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Sicherheits(ge)denken

Es ist Som­mer­loch und was macht man da? Die Bun­des­re­gie­rung hat sich offen­bar dazu ent­schie­den, den über­aus umtrie­bi­gen Wolf­gang Schäub­le durchs Dorf zu trei­ben. Glaubt man man­chen Reak­tio­nen, so hat der Bun­des­in­nen­mi­nis­ter in einem „Spiegel“-Interview offen­bar die Zer­schla­gung des Rechts­staats und die Ein­set­zung einer Mili­tär­jun­ta unter sei­ner Füh­rung gefor­dert – nichts genau­es weiß man jedoch nicht, denn die Mei­nun­gen über­schla­gen sich und beim „Spie­gel“ ist man (noch) nicht bereit, das Inter­view ein­zeln (oder gar kos­ten­los) online zu stel­len, damit sich jeder ein eige­nes Bild machen kann (was auch onlinejournalismus.de bemän­gelt).

Wolfgang Schäuble auf der Titelseite der “taz” (9. Juli 2007)Die bes­te Titel­sei­te zum The­ma lie­fert (wenig über­ra­schend) die „taz“, der bis­her bes­te Kom­men­tar stammt von Heri­bert Prantl in der „Süd­deut­schen Zei­tung“. Und wäh­rend die Kari­ka­tu­ris­ten über­le­gen, wie sie Schäub­le noch als völ­lig durch­ge­knall­ten Blut­rä­cher dar­stel­len könn­ten, lie­fern sich die Poli­ti­ker aller Par­tei­en einen mun­te­ren Schlag­ab­tausch. Die CDU-Minis­ter­prä­si­den­ten Roland Koch, Gün­ther Oet­tin­ger und Peter Mül­ler, die nie fern sind, wenn Bedenk­li­ches öffent­lich aus­ge­spro­chen wird, ste­hen schon … äh: Gewehr bei Fuß und sagen so klu­ge Sachen wie „Sicher­heit zuerst“. (Inwie­weit sich das mit der ande­ren Grund­satz­pa­ro­le „Vor­fahrt für Arbeit“ ver­ei­nen lässt, ist wohl noch nicht ganz raus.) Oet­tin­ger schreibt ver­mut­lich schon an einer Rede, in der er Schäub­le als „obers­ten Ver­fas­sungs- und Daten­schüt­zer“ bezeich­nen wird, und war­tet nur noch auf eine unpas­sen­de Gele­gen­heit, die­se auch hal­ten zu dür­fen.

Nach­trag 20:07 Uhr: Gera­de ent­deckt: „Wer for­dert mehr?“, ein Quiz vom „Zün­der“, der Jugend­sei­te der „Zeit“. Dort muss man ver­schie­de­ne ver­hee­ren­de Zita­te dem rich­ti­gen Urhe­ber (Schäub­le, Bush, Putin, …) zuord­nen. Wer ist alles bes­ser als 4/​9?

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Politik

Warum Wolfgang Schäuble nie „Krieg und Frieden“ geschrieben hätte

Wenn klei­ne Kin­der wir­res Zeug reden, nennt man sie krank und steckt sie ins Bett. Wenn erwach­se­ne Män­ner wir­res Zeug reden, nennt man sie Poli­ti­ker und steckt sie ins Kabi­nett.

Wolf­gang Schäub­le hat sich also mal wie­der der Pres­se gestellt und dabei ver­rä­te­ri­sches bemer­kens­wer­tes gesagt:

Die Unter­schei­dung zwi­schen Völ­ker­recht im Frie­den und Völ­ker­recht im Krieg passt nicht mehr auf die neu­en Bedro­hun­gen.

Könn­te in etwa hei­ßen: Guan­ta­na­mo wäre auch auf Hel­go­land mög­lich – aber Fol­ter schließt Schäub­le ja eh seit län­ge­rem nicht mehr aus. Und selbst­ver­ständ­lich will er auch wei­ter­hin die Bun­des­wehr im Inne­ren ein­set­zen.

Aus­lö­ser der neu­er­li­chen Dis­kus­si­on sind natür­lich die ver­ei­tel­ten Anschlä­ge in Groß­bri­tan­ni­en vom ver­gan­ge­nen Wochen­en­de. Aber nur noch mal zur Erin­ne­rung: Nicht Online­durch­su­chun­gen von Fest­plat­ten, Vor­rats­da­ten­spei­che­rung oder Fol­ter haben schlim­me­res ver­hin­dert, son­dern der Geruch von aus­strö­men­dem Gas und ein Pol­ler.

