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Musik

Ich erinner‘ mich an alles

Alles hat­te mit Tom Liwa ange­fan­gen. Auf mei­nem ers­ten Fes­ti­val, Hald­ern 2000. Zwi­schen all den rocken­den Bands (also: soweit man in Hald­ern von „rocken“ spre­chen kann, es war irgend­wann zwi­schen Soul­wax, Embrace, K’s Choice und Paul Wel­ler) stand da ein Mann auf der Büh­ne, der zur Akus­tik­gi­tar­re irgend­wel­che deut­schen Tex­te näsel­te, in denen For­mu­lie­run­gen wie „jetzt darfst Du mich anfas­sen“ und „der Mit­tel­strei­fen wird nie­mals für uns bei­de rei­chen“ vor­ka­men. Mein bes­ter Freund und ich fanden’s doof – aus Prin­zip. Aber der Mann brauch­te kei­ne vier­zig Minu­ten, um uns durch die Emo­tio­nen „Ableh­nung“, „Mit­leid“, „Respekt“ und „Bewun­de­rung“ zu schi­cken. Anschlie­ßend baten wir höf­lich um Auto­gram­me und waren Fans.

Das ers­te Kon­zert, für das wir uns allei­ne mit der Bahn von Dins­la­ken aus auf den Weg in die gro­ße wei­te Welt mach­ten, war Tom Liwa im Bahn­hof Lan­gen­d­re­er (auf der Rück­fahrt ereig­ne­te sich die­se Epi­so­de). Obwohl wir mit 17 noch nicht die vol­le Dimen­si­on der Liwa’schen Tex­te erfas­sen konn­ten, waren Zei­len wie „Du bist ein selt­sa­mes, selt­sa­mes Mäd­chen“ oder „Es gab eine Zeit, da waren wir alle ver­liebt in Dich – auch ich“ natür­lich auch damals schon greif­bar. Liwa brach­te mir deutsch­spra­chi­ge Musik nahe, lan­ge bevor ich kett­car oder Tom­te kann­te.

Inner­halb von 13 Mona­ten sah ich Tom Liwa fünf Mal live, davon ein­mal auf dem Kir­chen­tag in Frank­furt, wo er zuvor bei einer Podi­ums­dis­kus­si­on irgend­ein Mit­glied der Söh­ne Mann­heims … nun ja: gedisst hat­te. Der bis­her letz­te Kon­zert­be­such war am 13. Sep­tem­ber 2001 in Wesel: Die gan­ze Welt war durch­ein­an­der und Tom Liwa stand auf der Büh­ne des Karo und bret­ter­te mit sei­ner Post-Punk-Band No Exis­te durch sein sonst so fili­gra­nes Werk. Alles war sur­re­al, aber es pass­te. Auf dem Heim­weg fühl­ten wir uns ein Stück weit siche­rer.

Dann dif­fun­dier­te Liwas Werk ins Eso­te­ri­sche: Er nahm Plat­ten auf, die mir gar nichts gaben, bot irgend­wel­che Semi­na­re an, über deren Inhalt und Sinn ich nicht urtei­len kann, und refor­mier­te die Flower­porn­oes für ein auch eher außer­ge­wöhn­lich zu nen­nen­des Album. Im ver­gan­ge­nen Jahr dann „Eine Lie­be aus­schließ­lich“: Tom Liwa wie­der völ­lig redu­ziert und ganz bei sich, dazu je ein Cover von Dylan und Snow Pat­rol.

Und jetzt: Tom Liwa, Bahn­hof Lan­gen­d­re­er. (Almost) ten years after. Die anfäng­li­che Angst, dass man da allei­ne sit­zen wür­de, ver­fliegt schnell. Neben­an tritt Johann König auf – auch nicht schön, aber so sind sie, unse­re Kul­tur­zen­tren: Ein Spie­gel der Gesell­schaft und ihres Geschmacks. Liwa eröff­net mit „I’ll Keep It With Mine“ auf der Uku­le­le und Bob Dylan ist ein gutes Stich­wort: Ein Grea­test-Hits-Pro­gramm wer­de er spie­len, sagt Liwa, „was ein biss­chen schwie­rig ist, weil ich ja nie Hits hat­te“. Aber was er spielt, ist genau das, was ich hören will, und was mich tat­säch­lich um zehn Jah­re zurück­wirft.

Nach einer Dylan-mäßig dekon­stru­ier­ten Fas­sung von „Für die lin­ke Spur zu lang­sam“ (Wie jetzt, „nie Hits“?!) fol­gen vie­le Sachen von den ers­ten bei­den Solo­al­ben, Neil Young, Joni Mit­chell und so ziem­lich das Schöns­te aus Flower­porn­oes-Zei­ten („Nicht müde genug“, „Eng in mei­nem Leben“, „Herz aus Stein“, „Respekt“). Tom Liwa ist blen­dend auf­ge­legt, er hat pri­vat ordent­lich was durch­ge­macht, wie er andeu­tet, aber alles über­wun­den. Nach Elliott Smith, Vic Ches­nutt und Mark Lin­kous tut es gut, einen Musi­ker zu sehen, dem es offen­sicht­lich gut geht. Sei­ne Ansa­gen las­sen den neben­an auf­tre­ten­den Come­di­an alt aus­se­hen. Und dann zwei Stun­den lang die­se Songs in einer Atmo­sphä­re, in der man Steck­na­deln Han­dys fal­len hören kann …

Man kann und will das nicht glau­ben, dass es schon fast eine gan­ze Deka­de her sein soll, als man in sei­nem Jugend­zim­mer saß, „St. Amour“ ins CD-Lauf­werk des PCs ein­leg­te und sich der Melan­cho­lie von Songs hin­gab, die sich einem zum gro­ßen Teil erst jetzt erschlie­ßen. Wenn grad nicht Tom Liwa lief, lie­fen die Smas­hing Pump­kins, an die­sen dunk­len, nas­sen Herbst­aben­den, die im Rück­blick gan­ze Jah­re füll­ten. Bil­ly Cor­gan schreibt heu­te Songs mit Jes­si­ca Simpson, Tom Liwa ist immer noch da. Und er ist so gut wie eh und je.

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Musik Unterwegs

Drei Tage im August

Haldern Pop 2009.

Der jun­ge Mann war schon die gan­ze Zeit mit CDs und einem Filz­stift über den Alten Reit­platz gelau­fen und hat­te Leu­te an den Ein­gän­gen zu Back­stage- und Pres­se­be­rei­chen ange­spro­chen, ob sie ihm wei­ter­hel­fen könn­ten. Jetzt stand er plötz­lich hin­ter einer die­ser Absper­run­gen und ließ sich Auto­gram­me von Asaf Avi­dan und des­sen Band geben. Nach­dem die­ses klei­ne Zusam­men­tref­fen für alle Betei­lig­ten so erfreu­lich ver­lau­fen war, ging Asaf Avi­dan noch ein­mal zum Secu­ri­ty-Mit­ar­bei­ter am Zugang zum Pres­se­be­reich und bedank­te sich bei ihm: „Thanks for let­ting that guy in!“

Es ist nur ein Detail, aber als ich es am Ran­de mit­be­kam, dach­te ich: „Das ist Hald­ern!“ Das Fami­liä­re, Ent­spann­te, etwas Ande­re macht das Fes­ti­val am schö­nen Nie­der­rhein auch bei der 26. Auf­la­ge zu etwas beson­de­rem. (Mit „beson­ders“ mei­ne ich übri­gens nicht ein­zig­ar­tig – ich weiß, dass es über­all in Deutsch­land so klei­ne, per­sön­li­che Fes­ti­vals gibt. Aber unter die­sen dürf­te Hald­ern dann schon wie­der das größ­te sein.) Dok­ter Renz von Fet­tes Brot wirk­te eini­ger­ma­ßen ver­wirrt, als er fest­stell­te, dass die gan­ze Büh­ne frei von Mobil­funk­wer­bung war – eigent­lich erstaun­lich, dass die Fes­ti­val-Tickets trotz solch aus­ge­schla­ge­ner Ein­nah­me­quel­len ver­gleichs­wei­se güns­tig sind.

Haldern Pop 2009.

Dass das Hald­ern Pop die­ses Jahr erst am zwei­ein­halb­ten August­wo­chen­en­de statt­fand, hing mit dem Ter­min des Lol­la­pa­loo­za-Fes­ti­vals in Chi­ca­go zusam­men (das letz­te Fes­ti­val in Nord­ame­ri­ka, nach dem dann all Künst­ler wie die Zug­vö­gel nach Euro­pa wei­ter­zie­hen), erwies sich in Sachen Wet­ter aber als abso­lu­ter Glücks­fall. Nach den legen­dä­ren Schlamm­schlach­ten 2005 und 2006 ist man ja eini­ger­ma­ßen beschei­den und freut sich schon, wenn sich sowas nicht mehr wie­der­holt, aber so gut wie in die­sem Jahr habe ich das Wet­ter seit neun Jah­ren nicht in Erin­ne­rung (2003 war es wär­mer, aber das war abso­lut unan­stän­dig und kurz vor töd­lich). Und an den impro­vi­sier­ten Was­ser­wer­fern Berie­se­lungs­an­la­gen zeig­te sich dann wie­der der beson­de­re Hald­ern-Charme.

