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Literaturtipps zum Welttag des Buches

Bücher (Symbolfoto)

Buch­be­spre­chun­gen sind hier ja eher die Sache von Anni­ka, aber ich dach­te mir, zum Welt­tag des Buches kann ich auch mal ein biss­chen was über Lite­ra­tur erzäh­len.

Und das hab ich dann auch getan: Eine gute hal­be Stun­de über die Bücher gere­det, die ich seit mei­ner letz­ten Buch­vor­stel­lungs­run­de gele­sen habe. Es geht um gro­ße Namen und klei­ne Meis­ter­wer­ke, um Chris­toph Hein, Dani­el Kehl­mann, Hart­mut Lan­ge, Chuck Klos­ter­man und Goe­the.

Wir nen­nen es Pod­cast:

Lite­ra­tur­tipps zum Welt­tag des Buches (Zum Her­un­ter­la­den rechts kli­cken und „Ziel spei­chern unter …“ wäh­len.)

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Literatur

Besuch an der Ostküste

„Bet­ter late than never“, sagt der Nost­al­gi­ker. Oder der Bücher­jun­kie, der Bücher im Regal ste­hen hat, von deren Exis­tenz er bis dato gar nicht mehr wuss­te.

So gesche­hen bei Ricky Moo­dys „Gar­den Sta­te“.

Sein Roman­de­büt, das er Anfang der 90er schrieb, spielt in New Jer­sey, dem typi­schen Hei­le-Welt-Vor­ortstaat mit all sei­nen Gär­ten, den Häu­sern mit den wei­ßen Zäu­nen und den brach lie­gen­den Indus­trie­ge­bäu­den. Mit alten Lager­hal­len­rui­nen und alten Bars, die ver­raucht und vor allem ver­braucht sind. Irgend­wie zwi­schen New Eco­no­my und etwas ande­rem, was einen unter­schwel­lig ein biss­chen auf­rüt­telt, man aber nicht kon­kret benen­nen kann.

Es ist kein typi­sches „Coming of Age“-Romandebüt, die die Läu­te­rung des tra­gi­schen Losers zum Held beschreibt. Es ist eine eigen­wil­li­ge Milieu­stu­die, die das Leben von Mitz­wan­zi­gern so erzählt, wie es ist. Ali­ce, Den­nis und Lane leben das Vor­ort­le­ben, sind stän­dig unzu­frie­den und träu­men davon, eine Band zu haben. Musik als Kon­trast zum Leben in einem Vor­ort, der urba­nen War­te­schlei­fe.

Der Blick hin­ter die Fas­sa­de von Gar­den Sta­te ist unge­müt­lich und real beschrie­ben. Moo­dy beschö­nigt nichts und gera­de des­halb lohnt sich die­se klei­ne Buch so.

Wie lebt man zwi­schen dem Traum, eine Band zu grün­den, und der Rea­li­tät, sich im All­tag zurecht­fin­den? Was pas­siert, wenn Par­ties nicht so ganz lau­fen wie sie sol­len? Was pas­siert, wenn kei­ne Per­spek­ti­ve so rich­tig passt?

Direkt und unver­kitscht erschafft Moo­dy Wort­land­schaf­ten wie Pola­roids, deren ganz Moo­dy-typi­sche Lako­nie die Geschich­te einer Gene­ra­ti­on erzählt, die man bis­her über­se­hen hat, denn wer kann sich schon wirk­lich an die Neun­zi­ger erin­nern?

Erschie­nen im Piper Ver­lag ( € 8.90), bei jedem Bücher­dea­ler erhält­lich. Mit dem Film von Zach Braff hat das Buch nur den Titel gemein.

Wenn man dann ein klein wenig aus der Vor­stadt drau­ßen ist, lan­det man unwei­ger­lich auch in New York und damit am nächs­ten Schau­platz der „Ten­der Bar“ von J.R. Moeh­rin­ger.

Es han­delt sich hier­bei nicht um die Auto­bio­gra­phie von Dal­las oder J.R. und wer sein Mör­der war (Wer eigent­lich?), son­dern um eine sehr sphä­ri­sche, wit­zi­gen und schö­nen Geschich­te über das Erwach­sen­wer­den eines Jun­gen auf Long Island in den 60ern Ame­ri­kas.

Was bleibt einem Jun­gen anders übrig, wenn man eine Mut­ter hat, die mit Lügen die Moral auf­recht erhält, als sich in einer Bar vol­ler lie­bens­wür­di­ger Gestal­ten das Erwach­sen­wer­den bei­brin­gen zu las­sen?

J.R., der Prot­ago­nist, nimmt uns mit zu sei­nem ers­ten Base­ball­spiel, zum Strand mit den Män­nern aus dem „Dickens“, zeigt uns sei­nen ers­ten Job, sei­nen ers­ten Kuss und die ers­ten Träu­me. Erzählt uns von sei­nem Vater, der für ihn nur „die Stim­me“ aus dem Radio ist.

Man geht mit ihm zum ers­ten Mal in den Big Apple und erlebt die gro­ße Hek­tik der Stadt und wie es ist, für einen gro­ßen Traum alles zu ver­su­chen. Und vor allem, dass Tap­fer­keit und Träu­men doch hilft.

Erschie­nen im Fischer Ver­lag (9,95 €)

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Literatur

Wet we can

Nach­ah­mung sei die ehr­lichs­te Form der Bewun­de­rung, soll Antoine de Saint-Exu­pery ein­mal gesagt haben. Im Zwei­fels­fal­le war es Max Goldt, der ent­geg­ne­te, die ehr­lichs­te Form der Bewun­de­rung sei immer noch Bewun­de­rung. Nach­ah­mung hin­ge­gen (zumin­dest die all­zu offen­sicht­li­che) – das bean­spru­che ich jetzt ein­fach mal für mich, falls sich kein Wider­spruch regt -, ist die ehr­lichs­te Form aus­zu­drü­cken, dass man selbst weder Ideen noch das Geld für das Koks hat­te, um die­se zu evo­zie­ren.