P.S.: Wer Wolf­gang Schäub­le bei der Bekämp­fung des inter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus behilf­lich sein will, kann unter informiert-wolfgang.de ver­schie­dens­te For­mu­la­re her­un­ter­la­den, mit denen man für sich und sein direk­tes Umfeld Ent­war­nung geben kann. Dann muss Schäub­le nicht alles obser­vie­ren las­sen.

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Digital Politik

Schieflage der Nation

Wann weiß man, dass in die­sem Land etwas falsch läuft?

Wenn sich Goog­le laut­stark für Pri­vat­sphä­re und Daten­schutz ein­setzt.

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Leben Politik Gesellschaft

„Ich habe gelacht, als meine Regierung verspottet wurde“

Es gibt sicher vie­le Grün­de, poli­ti­sches Kaba­rett doof zu fin­den (und weil man bei sol­chen Sät­zen wenigs­tens einen Grund nen­nen soll­te, sag ich mal: „Schei­ben­wi­scher“). Es gibt aber auch poli­ti­sches Kaba­rett, dem ich mich frei­wil­lig aus­set­ze. Heu­te Abend habe ich mir z.B. zum vier­ten Mal Vol­ker Pis­pers ange­se­hen – zum drit­ten Mal mit sei­nem Best-Of-Pro­gramm „Bis neu­lich“, mit dem er seit fünf Jah­ren tourt. Und obwohl ich knapp die Hälf­te des Pro­gramms hät­te mit­spre­chen kön­nen, habe ich mich herr­lich amü­siert. Das ver­zwei­fel­te Mit­schrei­ben und Rezi­tie­ren der böses­ten Sprü­che und bes­ten Poin­ten über­las­se ich eben­so den Repor­tern der Lokal­zei­tun­gen wie die For­mu­lie­run­gen „bit­ter­bö­se“, „schwar­zer Humor“ und „Lachen im Hal­se ste­cken­blei­ben“.

Direkt zu Beginn des Abends, der inklu­si­ve einer halb­stün­di­gen Pau­se übri­gens fast vier Stun­den dau­er­te, bezeich­ne­te Pis­pers das Kaba­rett als moder­nen Ablass­han­del, der es den Zuschau­er ermög­li­che, bequem gegen das Sys­tem zu sein, in dem er lebt. Und so durf­te das über­ra­schend hete­ro­ge­ne Publi­kum (ich möch­te trotz­dem wet­ten: 25% Leh­rer) über Ange­la Mer­kel, Geor­ge W. Bush, Wolf­gang Schäub­le, Franz Mün­te­fe­ring und wie­sie­al­le­hei­ßen lachen, obwohl das, was die­se Poli­ti­ker so anrich­ten, sel­ten zum Lachen ist. Ent­spre­chend hoch war der Anteil der „Hohoho„s, also der Lacher, die man sich als poli­tisch kor­rek­ter Mensch ja eigent­lich gar nicht erlau­ben dürf­te.

An Vol­ker Pis­pers gefällt mir beson­ders gut, dass er sich nicht mit kin­di­schen Par­odien, Kos­tü­mie­run­gen oder Auf­füh­run­gen auf­hält (s. „Schei­ben­wi­scher“), son­dern den Zuschau­ern haupt­säch­lich Fak­ten um die Ohren haut. Natür­lich sorgt er dafür, dass dabei Poin­ten ent­ste­hen, aber das, was er da auf der Büh­ne erzählt, lässt sich auch in den seriö­ses­ten Zei­tun­gen nach­le­sen – nach Pis­pers Aus­sa­gen sei­ne ein­zi­gen Quel­len. Wie er Auf­klä­rung und Unter­hal­tung gleich­zei­tig lie­fert, das ist fast schon ein biss­chen mit der „Dai­ly Show“ ver­gleich­bar.

Die Idee, dass Kaba­rett die Welt ver­än­dern könn­te, wäre gänz­lich absurd. Das Publi­kum hat gutes Geld bezahlt, sich köst­lich unter­hal­ten gefühlt, mal laut­hals über die eige­ne und ander­erleuts Regie­rung gelacht und sich am Ende viel­leicht sogar ein paar Fak­ten und For­mu­lie­run­gen gemerkt. Aber wird man Nach­barn, Freun­de oder die obli­ga­to­ri­schen Stamm­tisch­brü­der zurecht­wei­sen, wenn die­se die Poli­tik eines Wolf­gang Schäub­le (ach, ein Zitat muss ich jetzt doch mal brin­gen: „Atten­tats­op­fer und Roll­stuhl­tä­ter“) gut­hei­ßen? Wird auch nur einer, nach­dem er sich einen Abend lang über Poli­ti­ker schlapp­ge­lacht hat, selbst in die Poli­tik gehen und etwas ändern wol­len?

