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Er, Ich, Über-Ich

Es ist natür­lich rei­ner Zufall, dass aus­ge­rech­net in dem Herbst, in dem das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ent­schei­det, dass Maxim Bil­lers Roman „Esra“ ver­bo­ten bleibt, weil er zu nah an der Rea­li­tät sei und die Per­sön­lich­keits­rech­te der „Prot­ago­nis­ten“ ver­let­ze, ein Roman erscheint, der der Wirk­lich­keit so nahe kommt, dass er schon fast die Fra­ge auf­wirft, ob es sich über­haupt noch um einen Roman han­delt: Die Haupt­fi­gur in Tho­mas Gla­vi­nic‘ Roman „Das bin doch ich“ heißt Tho­mas Gla­vi­nic, ist Schrift­stel­ler, hat gera­de einen Roman fer­tig­ge­stellt und war­tet auf des­sen Ver­öf­fent­li­chung. Er kämpft sich durch den All­tag mit Frau, Klein­kind und Neu­ro­sen, trinkt regel­mä­ßig viel zu viel und ist viel im öster­rei­chi­schen Lite­ra­tur- und Kul­tur­be­trieb unter­wegs. Ansons­ten pas­siert wenig.

Es ist weni­ger die Hand­lung, die „Das bin doch ich“ zu einem unge­wöhn­li­chen Buch macht. Sie ist gleich­sam nicht vor­han­den und Gla­vi­nic (der ech­te wie der lite­ra­ri­sche) hat mit „Der Kame­ra­mör­der“ und „Die Arbeit der Nacht“ bedeu­tend hand­lungs­rei­che­re Roma­ne geschrie­ben. „Das bin doch ich“ lebt von der vor­der­grün­dig auf­ge­lös­ten Gren­ze zwi­schen Autor und Haupt­fi­gur, von der stän­di­gen Fra­ge, wel­che Roman-Pas­sa­gen abge­schrie­be­ne Wirk­lich­keit und wel­che Fik­ti­on sein könn­ten.

Gla­vi­nic (der Autor) war aber klug genug zu erken­nen, dass sol­che post­mo­der­nen Expo­si­tio­nen allei­ne einen Roman von 230 Sei­ten nur schwer­lich tra­gen kön­nen, und so lässt er sei­nen Tho­mas Gla­vi­nic im All­tag absur­de, quä­len­de und zum Teil rich­tig pein­li­che Geschich­ten erle­ben, die er mit unprä­ten­tiö­ser Spra­che erzählt. Das liest sich leicht und unter­hält.

Damit offen­ba­ren sich auch schon die zwei Haupt­les­ar­ten von „Das bin doch ich“: Die lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Her­an­ge­hens­wei­se, bei der man sich die gan­ze Zeit mit Erzähl­theo­rien und dem Kon­zept von Fik­ti­on und Rea­li­tät beschäf­ti­gen kann, und die Klatsch­va­ri­an­te, bei der man alles Beschrie­be­ne für bare Mün­ze nimmt und sich an den ver­meint­li­chen (dann aber doch eher unspek­ta­ku­lä­ren) Ein­sich­ten in die öster­rei­chi­sche Kul­tur­sze­ne erfreu­en kann. Angst vor juris­ti­schen Schrit­ten muss Gla­vi­nic dabei kaum haben: Von allen beschrie­be­nen Figu­ren ist der größ­te Säu­fer und Neu­ro­ti­ker sei­ne Haupt­fi­gur, also letzt­lich er selbst.

Dabei bleibt Gla­vi­nic, die Roman­fi­gur, trotz aller Wei­ner­lich­keit und sei­nem offen­sicht­li­chen Unver­mö­gen, mit sei­nem All­tag zurecht­zu­kom­men, immer sym­pa­thisch. Nur wenn er mor­gens ängst­lich vor dem Com­pu­ter hockt und sich fragt, wem er in der vor­he­ri­gen Nacht wie­der betrun­ke­ne E‑Mails geschrie­ben haben könn­te, wird die Situa­ti­on bei allem Amü­se­ment unglaub­wür­dig: „Guck doch ein­fach in Dei­nen ver­damm­ten ‚Gesendet‘-Ordner!“, möch­te man ihm da zuru­fen und wür­de damit aber­mals die Gren­zen der Lite­ra­tur spren­gen, mit denen Gla­vi­nic, der Autor, die gan­ze Zeit han­tiert. Eine drit­te Les­art wäre natür­lich, sich weder auf Theo­rien noch auf Klatsch zu kon­zen­trie­ren, son­dern das Buch als gelun­ge­ne Mischung aus bei­dem und als inter­es­san­te Unter­hal­tung zu betrach­ten.

Die außer­ge­wöhn­li­che Aus­gangs­la­ge des Romans sorgt schnell dafür, dass man sich genau­er mit sei­ner Form als mit sei­nem Inhalt aus­ein­an­der­setzt. Lässt man sich auf das Spiel ein und akzep­tiert das Geschrie­be­ne als im gro­ßen und gan­zen real, dann ist „Das bin doch ich“ ein inter­es­san­te Stu­die über einen Autor, der mit sei­ner Tages­frei­zeit nichts anzu­fan­gen weiß, was im Ergeb­nis dazu führt, dass er einen Meta-Roman über sich und sei­ne Situa­ti­on schreibt. Bei die­ser Kon­struk­ti­on muss man dann natür­lich vor­sich­tig sein, dass sie einen nicht bei län­ge­rem Nach­den­ken in den Wahn­sinn treibt, so wie der Roman-Gla­vi­nic mit sei­ner Hypo­chon­drie, sei­ner Flug­angst und sei­ner immer kon­fu­ser wer­den­den Kon­ver­sa­ti­on mit sei­nem Freund, dem Best­sel­ler­au­tor Dani­el Kehl­mann („Die Ver­mes­sung der Welt“), auch immer ein biss­chen wahn­sin­ni­ger zu wer­den scheint.

Unab­hän­gig vom tat­säch­li­chen Rea­li­täts­ge­halt zeich­net „Das bin doch ich“ ein glaub­wür­di­ges Bild aus dem Leben eines Krea­ti­ven mit all sei­nen Macken, Sor­gen und Ängs­ten. Gla­vi­nic pen­delt dabei gekonnt zwi­schen Kli­schees und eher über­ra­schen­den Anek­do­ten aus der Welt der Hoch­kul­tur und bringt den deut­schen Lesern ganz neben­bei sei­ne öster­rei­chi­sche Hei­mat und vor allem Wien näher. Wenigs­tens ein­mal will man auch beim Inder am Nasch­markt essen gehen, wie es der Prot­ago­nist jeden Tag tut. Viel­leicht wür­de man dort tat­säch­lich auf den ech­ten Tho­mas Gla­vi­nic tref­fen. Viel­leicht aber auch nicht.