Man kann das seit Mona­ten an den drei Wör­tern „Yes“, „We“ und „Can“ able­sen (wobei man mei­nes Erach­tens für Ideen wie die­se hier zumin­dest in der Ver­gan­gen­heit mal eini­ge Kilo­gramm Koks kon­su­miert haben muss, mit voll funk­ti­ons­tüch­ti­gen Denk­or­ga­nen ist das ja nicht mehr zu erklä­ren). Und der Barack Oba­ma der deutsch­spra­chi­gen Lite­ra­tur heißt „Feucht­ge­bie­te“.

Buchcover Feuchtgebiete
Roche, Char­lot­te: Feucht­ge­bie­te; Köln 2008.

Fol­gen­de Buch­co­ver lie­fen mir gera­de bei einem flüch­ti­gen Streif­zug über den Weg:

Buchcover Trockensümpfe
Halbleib, Susan­ne (Hsgb.): Tro­cken­sümp­fe – Lau­ter befrie­di­gen­de Geschich­ten; Frankfurt/​Main 2008.

Buchcover Fleckenteufel
Strunk, Heinz: Fle­cken­teu­fel; Rein­bek 2009.

Buchcover Trockenzonen
Roch, Charles: Tro­cken­zo­nen – Wenn Män­ner auf­hö­ren sich zu waschen; Ham­burg 2009.

Vor allem für die letzt­ge­nann­te Albern­heit soll­te sich der Carlsen-Ver­lag schä­men. Das Tra­di­ti­ons­haus hat immer­hin auch den gan­zen Vam­pir-Tand von Ste­phe­nie Mey­er im Ange­bot – und da hät­te sich doch eine Fusi­on gut gemacht. „Bis(s) zur Scham­gren­ze“ viel­leicht. Oder direkt „Blut“. Aber der Titel war schon weg. Ste­phen King, Sie ahn­ten es bereits.

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Literatur Leben

Die Omelette-Maschine: Heiner Müller zum Achtzigsten

Den trau­rigs­ten Moment mei­ner aka­de­mi­schen Lauf­bahn erleb­te ich eines Frei­tags­mor­gens in einem Pop­li­te­ra­tur-Semi­nar. Eine Grup­pe von Kom­mi­li­to­nen hielt ein Refe­rat über Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re und an einer Stel­le (in „Black­box“) gibt es neben einer gan­zen Rei­he ande­rer Zita­te auch eines von Hei­ner Mül­ler: „Alles ist Mate­ri­al.“

Und was sag­te die­ser Ger­ma­nis­tik-Stu­dent im durch­aus nicht mehr ers­ten Semes­ter?

„Hei­ner Mül­ler, also der Mann vom ‚RTL Nacht­jour­nal‘ …“

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Film Literatur

Der Buddenbrook-Komplex

Fami­li­en­sa­gen haben in Deutsch­land eine lan­ge Tra­di­ti­on: von den Nibe­lun­gen bis zu den Bei­mers führt ein direk­ter Weg (wenn auch ein ver­schlun­ge­ner) von Geschich­ten, die den Men­schen das Gefühl geben sol­len, ihre eige­ne Fami­lie sei dann viel­leicht doch gar nicht so kaputt. Den unbe­strit­te­nen Höhe­punkt bil­den wohl die „Bud­den­brooks“, jener „Jahr­hun­der­t­ro­man“, den Tho­mas Mann mit 25 Jah­ren ver­öf­fent­lich­te und der ihm Welt­ruhm und Lite­ra­tur­no­bel­preis sicher­te.

Hein­rich Bre­lo­er, der 2001 mit „Die Manns – Ein Jahr­hun­der­t­ro­man“ die nicht min­der span­nen­de Fami­li­en­ge­schich­te der Manns selbst doku­men­tiert hat­te, hat sich in sei­nem Spiel­film­de­büt nun den 750-Sei­ten-Klas­si­ker vor­ge­nom­men und auf kurz­wei­li­ge zwei­ein­halb Stun­den her­un­ter­ge­bro­chen. Der Ein­fach­heit hal­ber lässt Bre­lo­er min­des­tens eine Gene­ra­ti­on (die von Johann Bud­den­brook dem Älte­ren) und zwei Kin­der (Cla­ra Bud­den­brook und Eri­ka Grün­lich) außen vor und kon­zen­triert sich direkt auf Jean und Beth­sy Bud­den­brook und ihre (jetzt nur noch drei) Kin­der. Das redu­ziert das unüber­sicht­li­che Cha­rak­ter­en­sem­ble auf eine bei­na­he nach­voll­zieh­ba­re Grö­ße, führt aber auch dazu, dass Fami­li­en­tra­di­ti­on und ‑ehre nicht mehr direkt erzählt, son­dern maxi­mal berich­tet wer­den.

Der „Ver­fall einer Fami­lie“, so der Unter­ti­tel des Romans, wird in die­ser vier­ten Ver­fil­mung teils poin­tiert, teils hek­tisch abge­han­delt. So ziem­lich alles, was in Manns Roman über die Lübe­cker Kauf­manns­fa­mi­lie Bud­den­brook span­nend und außer­ge­wöhn­lich ist, ist bei Bre­lo­er banal gera­ten. Das liegt mög­li­cher­wei­se dar­an, dass der Regis­seur ein erklär­ter Fan des Romans und sei­nes Autors ist – sowas geht sel­ten gut und es funk­tio­niert auch hier nur bedingt. Wenn man die inne­ren Kämp­fe, die der Dreh­buch­au­tor und Regis­seur zwi­schen Werk­treue und behut­sa­mer Neu­in­ter­pre­ta­ti­on aus­ge­stan­den hat, hin­ter­her auf der Lein­wand sehen kann, ist etwas gewal­tig schief gelau­fen.

