Asche in Vinyl. Jazz/Afrobeat-Fusion. Indierock. Americana. Robbie Williams. Das sind die 5 Songs, die Ihr im Mai 2025 gehört haben solltet:
Diese und noch mehr Songs gibt’s im Coffee And TV-Mixtape:
Asche in Vinyl. Jazz/Afrobeat-Fusion. Indierock. Americana. Robbie Williams. Das sind die 5 Songs, die Ihr im Mai 2025 gehört haben solltet:
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Vergangenen Juni fand auf dem Gelände von Schloss Strünkede in Herne das erste Sounds Like Sugar Festival statt, eine zauberhafte kleine Veranstaltung: Ein Nachmittag und Abend voller spannender Acts in einem malerischen Burghof und einer kleinen Kapelle; man trink eher un Spritz als Dosenbier; es gibt einen U‑Bahn-Anschluss direkt vor der Tür, so dass man kurz vor Mitternacht nach Hause fahren und im eigenen Bett schlafen kann. So stellt man sich mit über 35 doch das ideale Musikfestival vor (und das alles für weniger als 20 Euro Eintritt, was heutzutage ja nun wirklich das ist, was wir im Ruhrgebiet als „Schnapper“ bezeichnen).

Bei der Premiere spielten unter anderem Maryaka, Philine Sonny, Loki, Zimmer 90 und Ätna und wir haben damals bei Instagram und in unserer Musiksendung darüber berichtet.
Am 12. Juli steht jetzt die zweite Ausgabe des Sounds Like Sugar an, die wir gerne und wärmstens empfehlen:

Mit Amilli aus Bochum und Brockhoff aus Hamburg sind zwei Acts dabei, die wir hier in unserer kurzlebigen Musiksendung mehrfach gefeaturet haben, aber auch der Rest des Line-Ups ist vielversprechend.
Wir werden da sein!
Alle Infos und Tickets unter soundslikesugar.de
Ein Song, bei dem ich mich immer erinnern werde, wo ich ihn das erste Mal gehört hat; ein überraschendes Comeback; ein Song, der für und gegen schlechte Laune geeignet ist, und mehr — das sind die 5 Songs, die Ihr im April 2025 gehört haben solltet:
Noch mehr Songs gibt’s wie immer auf unserem Coffee-And-TV-Mixtape:
PS: Ja, wir sind ein bisschen spät dran, aber ein paar technische Herausforderungen, Feiertage und die ESC-Vorbereitung sind schuld!
Es war im Sommer 2000, der 12. August: Mein bester Freund hatte herausgefunden, dass in Rees-Haldern, rund 40 Kilometer von Dinslaken entfernt, ein Musikfestival stattfand, auf dem unter anderem Embrace, Soulwax und K’s Choice auftreten würden — und zwar heute, am letzten Samstag der Sommerferien! Da wollten wir hin, also druckte ich bei meiner Mutter in der Stadtbibliothek eine Wegbeschreibung aus und das, was wir damals noch nicht „Timetable“ nannten. Ich besorgte Getränke und ein paar Snacks und mein bester Freund überzeugte seine große Schwester, uns dorthin zu fahren und abends wieder abzuholen („Um halb Elf, an der gleichen Stelle!“ — klingt wie Mittelalter, es gibt aber vereinzelte Hunde, die damals schon lebten und es heute auch noch tun). Es sollte mein erstes von zwölf Haldern Pop Festivals werden und mich, dem butterfly effect folgend, von Dinslaken nach Bochum bringen.
Einer der zahlreichen Acts, deren Namen uns nichts sagten, war ein Typ mit verknautschtem Gesicht und Akustikgitarre. Das Programmheft klärte uns auf, dass es sich um Tom Liwa aus Duisburg handle, bisher bekannt als Sänger einer Band namens Flowerpornoes, jetzt auf Tour mit seinem Solo-Debüt mit dem etwas schnulzig klingenden Titel „St. Amour“. Wir waren anfangs nicht überzeugt, aber irgendwie gelang es diesem Mann, uns während seines knapp 40-minütigen Sets auf seine Seite zu ziehen. Die Songs waren eigentümlich interessant, sowas kannten wir nicht aus dem Radio und noch nicht mal von Viva II. Wir waren als Skeptiker gekommen und gingen als Fans.

Das war insofern bemerkenswert, als ich damals nicht nur nichts von deutschsprachiger Musik wissen wollte, sondern mir sogar englischsprachige Acts aus Deutschland suspekt waren. Ja, okay: Die Fantastischen Vier existierten, aber ich hatte gerade erst angefangen, mich vorsichtig mit Tocotronic und den Sternen zu beschäftigen; eine Rückkehr zu Herbert Grönemeyer oder der Münchener Freiheit, mit denen ich aufgewachsen war, erschien noch undenkbar.
Es ist für Menschen, die heute jung sind, unvorstellbar und selbst für uns, die wir dabei waren, manchmal überraschend, aber: Man konnte damals nicht einfach sofort jede Musik hören, die man hören wollte. Schon gar nicht in niederrheinischen Kleinstädten. Theoretisch hätte ich das Album noch am selben Abend bei Amazon bestellen können, praktisch hatte ich noch nicht mal ein Girokonto, von dem aus ich es hätte bezahlen können. Es dauerte also bis zu den Herbstferien, bis ich im Mediamarkt in der Kölner Hohen Straße nach dieser „Platte“, wie man damals rätselhafterweise auch zu CDs sagte, suchen konnte.
Die ersten Zeilen des Albums, „Dies ist kein Brief / Nur eine Straßenkarte /Auf der ich mit dem Finger entlangfahr / Während ich auf Antwort warte“ im Song „Eskimo“, waren aufregender als neun Jahre Deutschunterricht am Gymnasium. Und dann so lapidar dahingeworfene Zeilen wie „All meine Geschwister sind Einzelkinder“, „Diese Welt ist ein seltsamer Platz, an dem man immer wieder vergisst, wie traurig man ist“, „Und jetzt sitzt Du da mit Deinem Streichquartett und ich hab Kopfschmerzen vom Telefonieren“ — wow!
Die Texte haben genau jenes Mischungsverhältnis aus konkret und kryptisch, dass man sich in nahezu Lebensphase darin wiederzufinden glaubt: „Und was denkt ein Pinguin / In seinem Käfig im Zoo / Im Herbst, wenn die Vögel zieh’n / In die Sonne?“ Ja, klar: Fühl ich. Und das vorgetragen mit dieser leicht knarzigen, aber trotzdem sehr warmen Stimme, die einfach klingt wie die eines Freundes, den „alt“ zu nennen man sich verbieten würde, weil man doch ein Jahrgang ist, der aber am Ende eben dann doch genau das ist. Bei „The Voice“ kommt man damit nicht weit, aber das ist ja – neben der textlichen Qualität – eben genau das, was Tom Liwa von heutigen wiederverwertbaren Deutschpopmusikern unterscheidet.
„Gib ihnen was sie wollen“ klingt wie eine brutale, aber nicht unempathische Abrechnung mit Babyboomern — aber das kann eigentlich nicht sein, die waren doch erst Mitte 40, als das Album erschien, und Liwa gehört selbst dazu. Also doch? Wahnsinnig viel passiert auch auf der Rückbank irgendwelcher Autos — oder: Es passiert eben nicht, es wird immer nur angedeutet, dass dort in der Vergangenheit irgendetwas passiert ist. Das ist für einen 17-Jährigen, der seinen Führerschein nicht so bald machen sollte, natürlich wahnsinnig aufregend!