Auch sonst war mein Zehn­tes für mich eines der schöns­ten Hald­ern-Fes­ti­vals über­haupt. Zwar war es musi­ka­lisch nicht hun­dert­pro­zen­tig über­zeu­gend, aber das liegt zum einen dar­an, dass ich immer noch jedes Hald­ern mit der 2001er Aus­ga­be (Tra­vis, Star­sail­or, Neil Finn, The Divi­ne Come­dy, Phoe­nix, Muse, Slut, Black­mail, …) ver­glei­che, und zum ande­ren kann man’s ja eh nie allen gleich­zei­tig recht machen. Ver­an­stal­ter Ste­fan Reich­mann sag­te sogar, er fän­de es legi­tim, „auch mal was rich­tig schei­ße zu fin­den“ – aber die­se Ein­schät­zung traf dann bei mir doch auf kei­nen der gese­he­nen Künst­ler zu.

Fettes Brot beim Haldern Pop 2009.

Bon Iver waren wie erwar­tet groß­ar­tig (und genau rich­tig in der frü­hen Abend­son­ne), Fet­tes Brot, Dear Rea­der, Wil­liam Fitzs­im­mons und Ath­le­te gefie­len mir auch live gut. Colin Mun­roe war die Neu­ent­de­ckung des Fes­ti­vals und mit Anna Tern­heim, Asaf Avi­dan & The Mojos, The Ther­mals und Blit­zen Trap­per muss ich mich dann in den nächs­ten Wochen noch mal näher befas­sen.

Der Span­nungs­bo­gen hät­te frei­lich ein wenig mehr Zug ver­tra­gen: Vie­les plät­scher­te nett vor sich hin, was auch sehr schön war, aber als die Ther­mals plötz­lich los­bra­chen, waren sich vie­le einig, dass es dem Fes­ti­val bis­her etwas an Dri­ve gefehlt hat­te.

Hat­te ich in den letz­ten Jah­ren zwi­schen­durch immer in bes­ter „Lethal Weapon“-Manier geflucht, dass ich jetzt lang­sam aber wirk­lich „zu alt für die­sen Scheiß“ sei, bin ich mir dies­mal abso­lut sicher: Wir sehen uns 2010!

Mehr Hald­ern Pop 2009 hier im Blog: Live­blog Frei­tag und Live­blog Sams­tag.

Hald­ern Pop im Fern­se­hen: Rock­pa­last.

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Musik Unterwegs

Haldern Pop 2009: Liveblog Samstag

iLi­KET­RAiNS
Die Band zum iPod (oder so). Irgend­wie ist die­ser Acht­zi­ger-Düs­ter­pop ein gro­ßer blin­der Fleck in mei­nem Musik­ge­schmack (s.a. hier), denn für mich klin­gen alle die­se Edi­tors, Inter­pols, White Lies, Foals und eben auch iLi­KET­RAiNS alle gleich. Eine jun­ge Frau sag­te gera­de, das sei Musik, die sie nur hören wol­le, wenn sie mit dem letz­ten Bier in der Hand nach Hau­se schwan­ke und es liegt mir fern, die­ses fach­kun­di­ge Urteil in Abre­de stel­len zu wol­len. Es passt halt irgend­wie nicht so recht zum lang­sa­men Ver­bren­nen wei­ter Tei­le der eige­nen Haut­ober­flä­che.

Dear Reader beim Haldern Pop 2009

Dear Rea­der
Die­se süd­afri­ka­ni­sche Band hat­te ich eigent­lich schon lan­ge bei der Lis­ten­pa­nik nach­tra­gen wol­len: Wun­der­schö­ner Indiepop mit Sän­ge­rin und Folk-Ein­schlag (klar), der ganz wun­der­bar zum Wet­ter passt. Zum ers­ten Mal seit neun Jah­ren habe ich wie­der auf der Wie­se vor der Büh­ne gehockt (weil sie gar nicht mat­schig ist). Wäh­rend­des­sen fuhr ein Tre­cker mit vol­lem Was­ser­tank vor und eröff­ne­te eine Was­ser­stel­le neben der Büh­ne (so wird die Wie­se viel­leicht doch noch mat­schig). Um es Goog­le-taug­lich zu for­mu­lie­ren: Jun­ge, hüb­sche Men­schen über­gie­ßen ihre halb­nack­ten Kör­per mit Was­ser. Und ich Wahn­sin­ni­ger will gleich ins Spie­gel­zelt …

Junge, hübsche Menschen übergießen ihre halbnackten Körper mit Wasser.

Grizz­ly Bear
Auf­grund von Ände­run­gen im Zeit­plan (die bis­her nie­mand so recht erklä­ren konn­te), spielt Wil­liam Fitzs­im­mons erst um halb sechs im Spie­gel­zelt. Das gibt mir Gele­gen­heit, noch ein biss­chen Grizz­ly Bear auf der Haupt­büh­ne zu hören. Wenn das Gedrän­ge im Foto­gra­ben ein guter Indi­ka­tor für die Wich­tig­keit einer Band ist (was bis­her eigent­lich immer der Fall war), dann ist das Quar­tett aus Brook­lyn ver­dammt wich­tig. Radio­head sind erklär­te Fans und das passt auch ganz gut, auch wenn bei Grizz­ly Bear die Folk-Ein­flüs­se (was sonst?) deut­lich stär­ker durch­kom­men. Min­des­tens drei Band­mit­glie­der sin­gen (abwech­selnd und gemein­sam) und spie­len dazu Musik, die irgend­wo zwi­schen Ani­mal Coll­ec­ti­ve und Fleet Foxes ange­sie­delt ist. Der Groß­teil des Publi­kums ist indes dort ange­sie­delt, wo die Bäu­me auf dem Alten Reit­platz etwas Schat­ten spen­den, denn es ist doch ein gan­zes Stück wär­mer, als die­ser alber­ne Wet­ter­be­richt mal wie­der vor­ab behaup­tet hat­te. („Zuver­läs­sig wie der Wet­ter­be­richt“ soll­te eigent­lich die schlimms­te Belei­di­gung deut­scher Spra­che sein – war­um ist sie es nicht?)

William Fitzsimmons beim Haldern Pop 2009.

Wil­liam Fitzs­im­mons
Ja, es war warm im Spie­gel­zelt, aber dann doch nicht so heiß wie befürch­tet. Dazu kam, dass es sich kon­ti­nu­ier­lich leer­te – war­um auch immer, an der Musik wird es kaum gele­gen haben. Die war wun­der­schön melan­cho­li­scher Folk­pop zwi­schen Joshua Radin und Bon Iver. In sei­nen Ansa­gen offen­bar­te Fitzs­im­mons erstaun­li­che Deutsch­kennt­nis­se und zeig­te sich total begeis­tert vom Publi­kum.

Bon Iver beim Haldern Pop 2009.

Bon Iver
Als ich aus dem Spie­gel­zelt kam, hör­te ich plötz­lich Bon Iver. Aber die soll­ten doch erst um Vier­tel vor Neun spie­len?! So wie es aus­sieht, wird die 2009er Aus­ga­be als Hald­ern mit den meis­ten Zeit­plan­än­de­run­gen in die Geschich­te ein­ge­hen – dumm, wenn man davon nichts mit­be­kom­men hat. (Dies­mal lag es wohl dar­an, dass Andrew Bird noch unter­wegs war.) Aber lan­ge auf­re­gen kann man sich über sol­che spon­ta­nen Wech­sel natür­lich nicht, wenn gera­de eine der bes­ten Bands der letz­ten Jah­re ihre wun­der­ba­re Musik spielt. Ehr­lich gesagt pass­te die dann auch viel bes­ser zur Abend­son­ne und dem wol­ken­lo­sen Him­mel, die der sowie­so natur­ver­bun­de­nen Musik (die berühm­te Wald­hüt­te, in der „For Emma, Fore­ver Ago“ ent­stand) noch mehr mit­ga­ben. Bon Iver hat­te ich im Mai schon gese­hen, aber sie sind immer wie­der beein­dru­ckend.

