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Enduring Freedom

Auf die Idee muss man erst mal kom­men: aus­ge­rech­net eines der wider­lichs­ten, prä­ten­tiö­ses­ten Lie­der deut­scher Spra­che aus der Gruft der Acht­zi­ger-Jah­re-Deutschro­cker zu schlei­fen und im Jahr 2008 als Sam­ple ein­zu­set­zen.

Der Rap­per Cur­se, der seit lan­gem mit Xavier Naidoo um den Titel als prä­ten­tiö­ses­ter Musi­ker deut­scher Zun­ge ringt, hat sich also „Frei­heit“ vor­ge­nom­men, Wes­tern­ha­gens besorg­nis­er­re­gen­den Pathos-Schla­ger, des­sen auf ewig archi­vier­te Live-Dar­bie­tung in der Dort­mun­der West­fa­len­hal­le den anbie­dernds­ten Moment bun­des­re­pu­bli­ka­ni­scher Deutschrock­ge­schich­te („So wie wir heu­te Abend hier!“) ent­hält.

Das dabei ent­stan­de­ne Werk hört eben­falls auf den Namen „Frei­heit“ und muss wohl als gelun­ge­ner Ver­such betrach­tet wer­den, gleich­zei­tig Gän­se­haut und Brech­reiz aus­zu­lö­sen. Man hört die­ses Lied und fragt sich, ob nati­ve spea­k­er des Eng­li­schen eigent­lich genau­so lei­den müs­sen, wenn sie die Tex­te von U2 oder Cold­play hören. Ver­mut­lich nicht.

Und weil ich mich jetzt gera­de durch die­se grau­en­haf­te Null­num­mer gequält habe, lade ich Sie herz­lich ein, es mir unter die­sem Link gleich­zu­tun.

Den­ken Sie immer dar­an: Frei­heit heißt vor allem, jeder­zeit auf die Stop-Tas­te drü­cken zu kön­nen.

[via Visions.de]

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Improve Your Importance!

Das Peo­p­le-Maga­zin „Vani­ty Fair“ (also des­sen tra­gi­scher deut­scher Able­ger) unter­nimmt zur Zeit mal wie­der einen Ver­such, Rele­vanz zu gene­rie­ren. Dies­mal nicht mit der belieb­ten Serie „Fried­man und die Nazis“, son­dern mit einer gro­ßen Abstim­mung:

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Man wun­dert sich ein biss­chen, wer es so alles in die (aktu­el­le) Lis­te geschafft hat – über man­che Per­so­nen ärgert man sich, bei ande­ren hält man es für ver­dient und muss zuge­ben, dass man sie selbst ver­ges­sen hät­te.

Beson­ders ange­tan hat es den Machern und Nach­rei­chern der Lis­te offen­bar die Füh­rungs­eta­ge von „Spie­gel Online“ bzw. „Spiel­gel Online“:

65: Wolfgang Büchner - Geschäftsführer Spielgel Online

66: Rüdiger Ditz - Geschäftsführer Spiegel Online

91: Rüdiger Dietz

(Der Mann, der sich zwei Mal mit unter­schied­li­cher Schreib­wei­se, aber glei­chem Foto in der Lis­te fin­det, heißt kor­rekt übri­gens Rüdi­ger Ditz.)

Vor­ne wer­den die Plät­ze natür­lich vor allem von mobi­li­sier­ten Fan­clubs ver­ge­ben (es gibt kei­ne IP-Sper­re, jeder kann so oft abstim­men, wie er mag): Hape Ker­ke­ling, Tokio Hotel, Ange­la Mer­kel, Bushi­do, Bene­dikt XVI., Hel­mut Schmidt, Sido, …

Da stefan-niggemeier-fans.de.vu ver­mut­lich noch eini­ge Zeit auf sich war­ten las­sen wird, dach­te ich mir, ich könn­te ja ersatz­wei­se mal hier im Blog Stim­mung für mei­nen Chef machen – gera­de, wo sich die Ver­ant­wort­li­chen von vanityfair.de die Mühe gemacht haben, mal ein ande­res Foto von ihm zu fin­den.

Also: Kli­cket zuhauf!

PS: Sie tun vanityfair.de damit auch noch was Gutes, denn jeder Klick gilt als page impres­si­on und treibt damit deren Anzei­gen­prei­se in die Höhe.

Nach­trag, 30. August, 02:04 Uhr: Zum The­ma Ditz/​Dietz schick­te David M. die­sen schö­nen Screen­shot:

Außer­dem:

1: Stefan Niggemeier, Medienjournalist und Blogger

Nach­trag, 2. Sep­tem­ber: vanityfair.de hat auf die denk­bar unsou­ve­räns­te Wei­se reagiert und den Coun­ter für Ste­fan Nig­ge­mei­er (und offen­sicht­lich nur für ihn) ein­fach zurück­ge­setzt.

Unab­hän­gig davon bin ich der Mei­nung, dass die­se pein­li­che Abstim­mung inzwi­schen genug Auf­merk­sam­keit abbe­kom­men hat, und möch­te Sie des­halb bit­ten, mit vanityfair.de das zu tun, was man mit vanityfair.de am Bes­ten tut, und den Quatsch für­da­hin ein­fach zu igno­rie­ren.

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Rundfunk Sport

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!