Den Schau­spie­lern kann man das nicht wirk­lich anlas­ten: Armin Muel­ler-Stahl könn­te man als Kon­sul Jean Bud­den­brook leicht mit sei­nem Tho­mas Mann in „Die Manns“ ver­wech­seln, aber Iris Ber­ben über­rascht als sei­ne Gat­tin Beth­sy dadurch, dass sie auch mal mehr sein kann als immer nur Iris Ber­ben. Mark Wasch­ke hat etwas damit zu kämp­fen, dass sei­ne Rol­le des Fir­men­er­ben Tho­mas Bud­den­brook nur in weni­gen Momen­ten zum Sym­pa­thie­trä­ger taugt, aber die Bür­de der fami­liä­ren Pflicht und die zuneh­men­den Anstren­gun­gen, die Fas­sa­de auf­recht zu erhal­ten, sind bei ihm stets glaub­wür­dig. Auch Jes­si­ca Schwarz, deren Tony Bud­den­brook als ein­zi­ge Per­son im Film über­haupt nicht zu altern scheint, steht die Zer­ris­sen­heit ins Gesicht geschrie­ben – zumin­dest solan­ge, bis sich die Todes­fäl­le in einem der­art alber­nen Rhyth­mus häu­fen, dass man die­ses Gesicht hin­ter dem schwar­zen Schlei­er sowie­so kaum noch zu sehen bekommt. Und August Diehl spielt den zuneh­mend wahn­sin­ni­ge­ren Chris­ti­an Bud­den­brook mit so viel Ver­ve, dass man am Ende lei­der von Bei­den genervt ist.

Die Aus­stat­tung ist durch­aus gelun­gen, mit gro­ßem Auf­wand wur­den Lübeck und Ams­ter­dam des 19. Jahr­hun­dert auf die Lein­wand gezau­bert. Dafür ist die Kame­ra­ar­beit von Ger­not Roll, der bereits die TV-Ver­si­on von 1979 foto­gra­fiert hat­te, bis auf weni­ge Aus­nah­men lang­wei­lig oder gar schlecht. Für die Weich­zeich­ner beim gro­ßen Ball zu Beginn des Films gehö­ren Kame­ra­mann und Regis­seur glei­cher­ma­ßen geschol­ten und mit­un­ter wird all­zu deut­lich, dass ein bestimm­ter Blick­win­kel nur gewählt wur­de, weil sonst irgend­et­was ana­chro­nis­ti­sches zu sehen gewe­sen wäre. Über die Musik wol­len wir an die­ser Stel­le den Man­tel des Schwei­gens brei­ten, der auch dem Kom­po­nis­ten Hans Peter Strö­er gut zu Gesicht gestan­den hät­te.

Im Gro­ßen und Gan­zen haben Bre­loers „Bud­den­brooks“ viel mit Uli Edels „Baa­der Mein­hof Kom­plex“ gemein, dem ande­ren gro­ßen deut­schen Film von 2008: mit beacht­li­chem Auf­wand, aber ohne eige­ne Hal­tung, wer­den die wich­tigs­ten Sta­tio­nen einer alt­be­kann­ten Vor­la­ge abge­he­chelt. Bei­de Male ist dabei soli­des Pop­corn­ki­no ent­stan­den, das sich als Ein­stieg in die jewei­li­ge Mate­rie eig­net.

Dass ein Film dem Roman gerecht wer­den könn­te, hat hof­fent­lich sowie­so nie jemand geglaubt.

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Literatur Kultur

Reimemonster

In mei­ner klei­nen Stadt pas­sie­ren ab und zu doch erstaun­lich tol­le Din­ge. Denn mei­ne klei­ne Stadt besitzt ein klei­nes Kul­tur­ki­no und macht die klei­ne Stadt etwas weni­ger pro­vin­zia­lisch als mache (also ich) immer den­ken.

Mei­ne klei­ne Stadt ist bekannt in der Sze­ne, in der Sze­ne namens Poet­rys­lam. Poet­ry­what? Poet­rys­lam, oder zu deutsch: Gedich­te­schlacht.

Poet­rys­lams sind Dich­ter­wett­kämp­fe, die es schon seit dem Mit­tel­al­ter und in moder­ner Form seit 1984 gibt. Meist fin­den sie auf klei­nen Büh­nen in klei­nen oder gro­ßen Städ­ten statt. Die Slam­mer tra­gen ihre eige­nen Tex­te vor und aus dem Publi­kum wird die Jury gemacht. Zack Bum!

Die Jury kann Punk­te von 0 – 10 für den Slam­mer geben und dar­aus ergibt sich dann die Punkt­zahl der jewei­li­gen Run­de. Die Punkt­zahl ent­schei­det, wer eine Run­de wei­ter ist. Wer eine Run­de wei­ter ist, ist meis­tens im Fina­le, bei dem das gesam­te Publi­kum schließ­lich durch ohren­be­täu­ben­den Applaus und Jubel den Sie­ger bestimmt.

Der Sie­ger ver­dient nicht nur Ruhm und Dich­ter­eh­re, nein, er gewinnt auch tra­di­tio­nell eine Fla­sche Whis­ky und in Zei­ten der Rezes­si­on so viel Geld, dass die Heim­rei­se gesi­chert ist.

Das Prin­zip ist ein­fach, der Weg zum Sieg aber nicht. Das schö­ne bei einem Slam ist: man wird 3 Stun­den lang mit Kopf­ki­no vom feins­ten unter­hal­ten. Das schlech­te dar­an: nicht jeder Kopf­ki­no­film ist auch ein Hit!

Es gibt Slam­mer, die sich vor­züg­lich dar­auf ver­ste­hen, ihr Publi­kum mit ihrem Text an die Hand und auf eine Rei­se mit­zu­neh­men, ihnen neu­en Wel­ten zei­gen und sie hin­ter­her am Aus­gang wie­der unbe­scha­det, aber glück­lich zurück­zu­ge­ben. Sie kön­nen mit Wör­ter spie­len, Sät­ze aus­ein­an­der klau­ben, alle Wort­wit­ze fin­den und so ver­pa­cken, dass man nicht denkt „Kenn ich schon, nächs­ter bit­te!“

Nein, man­chen Slam­mern gelingt es ganz oft, Sprach­ge­fühl, Rhyth­mus und Wort­akro­ba­tik so in eine Geschich­te zu ver­pa­cken, dass man ganz gebannt einem Men­schen sie­ben Minu­ten lang ins Gesicht glotzt und das einen gan­zen Abend lang.

