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Musik

Sie haben uns ein Denkmal gebaut

Am ver­gan­ge­nen Frei­tag erschien „Sound­so“, das drit­te Album von Wir Sind Hel­den. Hier mei­ne paten­tier­te Track-by-track-Ana­ly­se:

(Ode) An die Arbeit
Es bedarf schon eini­ges Mutes, sein Album mit einem fun­ki­gen Sprech­ge­sang zu begin­nen. Die Hel­den haben Mut und plau­dern sich durch einen Track, der die elen­de Gesell­schafts­kri­tik band­ty­pisch mit zwei zwin­kern­den Augen auf den Punkt bringt: „Du bist Preu­ßen!“

Die Kon­kur­renz
Noch mehr Arbeits­welt-Meta­pho­rik für „Neon“-Leser und „Polylux“-Zuschauer. „Sag’s mir, Hip­pie­kind!“ soll­te drin­gend als geflü­gel­tes Wort in die deut­sche Spra­che ein­ge­hen. Musi­ka­lisch (mit Blä­sern auf­ge­hübscht) ganz nett, aber einer der schwä­che­ren Songs des Albums.

Sound­so
Aus einem Hea­vy-Metal-Gitar­ren­so­lo ent­spinnt sich eine melan­cho­li­sche Mid­tem­po-Num­mer, die im Refrain zu „Du erkennst mich nicht wieder“-mäßigen Höhen erwächst. Ein Lied über Anders­sein und Schub­la­den­den­ken, ein Lied, das aber auch zeigt, dass Wir Sind Hel­den nicht nur Text, son­dern auch Musik sind.

Für nichts garan­tie­ren
Wenn man schon Tele-Sän­ger Fran­ces­co Wil­king als Gast­sän­ger ver­pflich­ten kann (der Gegen­be­such für Judith Holo­fer­nes‘ Gesang auf „Wovon sol­len wir leben“), muss man auch ein biss­chen nach Tele klin­gen. Und das klappt bes­tens, denn musi­ka­lisch ist das genau die rich­ti­ge Kra­gen­wei­te mit leich­tem Schun­kel­beat und ent­spann­ten Blä­sern. Text­lich ist das dann wohl das Eltern-Lied der Plat­te, denn Frau Holo­fer­nes und Schlag­zeu­ger Pola Roy sind ja jüngst Eltern eines klei­nen Jun­gen gewor­den.

Kaputt
Noch ein Lied übers Anders­sein, über kaput­te Fami­li­en und das Gefühl, auf­ge­ben zu wol­len: „Es ist okay – jeder soll flie­hen der kann /​ Wenn du den Flucht­wa­gen fährst /​ Schnall dich an“. Das ist ja über­haupt etwas, was die Band seit ihrem Debüt per­fekt beherrscht: Sie ver­mit­teln dem Hörer das Gefühl, ver­stan­den zu wer­den, und fas­sen das in Wor­te, was er selbst nicht beschrei­ben kann.

Laby­rinth
Okay, spä­tes­tens hier ist der text­li­che Schwer­punkt des Albums (eigent­lich aller Hel­den-Alben) klar: Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit und Suche. Wel­che Meta­pher wäre da bes­ser geeig­net als „Laby­rinth“. Wie­der Mid­tem­po, wie­der Key­boards, wie­der Nachts auf dem Fahr­rad hören und die Arme aus­brei­ten.

The Geek (Shall Inhe­rit)
Wenn die Serie auf­recht­erhal­ten wird, wird das die vier­te Sin­gle des Albums. Bis­her wur­den mei­ne Hel­den-Favo­ri­ten („Denk­mal“, „Wenn es pas­siert“) näm­lich immer als letz­tes aus­ge­kop­pelt. Und das hier ist sowas von mein Favo­rit: Anders­sein, natür­lich. „Die Ver­letz­ten sol­len die Ärz­te sein /​ Die Letz­ten sol­len die Ers­ten sein /​ Die Ers­ten sehen als Letz­te ein: /​ The Geek shall inhe­rit the earth“ wird bit­te jetzt sofort vor jeder Schu­le in Mar­mor gemei­ßelt. Wer sein Leben lang nicht dazu gehör­te, hat jetzt end­lich – von denn Weezer-Alben mal ab – sei­ne ganz per­sön­li­che Natio­nal­hym­ne. Ich muss drin­gend Kraft­trai­ning machen, um mir den kom­plet­ten Text auf den Ober­arm täto­wie­ren las­sen zu kön­nen.
Ist übri­gens auch musi­ka­lisch ein tol­ler Song und das kett­car-mäßigs­te, was die Hel­den bis­her hat­ten.

End­lich ein Grund zur Panik
Die Vor­ab­sin­gle. Wie schon „Gekom­men um zu blei­ben“ ein Lied, das man nicht erwar­tet hät­te: Die Hel­den wie­der laut, wie­der wild, Frau Holo­fer­nes schreit wie­der. Der Song hät­te auch aufs Debüt­al­bum gepasst und ist text­lich eigent­lich die ein­zig not­wen­di­ge Ant­wort auf Wolf­gang Schäubles Gene­ral­pa­nik­ma­chung. Ach ver­dammt, jetzt hab ich die Hel­den schon wie­der als „Sprach­rohr einer Gene­ra­ti­on“ miss­han­delt …

Der Krieg kommt schnel­ler zurück als du denkst
Super­ti­tel, was? Für ein Kind der Acht­zi­ger, das ich bin, ist die heu­ti­ge Zeit natür­lich regel­recht erhol­sam, ver­gli­chen mit dem ato­ma­ren Welt­krieg, der uns damals angeb­lich jeden Tag von neu­em droh­te. Trotz­dem: Wie schnell Regie­run­gen (auch die eige­ne) tat­säch­lich in den Krieg zie­hen, haben wir in den letz­ten acht­ein­halb Jah­ren deut­lich genug gese­hen. Um viel mehr geht’s in dem Lied dann auch nicht, dafür noch die Super-Anspie­lung „Was ist so lus­tig an Lie­be und Frie­den?“

Hän­de hoch
„Es ist vor­bei du bist umstellt /​ Um dich her­um über­all Welt“ – Ja, fan­tas­tisch, was soll man denn nach einem sol­chen Lied­an­fang noch schrei­ben? Ein Lied übers Auf­ge­ben, übers Akzep­tie­ren, das selt­sa­mer­wei­se viel opti­mis­ti­scher klingt, als man es ver­mu­ten wür­de.