Aber dar­um geht es ja gar nicht: Mis­sio­nie­rung ist sicher nicht Ziel des Kaba­retts, denn die, die hin­ge­hen, wis­sen ja eh zumeist, wie der Hase läuft, und die, die man wach­rüt­teln müss­te, die inter­es­siert das alles kein biss­chen. Trotz­dem reden die Leh­rer hin­ter­her bei einem Glas Rot­wein (und: ja, ich wünsch­te, das wäre ein­fach nur so ein halt­lo­ses Kli­schee, aber es ist natür­lich schmerz­haft wahr) über das, was sie da gehört haben. Sie sind für einen Abend mal pas­siv enga­giert gewe­sen und erzäh­len sich selbst noch ein­mal, dass bei­spiels­wei­se die Chan­ce, in Deutsch­land an Ärz­te­pfusch zu ster­ben, unend­lich höher ist als die, hier Opfer eines ter­ro­ris­ti­schen Anschlags zu wer­den. Das ist doch schon mal ein Anfang.

Und wo ich gera­de dabei bin: Das Fan­tas­ti­val, in des­sen Rah­men ich die­sen Kaba­rett­abend besu­chen durf­te, läuft noch zwei Wochen in Dins­la­ken. Kar­ten für das Kon­zert der Kili­ans kann man noch bis Mitt­woch bei uns gewin­nen.

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Musik

Sie haben uns ein Denkmal gebaut

Am ver­gan­ge­nen Frei­tag erschien „Sound­so“, das drit­te Album von Wir Sind Hel­den. Hier mei­ne paten­tier­te Track-by-track-Ana­ly­se:

(Ode) An die Arbeit
Es bedarf schon eini­ges Mutes, sein Album mit einem fun­ki­gen Sprech­ge­sang zu begin­nen. Die Hel­den haben Mut und plau­dern sich durch einen Track, der die elen­de Gesell­schafts­kri­tik band­ty­pisch mit zwei zwin­kern­den Augen auf den Punkt bringt: „Du bist Preu­ßen!“

Die Kon­kur­renz
Noch mehr Arbeits­welt-Meta­pho­rik für „Neon“-Leser und „Polylux“-Zuschauer. „Sag’s mir, Hip­pie­kind!“ soll­te drin­gend als geflü­gel­tes Wort in die deut­sche Spra­che ein­ge­hen. Musi­ka­lisch (mit Blä­sern auf­ge­hübscht) ganz nett, aber einer der schwä­che­ren Songs des Albums.

Sound­so
Aus einem Hea­vy-Metal-Gitar­ren­so­lo ent­spinnt sich eine melan­cho­li­sche Mid­tem­po-Num­mer, die im Refrain zu „Du erkennst mich nicht wieder“-mäßigen Höhen erwächst. Ein Lied über Anders­sein und Schub­la­den­den­ken, ein Lied, das aber auch zeigt, dass Wir Sind Hel­den nicht nur Text, son­dern auch Musik sind.

Für nichts garan­tie­ren
Wenn man schon Tele-Sän­ger Fran­ces­co Wil­king als Gast­sän­ger ver­pflich­ten kann (der Gegen­be­such für Judith Holo­fer­nes‘ Gesang auf „Wovon sol­len wir leben“), muss man auch ein biss­chen nach Tele klin­gen. Und das klappt bes­tens, denn musi­ka­lisch ist das genau die rich­ti­ge Kra­gen­wei­te mit leich­tem Schun­kel­beat und ent­spann­ten Blä­sern. Text­lich ist das dann wohl das Eltern-Lied der Plat­te, denn Frau Holo­fer­nes und Schlag­zeu­ger Pola Roy sind ja jüngst Eltern eines klei­nen Jun­gen gewor­den.

Kaputt
Noch ein Lied übers Anders­sein, über kaput­te Fami­li­en und das Gefühl, auf­ge­ben zu wol­len: „Es ist okay – jeder soll flie­hen der kann /​ Wenn du den Flucht­wa­gen fährst /​ Schnall dich an“. Das ist ja über­haupt etwas, was die Band seit ihrem Debüt per­fekt beherrscht: Sie ver­mit­teln dem Hörer das Gefühl, ver­stan­den zu wer­den, und fas­sen das in Wor­te, was er selbst nicht beschrei­ben kann.

Laby­rinth
Okay, spä­tes­tens hier ist der text­li­che Schwer­punkt des Albums (eigent­lich aller Hel­den-Alben) klar: Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit und Suche. Wel­che Meta­pher wäre da bes­ser geeig­net als „Laby­rinth“. Wie­der Mid­tem­po, wie­der Key­boards, wie­der Nachts auf dem Fahr­rad hören und die Arme aus­brei­ten.