Wie das oft so ist bei Songs, die man schon sehr lange kennt: Wenn man sie nach vielen Jahren wieder hört, kann man immer noch jedes Wort mitsingen — was einen aber nicht unbedingt näher an den Inhalt der Texte heranbringt, weil man über diese eben gar nicht mehr nachdenkt, egal ob auf Englisch oder Deutsch. Wovon handeln also die ganzen Lieder? Von Menschen und ihren Problemen; von Beziehungen, die daraus entstehen und darunter leiden; von schlaflosen Nächten, eigenen Unzulänglichkeiten, Leidenschaften und Einsamkeiten.
Das könnte man ehrlicherweise über wahrscheinlich 90% aller Popsongs sagen, aber irgendwie war Tom Liwa hier etwas gelungen, was bis heute nur wahnsinnig wenige deutschsprachige Texter geschafft haben: so zu formulieren, dass es für mich – und ich bin ja hier die einzige Instanz, wenn es um meinen Geschmack geht! – nicht peinlich, gestelzt oder ausgedacht klang, sondern wie im Gespräch dahergesagt. Marcus Wiebusch und Reimer Bustorf von kettcar und Thees Uhlmann sind für mich die Einzigen, die mich seit Jahrzehnten begleiten, aber ihre Qualitäten liegen ein bisschen woanders; Muff Potter, Wir Sind Helden und Jupiter Jones haben vor rund 20 Jahren jeweils ein paar Alben lang zu mir gesprochen, aber Tom Liwa ist wirklich ein Solitär: Ich würde auch heute noch nicht sagen, dass er meine Lebenswirklichkeit abbildet, und die Situationen, in denen sich seine Ich-Erzähler befinden, sind in den seltensten Fällen erstrebenswert, aber es bleiben Geschichten, die mich anrühren und interessieren — etwas, was anderen deutschsprachigen Acts ungefähr nie gelingt (it’s not you, it’s me).

Für einen 17-Jährigen, der gerade dabei war, sich die ersten paar Male unglücklich zu verlieben, bot dieses Album reichlich Projektionsfläche: Ein Song, der „Seltsames Mädchen“ hieß; Geschichten von offenbar dramatisch geendeten Liebschaften; eine Erzählstimme, die offenbar schon mehr wusste (Tom Liwa war bei Veröffentlichung des Albums 38 Jahre alt), aber uns kleine Holden Caulfields mitnehmen konnte durch diese Erwachsenenwelt, an deren Tür wir gerade anklopften (oder von deren Tür von uns erwartet wurde, dass wir an sie anklopfen wollen würden oder müssten).
Unter den zwölf Tracks des Albums gibt es nicht einen schwachen, einer der besten Songs wurde noch nicht mal von Liwa selbst geschrieben: „Zuhause“ stammt von Florian Glässing, mit dem Tom Liwa 2002 ein gemeinsames Album aufnehmen sollte, und auf dessen Durchbruch ich seit über 20 Jahren warte. Nachdem sich dieser Song in ein Pearl-Jam-ähnliches Finale hochgeschraubt hat, erklingt plötzlich die Stimme von Christian Brückner (oder, wie wir schon damals sagten: „die deutsche Stimme von Robert de Niro“) und rezitiert einen Liwa’schen Text, der „Wir haben die Musik“ heißt und clevererweise eben genau auf selbige verzichtet.
Wenn es auf „St. Amour“ einen Hit gibt, dann „Für die linke Spur zu langsam“: Ein Song, dessen volles Ausmaß ich erst im Lauf der Jahre langsam zu erfassen begann. Die erste Strophe handelt von den Ansprüchen an sich selbst, vom „Geschenk für die Welt“, an dem man arbeitet. Die dritte Strophe schleicht sich nebensächlich an, um im letzten Moment ihre volle, fast metaphysische Wucht zu entfalten: „Und dann fahr ich ans Meer raus / So wie ich’s immer mach / Wenn ich allem entflieh’n will / Das ich nicht mehr etrag / Park den Bus in den Dünen / Und setz mich irgendwohin / Seh raus aufs Wasser und warte / Bis ich jemand anders bin“.
Treffendere Worte sind selten über Männer geschrieben worden. Dieses ganze „Born To Run“-Dingen (also: Motorrad oder Auto nehmen und los) wird hier einmal kurz dekonstruiert: Es ist halt einfach immer eine ganz banale Flucht. Vor dem, was der Mann „nicht mehr erträgt“. Ich kenne kaum einen Mann, egal welcher Generation, auf den diese Strophe nicht passen würde: Wenn meinem Großvater seine Familie zu viel wurde oder ihm Konflikte unlösbar erschienen, fuhr er einfach weg. Ich hab mich als Teenager auf mein Fahrrad geschwungen und bin zum Rheindeich gefahren; später, in Bochum, bin ich ins Auto gestiegen und zum Kemnader See gefahren. Das Meer, das mich noch heute beruhigt wie sonst nichts auf der Welt, war mir dann doch immer ein bisschen zu weit weg, aber Hauptsache Wasser! Ruhe finden im Fluss, panta rhei. Das hier einmal so ausformuliert zu finden, in seiner ganzen heroischen Lächerlichkeit der Konfliktvermeidung und Kapitulation — das hat schon eine sehr entwaffnende, ernüchternde Macht. Bis heute fühle ich mich oft so, wie es Tom Liwa im Refrain beschreibt: „Für die linke Spur zu langsam / Für die rechte Spur zu schnell“. Eigentlich müsste es der Slogan aller Millennials sein.
In den Jahren 2000 und 2001 sahen mein bester Freund und ich Tom Liwa vier Mal live. Meist stand er allein mit seiner Akustikgitarre auf der Bühne und spielte das, was er – in Anlehnung an die damals populären „Dogma 95“-Filme – augenzwinkernd als „Dogma-Konzert“ bezeichnete. Was aus den tollen bis grandiosen Songs ein rundherum großartiges Album macht, ist jedoch auch die Produktion Marcus Holzapfel, die mir auch Jahrzehnte später noch wahnsinnig „undeutsch“ erscheint: sehr klar, alle Instrumente haben viel Raum, neben den dominierenden Akustik- und den begleitenden E‑Gitarren erklingen Querflöten, Vibraphone, Orgeln und Akkordeons, gleichzeitig hat das Schlagzeug einen fast absurden Stadionrock-Appeal. Im Nachhinein denke ich, dass die Vorbilder für diesen Sound vielleicht k.d. lang („Casanovas Rückkehr zum Planet der Affen“ klingt in den ersten Takten buchstäblich wie ein „Constant Craving“-Cover), Jeff Buckley und Wilco geheißen haben könnten. In jedem Fall ist es, neben all seinen inhaltlichen Stärken, immer noch eines der bestklingenden deutschsprachigen Alben aller Zeiten.