The Ther­mals
Stel­len Sie sich vor: Man kann auch Songs mit mehr als 120 beats per minu­te spie­len. Auf dem Hald­ern ist das in die­sem Jahr eine Neu­ig­keit – und ent­spre­chend wird die schön nach vor­ne gehen­de Rock­mu­sik von den Ther­mals hier gera­de gefei­ert. Der Regis­seur des (fast) alles auf­zeich­nen­den Rock­pa­lasts fei­ert das mit gesund­heits­schäd­li­chen Schnit­ten, wie wir hier auf dem Kon­troll­mo­ni­tor sehen kön­nen. Egal: Die Band rockt schön, da muss ich unbe­dingt mal ins Album rein­hö­ren. (PS: Patrick Sway­ze lebt ent­ge­gen anders lau­ten­der Gerüch­te auf dem Platz und auf der Büh­ne immer noch.)

Blit­zen Trap­per
Wegen der abschlie­ßen­den Pres­se­kon­fe­renz hab ich nur noch 1 1/​2 Songs der Sub-Pop-Band aus Ore­gon mit­ge­kriegt, aber die hat­ten es in sich: blues­ro­ckig ging es noch vor­ne, eine Mischung aus ZZ Top und Crosby, Stills, Young & Nash. Das deckt sich auch nicht gera­de mit den Songs der Band, die ich vor­her kann­te, aber es schreit defi­ni­tiv nach einer nähe­ren Aus­ein­an­der­set­zung.

König Boris von Fettes Brot beim Haldern Pop 2009.

Fet­tes Brot
Nach­dem die „Bro­te“ letz­tes Jahr als Über­ra­schungs­gast im Zelt gespielt hat­ten (wo nur die wenigs­ten dabei waren), gab es sie die­ses Jahr offi­zi­ell auf der Haupt­büh­ne für alle. Und alle kamen. Kein Ver­gleich mit der gro­ßen Dis­kus­si­on um Jay‑Z beim Glas­ton­bu­ry, noch nicht mal eine Mini­mal­auf­re­gung wie bei Jan Delay auf dem Hald­ern vor zwei Jah­ren habe ich mit­ge­kriegt. Fet­tes Brot waren über­ra­schen­der­wei­se die Kon­sens­band und wie zum Beweis eröff­ne­ten sie ihre Show (und was für eine das war!) mit „Jein“, einem von den drei deutsch­spra­chi­gen Hip­hop-Lie­dern, die jeder Mensch mit­rap­pen kann, der zwi­schen 1980 und 1990 gebo­ren ist (die ande­ren sind „Sie ist weg“ von den Fan­tas­ti­schen Vier und „A‑N-N‑A“ von Freun­des­kreis). Es gab aber nicht nur ein Grea­test-Hits-Pro­gramm, son­dern auch Absei­ti­ges wie die B‑Seiten „Kon­trol­le“ (gegen Vor­rats­da­ten­spei­che­rung, Über­wa­chungs­staat und Wolf­gang Schäub­le) und „Was in der Zei­tung steht“ (gegen „Bild“ und ande­re Trash-Medi­en), Cover­ver­sio­nen von Rio Rei­ser („Ich bin müde“) und Fehl­far­ben („Ein Jahr“) und im unver­meid­li­chen Fina­le „Nor­dish By Natu­re“ erklan­gen plötz­lich „Dance With Some­bo­dy“ und „Män­ner sind Schwei­ne“. Nach viel ruhi­ger und schwel­gen­der Musik und mil­dem Gemo­s­he bei den Ther­mals konn­te wer woll­te zum Abschluss also noch mal rich­tig schön abge­hen. Ein Abschluss nach Maß.

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Haldern Pop 2009: Liveblog Freitag

Hauptquartier der Elite.

Herz­lich Will­kom­men!

Auch in die­sem Jahr gibt es ein Hald­ern Pop Fes­ti­val und über­ra­schen­der­wei­se auch ein dazu­ge­hö­ri­ges Live­blog. (Oder meh­re­re, aber spe­zi­ell soll uns hier erst mal die­ses hier inter­es­sie­ren.)

Aus ver­schie­de­nen Grün­den, zu denen unter ande­rem die Absa­ge von Soap & Skin für den gest­ri­gen Abend zäh­len, bin ich erst heu­te ange­reist. Das Wet­ter ist nahe­zu ide­al: Die Son­ne scheint, aber es ist nicht zu heiß; der Zelt­platz­bo­den ist weich genug, dass man die Herin­ge rein­trei­ben kann, aber weit von mat­schig ent­fernt und ich will schwer hof­fen, dass ich die Gum­mi­stie­fel die­ses Jahr völ­lig umsonst mit­ge­nom­men habe.

Asaf Avi­dan & The Mojos
Nach­dem ich die ers­ten Songs vom Pres­se­zelt aus gehört hat­te und zur Büh­ne ging, war ich über­rascht: Da sang ein Mann. Vom Klang her hät­te ich eher eine Pat­ti-Smit­h‑, Janis-Jop­lin-ähn­li­che Sän­ge­rin erwar­tet. Auch der blue­si­ge Rock­sound wirk­te ein biss­chen wie aus einem län­ger zurück­lie­gen­den Jahr­zehnt, schlug aber beim Publi­kum prompt ein. Die israe­li­sche Band (kennt man ja auch nicht sooo vie­le) hat gera­de einen Ver­lags­deal mit Chry­sa­lis unter­schrie­ben, was den Ver­dacht nahe­legt, dass ihr Debüt­al­bum bald auch regu­lär in Deutsch­land erschei­nen wird.

Port O’Bri­en
Eine die­ser Bands, bei denen ich weiß, dass ich das Album besit­ze, es gut fand und trotz­dem fast nie gehört hab. Dann jetzt eben live, inklu­si­ve Songs vom neu­en, im Okto­ber erschei­nen­den Album. Wie vie­le ande­re Bands die­ses Jahr spie­len auch Port O’Bri­en Folk-Musik im enge­ren Sin­ne und es kann nicht mehr lan­ge dau­ern, bis allen Fes­ti­val-Besu­chern (auch den weib­li­chen) Voll­bär­te, Fern­fah­rer­müt­zen und karier­te Baum­woll­hem­den gewach­sen sind.

Final Fantasy beim Haldern Pop 2009.

Final Fan­ta­sy
Wenn Sie bei „jun­ger Mann mit Gei­ge“ an den Gewin­ner des dies­jäh­ri­gen Schla­ger-Grand-Prix den­ken müs­sen, ken­nen Sie Owen Pal­lett ver­mut­lich noch nicht. Der hat nicht nur bei diver­sen Alben sei­ne Fin­ger im Spiel (und am Instru­ment) gehabt, son­dern auch sein Solo­pro­jekt Final Fan­ta­sy. Und wenn ich „Solo“ schrei­be, mei­ne ich: Ja, der Mann steht ganz allei­ne auf der Büh­ne, spielt immer neue Samples ein und singt dazu. Das Ergeb­nis klingt eini­ger­ma­ßen unver­gleich­lich und passt wun­der­bar zur frü­hen Abend­son­ne.

Wood­pi­ge­on
Mein ers­ter Aus­flug ins gehass­lieb­te Spie­gel­zeit. Noch vor weni­gen Stun­den muss es hier unglaub­lich heiß gewe­sen sein, jetzt geht’s. Auch gut, dass das Rau­chen im Zelt jetzt ver­bo­ten ist und die Kon­zer­te auf eine Groß­bild­lein­wand im Bier­gar­ten vor dem Zelt über­tra­gen wer­den. Der Bier­gar­ten ist noch vol­ler als das Zelt. Sie mer­ken schon: Über die Musik von Wood­pi­ge­on mag ich nur ungern schrei­ben. Net­ter Folk, aber das war’s dann irgend­wie auch schon.

Noah And The Whale beim Haldern Pop 2009

Noah And The Wha­le
Jubel­stür­me im Publi­kum und mir hat’s auch gefal­len. Ich weiß nur beim bes­ten Wil­len nicht, wie ich die Musik beschrei­ben soll. Schon so ein biss­chen wie­der die­se Acht­zi­ger-Dun­kel-Kis­te, aber dann doch irgend­wie mit deut­lich mehr Folk-Ein­flüs­sen. Egal, wonach es klingt: Es klang toll.

Anna Tern­heim
Und da hät­ten wir dann auch mein ers­tes ech­tes High­light des Fes­ti­vals: Anna Tern­heim, die mir auch schon öfter von Freun­den emp­foh­len wor­den war, was ich wie üblich irgend­wie nicht in einen Hör-Impuls hat­te umwan­deln kön­nen. Jeden­falls habe ich ihre Musik jetzt gehört und war begeis­tert. Klu­ger Sin­ger/­Song­wri­ter-Pop zwi­schen Regi­na Spek­tor und First Aid Kit.

Colin Munroe beim Haldern Pop 2009.