Stil­ler
„Ich bin nicht Stil­ler“ – Was? Deutsch-LK mit Max-Frisch-Abi?! Nee, „stil­ler“ als Kom­pa­ra­tiv zu „still“. Na, dann ist ja gut. Eine Bal­la­de über … Ja, Herr­gott: über Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit, übers Akzep­tie­ren, übers Abkap­seln: „Ich bin nicht stil­ler /​ Nur die Wor­te feh­len“.

Lass uns ver­schwin­den
Im Wesent­li­chen gibt es bei Wir Sind Hel­den zwei Sor­ten von Lie­dern, die immer wie­der neu und toll durch­de­kli­niert wer­den: Den lau­ten, gesell­schafts­kri­ti­schen Stamp­fer („Guten Tag“) und die melan­cho­li­sche, per­sön­li­che Bal­la­de („Du erkennst mich nicht wie­der“). Der letz­te Song ist immer die melan­cho­li­sche, per­sön­li­che Bal­la­de und auch in ihrer x‑ten Mani­fes­ta­ti­on ist die­se immer noch anrüh­rend und wun­der­schön. Was ja bei aller Gesell­schafts­kri­tik und dem Sprach­rohr-Geschwur­bel immer wie­der über­se­hen wird: Die per­sön­li­chen Hel­den-Songs waren fast immer noch ein biss­chen bes­ser als die gesell­schafts­kri­ti­schen. So auch hier.

Fazit
Nach dem drit­ten Album kann man sich meis­tens sicher sein, ob eine Band so gut ist, wie man das am Anfang ver­mu­tet hat­te. Mehr als vier Jah­re, nach­dem ich Wir Sind Hel­den für mich ent­deckt und sie vor damals noch zwei­hun­dert laut mit­sin­gen­den (vor der Ver­öf­fent­li­chung des Debüts!) Fans live gese­hen habe, kann ich nun also beru­higt sagen: Ja, die sind so gut. Sie spre­chen einem aus dem Her­zen und der See­le, sie packen das in Wor­te, was man immer schon gedacht hat. Kon­zept­al­ben sind eine doo­fe Erfin­dung und natür­lich ist „Sound­so“ kei­nes, aber die immer wie­der­keh­ren­den The­men (ja ja: Anders­sein, Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit, Schub­la­den­den­ken, …) sind schon deut­lich erkenn­bar. Und wer kennst sich mit Schub­la­den bes­ser aus als das „Sprach­rohr der Gene­ra­ti­on Prak­ti­kum“?

Wir Sind Helden - Soundso (Cover)
Wir Sind Hel­den – Sound­so

VÖ: 25.05.2007
Label: Rekla­ma­ti­on Records/​Labels
Ver­trieb: EMI

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Der doppelte Pfarrer

Eigent­lich woll­te ich nicht mehr so viel über Dins­la­ken blog­gen, aber die The­men lie­gen da im Moment echt auf der Stra­ße

Am Sonn­tag wur­de der Pfar­rer, bei dem ich mei­nen Zivil­dienst abge­leis­tet habe, in den Ruhe­stand ver­ab­schie­det. Ein wich­ti­ges Ereig­nis für sei­ne Gemein­de, ja: für die gan­ze Stadt. Die Bür­ger­meis­te­rin sprach ein Gruß­wort, eben­so die Ver­tre­ter ande­rer Kir­chen­ge­mein­den und diver­ser Ver­ei­ne. Ich war auch da und natür­lich durf­te auch die Lokal­pres­se nicht feh­len. Heu­te konn­te ich dann im Inter­net nach­le­sen (die Print-Ver­sio­nen lie­gen mir noch nicht vor), was ich erlebt hat­te.

Im Online-Ange­bot der NRZ stand:

Der Bet­saal Bruch platz­te am Pfingst­sonn­tag aus allen Näh­ten. So vie­le kamen, um ihren Pfar­rer Karl-Heinz Tacken­berg nach fast 25 Jah­ren in den Ruhe­stand zu ver­ab­schie­den. Got­tes­dienst und Abschieds­fei­er gerie­ten zu einem tages­fül­len­den Pro­gramm. Jugend­lei­te­rin und Mit­ar­bei­ter­pres­by­te­rin Sabi­ne Fischer-Bor­gardts, die mit Pres­by­ter Die­ter Tepel durchs Pro­gramm führ­te, brach­te es auf den Punkt. „Das Pro­gramm dau­ert solan­ge, weil wir uns nicht tren­nen kön­nen.“

Auch die direk­te Kon­kur­renz, die Rhei­ni­sche Post, nähert sich dem Ereig­nis atmo­sphä­risch:

Der Bet­saal Bruch platz­te am Pfingst­sonn­tag aus allen Näh­ten. So vie­le kamen, um ihren Pfar­rer Karl-Heinz Tacken­berg nach fast 25 Jah­ren in den Ruhe­stand zu ver­ab­schie­den. Got­tes­dienst und Abschieds­fei­er gerie­ten zu einem tages­fül­len­den Pro­gramm. Jugend­lei­te­rin und Mit­ar­bei­ter­pres­by­te­rin Sabi­ne Fischer-Bor­gardts, die mit Pres­by­ter Die­ter Tepel durchs Pro­gramm führ­te, brach­te es auf den Punkt. „Das Pro­gramm dau­ert solan­ge, weil wir uns nicht tren­nen kön­nen.“