Nun ist die­se Fuß­ball-EM also auch schon wie­der vor­bei. Deutsch­land hat sie nicht gewon­nen (was zu erwar­ten war), ist aber Zwei­ter gewor­den (was nicht zu erwar­ten war).

Somit ist es Zeit für den Cof­fee-And-TV-EM-Rück­blick:

Die Gast­ge­ber
Legen wir aus­nahms­wei­se mal, was wir bei der Hym­ne nie tun wür­den, die Hand aufs Herz: Schwei­zer und Öster­rei­cher gel­ten den Deut­schen ja irgend­wie als die etwas welt­fer­nen Stief­cou­sins. Die, die so ähn­lich wie wir reden, aber doch anders, und die, die beru­hi­gen­der­wei­se immer noch schlech­ter Fuß­ball spie­len als die Deut­schen.

Ent­spre­chend war es dann auch das ers­te wich­ti­ge Tur­nier, bei dem alle Gast­ge­ber die Vor­run­de nicht über­stan­den, was wohl auch die Stim­mung vor Ort etwas trüb­te. Von Öster­reich und der Schweiz bekam man im Fern­se­hen lei­der viel zu wenig mit, die Bil­der aus den Innen­städ­ten hät­ten auch in Dres­den, Han­no­ver oder einer ande­ren deut­schen Stadt, in der ich noch nie war, gedreht sein kön­nen. Doch ges­tern nach dem Fina­le wur­de klar: die Gast­ge­ber waren die beschei­de­nen klei­nen Brü­der von Deutsch­land 2006. Alles war ein biss­chen gedämpf­ter, stil­vol­ler.

Die Favo­ri­ten
Ja, das war etwas merk­wür­dig: Mein Euro­pa­meis­ter­tipp Tsche­chi­en über­stand die Vor­run­de eben­so­we­nig wie mei­ne Lieb­lings­mann­schaft Schwe­den, die Ita­lie­ner ret­te­ten sich mit Mühe und Not gegen die dann aus­ge­schie­de­nen Fran­zo­sen über die Grup­pen­pha­se, und Grie­chen­land bewies end­lich, dass der Gewinn der EM vor vier Jah­ren wirk­lich nur ein Betriebs­un­fall der Fuß­ball­ge­schich­te gewe­sen war. Vor­her hat­ten sie uns aller­dings mit dem 0:2 gegen Schwe­den eines der grau­en­haf­tes­ten Spie­le des Pro­fi­sports gebo­ten.

Nach­dem sie in der Vor­run­de den Welt­meis­ter, den Vize­welt­meis­ter und schließ­lich mit einer B‑Mannschaft auch noch die Rumä­nen in Grund und Boden gede­mü­tigt hat­ten, gal­ten die Hol­län­der als kla­rer Favo­rit, was sich als­bald als die bei die­sem Tur­nier unlieb­sams­te Rol­le her­aus­stell­te: Zack!, bra­chen sie gegen die Rus­sen ein wie eine labb­ri­ge Frit­te im Nord­see­sturm. Von allen Grup­pen­ers­ten schaff­te es gera­de mal Spa­ni­en, sich nach einem freud­lo­sen Spiel gegen die Ita­lie­ner durch­zu­set­zen – aber auch nur, weil deren Elf­me­ter­glück nach dem Ber­li­ner WM-Fina­le bis min­des­tens 2044 auf­ge­braucht ist. Por­tu­gal schei­ter­te an den Deut­schen, die zur Über­ra­schung aller ein gutes Spiel ablie­fer­ten, die Kroa­ten, die wirk­ten als hät­te man ihnen das mit Elf­me­ter­schie­ßen erst nach Ende der Ver­län­ge­rung erklärt, schei­ter­ten letzt­lich an der unfass­ba­ren Last-Minu­te-Macht der Tür­ken.

Um die dem Tur­nier inne­woh­nen­de Tra­gik auf die Spit­ze zu trei­ben, erwisch­te es im Halb­fi­na­le aus­nahms­wei­se mal die Tür­kei in der letz­ten Minu­te, wor­auf­hin Deutsch­land ver­se­hent­lich im Fina­le stand, in das am Fol­ge­tag die Spa­ni­er ein­zo­gen. Auch Guus Hidd­inks Rus­sen, die sich im ers­ten Grup­pen­spiel gegen Spa­ni­en trick­reich tot­ge­stellt und danach alles domi­niert hat­ten, konn­ten die Ibe­rer (Sport­jour­na­lis­mus geht nicht ohne The­sau­rus) nicht mehr stop­pen.

Im Fina­le muss­te Spa­ni­en nur noch Deutsch­land schla­gen, was dann auch kein Pro­blem mehr war, weil die Deut­schen neben Phil­ipp Lahm und Jens Leh­mann aus­schließ­lich Dop­pel­gän­ger ihrer Stamm­elf auf­ge­stellt hat­ten. Beim ein­zi­gen Gegen­tor kamen sich kon­se­quen­ter­wei­se Lahm und Leh­mann in die Que­re.