The Geek (Shall Inhe­rit)
Wenn die Serie auf­recht­erhal­ten wird, wird das die vier­te Sin­gle des Albums. Bis­her wur­den mei­ne Hel­den-Favo­ri­ten („Denk­mal“, „Wenn es pas­siert“) näm­lich immer als letz­tes aus­ge­kop­pelt. Und das hier ist sowas von mein Favo­rit: Anders­sein, natür­lich. „Die Ver­letz­ten sol­len die Ärz­te sein /​ Die Letz­ten sol­len die Ers­ten sein /​ Die Ers­ten sehen als Letz­te ein: /​ The Geek shall inhe­rit the earth“ wird bit­te jetzt sofort vor jeder Schu­le in Mar­mor gemei­ßelt. Wer sein Leben lang nicht dazu gehör­te, hat jetzt end­lich – von denn Weezer-Alben mal ab – sei­ne ganz per­sön­li­che Natio­nal­hym­ne. Ich muss drin­gend Kraft­trai­ning machen, um mir den kom­plet­ten Text auf den Ober­arm täto­wie­ren las­sen zu kön­nen.
Ist übri­gens auch musi­ka­lisch ein tol­ler Song und das kett­car-mäßigs­te, was die Hel­den bis­her hat­ten.

End­lich ein Grund zur Panik
Die Vor­ab­sin­gle. Wie schon „Gekom­men um zu blei­ben“ ein Lied, das man nicht erwar­tet hät­te: Die Hel­den wie­der laut, wie­der wild, Frau Holo­fer­nes schreit wie­der. Der Song hät­te auch aufs Debüt­al­bum gepasst und ist text­lich eigent­lich die ein­zig not­wen­di­ge Ant­wort auf Wolf­gang Schäubles Gene­ral­pa­nik­ma­chung. Ach ver­dammt, jetzt hab ich die Hel­den schon wie­der als „Sprach­rohr einer Gene­ra­ti­on“ miss­han­delt …

Der Krieg kommt schnel­ler zurück als du denkst
Super­ti­tel, was? Für ein Kind der Acht­zi­ger, das ich bin, ist die heu­ti­ge Zeit natür­lich regel­recht erhol­sam, ver­gli­chen mit dem ato­ma­ren Welt­krieg, der uns damals angeb­lich jeden Tag von neu­em droh­te. Trotz­dem: Wie schnell Regie­run­gen (auch die eige­ne) tat­säch­lich in den Krieg zie­hen, haben wir in den letz­ten acht­ein­halb Jah­ren deut­lich genug gese­hen. Um viel mehr geht’s in dem Lied dann auch nicht, dafür noch die Super-Anspie­lung „Was ist so lus­tig an Lie­be und Frie­den?“

Hän­de hoch
„Es ist vor­bei du bist umstellt /​ Um dich her­um über­all Welt“ – Ja, fan­tas­tisch, was soll man denn nach einem sol­chen Lied­an­fang noch schrei­ben? Ein Lied übers Auf­ge­ben, übers Akzep­tie­ren, das selt­sa­mer­wei­se viel opti­mis­ti­scher klingt, als man es ver­mu­ten wür­de.

Stil­ler
„Ich bin nicht Stil­ler“ – Was? Deutsch-LK mit Max-Frisch-Abi?! Nee, „stil­ler“ als Kom­pa­ra­tiv zu „still“. Na, dann ist ja gut. Eine Bal­la­de über … Ja, Herr­gott: über Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit, übers Akzep­tie­ren, übers Abkap­seln: „Ich bin nicht stil­ler /​ Nur die Wor­te feh­len“.

Lass uns ver­schwin­den
Im Wesent­li­chen gibt es bei Wir Sind Hel­den zwei Sor­ten von Lie­dern, die immer wie­der neu und toll durch­de­kli­niert wer­den: Den lau­ten, gesell­schafts­kri­ti­schen Stamp­fer („Guten Tag“) und die melan­cho­li­sche, per­sön­li­che Bal­la­de („Du erkennst mich nicht wie­der“). Der letz­te Song ist immer die melan­cho­li­sche, per­sön­li­che Bal­la­de und auch in ihrer x‑ten Mani­fes­ta­ti­on ist die­se immer noch anrüh­rend und wun­der­schön. Was ja bei aller Gesell­schafts­kri­tik und dem Sprach­rohr-Geschwur­bel immer wie­der über­se­hen wird: Die per­sön­li­chen Hel­den-Songs waren fast immer noch ein biss­chen bes­ser als die gesell­schafts­kri­ti­schen. So auch hier.