Eine beson­de­re Iro­nie der Geschich­te (nicht des Romans): Mit „Das bin doch ich“ gelang Gla­vi­nic das, wor­auf sein Roman­held mit dem Vor­gän­ger „Die Arbeit der Nacht“ ver­geb­lich hofft – der Sprung auf die Short­list des Deut­schen Buch­prei­ses.

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Digital

Generation Blog

Ich wer­de eher sel­ten zur Teil­nah­me an Podi­ums­dis­kus­sio­nen gela­den, wes­we­gen ich die­se ermü­den­den Anti-Blog-Dis­kus­sio­nen, von denen man bei renom­mier­te­ren Blog­gern immer wie­der liest, noch nie aus der Nähe erlebt habe. Das änder­te sich aber am Don­ners­tag, als wir in einem Lite­ra­tur­se­mi­nar auf das „Vani­ty Fair“-Blog von Rai­nald Goetz zu spre­chen kamen.

Die meis­ten der etwa zehn Semi­nar­teil­neh­mer kann­ten den Namen Rai­nald Goetz nicht ((Sie hör­ten sogar von der berühm­ten Stirn-auf­schlitz-Geschich­te zum ers­ten Mal, fan­den sie aber gleich doof.)) und hat­ten noch nie ein Blog gele­sen. Bei­des ist sicher­lich ver­zeih­lich, bei Ger­ma­nis­tik­stu­den­ten Anfang Zwan­zig aber viel­leicht auch etwas uner­war­tet.

Da wir mit der Inter­pre­ta­ti­on des Goetz’schen Wer­kes nicht so recht aus dem Quark kamen, drif­te­te die Dis­kus­si­on in grund­sätz­li­che­re Gefil­de. Einem Kom­mi­li­to­nen ((„Kom­mi­li­to­ne“ gehört zu den Begrif­fen, die ich nur schrei­ben kann, wenn ich an einem Com­pu­ter mit auto­ma­ti­scher Recht­schreib­über­prü­fung sit­ze. Wei­te­re Bei­spie­le: Atmo­sphä­re, Feuil­le­ton, Kom­mis­sar, auf­pfrop­fen.)) miss­fiel die­se gan­ze „Selbst­dar­stel­lung“ in Form von Stu­diVZ, Blogs und Vide­os, und eine Kom­mi­li­to­nin, die zuvor geäu­ßert hat­te, außer Aus­lands­ta­ge­bü­chern von Freun­den noch nie ein Blog gese­hen zu haben, echauf­fier­te ((Ha, noch so ein Wort!)) sich in har­schem Ton über die min­de­re Qua­li­tät und die aller­or­ten anzu­tref­fen­de Selbst­dar­stel­lung, die sie „pein­lich“ fin­de.

Nun gehö­re ich nicht zu den Ver­tre­tern jener Zunft, die im Inter­net die Heils­brin­gung für alles und jeden sehen. Ich kann mir gut vor­stel­len, dass es auch in fünf­zig Jah­ren noch Men­schen geben wird, die das Inter­net über­haupt nicht nut­zen. Es gibt ja auch heut­zu­ta­ge Leu­te, die weder Tele­fon noch Fern­se­her besit­zen, und von Eugen Dre­wer­mann liest man immer wie­der, dass er noch nicht ein­mal einen Kühl­schrank in sei­ner Woh­nung habe. Etwas erstaunt bin ich aber, wenn Men­schen in mei­nem Alter, die mit­ten im Leben ste­hen ((Gut: Eini­ge von ihnen wol­len viel­leicht Leh­rer wer­den …)), moder­ne Medi­en und Phä­no­me­ne rund­her­um ableh­nen, und halb­wegs sau­er wer­de ich, wenn sie dies ohne vor­he­ri­ge Inau­gen­schein­nah­me tun.

Ich kip­pel­te mit mei­nem Stuhl nach hin­ten, brei­te­te die Arme aus und lächel­te. „Natür­lich gibt es viel Schrott im Inter­net, aber den hat man in der tra­di­tio­nel­len Lite­ra­tur oder wo auch immer ja auch. Ich fin­de es gera­de span­nend, dass man sich selbst ein biss­chen umse­hen muss, um gute Sachen zu fin­den. Aber es gibt eben jede Men­ge gute und span­nen­de Sachen im Netz.“

So ganz wuss­te die jun­ge Frau wohl nicht, was in Blogs über­haupt so drin­ste­hen kann. Oder Goetz hat­te sie auf die fal­sche Fähr­te gelockt: Sie erzähl­te jeden­falls, in ihrem Bekann­ten­kreis gebe es Dut­zen­de Leu­te, die immer schon erzählt hät­ten, sie wür­den ger­ne mal ein Buch schrei­ben. Getan habe das zum Glück noch kei­ner. Aber jetzt könn­ten alle mit ihrer min­de­ren Qua­li­tät das Inter­net voll­schrei­ben.

Mit der glei­chen Begrün­dung, so ent­geg­ne­te ich, kön­ne sie ja auch Kon­zer­te von Nach­wuchs­bands in Jugend­zen­tren ver­dam­men, weil die oft auch nicht so doll sei­en. „Das ist doch das span­nen­de, dass heu­te end­lich die Ver­spre­chun­gen der Pop Art und fast aller wich­ti­gen Medi­en­theo­rien des 20. Jahr­hun­derts ein­ge­löst wer­den“, geriet ich etwas zu hef­tig in Fahrt. „War­hols 15 Minu­ten Ruhm, ‚Jeder ist ein Künst­ler‘, ‚the medi­um is the mes­sa­ge‘: jeder kann sich ein­brin­gen!“ Ich dach­te: „Jetzt has­sen sie mich alle. Name­drop­ping, Ange­be­rei und Pathos. Das kann in einer Uni­ver­si­tät nicht gut gehen.“ Dann füg­te ich hin­zu: „Ich fin­de, dass jede Form von Kunst, die irgend­je­man­dem was bedeu­tet – und sei es nur dem Künst­ler selbst – ihre Berech­ti­gung hat.“ ((Das ist übri­gens eine Ein­stel­lung, die ich regel­mä­ßig ver­wer­fen will, wenn ich das Radio ein­schal­te und mit Maroon 5 oder Revol­ver­held gequält wer­de.))