Doch bei eini­gen Slam­mern kommt man schon ins Zwei­feln, denn Tex­te über sei­nen „Lieb­lings­dö­ner­frit­zen“ in schwä­bi­scher Mund­art kann bei so man­chem dann schon eine run­zeln­de Stirn her­vor­ru­fen. Man könn­te an die­ser Stel­le die­sen Tex­te „Lieb­lings­dö­ner­frit­zen“ zitie­ren, wor­auf ich aber zu Guns­ten der Leser­schaft bes­ser ver­zich­te.

Aber hier gilt, wie in so vie­len Berei­chen: Es ist noch kein Meis­ter vom Him­mel gefal­len und die meis­ten  Slam­mer wach­sen an ihren Wett­kämp­fen. Zumal auch der Poet­rys­lam nur durch ein demo­kra­ti­sches Sys­tem funk­tio­niert, was jedem die Chan­ce bie­tet, sich der Jury/​dem Publi­kum zu stel­len. Mit oder mit ganz viel Talent.

Soll­te in Eurer klei­nen oder gro­ßen Stadt ein Poet­rys­lam statt­fin­den, dann kann ich Euch nur emp­feh­len, die­ses Ereig­nis zu besu­chen. Denn es macht wirk­lich Spaß, ein­fach mal zu zuzu­hö­ren und sich auf einen Kopf­ki­no­film ein­zu­las­sen.

Wer nicht gern aus dem Haus geht, kann sich in regel­mä­ßi­gen Abstän­den im WDR am Sonn­tag­abend nach „Zim­mer frei!“ mit Kopf­ki­no, Dich­ter­wett­kämp­fen und sons­ti­gen Wort­spie­le­rei­en ver­gnü­gen.

Wer nicht gern fern­sieht, aber im Inter­net surft, fin­det auf You­tube die schöns­ten Poet­rys­lam-Per­len.

Rei­me­mons­ter 1: Sebas­ti­an Krä­mer

Rei­me­mons­ter 2: Phi­bi Reich­ling (der Gewin­ner in mei­ner klei­nen Stadt) 

In die­sem Sin­ne: Poe­ti­sche Weih­nach­ten!

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Literatur Politik

Präsidialer Buchclub

Gut, dass ich in Deutsch­land gebo­ren wur­de, denn so kann ich nie als US-Prä­si­dent kan­di­die­ren. Denn selbst wenn ich Par­tei­in­ter­ne Gra­ben­kämp­fe und Fern­seh­de­bat­ten über­stün­de und wider Erwar­ten genug Geld für mei­ne Kam­pa­gne gesam­melt bekä­me, an einer Stel­le wür­de ich furi­os schei­tern: bei der Nen­nung mei­ner Lieb­lings­bü­cher.

Denn was sagt es über mich als Men­schen aus, wenn ich in die­sem Zusam­men­hang „Per Anhal­ter durch die Gala­xis“ von Dou­glas Adams, „High Fide­li­ty“ von Nick Horn­by und „Gegen den Strich“ von Jor­is-Karl Huys­mans nen­ne? Eben: Dass ich ein sozio­pa­thi­scher Nerd bin, dem sei­ne CD-Samm­lung wich­ti­ger ist als alles ande­re. Die ein­zi­gen Stim­men, die ich bekä­me, kämen aus Staats­ge­fäng­nis­sen, Plat­ten- und Rol­len­spiel­lä­den.

Ich könn­te natür­lich auch ein biss­chen mogeln bei mei­ner Lis­te, so wie es angeb­lich alle tun und wie es mut­maß­lich auch John McCain und Barack Oba­ma getan haben. Die nann­ten näm­lich „For Whom the Bell Tolls“ von Ernest Heming­way, „Im Wes­ten nichts Neu­es“ von Erich Maria Remar­que und „The Histo­ry of the Decli­ne and Fall of the Roman Empire“ von Edward Gib­bon (McCain) bzw. „Song of Solo­mon“ von Toni Mor­ri­son, „Moby-Dick“ von Her­man Mel­ville und der Essay „Self-Reli­ance“ von Ralph Wal­do Emer­son (Oba­ma).

Ich habe von all die­sen Büchern nur „Im Wes­ten nichts Neu­es“ gele­sen und weiß so unge­fähr, was bei Heming­way und Mel­ville pas­siert, von daher kann ich zu den lite­ra­ri­schen Favo­ri­ten der Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten wenig sagen – aber dafür gibt es ja den „San Fran­cis­co Chro­nic­le“, der eine Rei­he von Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lern, Schrift­stel­lern und sons­ti­gen Exper­ten befragt hat. Sie erklä­ren unter ande­rem, dass es ein wenig über­ra­sche, dass McCain gleich zwei Anti-Kriegs­ro­ma­ne nen­ne, es im Gegen­satz dazu aber ziem­lich nahe­lie­gend sei, dass Oba­ma das Buch von Toni Mor­ri­son mag, in dem sich ein jun­ger, schwar­zer Mann auf die Suche nach sei­ner Iden­ti­tät begibt.

Wo sie schon mal dabei sind, geben die glei­chen Leu­te auch noch Tipps, was der zukünf­ti­ge Prä­si­dent unbe­dingt lesen soll­te. Und da ist viel­leicht auch was für Leser dabei, die nie US-Prä­si­dent wer­den woll­ten.

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Literatur Gesellschaft

Heiteres Berufungsraten

Udo Ulfkot­te war frü­her Redak­teur der „FAZ“ und betreibt heu­te „Akte Islam“, was man­che euphe­mis­tisch eine „islam­kri­ti­sche Web­sei­te“ nen­nen. Die taz bezeich­ne­te es als „trau­ri­ges Schau­spiel“ und Ulfkot­te, der sich mit „Bür­ger in Wut“ und „Pax Euro­pa“ auch als Poli­ti­ker ver­sucht, als „Irr­licht“.

Sein neu­es Buch heißt „SOS Abend­land“ und erscheint im Kopp-Ver­lag, der auch Titel wie „Die letz­ten Tage von Euro­pa“, „Ach­tung, Gut­men­schen!“, „Der Mul­ti­kul­ti-Irr­tum“, „Kopf hoch, Deutsch­land“ oder „Hei­li­ger Krieg in Euro­pa“ ver­legt. Zu Pro­mo­ti­ons­zwe­cken hat der Ver­lag ein „Mul­ti­kul­tu­rel­les Quiz“ ein­ge­rich­tet, bei dem man das Buch gewin­nen kann, und das seit eini­gen Tagen durchs Inter­net geis­tert. Auch hier im Blog war es als Spam-Kom­men­tar von einem angeb­li­chen Bernd Schrei­ber kurz­zei­tig in den Kom­men­ta­ren auf­ge­taucht – beein­dru­ckend unpas­send unter die­sem Ein­trag.