Fazit
Nach dem drit­ten Album kann man sich meis­tens sicher sein, ob eine Band so gut ist, wie man das am Anfang ver­mu­tet hat­te. Mehr als vier Jah­re, nach­dem ich Wir Sind Hel­den für mich ent­deckt und sie vor damals noch zwei­hun­dert laut mit­sin­gen­den (vor der Ver­öf­fent­li­chung des Debüts!) Fans live gese­hen habe, kann ich nun also beru­higt sagen: Ja, die sind so gut. Sie spre­chen einem aus dem Her­zen und der See­le, sie packen das in Wor­te, was man immer schon gedacht hat. Kon­zept­al­ben sind eine doo­fe Erfin­dung und natür­lich ist „Sound­so“ kei­nes, aber die immer wie­der­keh­ren­den The­men (ja ja: Anders­sein, Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit, Schub­la­den­den­ken, …) sind schon deut­lich erkenn­bar. Und wer kennst sich mit Schub­la­den bes­ser aus als das „Sprach­rohr der Gene­ra­ti­on Prak­ti­kum“?

Wir Sind Helden - Soundso (Cover)
Wir Sind Hel­den – Sound­so

VÖ: 25.05.2007
Label: Rekla­ma­ti­on Records/​Labels
Ver­trieb: EMI

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Musik

Listenpanik (3): Endlich ein Grund zur Panik

Der Monat ist um, es ist wie­der mal Zeit, zurück­zu­bli­cken. Hier die übli­che sub­jek­ti­ve Lis­te, in der hin­ter­her wie­der min­des­tens die Hälf­te fehlt:

Alben (inkl. Amazon.de-Links)
1. Wir Sind Hel­den – Sound­so
Ver­öf­fent­li­chungs­da­ten sind was tol­les: Bis vor zehn Minu­ten dach­te ich, das Album erschei­ne erst mor­gen. Die Track-by-track-Ana­ly­se kommt also erst heu­te Nach­mit­tag liegt jetzt vor. Dass „Sound­so“ ein groß­ar­ti­ges Album ist, das den etwas unent­schlos­se­nen Vor­gän­ger „Von hier an blind“ fast ver­ges­sen macht, kann ich aber auch jetzt schon mal mit­tei­len.

2. Tra­vis – The Boy With No Name
Auch Tra­vis machen ihr letz­tes Album wie­der wett. Auch nach zig­fa­chem Hören bin ich das Album noch nicht leid und ent­de­cke immer wie­der ein paar Details, die ich noch nicht gehört hat­te. „The Boy With No Name“ könn­te das Som­mer­al­bum werden/​bleiben – fehlt nur noch das ent­spre­chen­de Wet­ter.

3. Muff Pot­ter – Ste­ady Fremd­kör­per
Muff Pot­ter zähl­ten eigent­lich immer schon zu den bes­ten Bands des Lan­des – sie wur­den nur irgend­wie immer igno­riert. Das gab sich aber mit den letz­ten bei­den Alben und wäh­rend die Band immer noch bes­ser wur­de, stieg auch ihre Popu­la­ri­tät. Jetzt ver­öf­fent­li­chen die Wahl-Müns­te­ra­ner ihr neu­es Album, das wie üblich all ihre Qua­li­tä­ten ver­eint. Man könn­te es „Deutsch­punk“ nen­nen, wenn man dabei nicht an die Toten Hosen den­ken müss­te, und das nicht sowie­so so ein spie­ßi­ges Eti­kett wäre. Dann halt: Tol­le Tex­te, umar­men­de Melo­dien und immer noch genug Wumms. Muss man (mehr­fach) gehört haben.

4. Manic Street Pre­a­chers – Send Away The Tigers
Noch eine Band für die Lis­te „Schwa­che Vor­gän­ger, die man jetzt getrost ver­ges­sen kann“. Was bin ich froh. Detail­liert habe ich mich hier aus­ge­las­sen, des­halb nur noch: Die Manics sind wie­der da, gehen wie­der auf die Zwölf und wer­den trotz­dem nicht den Sound­track zu den G8-Pro­tes­ten lie­fern.

5. Mumm-Ra – The­se Things Move In Threes
Schö­ner Indiepop, den man hier­zu­lan­de bereits im Vor­pro­gramm der Kil­lers bewun­dern konn­te. Hier wird das Rad nicht neu erfun­den und es ver­sucht auch nie­mand, mit die­sen zur Zeit so belieb­ten, aber unend­lich ner­vi­gen absicht­li­chen Über­steue­run­gen den Hörer zu miss­han­deln. Natür­lich ist das irgend­wie „Mäd­chen­mu­sik“, aber irgend­je­mand muss ja die Nach­fol­ge der Kooks antre­ten. Und irgend­was muss man ja auch auf Kas­set­ten­mäd­chen­kas­set­ten auf­neh­men kön­nen – Mumm-Ra sind dafür per­fekt geeig­net.