Texte, die gleichzeitig auf magische Art zugänglich und sperrig sind, fand ich auch auf den früheren Flowerpornoes-Alben, die ich mir nach und nach erschloss, während viele Liwa-Alben nach „St. Amour“ oftmals in buchstäblich sehr anderen Sphären spielten. Zwischendurch hat er mal sehr gute Alben beim Grand Hotel van Cleef veröffentlicht, aber sein Output und seine Wechsel von Labels und Vertriebswegen haben ähnlich hohe Schlagzahlen. Liwas aktuellste Alben sind hochgelobt, aber weil er es sich erlauben kann (oder zumindest erlauben will), sie ausschließlich außerhalb der Streamingdienst-Ausschlachtungsketten anzubieten, sind sie ehrlich gesagt auch ein bisschen an mir vorbei gegangen. Das wenige, was ich im vergangenen Jahr aus „Primzahlen aus dem Bardo“ gehört habe, erinnerte aber durchaus an alte Glanzzeiten. „Eine andere Zeit“ wurde von der Redaktion des deutschen „Rolling Stone“ 2022 zum „Album des Jahres“ gewählt. Klar: Ich käme heute sehr viel leichter an seine Musik als vor 25 Jahren, aber ich bin eben auch Teil des Problems der Musikindustrie (bzw. hier vor allem: der Künstler*innen), dessen bin ich mir bewusst.
So ist auch „St. Amour“ bis heute nicht zum Streamen verfügbar. Man kann das Album zwar bei iTunes kaufen, aber weder bei Apple Music noch bei Spotify hören. Da sowohl das Label (Detlef Diederichsens Moll Tonträger) als auch der Vertrieb (Energie für Alle) inzwischen nicht mehr existieren, kann man gebrauchte CDs im Internet bestellen, aber die Aura des etwas mystischen, nur mühevoll zu beschaffenen, die das Album damals für mich hatte, umgibt es interessanterweise bis heute.
Am 7. April 2000 ist es erschienen, heute vor 25 Jahren.
Das Jahr nimmt langsam richtig Fahrt auf, was man an der Zahl der Veröffentlichungen im März merkt. Ich versuche mal, für Euch den Durchblick zu behalten, und empfehle neue Songs von HAIM, Clipping, Car Seat Headrest, Case Oats und Kae Tempest.
Noch mehr Songs gibt’s wie immer auf unserem Coffee-And-TV-Mixtape:
Mit dem Begriff „Clipping“ wird in der Tontechnik das Übersteuern bezeichnet, also wenn ein Audio-Signal so laut ist, dass seine Kurve gekappt wird und Verzerrungseffekte auftreten. So gesehen haben Clipping einen der passendsten Bandnamen seit den Beatles (zumindest in deren Anfangsphase) oder Metallica.
Wer, wie ich, so alt ist, sich noch an die Geräusche erinnern zu können, die ein Modem machte, wenn man sich ins Internet einwählte, wird immer wieder zu diesem Rauschen zurückkommen, wenn es um die Musik von Clipping geht — und das nicht nur, weil das Intro ihres neuen, fünften Albums „Dead Channel Sky“ buchstäblich einen solchen Modem-Sound verwendet: Nahezu alle Sounds (Instrumente sind es in den seltensten Fällen) des Albums quietschen, kratzen, zirpen, rauschen und kreischen so digital, wie Songs, die man sich mit 56k-Verbindung über den Real-Player angehört hat.
Die Landesmusikräte der Bundesrepublik haben die menschliche Stimme zum „Instrument des Jahres“ 2025 ernannt. Dass sie, als sie dies taten, an Daveed Diggs dachten, ist unwahrscheinlich, aber der Mann, den wir „Hamilton“-Fans als Marquis de Lafayette und Thomas Jefferson in der Erstaufführung des Musicals kennen, setzt seine Stimme ein wie ein Maschinengewehr, einen Presslufthammer oder einen Industrietacker — wenn diese Werkzeuge mehr grooven würden. Er schafft mehr Silben pro Minute als die meisten Menschen Buchstaben auf der Schreibmaschine und mehr unterschiedliche Stimmungen als ein Teenager, der gleichzeitig Fan des VfL Bochum ist.
Diggs‘ Sprechgesang ist so beeindruckend und eigenständig, dass man schon total geflasht ist, bevor man auch nur versucht hat, auf den Text zu achten. Man merkt aber auch sofort, dass das hier kein Sonnenschein-Hip-Hop mit glitzernden Felgen und geölten Körpern ist: Alles klingt nach Science-Fiction- und Horror-Filmen, man sollte unbedingt das Wort „Dystopie“ nennen und „Cyberpunk“ sagen.
Spätestens, seit ich bei „All Songs Considered“ die zweite Vorab-Single „Keep Pushing“ gehört hatte, war ich so gespannt und vorfreudig wie lange nicht mehr bei einem Album. Und als „Dead Channel Sky“ dann letzte Woche endlich rauskam, war ich sofort hooked: In der U‑Bahn, im Regionalexpress, auf der Autobahn, im Fitness-Studio, beim Zugucken beim Fußball-Training — das Album ist seitdem immer mit dabei. Dabei ist es wirklich kein Album zum Nebenbei-Hören; kein Track dürfte es auf eine dieser „Ungestört Arbeiten“-Playlisten schaffen (was natürlich auch kein Ort ist, an dem die meisten Musiker*innen das Ergebnis ihrer Arbeit gerne sähen).
Ich bin auch nach einer Woche noch nicht vollständig in die lyrische Tiefe des Albums eingetaucht, aber es geht um Kapitalismus, digitale Gefahren, Klassenkampf, verspiegelte Sonnenbrillen, Drogenhandel, Tod und Apokalypse. Man könnte es also durchaus großzügig von der US-amerikanischen Gesellschaft finden, dem Album zu seiner Veröffentlichung soweit entgegengekommen zu sein, aber Daveed Diggs und seine Produzenten William Hutson und Jonathan Snipes denken eh in viel größeren Dimensionen; alles ist Intertextualität und Mixed-Media-Installation, der Albumtitel eine Referenz an William Gibsons Roman „Neuromancer“.
Ich weiß, dass sich das wahnsinnig anstrengend und verkopft anhört, nach Röhrenbildschirmen in städtischen Museen. Aber wir reden hier über drei Typen aus Kalifornien, da kommt immer noch von irgendwo ein bisschen fun, fun, fun um die scharfkantige Ecke. Und so ist „Dead Channel Sky“ ein Album, aus dem man sich das nehmen kann, was man gerade braucht.
Der closer „Ask What Happened“ paart Diggs‘ Schnellfeuerwaffenrap in der ersten Hälfte mit so etwas wie Klangschalen, ehe ein galoppierender Drum-’n‘-Bass-Beat erscheint, der zwar zum Sprechtempo passt, aber durch die Ambient-Geräusche fährt wie eine Kreissäge durch Aromaöllampen. Danach fühlt man sich, als wäre man aus einem wilden Traum hochgeschreckt. Nur, dass man dann eher selten „Nochmal!“ schreit.

Clipping – Dead Channel Sky
(Sub Pop Records; Apple Music, Spotify, Amazon Music, Tidal, YouTube Music, Bandcamp)
Das sei jetzt der Teil, wo sich der Interviewpartner hinsetzen würde, mit der Crew spräche und nicht wisse, dass das Material dann später an den Anfang der Dokumentation geschnitten werde, sagt Will Ferrell zur Crew, als er sich hinsetzt, am Anfang des Films. Mehr Meta-Ebene wird’s danach nicht mehr, auch wenn die Frage nach der Authentizität dieser (und eigentlich jeder) Dokumentation ab da mietfrei im Unterbewusstsein des Publikums wohnt.