Dies Spa­ni­er wur­den völ­lig ver­dient Euro­pa­meis­ter und bewie­sen bei der Pokal­über­ga­be auch noch, dass sie deut­lich bes­ser erzo­gen sind als die Ita­lie­ner, die sich den Cup vor zwei Jah­ren ein­fach selbst ver­lie­hen hat­ten. Michel Pla­ti­ni wirk­te wie ein Leh­rer auf Klas­sen­fahrt, als er inmit­ten der spa­ni­schen Spie­ler die am wenigs­ten häss­li­che Sport­tro­phäe der Welt (man ist ja schon für Klei­nig­kei­ten dank­bar) Iker Cas­il­las in die Hand drück­te.

Deutsch­land
Die eigent­li­che Sen­sa­ti­on ereig­ne­te sich bereits am 8. Juni: Deutsch­land gewann ein EM-Spiel. Viel mehr hat­ten sich Joa­chim Löw und sei­ne Mann­schaft wohl nicht vor­ge­nom­men, wes­we­gen man im dar­auf­fol­gen­den Spiel gegen Kroa­ti­en ein­fach mal alles (außer dem eige­nen Harn) lau­fen ließ. Ich habe glück­li­cher­wei­se die zwei­te Halb­zeit ver­schla­fen und wur­de erst pünkt­lich zur roten Kar­te gegen Bas­ti­an Schwein­stei­ger wie­der wach. Ver­mut­lich zum letz­ten Mal in der Natio­nal­mann­schaft gese­hen haben wir David Odon­kor, bei Mario Gomez wird sehr, sehr viel Auf­bau­ar­beit nötig sein.

Gegen Öster­reich erleb­te man end­lich wie­der die klas­si­sche deut­sche Tur­nier­mann­schaft wie bei der EM ’96 oder der WM 2002: schwach spie­len, hin­ten sau­ber hal­ten, vor­ne eine Stan­dard­si­tua­ti­on aus­nut­zen, wei­ter­kom­men. Gegen Por­tu­gal sieg­te dann Bas­ti­an Schwein­stei­ger im Allein­gang, wie er das jetzt offen­bar immer gegen Por­tu­gal machen will, und gegen die Tür­kei war Deutsch­land so unfass­bar schlecht, dass es ein­zig und allein dem grund­sym­pa­thi­schen Phil­ipp Lahm und des­sen Sieg­tor zu ver­dan­ken war, dass ich mir das Fina­le über­haupt anse­hen woll­te. Das Trau­ma des Halb­fi­nals, dass man sich über einen völ­lig unver­dien­ten Sieg freu­en soll­te, wie­der­hol­te sich ges­tern Abend dann zum Glück nicht: Nach zehn Minu­ten Fuß­ball woll­te das Deut­sche Team auch mal „was mit Rasen“ machen und ser­vier­te den Spa­ni­ern die Tor­chan­cen auf einem Sil­ber­ta­blett mit Pla­tin­in­tar­si­en. Wenn man der spa­ni­schen Mann­schaft einen Vor­wurf machen kann, dann den, dass ihre Chan­cen­aus­beu­te genau­so schlecht war wie bei allen ande­ren Mann­schaf­ten ab dem Vier­tel­fi­na­le. Ich möch­te hier­mit die neue Regel vor­schla­gen, dass, wenn zwei Mann­schaf­ten es nicht schaf­fen, inner­halb von 120 Minu­ten wenigs­tens ein Tor zu schie­ßen, ein­fach bei­de aus dem Tur­nier aus­schei­den.

Nicht uner­wähnt blei­ben soll­te Ange­la Mer­kel, die im Sta­di­on nicht nur die wich­tigs­te Ent­schei­dung ihrer bis­he­ri­gen Amts­zeit traf (Bas­ti­an Schwein­stei­ger moti­vie­ren), son­dern auf der Tri­bü­ne und im Inter­view ein­mal mehr ihren Fuß­ball­sach­ver­stand bewies. Ich möch­te sie hier­mit ganz ehr­lich als kom­men­de DFB-Prä­si­den­tin vor­schla­gen, was sicher auch im Hin­blick auf 2011 ein schö­nes Signal wäre.

Regeln & Schieds­rich­ter
Die schon län­ger bestehen­de Rege­lung, dass in der Grup­pen­pha­se bei Punkt­gleich­heit der direk­te Ver­gleich zäh­le, sorg­te dank des gut aus­ge­ar­bei­te­ten Spiel­plans dafür, dass gleich drei Grup­pen­sie­ger schon vor dem letz­ten Spiel fest­stan­den, wes­we­gen sie ent­spre­chend mit einer B- bis C‑Mannschaft (Oma der Nach­ba­rin des Bus­fah­rers) auf­lie­fen. Ande­rer­seits gab es so in jeder Grup­pe ein End­spiel um den zwei­ten Tabel­len­platz. Das zwi­schen der Tür­kei und Tsche­chi­en schrieb Fuß­ball­ge­schich­te, als die Tsche­chen es in den letz­ten Spiel­mi­nu­ten nicht schaff­ten, den Ball auch nur in die Nähe des tür­ki­schen Tores zu schla­gen, in dem seit der roten Kar­te gegen den tür­ki­schen Tor­wart ein Feld­spie­ler stand. Außer­dem gab es noch eine gel­be Kar­te für einen Ersatz­spie­ler auf der Bank.