Erst dach­te ich, ich wäre mög­li­cher­wei­se mit mei­nen zahl­rei­chen Fire­fox-Tabs durch­ein­an­der gekom­men. Dann dach­te ich, ich sei ges­tern ein­fach zu spät ins Bett gegan­gen. Schließ­lich erkann­te ich die unter­schied­li­chen Anfüh­rungs­zei­chen und las wei­ter:

NRZ RP
Super­in­ten­dent Mar­tin Duscha wür­dig­te den viel­fäl­ti­gen Dienst und wies in sei­ner offi­zi­el­len Ent­pflich­tung vom Dienst in der Pfarr­stel­le dar­auf hin, dass nicht alles aus dem Dienst eines Pfar­rers vor Augen liegt, son­dern viel­mehr vie­les im Ver­bor­ge­nen lie­ge. Super­in­ten­dent Mar­tin Duscha wür­dig­te den viel­fäl­ti­gen Dienst und wies in der offi­zi­el­len Ent­pflich­tung Tacken­bergs vom Dienst in der Pfarr­stel­le dar­auf hin, dass nicht alles aus dem Dienst eines Pfar­rers vor Augen, son­dern vie­les im Ver­bor­ge­nen lie­ge.
   
Bür­ger­meis­te­rin Sabi­ne Weiss dank­te Karl-Heinz Tacken­berg für sein Enga­ge­ment im kom­mu­na­len Bereich, beson­ders in der Agen­da­ar­beit. Der katho­li­sche Pas­tor von St. Jako­bus, Gre­gor Wol­ters, sprach Segens­wün­sche aus. Auch die Ver­tre­ter der Ver­ei­ne in der Feld­mark dank­ten für gute Zusam­men­ar­beit. Bür­ger­meis­te­rin Sabi­ne Weiss dank­te Karl-Heinz Tacken­berg für sein Enga­ge­ment im kom­mu­na­len Bereich, beson­ders in der Agen­da­ar­beit. Der katho­li­sche Pas­tor von Sankt Jako­bus, Gre­gor Wol­ters, sprach Segens­wün­sche aus. Auch die Ver­tre­ter der Ver­ei­ne in der Feld­mark dank­ten für die gute Zusam­men­ar­beit.
   

Natür­lich fie­len auch mir die Unter­schie­de gleich ins Auge: Im NRZ-Text könn­te auch der Super­in­ten­dent ent­pflich­tet wor­den sein, in der RP ist es ein­deu­tig der Pfar­rer. Außer­dem ist „Sankt“ bes­ser zu lesen als „St.“ und in der RP steht ein „die“ mehr. Im buch­stäb­lich letz­ten Satz war­tet die RP dann sogar noch mit einer, äh: Über­ra­schung auf:

Als er, beglei­tet von Toch­ter Bet­ti­na, in einem Abschieds­lied zurück und nach vor­ne blick­te, konn­te man­cher der Besu­cher eine weh­mü­ti­ge Trä­ne nicht ver­ber­gen. Als er dann zur Über­ra­schung aller, beglei­tet von Toch­ter Bet­ti­na, in einem Abschieds­lied zurück und nach vor­ne blick­te, konn­te man­cher der zahl­rei­chen Besu­cher eine weh­mü­ti­ge Trä­ne nicht ver­ber­gen.
   

Ich weiß nicht, wie vie­le Dins­la­ke­ner bei­de Lokal­zei­tun­gen (die zumin­dest frü­her auch mal die unter­schied­li­chen poli­ti­schen Lager reprä­sen­tier­ten) lesen – und wie vie­le von denen die­se etwas merk­wür­dig anmu­ten­de Dop­pe­lung bemerkt haben wer­den. Wie vie­le dann noch Lust dar­auf hat­ten, einen pol­tern­den Leser­brief (natür­lich zwei­mal den glei­chen!) an die Lokal­re­dak­tio­nen zu schi­cken, kann ich im Moment nur raten. Selt­sam fin­den kann ich es aber jetzt schon.

Der Autor des Tex­tes der Tex­te ist übri­gens selbst Dins­la­ke­ner Pfar­rer und hät­te des­halb durch­aus einen guten Grund, sei­nem lang­jäh­ri­gen Kol­le­gen und Weg­ge­fähr­ten gleich zwei­mal öffent­lich Tri­but zu zol­len. Die­se Tat­sa­che kann man in der NRZ, für die er des öfte­ren schreibt, aber allen­falls aus dem Autoren­kür­zel, in der Rhei­ni­schen Post (zumin­dest in der Online­aus­ga­be) gar nicht ent­neh­men. Außer­dem muss man sich in der Lokal­re­dak­ti­on der Rhei­ni­schen Post jetzt natür­lich die Fra­ge gefal­len las­sen, ob man kei­nen eige­nen Autor hat­te, der ähn­lich kom­pe­tent, aber viel­leicht aus einem ande­ren Blick­win­kel, über die Ver­ab­schie­dung hät­te berich­ten kön­nen.

Ich bin es inzwi­schen gewohnt, dass rei­ne Nach­rich­ten in den aller­meis­ten Tages­zei­tun­gen und auf Inter­net­sei­ten direkt aus Agen­tur­mel­dun­gen über­nom­men wer­den. Ich bin gewohnt, dass Ver­an­stal­tungs­an­kün­di­gun­gen in Lokal­zei­tun­gen oft genug iden­tisch sind – iden­tisch auch mit den Pres­se­mit­tei­lun­gen der Ver­an­stal­ter. Dass aber die Nach­be­richt­erstat­tung, also die Beschrei­bung eines Ereig­nis­ses, bei dem der Leser ent­we­der dabei war oder von dem er wis­sen will, wie es war; dass also die­se Nach­be­richt­erstat­tung auch nahe­zu iden­tisch ist, sehe ich mit sehr ungu­ten Gefüh­len. Denn gera­de im loka­len Bereich haben die Bürger/​Leser nicht vie­le Quel­len, um sich über Ereig­nis­se zu infor­mie­ren. Wenn in bei­den Zei­tun­gen (fast) das Glei­che steht, ver­lie­ren die­se ihre Unter­schei­dungs­merk­ma­le und über kurz oder lang droht min­des­tens eine von ihnen über­flüs­sig zu wer­den.