Colin Mun­roe
Ein ganz per­sön­li­cher Favo­rit von Hald­ern-Orga­ni­sa­tor Ste­fan Reich­mann, der zwi­schen­durch auch selig lächelnd neben der Büh­ne stand. Über­haupt lächel­ten alle im Spie­gel­zelt und wer nicht lächel­te, war grad mit Tan­zen beschäf­tigt. Colin Mun­roe aus Toron­to, der in Hald­ern sei­ne ers­te Show außer­halb Nord­ame­ri­kas spiel­te, ist mit Hip­Hop auf­ge­wach­sen und kom­bi­niert die­sen sehr läs­sig mit Pop und knallt dem Publi­kum einen Sound vor den Latz, bei dem man schon dem Hirn­tod nahe sein muss, um ruhig zu blei­ben. Wie Jason Mraz (nur mehr nach vor­ne), wie die New Radi­cals (nur moder­ner), wie The Whitest Boy Ali­ve (nur noch zwin­gen­der). Mei­ne Her­ren, defi­ni­tiv der Höhe­punkt des ers­ten Tages, egal was jetzt noch kommt.

Athlete beim Haldern Pop 2009.

Ath­le­te
Ath­le­te ver­öf­fent­li­chen die­ses Jahr ihr vier­tes Album, was bei mir die Fra­ge auf­wirft, wie ich eigent­lich ihr drit­tes ver­pas­sen konn­te. Nun ja: zu spät. Gespielt haben sie Songs aus allen Schaf­fens­pe­ri­oden, ihren mut­maß­lich größ­ten Hit „Half Light“ gleich an drit­ter Stel­le. Das war schon deut­lich main­stream­ra­dio­taug­li­cher als die meis­ten ande­ren Bands, hat aber genau­so viel Spaß gemacht. Die Mischung aus Melan­cho­lie und Eupho­rie (s.a. Star­sail­or, Vega4, The Upper Room) muss man frei­lich mögen. Ich tu’s und so war’s ein gelun­ge­ner Abschluss für den (also: mei­nen) ers­ten Fes­ti­val­tag.

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TV-Tipp: 25. Haldern Pop Festival

Am kom­men­den Wochen­en­de wird der „Rock­pa­last“, eine der letz­ten Bas­tio­nen von (Live-)Musik im deut­schen Fern­se­hen, das aus­strah­len, was der WDR so beim Hald­ern Pop Anfang August auf­ge­zeich­net hat.

In der Nacht von Sams­tag (30. August) auf Sonn­tag (31. August) gibt es ab Mit­ter­nacht eine Art High­light-Zusam­men­stel­lung mit Kula Shaker, Maxï­mo Park, Guil­l­emots, Kate Nash, The Natio­nal, The Hea­vy, Jamie Lidell, Okker­vil River, Iron & Wine, White Lies, Joan As Poli­ce Woman und The Dodos; in der Nacht von Sonn­tag (31. August) auf Mon­tag (1. Sep­tem­ber) gibt es von 00:45 Uhr bis 02:45 Uhr wohl etwas län­ge­re Aus­schnit­te aus den Kon­zer­ten von den Edi­tors und Jack Peña­te. Nicht zu sehen (weil nicht auf­ge­zeich­net) sind mei­ne per­sön­li­chen Fes­ti­val-Höhe­punk­te Fla­ming Lips, Kili­ans, Mintz­kov, Fleet Foxes und Loney, Dear.

Die stän­dig im Weg ste­hen­den WDR-Kame­ras und die schie­re Omni­prä­senz des Sen­ders beim Hald­ern Pop habe ich zum Anlass genom­men, mal Kon­takt mit der Pres­se­stel­le des WDR auf­zu­neh­men. Gera­de, nach­dem ich am Wochen­en­de nach Hald­ern in einer „Rockpalast“-Zusammenfassung vom „Rheinkultur“-Festival gese­hen hat­te, dass man dort mit sehr viel hand­li­che­ren Hand­ka­me­ras gefilmt hat­te.

Fol­gen­des woll­te ich also wis­sen:

- Gibt es beson­de­re Kri­te­ri­en, nach denen ent­schie­den wird, ob ein Fes­ti­val mit Stand- oder Hand­ka­me­ras gefilmt wird?
– Wie ernst nimmt der WDR die Kri­tik von Jour­na­lis­ten­kol­le­gen und zah­len­den Fes­ti­val­be­su­chern?
– Wie vie­le Stun­den Pro­gramm vom Hald­ern Pop wer­den (ohne Wie­der­ho­lung und Mehr­fach­aus­wer­tung) ins­ge­samt im „Rock­pa­last“ lau­fen?
– Wie vie­le Mit­ar­bei­ter des WDR waren beim Hald­ern Pop ins­ge­samt im Ein­satz („Rock­pa­last“, Eins­li­ve, „Lokal­zeit“, …)
– Wer­den die Über­tra­gungs­rech­te für Fes­ti­vals und Kon­zer­te eigent­lich (ähn­lich wie die für Sport­ver­an­stal­tun­gen) ein­ge­kauft oder sind sie Teil der Koope­ra­ti­ons­ver­ein­ba­rung zwi­schen Sen­der und Ver­an­stal­ter?

Und fol­gen­des ant­wor­te­te mir die WDR-Pres­se­stel­le:

Der WDR arbei­tet je nach Pro­duk­ti­on mit unter­schied­li­chem tech­ni­schen Mate­ri­al, d.h. sowohl mit Hand- als auch mit fes­ten Kame­ras.
Grund­sätz­lich neh­men wir die Kri­tik von Jour­na­lis­ten, Besu­chern oder auch Zuschau­ern sehr ernst. In die­sem Fall gab es einen engen Aus­tausch zwi­schen den Ver­an­stal­tern des Fes­ti­vals und der Redak­ti­on. Bei den Ver­an­stal­tern sind kei­ner­lei Beschwer­den bzgl. Behin­de­run­gen ange­kom­men.

Der WDR wird rund 9,5 Stun­den vom Hald­ern-Pop-Fes­ti­val berich­ten, wei­te­re Infos dazu fin­den Sie auch auf der Web­site www.rockpalast.de.

Bit­te haben Sie Ver­ständ­nis, dass wir nicht zu allen inter­nen Pla­nun­gen Aus­kunft geben kön­nen.

Scha­de. Es hät­te mich doch mal inter­es­siert, ob das Fes­ti­val wenigs­tens viel Geld dafür kriegt, dass Bericht­erstat­ter in ihrer Arbeit behin­dert wer­den und Zuschau­er auf häss­li­che Gerä­te aus dem Tech­nik­mu­se­um star­ren müs­sen. Denn wenn der WDR hül­fe, die Ticket­prei­se unten zu hal­ten, wäre es ja noch okay.

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Im Weg, im Netz

WDR-Kameras beim Haldern Pop 2008

WDR-Kameras beim Haldern Pop 2008

WDR-Kameras beim Haldern Pop 2008

WDR-Kameras beim Haldern Pop 2008

Ja, es war ein biss­chen schwie­rig, beim Hald­ern Pop Fotos zu machen, auf denen kei­ne Fern­seh­ka­me­ras des omni­prä­sen­ten WDR zu sehen waren. Die Foto­gra­fen im Gra­ben klag­ten sich gegen­sei­tig ihr Leid und die zah­len­den Zuschau­er in den ers­ten Rei­hen übten sich im Dran­vor­bei­gu­cken.

Aber Rache ist süß: die High­lights des Hald­ern Pop 2008 – dem­nächst (viel­leicht) irgend­wann mit­ten in der Nacht im WDR-„Rockpalast“, aber schon jetzt auf You­Tube. Gefilmt von Fans für Fans:

Intro Fla­ming Lips (vom WDR gar nicht auf­ge­zeich­net)

[Direkt­link]

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Musik Digital

Zwei Finnen mit einer Klappe

Eigent­lich soll­te hier ja Pau­se sein wegen Hald­ern-Live­ge­b­log­ge da drü­ben, aber …

Sie ahnen nie, wel­ches Medi­um sich schon am ers­ten Tag der Hald­ern-Bericht­erstat­tung mit einer lus­ti­gen klei­nen Ver­wechs­lung her­vor­ge­tan hat.

Na gut, Sie wis­sen es ver­mut­lich eh schon:

Eigentlich sollten ursprünglich die „Mystery Jets“ spielen, für die Band waren kurzfristig „Noah and the Whale“ eingesprungen. Aber auch die mussten gestern absagen, also ging Liam Finn in die Annalen ein als die Band, die das Jubiläumsfestival eröffnet hat.

Nee, wirk­lich nicht. Das (sehr gute) Album von Liam Finn (Sohn von Neil und Nef­fe von Tim Finn, die eben­falls nicht hier sind) erscheint zwar im Herbst auf dem Hald­ern-Pop-Label, aber der Mann ist im Moment in den USA auf Tour. Ges­tern gespielt hat/​haben finn. aus Ham­burg. Hab ich irgend­wo gele­sen.