Der Schauspieler („Anchorman“, „Buddy der Weihnachtself“, „Stiefbrüder“, „Stranger Than Fiction“, „Eurovision Song Contest“) hat eine E‑Mail bekommen von der Person, die er als Mann kennengelernt hatte, als Autor bei „Saturday Night Life“, wo ihre beiden Karrieren begannen, und als langjährigen Freund. Diese Person lebt jetzt, nach Jahrzehnten des inneren Ringens, offiziell als Frau, wie sie Will Ferrell in der E‑Mail mitteilt. Einen neuen Namen suche sie noch.
Als sich die beiden wiedersehen, ist die Entscheidung auf Harper gefallen, nach der berühmten Schriftstellerin Harper Lee („Wer die Nachtigall stört“), die mit Harpers Mutter zur Schule gegangen war. Will und Harper wollen herausfinden, ob Harpers Transition etwas geändert hat an ihrer Freundschaft. Sie tun dies vor laufenden Kameras, bei einem der amerikanischsten Bräuche überhaupt: dem road trip.
Begleitet von einem phantastischen Folk/Americana/Country-Soundtrack fahren Will und Harper durch die USA, stellen ihre Camping-Stühle irgendwo hin und trinken Light Beer. Es ist das Frühjahr 2023; die Spaltung des Landes, die eigentlich seit seiner Gründung Teil seiner Identität ist, ist durch die erste Trump-Regierung und die COVID-19-Pandemie mal wieder besonders sichtbar geworden. Trans-Personen werden als Spielball benutzt in einem „Kulturkampf“, auf dessen einer Seite um reine Existenzrechte gekämpft wird und auf der anderen gegen ein Feindbild, auf das man alle einschwören kann: Weiße und people of color, Männer und Frauen, Reiche und Arme.
Wo Will und Harper auf einzelne Personen treffen, geht es eigentlich immer recht harmonisch zu. Ferrells Prominenz spielt quasi keine Rolle, Steeles Transsexualität wird entweder höflich ignoriert oder interessiert bis positiv aufgenommen. Doch in großen Menschenmengen, bei einem Basketball-Spiel und in einem Freizeitpark-ähnlichen Steakhaus, wo sofort Dutzende Smartphones auf die beiden gerichtet werden, wo content online geht und Social-Media-Reaktionen hervorrufen kann, wird Harper verlässlich Opfer eines digitalen Mobs.
Das deckt sich zwar mit meinen eigenen Eindrücken von Wirklichkeit und Internet, aber es passiert in „Will & Harper“ derart deutlich, dass die vorab im Unterbewusstsein abgelegte Frage wieder hochschreckt: Inwiefern bildet dieser Film das ab, was tatsächlich geschehen ist, als die beiden mit ihrem Kamerateam durch das Land gefahren sind? Lief im direkten Kontakt tatsächlich alles so glatt? Wie haben sie manche Szenen überhaupt gedreht und wie haben sie das mit den Rechten all jener Personen geregelt, die zu sehen und zu hören sind?
Diese Momente haben mich kurz aus dem Film herausgeholt, was ich aber als positiv betrachte: Sie stellen das fertige Produkt in Frage, das eben bei allen dokumentarischen Ansätzen ein editierter und redigierter Film ist und somit niemals Abbild einer Wirklichkeit sein kann.

Die verschiedenen Wirklichkeiten sind: Die Freundschaft von Will und Harper hat sich schnell an die veränderten äußeren Umstände angepasst; die beiden machen ihre Witze, wie sie es vermutlich immer getan haben. Will und andere müssen sich mehr Sorgen um Harpers Wohlergehen machen, wenn sie irgendwo hingeht — nicht nur, weil Frauen in Fernfahrerkneipen und bei Autorennen anders behandelt werden als Männer, sondern insbesondere, wenn sie Trans-Frauen sind. Auch im 21. Jahrhundert verändern anwesende Kameras noch die Situationen, die sie abzubilden versuchen. Es gibt jede Menge Menschen, die, vielleicht mit einigen Vorurteilen und Hemmungen, aber generell offen und interessiert auf Trans-Personen zugehen und die im besten und einfachsten Sinne Menschenfreunde sind. Und es gibt Arschlöcher, die sich online oder in der Wirklichkeit über andere erheben; weil sie nicht weiter nachdenken, weil sie keine Empathie haben, weil sie von Fox News und anderer Propaganda zu Menschenfeinden erzogen wurden.
All das kann gleichzeitig wahr sein und „Will & Harper“ kann und will insofern kein reines Feelgood-Movie sein, auch wenn er über weite Strecken ein warmes, herzliches Gefühl erzeugt; immer wieder verbunden mit einem fassungslosen „Wie kann man Menschen aufgrund ihrer reinen Existenz so sehr hassen?“ und dem Gedanken, wie viel schlimmer die Situation heute, nur zwei Jahre später, unter der neuen Trump-Regierung sein muss.
Der Film kann wahrscheinlich Gespräche in Familien eröffnen und Menschen, die bisher gar nichts mit dem Thema Transsexualität und Transgender zu tun hatten, an die Hand nehmen, weil Will Ferrell so großartig als Platzhalter für das Publikum fungiert: Interessiert, aufgeschlossen, mit den besten Absichten, aber manchmal steht er sich selbst und dem Austausch auf Augenhöhe im Weg, manchmal stellt er eine Frage, die unangemessen ist, und die ihm Harper Steele dennoch sofort verzeiht.
„Will & Harper“ ist insofern ein buddy movie und meinetwegen das, was man ein „niedrigschwelliges Bildungsangebot“ nennt. Es ist ein Film über unsere Zeit und über ein verwirrtes Land. Ein Statement und ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit. Aber im Grunde genommen auch und vor allem: Die Geschichte der Freundschaft zweier Menschen.
Das erste Mal gehört hab ich von Rosenstolz am 26. Februar 1998, jenem Tag, an dem auch meine zweite ESC-Phase begann (meine erste verdanken wir bekanntlich der Münchener Freiheit, meine dritte, bis heute andauernde, Stefan Niggemeier). Das Duo trat damals beim deutschen Vorentscheid an und es hätte womöglich gewonnen, wenn da nicht auch ein Mann namens Guildo Horn im Wettbewerb gewesen wäre, dem Stefan Raab einen Song und Johannes Kram eine Kampagne geschneidert hatten, mit denen er diesen Abend für sich entscheiden konnte.
Menschen, die damals in der Bremer Stadthalle (Deutschland im letzten Stadium Helmut Kohl) dabei waren, berichteten noch Jahrzehnte später von einer aufgeheizten Stimmung zwischen den klassischen (also: schwulen) Grand-Prix-Anhängern und dem Horn/Raab-Lager. Ich kann mich nicht mehr erinnern, welches Adjektiv man damals für queer verwendete, aber ich weiß, dass es an Rosenstolz klebte. Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, aber es war damals eine Sache, dass eine Band eine explizit schwul-lesbische Fangemeinde hatte (beim ESC-Vorentscheid). Ich kann nicht sagen, dass ihr damaliger Wettbewerbsbeitrag „Herzensschöner“ bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen hätte, aber ich ahnte auch mit 14, dass ihre Musik etwas anderes war als die … sagen wir mal drei Werke von Ralph Siegel und Bernd Meinunger, die Rosenstolz an jenem Abend hinter sich ließen.