Nun ist ein dop­pel­ter Arti­kel über die Ver­ab­schie­dung eines Pfar­rers natür­lich noch nicht gleich der Unter­gang einer plu­ra­lis­ti­schen Pres­se. Jeder Jour­na­list, der dar­über hät­te berich­ten sol­len, hät­te über die ver­schie­de­nen Pro­gramm­punk­te geschrie­ben und die Ver­diens­te des Neu-Pen­sio­närs gewür­digt. Ich bin aber gera­de des­halb der Mei­nung, dass man zwei unter­schied­li­che Tex­te dar­über hät­te schrei­ben sol­len: Wie sieht das denn aus, wenn man mit einer Art Seri­en­brief in den Ruhe­stand ver­ab­schie­det wird?

Die dazu­ge­hö­ri­gen Fotos sind – das sei nicht uner­wähnt gelas­sen – von zwei ver­schie­de­nen Foto­gra­fen zu zwei ver­schie­de­nen Zeit­punk­ten geschos­sen wor­den. Dass die RP-Bild­un­ter­schrift nicht so direkt mit dem Motiv über­ein­stimmt, ist jetzt auch egal.

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Musik

Lieder für die Ewigkeit: Phantom Planet – California

California (Highway No 1)

Ich höre gera­de ein Mix­tape, das ich mir vor ziem­lich exakt fünf Jah­ren auf­ge­nom­men hat­te, weni­ge Tage nach mei­nen schrift­li­chen Abitur­prü­fun­gen. Die­se Zeit war (im Gegen­satz zur Zeit des Stu­di­en­ab­schluss jetzt) von der Aura des Beson­de­ren geprägt, ent­spre­chend Bedeu­tungs­be­la­den wir­ken die dort ver­sam­mel­ten Lie­der auch heu­te noch auf mich. Unter den 24 Songs war einer, der es beson­ders in sich hat­te: „Cali­for­nia“ von Phan­tom Pla­net.

Ich hat­te das Lied (und das dazu­ge­hö­ri­ge, sehr emp­feh­lens­wer­te Power­pop-Album „The Guest“) im Früh­jahr 2002 ent­deckt. „Cali­for­nia“ war eine Hym­ne, Musik­ge­wor­de­ne Lebens­freu­de mit einem win­zi­gen Schuss Melan­cho­lie, kurz­um: ein Lied, das per­fekt in die­se Zeit pass­te. Trotz­dem brach­te es Phan­tom Pla­net nicht den erhoff­ten und ver­dien­ten Durch­bruch in Deutsch­land, auch das selbst­be­ti­tel­te (und längst nicht so gute) Nach­fol­ge­al­bum ging unter.

Ent­spre­chend über­rascht war ich, als „Cali­for­nia“ vor zwei Jah­ren plötz­lich über­all lief: Im Vor­spann der (zumin­dest in der ers­ten Staf­fel ziem­lich unter­halt­sa­men) US-Serie „O.C., Cali­for­nia“ und infol­ge­des­sen auch in allen Radio­sta­tio­nen und Charts. Mei­ne Freu­de, dass end­lich mal ein von mir für gut befun­de­nes Lied so wei­te Ver­brei­tung erfah­ren hat­te, erlitt auf dem Abi­ball mei­ner Schwes­ter einen klei­nen Dämp­fer: Da waren jun­ge Men­schen, die drei Jah­re nach mir ihren Abschluss mach­ten, und auf ihrer Abschluss­fei­er mein Lied gröl­ten, das sie aus einer doo­fen Fern­seh­se­rie kann­ten. Ich fühl­te mich in gewis­ser Wei­se mei­ner Jugend beraubt.

Im ver­gan­ge­nen Jahr war ich für drei Mona­te in San Fran­cis­co und natür­lich durf­te „Cali­for­nia“ auf mei­nem extra für die­sen Auf­ent­halt zusam­men­ge­stell­ten Sam­pler nicht feh­len. Als mich ein Freund aus Deutsch­land besuch­te und wir im Auto den High­way No. 1 Rich­tung San­ta Cruz hin­ab­fuh­ren, sprang der CD-Wechs­ler des Autos auf „The Guest“ um. Die ers­ten Tak­te von „Cali­for­nia“ erklan­gen und obwohl wir uns über das Kli­schee amü­sier­ten, das die­se Sze­ne umgab, pass­te der Song gleich­zei­tig doch per­fekt zu der male­ri­schen, son­nen­durch­flu­te­ten Land­schaft der Pazi­fik­küs­te. Und so san­gen wir „Cali­fooooo­or­nia­aaaaaaaaaaa, here we coooooooooooo­me!“

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Digital Leben

Ich gehöre nicht dazu

Ver­gan­ge­ne Woche wur­de ich von mei­nem bes­ten Freund, den ich seit mei­nem ers­ten Tag am Gym­na­si­um ken­ne (damals woll­te ich ihm eine rein­hau­en), gefragt, war­um ich denn immer noch nicht beim Stu­diVZ ange­mel­dt sei. Da sei­en doch schließ­lich fast all unse­re Freun­de und Bekann­ten aus Schul­zei­ten und man kön­ne so doch super in Kon­takt blei­ben. Ich erging mich in einem halb­stün­di­gen Vor­trag, den ich – weil ich die Argu­men­te ein­mal bei­sam­men hat­te – hier Aus­zugs­wei­se wie­der­ge­ben will:

Per­sön­li­che Daten
Ich weiß, dass mei­ne Daten im Inter­net nir­gend­wo wirk­lich sicher sind. Trotz­dem wür­de ich sie nur äußerst ungern nie bei einem Anbie­ter hin­ter­le­gen, der schon mehr­fach durch Sicher­heits­män­gel auf­ge­fal­len ist und in sei­nen „Daten­schutz­er­klä­run­gen“ andeu­tet, mög­li­cher­wei­se mei­ne Pri­vat­kor­re­spon­den­zen lesen zu wol­len. Fer­ner schreckt es mich ab, wenn in den AGBs eine „vom Betrei­ber nach bil­li­gem Ermes­sen fest­zu­set­zen­de […] Ver­trags­stra­fe“ in den Raum gestellt wird, die „auf ers­tes Anfor­dern an den Betrei­ber zu zah­len“ sei. Die­se wür­de bei peni­bler Aus­le­gung der AGBs zum Bei­spiel fäl­lig, wenn nicht „alle von ihm [dem Nut­zer] gegen­über dem Betrei­ber ange­ge­be­nen per­sön­li­chen Daten der Wahr­heit ent­spre­chen“ – ich also bei­spiels­wei­se mei­ne Kör­per­grö­ße oder Augen­far­be (kei­ne Ahnung, ob man die im Pro­fil ange­ben kann, ich kann ja von außen nicht mal pro­be­wei­se rein­gu­cken) nicht kor­rekt ange­be.

Die Macher
Man­chen Jung­un­ter­neh­mern steigt es zu Kopf, wenn sie plötz­lich mit Geld­sum­men zu tun haben, die ihre Eltern in einem gan­zen Leben har­ter und ehr­li­cher Arbeit nicht anspa­ren kön­nen. Man­chen von ihnen ent­glei­tet irgend­wann alles. Ehs­san Daria­ni, einer der drei Stu­diVZ-Grün­der, benimmt sich hin­ge­gen nur wie die Axt im Wal­de: Er ver­fügt über eine recht eigen­tüm­li­che Auf­fas­sung von „Sati­re“ und Frau­en. Das kann man natür­lich als per­sön­li­che Erzie­hungs­de­fi­zi­te abtun, für mich hin­ge­gen ist klar, dass ich mit sol­chen Leu­ten so wenig wie mög­lich zu tun haben möch­te.

Die Grund­idee
Das Medi­um heißt Inter­net und eine sei­ner Stär­ken ist, dass man damit ganz schnell Kon­tak­te knüp­fen kann – welt­weit eben. Wozu brau­che ich da eine Platt­form, die sich an die „Rand­grup­pe“ (etwas mehr als 2% Anteil an der Gesamt­be­völ­ke­rung der Bun­des­re­pu­blik) deutsch­spra­chi­ger Stu­den­ten rich­tet, wenn es Por­ta­le für alle gibt? Klar: Es gibt auch Fan-Foren für Tokio Hotel und News­groups für Kern­phy­si­ker. Das sind noch klei­ne­re Ziel­grup­pen. Aber bei denen sehe ich wenigs­tens ein, war­um die unter sich blei­ben wol­len.
Ich habe aber gene­rell ein Pro­blem mit In-Kon­takt-blei­ben- und Neue-Leu­te-Ken­nen­ler­nen-Platt­for­men: Wenn sich mei­ne frü­he­ren Mit­schü­ler für mich inter­es­sie­ren wür­den, wäre es ein Leich­tes für sie, mei­ne E‑Mail-Adres­se her­aus­zu­fin­den (falls sie die nicht eh hät­ten) oder mich über mei­ne Eltern zu kon­tak­tie­ren. Die, äh: gerin­ge Anzahl von Kon­takt­auf­nah­men seit unse­rem Abitur vor fünf Jah­ren lässt für mich den Schluss zu, dass das Inter­es­se so groß nicht sein kann. Jede „Und was machst Du jetzt so?“-Botschaft im Stu­diVZ wäre also genau­so albern wie ein Klas­sen­tref­fen. Mit den Mit­schü­lern, die wirk­li­che Freun­de waren, ste­he ich auch heu­te noch in (unre­gel­mä­ßi­gem, aber herz­li­chen) Kon­takt – auch ohne Stu­diVZ.
Und wie­so soll­te ich online Kom­mi­li­to­nen adden, mit denen ich im Semi­nar­raum kein Wort spre­che? Ganz extrem wird das dann an Geburts­ta­gen: Wenn mir jemand gra­tu­liert, möch­te ich mir wenigs­tens vor­stel­len kön­nen, dass er dies tut, weil ich ihm etwas bedeu­te und er sich des­halb das Datum gemerkt oder auf­ge­schrie­ben hat. Ich habe sehr gute Freun­de, die bis heu­te nicht wis­sen, wann ich mein Wie­gen­fest bege­he, und das ist für mich völ­lig okay. Aber wenn mir Wild- und Halb­frem­de gra­tu­lie­ren, nur weil ihnen ein Com­pu­ter­pro­gramm auto­ma­tisch mit­teilt, dass sie dies zu tun hät­ten, füh­le ich mich wie ein Kind, des­sen Groß­el­tern an Weih­nach­ten den kor­rek­ten Namen vom Geschenk­pa­pier able­sen müs­sen. Außer­dem soll­te ein Gespräch nicht schon mit dem Dank des Jubi­lars für die Glück­wün­sche enden, weil man sich sonst nichts zu sagen hat.

Die Über­sät­ti­gung
Ich habe je einen Account bei ICQ und Sky­pe; bin bei jetzt.de, last.fm, MySpace, xing.com und Live­jour­nal ange­mel­det; kann bei Ama­zon, eBay und im iTu­nes Store ein­kau­fen und trei­be mich mehr oder weni­ger regel­mä­ßig in min­des­tens einem Dut­zend Blogs, Web­fo­ren und News­groups rum. Ich habe kei­nen Nerv mehr, mir noch einen User­na­men aus­den­ken zu müs­sen, nur weil mein Stan­dard­nick schon ver­ge­ben ist. Ich weiß, dass jeg­li­che Sor­gen zum Daten­schutz längst absurd sind: Soll­te ich mor­gen mein Gedächt­nis ver­lie­ren, kann ich mir alles Wis­sens­wer­te (und sehr viel Unwich­ti­ges) über mei­ne Per­son im Inter­net zusam­men­su­chen.
Mit nur 23 Jah­ren hat sich bei mir eine gewis­se Tech­nik­mü­dig­keit ein­ge­stellt und will gar nicht mehr wis­sen, was Twit­ter, Mee­bo und Seek­freed sind.
Trotz­dem kommt alle paar Mona­te irgend­was daher, von dem ich nie dach­te, dass ich es brau­chen wür­de, was mich aber fes­selt und fas­zi­niert.