Sin­gles (inkl. iTu­nes-Links)
1. Shout Out Louds – Tonight I Have To Lea­ve It
Der Preis für die bes­te The-Cure-Sin­gle des Jah­res geht jetzt schon an die Shout Out Louds – sogar für den Fall, dass Robert Smith und Band selbst noch was ver­öf­fent­li­chen soll­ten. Bei man­chen Bands wäre man viel­leicht ein biss­chen unge­hal­ten, wenn sie so sehr nach einer ande­ren klän­ge. Nach The Cure zu klin­gen hat aber schon Blink 182 gehol­fen und die Shout Out Louds sind sowie­so eine tol­le Band, die man die­ses Jahr unter ande­rem auf dem noch tol­le­ren Hald­ern-Pop-Fes­ti­val bewun­dern kann.

2. Toco­tro­nic – Sag alles ab
Eigent­lich muss man zu Toco­tro­nic ja fast nichts mehr sagen, so sehr über alle Zwei­fel erha­ben ist die­se Band schon lan­ge. Doch dann schi­cken sie ihrem Album „Kapi­tu­la­ti­on“, das erst im Juli erschei­nen wird, eine Sin­gle vor­aus, die rum­pelt wie Anno 1997 und einer Epi­go­nen­trup­pe wie Madsen mal eben zeigt, wo Ham­mer, Har­ke und Frosch­lo­cken sind. Und dann muss man doch wie­der was sagen, näm­lich: „Wahn­sinn!“

3. Wir Sind Hel­den – End­lich ein Grund zur Panik
Wir Sind Hel­den haben schon mit „Gekom­men um zu blei­ben“ gezeigt, dass sie ger­ne ein wenig unty­pi­sche und sper­ri­ge Vor­ab­sin­gles ver­öf­fent­li­chen. Das macht die Band noch ein biss­chen sym­pa­thi­scher, denn „End­lich ein Grund zur Panik“ dürf­te für vie­le Hörer und selbst für zahl­rei­che Hel­den-Fans eine Tor­tur sein: Trei­ben­der Rhyth­mus, wil­des Gekrei­sche, dazu Wort­spie­le, die so schnell anein­an­der­ge­reiht wer­den, dass man die Hälf­te erst beim Mit­le­sen im Book­let ver­steht. Soll­te Wolf­gang Schäub­le ein­mal dem Bei­spiel von Geor­ge W. Bush fol­gen und sei­ne iPod-Play­list öffent­lich machen, ich bin mir sicher, die­ser Song wäre dabei. Nur die Iro­nie dahin­ter, die müss­te jemand anders lie­fern.

4. The Kil­lers – Move Away
Kei­ne Sin­gle im eigent­li­chen Sin­ne, aber ein Sound­track-Bei­trag, der auch gele­gent­lich im Radio läuft. Die Kil­lers trau­en sich noch ein biss­chen mehr als auf ihrem letz­ten Album und lie­fern einen Song ab, der fast nur aus Schlag­zeug und Bass besteht und gefähr­lich durch die Nacht rum­pelt. So kom­men sie ihren gro­ßen Hel­den Joy Divi­si­on mal wie­der ein Stück­chen näher.

5. Björk – Earth Intru­ders
Björk ist ja immer so ein Kapi­tel für sich: Sie hat groß­ar­ti­ge Sachen gemacht und wel­che, die sicher auch groß­ar­tig waren, die aber außer ihr nie­mand ver­ste­hen woll­te. Jetzt hat sie eine Sin­gle mit Tim­ba­land (des­sen Solo­al­bum bei­na­he noch in der obe­re­ren Hit­lis­te gelan­det wäre) auf­ge­nom­men und dabei mal wie­der alles rich­tig gemacht: Der zucken­de Beat und ihr sphä­ri­scher Gesang pas­sen erstaun­lich gut zusam­men und so ent­steht ein Song, den man mal wie­der groß­ar­tig fin­den kann.

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Rundfunk Politik

Lug und Trug reloaded

Als ich gera­de den Fern­se­her ein­schal­te­te, rede­te gera­de Wolf­gang Schäub­le. Ich woll­te schon ent­setzt wie­der umschal­ten, aber das, was Schäub­le sag­te, mach­te mich neu­gie­rig:

Ich bin wirk­lich erschüt­tert, dass in einem sol­chen Maß gelo­gen und betro­gen wor­den ist.