Alles, was vom heteronormativen Weltbild abwich, galt 1998 noch als „seltsam“, „anders“ oder „pervers“, mindestens an kleinstädtischen Gymnasien, wahrscheinlich überall im Land. Der einzige Ort, wo „so etwas“ behandelt wurde (mit einem ostentativ interessierten Gestus, der es irgendwie noch verruchter machte), war „B. trifft“, eine Talkshow mit Bettina Böttinger im Dritten Programm des WDR. „Der bewegte Mann“ war 1994 ein Kinohit gewesen, aber da waren die meisten Schwulen von explizit heterosexuellen Schauspielern gespielt worden und das Publikum lachte, wenn ich mich knapp 30 Jahre später richtig erinnere, eher über sie als mit ihnen. Ausländische Popkultur war da vielleicht einen Schritt weiter, aber es sollte auch noch acht Monate dauern, bis George Michael das Video zu „Outside“ veröffentlichen sollte, eine der schillerndsten Selbstermächtigungen des ausgehenden Jahrzehnts.
Das also war der Kontext, in dem Rosenstolz auftraten, und das war es, was ich weiterhin mit Peter Plate und AnNa R. verband. Es war ein Stempel, der die Band aber immer auch interessanter machte als andere deutschsprachige Acts zu ihrer Zeit.
2004 erschien „Liebe ist alles“, ein Song, der mir in der Rückschau omnipräsent erscheint, auch wenn ich mich frage, wo er eigentlich gelaufen sein soll, und der von recht unterschiedlichen Acts wie Spice Girl Mel C., dem Klassik-/Pop-Crossover-Projekt Adoro und Schlager-Legende Roland Kaiser gecovert wurde. (Ich finde die Kaiser-Version übrigens auf eine ganz eigene Art anrührend und ich möchte da nicht weiter drüber sprechen!)
Ich weiß noch, wie im Frühjahr 2006 die damals neue Rosenstolz-Single „Ich bin ich (Wir sind wir)“ bei CT das radio in der Redaktion ankam und wir den Song als einziges Campusradio überhaupt auf Rotation nahmen — und zwar auf die mit dem Vornamen „Heavy“. Ich erinnere mich an eine Nacht, die ich im Studio verbrachte, weil ich abends die Punksensung „Rockaway Beach“ moderiert hatte, noch neue Songs aufspielen und morgens ab 7 wieder moderieren musste (und es immer hieß, jede*r müsste „mindestens ein Mal in der Redaktion übernachtet haben“), und dieser Song gefühlt einmal pro Stunde sehr leise, aber beständig aus den nicht komplett stumm geschalteten Kopfhörern zu der Couch herüberwehte, auf der ich schlief.
Dieses Klaviermotiv (das zumindest in meinem Kopf in unmittelbarer Nachbarschaft von PeterLichts „Alles, was Du siehst, gehört Dir“ und Ben Lees „Wake Up To America“ wohnt, was jetzt objektiv nur so mittel-belastbar ist) ist ja wohl auch unwiderstehlich! Und diese permanente Steigerung des Songs!
Viel mehr kann ich über Rosenstolz ehrlich gesagt gar nicht beitragen. Ich weiß, dass die Band 2012 eine „Pause“ eingelegt hat, und habe seitdem nicht oft an sie gedacht. (Außer bei der Veröffentlichung des Roland-Kaiser-Albums, über das wir ja nicht reden wollten.)
Aber als heute Nachmittag die Nachricht kam, dass Sängerin AnNa R. im Alter von nur 55 Jahren gestorben ist, hat mich das überraschend betroffen gemacht.
Hier sind 5 Songs, die Ihr im Februar 2025 gehört haben solltet:
Und hier ist unser CTV-Mixtape für den kürzesten Monat des Jahres:
Vor zwei Wochen haben wir den 18. Geburtstag dieses Blogs gefeiert, jetzt können wir schon das nächste Jubiläum begehen. Heute vor zehn Jahren habe ich das abgesetzt, was mein erfolgreichster Tweet (eine Kategorie, bedeutend trauriger als „Viertbester Torschütze der Rückrunde in der Kreisliga C“) werden sollte:

Ich bin mir relativ sicher, mich erinnern zu können (und wir wissen alle, was das bedeutet), wie ich diesen Tweet zwischen „Warten am Bochumer Hauptbahnhof“ und „Einsteigen in den Regionalexpress nach Köln“ geschrieben und abgeschickt habe (deswegen auch die etwas merkwürdige Positionierung des Adverbs „eigentlich“ vor dem Akkusativ-Objekt, die mich seit dem ersten Moment stört), aber ich bin etwas ratlos, welche damals aktuellen Debatten ich damit kommentieren wollte. Die „Tagesschau“ vom Vorabend ist schon mal keine Hilfe.
Die Themen „Religion“ und „Meinungsfreiheit“ mögen mit den Anschlägen auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ sieben Wochen zuvor zusammenhängen, auch wenn es aus heutiger Sicht einigermaßen unvorstellbar erscheint, dass ein Ereignis derart lange medial ventiliert wird. „Impfen“ hat, wie ich jetzt ergoogeln konnte, wahrscheinlich etwas mit einem Masernausbruch zu tun, zu dem sich der Bundesgesundheitsminister, offenkundig ein Mann mit dem Namen Hermann Gröhe, am gleichen Tag äußerte.
Wie es so oft ist: Man kann nicht vorhersagen oder kontrollieren, was „viral geht“. So erreichte meine etwas nebulöse Gesellschaftskritik schon in den ersten Stunden Hunderte „Retweets“ und „Likes“ und ich bekam meine weitere gerechte Strafe in Form eines eigenen Artikels bei „Focus Online“. Ich entnehme meinen Aufzeichnungen, dass ich offenbar einigen unerwünschten Zuspruch von Rassisten auf Facebook bekommen habe, und der „Focus Online“-Text deutet an, wie diese Leute auf die falsche Fährte kommen konnten:
In der Tat liegt Heinser nicht falsch: Der Islam und wie der Westen mit ihm umgehen soll, ist nicht erst seit der Pegida-Bewegung ein heiß diskutiertes Thema in Deutschland.
Meine flapsig wegformulierte Äußerung lässt natürlich auch verschiedene Deutungen zu — das ist ja eines der vielen Elende von maximal verknappten Online-Debatten. Meine Blog-Einträge und Newsletter sprengen nicht selten die 10.000-Zeichen-Marke, Twitter erlaubte damals offenbar nicht mehr als 140. Wie hätte ich da gleichzeitig Besorgnis ausdrücken sollen über Personen, die ihre Religion so ernst nehmen, dass sie dafür Menschen ermorden, und gleichzeitig einer fremdenfeindlichen Pauschalkritik eine Absage erteilen? Ich weiß ja nicht mal mehr, worum es mir genau ging, außer, dass ich von Evolutionsbremsen genervt war.
Dennoch wirkt mein Tweet heute wie eine Flaschenpost aus einfacheren, fast sorglosen Zeiten: Vor dem Spätsommer 2015, in dem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen eine Schließung der deutschen Außengrenzen entschied und ihren anständigen Minimal-Humanismus mit dem Erstarken von offen fremdenfeindlichen Positionen auf Social Media und in der deutschen und europäischen Politik bezahlen musste; vor der US-Präsidentschaftskandidatur eines abgehalfterten Reality-TV-Stars; vor dem „Brexit“; vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine (aber nach der Annexion der Krim und dem Einmarsch im Donbass); vor dem Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023, der bis heute anhält, und dem ganz großen Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen-Backlash. Friedrich Merz war ein weitgehend in Vergessenheit geratener Rechtsanwalt aus Düsseldorf und die AfD stand in Wahlumfragen bei ca. 6%.