[mehr „RP Online“]

Nach­trag, 9. August: Wenn bei der „Rhei­ni­schen Post“ auf eines Ver­lass ist, dann auf die Feh­ler­kor­rek­tur:

Aber auch die mussten gestern absagen, also ging finn. in die Annalen ein als die Band, die das Jubiläumsfestival eröffnet hat.

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Musik Digital

Programmhinweis: Haldern-Blog

Heu­te star­tet in Rees-Hald­ern am schö­nen Nie­der­rhein das 25. Hald­ern-Pop-Fes­ti­val. Mit dabei sind unter ande­rem The Dodos, Fleet Foxes, Maxï­mo Park, Fla­ming Lips, Kula Shaker, Edi­tors, Kate Nash, Kili­ans, Iron & Wine, Guil­l­emots, Okker­vil River und Bernd Bege­mann – aber auch Kath­rin und ich.

Im Zuge einer feind­li­chen Über­nah­me (die aber sehr freund­lich ablief) wer­den wir das Hald­ern-Blog, das im ver­gan­ge­nen Jahr von den Kol­le­gen von Mujuk betrie­ben wur­de, mit Inhal­ten fül­len. Freu­en Sie sich auf aktu­el­le Fotos, Inter­views (hof­fent­lich) und das übli­che Geme­cker über das nie­der­rhei­ni­sche Wet­ter. Hier wird es in den kom­men­den Tagen ent­spre­chend ein wenig ruhi­ger zuge­hen.

Haldern Blog

Dis­clo­sure: Das Hald­ern-Blog wird unab­hän­gig vom, aber in enger Zusam­men­ar­beit mit dem Hald­ern-Pop-Ver­an­stal­ter Raum 3 betrie­ben. Wir bekom­men dafür kein Geld, aber (wie die meis­ten ande­ren Jour­na­lis­ten auch) frei­en Zugang zum Fes­ti­val.

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Musik

The spirit of freedom and Landluft

Neben vie­len Pros und Con­tras, jour­na­lis­tisch tätig zu sein, gibt es ein unschlag­ba­res Argu­ment für die­se Arbeit: bei Pres­see­vents gibt es fast immer was zu essen. Ges­tern hat­ten die Ver­an­stal­ter des lie­bens­wer­ten Hald­ern-Pop-Fes­ti­vals gleich zu drei Ter­mi­nen auf ein­mal an den schö­nen Nie­der­rhein gela­den: Spar­gel­es­sen, Pres­se­kon­fe­renz und Kon­zert. Klar, dass ich mir das nicht ent­ge­hen las­sen konn­te.

Schon bei der Anrei­se sah man das Prin­zip Hald­ern auf der Gar­ten­ter­ras­se des Gast­hofs Tepferd in einem ein­zi­gen Bild zusam­men­ge­fasst: da saßen Dorf­be­woh­ner beim Fei­er­abend­bier neben inter­na­tio­na­len Indie­mu­si­kern, erfreu­ten sich am strah­len­den Son­nen­schein und kämpf­ten gemein­sam gegen die gefürch­te­ten nie­der­rhei­ni­schen Blut­sauger-Insek­ten. In einem Saal, in dem sonst gol­de­ne Hoch­zei­ten gefei­ert wer­den, schar­ten sich Musik­jour­na­lis­ten und Spon­so­ren um Tische, auf denen Fäss­chen der nie­der­rhei­ni­schen Tra­di­ti­ons­braue­rei Die­bels stan­den, die seit mehr als zehn Jah­ren Part­ner des nie­der­hei­ni­schen Tra­di­ti­ons­fes­ti­vals ist.

Spargel im Gasthof Tepferd in Rees-Haldern

Obwohl ich ja selbst Nie­der­rhei­ner bin, konn­te ich die in mei­ner Hei­mat vor­herr­schen­de Begeis­te­rung für Alt­bier und Spar­gel nie so ganz tei­len. In der urge­müt­li­chen Atmo­sphä­re des Gast­hau­ses aller­dings wäre kaum etwas ande­res vor­stell­bar gewe­sen als das leicht kleb­ri­ge Gesöff und das Sai­son­ge­mü­se mit der merk­wür­di­gen Kon­sis­tenz und dem Aus­se­hen, das eher an männ­li­che Kör­per­tei­le als an irgend­et­was sonst erin­nert (viel bes­ser als Spar­gel schme­cken aber eh die Bei­la­gen: Kar­tof­feln und gekoch­ter Schin­ken mit rich­tig viel zer­lau­fe­ner But­ter über­gos­sen). Wie zum Beweis mei­nes Ein­lei­tungs­sat­zes stan­den die meis­ten Jour­na­lis­ten schon am Büf­fet, als die Eröff­nung des­sel­ben gera­de ver­klun­gen war (beson­ders Mit­ar­bei­ter des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks schei­nen sonst nichts zu Essen zu krie­gen).

Haldern v.l.n.r.: Wolfgang Linneweber, Stefan Reichmann

Als alle satt aus­sa­hen, begann der halb­wegs offi­zi­el­le Teil des Abends: das Fes­ti­val fei­ert in die­sem Jahr sein 25-jäh­ri­ges Bestehen, ein Alter, in dem „nor­ma­le Hald­er­ner schon vier Kin­der und ein Haus gebaut“ haben, wie Wolf­gang „Lin­ne“ Lin­ne­we­ber, schon ewig für die Pres­se­be­treu­ung des Fes­ti­vals zustän­dig, scherz­te. Das soll natür­lich schon irgend­wie gefei­ert wer­den, aber eben in bes­ter Hald­ern-Tra­di­ti­on, also ohne Grö­ßen­wahn und gro­ßes Spek­ta­kel. So wird in die­sem Jahr die Haupt­büh­ne aus­nahms­wei­se schon am Don­ners­tag Abend bespielt wer­den – von Foals und den Fla­ming Lips.

In kur­zen Gruß­wor­ten ver­wie­sen der Bür­ger­meis­ter der Stadt Rees und Ver­tre­ter von Die­bels und der Spar­kas­se Rees-Emme­rich auf die lang­jäh­ri­ge gemein­sa­me Geschich­te und man merk­te noch ein­mal: in Hald­ern wür­de Tra­di­ti­on auch dann groß geschrie­ben, wenn es kein Sub­stan­tiv wäre. Chef-Orga­ni­sa­tor Ste­fan Reich­mann erklär­te mehr­fach, dass das Fes­ti­val ohne die Unter­stüt­zung der Dorf­be­woh­ner nicht denk­bar wäre, und kün­dig­te schon mal an, dass der Ein­gang zum Gelän­de in die­sem Jahr bekränzt sein wer­de – wie am Nie­der­rhein sonst nach 25 Jah­ren Ehe üblich.

Mit Res­torm gibt es einen neu­en Part­ner im Boot, der gera­de mal 25 Wochen alt ist, aber für ähn­li­che Idea­le ein­steht: bei der gefühlt vier­tau­sends­ten Online-Platt­form für Musi­ker sol­len die­se end­lich mal rich­tig im Mit­tel­punkt ste­hen. Theo Favet­to, einer der Macher von Res­torm, erklär­te mir im Anschluss, was auf der Web­site schon mög­lich ist und was noch hin­zu­kom­men soll. Das klingt durch­aus span­nend und lohnt die nähe­re Betrach­tung für Musi­ker und Musik­lieb­ha­ber.

Das Fes­ti­val-Line-Up, zu dem bis­her unter ande­rem Boh­ren und der Club Of Gore, Edi­tors, Iron And Wine, Kate Nash, Okker­vil River, The Dodos und, äh: die Kili­ans gehör­ten, wur­de dann noch eben um acht neue Bestä­ti­gun­gen erwei­tert: Jamie Lidell, Fleet Foxes, Guil­l­emots, Soko, Gut­ter Twins, Kula Shaker, The Blakes und Loney, Dear. Ein bis zwei Über­ra­schun­gen wer­den spä­ter noch ver­kün­det, die Ein­tritts­kar­ten dürf­ten in etwa zwei Wochen aus­ver­kauft sein.

Guillemots live

Dann war Kon­zert: zum Abschluss der 25-Jah­re-Hald­ern-Pop-Jubi­lä­ums-Tour spiel­ten die Guil­l­emots, White Rab­bits, Soko und Loney, Dear im gro­ßen Saal des Gast­hofs auf einer klei­nen Büh­ne, auf der sonst ver­mut­lich Schüt­zen­ka­pel­len und Akkor­de­on-Orches­ter auf­tre­ten. Es war eine ganz wun­der­ba­re Atmo­sphä­re, eben auch typisch Hald­ern: Indie­kids aus ganz NRW stan­den neben alten Hald­er­nern, tanz­ten zur Musik der Guil­l­emots und lang­weil­ten sich bei den White Rab­bits. Dann muss­ten wir lei­der weg: der letz­te Zug raus aus dem Para­dies und Rich­tung Zivi­li­sa­ti­on fuhr um 22:50 Uhr vom Bahn­hof Hald­ern ab.