Mei­ne Gegen­über­in äußer­te nun die Ver­mu­tung, wir hät­ten offen­sicht­lich recht unter­schied­li­che Kunst­be­grif­fe. Lei­der befan­den wir uns zeit­lich schon in der Ver­län­ge­rung, so dass wir uns nicht mehr wirk­lich hoch­schau­keln konn­ten. Aber ich fühl­te mich schon etwas knü­wer als sonst.

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Kunst im Alltag: Roland Koch „Ohne Titel I“

Ypsi­lan­ti, al-Wazir
und die Kom­mu­nis­ten stop­pen!

Mit die­sem, auf den ers­ten Blick schlich­ten Zwei­zei­ler hat sich der bis­her unbe­deu­ten­de Nach­wuchs­li­te­rat Roland Koch ver­gan­ge­ne Woche in den Olymp der Polit­ly­rik kata­pul­tiert.

Die ers­te Zei­le besteht aus einem sel­te­nen Pai­on (mit Beto­nung auf der drit­ten Sil­be) und einem Ana­päst und klingt daher schon allein durch ihr Vers­maß exo­tisch. Die­se Wir­kung unter­streicht der Dich­ter mit der Ver­wen­dung zwei­er Fami­li­en­na­men aus dem süd­öst­li­chen Mit­tel­meer­raum und dem Gebiet der ara­bi­schen Halb­in­sel.

Der Name „Ypsi­lan­ti“ stammt aus dem Grie­chisch-Pha­na­rio­ti­schen und bezeich­ne­te schon grie­chi­sche Natio­nal­hel­den des 19. Jahr­hun­derts. Sein Klang erin­nert an den vor­letz­ten Buch­sta­ben des latei­ni­schen Alpha­bets, der erst im zwei­ten vor­christ­li­chen Jahr­hun­dert aus dem Grie­chi­schen über­nom­men wur­de und hier für etwas Unfer­ti­ges, Unbe­deu­ten­des steht. Der Name „al-Wazir“ lei­tet sich ab vom per­si­schen „wazir“ und bezeich­net ab dem 10. Jahr­hun­dert den mäch­tigs­ten Mann in einem Kali­fen­staat – die deut­sche Schreib­wei­se ist „Wesir“. Mit nur sie­ben Sil­ben gelingt es Koch so, eine Brü­cke über Vor­der­asi­en in den Ori­ent zu schla­gen.

Die zwei­te Zei­le beginnt mit einem Jam­bus, der auf eine deut­lich geord­ne­te­re Struk­tur hin­deu­tet, über­rascht dann aber mit einem wei­te­ren Pai­on und einem Tro­chä­us. Der in der ers­ten Zei­le gemach­te Aus­flug in frem­de Län­der wird nicht wei­ter aus­ge­führt – man erfährt nicht, wel­che Auf­ga­ben die der­art her­bei­zi­tier­ten Ent­schei­dungs­trä­ger frem­der Hoch­kul­tu­ren für den wei­te­ren Ver­lauf des Gedichts haben. Koch been­det die Auf­zäh­lung mit dem deut­lich unper­sön­li­che­ren Begriff „Kom­mu­nis­ten“, der durch den Zei­len­um­bruch und die Ver­wen­dung der Kon­junk­ti­on „und“ und des Arti­kels „die“ zusätz­lich deut­lich von den ers­ten bei­den Begrif­fen abge­grenzt ist. Statt einer Hand­lung inner­halb des Gedichts endet es mit einem Impe­ra­tiv, das Aus­ru­fe­zei­chen unter­streicht den appel­la­ti­ven Cha­rak­ter des Zwei­zei­lers.

Koch gelingt es, die­se sechs Wor­te mit einer immensen Bedeu­tung auf­zu­la­den. In einem fast fle­hent­li­chen Ton for­dert der nicht näher spe­zi­fi­zier­te Spre­cher einen unbe­kann­ten Adres­sa­ten zu einer Hand­lung („Stop­pen“) auf, wäh­rend er selbst weder aktiv noch pas­siv in Erschei­nung tritt. „Gestoppt“ wer­den sol­len die durch die Namen reprä­sen­tier­ten (vorder-)orientalischen Hoch­kul­tu­ren (wobei der Ver­weis auf Grie­chen­land auch für die Anti­ke und die Wie­der­auf­nah­me ihrer Idea­le in der Auf­klä­rung ste­hen kann) und „die Kom­mu­nis­ten“, die einen über­ra­schen­den poli­ti­schen Aspekt in das Gedicht brin­gen. Betrach­tet man die­se doch recht unter­schied­li­chen Grup­pie­run­gen und die Wer­te, für die sie ste­hen, und ihre offen­sicht­li­che Oppo­si­ti­on zum Spre­cher, so wird klar, dass die­ser ein christ­lich-kon­ser­va­ti­ves, mög­li­cher­wei­se anti-auf­klä­re­ri­sches Welt­bild ver­tre­ten soll. Das unge­wöhn­li­che, allen ästhe­ti­schen Regeln wider­spre­chen­de Vers­maß und der feh­len­de Reim spie­geln die inne­re Auf­ruhr des Spre­chers wie­der, die weib­li­che Kadenz am Ende der zwei­ten Zei­le drückt sei­ne Resi­gna­ti­on aus. Zwar feh­len wesent­li­che Infor­ma­tio­nen, da das Haupt­ge­sche­hen außer­halb des Gedichts statt­zu­fin­den scheint, aber die Inten­ti­on des Werks wird klar: es steht in der Tra­di­ti­on gro­ßer mit­tel­al­ter­li­cher Kampf- und Spott­schrif­ten und muss wie die­se unab­hän­gig von der poli­ti­schen Inten­ti­on für sei­ne lite­ra­ri­schen Qua­li­tä­ten wert­ge­schätzt wer­den.

Roland Koch ist ein aus­drucks­star­kes Gedicht vol­ler Bri­sanz gelun­gen, das gleich­zei­tig sehr viel­schich­tig ist und doch kei­ne kla­re Aus­sa­ge trifft. Es ist dem Dich­ter zu wün­schen, dass er in Zukunft noch mehr Zeit für sei­ne lyri­schen Arbei­ten fin­den wird.