Damit Sie sich die Marsch­rich­tung des Qui­zes so unge­fähr vor­stel­len kön­nen, hier mal Fra­ge 1 von 25:

FRAGE 1: In wel­chem Land wird das öffent­li­che Zei­gen einer offi­zi­el­len Lan­des­flag­ge inzwi­schen als Dis­kri­mi­nie­rung mos­le­mi­scher Zuwan­de­rer gese­hen und kann von der Poli­zei mit einem Buß­geld belegt wer­den?

a. Schwe­den b. Schweiz c. Däne­mark d. Eng­land

Die­se Fra­ge ist kniff­lig, sie lässt sich nicht mal eben mit einer ein­fa­chen Goog­le-Suche beant­wor­ten – was ent­we­der für die Erfin­der des Qui­zes spricht, die es den Teil­neh­mern natür­lich nicht zu ein­fach machen woll­ten, oder dafür, dass an der Geschich­te so eini­ges nicht stimmt.

FRAGE 5: In wel­chen Städ­ten gibt es zwar ein Rauch­ver­bot in Restau­rants, von dem aller­dings Besu­cher isla­mi­scher Restau­rants aus­ge­nom­men sind, die Was­ser­pfei­fe rau­chen?

a. Van­cou­ver b. Paris c. Rom d. Ber­lin

Van­cou­ver ist es schon mal nicht, auch wenn Ulfkot­te ver­mut­lich genau dar­auf hin­aus will. Zwar hat­ten die Besit­zer von Hoo­kah loun­ges (übri­gens eben­so wie die von pro­fa­nen Zigar­ren­clubs) zunächst eine Aus­nah­me­ge­neh­mi­gung erwir­ken kön­nen, die aber im Janu­ar, noch vor Ein­füh­rung des Rauch­ver­bots in Van­cou­ver, auf­ge­ho­ben wur­de.

„Ber­lin“, schlägt da das eben­falls isla­mo­pho­be Blog „PI-News“ vor. Eine wei­te­re vor­läu­fi­ge Aus­set­zung des in Deutsch­land (und vor allem in Ber­lin) völ­lig durch­lö­cher­ten Rauch­ver­bots aus Wett­be­werbs­grün­den halt. Ver­mut­lich wür­de aber nie jemand Eck­knei­pen als „christ­li­che Restau­rants“ bezeich­nen. In der isla­mi­schen Repu­blik Iran ist das Rau­chen von Was­ser­pfei­fen im öffent­li­chen Raum übri­gens seit ver­gan­ge­nem Jahr ver­bo­ten.

FRAGE 11: In wel­cher Stadt wur­de 2008 der ers­te Wohn­block für älte­re Mit­bür­ger eröff­net, in dem alle Toi­let­ten und auch die Bet­ten Islam-kon­form aus­ge­rich­tet sind?

a. Baden-Baden b. Brüg­ge c. Bris­tol d. Bar­ce­lo­na

Mal davon ab, dass Chris­ten, Juden, Hin­dus oder Hei­den kein Nach­teil dar­aus ent­steht, wenn in Bris­tol die Toi­let­ten in bestimm­te Him­mels­rich­tun­gen zei­gen, ist die Fra­ge („alle Toi­let­ten“) schon falsch gestellt:

The­re is a lar­ge Ban­gla­de­shi popu­la­ti­on in the area and 15 of the flats have been ori­en­ted to ensu­re that the lay­out of the bed­rooms and bath­rooms do not con­flict with the need to face Mec­ca during pray­ers.

15 von 55 Woh­nun­gen also.

Es sind die­se klei­nen Unge­nau­ig­kei­ten, die – kom­bi­niert mit Ver­zer­run­gen und Unter­stel­lun­gen – ein Gesamt­bild erge­ben, das weit von der Rea­li­tät ent­fernt ist.

FRAGE 21: In wel­chen euro­päi­schen Städ­ten wur­de 2007 das Neu­jahrs­feu­er­werk aus Angst vor ran­da­lie­ren­den Mus­li­men ver­bo­ten?

a. Paris b. Brüs­sel c. Ber­lin d. Lon­don

Auch hier liegt der Teu­fel im Detail: die (begrün­de­te, wie sich im Nach­hin­ein zei­gen soll­te) Angst vor Ran­da­len in Paris wird plötz­lich zur „Angst vor ran­da­lie­ren­den Mus­li­men“. Die kom­ple­xe Situa­ti­on von Kin­dern aus sozi­al schwa­chen Fami­li­en (oft­mals die Nach­fah­ren von Ein­wan­de­rern), die mit unzu­rei­chen­der Bil­dung und arbeits­los in zube­to­nier­ten Vor­städ­ten leben, und dort in eine Spi­ra­le der Gewalt und Aus­gren­zung gera­ten, wird so lan­ge ver­knappt, bis – wie so oft – nur noch der Islam übrig bleibt.

Aber Ulfkot­te wäre nicht Ulfkot­te, wenn sein Quiz ohne Spar­schwein aus­kä­me:

FRAGE 24: In wel­chem Land hat eine bekann­te Ban­ken­grup­pe die Spar­schwei­ne aus dem Ver­kehr gezo­gen, weil die­se angeb­lich nicht län­ger in eine mul­ti­kul­tu­rel­le Umge­bung pas­sen und jun­ge Mus­li­me belei­di­gen könn­ten?

a. Schweiz b. Nor­we­gen c. Nie­der­lan­de d. Deutsch­land

Spar­schwein­ge­schich­ten sind unter „Islam­kri­ti­kern“ beson­ders beliebt, aber sel­ten so ein­fach, wie sich das Leu­te wie Ulfkot­te oder Hen­ryk M. Bro­der wün­schen. Auch der Fall der nie­der­län­di­schen For­tis-Bank, die das Spar­schwein „Knor­bert“ nach sie­ben Jah­ren nicht neu auf­ge­legt hat, ist wohl wesent­lich kom­ple­xer. War­um z.B. ist der Arti­kel im „Tele­graaf“, von dem die Dis­kus­si­on aus­ging, aus dem Inter­net­an­ge­bot der Zei­tung ver­schwun­den? Hat es etwas damit zu tun, dass eine Spre­che­rin von For­tis den Arti­kel als „nicht kor­rekt“ bezeich­net hat? Ich weiß es nicht. Udo Ulfkot­te offen­bar schon.