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Musik Unterwegs

Haldern-Liveblog (Samstag)

15:06 Uhr: Was bis­her geschah: Drecks­ver­damm­tes Mist­wet­ter! Die­se Hit­ze! Im Zelt füh­le ich mich wie Colo­nel Kurtz in der grü­nen Höl­le, außer­halb wie Erwin Rom­mel in Nord­afri­ka. Wie, mir kann man’s auch nicht recht machen? 22°C, bewölkt – soll­te doch kein Pro­blem sein.

Auf dem Weg zum Fes­ti­val­ge­län­de noch lau­war­mes Bier ver­nich­tet, aber was tut man nicht alles für authen­ti­sches Fes­ti­val-Fee­ling? Das ist näm­lich jetzt schon wie­der vor­bei, weil ich Prol­lo-Pres­se­mensch im schat­ti­gen Pres­se­zelt sit­zen darf, wäh­rend die unbarm­her­zi­ge nie­der­rhei­ni­sche Son­ne auf den ehe­mals mat­schi­gen Alten Reit­platz nie­der­brennt. Navel und Sere­e­na Manee­sh hab ich des­halb schon ver­passt, aber das Hald­ern-Blog schafft Abhil­fe.

Gera­de ste­hen Fris­ka Vil­jor auf der Büh­ne und von dem, was hier hin­ten noch ankommt, wür­de ich auf Indie-Rock tip­pen. Das soll­te mal genau­er unter­sucht wer­den.

15:35 Uhr: Den­ken Sie bei einem bär­ti­gen, lang­haa­ri­gen Mann mit Hut und Man­do­li­ne nicht auch auto­ma­tisch an Hans Süper? Sie könn­ten auch an Fris­ka Vil­jor den­ken. Die klan­gen ein biss­chen wie eine Mischung aus Arca­de Fire, Kai­zers Orches­tra, The Smith und einer durch­ge­knall­ten Coun­try­band und waren (natür­lich des­halb, nicht trotz­dem) außer­ge­wöhn­lich unter­halt­sam. Wenn es auf dem Niveau wei­ter­geht, wird das ein sehr fei­ner, aber ultra-anstren­gen­der Tag.

16:30 Uhr: Na gut: Sooooo doll ging’s dann doch nicht wei­ter. Vox­t­rot haben zwar ein Kla­vier dabei und klin­gen ein biss­chen wie dir frü­hen R.E.M., aber so ganz kön­nen mich die Texa­ner nicht über­zeu­gen.

Dafür hat der WDR wie­der sei­ne Kame­ras ein­ge­schal­tet und in den Weg gestellt, was mich aus obsku­ren Grün­den an den schöns­ten Fes­ti­val-TV-Moment ever erin­nert …

17:19 Uhr: Auch wenn sie mal aus­nahms­wei­se nicht auf­tre­ten, sind The Divi­ne Come­dy auf dem Hald­ern Pop omnis­pär­sent – und wenn es nur als Umbau­mu­sik und T‑Shirt-Beschrif­tung ist.

Gera­de spie­len John­os­si, die „schwe­di­schen White Stripes“. Es sei sehr heiß auf der Büh­ne sagt Sän­ger John und ein „Ach was“ geht durch die Men­ge. Aber man habe auch gehört, es sei das ers­te tro­cke­ne Hald­ern-Fes­ti­val seit dem 18. Jahr­hun­dert. Das Publi­kum hockt zur Zeit ver­mut­lich lie­ber im Bade­see neben dem Fes­ti­val­ge­län­de und hört von dort aus zu. Alle ande­ren haben schon braun­ge­brann­te Haut oder pfei­fen auf Son­nen­brän­de. Wenn es nicht so uner­träg­lich heiß wäre, wür­den die Leu­te viel­leicht nicht nur beim größ­ten Hit der Band tan­zen. Aber der heißt ja immer­hin „Man Must Dance“.

18:17 Uhr: Ein Teil des gera­de antrock­nen­den Fes­ti­val­ge­län­des stand zwi­schen­zeit­lich wie­der unter Was­ser – dort war eine pro­vi­so­ri­sche Fes­ti­val-Dusche zur Abküh­lung auf­ge­baut wor­den. Auch wenn es schon frü­her Abend ist, sind die Tem­pe­ra­tu­ren nach wie vor hoch.

Die Zuschau­er, die sich gera­de Mala­ju­be geben, las­sen sich davon aber nicht auf­hal­ten. Und auch wenn die Kana­di­er sonst „Mon­tré­al ‑40°C“ besin­gen, kommt ihr fran­zö­sisch­spra­chi­ger Indie­rock gut an. Ich ver­mu­te unter den lau­ten Gitar­ren und Krach­wän­den klei­ne Pop-Per­len, aber die sol­len offen­bar nicht zu auf­fäl­lig sein.

19:38 Uhr: Gera­de gab es die obli­ga­to­ri­sche Pres­se­kon­fe­renz. Ver­an­stal­ter Ste­fan Reich­mann ist zufrie­den mit dem Wet­ter und den Besu­cher­zah­len (5.500 bis 6.000). Er erzählt, dass Indie in vie­len Berei­chen jetzt Main­stream sei, und man in Hald­ern nicht bereit sei, den „Head­li­ner-Ter­ror“, der letzt­end­lich nur die Kos­ten der Ein­tritts­kar­ten in die Höhe trei­be, wei­ter mit­zu­ma­chen. Und auch ohne die ganz gro­ßen „Indie“-Headliner sind Besu­cher­zah­len und Stim­mung ja bes­tens.

Zur Zeit ste­hen Archi­tec­tu­re In Hel­sin­ki auf der Büh­ne, was Raum für etwa ein Halb­dut­zend mie­ser Wort­spie­le lie­ße. Las­sen wir das lie­ber blei­ben und freu­en uns an dem dezent ver­spul­ten Indiepop, der gera­de von der Büh­ne don­nert.

Ab 20 Uhr soll Eins Live, die sog. Jugend­wel­le des omni­prä­sen­ten WDR, übri­gens das Fes­ti­val für vier Stun­den live über­tra­gen. Ich bin ja mal gespannt, ob man dort sei­nem Publi­kum wirk­lich ein Kon­zert von Loney, Dear „zumu­tet“ und dann nach zehn Minu­ten Jan Delay aus­steigt, wie es der Zeit­plan vor­sieht.

20:28 Uhr: Es gibt Geschich­ten, da habe ich das Gefühl, dass mir ein Puz­zle­teil feh­le. Bei Archi­tec­tu­re In Hel­sin­ki bin ich mir des­sen sogar sicher: Alle erzäh­len einem, wie toll die doch sei­en, doch weder auf Plat­te noch live kann mich die Band irgend­wie packen. Letzt­end­lich klingt ihre Musik in mei­nen Ohren wie der Migrä­ne­an­fall einer Wal­dorf-Kin­der­gärt­ne­rin.

Gos­sip am Ran­de: Hier im VIP-Zelt läuft auch Den­nis von Muff Pot­ter rum, den ich gera­de auf ver­mut­lich recht pein­li­che Wei­se ange­quatscht habe. Ich soll­te mir die­ses unpro­fes­sio­nel­le Fan­dom im Dienst mal abge­wöh­nen. Ande­rer­seits: Soll­te man Leu­ten, die groß­ar­ti­ge Musik machen, nicht auch in ihrer Frei­zeit sagen dür­fen, dass sie das tun? Viel­leicht grü­bel ich gleich bei Loney, Dear mal dar­über nach.

21:00 Uhr: Wäh­rend die tief­stehen­de Son­ne den nie­der­rhei­ni­schen Him­mel in ein hol­län­di­sches Oran­ge taucht, geht die Swe­dish Inva­si­on auf der Büh­ne in die nächs­te Run­de: Loney, Dear ali­as Emil Svan­än­gen und sei­ne Begleit­band zau­bern melan­cho­li­schen Indiepop zwi­schen Bright Eyes und The Pos­tal Ser­vice. Die mit­un­ter über­ra­schend text­ar­men Songs („Nanananana­na“, „Dad­ad­ada­da“, „Lal­al­a­la­la“, …) klin­gen live nicht so elek­trisch wie auf Plat­te, wes­we­gen sich der Pos­tal-Ser­vice-Ver­gleich nicht mehr ganz so auf­drängt. Irgend­wie aber eben doch, wes­we­gen ich die Band eben­so als Refe­renz nen­nen möch­te wie Elec­tric Pre­si­dent. Sol­che Musik wür­de auch schön in die Nacht pas­sen.

