacht hatte mit einem Mädchen, das in einer sozialen Einrichtung lebt. Dabei ging es auch um die Vorgeschichte, warum sie aus ihrem kleinen Heimatdorf in diese Einrichtung in der nächsten größeren Stadt gekommen war. Der Artikel erschien schließlich mit voller Namensnennung des Mädchens, das anschließend tagelang in der Angst lebte, einer ihrer Verwandten könnte diese Geschichte lesen. Zum Glück schien sich niemand aus ihrer Familie weiter für den Jugendreporterteil zu interessieren.
Ich halte es nach wie vor für eine gute Idee, als Journalist die sprichwörtliche Lokal-Schule von Kaninchenzüchterverein und Seidenmalereiausstellung durchlaufen zu haben. Damit kann man auch gar nicht früh genug anfangen (unvergessen die Germanistik-Studenten im ersten Semester, die gerne “was mit Medien” machen wollten, aber noch nie irgendeinen Text geschrieben hatten). Aber diese hoffnungsvollen jungen Leute, sollen irgendwann, wenn sich die ganzen frühvergreisten Schreibbeamten aus den Redaktion zurückgezogen haben werden, ja auch mal an vorderster Front stehen. Und da kann es nicht schaden, sich von Anfang an um sie zu kümmern.