„Nanu“, dach­te ich, „was fan­gen die denn jetzt plötz­lich wie­der mit der CDU-Spen­den­af­fä­re an?“

War natür­lich Blöd­sinn: Schäub­le hat­te nur kurz im Phra­sen­le­xi­kon für Spit­zen­po­li­ti­ker nach­ge­schla­gen, um sich zu den neu­es­ten (natür­lich total über­ra­schen­den) Ent­hül­lun­gen in Sachen Doping im Rad­sport zu äußern.

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Rundfunk Fernsehen

Programmdirektor spielen (Nachtrag)

Ich bin gro­ßer Fan der „Dai­ly Show“ mit Jon Ste­wart. Der Start von Come­dy Cen­tral Deutsch­land hat sich allein des­halb schon gelohnt, weil man die jeweils aktu­ells­te Fol­ge der groß­ar­ti­gen ame­ri­ka­ni­schen Sati­re­sen­dung dort online schau­en kann. In den ver­gan­ge­nen Wochen habe ich mich des öfte­ren gefragt, ob ein sol­ches For­mat wohl auch in Deutsch­land funk­tio­nie­ren wür­de. Nach­dem der Name Jon Ste­wart kürz­lich auch in unse­ren Kom­men­ta­ren und damit in räum­li­cher Nähe zum Namen Ste­fan Raab auf­tauch­te, habe ich den Gedan­ken mal zu Ende gedacht:

„Lus­ti­ge Nach­rich­ten­sen­dun­gen“ haben in Deutsch­land eine lan­ge Tra­di­ti­on: Begon­nen hat es (wie immer) mit Rudi Car­rell und sei­ner „Tages­show“, es gab die „Wochen­show“ auf Sat 1 und zuletzt die „Frei­tag Nacht News“ bei RTL. Die­se Rei­hen­fol­ge ist nicht nur die chro­no­lo­gisch kor­rek­te, son­dern auch eine nach Qua­li­tät abstei­gen­de. Im Gegen­satz zur „Dai­ly Show“, die die Poli­tik in den USA auch (oder vor allem) inhalt­lich aus­ein­an­der nimmt, han­del­ten Wit­ze in den „Frei­tag Nacht News“ haupt­säch­lich von Ange­la Mer­kels Fri­sur. Das deut­sche Äqui­va­lent der „Dai­ly Show“ müss­te also mit­tig zwi­schen Come­dy und poli­ti­schem Kaba­rett plat­ziert wer­den – und zwar, ohne auch nur auf einen Ver­tre­ter der bei­den Gen­res zurück­zu­grei­fen.

Als Mode­ra­tor kann ich mir von den bekann­te­ren Ver­tre­tern ihrer Zunft des­halb eigent­lich nur Die­ter Moor vor­stel­len. Der hat in der Ver­gan­gen­heit mit den bril­lan­ten Sen­dun­gen „Cana­le Gran­de“ (Vox) und „Ex! Was die Nati­on erreg­te“ (SWR/​ARD) bewie­sen, dass er ein sehr fei­nes Gespür für Iro­nie hat und intel­li­gen­te Inter­views füh­ren kann. Ihm wür­de man (nicht zuletzt wegen einer gewis­sen opti­schen Ähn­lich­keit mit Jon Ste­wart) den Anchor­man einer Nach­rich­ten­sen­dung abneh­men. Alter­na­tiv könn­te man es auch mit einem jun­gen, unver­brauch­ten Gesicht ver­su­chen.

Es stellt sich natür­lich die Fra­ge, ob in Deutsch­land über­haupt genug pas­siert, um eine täg­li­che Sati­re­sen­dung an vier Wochen­ta­gen mit Inhal­ten zu ver­sor­gen. In den USA gibt es eini­ge Dut­zend Nach­rich­ten­sen­der, fünf­zig Bun­des­staa­ten, hun­dert Sena­to­ren, 435 Abge­ord­ne­te im Reprä­sen­tan­ten­haus und eine Regie­rung, deren Mit­glie­der bei so ziem­lich jedem öffent­li­chen Auf­tritt so viel sagt (oder nicht sagt), dass man damit meh­re­re „Dai­ly Shows“ fül­len könn­te. Für wöchent­li­che Sati­re­sen­dun­gen wie die WDR-2-„Zuga­be“, den „Wochen­rück­blick“ von Peter Zudeick oder – mit Abstri­chen – „Extra 3“ reicht aber auch das in Deutsch­land ver­zapf­te Mate­ri­al aus, Sati­re­sei­ten im Inter­net wie die „Schand­männ­chen“ oder die der „Tita­nic“ haben sogar täg­lich Mate­ri­al. Die weni­gen guten poli­ti­schen Kaba­ret­tis­ten (also Vol­ker Pis­pers und die, die bei „Neu­es aus der Anstalt“ und den „Mit­ter­nachts­spit­zen“ auf­tre­ten) schaf­fen es auch, noch in jeder Sup­pe, die der Poli­tik dem Volk ain­ge­brockt hat, diver­se Haa­re zu fin­den. Mit­hil­fe eini­ger guter Autoren (also nicht die, die dem­nächst bei „Harald Schmidt“ frei­ge­setzt wer­den) soll­te es mög­lich sein, eine wenigs­tens wöchent­li­che Sen­dung zusam­men­zu­stel­len, die gleich­zei­tig über Hin­ter­grün­de infor­miert und die Aus­sa­gen von Poli­ti­kern und sons­ti­gen „hohen Tie­ren“ aus­ein­an­der­nimmt. Außer­dem haben wir Poli­ti­ker wie Wolf­gang Bos­bach und Gui­do Wes­ter­wel­le (gibt’s den eigent­lich noch?), die mit nahe­zu jeder Äuße­rung um sati­ri­sche Wür­di­gung fle­hen. Und dann gibt es ja auch noch Wolf­gang Schäub­le