Für Stu­diVZ gilt aber das, was ich mei­nem Freund gleich zu Beginn mei­ner Tira­de sag­te: „Ich mel­de mich da an dem Tag an, an dem ich ein Bild-Zei­tungs-Abo abschlie­ße und mir einen Ken-Fol­lett-Roman kau­fe.“

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Musik

In Erinnerung vergangener Tage

Ich habe mich auf Ein­la­dung von Ste­fan Nig­ge­mei­er inten­siv mit den Bei­trä­gen für den dies­jäh­ri­gen Grand Prix beschäf­tigt. Beson­ders fas­zi­niert hat mich an die­sem Wett­be­werb immer schon die unend­lich lan­ge, kör­per­lich anstren­gen­de und mit blei­schwe­rer Diplo­ma­tie belas­te­te Punk­te­ver­ga­be, was sich wohl mit mei­ner Fas­zi­na­ti­on für Lis­ten und Sta­tis­ti­ken in der Pop­mu­sik bes­tens erklä­ren lässt. Mir fiel aber auch wie­der ein, wann ich den Grand Prix das ers­te Mal bewusst ver­folgt habe: 1993, als mei­ne dama­li­ge Lieb­lings­band für Deutsch­land antrat.

Yes, inde­ed: Ich war zu Beginn mei­ner Musik­kon­su­men­ten­lauf­bahn Fan der Mün­che­ner Frei­heit. Das ist aber, spä­tes­tens seit Jochen Dis­tel­mey­er sich zu der Band bekannt hat, auch gar kei­ne son­der­lich kre­di­bi­li­täts­schä­di­gen­de Äuße­rung mehr. Und da ich die mir zum zehn­ten Geburts­tag geschenk­te (und damit ver­mut­lich tat­säch­lich ers­te) CD „Ihre größ­ten Erfol­ge“ immer noch bei mir rum­flie­gen habe (den Mut, sie zwi­schen Mor­chee­ba und K.D. Lang ins Regal zu stel­len, hat­te ich dann doch nicht), hab ich gera­de noch mal rein­ge­hört.

Die gru­se­ligs­te Nach­richt gleich vor­ab: Ich kann noch immer wei­ter Tei­le der Tex­te mit­sin­gen, bei man­chen ver­ste­he ich aller­dings erst heu­te, wovon sie han­deln. „So lang‘ man Träu­me noch Leben kann“ ist ein­fach immer noch ein gutes Lied, „Ver­lie­ben Ver­lie­ren“ der viel­leicht ein­zig geglück­te Ver­such, die Beach Boys in deut­scher Spra­che nach­zu­emp­fin­den, die Musik von „Bis wir uns wie­der­seh’n“ oder „Tau­send Augen“ könn­te auch in einem schwä­che­ren Moment von den Pet Shop Boys erson­nen wor­den sein, und bei man­chen Lie­dern nimmt Ste­fan Zau­ner sogar den Gesangs­stil von Bill Kau­litz vor­weg – lan­ge, bevor der über­haupt gezeugt wur­de.

Eini­ge Lie­der wir­ken reich­lich anti­quiert, ande­re sind aber von einer zeit­lo­sen, nun ja: Zeit­lo­sig­keit: Musi­ka­lisch durch­dacht (ich hab gera­de erst erfah­ren, dass Ste­fan Zau­ner mal bei Amon Düül II mit­ge­wirkt hat) und text­lich dem alt­be­kann­ten Schick­sal aus­ge­lie­fert, dass deutsch­spra­chi­ge Tex­te eben tau­send­mal kri­ti­scher beäugt wer­den als eng­li­sche. Ent­spre­chend däm­lich wir­ken man­che Tex­te des­halb heut­zu­ta­ge und taten es wohl schon bei ihrem Erschei­nen. Ver­gli­chen mit man­chen heu­ti­gen Tex­ten so man­cher Indie­bands und vor dem Hin­ter­grund, dass zumin­dest eini­ge der Songs noch als Spät­aus­läu­fer der Neu­en Deut­schen Wel­le ent­stan­den, rela­ti­viert sich so ein Urteil aber recht schnell wie­der. Ob man sowas, bekä­me man es heu­te neu vor­ge­setzt, noch ansatz­wei­se gut fän­de, darf sicher­lich ernst­lich bezwei­felt wer­den, aber als Erbe des eige­nen Geschmacks kann man sich wohl ein- bis zwei­mal jähr­lich mit die­ser Musik aus­ein­an­der­set­zen. So klan­gen halt die Acht­zi­ger, und es ist ein Wun­der, dass wir, die in die­ser Zeit auf­ge­wach­sen sind, nicht erns­te­re Schä­den davon­ge­tra­gen haben – z.B. irgend­ei­ne Art von Bewun­de­rung für Mari­us Mül­ler-Wes­tern­ha­gen oder Heinz Rudolf Kun­ze.

An den Grand-Prix-Song der Mün­che­ner Frei­heit kann ich mich übri­gens gar nicht mehr erin­nern. Dass er „Viel zu weit“ hieß, muss­te ich gera­de nach­schla­gen, und den Gedan­ken, auch die akus­ti­sche Erin­ne­rung auf­zu­fri­schen, habe ich schnell ver­wor­fen. Was ich aber noch weiß: Da es damals noch kei­nen Grand-Prix-Vor­ent­scheid gab, wur­de das Lied ein­fach von einem gehei­men Gre­mi­um aus­ge­wählt und dem Publi­kum in einer ARD-Fern­seh­show vor­ge­stellt. Die­se Sen­dung lief an einem Don­ners­tag­abend in den Oster­fe­ri­en (sonst hät­te ich sie kaum sehen dür­fen), wur­de von Dag­mar Fre­de­ric mode­riert, und ich weiß auch noch, dass es ein idio­ti­sches Gewinn­spiel gab, bei dem man anhand ver­schie­de­ner Tipps erra­ten muss­te, in wel­cher Stadt eine Bild­te­le­fon­zel­le auf­ge­stellt wor­den war, die man dann auf­su­chen muss­te, um mit Frau Fre­de­ric live zu bild­te­le­fo­nie­ren.