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Ist das Lesen nicht schön?

In einem Anfall nur gerin­ger Selbst­über­schät­zung dach­te ich ein­mal „Was Elke Hei­den­reich kann, kann ich schon lan­ge“, schnapp­te mir die Video­ka­me­ra und erzähl­te die­ser, wel­che Bücher man denn mei­ne Mei­nung nach zu Weih­nach­ten ver­schen­ken sol­le.

Her­aus­ge­kom­men ist unun­ter­bro­che­nes Gesab­bel, das man auch gut als bil­der­lo­sen Pod­cast hät­te fabri­zie­ren kön­nen, aber ich woll­te ja unbe­dingt ein Video draus machen.

Bit­te sehr, hier ist es:


Link: sevenload.com

Anders als Elke Hei­den­reich brau­che ich aber nur 16 Minu­ten. Das heißt, ich rede dop­pelt so schnell.

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Leserbriefschreiber 2.0

Ich habe nie ver­stan­den, was für Leu­te das sind, die sich hin­set­zen und einer Zei­tung oder einem Maga­zin einen Brief schrei­ben, in dem sie den Redak­teu­ren mit­tei­len, dass die­se alle „auf Linie gebracht“ sei­en, Deutsch­land von unfä­hi­gen Irren regiert wer­de und die dann kurz aus­füh­ren, wie das in der Welt so wirk­lich lau­fe. Aber immer­hin: Die­se Men­schen haben sich die Zeit genom­men, sich hin­zu­set­zen, einen Brief zu for­mu­lie­ren, ihn zum Brief­kas­ten zu brin­gen und sie wür­den ihre Abon­ne­ments nie kün­di­gen, weil sie ja immer nach­se­hen müs­sen, ob ihr Brief auch bis aufs letz­te Kom­ma abge­druckt wird.

Im Inter­net ist das anders: Man liest auf der Web­sei­te einer Zei­tung oder eines Maga­zins einen Arti­kel, klickt auf „Arti­kel kom­men­tie­ren“ und noch ehe sich im Hirn Sät­ze bil­den konn­ten, hat man schon irgend­was in die Tas­ten gehäm­mert und auf „Abschi­cken“ geklickt.

Heu­te habe ich, weil Hei­se dar­auf ver­linkt hat­te, bei „Welt Online“ den Arti­kel „SPD plant Grund­recht auf Infor­ma­ti­ons­frei­heit“ gele­sen. Wir wol­len mal nicht dar­über spre­chen, dass aus­ge­rech­net die Par­tei, die ver­gan­ge­ne Woche noch mit Pau­ken und Trom­pe­ten für eine Aus­wei­tung der Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung war, plötz­lich ein „Grund­recht auf Infor­ma­ti­ons­frei­heit im Inter­net“ im Grund­ge­setz ver­an­kern will. Über die­se Sor­te Logik-Pirou­et­te, die bei der SPD lang­sam in Mode zu kom­men scheint, sol­len sich ande­re aus­las­sen.

Reden wir lie­ber über das, was die Kom­men­ta­to­ren bei „Welt Online“ so kom­men­tiert haben: Los ging es mit dem, was „Ein Bür­ger“ so zu sagen hat­te.1

Ein Bür­ger meint:
17-11-2007, 13:46 Uhr
Wel­che Par­tei hat gera­de unter Frak­ti­ons­zwang für die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung gestimmt? Wel­che Par­tei hat unter Schrö­der heim­li­che Online­durch­su­chun­gen rechts­wid­rig ein­ge­führt?
Ach ja, die SPD!!!

Und jetzt will die­se Par­tei angeb­lich für bür­ger­li­che Frei­heits­rech­te und weni­ger Rech­te für die Staats­ge­walt kämp­fen?

Die machen sich doch lächer­lich und voll­kom­men unglaub­wür­dig.

In Wahr­heit will die SPD eine neue DDR und ver­sucht jetzt die „Mau­er“ die­ses Jahr­hun­derts (=tota­le Infor­ma­ti­ons- und Kommunikationskontrolle)als anti­fa­schis­ti­schen Schutz­wall (= SPD Initia­ti­ve: Grund­recht auf Infor­ma­ti­ons­frei­heit) zu tar­nen.

Wider­li­che Wort­akro­ba­tik!

Sie wer­den gleich mer­ken, dass die­se Aus­sa­ge in Sachen Para­noia noch zu den ver­nünf­ti­ge­ren Bei­trä­gen gehört – aber auch in Sachen Recht­schrei­bung und Gram­ma­tik ist das hier erst der Anfang.

Sil­ver­co­in meint:
17-11-2007, 14:31 Uhr
Infor­ma­tio­nen sind sowie­so nur für die jewei­li­gen Schich­ten der Bevöl­ke­rung vor­be­stimmt…
Wie soll der Staat ein Grund­recht auf Infor­ma­ti­on garan­tie­ren, wenn er es nicht ein­mal schafft die ande­ren Grund­rech­te, wie Pres­se­frei­heit und Post­mel­de­ge­heim­nis ein­zu­hal­ten.

Je län­ger ich die­ses Trei­ben in der Poli­tik ver­fol­ge, umso mehr wün­sche ich mir wie­der einen Kai­ser oder Ähn­li­ches.…
Auf die­se Art von Demo­kra­tie kann das Volk ver­zich­ten.….
Wir haben kei­ne Demo­kra­tie in Deutsch­land, son­dern eine Hypo­kra­tie.…

Und Sie glau­ben ja gar nicht, wie vie­le Staats­theo­re­ti­ker sich so an einem Sams­tag­nach­mit­tag im Kom­men­tar­be­reich von „Welt Online“ tum­meln:

ZWEIFLER meint:
17-11-2007, 15:20 Uhr
Das Sys­tem wird eh bald zusam­men­bre­chen. Dann kommt was Ande­res. So kann es nicht funk­tio­nie­ren. In Wirk­lich­keit regie­ren die Lob­by­is­ten, nicht das Volk.