Auch wenn das Inter­es­se an „intel­li­gen­ter Unter­hal­tung“ immer wie­der bezwei­felt wird, ich den­ke, die Ziel­grup­pe wäre nicht ein­mal gering: Es gibt genug Leu­te, die die „Tita­nic“ lesen; genug, die sich für Sati­re inter­es­sie­ren, aber Berüh­rungs­ängs­te vor dem Leh­rer-in-Leder­wes­ten-Kaba­rett beim „Schei­ben­wi­scher“ haben. In den USA ist die „Dai­ly Show“ für vie­le (gera­de jün­ge­re) Zuschau­er inzwi­schen ein Haupt­lie­fe­rant für Nach­rich­ten gewor­den – obwohl die Macher immer wie­der beto­nen, Unter­hal­tung und kei­ne ernst­haf­ten Nach­rich­ten zu pro­du­zie­ren. Dass eine Unter­su­chung der India­na Uni­ver­si­ty den­noch zu dem Ergeb­nis kam, dass der Nach­rich­ten­ge­halt in der „Dai­ly Show“ im gro­ßen und gan­zen mit dem in „rich­ti­gen“ Nach­rich­ten­sen­dun­gen ver­gleich­bar ist, spricht eine deut­li­che Spra­che im Bezug auf die Main­stream-Nach­rich­ten, denen vie­le US-Bür­ger aus­ge­setzt sind. Dazu pas­sen aber die Ein­schalt­quo­ten im deut­schen Fern­se­hen, bei denen „RTL Aktu­ell“ immer öfter vor der „Tages­schau“ liegt.

Bleibt natür­lich die Fra­ge, wel­cher Sen­der so eine Sen­dung aus­strah­len wür­de. Wer hät­te die Eier, nicht nach drei Wochen mit nicht ganz so guten Quo­ten (denn viel­leicht irre ich mich und die rund 5.000 User, die sich die „Dai­ly Show“ online angu­cken, haben gar kei­nen Bock mehr auf das Uralt-Medi­um Fern­se­hen oder inter­es­sie­ren sich gar nicht für deut­sche Poli­tik) die gan­ze Show gleich wie­der zu kip­pen? Wer könn­te die vie­len Redak­teu­re und Autoren, die eine sol­che Sen­dung selbst mit dem bes­ten Mode­ra­tor nun mal bräuch­te, bezah­len? Hält man sich die (sicher­lich preis­güns­ti­ge­ren) Test­bal­lons vor Augen, die der WDR im ver­gan­ge­nen Som­mer in sei­nem Spät­abend­pro­gramm los­ge­las­sen hat, scheint zumin­dest etwas Expe­ri­men­tier­freu­de und Geld vor­han­den zu sein. Viel­leicht wagt es sogar ein Pri­vat­sen­der wie Vox, der ja mit hohem Anspruch gestar­tet war und sich in den letz­ten Jah­ren als erfolg­reichs­ter Fern­seh­sen­der der zwei­ten Rei­he eta­blie­ren konn­te. Ich wür­de mich freu­en und immer ein­schal­ten!

Nach­trag 29.05.: Auf mei­ne Anfra­ge (die ich bereits eini­ge Tage vor die­sem Ein­trag hier gestellt hat­te) bestä­tig­te man mir beim deut­schen Come­dy Cen­tral, dass wei­ter­hin an einer Inte­gra­ti­on der jeweils aktu­ells­ten „Dai­ly Show“ ins Fern­seh­pro­gramm gear­bei­tet wer­de. Plä­ne, eine ähn­li­che Show für Deutsch­land zu pro­du­zie­ren, gebe es bis­her aber nicht.