Die WM 2006 hat­te den unver­dien­ten Elf­me­ter der Ita­lie­ner (ja, ich weiß, dass das ein Pleo­nas­mus ist) gegen die Aus­tra­li­er und die drei gel­ben Kar­ten gegen Josip Simu­nic in einem Spiel, ist mir aber sonst nicht durch grö­ße­re Schieds­rich­ter-Inkom­pe­ten­zen in Erin­ne­rung geblie­ben. Dies­mal war es anders: die Fehl­ent­schei­dun­gen häuf­ten sich und bei man­chen Sze­nen frag­te man sich, ob man – so das wirk­lich die Eli­te der euro­päi­schen Unpar­tei­ischen sein soll­te – in Zukunft bei einer EM nicht bes­ser Kol­le­gen aus Tri­ni­dad und Toba­go ein­flie­gen soll­te. Gab es vor Spie­len Geschrei um die Natio­na­li­tät eines Schieds­rich­ters (der Deut­sche bei Spa­ni­en – Ita­li­en, der Schwei­zer bei Deutsch­land – Tür­kei, der Ita­lie­ner im Fina­le), gaben sich die­se größ­te Mühe, die Beden­ken zu zer­streu­en, in dem sie kon­se­quent gegen die von ihnen ver­meint­lich bevor­zug­te Mann­schaft pfif­fen. Nur beim Hand­spiel Leh­manns an der Straf­raum­li­nie bei erschöpf­tem Aus­wech­sel­kon­tin­gent zwan­zig Minu­ten vor Schluss kam den Deut­schen mal die Inkom­pe­tenz des Schi­ri-Gespanns ent­ge­gen.

Der Tief­punkt war da frei­lich schon lan­ge erreicht gewe­sen: die Ver­ban­nung bei­der Trai­ner auf die Tri­bü­ne im Spiel Öster­reich – Deutsch­land war eine gefähr­li­che Mischung aus den Ego-Pro­ble­men des soge­nann­ten vier­ten Offi­zi­el­len und der Unent­spannt­heit des spa­ni­schen Schieds­rich­ters. Die UEFA bewies Humor, indem sie bei­de Trai­ner für je ein Spiel sperr­te und eben jenen Spa­ni­er im Vier­tel­fi­na­le gegen Por­tu­gal als vier­ten Mann auf­stell­te. Wo er dann auch kurz davor stand, wenigs­tens den por­tu­gie­si­schen Trai­ner auf die Tri­bü­ne schi­cken zu las­sen.

Immer­hin eine Schieds­rich­ter-Ent­schei­dung blieb posi­tiv in Erin­ne­rung: im Spiel Hol­land – Ita­li­en wuss­te der Schieds­rich­ter, dass das ver­meint­li­che Abseits­tor kei­nes war (also kein Abseits, ein Tor war es ja sehr wohl).

Fern­se­hen
Schlim­mer als Schieds­rich­ter und Deut­sche waren immer­hin noch die Leu­te, die uns den Fuß­ball ins Haus brin­gen: es ging gar nichts. Nichts.

Béla Réthy, von den Print­kol­le­gen merk­wür­di­ger­wei­se immer über den grü­nen Klee gelobt, nervt nur. Er redet in einem fort, nur als im Halb­fi­na­le plötz­lich das Bild aus­fiel und man auf sein Gequas­sel ange­wie­sen war, wur­den sei­ne Sät­ze knap­per. Tom Bartels kann selbst Fuß­ball­kri­mis zum Sand­männ­chen degra­die­ren, so dass man ges­tern Angst haben muss­te, die deut­schen Spie­ler hät­ten ver­se­hent­lich sei­nen Kom­men­tar aufs Ohr bekom­men und sei­en des­halb so müde. Stef­fen Simon ist einer die­ser Men­schen, die beim Ita­lie­ner „brusket­ta“ und „jnok­ki“ bestel­len, weil sie mal ein Semes­ter in der Volks­hoch­schu­le waren. Beson­ders pein­lich wur­de es immer dann, wenn er einen aus­län­di­schen Namen zum gefühlt hun­derts­ten Mal vor­ge­turnt hat­te, und man anschlie­ßen den mut­ter­sprach­li­chen Sta­di­on­spre­cher etwas ähn­li­ches, aber doch ganz ande­res sagen hör­te. Wie wohl­tu­end boden­stän­dig war dage­gen Wolf-Die­ter Posch­mann, der alles so aus­sprach wie man’s schreibt.

Beck­mann und Ker­ner gehen per se nicht, in kei­ner Rol­le und auf kei­nem Sen­der, mit Net­zer und Del­ling soll­te lang­sam auch mal gut sein, Jür­gen Klopp ist mir unsym­pa­thisch. Urs Mey­er geht, der groß­ar­ti­ge Meh­met Scholl kam bei Beck­mann (s.o.) nicht wirk­lich zur Ent­fal­tung. Moni­ka Lier­haus wirk­te bei den Trai­ner­in­ter­views immer wie Kai Diek­mann bei der Papst­au­di­enz (außer in dem unpas­sen­den Moment, wo sie end­lich mal jour­na­lis­tisch wir­ken woll­te) und Kat­rin Mül­ler-Hohen­stein … ach ja. Als ich es ein­mal nicht mehr aus­hielt mit Béla Réthy und im Radio wei­ter­hö­ren woll­te, war dort grad Sabi­ne Töp­per­wi­en am Mikro­fon und rela­ti­vier­te wie­der eini­ges, wenn auch nicht alles, was ich schlechts über Réthy zu sagen hät­te.