Dabei weiß doch jedes Kind, wer Deutsch­land seit Erfin­dung der Stamm­ti­sche regiert: Natür­lich „die da oben“.

mavy meint:
17-11-2007, 16:12 Uhr
naja .. der wie­fel­spütz ist schon etwas glaub­wür­di­ger wie vie­le der ande­ren kas­per die da oben unse­re „eli­te“ bil­den sol­len

Aber hal­ten wir uns nicht mit den klei­nen Kas­pe­rei­en auf, wen­den wir uns den Rund­um­schlä­gen zu, der Ver­qui­ckung sämt­li­cher denk­ba­rer The­men, der ganz gro­ßen Ver­schwö­rung:

cor­vus albus meint:
17-11-2007, 17:56 Uhr
Dann soll­te es ‚Kom­mu­ni­ka­ti­ons­frei­heit ‘ lau­ten, weil Infor­ma­ti­on ein­sei­tig abge­ru­fen wird!
Aber zunächst soll­te die SPD mal die Bür­ger sel­ber infor­mie­ren, wie sie so zu tür­ki­schen Natio­na­lis­ten steht? Wäh­rend Beck die NPD ver­bie­ten las­sen will singt Stein­mei­er mit den tür­ki­schen Wöl­fen? Das Schwei­gen der SPD zu die­sen Vor­gang und der Medi­en ist ein­deu­ti­ger als lau­te Schreie lie­be Poli­ti­ker.… und der gan­ze Bun­des­tag schaut weg, weil es da um die deutsch-tür­ki­sche Freund­schaft geht? Lie­be Poli­ti­ker, unter ‚Freun­den‘ soll­te ein klä­ren­des Gespräch schon mög­lich sein, oder ist das etwa eine sol­che Freund­schaft, die uns der Ex-Kanz­ler Ger­hard mit Chi­na beschert hat?
Je mehr die Medi­en die­sen Fall beschwei­gen, um so mehr weiss der Büger, dass da etwas nicht stimmt im Hin­ter­grund! Hal­tet uns doch bit­te nicht für so blöd wie ihr uns ger­ne hät­tet !
Die Print-Medi­en sind schon zen­siert… soll nun per Gesetz auch noch das Inter­net zen­siert wer­den? Das scheint mir der wah­re Hin­ter­grund zu sein!

Geben Sie mir aber, bevor wir zu den Jesui­ten, den Außer­ir­di­schen und Hit­lers Tun­nel nach Tibet kom­men, noch kurz Gele­gen­heit, den popu­lärs­ten Irr­tum der deut­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te2 aus­zu­räu­men:

outface5 meint:
17-11-2007, 18:19 Uhr
.…die Ähn­lich­keit mit frü­he­ren „Sys­te­men“ Deutsch­lands wird immer deut­li­cher.

…denk ich an Deutsch­land in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. (Hein­rich Hei­ne 1797–1856)

In sei­nem Gedicht „Nacht­ge­dan­ken“ ist Hein­rich Hei­ne (1797–1856) näm­lich des­halb um den Schlaf gebracht, weil er außer­halb Deutsch­lands weilt und sich zur Mut­ter zurück­sehnt. Statt „mein Gott, wie geht die­ses Deutsch­land nur den Bach run­ter“ schrieb er sogar:

Deutsch­land hat ewi­gen Bestand,
Es ist ein kern­ge­sun­des Land,
Mit sei­nen Eichen, sei­nen Lin­den,
Werd‘ ich es immer wie­der­fin­den.

Nach Deutsch­land lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mut­ter dor­ten wär;
Das Vater­land wird nie ver­der­ben,
Jedoch die alte Frau kann ster­ben.

Nun, da Sie mit­hil­fe die­ses klei­nen lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­chen Exkur­ses dem Schwie­ger­va­ter bei der nächs­ten Debat­te am Ess­tisch das Maul stop­fen kön­nen, wol­len wir’s aber auch mal rich­tig irr wer­den las­sen:

Von Ber­li­chin­gen meint:
17-11-2007, 18:28 Uhr
Der Vor­stoß der SEPD kommt lei­der 60 Jah­re zu spät.
1968 hat die SEPD die Kur­ve nicht gekriegt.….und nun begin­nen die Rück­füh­rungs­ak­tio­nen. Mit den Deut­schen Hei­mat­ver­trie­be­nen hat­te auch kei­ner Mit­leid.
Aber wir wer­den unse­ren Gast­ar­bei­tern kein Haar krüm­men. So wahr uns Gott hel­fe!

Also, unter uns: Ich weiß auch nicht, was der Mann meint. Aber der Mann hat Zeit. Und irgend­ein erns­te­res Pro­blem:

von Ber­li­chin­gen meint:
18-11-2007, 05:03 Uhr
Ich brau­che weder von der SPD noch von den GRÜNEN ein Grund­recht auf Infor­ma­ti­ons­frei­heit.
Die­se Frei­heit mich umfas­send zu infor­mie­ren, habe ich mir seit mei­ner frü­hes­ten Jugend immer schon selbst genom­men.
Bevor es das Inter­net gab, habe ich mir Bücher, die in Deutsch­land nicht ver­legt wur­den und nur in eng­li­scher Spra­che publi­ziert wur­den über den Ame­ri­can Book­s­to­re in Frank­furt am Main bestellt oder auf Aus­lands­rei­sen gekauft.
Ich habe mei­ne Infor­ma­tio­nen z.B. nie aus dem Spie­gel-Maga­zin oder aus dem „Vor­wärts“ bezo­gen.
Von mir aus könn­te der Bun­des­tag ein Gesetz erlas­sen, das die­se Unsit­te der Lügen­pro­pa­gan­da-Pla­ka­te­kle­be­rei bei Wahl­kämp­fen end­lich ver­bo­ten wird. Das ist opti­sche und geis­ti­ge Umfeld­ver­schmut­zung und kos­tet Mil­lio­nen an Papier und Dru­cker­far­be. Für wie blöd hal­ten uns die­se Par­tei­en eigent­lich?
Hat die ARD und GEZ schon die neu­es­ten Umfra­ge­wer­te zur heu­ti­gen Sonn­tags­fra­ge ver­öf­fent­licht? Oder kommt das erst wie­der wenn der Wahl­kampf eröff­net ist?
Wer bezahlt eigent­lich für die­se Umfra­gen? Das macht doch ein „For­sa-Insti­tu­te“ nicht umsonst. Wer ist denn der Auf­trag­ge­ber, der sich da Umfra­ge­wer­te nach sei­nem Gut­dün­ken bas­teln lässt?
Sehen Sie, von der WELT-Redak­ti­on, ich mache von mei­nem Recht mich infor­mie­ren zu dür­fen Gebrauch und stel­le hier ein­fach mal dum­me Fra­gen.