Apro­pos Nacht: Nach den Erfah­run­gen von ges­tern Abend grü­bel ich noch, ob ich es über­haupt ver­su­chen soll, mir Ghosts und Duke Spe­cial im Spie­gel­zelt anzu­se­hen. Zwar muss man der Fair­ness hal­ber erwäh­nen, dass das Gesche­hen aus dem Zelt auch nach drau­ßen über­tra­gen wird (inkl. Groß­bild­lein­wand) – aber ob das so viel bringt, wenn auf der Haupt­büh­ne gera­de Jan Delay und sei­ne Band spie­len?

Nach­trä­ge Sonn­tag: Pünkt­lich zu den Shout Out Louds wur­de es voll auf dem Platz. So viel zum The­ma „Mäh, gibt ja kei­nen Head­li­ner“. Es war von vor­ne bis hin­ten ein groß­ar­ti­ger Auf­tritt und als nach fünf­zig Minu­ten „Tonight I Have To Lea­ve It“ kam (als letz­ter regu­lä­rer Song vor dem drei­tei­li­gen Zuga­ben­block), brann­te wie erwar­tet die Luft. Man kommt um die­se stän­di­gen The-Cure-Ver­glei­che wirk­lich kaum umhin, weil Adam Oleni­us wirk­lich wie Robert Smith klingt. Ganz klar ein wür­di­ger Abschluss des Fes­ti­vals.

Aber das Fes­ti­val war ja noch nicht vor­bei: Wäh­rend immer mehr Men­schen zu Jan Delay auf den Platz ström­ten, wetz­te ich hin­aus ins Spie­gel­zelt, wo gera­de The Dro­nes am … haha: dröh­nen waren. Ich war mir auch am Ende des Auf­tritts nicht sicher, was ich von ihrem Noi­se-Blues-Rock mit Post-Grunge-Ein­flüs­sen hal­ten soll­te, aber inter­es­sant war es alle­mal.

So lang­sam füll­te sich das Spie­gel­zelt mit Leu­ten, die den Platz teils flucht­ar­tig ver­las­sen haben muss­ten. Ihre Aus­füh­run­gen über das, was Jan Delay da so gebracht habe, sol­len vor einer mög­li­cher­wei­se min­der­jäh­ri­gen Leser­schaft geheim­ge­hal­ten wer­den, des­we­gen nur so viel: Ich war froh, dass ich mich fürs Zelt ent­schie­den hat­te.

Gegen halb eins leg­ten dort Ghosts aus Lon­don mit ihrem char­man­ten Indiepop los, der live nicht mehr ganz so zucker­süß-lieb­lich klingt wie auf Plat­te. Die Band war (wie eigent­lich alle ande­ren auch) völ­lig begeis­tert vom Publi­kum und das Publi­kum auch von ihnen. Mit­ten im Set gab es ein neu­es Kapi­tel der Serie „Brit­pop-Bands covern gänz­lich unwahr­schein­li­che Songs“, als Sän­ger Simon Pet­ti­g­rew „Don’t Cha“ von den Pus­sy­cat Dolls anstimm­te, was wir natür­lich alle erst im Refrain bemerk­ten.

Wäh­rend die Kräf­te der Zuschau­er schwan­den und man­che schon im Ste­hen ein­schlie­fen, wur­de ein hal­bes Instru­men­ten­mu­se­um auf die Büh­ne des Spie­gel­zelts geschleppt. Duke Spe­cial, sonst eigent­lich nur Sänger/​Pianist Peter Wil­son, spiel­ten in vier­köp­fi­ger Beset­zung, bei der unter ande­rem auch Küchen­quirl und Käse­rei­be zum Ein­satz kamen. Wil­son stand hin­ter sei­nem Kla­vier wie sonst nur Ben Folds, und wer so schö­ne Cir­cus-Caba­ret-Indie-Folk-Orches­ter-Pop-Musik macht, dem sieht man auch mal nach, dass er Wurst­haa­re auf dem Kopf trägt.

Danach war Schluss. Zwar stand mit The Ear­lies noch eine letz­te Band auf dem Pro­gramm, aber Rücken, Füße, Lun­ge und Augen schrien „Bett!“ bzw. wenigs­tens „Schlaf­sack“. Und so ende­te das regen­freie Hald­ern-Pop-Fes­ti­val 2007 in die­ser seli­gen Hald­ern-Stim­mung, die einen irgend­wie jedes Jahr befällt. Auf dem Zelt­platz gab es noch John­ny Hills „Ruf Ted­dy­bär Eins-Vier“ und Howard Car­penda­les „Ti Amo“ und ich wuss­te: „Irgend­wie ist es auch gut, dass es jetzt erst mal wie­der vor­bei ist.“

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Haldern-Liveblog (Freitag)

17:00 Uhr: Was bis­her geschah: Ich wur­de heu­te Mor­gen wach und – die Son­ne schien. Aus Dank­bar­keit opfer­ten wir Petrus eine Packung „Sau­re Apfel­rin­ge“ (Hald­ern-Tra­di­ti­on #2) und früh­stück­ten aus­gie­bigst in der Son­ne. Ich weiß, ich wer­de einen Son­nen­brand bekom­men.

Die ers­te Band, die ich mir im ange­guckt habe, waren die Bra­kes („like on your bike“) im Spie­gel­zelt. Die Band sieht anders aus als ich sie mir vom Klang ihrer Musik her vor­ge­stellt hät­te, und hat Ananäs­se auf ihren Ver­stär­kern ste­hen, die sie wäh­rend des Kon­zerts ins Publi­kum schmeißt. Musik machen sie auch: schröm­me­li­ger Indie­rock trifft auf Coun­try-Anlei­hen, die im Cover­song „Jack­son“ (den ken­nen Sie aus dem John­ny-Cash-Film) kul­mi­nie­ren.

Dann geht’s aufs Fes­ti­val-Gelän­de, das allein schon dadurch besticht, dass die Büh­ne anders steht als sonst. Sie steht … nun ja: leicht schräg. Wer schon mal auf dem Hald­ern war und sich das Fes­ti­val-Gelän­de als Uhr vor­stel­len kann, ima­gi­nie­re sich jetzt bit­te, die Büh­ne sei von zwölf auf ein Uhr vor­ge­rückt, wobei sie immer noch auf den Mit­tel­punkt des Uhr­werks aus­ge­rich­tet ist. Alle ande­ren stel­len sich bit­te vor, dass da eine gro­ße Büh­ne auf einem Reit­platz steht, das reicht.

Der sym­pa­thisch-ver­plan­te Hol­län­der, der seit (I assu­me) 1984 das Pro­gramm ansagt, betritt die Büh­ne und kün­digt in gewohn­tem Über­schwang Ripchord an. Die Band erin­nert aus der Fer­ne (schließ­lich will das Pres­se­zelt inspi­ziert wer­den) ein biss­chen an Man­do Diao und die Liber­ti­nes. Und das ist ja wohl mal eine prä­zi­se Ansa­ge, denn wel­che Band klingt heut­zu­ta­ge schon so? Na gut …

Gera­de stehen/​steht Gabri­el Rios auf der Büh­ne und alles, was hier ankommt, sind ein Bass und eine Bass­drum. Des­we­gen wer­de ich nun hin­aus in den Matsch eilen und ein Ohr auf das Gesche­hen wer­fen, damit ich hin­ter­her schrei­ben kann, wie es wirk­lich klang.

Vor­her muss ich noch die ers­ten Ver­let­zun­gen im Team ver­mel­den: Kat­ti hat sich den Nagel ihres dicken Zehs ein­ge­ris­sen (hier zuck­ten grad 85% der Leser zusam­men und schwo­ren sich, so ein Ekel­b­log nie wie­der zu besu­chen) und ich habe mir (weit weni­ger schlimm) die Son­nen­bril­le, die ich extrem läs­sig ins Haar gesteckt hat­te, aufs Nasen­bein gedon­nert. Und jetzt muss ich wirk­lich los, denn Björn vom Hald­ern-Blog ist gera­de hin­ter mir auf­ge­taucht und jetzt wol­len wir ein wenig plau­dern und Bru­der­schaft trin­ken. Oder irgend­wie sowas.

18:05 Uhr: Bis ich auf dem Platz war, war/​waren Gabri­el Rios schon vor­bei. So blei­ben mir nur die Ricky-Mar­tin-mäßi­gen Ein­drü­cke, die im Pres­se­zelt anka­men.