Beun­ru­hi­gend ist neben der vira­len Ver­brei­tung die­ses Qui­zes vor allem eines: Ralph Giord­a­no, dem ich eigent­lich zuge­traut hät­te, dass er weiß, wel­che Fol­gen Halb­wahr­hei­ten und Ammen­mär­chen über bestimm­te Bevöl­ke­rungs­grup­pen haben kön­nen, lässt sich vor den Pro­mo-Kar­ren span­nen und wie folgt zitie­ren:

Der Inhalt die­ses Buches ist erschre­ckend! Einer der gro­ßen Bun­des­ge­nos­sen bei der Isla­mi­sie­rung Euro­pas ist die Unwis­sen­heit der Bevöl­ke­rung. Das Buch SOS Abend­land hilft bei der Auf­klä­rung. Die Fak­ten sind erdrü­ckend. Es ist kaum zu glau­ben, wie weit die Isla­mi­sie­rung in ein­zel­nen euro­päi­schen Län­dern bereits fort­ge­schrit­ten ist. Die meis­ten Bür­ger haben kei­ne Ahnung, was da wirk­lich vor sich geht.

Unge­le­sen glau­be ich ihm vor allem den ers­ten Satz.

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Nischenkultur

Nischen. Klin­gen so nach Eck­sitz­bank im Rei­hen­haus, oder?

In Nischen fin­den sich jedoch aller­hand Sachen wie­der, ver­ges­se­ne Cent Stü­cke, wich­ti­ge Zet­tel auf denen noch wich­ti­ge­re Din­ge notiert sind, Keks-Krü­mel oder die letz­ten Pani­ni-ein­kle­be-Bil­der der WM. Doch Nischen kön­nen auch wah­re Fund­gru­ben sein.

Nun, genau für die­se Fund­gru­ben wur­de ich gefragt, zu schrei­ben. Ich soll was über Kunst, Kul­tur und Lite­ra­tur schrei­ben, die man so im Netz oder auf der Stras­se oder beim stö­bern im Regal fin­det.

Also sowas wie ein Fund­gru­ben­spür­hund oder so?

Nun, mit der Kunst und der Kul­tur ist das ja so eine Sache. Was der eine mag, fin­det der ande­re dane­ben, und umge­kehrt. In der Kunst ist das meis­te näm­lich alles Inter­pre­ta­ti­ons­sa­che.

Well, um es dem Leser und auch mir ein wenig ein­fa­cher zu machen, fan­gen wir ein­fach am Anfang an – und am Anfang der Kunst war der Gedan­ke – die Inspi­ra­ti­on. Das ist sozu­sa­gen das wich­tigs­te für krea­ti­ve Pro­zes­se im All­ge­mei­nen und das ent­ste­hen von Kunst über­haupt!

Inspi­ra­ti­on lässt sich „Künst­ler-sei-Dank“ in vie­len Berei­chen fin­den, eigent­lich unter jedem Stein wenn man so will. Sei es das Graf­fi­ti an der Haus­wand gegen­über, alte Kind­heits­hel­den oder eben doch Künst­ler über die man irgend­wo gestol­pert ist.

Eine Künst­le­rin über die ich die­ses Jahr gestol­pert bin, hat ihre gan­ze eige­ne Art Inspi­ra­ti­on zu wecken. In meh­re­ren, wirk­lich bezau­bern­den Bücher, auf ihre­re Web­site oder auch dem Bild­por­tal Flickr hält sie ihre Kunst fest. Sie heißt – Keri Smith.

Die kana­di­sche Künst­le­rin hat ihre Anfän­ge als Illus­tra­to­rin gesam­melt und arbei­tet heu­te für vie­le renom­mier­te Ver­la­ge und Agen­tu­ren. Vor allem aber arbei­tet Sie als akti­ve Künst­le­rin. Sie selbst, bezeich­net sich als Gue­ril­la Artist.

Was Keri Smith so beson­ders macht, ist ihr Ver­ständ­nis von Kunst und die Art und Wei­se mit der sie nicht nur ihre Kunst­wer­ke her­stellt, son­dern auch Kunst zugäng­lich für ande­re macht und anregt selbst krea­tiv zu sein! Do Art!

Des­halb ist ihr Buch/​Journal „Wreck This Jour­nal“ ein klei­nes Geschenk an jeden, der mit Büchern alles das anstel­len möch­te, was es mög­lichst krea­tiv kaputt macht. Es ist gar nicht so ein­fach die Auf­ga­ben zu erfül­len, weil das Buch fast zu scha­de ist um es zu zer­stö­ren – aber genau das ist der Punkt!

So schön wie jetzt sieht es bald nicht mehr aus. Nach dem man Löcher durch die Sei­ten gebohrt hat, eine Sei­te beer­digt, die Sti­cker von Früch­ten dar­in gesam­melt, mit Essens­res­ten drin rum­ge­saut und mit dem Buch geduscht hat – wird es wohl dop­pelt so groß sein und nicht mehr so schön im Regal aus­se­hen.

Ist nicht schlimm, ist ja alles für die Kunst und für die Inspi­ra­ti­on sel­ber noch mehr sol­che Sachen zu erfin­den.

Wreck This Journal (Foto: Annika Krüger) Wreck This Journal (Foto: Annika Krüger)

Soviel zur ers­ten erkun­de­ten Nische. Auf Wie­der­le­sen, Ihr Fund­gru­ben­spür­hund!!!