Es liegt eine besonders grobschlächtige Ironie darin, dass der Ort, an dem ich meine Gedanken damals windschief notiert habe, einer der Hauptfaktoren der Entwicklungen der nächsten Jahre war: mit Fehlinformationen zu Brexit und Hillary Clinton, zu COVID-19 und Impfungen, zu Geflüchteten — und dann kam auch noch Elon Musk, der den ganzen Bums aufgekauft und zu einem Schmelztigel für Verschwörungserzählungen, Hass und alle Arten von Menschenverachtung optimiert hat (woraufhin Mark Zuckerberg für seine Plattformen nachzog).
Zwei weitere Ironien liegen darin, dass mein Tweet ausgerechnet heute Jubiläum feiert, am dritten Jahrestag des offenen russischen Kriegs gegen die Ukraine, und am Morgen nach einer Bundestagswahl, bei der die AfD auf 20,8% kam und eine Union, die die Merkel-Ära abgeschüttelt hat wie eine ungeliebte Jacke, in der Bundesregierung den Ton angeben wird.
Wahlerfolge mit rechter Rhetorik verändern das gesellschaftliche Klima: Leute, die über Jahre (zu recht) zu feige waren, rassistische, queerfeindliche oder sonstwie xenophobe Kommentare abzugeben, fühlen sich plötzlich wieder in der Mehrheit, weil die Medien, richtige wie Soziale, voll sind mit den ganzen Ungeheuerlichkeiten (und ja auch linke, aufgeklärte Menschen sie gerne noch einmal teilen, um noch mal klar zu machen, wie ungeheuerlich sie sind).
An einem Tag wie heute fällt es schwer, hoffnungsvoll oder auch nur optimistisch zu sein: AfD-Wähler*innen werfen Nicht-AfD-Wähler*innen auf Social Media vor, dass ihnen der Tod von Opfern mutmaßlich islamistisch motivierter Terroranschläge und Morde egal sei — als ob progressive Menschen nicht gegen Totalitarismus, Patriarchat und Gewalt wären, als ob der gefährlichste Ort für Frauen nicht ihr eigenes Zuhause oder Umfeld wäre und als ob eine sofortige Schließung der Außengrenzen irgendwelche Auswirkungen hätte auf Menschen, die hier unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, unbehandelte psychische Probleme haben (womöglich als Folge von Traumatisierung in ihrer Heimat oder auf der Flucht hierher) und empfänglich sind für menschenverachtende Wir-gegen-die-Narrative, die denen der AfD gar nicht so unähnlich sind.
Jede „Migrationsdebatte“ ist immer auch der sumpfige, braune Nährboden für blanken Rassismus, für ein Überlegenheitsgefühl irgendwelcher Arschlöcher, deren arglos rausgehauenen Social-Media-Parolen die Lebenswirklichkeit meiner Freund*innen und der Freund*innen meines Sohnes bestimmen. Gleichzeitig glaube ich, dass jede Social-Media-Empörung immer auch eine endotherme Reaktion ist, dass also die ganze Zeit von außen Energie zugeführt werden muss, damit sie am Kochen bleibt. Dieses „außen“ sind natürlich in erster Linie Kräfte wie Russland, Elon Musk und der Axel-Springer-Verlag, bei denen ich aktuell keine Idee habe, wie man sie wieder los wird oder wenigstens ihren Einfluss einschränkt (also: außer „Social Media abschalten“), aber ich werde weder die Hoffnung, noch mein Engagement gegen diesen Wahnsinn der einfachen Lösungen aufgeben.
Ich bin jetzt 41 Jahre alt und ich bin seit 41 Jahren auf Demos gegen Umweltzerstörung und Nazis dabei. Ich bin es den Frauen in meiner Familie schuldig, die sich seit Generationen für die Menschen engagiert haben, die von unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt und übersehen wurden; die in Parteien und Organisationen aktiv waren und 1938 antisemitische Mitschülerinnen verdroschen haben. Das sind die Vorfahren, die ich mit meinem Tweet meinte.
Korrektur, 4. März 2025: In der ersten Version dieses Blogposts hatte ich das Wort „eigentlich“ als „Adjektiv“ bezeichnet. Im Falle des Tweets ist es aber eindeutig ein Adverb. Mit Dank an K.!
Natürlich fehlt in den Presseberichten jetzt wieder jedweder Hinweis darauf, dass James Bond in Wattenscheid geboren wurde. So steht es in der „autorisierte Biografie von 007“, die John Pearson, der ehemalige Assistent von James-Bond-Erfinder Ian Fleming, 1973 veröffentlicht hat, und weil die Wattenscheider*innen immer noch nicht darüber hinweg sind, dass ihre Stadt seit 1975 zu Bochum gehört, konzentriert sich ihr Stolz eben auf diesen Fakt. Das Stadtmarketing weidet diesen Umstand mit einer Hingabe aus, die schon in Essen und Gelsenkirchen (of all places) eher peinlich berührt zur Kenntnis genommen wird: Zum 100. Geburtstag der Figur im November 2020 gab es eine Plakataktion, Zeitungsanzeigen, eine Postkarten-Edition und die Biere „James Blond“ und „James Dunkelblond“ in der Touristinfo zu erwerben. Eine geplante Fotoaktion mit einem Daniel-Craig-Double musste pandemiebedingt ebenso abgesagt werden wie eine Ausstellung.
Gestorben ist der legendäre Geheimagent, da sind sich die meisten Fans sicher, nicht in den letzten Szenen von „Keine Zeit zu sterben“, jenem vom Pech verfolgten letzten Daniel-Craig-Film, dessen Filmstart erst wegen des Abgangs des ursprünglich geplanten Regisseurs Danny Boyle („Trainspotting“, „28 Days Later“, „Slumdog Millionaire“) und dann wegen der beginnenden COVID-19-Pandemie insgesamt fünf Mal verschoben wurde, sondern am gestrigen Donnerstag auf irgendeinem Schreibtisch, als die bisherigen Produzent*innen Barbara Broccoli und Michael G. Wilson bekannt gaben, die kreative Kontrolle an der Filmreihe an Amazon MGM Studios abgegeben zu haben.

Ebenso wie richtige Geheimdienstarbeit in der Regel aus der Lektüre und Niederschrift von Berichten besteht, ist die Geschichte der James-Bond-Filme mindestens genauso eine von Rechten (juristische, nicht Nazis) wie von exotischen Drehorten und riesigen Sets: Der kanadische Filmproduzent Harry Saltzman und sein US-amerikanischer Kollege Albert R. Broccoli hatten 1961 die Firma Eon Productions gegründet, nachdem Saltzman die Filmrechte der Romanreihe von Ian Fleming erworben hatte. Eon ist eine Tochtergesellschaft der Danjaq, LLC, die ebenfalls von Saltzman und Broccoli gegründet wurde (und nach den damaligen Ehefrauen der beiden benannt ist) und die die Rechte an der Marke „James Bond“ hält — was etwas anderes ist als die Urheberrechte der Filme und die der Bücher. 1975 verkaufte Saltzman seinen Anteil an die Filmfirma United Artists, die wiederum 1980 von MGM (die mit dem Löwen) übernommen wurde.