Viel­leicht hät­te man eine Band wie Polar­kreis 18, die mit geschätz­ten zwei­und­vier­zig Instru­men­ten agiert, nicht unbe­dingt mit­ten in den Nach­mit­tag legen sol­len. Jetzt hinkt der Zeit­plan. Dafür gibt es gera­de die „deut­schen Radio­head“, was dann zutref­fend wäre, wenn Radio­head bedeu­tend mehr tanz­ba­re Tracks wie „Idio­te­que“ ver­öf­fent­licht hät­ten. Man möch­te fast ein Kraut­rock-Revi­val aus­ru­fen, aber Dres­den ist eine so Kraut­rock-unty­pi­sche Stadt (sie liegt, zual­ler­erst, nicht am Rhein).

Der WDR fährt mit sei­nen Rock­pa­last-Kame­ras die gan­ze Zeit vor der Büh­ne her­um und ver­sperrt dem Publi­kum und den Foto­gra­fen die freie Sicht auf die Büh­ne. Das könn­te rich­tig ärger­lich sein, aber das Publi­kum sieht nicht so aus, als ob es das mit den Rund­funk­ge­büh­ren son­der­lich genau näh­me. Und Leu­te, die man nicht bezahlt, kann man ja kaum anschrei­en, sie mögen einem bit­te aus dem Sicht­feld tre­ten.

Was man auf kei­nen Fall uner­wähnt las­sen soll­te: Son­ne! Son­ne!! Soooooonneeeeeee!!!!1

19:15 Uhr: Von Paul Steel und Band habe ich nicht viel mit­be­kom­men, weil ich zeit­gleich The Elec­tric Soft Para­de inter­viewt habe. Ich glau­be, ich hät­te die Musik „nett“ gefun­den. Nett waren aber auch die Gebrü­der White, wes­we­gen sich das schon gelohnt hat, so wie’s war. Die Tat­sa­che, dass ich den alten Kin­der­kas­set­ten­re­cor­der mei­nes Bru­ders als Auf­nah­me­ge­rät mit­ge­bracht habe, war jeden­falls ein Super-Eis­bre­cher, denn wie fin­den jun­ge Män­ner, die ver­spiel­te Pop­mu­sik machen, so ein Teil? „Cool, old school!“

19:58 Uhr: Wer hat dem Pudel die Gitar­re um den Hals gebun­den? Ach nee, das ist nur Kyle Fal­co­ner, der lockich­te Sän­ger von The View, der sei­ne Gitar­re noch ein biss­chen höher trägt als John­ny Cash. Zu beein­träch­ti­gen scheint es ihn nicht, denn er und sei­ne Band pflü­gen gera­de durch ein Set vol­ler schwung­vol­ler Indie­rock-Kra­cher, die immer mal wie­der rhyth­misch an der Tür klop­fen, auf der „Pol­ka“ steht. Die Indiepe­dia sagt, der Schlag­zeu­ger sei mal mit Pete Doh­erty ver­haf­tet wor­den. Rei­fe Leis­tung. Und unge­fähr so schwie­rig wie Angeln in einem Fass vol­ler Fische.

20:57 Uhr: Ein jun­ger Mann, der aus­sieht wie Gary Old­man in Sid And Nan­cy, kommt auf die Büh­ne, rotzt zwei­mal auf sel­bi­ge und legt mit sei­ner Band los. Klin­gen tut’s aber eher wie The Clash, wenigs­tens so unge­fähr. Live klingt Jamie T bedeu­tend weni­ger nach Hip-Hop, als auf Plat­te, ich mei­ne trotz­dem, einen süß­li­chen Geruch in der Luft zu ver­neh­men.

21:40 Uhr: Gera­de war ich am Zelt, mei­nen Pul­li holen. Dabei konn­te ich eine Hald­ern-typi­sche Sze­ne beob­ach­ten: Ein älte­res Ehe­paar aus der Nach­bar­schaft ging in ordent­li­cher Klei­dung am Zelt­platz vor­bei – offen­bar um „mal zu gucken, was die jun­gen Leu­te so machen“. Sie gesell­ten sich zu einer Grup­pe am Bier­stand und plau­der­ten los.

Fol­gen­de Musik habe ich auf dem Zelt­platz hören kön­nen (unvoll­stän­dig): Max Mutz­ke, Red Hot Chi­li Pep­pers, The Fratel­lis, Bap, Led Zep­pe­lin, The Sounds, Kai­ser Chiefs. Unan­ge­foch­te­ner Fes­ti­val-Hit dürf­te aber „Tonight I Have To Lea­ve It“ von den Shout Out Louds wer­den. Zu recht.

22:15 Uhr: Noch mehr idio­ti­sche Optik-Ver­glei­che: The Magic Num­bers sehen ein biss­chen aus wie die Kel­ly Fami­ly. Sie machen durch­aus net­te Pop­mu­sik, die das inzwi­schen nächt­li­che Fes­ti­val­ge­län­de durch­weht. Es könn­te auch Rock­pa­last 1978 auf der Lore­ley sein.

Man soll­te auch mal anmer­ken, dass das Publi­kum zwar in Indie-Uni­for­men erschie­nen ist (If I had one Dol­lar for every pol­ka dot …), aber in der Gesamt­heit recht gut aus­se­hend ist (nur knapp hin­ter den immer beson­ders hüb­schen Publi­ka von Tra­vis und Slut). Ich glau­be schon, dass manch einer hier den Part­ner fürs Leben fin­den könn­te.

Sams­tag, 00:31 Uhr: Auf der Büh­ne sitzt grad Jason Pier­ce und buch­sta­biert Gän­se­haut. Mit sei­nem Key­boar­der, einem Streich­quar­tett und einem (drei­köp­fi­gen) Gos­pel­chor sind das die „Acou­stic Main­li­nes“ sei­ner sons­ti­gen Band Spi­ri­tua­li­zed. Es mag sein, dass das Feen­staub ist, der da durch die Nacht fliegt – viel­leicht sind es auch nur die Über­res­te der Mot­ten, die den Schein­wer­fern zu nahe gekom­men sind. Die Leu­te, die bei die­ser Musik noch quat­schen, möch­te man am liebs­ten schüt­teln und anschrei­en: „Ruhe, da vor­ne stirbt jemand!“ Nun ja, ster­ben wird Jason Pier­ce heu­te Nacht nicht, aber so oft wie er „Lord“ und „Jesus“ singt, fühlt man sich ein wenig, als höre man jeman­dem ver­bo­te­ner­wei­se beim Beten zu. Ein­fach schön.

Nach­trag Sams­tag, 14:58 Uhr: Eigent­lich woll­te ich mir ges­tern Nacht noch The Elec­tric Soft Para­de angu­cken. Ich hat­te es den Gebrü­dern White sogar im Inter­view ver­spro­chen. Aber als ich vom Platz kam, war die Schlan­ge vor dem viel zu klei­nen Spie­gel­zelt schon so lang, dass abseh­bar war, dass die Per­son, die in der Schlan­ge vor mir gestan­den hät­te, als letz­te rein­ge­kom­men wäre. Ich fin­de das nach wie vor unglück­lich mit die­sem Zelt, zumal wenn auch noch zeit­gleich auf der Haupt­büh­ne Pro­gramm ist. Ent­schei­den-müs­sen oder Nicht-rein­kom­men ist Rock am Ring, aber nicht Hald­ern.

So gab’s dann wenigs­tens im (eige­nen) Zelt noch The Water­boys aus wei­ter Fer­ne. Aus so wei­ter Fer­ne, dass nur noch eine Ahnung von Songs ankam. Die war aber durch­aus nett.

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Musik Unterwegs

Haldern-Beinahe-Liveblog (Donnerstag)

Von Bochum über Dins­la­ken nach Hald­ern und auf der Auto­bahn: Nie­sel­re­gen. Ich will schon umdre­hen, aber mei­ne Bei­fah­re­rin­nen sagen mir, dass darf man nicht auf der Auto­bahn. War auch bes­ser so, denn danach blieb es *auf­Holz­klopf* tro­cken.

Zelt auf­ge­baut, Kar­tof­fel­sa­lat mit Fri­ka­del­len geges­sen, Cid­re getrun­ken (Hald­ern-Tra­di­ti­on #1). Danach Kili­ans geguckt, die auf dem Dach ihres vier­zig Jah­re alten, von einem Ener­gy-Drink-Her­stel­ler umge­bau­ten, Tour­bus­ses spie­len. Das Kon­zert war soli­de Hoch­leis­tungs­wa­re, die Stim­mung im Publi­kum bes­tens.

Lei­der war die Müdig­keit danach so hoch, dass ich mich nicht mehr zum offi­zi­el­len Fes­ti­val-Teil ins Spie­gel­zelt schlep­pen konn­te und – Asche auf mein Haupt! – Naked Lunch des­we­gen ver­passt habe. Als Rache dafür habe ich schlecht geschla­fen, weil wir unser Zelt direkt neben einem Bier­stand auf­ge­stellt haben, der erst irgend­wann mit­ten in der Nacht schließt …