Ich möch­te die­sen Arti­kel des­halb mit einem Zitat von Max Goldt schlie­ßen, des­sen Ver­wen­dung ich noch nicht für mög­lich gehal­ten hät­te, als ich die ers­ten Zei­len schrieb:

Die Mensch­heit soll­te sich übri­gens mal auf ihren gut 13 Mil­li­ar­den Knien bei der Zivi­li­sa­ti­on dafür bedan­ken, dass ihr das Bild­te­le­fon erspart geblie­ben ist.

PS: Wo wir gera­de von Wes­tern­ha­gen spra­chen: Es scheint unter Musik­kon­su­men­ten wie Musi­kern eine kano­ni­sche Einig­keit dar­über vor­zu­herr­schen, dass der wider­lichs­te, anbie­dernds­te Moment bun­des­re­pu­bli­ka­ni­scher Deutschrock­ge­schich­te auf Wes­tern­ha­gens Live­al­bum zu fin­den ist. Wenn er zwi­schen „alle, die von Frei­heit träu­men“ und „sol­len Frei­heit nicht ver­säu­men“ sein „So wie wir heu­te Abend hier!!!!1“ in die Dort­mun­der West­fa­len­hal­le blökt, möch­te man auch 17 Jah­re danach noch in die nächst­ge­le­ge­ne Ecke kot­zen.

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Guten Rusch

Ich bin (wie ver­mut­lich sechs Mil­li­ar­den ande­re Bun­des­bür­ger) seit eini­gen Jah­ren Besit­zer der Wand­uhr „Rusch“ aus dem Hau­se IKEA. Stets hing sie über mei­ner Tür und zeig­te mir die aktu­el­le Uhr­zeit an. Zwei­mal im Jahr muss­te ich sie abneh­men um die Zeit umzu­stel­len, in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den blieb sie ste­hen und bekam dann eine Bat­te­rie ein­ge­setzt, die mein Disc­man nicht mehr haben woll­te.

Letz­te Woche blieb sie wie­der ein­mal ste­hen, ich tausch­te die Bat­te­rie aus, stell­te die rich­ti­ge Zeit ein und häng­te die Uhr wie­der an ihren Platz. Allein: Schon nach weni­gen Sekun­den blieb sie wie­der ste­hen, der Sekun­den­zei­ger zuck­te gleich­mä­ßig, beweg­te sich aber kein Stück wei­ter. Nach län­ge­rer Beob­ach­tung und mehr­ma­li­gem Ab- und Wie­der­auf­hän­gen fand ich her­aus: Dem Sekun­den­zei­ger fehlt die Kraft, um zwi­schen der hal­ben und der vol­len Minu­te die Schwer­kraft zu über­win­den. Und weil das Vor­an­kom­men des Sekun­den­zei­gers für die wei­te­ren Zei­ger von immenser Wich­tig­keit ist, beweg­te sich kein Zei­ger mehr, obwohl das Uhr­werk wei­ter schlug.

Seit ges­tern liegt „Rusch“ jetzt neben mir auf dem Schreib­tisch – und zeigt die kor­rek­te Uhr­zeit an. Die Fra­gen, die sich dar­aus erge­ben, sind: „Ist eine Wand­uhr, die nicht mehr an der Wand hängt, noch eine Wand­uhr?“, „Was nützt mir eine Uhr, die mit dem Zif­fer­blatt zur Decke auf mei­nem Schreib­tisch liegt, zwi­schen mei­nem Com­pu­ter­mo­ni­tor und dem Tele­fon, die jeweils die aktu­el­le Uhr­zeit anzei­gen?“, „Ist es mora­lisch in Ord­nung, eine eigent­lich noch voll funk­ti­ons­tüch­ti­ge, aber lei­der kör­per­lich etwas beein­träch­tig­te Uhr ein­fach aus­zu­sor­tie­ren wie einen Brief­trä­ger, dem der Nach­bars­hund bei­de Bei­ne abge­nagt hat?“, „Wer oder was füllt das opti­sche Loch ober­halb mei­ner Tür und zeigt mir im Ide­al­fall auch noch die Uhr­zeit an?“ sowie „Was nützt mir die­se Erfah­rung, wo ich doch gar nicht Gag­schrei­ber einer Come­dy­show im Pri­vat­fern­se­hen bin, wo man jetzt was von wegen ‚kei­nen mehr hoch­krie­gen‘ und ‚auf dem Rücken lie­gen‘ erzäh­len könn­te?“

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Bild mal meine Meinung ab!

Wir alle fra­gen uns sicher regel­mä­ßig, wo Umfra­ge­er­geb­nis­se wie „Män­ner fin­den Ursu­la von der Ley­ens neue Fri­sur gut“, „Deut­sche fah­ren im Urlaub nur ungern in die Ukrai­ne“ oder „Wenn mor­gen Bun­des­tags­wahl wäre, wür­de Knut zur sexies­ten Schau­spie­le­rin gewählt“ her­kom­men. Bis­her war mein Grund­ge­dan­ke, dass da eini­ge irre PR-Men­schen in bom­ben­si­che­ren Kel­lern sit­zen und sol­che Zah­len aus­wür­feln. Dann klin­gel­te mein Tele­fon.