Es sei an die­ser Stel­le nur noch ein­mal dar­auf hin­ge­wie­sen: die­se Kom­men­ta­to­ren, Mode­ra­to­ren und sons­ti­gen Sport­jour­na­lis­ten­dar­stel­ler wer­den von uns allen bezahlt. Gutes Per­so­nal ist halt schwer zu fin­den.

Die Fans
Was soll das eigent­lich mit die­sem „Schland“ und wann und wo hat das ange­fan­gen? An die Beflag­gung von Wohn­häu­sern und Auto­mo­bi­len hat man sich zwei Jah­re nach der Geburt des „posi­ti­ven Patrio­tis­mus“ inzwi­schen gewöhnt, die Reichs­par­tei­tags­ver­wei­se sind längst nur noch Brauch­tum und Iro­nie.

Wie undog­ma­tisch die Deut­schen sind zeig­te sich immer wie­der, wenn die glei­chen Leu­te, die mor­gens beim „Bild“-Kauf über die Ben­zin­prei­se jam­mer­ten, Abends beim Auto­kor­so (nach dem Öster­reich-Spiel!) den Gegen­wert eines Final­ti­ckets in den Innen­städ­ten ver­brann­ten. Auch die Bou­le­vard­pres­se schaff­te die­sen Spa­gat, indem sie vor dem Halb­fi­na­le gegen die Tür­kei gleich­zei­tig zu Frei­heit, Gleich­heit, Brü­der­lich­keit auf­rief und für die kom­men­de Nacht bür­ger­kriegs­ähn­li­che Zustän­de vor­aus­sag­te.

Das Cof­fee-And-TV-Redak­ti­ons­team bewies sei­ne gro­ße Fuß­ball­kom­petnz, indem es sich vor dem Eröff­nungs­spiel mit Fah­nen ein­deck­te, die alle­samt zum Ende der Vor­run­de ein­ge­holt wer­den konn­ten: Schwe­den, Grie­chen­land und die Schweiz spiel­ten unge­fähr so gut, wie wir tipp­ten. In der fami­li­en­in­ter­nen Tipp­run­de muss­te ich mich nicht nur mei­nem Bru­der, son­dern auch mei­nen Eltern und mei­ner Schwes­ter geschla­gen geben. Aber als Borus­sia-Mön­chen­glad­bach-Fan ist man lei­den gewohnt.

So geht’s wei­ter …
Am 9./10. August star­tet der DFB-Pokal, eine Woche spä­ter die Bun­des­li­ga. Mön­chen­glad­bach ist wie­der da, wo es hin­ge­hört, der MSV Duis­burg auch.

Die Natio­nal­mann­schaft wird sich für die WM 2010 qua­li­fi­zie­ren und wenn sie da plötz­lich die Leis­tun­gen aus so man­chen Qua­li­fi­ka­ti­ons­spie­len und dem EM-Vier­tel­fi­na­le wie­der­ho­len, könn­te das schon was wer­den. Außer­dem spricht 2006: 3., 2008: 2. für 2010: 1. Die ein­zi­ge Alter­na­ti­ve wäre eine gol­de­ne Gene­ra­ti­on im deut­schen Team: wie die Por­tu­gie­sen immer schön spie­len und Favo­rit sein, es dann aber nie schaf­fen. Die Rol­le des ewig erfolg­lo­sen Geheim­fa­vo­ri­ten ist seit ges­tern Abend unbe­setzt.

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Rundfunk Gesellschaft

Herdenprämie

Frü­her, als Fuß­bäl­le noch aus Schwei­ne­bla­sen her­ge­stellt wur­den und das ein­zi­ge Bild­schirm­emp­fangs­ge­rät einer Gemein­de in der ört­li­chen Gast­stät­te stand, traf sich die Dorf­ge­mein­schaft zu wich­ti­gen Ereig­nis­sen wie dem Gewinn einer Fuß­ball­welt­meis­ter­schaft in der voll­ge­qualm­ten Gast­stu­be und schau­te sich die Über­tra­gung im Kol­lek­tiv und im Schwarz-Weiß-Fern­se­her an. Spä­ter hat­ten immer mehr Men­schen einen eige­nen Fern­se­her, der sogar Farb­bil­der dar­stel­len konn­te, und man guck­te den Gewinn von Welt- und Euro­pa­meis­ter­schaf­ten im hei­mi­schen Wohn­zim­mer.

Vor zwei Jah­ren fin­gen die Deut­schen dann wie­der an, sich in gro­ßen Grup­pen auf öffent­li­chen Plät­zen zu ver­sam­meln und ihre Natio­nal­flag­ge zu schwen­ken. Sehr zur Freu­de der rest­li­chen Welt ver­zich­te­ten sie dabei aber auf die gan­zen ande­ren Ele­men­te ihres merk­wür­di­gen Brauch­tums. Statt­des­sen guck­ten sie auf eine Groß­bild­lein­wand und lausch­ten sogar den Aus­füh­run­gen der Sport­jour­na­lis­ten­dar­stel­ler Rein­hold Beck­mann, Johan­nes B. Ker­ner und Bèlá Rêthý, ohne dadurch zum maro­die­ren­den Mob zu wer­den. Vor allem das muss man den Deut­schen sehr hoch anrech­nen.