Und weil in der Redak­ti­on von „Welt Online“ offen­bar nie­mand liest, was die Kom­men­ta­to­ren da so von sich geben, und des­halb auch nie­mand dum­me Ant­wor­ten auf sei­ne dum­men Fra­gen geben konn­te, schrieb „von Ber­li­chin­gen“ ein­fach mun­ter wei­ter:

von Ber­li­chin­gen meint:
18-11-2007, 11:50 Uhr
Ist es Infor­ma­ti­ons­frei­heit wenn einer auf die Idee kom­men wür­de zu fra­gen: Hat jemand die Toten der Ver­trei­bun­gen gezählt und hat der­je­ni­ge eine Namens­lis­te aller die­ser Toten? Gefal­le­ne gab es ja auf bei­den Sei­ten, da sie gezwun­gen wur­den, auf Leben und Tod gegen­ein­an­der zu kämp­fen. Bis zum letz­ten Mann. [ Frau­en und Kin­der und Grei­se und Ampu­tier­te waren für eine der bei­den Sei­ten damals unin­ter­res­sant. Das wur­de unter dem Begriff „Kol­la­te­ral­schä­den“ abge­hakt. Ab-Ge-Hakt. Haken­kreuz ] Da wur­de der Tod des eige­nen Vol­kes bewusst in Kauf genom­men, damit es nicht sovie­le Mit­es­ser gab.

Gut, für „Polit­cal­ly Incor­rect“ reicht’s noch nicht ganz und die Aus­füh­run­gen sind ver­mut­lich auch viel zu wirr, um dar­in etwas jus­ti­zia­bles zu fin­den, aber merk­wür­dig darf man den Bei­trag wohl min­des­tens fin­den.

Indes: Nicht so merk­wür­dig, wie der Kom­men­tar, den „Petra“ heu­te um 12:17 Uhr abge­ge­ben hat. Ihr eige­ner Bei­trag dazu besteht aus zwei Wör­tern:

Unse­re SPD.

Die rest­li­chen 38 Zei­len ihres Kom­men­tars bestehen aus einem Arti­kel der nicht unum­strit­te­nen Wochen­zei­tung „Jun­ge Frei­heit“. Dar­in wird die Behaup­tung auf­ge­stellt, an einem aktu­el­len Buch der baden-würt­tem­ber­gi­schen SPD-Poli­ti­ker Ute Vogt und Ste­phan Braun über die „Jun­ge Frei­heit“ hät­ten „Links­extre­mis­ten“ mit­ge­ar­bei­tet – das bele­ge „eine jetzt erschie­ne­ne Stu­die“ aus dem Ver­lag der „Jun­gen Frei­heit“. (Lesen Sie den Arti­kel doch selbst und über­se­hen Sie dabei auch nicht die Nen­nung der evan­ge­li­ka­len Pres­se­agen­tur idea als Quel­le.)

Die­ser kopier­te Arti­kel jeden­falls, der wenig bis gar nichts mit dem The­ma zu tun hat, steht seit fünf Stun­den im Kom­men­tar­be­reich von „Welt Online“.

1 Sie fin­den den Anfang ganz hin­ten, „Welt Online“ zieht es vor, sei­ne Leser­kom­men­ta­re umge­kehrt chro­no­lo­gisch anzu­zei­gen.
2 Der popu­lärs­te Irr­tum der eng­li­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te ist die Annah­me, „Fran­ken­stein“ sei der Name des Mons­ters in Mary Shel­leys Roman.

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Weder Lennon noch Heino: Interview mit Volker Strübing

Auf mei­ner Dienst­rei­se nach Ber­lin habe ich mich auch zu einem Inter­view mit Vol­ker Strü­bing getrof­fen. Es war ein sehr net­tes Gespräch mit dem Schrift­stel­ler und Schöp­fer von „Kloß & Spin­ne“ und dar­aus wäre sicher auch ein hüb­sches, klei­nes Video gewor­den, wenn …

Volker Strübing und Lukas Heinser sitzen auf einem Sofa (v.r.n.l.)

Ja, wenn die Video­ka­me­ra nicht zu weit von uns und zu nah an der The­ke vom RAW-Tem­pel gestan­den hät­te, an der gera­de das gesam­te Fla­schen­la­ger durch­ge­schüt­telt wur­de. Ohne Vor­kennt­nis­se hät­te man also kein Wort ver­stan­den, wes­we­gen ich gezwun­gen war, das gan­ze Gespräch abzu­tip­pen. Auch wenn jetzt der schö­ne Ber­li­ner Ton­fall in Vol­kers Stim­me fehlt, den­ke ich, dass es sich gelohnt hat:

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Digital

Charlotte Roche las BILDblog

Die Maß­ein­heit für ver­spä­tet vor­ge­tra­ge­ne Zeit­geist­the­men heißt „Poly­lux“. Ent­spre­chend unan­ge­nehm ist es mir, mei­nen eige­nen klei­nen Film mit ein paar Impres­sio­nen der BILD­blog-Lesung erst jetzt, nach vol­len sie­ben Tagen, prä­sen­tie­ren zu kön­nen. Er hing so lan­ge hin­ter den sie­ben Har­den­ber­gen, bei den sie­ben Har­den­zwer­gen fest. Oder auf deutsch: Es gab erheb­li­che tech­ni­sche Schwie­rig­kei­ten, die zu 85% auf mei­ner gerin­gen Weit­sicht beruh­ten.

Aber jetzt ist er ja end­lich da und Sie sol­len ohne wei­te­re zu Gesicht bekom­men, wie es war, als Char­lot­te Roche, die in Wirk­lich­keit noch char­man­ter, aber auch noch ein biss­chen klei­ner ist als im Fern­se­hen, BILD­blog las:

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Literatur

Aus den Papierkörben der Weltliteratur

War­um soll­te es auf mei­ner Fest­plat­te anders aus­se­hen als in mei­nem Zim­mer? Ich war grad auf der Suche nach etwas völ­lig ande­rem, als ich über eine Text­da­tei stol­per­te, die mei­ne Auf­merk­sam­keit erreg­te. Sie ist ziem­lich exakt sechs Jah­re alt und mit „drama.txt“ beti­telt.