Weil der Regisseur und Produzent Kevin McClory wegen eines komplizierten Urheberrechtsstreits die Rechte an Ian Flemings James-Bond-Roman „Thunderball“ und der dort vorkommenden Vebrecherorganisation SPECTRE besaß, konnte er 1983 unabhängig von den Eon-Filmen „Sag niemals nie“ drehen, ein faktisches Remake der „Thunderball“-Verfilmung „Feuerball“, in dem Sean Connery im Alter von 53 Jahren zum allerletzten Mal James Bond spielt. Albert R. Broccoli wiederum übertrug seinen Teil der Firma vor seinem Tod 1996 an seine Tochter Barbara Broccoli und seinen Stiefsohn Michael G. Wilson, die seit „GoldenEye“ (1995) alle Bond-Filme produzierten. (Wilson hat auch in ungefähr jedem Film einen Mini-Gastauftritt, was einem nur dann penetrant erscheint, wenn man viel zu tief drin ist in der Materie.) 2005 wurden United Artists und MGM von Sony übernommen, wo sich die finanzielle Lage des Studios bald als so dramatisch erwies, dass die Produktion des 23. Bond-Films, der später „Skyfall“ werden sollte, zunächst auf Eis lag. Nach einer erfolgreichen Chapter-11-Insolvenz (die ganze Nummer mit den Bond-Verleihrechten bei 20th Century Fox, heute Disney, und Universal erspare ich uns allen, denn es ist ja jetzt schon komplizierter als jeder John-le-Carré-Roman) fusionierte MGM im Jahr 2022 mit Amazon Studios.
Eines der Opfer dieser ganzen „Succession“-mäßigen Unterhaltungsindustrie-Wirrungen ist James Bond: Nach „Keine Zeit zu sterben“, dem letzten Film mit Daniel Craig als Titelheld, sollte eigentlich ein neuer Hauptdarsteller gefunden werden. Kreative Entscheidungen hätten gefällt werden müssen: Macht man, wie schon bei Craigs erstem Auftritt in „Casino Royale“ einen erneuten reboot, also einen Neuanfang, der die bisherigen Filme der Reihe verwirft bzw. in ein Paralleluniversum verweist? Lässt man die neuen Filme, wie Ian Flemings Romanvorlagen, in den 1950er und 60er Jahren und damit im Kalten Krieg spielen? Wird James Bond vielleicht doch eine Frau? Für diese Entscheidungen waren eigentlich immer Barbara Broccoli und Michael G. Wilson zuständig, bei Amazon fanden sie aber offenbar keine Ansprechpartner*innen mehr, von denen sie sich ausreichend wertgeschätzt fühlten: Im vergangenen Dezember berichtete das „Wall Street Journal“, dass Wilson nur Gesprächspartner*innen in unteren Hierarchierängen bekäme und Broccoli die Amazon-Leute im privaten Rahmen als „fucking idiots“ bezeichnet habe. Vor diesem Hintergrund liest sich die gestrige Ankündigung nur zwei Monate später als Kapitulation der Denkmalpfleger*innen.
Broccoli und Wilson hatten es mehrfach geschafft, James Bond zu modernisieren: Mitte der 1990er Jahre, als Pierce Brosnans Bond-Laufbahn begann, konnte ihn seine Chefin M (Judi Dench) als „sexistischen Dinosaurier“ und „Relikt des Kalten Krieges“ verspotten und den (aus heutiger Sicht wirklich verstörenden) Sexismus der alten Filme so wenigstens werkimmanent kommentieren. 2006, als es mit Daniel Craig tatsächlich zurück auf Anfang ging (irritierenderweise immer noch mit Judi Dench als M, aber wer würde dieser Casting-Entscheidung widersprechen wollen?), orientierten sich die Filme an der schroffen Ästhetik der damals sehr erfolgreichen Jason-Bourne-Filme mit Matt Damon. Das wären einerseits gute Argumente, das Duo wieder mit einer Neuerfindung der Reihe zu beauftragen. Andererseits ist Wilson inzwischen 83 und bei Amazon sitzen Menschen, die weniger als halb so alt sind, das Ekelwort „content“ benutzen und aufgrund von sekundengenauen Auswertungen des eigenen Streaming-Angebots genau zu wissen glauben, was die Leute interessiert und was nicht. Das ist ein übleres Aufeinandertreffen zweier Welten als in der Szene mit Brosnan und Dench.
Außerdem hatte die Reihe nach „Skyfall“ auch arg ihr Mojo verloren: In „SPECTRE“ und „Keine Zeit zu sterben“ konnten die nach wie vor beeindruckenden set pieces von den Drehbüchern nur noch bedingt zusammengehalten werden. Zu dringend wollten die Macher die Vebrecherorganisation SPECTRE, deren Rechte sie gerade nach den oben angedeuteten jahrzehntelangen Rechtsstreitigkeiten endlich erworben hatten, in die bereits bestehende Geschichte einflechten, weshalb die ganze Motivation und der ganze Handlungsbogen des „Skyfall“-Bösewichts Silva (Javier Bardem) nachträglich unter den Bus bzw. den entgleisten U‑Bahn-Waggon geworfen wurde. Christoph Waltz überschritt als ungefähr siebte Iteration des Superschurken Ernst Stavro Blofeld die Grenzen zur Selbstparodie, nur um dann in „Keine Zeit zu sterben“ nach einem Klischee-Monolog urplötzlich abgemurkst zu werden. Die Filmreihe war – wie zuletzt im berüchtigten letzten Pierce-Brosnan-Auftritt „Stirb an einem anderen Tag“ – einmal mehr aus der Kurve getragen worden.

Meine persönliche Bond-Sozialisation begann 1995 in der Lichtburg in Dinslaken an der Seite meines Vaters mit besagtem „GoldenEye“. Ich war gerade zwölf und entsprach damit der Altersfreigabe (die Vorstellung, den Film in anderthalb Jahren mit meinem Sohn zu schauen, irritiert mich gerade allerdings sehr), es war mein erster „Erwachsenen“-Film, der Titelsong kam von Tina Turner und der Charakter der Xenia Onatopp (Famke Janssen), einer Schurkin, die Männer beim Geschlechtsakt mit ihren Schenkeln ermordet, sorgte für ein irritiertes erstes sexuelles Erwachen. Wollte ich wie James Bond sein? Wohl kaum. Aber ich wollte solche Filme machen, weshalb die meisten Heimvideos, die ich als Teenager mit meinen Freunden und Geschwistern drehte, auch James-Bond-Parodien rund um unserem eigenen Geheimagenten Johann Bünett waren („James und Johann sind beides Butler-Namen und statt ‚blond‘ ohne L halt ‚brünett‘ ohne R“, wie mein Schulfreund Benjamin todsicher ausgeführt hatte).