Eine Frau mitt­le­ren Alters aus der bran­den­bur­gi­schen Pro­vinz war dran und sag­te, sie rufe für das Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tut Emnid an, ob sie bit­te ein Haus­halts­mit­glied über 60 Jah­ren spre­chen kön­ne. Mei­ne Erleich­te­rung, dem Schick­sal noch ein­mal ent­flo­hen zu sein, hielt nicht lan­ge: auch wenn es bei uns kein sol­ches gebe, wür­de sie mir ger­ne eini­ge Fra­gen stel­len, sag­te die Frau. Ich wil­lig­te ein, frag­te aber vor­her selbst nach, wie man bit­te­schön an mei­ne Num­mer, die ich noch nicht mal ken­ne, und die wirk­lich nir­gend­wo ver­zeich­net sei, kom­me. Das mache ein Zufalls­ge­nera­tor, ent­geg­ne­te die Frau und leg­te los. Nach 23:15 Minu­ten war ich fer­tig, hat­te zwei wund­te­le­fo­nier­te Ohren und mei­nen Bei­trag zu einem Hau­fen tol­ler Tor­ten­dia­gram­me in einem Hau­fen hoch­wer­ti­ger Medi­en gelie­fert.

Bei fol­gen­den Sta­tis­ti­ken wer­de ich in den nächs­ten Mona­ten „Mama, ich bin im Fern­se­hen!“ schrei­en dür­fen:

  • betr. der Zufrie­den­heit mit der Bun­des­po­li­tik („Geht so“)
  • betr. der Zufrie­den­heit mit der NRW-Lan­des­po­li­tik („Haben Sie die Opti­on ‚Beschis­sen‘?“)
  • die sog. Sonn­tags­fra­ge
  • betr. des Rauch­ver­bots bzw. des­sen Inter­pre­ta­ti­on durch die NRW-Lan­des­re­gie­rung
  • betr. der Wie­der­auf­nah­me der Ermitt­lun­gen im Mord­fall Buback und der mög­li­chen Begna­di­gung von Chris­ti­an Klar
  • betr. mei­ner Prä­fe­ren­zen für Kar­tof­fel­puf­fer oder Rei­be­ku­chen (in deed: auf die Fra­ge nach mei­ner Mei­nung über poli­tisch moti­vier­ten Ter­ro­ris­mus folg­te eine zu Kar­tof­fel­puf­fern und Rei­be­ku­chen …)
  • betr. mei­nes Geld­in­sti­tuts
  • betr. mei­ner Erfah­run­gen mit Ver­sand­händ­lern („tele­fo­nisch, Kata­log, Inter­net“)
  • betr. mei­ner Erfah­run­gen zu Dienst­leis­tun­gen per Inter­net (inkl. Musik­down­loads)
  • betr. mei­ner Mei­nung und Erfah­rung zu und mit Bio­le­bens­mit­teln
  • betr. mei­nem Geschmack in Sachen Fein­kost­sa­la­te („dar­un­ter ver­ste­hen wir Sala­te, die mit Mayo­nai­se zube­rei­tet wer­den“)
  • betr. diver­ser sta­tis­ti­scher Daten mei­nes Haus­halts

Inter­es­sant. Ich befür­wor­te übri­gens, dass Chris­ti­an Klar mit der Lan­des­re­gie­rung in NRW Kar­tof­fel­puf­fer essen soll – aber nur, wenn sie aus bio­lo­gi­schem Anbau kom­men und mit Apfel­mus ser­viert wer­den.

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Keine Amnesie für Coffee And TV

Ich trat gera­de ans Hand­wasch­be­cken, um mei­ne Hän­de zu waschen, als ein Satz mei­ne Syn­ap­sen durch­zuck­te:

Als Herr von Schel­le tre­te ich viel ener­gi­scher und zacki­ger auf

Weit schlim­mer als der Satz ist sein Ursprung und vor allem die Tat­sa­che, dass ich mich dar­an erin­ne­re. Er ent­stammt näm­lich einer Über­schrift auf der Medi­en­sei­te der NRZ, die ich etwa im Jahr 1992 auf dem Küchen­fuß­bo­den mei­ner Eltern las. Gesagt hat ihn die inzwi­schen ver­stor­be­ne, damals aber noch quick­le­ben­di­ge Anne­ma­rie Wendl, die in der belieb­ten ARD-Serie „Lin­den­stra­ße“ die Haus­meis­te­rin Else Kling spiel­te. In einer Fol­ge die­ser Serie muss­te sich Else Kling als Mann (eben jener Herr von Schel­le) ver­klei­den, da sie – und hier wird mei­ne Erin­ne­rung bruch­stück­haf­ter – einen Auf­ent­halt auf einer Well­ness Farm (die damals noch nicht „Well­ness Farm“ hieß) gewon­nen hat­te, es sich aller­dings um eine Well­ness Farm für Män­ner han­del­te und sie des­halb unter Pseud­onym teil­ge­nom­men hat­te und nun auch so dort anrei­sen muss­te.
Da man sich auf einer Well­ness Farm eher sel­ten voll beklei­det auf­hält, will mir die­se Erklä­rung heu­te, knapp 15 Jah­re spä­ter, irgend­wie völ­lig däm­lich und weit her­ge­holt erschei­nen, aber ich bin mir recht sicher, dass es sich so oder so ähn­lich abge­spielt hat. Der der­art über­schrie­be­ne Arti­kel dreh­te sich ent­spre­chend um die Erfah­run­gen, die Frau Wendl bei den Dreh­ar­bei­ten in dis­gu­i­se gemacht hat­te.
Lei­der fin­de ich heu­te kei­ner­lei aus­sa­ge­kräf­ti­ge Quel­len mehr zu dem The­ma, aber ich bin bereit, einem Gedächt­nis, das einen sol­chen Satz über Jahr­zehn­te ver­wahrt, auch die Begleit­um­stän­de zu glau­ben – sei­en sie auch noch so dif­fus und unsin­nig.

Das Besorg­nis­er­re­gends­te an die­ser Geschich­te aber ist: ich habe die „Lin­den­stra­ße“ nie bewusst geguckt.