Da ich „drama.txt“ für ein äußerst inter­es­san­tes zeit­his­to­ri­sches Doku­ment hal­te, möch­te ich den Inhalt hier ger­ne in vol­lem Umfang und unver­än­dert wie­der­ge­ben:

Der Marsch der Insti­tu­tio­nen – ein Dra­ma in einem Akt.
Alle Namen sind frei erfun­den.
Per­so­nen: Frau Hän­del, Leh­re­rin; Karl, Schü­ler; Herr Lin­gen, Schul­lei­ter; etwa zwei dut­zend Schü­ler
Büh­ne: Ein schlich­ter Klas­sen­raum. Wich­tig sind das Pult, eine Tür und ein sti­li­sier­ter Kreml-Turm auf einem Schü­ler­tisch.

Die Schü­ler sit­zen umher und reden. Offen­bar sol­len sie gleich eine Klau­sur schrei­ben. Die Leh­re­rin fehlt noch.
Man­fred: Wenn die wirk­lich die glei­che Klau­sur nimmt, dann wer­de ich wahn­sin­nig.
Lud­wig: So doof wird die kaum sein!
Tor­ben: Gib mir noch mal den Text von Fried­rich!

Die Tür geht auf, Frau Hän­del tritt ein. Sie trägt eine über­trie­be­ne Perü­cke und eine gro­ße Tasche.

Frau Hän­del: Hal­lo Kin­der! Hier ist eure Klau­sur!

Frau Hän­del teilt ein Papier aus. Die Schü­ler bli­cken ungläu­big dar­auf und begin­nen dann, laut zu lachen.

Tor­ben: Toll! Und jetzt hab ich das nicht gele­sen!
Frau Hän­del: Was haben Sie nicht gele­sen?
Tor­ben: Äh, die Zusam­men­fas­sung der sti­lis­ti­schen Mit­tel, genau!

Frau Hän­del geht nach vor­ne. Karl mel­det sich.

Frau Hän­del: Ja, Karl?
Karl: Ihnen ist klar, dass sie die­se Klau­sur letz­tes Jahr im Grund­kurs schon ein­mal geschrie­ben haben?!?
Frau Hän­del: (strahlt) Ja!
Karl: Ihnen ist klar, dass wir Kon­takt zu den Schü­lern die­ses Grund­kur­ses haben?!?
Frau Hän­del: (strahlt) Ja!
Karl: Ihnen ist klar, dass eini­ge von uns Zugang zu die­ser Klau­sur hat­ten?
Frau Hän­del: (strahlt) Ja, aber schrei­ben Sie erst­mal so gut, wie die im letz­ten Jahr!

Die Schü­ler gucken ungläu­big, eini­ge lachen. Karl steht auf und ver­lässt den Klas­sen­raum.

Tor­ben: Das mein­te ich näm­lich! Ich habe die Klau­sur nicht gele­sen und jetzt haben die ande­ren einen Vor­teil.
Frau Hän­del: (mur­melt etwas in einer frem­den Spra­che)

Die Schü­ler machen sich an die Arbeit und lesen den Text.

Frau Hän­del: Nicht, dass ihr das Bild inter­pre­tiert! Den hab ich nur auf das Blatt kopiert, damit ihr weißt, wie das damals aus­sah!

Lud­wig lässt sei­nen Kopf neben dem Kreml­turm aufs Pult kra­chen, ehe er das Blatt in zwei Hälf­ten (die eine mit dem Text, die ande­re mit dem Bild) reißt. Die Tür geht auf, Karl und Herr Lin­gen betre­ten die Sze­ne.

Herr Lin­gen: Frau Hän­del, kom­men Sie mal bit­te eben raus?
Frau Hän­del: (steht auf) Ja, was ist denn?
Herr Lin­gen: (zu den Schü­lern) Kann ich mich dar­auf ver­las­sen, dass Sie hier still wei­ter­ar­bei­ten?

Die Schü­ler mur­meln ein „Ja“, Herr Lin­gen und Frau Hän­del tre­ten vor die Tür. Die Schü­ler mur­meln los.

Bert: Ist das ein fünf­he­bi­ger Jam­bus? Ist das ein fünf­he­bi­ger Jam­bus?!?
Lud­wig: Ja, halt die Klap­pe!

[Anmer­kung: hier­bei muss deut­lich wer­den, dass es sich natür­lich um kei­nen fünf­he­bi­gen Jam­bus han­delt, evtl. trägt Bert ein Affen­kos­tüm o.ä.]

Die Tür wird kurz geöff­net, die Schü­ler ver­stum­men, die Tür wird wie­der geschlos­sen. Lud­wig dreht sich begeis­tert zu Karl um und streckt ihm bei­de Dau­men ent­ge­gen. Karl sitz an sei­nem blan­ken Pult. Die Tür öff­net sich erneut, Frau Hän­del kehrt etwas wack­lig zu ihrem Pult zurück, Herr Lin­gen wen­det sich an die Klas­se.

Herr Lin­gen: Also, Sie müs­sen jetzt über das The­ma schrei­ben, Sie kön­nen dann nach­her Ein­spruch ein­le­gen! (ab)

Karl, Lud­wig und eini­ge ande­re Schü­ler schüt­teln den Kopf. Frau Hän­del sagt kein Wort.

Lesen Sie nächs­te Woche: Mei­nen Dra­men­zy­klus „Sturm­frei“ (bestehend aus „Türen“, „Sitz­grup­pe“ und „Türen 2“), sowie mei­ne „Ämter“-Trilogie (bestehend aus dem Sing­spiel „Kreis­wehr­ersatz­amt“, dem klas­si­schen Dra­ma „Finanz­amt“ und dem absur­den Frag­ment „Arbeits­amt“).

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Literatur

Buchstabensuppe

Public Library, New York, NY

Mor­gen geht die Frank­fur­ter Buch­mes­se wie­der los, was man schon dar­an merkt, dass die Son­der­bei­la­gen der gro­ßen Zei­tun­gen so dick sind wie die Sams­tags­aus­ga­ben der klei­nen Zei­tun­gen. Die Kul­tur­jour­na­lis­ten der Fern­seh­an­stal­ten haben ihre obsku­ren Sitz­mö­bel, auf denen sie nam­haf­te Schrift­stel­ler und Susan­ne Fröh­lich zu befra­gen geden­ken, sicher längst in Stel­lung gebracht. An den Publi­kums­ta­gen wer­den sich unend­lich lan­ge Schlan­gen bil­den und für ein paar Tage ste­hen auch mal die­je­ni­gen im Mit­tel­punkt, an denen man in der Fuß­gän­ger­zo­ne ein­fach vor­bei­ge­hen wür­de: die Autoren.