Mit einer Energie, die nur Nerd-Kinder ohne Computer an den Tag legen können, verschlang ich alle gedruckten Informationen über die damals schon mehr als 30 Jahre laufende Filmreihe, so dass ich Euch die oben aufgeführten juristischen Probleme schon mit 13, 14 hätte referieren können. Da mein Schlagzeuglehrer ebenso großer Fan war und alle Filme auf VHS besaß, war ich nicht zwingend auf die Ausstrahlungen im linearen Fernsehen angewiesen — obwohl „Lizenz zum Töten“ für mich heute immer noch ein Weihnachts-Vorabend-Film ist, nur weil er zufälligerweise am 23. Dezember 1997 im Ersten gelaufen war, als meine Eltern im Wohnzimmer den Baum schmückten und ich den Film deshalb in Papas Arbeitszimmer gucken durfte.
Die Daniel-Craig-Ära begann im November 2006, als ich gerade für drei Monate in San Francisco lebte, und tatsächlich hab ich bis heute keinen einzigen Craig-Bond in deutscher Synchronfassung gesehen, weil es ab „Ein Quantum Trost“ (2008) dann auch in Bochum Filmvorführungen im englischsprachigen Original gab. Aber seit 2015 haben die „Mission: Impossible“-Filme bei mir eh „James Bond“ als liebste Agentenfilm-Reihe abgelöst.
Und jetzt? Unken die Fans im Internet, dass es das natürlich gewesen sei mit James Bond. Amazon werde das franchise ausschlachten und eine Art Marvel Cinematic Universe (MCU) daraus erschaffen mit spin-offs, Fernsehserien, origin stories und ähnlichem Schnickschnack. Gerade Barbara Broccoli hatte bis zuletzt darauf beharrt, Bond-Filme als singuläre Ereignisse alle zwei bis fünf Jahre ins Kino zu bringen. Vergleiche werden gezogen zum „Star Wars“-Universum, das seit dem Verkauf von Lucasfilm an Disney auch seinen Reiz verloren habe. Und da muss man jetzt vorsichtig sein: Ich sitze den ganzen „Star Wars“-Fernsehserien auch ratlos gegenüber und finde, dass „Der Aufstieg Skywalkers“, der letzte „Star Wars“-Film der dritten Trilogie aus dem Jahr 2019 seinen unmittelbaren Vorgänger „Die letzten Jedi“ in ähnlicher Weise verraten hat wie „SPECTRE“ es mit „Skyfall“ getan hatte. Anders als viele „Star Wars“-Fans, die zumindest geistig das Arbeitszimmer ihres Vaters oder den Keller ihrer Mutter nie verlassen zu haben scheinen, sehe ich das Problem aber nicht in starken Frauenrollen oder einem diversen cast.
Das Elend moderner Erzählweisen liegt für mich vielmehr in dem unendlichen Breittreten von Charakteren und Handlungsbögen (Stichwort „horizontales Erzählen“, Stichwort MCU), weil das teuer erworbene intellectual property so stark wie möglich ausgepresst werden muss — da bin ich dann ganz bei Barbara Broccoli, ihren event movies und ihrer Ablehnung des Begriffs „content“. (Die Ironie, dass wir hier über Bewegtbild-Adaptionen von Comicbuch-Reihen bzw. gehobeneren Groschenromanen sprechen, ist mir dabei durchaus bewusst, danke der Nachfrage!)
Fans, die sich im Internet empören, die kreative Kontrolle über künstlerische Projekte zu überlassen, halte ich allerdings für mindestens ebenso bescheuert, wie diese Aufgaben an die controller abzugeben, die einem dank irgendwelcher Erhebungen erklären wollen, welche „Inhalte“ gut „funktionieren“ — die Ergebnisse dieser Vorgehensweise kann man in den meisten Social-Media-Auftritten ehemals seriöser deutscher Medienmarken besichtigen. Es gibt immer zwei Sorten Nerds: Die, die Musik hören und dann das Bedürfnis haben, eine Band gründen (oder fernsehen und dann eine Kamera in die Hand nehmen), und die, die Verkaufszahlen oder Einschaltquoten studieren und dann daraus ableiten zu können glauben, was für Songs oder Filme erfolgreich sein könnten. Ich war immer entschieden im ersten Team.
Den rauchenden, trinkenden, schießenden und durchaus auch sexuell übergriffigen James Bond der Romane und frühen Filme könnte man heute allenfalls als period piece inszenieren, auch das vermutlich nur mit irgendeiner Art einordnendem Kommentar. In Zeiten, wo Typen wie Andrew Tate, Mark Zuckerberg und Joe Rogan ihre eher verstörende, weil unendlich traurige, Vorstellung von Männlichkeit ungefiltert auf Millionen Jungen und junge Männer loslassen können und giftige Männlichkeit eher wieder auf dem auf- als auf dem absteigenden Ast scheint, würde einer Judi Dench, die mal ordentlich auf den Tisch haut, vermutlich „cancel culture“ vorgeworfen werden, aber sie wäre notwendig.
Eine besondere Ironie liegt natürlich darin, dass die Zukunft des berühmtesten Geheimagenten jetzt in den Händen eines Konzerns liegt, dessen Gründer so eindeutig eine Checkliste der wichtigsten Bond-Bösewichte abgearbeitet zu haben scheint: Er baut Raketen wie Hugo Drax („Moonraker“), besitzt eine wichtige Zeitung wie Elliot Carver („Der Morgen stirbt nie“) und ist kahlköpfig wie Ernst Stavro Blofeld bei mehreren Auftritten. Aber wer weiß, vielleicht will Jeff Bezos den Antagonisten im nächsten Film auch einfach selbst spielen.
Am Freitag ist das neue Album von Tocotronic erschienen. Der Titelsong wäre beinahe das erste mir bekannte Lied gewesen, in dem der Ortsname „Dinslaken“ vorkommt — allein: Es standen ästhetische Gründe im Wege, wie Sänger Dirk von Lowtzow der „NRZ“ erzählte:
Im Titelsong von „Golden Years“ geht es um Heimweh und Liebessehnsucht im Künstlerleben unterwegs – „Aber man muss dankbar sein, wenn man den Leuten noch begegnet, nicht nur als Klick auf Spotify“. Machen diese zwei Stunden am Abend auf der Bühne den ganzen Tourstress wett?
In den allermeisten Fällen: ja. Und oft auch auf unvorhergesehene Art und Weise. Eine Inspiration für dieses Lied war ein Konzert, das wir im Sommer 2023 in Dinslaken gegeben haben, auf einer Freilichtbühne. Und ohne Dinslaken zu nahe treten zu wollen: Ich habe das nicht als den Nabel der Welt empfunden. Und es hat zudem noch aus Eimern geregnet. Trotzdem war es eines der schönsten Konzerte, die wir je gespielt haben. Weil es so toll anzusehen war, wie die Leute da im Regen in diesem verwunschenen Park standen und durchgehalten haben.
Im Text heißt es allerdings: „Freilichtbühne Recklinghausen / Wo die öden Winde wehen“. Zufällige Verfremdung oder verbinden Sie mit Recklinghausen etwas Konkretes?
Nee, ich fand einfach das Wortpaar gut. Ich dachte an dieses Konzert in Dinslaken, das war die Blaupause. Aber „Freilichtbühne Recklinghausen“ klingt phonetisch so wahnsinnig schön. Das geht einem gut über die Lippen und lässt sich gut singen.
Andererseits dürfte es bisher auch nicht viele Songs geben, in denen Recklinghausen vorkommt — und Göttingen:
Lasst uns jedenfalls gemeinsam hoffen, dass die Pressestelle der Stadt Dinslaken nicht wieder eine Pressemitteilung rausgibt!