Keri Smith – Wreck This Jour­nal
Pen­gu­in Books
12,95 $ (ca. 7 €)

www.wreckthisjournal.com

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Vogelschwatzgebiet

Eier

In der Roman­li­te­ra­tur sind Orni­tho­lo­gen eher unter­re­prä­sen­tiert. Zau­be­rer, Agen­ten, ja selbst Leh­rer sind häu­fi­ger Hel­den eines Buches als Vogel­kund­ler. Gut also, dass Mar­cel Bey­er die­ser Unge­rech­tig­keit ent­ge­gen­tritt und in sei­nem neu­en Roman „Kal­ten­burg“ gleich zwei Orni­tho­lo­gen in wich­ti­gen Rol­len prä­sen­tiert.

Der eine ist der titel­ge­ben­de Lud­wig Kal­ten­burg, renom­mier­ter Exper­te der Vogel‑, ach: der gan­zen Tier­welt, der ande­re Her­mann Funk, sein lang­jäh­ri­ger Schü­ler und Mit­ar­bei­ter und Erzäh­ler des Romans. Die bei­den ler­nen sich Anfang der 1940er Jah­re ken­nen, als Funk noch ein Kind ist und mit sei­nen Eltern in Posen wohnt, wo der Pro­fes­sor lehrt. Ähn­lich einem frisch geschlüpf­ten Vogel wird Funk in die­ser Zeit auf Kal­ten­burg geprägt und bleibt es sein Leben lang.

Aus­ge­löst durch Gesprä­che mit einer Dol­met­sche­rin in der Rah­men­hand­lung erin­nert sich Funk an Kal­ten­burg und des­sen Insti­tut in Losch­witz, an die gemein­sa­men Freun­de, den Künst­ler Mar­tin Speng­ler und den Tier­fil­mer Knut Sie­ver­ding. Die­se vier Leben sind untrenn­bar mit­ein­an­der ver­wo­ben, immer wie­der lau­fen sich die Män­ner über den Weg und beein­flus­sen sich gegen­sei­tig. Die Angst, zen­tra­ler Gegen­stand von Kal­ten­burgs Tier­ver­hal­tens­for­schung, taucht auch im Umgang der Men­schen mit­ein­an­der immer wie­der auf, die Tier­welt fun­giert als offen­sicht­li­che Pro­jek­ti­ons­flä­che für das Mensch­li­che.

Die Jah­re kom­men und gehen, so wie die ver­schie­dens­ten Per­so­nen im Dresd­ner Insti­tut ein- und aus­ge­hen. Im Mit­tel­punkt steht immer Lud­wig Kal­ten­burg, der dem Erzäh­ler nach dem Ver­lust sei­ner Eltern bei der Bom­bar­die­rung Dres­dens eine Art Ersatz­va­ter wird, ohne dass dies je aus­for­mu­liert wür­de. Die gan­ze Zeit bleibt der Erzäh­ler selt­sam eigen­schafts­los: obwohl der Leser fast sei­ne gan­ze Lebens­ge­schich­te erzählt bekommt, erfährt er doch kaum etwas über ihn. Sogar sein Name erscheint eher zufäl­lig im Text – aller­dings so betont neben­säch­lich, dass es nur all­zu bemüht wirkt.

Bey­ers Inter­es­se an der Orni­tho­lo­gie scheint auf­rich­tig, sei­ne Beschrei­bun­gen und Aus­füh­run­gen fun­diert. Lei­der haf­tet dafür vie­len ande­ren Sze­nen, in denen der 42-jäh­ri­ge Autor etwa über die fünf­zi­ger Jah­re in der DDR schreibt, um so mehr der Makel des Ange­le­se­nen an. Den leben­di­gen Schil­de­run­gen des Insti­tuts­all­tags steht eine farb­lo­se, sche­ma­ti­sche Außen­welt gegen­über, was sich mit etwas gutem Wil­len natür­lich auch als Stil­mit­tel sehen lie­ße: es gibt eben kaum eine Welt außer­halb des Insti­tuts. Dass der Erzäh­ler ver­hei­ra­tet ist, erfah­ren wir eben­so bei­läu­fig wie sei­nen Namen, Kal­ten­burg selbst ist der Poli­tik gegen­über macht­los, durch­schaut die Manö­ver sei­ner Fein­de nicht und muss sei­ner eige­nen Demon­ta­ge zuse­hen, als er sich ab 1964 in fach­frem­de Gefil­de wagt und sei­ne NS-Ver­gan­gen­heit ans Licht kommt.

Die Haupt­fi­gu­ren, die sehr eng an Kon­rad Lorenz, Joseph Beuys und Heinz Siel­mann ange­lehnt sind, sind aus­führ­lich beschrie­ben und wer­den doch nicht greif­bar. Sie sol­len Cha­rak­te­re sein und Platz­hal­ter für eine Ver­hand­lung deut­scher Geschich­te, aber sowohl für die eine, als auch für die ande­re Rol­le fehlt ihnen der Tief­gang. Im letz­ten Teil des Romans wird die Ehe­frau des Erzäh­lers über ihre Vor­lie­be für die Wer­ke Mar­cel Prousts cha­rak­te­ri­siert und es scheint, als ver­su­che Bey­er plötz­lich auch noch das Vor­bild für den eige­nen Erzähl­stil mit ein­zu­bau­en. Die Dol­met­sche­rin in der Rah­men­hand­lung ist dabei nicht mehr als eine Stich­wort­ge­be­rin für die Erin­ne­rungs­mo­no­lo­ge des Erzäh­lers, sie selbst bleibt eigen­schafts­lo­ser als so man­ches Tier im Roman.

Das Ärger­lichs­te aber: der Pro­log zu „Kal­ten­burg“ baut eine Erwar­tungs­hal­tung auf, die das Buch anschlie­ßend nicht ein­lö­sen kann. Der unglaub­lich packen­de Ein­stieg läuft ins Lee­re, die fol­gen­den 380 Sei­ten haben nichts mehr mit den gewal­ti­gen Bil­dern des Beginns zu tun. Bey­ers Roman erweist sich als nett geschrie­be­ne Nach­er­zäh­lung, die sich um die Auf­la­dung mit Bedeu­tung bemüht: gro­ße The­men wie Schuld, Kon­se­quen­zen des eige­nen Han­delns und auch per­sön­li­che Abhän­gig­kei­ten wer­den immer nur ange­deu­tet und dann wie­der lie­gen­ge­las­sen. Eine ziem­li­che Bruch­lan­dung.