Die­ses öffent­li­che Gucken nann­ten die glei­chen Mar­ke­ting­ex­per­ten, die sich so genia­le phan­ta­sie­sprach­li­che For­mu­lie­run­gen wie „Han­dy“, „Powered by emo­ti­on“ oder jetzt „We love the new“ aus der Nase gezo­gen haben, „Public Vie­w­ing“. Zyni­ker über­setz­ten das mit „Völ­ki­scher Beob­ach­ter“, ande­re wuss­ten zu berich­ten, dass man die öffent­li­che Auf­bah­rung von Toten in den USA so nen­ne (was natür­lich stimmt, aber genau­so wie das gemein­sa­me Fern­se­hen nur einen klei­nen Teil der Bedeu­tung des Begriffs aus­macht).

Im Vor­feld der Fuß­ball-Euro­pa­meis­ter­schaft bat der Jugend­ra­dio­sen­der Eins­li­ve sei­ne Hörer um Alter­na­tiv­vor­schlä­ge zum Begriff „Public Vie­w­ing“ und bekam eini­ges an Zusen­dun­gen. In einer Abstim­mung ent­schied sich das Publi­kum für den Begriff „Rudel­gu­cken“, der seit­dem bei Eins­li­ve mit an Bru­ta­li­tät gren­zen­der Vehe­menz pro­mo­tet wird. Irgend­wie mag ich den Klang des Wor­tes nicht – es erin­nert pho­ne­tisch viel zu sehr an „Rudel­bum­sen“ und hat auch sonst einen nega­ti­ven Bei­klang.

Ana­tol vom sehr emp­feh­lens­wer­ten Bre­mer Sprach­blog fasst die­sen ganz gut in Wor­te:

da klingt doch über­all die Ver­ach­tung der­je­ni­gen durch, die Fuß­ball lie­ber gepflegt zu Hau­se, oder, noch bes­ser, gar nicht gucken.

Das wirk­lich Inter­es­san­te ist aber: im Gegen­satz zu den pein­li­chen Aktio­nen, die die gru­se­li­ge „Stif­tung deut­sche Spra­che“ regel­mä­ßig durch­führt (im Moment sucht sie übri­gens ein deut­sches Pen­dant für … äh: „Public Vie­w­ing“) scheint der Begriff „Rudel­gu­cken“ sofort Ein­zug in die All­tags­spra­che vie­ler (vor allem jun­ger) Men­schen gefun­den zu haben. Goog­le fin­det der­zeit 71.000 Such­ergeb­nis­se, fragt aber auch, ob man nicht „rudel gur­ken“ gemeint haben könn­te. Die­ser Vor­gang ist durch die geziel­te Plat­zie­rung durch einen Radio­sen­der zwar eini­ger­ma­ßen unna­tür­lich, aber das war die Ver­brei­tung von „Public Vie­w­ing“ ja auch.

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Musik

„Ich hab 29 Jahre dafür gearbeitet“: Interview mit Gregor Meyle

Am Sams­tag spiel­te Gre­gor Meyle, Zweit­plat­zier­ter bei Ste­fan Raabs Cas­ting­show „SSDSDSSWEMUGABRTLAD“, im Bochu­mer Riff. Nach­dem der Sup­port­act, Ste­ve Sava­ge von den sehr emp­feh­lens­wer­ten Beggars For­tu­ne, schon vom Publi­kum begeis­tert gefei­ert wur­de, leg­ten Gre­gor Meyle und Band noch einen drauf und bescher­ten mir – im Ernst – eines der schöns­ten Kon­zer­te ever. Der Zwi­schen­ruf „Bes­ser als kett­car!“ war so abwe­gig nicht.

Dass Gre­gor Meyle nicht nur ein tol­ler Song­schrei­ber und Musi­ker, son­dern auch ein sehr sym­pa­thi­scher Gesprächs­part­ner ist, hat er vor dem Kon­zert bewie­sen, als er uns im Schat­ten des Bahn­damms ein Inter­view gab.

Und das kön­nen Sie jetzt hier sehen:

[Direkt­link]

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Unterwegs

Mein Berlin

Weil ich ja eh schon mal mit der Video­ka­me­ra in Ber­lin war und in den ver­gan­ge­nen Jah­ren tou­ris­tisch schon wirk­lich alles abge­klap­pert hat­te, was da war, habe ich mir dies­mal gedacht: Sei doch ein biss­chen altru­is­tisch und gib dei­nen Lesern, die viel­leicht noch nie in Ber­lin waren, viel­leicht nächs­te Woche hin­wol­len, auch etwas mit.