Schon stellt sich wie­der die Fra­ge, wer das denn bit­te­schön alles lesen sol­le. Die Ant­wort ist ein­fach, zumin­dest wenn es nach Pierre Bayard geht: nie­mand. Der fran­zö­si­sche Lite­ra­tur­pro­fes­sor hat ein Buch geschrie­ben, das es sich zu lesen lohnt: „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gele­sen hat“. Der Titel ist etwas sper­rig, hat aber ande­rer­seits den Vor­teil, ziem­lich genau zusam­men­zu­fas­sen, wor­um es in dem Buch geht.

Ich glau­be ja sowie­so, dass die wenigs­ten Bücher, die gekauft wer­den, auch gele­sen wer­den. Das gilt ins­be­son­de­re für Best­sel­ler. Und ganz beson­ders für die Bücher von Bas­ti­an Sick. Bayard plä­diert des­halb für einen ent­spann­te­ren Umgang mit nicht gele­se­nen Büchern: Ob auf Cock­tail­par­ties oder in der Uni­ver­si­tät, über­all wird man in Gesprä­che über Bücher ver­wi­ckelt, die man oft genug nicht gele­sen hat. Da jeder aber ande­re Infor­ma­tio­nen aus einer Lek­tü­re mit­neh­me und man vie­les, das man gele­sen habe, eh wie­der ver­ges­se, hält Bayard es für rela­tiv egal, ob man das dis­ku­tier­te Buch über­haupt gele­sen hat oder nicht. Im Gegen­teil: Beson­ders ange­reg­te Gesprä­che fin­den sei­nes Erach­tens nicht sel­ten zwi­schen Per­so­nen statt, die den Gesprächs­ge­gen­stand bei­de nicht ken­nen.

Anhand von unter­halt­sa­men Anek­do­ten aus ver­schie­de­nen Roma­nen, von denen Bayard in den Fuß­no­ten meist zugibt, sie selbst nicht gele­sen zu haben, erstellt er eine Art „Geschich­te des Nicht­le­sens“ und gibt so zumin­dest indi­rekt Tipps, wie man auch ahnungs­los bestehen kann. Er ermu­tigt sei­ne Leser aber auch dazu, offen zu ihren Bil­dungs­lü­cken zu ste­hen.

Als Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler müss­te man die­ses Buch eigent­lich has­sen: Zum einen deckt es bru­tal auf, dass wir die wenigs­ten Bücher, über die wir spre­chen und schrei­ben, über­haupt (voll­stän­dig) gele­sen haben, zum ande­ren ermu­tigt es auch noch Ande­re zum glei­chen Ver­hal­ten. Ande­rer­seits: Was spricht dage­gen, sich mit­hil­fe von Sparks­no­tes oder der Wiki­pe­dia einen Über­blick über Bücher zu ver­schaf­fen, die man eh nie lesen wird? Man erlaubt sich ja auch Urtei­le über Fil­me, von denen man nur den Trai­ler gese­hen hat, oder beur­teilt ein Album nach sei­ner Sin­gle.

Las­sen Sie es mich also so aus­drü­cken: Die Lek­tü­re von Bayards Buch lohnt in jedem Fal­le (die vie­ler ande­rer Bücher im Übri­gen auch). Es spricht wenig dage­gen, in Gesprä­chen über Bücher, die man nicht gele­sen hat, hef­tig zu nicken und die zwei Infor­ma­tio­nen, die man dar­über kennt, ein­zu­streu­en. Viel­leicht ist das Gespräch ja so erhel­lend, dass man das Buch hin­ter­her doch noch liest. Wohl soll­te man aber bes­ser nicht von sich aus das Gespräch auf Bücher len­ken, von denen man kei­ne Ahnung hat. Das könn­te doch schnell pein­lich wer­den.

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Literatur Musik

Hör Bücher!

Heu­te ist der Welt­tag des Buches. Aus die­sem Anlass hier eine Lis­te mit den schöns­ten, wich­tigs­ten, bele­sens­ten Lite­ra­tur-Songs. Wie immer so unvoll­stän­dig wie mein Gedächt­nis:

  • Muff Pot­ter – Bis zum Mond
  • Nir­va­na – Scent­less App­ren­ti­ce (über „Das Par­füm“ von Patrick Süß­kind)
  • Maxï­mo Park – Rus­si­an Lite­ra­tu­re
  • Kash­mir – Small Poem Of Old Fri­end
  • Manic Street Pre­a­chers – The Girl Who Wan­ted To Be God (nach einem Zitat von Syl­via Plath)
  • Ryan Adams – Syl­via Plath
  • Jupi­ter Jones – Reiß die Trau­er aus den Büchern
  • The Beat­les – Paper­back Wri­ter
  • Elton John – Good­bye Yel­low Brick Road (bezieht sich auf „The Wizard Of Oz“)
  • Love – My Litt­le Red Book
  • Simon & Gar­fun­kel – Boo­kends
  • Mode­st Mou­se – Bukow­ski
  • The Wea­k­erthans – Our Reti­red Explo­rer (Dines With Michel Fou­cault In Paris, 1961)
  • The Ata­ris – If You Real­ly Wan­na Hear About It … (ers­te Zei­le aus „The Cat­cher In The Rye“)
  • Pie­bald – Hol­den Caul­field (benannt nach der Haupt­fi­gur eben­da)
  • Babysham­bles – À Rebours (benannt nach einem Roman von Jor­is-Karl Huys­mans)
  • Toco­tro­nic – Gegen den Strich (benannt nach dem deut­schen Titel des Huys­mans-Romans)
  • Black Rebel Motor­cy­cle Club – Howl (benannt nach dem berühm­ten Beat­ge­dicht von Allen Gins­berg)
  • Smas­hing Pump­kins – Soma (benannt nach der Dro­ge in „Bra­ve New World von Aldous Hux­ley)

Und hier der gro­ße Ali­ce-im-Wun­der­land-Zuga­ben­block:

  • The Sis­ters Of Mer­cy – Ali­ce
  • Elton John – Mona Lisa And Mad Hat­ters
  • Aimee Mann – Hump­ty Dump­ty
  • Jef­fer­son Air­plane – White Rab­bit
  • Sym­pho­ny X – Through The Loo­king Glass
  • Tra­vis – The Hump­ty Dump­ty Love Song
  • Bright Eyes – Down In A Rab­bit Hole