Mar­cel Bey­er – Kal­ten­burg
Suhr­kamp, 394 Sei­ten
19,80 Euro

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Ausgerechnet Alaska

Es gibt Bücher, die las­sen einen etwas rat­los zurück. Zwi­schen ihren zwei Buch­de­ckeln pas­siert so viel, geht es in so unter­schied­li­che Rich­tun­gen, dass man hin­ter­her nicht mehr weiß, was man eigent­lich gera­de gele­sen hat. Diet­mar Daths „Waf­fen­wet­ter“ ist so ein Buch.

Die 19jährige Clau­dia Sta­rik macht gera­de ihr Abitur, hat einen heim­li­chen Gelieb­ten und schlägt sich mit ihren Eltern und ihrer bes­ten Freun­din Ste­fa­nie her­um. Einen Ver­bün­de­ten hat sie in ihrem Groß­va­ter Kon­stan­tin, einem über­zeug­tem Kom­mu­nis­ten, der es zu viel Geld gebracht hat. Clau­di­as All­tag nimmt fast die gesam­te ers­te Hälf­te des Romans ein und auch wenn Diet­mar Dath Wert dar­auf legt, dass nicht nach­ge­ahmt wer­den soll, wie Clau­dia denkt, redet oder schreibt, son­dern wie sie ist, hat man das Gefühl, das pri­va­te Blog einer Abitu­ri­en­tin zu lesen, inklu­si­ve her­ein­ko­pier­ter Frag­men­te und plötz­lich begin­nen­der oder abbre­chen­der Sät­ze.

Das ist durch­aus als Kom­pli­ment gemeint, als gro­ßes, denn die­se ers­te Hälf­te ist ehr­lich, auf­rich­tig, wirk­lich­keits­nah. Es erscheint fast unvor­stell­bar, dass die­se All­tags­schil­de­run­gen über Mit­schü­ler und Muse­ums­be­su­che mit der Mut­ter (bei denen der heim­li­che Gelieb­te mit sei­ner Frau auf­taucht), die­se unwie­der­bring­li­che Atmo­sphä­re der Abi-Zeit, die gan­zen Sät­ze und Gedan­ken­gän­ge nicht dem Gehirn einer Neun­zehn­jäh­ri­gen ent­sprun­gen sein sol­len, son­dern dem eines dop­pelt so alten Man­nes. Und das alles, ohne auf ihre Feucht­ge­bie­te ein­zu­ge­hen.

Dann ereig­nen sich ver­schie­de­ne Unglü­cke und Clau­dia und ihr Groß­va­ter bre­chen etwas über­has­tet zu einer lan­ge geplan­ten Rei­se auf. Es ist eine Mis­si­on, bei der es gilt, die elek­tro­ma­gnet­si­che For­schungs­an­la­ge HAARP in Alas­ka aus­fin­dig zu machen, um die sich zahl­rei­che Ver­schwö­rungs­ge­rüch­te von der Wet­ter- bis zur Gedan­ken­ma­ni­pu­la­ti­on ran­ken. Hier bricht das Buch bru­tal um: Clau­dia ist zwar immer noch die Sel­be, aber die Geschich­te um sie her­um ist eine ganz ande­re. In immer schnel­le­rem Tem­po wech­seln sich Spio­na­ge­thril­ler, Sci­ence-Fic­tion-Roman und scho­ckie­ren­de Ent­hül­lun­gen über Clau­di­as eige­ne Geschich­te und ihre Psy­che ab. Und dann taucht auch noch Gott auf – oder viel­leicht auch nicht.

„Waf­fen­wet­ter“ wird zur Ach­ter­bahn­fahrt, bei der es mit­un­ter scheint, als sei der Autor der Ein­zi­ge, der noch den Über­blick behal­ten hat. Man wird wütend auf Dath, weil er Clau­dia, die man so lieb gewon­nen hat, die­ser Geschich­te aus­setzt, die für sei ein paar Num­mern zu groß ist, aber man muss ihn auch bewun­dern, wie er es trotz völ­lig sub­jek­ti­ver Erzähl­wei­se schafft, Bil­der und Atmo­sphä­ren zu erschaf­fen, für die ande­re Schrift­stel­ler sei­ten­lan­ge Beschrei­bun­gen bräuch­ten. Er ist ein Anti-Tol­ki­en, auch wenn ihm die Geschich­te mehr­fach ins Reich des Phan­tas­ti­schen rutscht.

Mit­ten in einer span­nen­den Sze­ne ist dann Schluss, das letz­te Kapi­tel ist bizar­rer­wei­se das ein­zi­ge, das nicht mit­ten im Satz abreißt. Rat­los schaut man auf den Punkt und fragt sich, was man da gera­de eigent­lich gele­sen hat. „Waf­fen­wet­ter“ ist zugleich Bil­dungs- und Gen­re­ro­man, und doch nichts von bei­dem. Die Mon­ta­ge­tech­nik ist dabei eben­so wenig Selbst­zweck wie die kon­se­quen­te Klein­schrei­bung. Bei­des trägt dazu bei, dass Daths Ver­such glückt: man liest Clau­dia Sta­rik nicht, man hört ihr nicht zu – man hat das Gefühl, sie ken­nen­ge­lernt zu haben.

Diet­mar Dath – Waf­fen­wet­ter
Suhr­kamp
17,80 Euro

www.claudiastarik.de

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Literatur Politik

Die Blechtrommel

Völ­lig über­ra­schend hat Oskar Lafon­taine, Vor­sit­zen­der von Die Lin­ke, im „Han­dels­blatt“ erklärt, dass sei­ne Par­tei die Unter­stüt­zung bei der Wahl zum Bun­des­prä­si­den­ten vom Lite­ra­tur-Geschmack der Bewer­ber abhän­gig machen wer­de:

Für Linken-Chef Oskar Lafontaine ist ausschlaggebend, wie der Kandidat zu “Krieg und Frieden” steht.