Her­aus­ge­kom­men ist ein klei­ner Film, der völ­lig unprä­ten­ti­ös „Mein Ber­lin“ heißt und den man sich bei You­Tube anse­hen kann. Oder gleich hier:

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Gesellschaft

„Grüß dich ins Knie!“

Tho­mas Knü­wer schrieb heu­te Mor­gen über Star­bucks, die Hass­lie­be jedes auf­rech­ten Kof­fe­in-Jun­kies, und den dor­ti­gen Ser­vice. Es dau­er­te exakt vier Kom­men­ta­re, bis sich die Ers­te über „die­se dröh­nen­de Supi-ich-hab-dich-lieb-Kun­de-Fröh­lich­keit“ beklag­te, und obwohl ich nach wie vor nicht viel von Bezeich­nun­gen wie „typisch deutsch“ hal­te, wuss­te ich augen­blick­lich, dass ich mal wie­der auf ein klas­sisch deut­sches Dilem­ma gesto­ßen war: Freund­lich­keit macht den Deut­schen miss­trau­isch. Edu­ard Zim­mer­mann und Ali­ce Schwar­zer haben ihre jewei­li­gen Lebens­wer­ke dar­auf ver­wen­det, dass man in Deutsch­land immer damit rech­net, gleich über­fal­len oder ver­ge­wal­tigt zu wer­den, sobald mal jemand freund­lich zu einem ist.

Spricht man mit Men­schen über die Dienst­leis­tungs­men­ta­li­tät in Deutsch­land (führt also eine eher hypo­the­ti­sche Dis­kus­si­on), wird man häu­fig von der „auf­ge­setz­ten Freund­lich­keit der Ame­ri­ka­ner“ hören. Wie so oft bei anti­ame­ri­ka­ni­schen Vor­ur­tei­len ver­ste­hen die Kri­ti­ker ame­ri­ka­ni­schen Umgangs­for­men nicht und/​oder waren selbst noch nie in den USA. Und, zuge­ge­ben: Als ich im letz­ten Jahr drei Mona­te in San Fran­cis­co leb­te, war ich anfangs auch genervt von „Hi, how are you?“ und „Have a nice day“, bis mir däm­mer­te, dass die­se Freund­lich­kei­ten tat­säch­lich mei­ner Lau­ne zuträg­lich waren. Der Vor­wurf „Das inter­es­siert doch kei­nen, wie es einem geht“, mag ja stim­men, nur inter­es­siert das in Deutsch­land auch nie­man­den. Auch auf die Gefahr hin, Sie schwer zu ent­täu­schen: Solan­ge es sich nicht um Ihre bes­ten Freun­de, aus­ge­wähl­te Fami­li­en­mit­glie­der oder Ihren The­ra­peu­then han­delt, inter­es­siert es kei­ne Sau, wie es Ihnen geht. Also machen Sie sich nicht die Mühe, an Ihr aktu­el­les Befin­den zu den­ken, an das gan­ze Elend, das sie gera­de durch­ma­chen – ver­drän­gen Sie’s und sagen Sie „Bes­tens, Dan­ke! Und selbst?“

„Wer die Musik bezahlt, bestimmt was gespielt wird“, lau­tet ein Sprich­wort und ange­denk des­sen, was man sich in man­chen Super­märk­ten, Beklei­dungs­fach­ge­schäf­ten und Elek­tro­märk­ten als zah­len­der Kun­de bie­ten las­sen muss, könn­te man fast anneh­men, die Läden sei­en in Wahr­heit gut­ge­tarn­te Light-Vari­an­ten eines Domi­na-Stu­di­os. „Wer ficken will, muss freund­lich sein“, lau­tet ein ande­res Sprich­wort und der auf­merk­sa­me Beob­ach­ter wird fest­stel­len, dass an mög­li­che Bett­part­ner somit deut­lich höhe­re Anfor­de­run­gen gestellt wer­den als an Ver­käu­fe­rin­nen. Trotz­dem haben mehr Leu­te Sex als einen Arbeits­platz im Dienst­leis­tungs­sek­tor.1

Beson­ders kon­ser­va­ti­ve Zeit­ge­nos­sen wer­den – „Freund­lich­keit hin oder her!“ – auch die Mei­nung ver­tre­ten, die­se „Boden­stän­dig­keit“ lie­ge nun mal im Wesen des Deut­schen, lächeln hin­ge­gen nicht. Nun weiß ich nicht, wie viel Pro­zent des Frem­den­ver­kehrs in Deutsch­land auf Leu­te ent­fal­len, die extra hier­her kom­men, um einen brum­me­li­gen Ber­li­ner Taxi­fah­rer oder einen pam­pi­gen Köbes in einem Köl­ner Brau­haus zu begu­cken. Aber wür­de man sol­che Leu­te über­haupt ken­nen­ler­nen wol­len?

Haben Sie noch einen schö­nen Tag!

1 Inwie­weit der inne­re Zwang eini­ger Deut­scher, immer und über­all rau­chen zu wol­len, damit zusam­men­hängt, möge ein jeder bit­te selbst ergrün­den.

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„You can say ‚you‘ to me!“

Die Anre­de im Eng­li­schen öff­net Miss­ver­ständ­nis­sen Tür und Tor. Da ist zum einen die Sache mit den Vor­na­men, die kürz­lich in mei­nem neu­en Lieb­lings-Blog USA Erklärt sehr anschau­lich beschrie­ben wur­de (nun ja, ‚anschau­lich‘ ist das fal­sche Wort für einen Sach­ver­halt, der in sei­ner Kom­ple­xi­tät der Kern­spal­tung in nichts nach­steht – dann eben ‚gut beschrie­ben‘). Zum ande­ren ist da die Sache mit dem Per­so­nal­pro­no­men „you“, das Deut­sche schon mal als „Du“ ver­ste­hen, und sich des­halb freu­en oder wun­dern, dass sich die Nati­ve Spea­k­er des Eng­li­schen alle duzen. Die Wahr­heit ist ungleich kom­ple­xer. Ganz knapp: Der eng­li­schen Spra­che ist das „Du“ („thou“/„thy“) im Lau­fe der Jahr­hun­der­te abhan­den gekom­men und exis­tiert heu­te nur noch in Shakespear’schen Dra­men, der Bibel und ähn­li­chen Tex­ten frü­he­rer Tage.

War­um die­se läng­li­che Ein­lei­tung aus dem Bereich der Sprach­wis­sen­schaf­ten? Zum einen habe ich vor weni­gen Tagen einen Stu­di­en­ab­schluss in Anglis­tik erlangt, zum zwei­ten muss man sich die­se Situa­ti­on vor Augen füh­ren, wenn es um die schwie­ri­ge Arbeit der Inter­view-Über­set­zung in deutsch­spra­chi­gen Redak­tio­nen geht.

Dirk Peitz hat für jetzt.de ein Inter­view mit Fran Hea­ly und Dou­gie Pay­ne von Tra­vis geführt. Die Musi­ker wer­den sich mit „Hi, I’m Fran“ bzw. „Hel­lo, I’m Dou­gie“ vor­ge­stellt haben (obwohl sie davon aus­ge­hen kön­nen, dass ein Inter­view­er wenigs­tens die Namen sei­ner Gesprächs­part­ner kennt – sie sind eben gut erzo­gen) und im Gespräch wird man sich, wie all­ge­mein üblich, mit „you“ ange­spro­chen haben. Da Inter­views grund­sätz­lich in über­setz­ter Form gedruckt wer­den, muss­te nun das eng­li­sche Gespräch in einen deutsch­spra­chi­gen Text umge­wan­delt wer­den, und irgend­je­mand kam bei der frü­he­ren Jugend­bei­la­ge der SZ auf die Idee, man kön­ne doch die Musi­ker in der Über­set­zung ein­fach mal sie­zen.

Das kann man machen, um sich so von vor­ne­her­ein vom Vor­wurf der Anbie­de­rung frei­zu­ma­chen. Man kann es auch machen, um sei­nen Gesprächs­part­nern den nöti­gen Respekt zu erwei­sen (schon Max Goldt hat sich in sei­nem Text „Was man nicht sagt“ dafür aus­ge­spro­chen, Musi­ker nicht als „Jungs“ und „Mädels“ zu bezeich­nen – sie zu sie­zen wäre also auch nur kon­se­quent). Man kann es sogar machen, um zu bewei­sen, dass man das mit dem „Du“ und „Sie“ im Eng­li­schen sehr, sehr gut ver­stan­den hat. Aber egal, wie die Grün­de gelau­tet haben mögen, sie wer­den bei den (zumeist jugend­li­chen) Lesern Ver­wir­rung aus­lö­sen:

SZ: Sie haben sich fast vier Jah­re Zeit gelas­sen, um Ihr neu­es Album auf­zu­neh­men. Was haben Sie so lan­ge getrie­ben?

Fran Hea­ly: Es gibt die­ses Sprich­wort im Musik­ge­schäft: Für dein ers­tes Album brauchst du 23 Jah­re, doch für jedes wei­te­re geben dir die Plat­ten­fir­men nur noch sechs Mona­te.

„Mut­ti, war­um siezt der Jour­na­list die­sen ver­eh­rens­wer­ten Musi­ker und die­ser Rock­star-Stof­fel duzt dann ein­fach zurück?“, wer­den natür­lich die wenigs­ten Zahn­span­gen­trä­ge­rin­nen mor­gen am Früh­stücks­tisch ihre Stu­di­en­rä­tin-Mut­ter fra­gen. Täten sie es nur! Die Mut­ti wür­de erst den gan­zen Ser­mon, den ich oben schon geschrie­ben habe, wie­der­ho­len, und dann erklä­ren, dass „you“ ja auch für „man“ ste­hen kann und das Sprich­wort von wirk­lich umsich­ti­gen Redak­teu­ren des­halb mit „Für sein ers­tes Album braucht man 23 Jah­re, doch für jedes wei­te­re geben einem die Plat­ten­fir­men nur noch sechs Mona­te“, über­setzt wor­den wäre. Viel­leicht wür­de sie aber auch nur sagen: „Gabrie­le, iss Dei­ne Cerea­li­en und frag das Dei­nen Eng­lisch­leh­rer, den fau­len Sack!“

Absur­der als das auf­ge­führ­te Bei­spiel ist übri­gens die Ange­wohn­heit der Redak­ti­on des sehr guten Inter­view­ma­ga­zins Galo­re, jede auf­kom­men­de Anre­de in ein „Sie“ umzu­wan­deln. Die­se auto­ma­ti­sier­te Anglei­chung flog spä­tes­tens auf, als Cam­pi­no, der ja nun wirk­lich jeden duzt, den Inter­view­er plötz­lich mit „Sie“ ansprach.
Noch absur­der war der Auf­tritt von Jan Ull­rich bei Rein­hold Beck­mann. Aber das lag nicht nur an der Schief­la­ge in den Anre­den.